Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Table of Contents
Wenn der Todeswalzer erklingt
Romantic Thriller von Frank Rehfeld
Der Umfang dieses Buchs entspricht 117 Taschenbuchseiten.
Beverly hat eine scheußliche Ehescheidung hinter sich und ist nun erleichtert, wieder in ihren alten Heimatort, in das Haus ihrer Eltern, zurückgekehrt zu sein; obwohl auch dort einige Schatten der Vergangenheit lauern. Zunächst lebt sie sich mit ihrem Hund Rex gut ein und lernt den attraktiven Michael Clanton kennen. Dann jedoch häufen sich unheimliche Ereignisse. Ist sie etwa mit den Nerven am Ende und bildet sich nur ein, dass jemand sie verfolgt? Oder steckt ihr rachsüchtiger Exmann George dahinter? Als Beverly erkennt, dass alles ganz anders ist als gedacht, scheint es zu spät zu sein …
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
1
Die Scheidung war fast ebenso schlimm gewesen wie die letzten Jahre ihrer Ehe, aber beides lag jetzt hinter ihr, und Beverly Sherman hatte das Gefühl, eine zentnerschwere Last wäre von ihr genommen worden.
Sie hatte George geliebt, früher, vor sechs Jahren, als sie ihn kennengelernt und – gerade erst neunzehnjährig – bereits nach vier Monaten geheiratet hatte. Viel zu früh, wie sie bald schon hatte feststellen müssen. Rasch war der Rausch der Liebe dem nüchternen Alltag gewichen. Die gesellschaftlichen Vergnügungen, Empfänge und Feste, deren fremde Glitzerwelt Beverly anfangs so fasziniert hatte, hatten bald schon ihren Glanz für sie verloren. Sie hatte sich immer einsamer gefühlt, während Georges beruflicher Aufstieg mit kometenhafter Geschwindigkeit erfolgt war.
Er war Ingenieur, und die Großaufträge aus aller Welt häuften sich, so dass er oft unterwegs war.
Aber der Erfolg hatte ihn auch charakterlich verändert, hatte Arroganz und Überheblichkeit in ihm erweckt. Er war zu einem machtbesessenen, herrschsüchtigen Snob geworden, an dessen Seite das Leben für Beverly immer unerträglicher geworden war. Manchmal schlug und beschimpfte er sie, aber viel schlimmer waren die ständigen Demütigungen, denen er sie aussetzte. Er hasste sie nicht, nicht einmal so viel war sie ihm wert. Er ließ keine Gelegenheit aus, ihr zu zeigen, dass er der Herr war, und sie nicht viel mehr als ein Stück Besitz, eine Dienerin, die sich glücklich schätzen durfte, dass ein wenig von seinem Glanz auch auf sie fiel.
Sie verblasste neben ihm, dabei war sie eine hübsche junge Frau. Ihr Gesicht trug edle Züge; höchstens die Nase war für ihren Geschmack ein wenig zu klein geraten, aber das ließ sich durch geschicktes Schminken ausgleichen. Das starke gelockte, blonde Haar trug sie modisch kurzgeschnitten, und sie verstand es, sich elegant und modebewusst zu kleiden.
Dennoch verblasste sie neben George zu einem konturlosen Schatten, aber so ging es vielen Leuten, die sich in seiner Gegenwart aufhielten. Er war eine ungeheuer dominante Persönlichkeit.
Obwohl sie sich unglücklich fühlte, hatte sie nie den Mut zu einer Trennung aufgebracht. Erst als sie erfuhr, dass er sie jahrelang mit anderen Frauen betrog, brachte das Fass zum Überlaufen.
Er hatte getobt, sie beschimpft und ihr gedroht, doch sie hatte ihre Angst überwunden und war standhaft geblieben. George hatte einen der besten Anwälte engagiert, einen Winkeladvokaten, der versucht hatte, sie nach allen Regeln der Kunst übers Ohr zu hauen. Zum Teil war es ihm gelungen, wie sie sich eingestehen musste, aber die Abfindung, die sie erhalten hatte, reichte aus, die ersten Schritte in ein neues Leben zu wagen.
Beverly verdrängte diese Gedanken. Das war Vergangenheit. Sie hatte einen endgültigen Schlussstrich daruntergezogen. Alles, was jetzt noch zählte, waren Gegenwart und die Zukunft.
Sie konzentrierte sich wieder auf die Straße. Räumfahrzeuge hatten den Schnee des Vortages zu zwei Wällen rechts und links entlang der Straße aufgetürmt. Ihr Wagen war mit Winterreifen ausgerüstet, dennoch erforderte das Fahren höchste Konzentration.
Schnee lag wie Zuckerwatte auf den Bäumen und Büschen am Straßenrand, bedeckte die Felder der englischen Grafschaft Norfolk wie eine weiße Decke, die einen Eindruck von Unschuld und Unberührtheit vermittelte.
Vergnügt pfiff Beverly einen Schlager aus dem Radio mit. Im Inneren des Wagens war es behaglich warm. Solange die Straßen schneefrei waren, machte das Fahren durch die winterliche Landschaft Spaß. Jede Meile, die sie sich von London entfernte, war auch eine Meile fort von George, hinein in eine neue Freiheit. Als wüsste er genau, an was sie gerade dachte, hob Rex auf dem Rücksitz den Kopf und knurrte leise.
Er war eine unmögliche Promenadenmischung mit hellem, seidig glänzendem Fell. Am ähnlichsten sah er einem Windhund, doch mussten sich in seiner Ahnenreihe noch ein gutes Dutzend anderer Hunderassen befinden.
"Schon gut, wir sind ja bald da", murmelte sie, löste eine Hand vom Lenkrad und strich Rex kurz über das Fell. Der Hund mochte Autofahrten und hatte sich bislang während der ganzen Reise still verhalten. Sie schaute wieder nach vorne.
Schließlich entdeckte sie ein Verkehrsschild, auf dem das Ziel ihrer Reise erstmals genannt wurde. Hallerforth zehn Meilen, stand darauf, und ein Pfeil wies nach links.
Als Beverly die Straßenkreuzung mit dem Schild passierte, stieß sie einen leisen Jubelschrei aus. Die Gegend wurde ihr nun immer vertrauter. Hier war sie aufgewachsen, bis sie im Alter von dreizehn Jahren in ein Internat gekommen war. Ihr Gesicht verdüsterte sich ein wenig, als sie an die Vorfälle zurückdachte, die ihre Eltern damals gezwungen hatten, so zu handeln, wollten sie nicht selbst mit ihr aus Hallerforth fortziehen.
Es lag drei Jahre zurück, dass sie zuletzt in ihrem Heimatort gewesen war. Damals hatte sie der Tod ihrer Eltern hergeführt. Sie hatte sich nie überwinden können, das ererbte Elternhaus zu verkaufen. Auch wenn sie nach dem traurigen Ereignis nie dazu gekommen war, es zu besuchen, erfüllte der alleinige Gedanke daran, dass sie es besaß und jederzeit hinfahren konnte, mit einem warmen Gefühl der Vertrautheit. Vielleicht hatte sie das Haus gegen Georges Willen auch nur behalten, weil sie damals schon erkannt hatte, dass ihre Ehe nur noch auf dem Papier bestand und irgendwann vollends zerbrechen würde. Sie hatte gewusst, dass sie dann nach Hallerforth zurückkehren und das Haus ihr Schutz und Geborgenheit vermitteln würde.
Jetzt dachte sie schon wieder an George, stellte sie ärgerlich fest und verdrängte diese Gedanken erneut.
Die ersten Häuser von Hallerforth tauchten vor ihr auf. Als sie an dem Ortsschild vorbeifuhr, jubelte sie noch einmal überschwänglich.
Sie überlegte, ob sie irgendwo anhalten und mit ein paar Leuten sprechen sollte, die sie noch von früher kannte, entschied sich aber dagegen. Als erstes wollte sie sich ausruhen. Die Straßen waren nicht überall so schneefrei wie auf den letzten Meilen gewesen, und die Fahrt hatte sie erschöpft. Sie wollte unbedingt ihr Elternhaus wiedersehen, alles andere hatte Zeit bis später. Es war ja erst früher Nachmittag.
Das Haus lag ein wenig außerhalb, etwa eine Meile vom Ort entfernt hinter einigen Hügeln. Zwischen den Hügeln führte eine Zufahrt an das Gebäude heran, aber da dort seit Jahren schon niemand mehr wohnte, war die Straße nicht von Schnee geräumt worden. Beverly konnte nur im Schritttempo fahren, und es dauerte eine Weile, bis sie ihr Ziel erreichte.
Es handelte sich um ein altes, im viktorianischen Stil erbautes Herrenhaus mit Erkern und Balkonen, einem weitgeschwungenen Dach und hohen Fenstern. Zu dem Haus gehörte ein großer Garten, der jetzt ebenso wie die umliegende Landschaft unter einer Schneedecke begraben lag.
Beverly parkte den Wagen und stieg aus. Nach der stundenlangen Fahrt mit eingeschalteter Heizung schlug ihr die Kälte wie eine eisige Faust entgegen. Sie versank bis zu den Waden im Schnee und stapfte mühsam vorwärts. Rex sprang hinter ihr aus dem Wagen. Ihm machte der Schnee nichts aus. Übermütig tollte er umher, um sich nach der langen Zeit stillen Sitzens etwas auszutoben. Sie pfiff nach ihm, stieg die drei breiten Stufen vor dem Eingang hinauf und schloss das Portal auf.
Als sie in die Eingangshalle trat, hatte sie das Gefühl, nach vielen Jahren endlich wieder zuhause zu sein.
2
Beverly blieb auf der Schwelle stehen und schaute sich um, während Rex alles neugierig beschnupperte. Wie oft war sie als Kind wohl durch dieses Portal gegangen?
Die Teppiche in der Halle waren wie im ganzen Haus zusammengerollt, die Möbel mit alten Bettlaken oder Plastikfolie abgedeckt worden. Beverly nahm es kaum wahr. Die Erinnerungen schossen wie eine Stichflamme in ihr hoch und überfluteten ihren Geist. Sie sah das Haus nicht so, wie es jetzt war, sondern wie es früher einmal gewesen war. Hier hatte sie eine weitgehend glückliche Kindheit verbracht. Sie glaubte, wieder elf oder zwölf Jahre alt zu sein. Gleich würde die Tür aufgehen, und ihr Vater oder ihre Mutter würden sie begrüßen.
Die Kälte riss sie aus ihren Tagträumen. Der Wind wirbelte einige Schneeflocken durch das geöffnete Portal herein. Sie schloss es rasch und massierte fröstelnd ihre Arme. Die Heizung war ausgeschaltet, und im Haus war es ebenso kalt wie draußen.
Beverly holte eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach ihres Wagens und stieg über eine Treppe in den Keller hinunter, während Rex in der Hall zurückblieb. Schon als Kind hatte sie immer Angst vor dem Keller gehabt. Es roch muffig und ein wenig faul dort unten, als würde etwas in der Dunkelheit lauern und auf kleine Mädchen warten, die die Treppe herunterkamen.
Jetzt war sie kein kleines Mädchen mehr, sondern eine erwachsene Frau, aber die Gefühle von damals waren wieder da, wenn auch in abgeschwächter Form. Heute wusste sie, dass es keine Ungeheuer gab, die in dunklen Kellern hausten und sie packen würden, sobald sie die Tür öffnete und den Fuß auf die erste Stufe setzte, aber dennoch ...
Unbehaglich ließ sie den Strahl der Taschenlampe in die Tiefe wandern, dann gab sie sich einen Ruck und stieg mit entschlossenen Schritten die Treppe hinab. Als erstes trat sie an den Sicherungskasten und schraubte die Sicherung ein. Eine altersschwache Glühbirne, die an einem Kabel nackt von der Decke baumelte, flammte auf und verbreitete trübes Licht. Beverly schaltete die Taschenlampe aus. Jetzt fühlte sie sich schon etwas wohler.
Sie nahm den Geruch des Lehmbodens wahr, der noch genau wie früher war, aber der im ganzen Keller vorherrschende Geruch hatte sich verändert.
Ihm fehlte etwas, das sich ebenso banal anhörte, wie es der Wahrheit entsprach, und das sich nicht wirklich beschrieben ließ: der Geruch des Lebendigen.
Die Regale, die ihr Vater einst selbst gezimmert hatte, standen noch an den Wänden, aber es stand nichts mehr darauf, keine Einmachgläser mit Gemüse und Obst, keine Konservendosen, nichts von all den Lebensmitteln und tausend anderen Dingen.
Auch die Kartoffelkiste war leer. Beverly erinnerte sich, dass ihr immer der stärkste Geruch entströmt war. Der Keller war völlig kahl. Keineswegs sauber, aber auf todesähnliche Weise steril. Hier unten lebte nichts, nicht einmal Ungeziefer, und selbst das Ungeheuer, vor dem sie als Kind Angst gehabt hatte, hätte längst die Flucht ergriffen, wenn es jemals existiert hätte. Der Keller war wie eine Gruft.
An einem Handrad drehte Beverly das Wasser an und kümmerte sich anschließend um die Heizung. Mit dumpfem Brummen erwachte die Pumpe zum ersten Mal nach vielen Jahren zu neuem Leben.
Dann ging Beverly, von Rex begleitet, durch das ganze Haus. Sie trat in jedes Zimmer. Auf ihren Anruf hin hatte jemand vor einigen Tagen gründlich saubergemacht, die Möbel aber wieder zugedeckt. Der Geruch von Putzmitteln hing noch schwach in der Luft. Sie hatte Bürgermeister McLasky, einem Freund ihres Vaters, einen Zweitschlüssel ausgehändigt, damit er gelegentlich nach dem Rechten sehen konnte, und er hatte auch der Reinmachfrau die Tür aufgeschlossen.
Überall zog Beverly die Abdeckungen von den Möbeln und drehte die Heizungskörper an, um die klamme Kälte zu vertreiben. Wieder strömten lange verloren geglaubte Erinnerungen auf sie ein. Jeder Winkel hier im Haus hatte seine eigene Geschichte zu erzählen, und sie hörte willig zu, schwelgte in nostalgischer Vergangenheit.
Sie hätte vor Glück weinen können. Das Haus war auch nach der langen Zeit auf Anhieb wieder zu ihrem Zuhause geworden, obwohl einige Erinnerungen, die ihre Eltern betrafen, schmerzhaft waren.
In ihrem früheren Kinderzimmer hielt sie sich besonders lange auf. Sie sah sich wieder als Kind dort spielen. In den Schränken befand sich noch der größte Teil ihres Spielzeugs. Sie nahm viele Teile heraus und betrachtete sie, bevor sie sie mit einem wehmütigen Lächeln wieder an ihren Platz zurückstellte.
Zuletzt ging sie ins Wohnzimmer und entfernte auch dort alle Abdeckungen. Es würde lange dauern, bis die Heizkörper richtig warm wurden und die Kälte aus den großen, hohen Räumen vertrieben, aber hier gab es auch einen offenen Kamin. Sie fand sogar etwas Brennholz daneben. Es dauerte nicht lange, bis sie ein Feuer entfacht hatte. Knisternd leckten die Flammen über die Scheite. Harztropfen und kleine Luftblasen zerplatzen in einer raschen Folge leiser Explosionen.
Versonnen betrachtete sie das schwarze Klavier, das vor einem Fenster stand. Es war ein schönes altes Stück mit einem Spiegel hinter dem Notenständer. Ihr Vater hatte früher oft darauf gespielt. Er war sehr musikalisch gewesen, und Beverly hatte sein Talent geerbt. Sie spielte eine einfache Melodie. Einige Töne klangen nicht mehr ganz rein. Kein Wunder, da das Klavier jahrelang im ungeheizten Haus ungenutzt herumgestanden hatte. Sie würde es stimmen lassen müssen.
Beverly schloss den Deckel wieder. Ihr wurde kalt. Sie rückte einen Ledersessel dicht an den Kamin und setzte sich hinein, nachdem sie eine Flasche Cognac aus dem Wagen geholt hatte. In einem Schrank fand sie Gläser und nahm eins heraus. Es war vom langen, unbenutzten Stehen blind geworden, und sie wischte es mit einem Papiertaschentuch gründlich aus, bevor sie einschenkte und einen Schluck trank. Heiß rann der Alkohol durch ihre Kehle und wärmte sie von innen her.
Rex machte es sich neben ihrem Sessel auf dem Teppich gemütlich, legte den Kopf auf die Pfoten und schaute sie mit großen Augen an. Es waren diese Augen, die Beverly von Anfang an fasziniert hatten, seit sie ihn in einem Tierheim zum ersten Mal gesehen hatte. Sie konnten unglaublich treu und verständnisvoll blicken. Sie hatte vom ersten Moment an gewusst, dass sie diesen Hund haben musste. Das war vor einem halben Jahr gewesen.
Als sie erfuhr, dass das Tier eingeschläfert werden sollte, weil es bereits alt war und nicht genügend Platz zur Verfügung stand, hatte sie es mitgenommen. George hatte sich ungeheuer über die in seinen Augen entsetzliche Promenadenmischung aufgeregt und gefordert, dass das "Vieh" sofort wieder aus dem Haus käme, aber zum ersten Mal war sie gegen eine seiner Forderungen standhaft geblieben. Da er sich den größten Teil der Zeit ohnehin nicht zu Hause aufhielt, hatte er schließlich nachgegeben. Rex war für sie zum größten Trost während der letzten höllischen Monate ihrer Ehe gewesen, auch wenn er alt und reichlich faul war.
Entspannt lehnte sich Beverly zurück. Sie merkte nicht einmal, dass sie einschlief.
3
Verwirrt schreckte Beverly hoch, als Rex sie anstieß. Nach dem langen Sitzen im Auto war der Hund nun unruhig. Sie gähnte und schaute auf ihre Uhr. Gerade drei Uhr, sie hatte kaum eine halbe Stunde geschlafen. Erwartungsvoll blickte Rex sie an.
"Ich verstehe ja, du willst hinaus", sagte Beverly. Sie tätschelte den Kopf des Tieres, stand auf und öffnete die Haustür. Sofort sprang Rex in den Schnee hinaus und suchte sich einen Baum, um das neue Revier zu markieren. Hier draußen, wo es keinen Autoverkehr gab, konnte er gefahrlos herumtoben.
Beverly lud ihr Gepäck aus dem Wagen und fuhr los. Sie musste noch viele Sachen besorgen, vor allem Lebensmittel. Es gab keinerlei Vorräte im Haus. Behutsam fuhr sie los und beschleunigte erst, als sie die freie Straße erreichte.
In Hallerforth hatte sich nicht viel verändert, wie an vielen so kleinen Dörfern die Zeit oftmals wirkungslos vorbeiging. Nur in der Mitte des Ortes, wo vor einigen Jahren noch eine schöne, alte Kirche gestanden hatte, erstreckte sich jetzt ein freier, mit Bäumen und Bänken geschmückter Platz. In der Mitte gab es einen Springbrunnen, der zu dieser Jahreszeit natürlich nicht in Betrieb war. Das Wasser war gefroren, und der Anblick der vereisten Fläche versetzte ihr einen leichten Stich. Selbst heute, nach den vielen Jahren, sah sie beim Anblick einer Eisfläche immer noch Rick Osmonds Gesicht vor sich.
Die Kirche war vor zwei Jahren abgebrannt. Mit Betroffenheit hatte Beverly in der Zeitung davon gelesen. Es war unmöglich gewesen, das Gebäude zu retten, so dass man die Ruine hatte abreißen müssen. Seither fanden die Gottesdienste in einer ausreichend großen, etwas außerhalb gelegenen Kapelle statt. Es tat Beverly um die schöne Kirche leid, aber als Pragmatikerin erkannte sie sofort den Vorteil: Im Gegensatz zu früher fand sie auf Anhieb einen Parkplatz im Ortskern.
Sie stieg aus und schloss den Wagen ab. Ein Mann mit blonden, gelockten Haaren, der in der Nähe vorbeiging, stutzte, schaute sie noch einmal an und kam dann lächelnd zu ihr herüber.
"Beverly, bist du das wirklich? Meine Güte, man erkennt dich ja kaum noch wieder."
Auch Beverly zögerte einen Moment, dann wusste sie plötzlich, wer der Mann war. Ihre Augen leuchteten freudig auf.
"William, natürlich. Entschuldige, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Wir haben uns schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen."
Sie reichten sich die Hände. William Osmond, der Bruder von Rick, war ein Jahr älter als Beverly. Als Kinder hatten sie zusammengespielt, doch ihr letztes Zusammentreffen lag nun schon fast zehn Jahre zurück. Als sie zur Beerdigung ihrer Eltern nach Hallerforth gekommen war, hatte er gerade Urlaub gemacht.
"Was führt dich hierher?", fragte er.
"Ich werde wieder in das Haus meiner Eltern ziehen. Vor ein paar Wochen habe ich mich von meinem Mann getrennt."
"Oh, ich habe nicht einmal gewusst, dass du verheiratet warst. Wie geht es dir denn?"
"Nun ja, die letzten Wochen haben meine Nerven ziemlich in Mitleidenschaft gezogen, aber hier werde ich mich bestimmt bald erholt haben. Und was machst du?"
"Ich bin immer noch Junggeselle und arbeite seit einiger Zeit in den Clanton-Werken. Vor ein paar Jahren wurde am Stadtrand eine riesige Fabrik gebaut. Mittlerweile ist Clanton der größte Arbeitgeber am Ort, aber das wird dich jetzt bestimmt nicht interessieren. Du musst mir unbedingt erzählen, wie es dir ergangen ist."
"Du auch. Ich heiße jetzt übrigens Sherman. Komm mich doch in den nächsten Tagen einfach besuchen."
"Das werde ich machen", versprach er. "Du willst wirklich wieder hierherziehen? Hast du dir das gut überlegt?"
"Warum nicht? Schließlich bin ich hier aufgewachsen. Der Londoner Trubel wird mir in der ersten Zeit sicherlich fehlen, aber auch an die Ruhe kann man sich gewöhnen. Eine Weile werde ich es schon aushalten."
"Das meine ich nicht." Sein Gesicht war plötzlich sehr ernst. "Ich meine die Geschichte mit ... nun ja, den Tod meines Bruders. Es gibt immer noch Leute hier, die nicht an einen Unfall glauben."
"Aber das ist doch Unsinn!", rief Beverly. "Ich war damals zwölf Jahre alt! Kann da jemand ernsthaft glauben, ich hätte Rick absichtlich umgebracht? Rick war mein bester Freund, und wie Kinder nun mal sind, wollte ich ihn damals heiraten, wenn ich groß bin."
"Natürlich ist es Unsinn, aber du weißt ja, wie die Leute sind. Meine Eltern haben in ihrem Schmerz damals überall verbreitet, du hättest Rick nicht geholfen, weil ihr Streit hattet."
"Ja, wir haben uns an diesem Tag gestritten, aber deshalb hätte ich doch niemals ..."
"Ich weiß, aber manche Gerüchte sind eben hartnäckig." Er schaute auf seine Uhr. "Wir werden sicher noch Gelegenheit finden, uns zu unterhalten. Jetzt muss ich weiter, ich bin leider sehr in Eile. Bis bald."
"Ja, bis bald. Denk an den Besuch."
Beverly blickte ihm nach, bis er um eine Ecke verschwand. Sie hatte William Osmond schon früher sehr gern gehabt, genau wie seinen Bruder Rick. Zumindest bis zu diesem schrecklichen Unglück. Die wachgerufene Erinnerung daran hatte ihre gute Laune und die Freude über die Heimkehr beträchtlich gedämpft.
Sie machte sich auf den Weg zum Friedhof. Die Gräber und die Kieswege dazwischen lagen wie alles unter einer dicken Schneedecke verborgen. Beverly musste eine Weile suchen, bis sie das Grab ihrer Eltern fand. Sie schämte sich ein wenig, dass sie in den letzten Jahren nicht längst schon mal hergekommen war, statt nur einen Gärtner für die Pflege des Grabes zu bezahlen. Nun, in Zukunft würde sie sich wieder selbst darum kümmern.
Nach dem Besuch auf dem Friedhof, machte sie einen Bummel durch die Stadt, einen Spaziergang auf den Spuren der Vergangenheit. Es war, als ob ihre Seele plötzlich in zwei Persönlichkeiten gespalten wäre. Die eine war ein kleines Mädchen, das von den anderen Kindern gehänselt oft wurde, weil es zu dick war. Dieses Mädchen, das sich mit der Eleganz eines Elefanten bewegte, das ständig gescholten wurde, weil es an Streichen und allerlei Dummheiten teilnahm und meist erwischt wurde, weil es mit seinem Übergewicht nicht so schnell weglaufen konnte, wie die anderen, schlich durch die Straßen mit dem scheuen Blick eines gejagten Tieres.
Die andere Persönlichkeit war Beverly selbst mit ihren vierundzwanzig Jahren, die Frau, die an den Ort ihrer Kindheit zurückkehrte und nostalgischen Gedanken an diese frühere Zeit nachhing.
Sie war bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr dick gewesen, sehr dick, und die Sticheleien hatten sie bis ins Internat verfolgt. Es war ein Teufelskreis gewesen: je mehr sie gehänselt wurde, desto mehr hatte sie aus Kummer gegessen. Erst ein ganz simples, aber einschneidendes Erlebnis hatte diesen Kreis durchbrochen.
Sie hatte sich verliebt, aber der Junge – heute wusste sie nicht einmal mehr seinen Namen – hatte sie nur ausgelacht. Statt in ihrem Kummer wieder zu Bonbons und Schokolade zu greifen, hatte sie ein für alle Mal einen Schlussstrich daruntergezogen. Es hatte fast ein halbes Jahr gedauert, bis sie vierzig Pfund abgenommen hatte, ein halbes Jahr voller Entbehrungen, aber sie hatte ihre Diät mit aller Entschlossenheit durchgehalten, und als sie sich bis auf ihr Idealgewicht heruntergehungert hatte, war plötzlich allen aufgefallen, wie hübsch sie war.
Von diesem Tag an hatte kein Junge sie mehr gehänselt. Im Gegenteil, anstelle spöttischer Bemerkungen waren bewundernde Pfiffe hinter ihr hergeschallt. Etwas, das bis heute andauerte.
Ziellos schlenderte Beverly umher. Sie traf viele alte Bekannte und grüßte freundlich. Manchmal wechselte sie ein paar belanglose Worte mit den Leuten.
Sie kam an dem Kino vorbei, in das sie damals alles Taschengeld, das ihre Gier nach Süßigkeiten übrigließ, hineingetragen hatte. In blitzartigem Tempo zogen Erinnerungen an einige der alten Filme durch ihr Gehirn. Sie hatte die kühle Dunkelheit in dem Kinoraum mit den samtbezogenen Sitzen immer geliebt. Das Kino war ihr Fenster zur Welt gewesen, hier hatte sie ihrem Alltag für ein paar Stunden entfliehen können.
Mehr als eine Stunde lief Beverly in Hallerforth herum, das auch nach den vielen Jahren seinen nostalgischen Reiz nicht eingebüßt hatte. Zwar betrachtete sie das Dorf als Erwachsene jetzt mit ganz anderen Augen, doch obwohl ihr alles kleiner vorkam, war es immer noch das alte Hallerforth geblieben.
Schließlich erinnerte sie sich wieder daran, dass Rex sicherlich schon sehnsüchtig auf ihre Rückkehr wartete. Im Supermarkt kaufte sie, was sie für die nächsten Tage an Lebensmitteln und anderem brauchte.
Sie lud alles ins Auto. Dann kümmerte sie sich um einige Formalitäten, die zu erledigen waren. So ließ sie sich von Edward McLasky den Zweitschlüssel zurückgeben, beantragte einen Anschluss des Telefons und anderes mehr, bevor sie zum Parkplatz zurückkehrte und sich auf den Heimweg machte. Auch während der Fahrt ließ sie ihren Blick ständig über die Fassaden der Häuser gleiten, als plötzlich ein anderer Wagen, eine große, dunkle Limousine, vor ihr aus einer Seitenstraße kam.
Beverly trat auf die Bremse, doch obwohl die Straße weitgehend von Schnee geräumt war, war sie doch so glatt, dass der Wagen noch ein Stück weiterrutschte.
Ein grelles Hupen erklang, und im nächsten Moment krachte es auch schon.
4
Durch den Ruck wurde Beverly kurz in den Sicherheitsgurt gepresst und dann zurückgeschleudert. Fassungslos umklammerte sie das Lenkrad. Glücklicherweise war sie nur langsam gefahren, aber sie war doch geschockt.
Einige Sekunden lang blieb sie völlig regungslos sitzen, dann griff sie nach der Packung auf dem Armaturenbrett und zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Sie sah, wie der Fahrer des anderen Wagens seine Tür zu öffnen versuchte. Durch den Zusammenstoß hatte sich die Karosserie verzogen, und er musste schließlich auf der Beifahrerseite aussteigen.
Es handelte sich um einen jungen, dunkelhaarigen Mann mit kantigem Gesicht. Er trug Jeans und trotz der Kälte nur eine Lederjacke über seinem Rollkragenpullover.
"Haben Sie denn keine Augen im Kopf?", schimpfte er wütend. "Das hätte ..."
Beverly öffnete die Tür und stieg schuldbewusst aus. Der junge Mann verstummte, als er sie sah. Manchmal hatte es auch seine Vorteile, eine Frau zu sein, besonders eine hübsche, dachte sie.
"Es tut mir leid", entschuldigte sie sich. "Alles war allein meine Schuld, ich habe nicht aufgepasst. Sie hatten Vorfahrt."
"Allerdings, die hatte ich", bestätigte er, nun schon ein wenig versöhnlicher. "Ich bin froh, dass Sie es zugeben. Sind Sie versichert?"
"Ja."
"Ein Glück, denn ich fürchte, die Reparatur wird teuer werden. Das ist der Wagen meines Vaters. Ich habe ihn mir für heute ausgeliehen, weil er bei solchem Wetter eine bessere Straßenlage hat und mir sicherer erschien." Er grinste. "Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich ausgerechnet Ihnen begegnen würde."
Sie sahen sich den Schaden an. Beverlys Wagen hatte kaum etwas abbekommen, nur die Stoßstange war ein wenig eingebeult.
Die Limousine sah übler aus. Auf der Fahrerseite hatte es einigen Blechschaden gegeben.
"Mein lieber Vater wird sich freuen. Ach übrigens, ich heiße Michael Clanton. Meinem alten gehören die Clanton-Werke."
"Beverly Sherman." Sie war immer noch verwirrt, aber das Zittern ihrer Hände ließ allmählich nach. Die Ruhe und Freundlichkeit des jungen Mannes halfen ihr, die Fassung rasch zurückzugewinnen. "Es tut mir leid, wenn Sie meinetwegen Ärger bekommen."
"Alles halb so wild, schließlich konnte ich nichts für den Unfall. Wichtig ist nur, dass keiner verletzt wurde. Sie wohnen nicht in Hallerforth, nicht wahr?"
"Doch, seit heute schon. Ich bin hier aufgewachsen, habe aber die letzten Jahre in London gelebt."
"Oh, kein schöner Einstand."
Einige Schaulustige hatten sich inzwischen am Straßenrand versammelt. Bill Kingston kam herbeigeeilt, ein Polizist, den Beverly noch von früher kannte, und dem sie während ihres Rundgangs bereits begegnet war.
"Ich habe Ihnen doch vorhin erst gesagt, Sie sollen vorsichtig fahren", tadelte er. Er nahm den Hergang des Unfalls zu Protokoll. Beverly gestand jede Schuld offen ein und zeigte ihre Versicherungskarte. Die Schaulustigen zerstreuten sich.
"Auf den Schreck sollten wir eigentlich irgendwo etwas trinken", schlug Michael Clanton vor.
Beverly schüttelte den Kopf.
"Das geht nicht. Rex wartet auf mich. Er wird sich schon wundern, wo ich solange bleibe."
Enttäuscht verzog Clanton das Gesicht, dann zuckte er mit den Schultern.
"Schade. Na ja, vielleicht ein anderes Mal."
"Beim nächsten Unfall", sagte Beverly lächelnd. "Aber vielleicht begegnen wir uns ja auch auf weniger dramatische Weise wieder."
"Das will ich hoffen."
Ja, dachte Beverly, das hoffte sie auch. Clanton war ihr sympathisch, und schließlich war sie jetzt ungebunden. Diese Freiheit würde sie in vollen Zügen genießen. Dann wurde ihr plötzlich bewusst, wieso der junge Mann so enttäuscht reagiert hatte, und sie musste lachen. Michael Clanton hatte wohl falsche Schlüsse gezogen. Er konnte schließlich nicht wissen, dass Rex ein Hund war.
Sie nahm sich vor, dieses Missverständnis möglichst bald aufzuklären.
5
Den Nachmittag verbrachte Beverly damit, ihr Gepäck auszupacken und sich das Haus wohnlich einzurichten. Sie hatte fast vergessen, wie schön es war, ein eigenes Reich für sich allein zu haben. Es lag Jahre zurück, dass sie zuletzt auf eigenen Beinen gestanden hatte. Als sie nach dem Verlassen des Internats in London eine Arbeit angenommen hatte, war sie in eine kleine Wohnung gezogen, hatte diese nach der Heirat mit George Sherman aber aufgegeben. Anschließend hatte sie in seiner Londoner Villa gewohnt, umgeben von Dienstpersonal. Nachdem sie jahrelang rund um die Uhr bedient worden war, würde sie sich erst wieder daran gewöhnen müssen, alle Arbeiten im Haushalt selbst auszuführen.
Trotzdem genoss sie es, sich ein üppiges Abendessen selbst zuzubereiten. Die Kalorien waren ihr egal. Abgesehen von einem Teller Müsli zum Frühstück hatte sie den ganzen Tag über noch nichts gegessen und war hungrig von der langen Fahrt. Außerdem hatte sie ja schließlich etwas zu feiern. Um eine festliche Stimmung zu erzeugen, stellte sie sogar eine Kerze auf den Tisch und legte eine Platte mit klassischer Musik auf.
Rex machte es sich wieder vor dem Kamin bequem, während sie aß. Er hatte seinen Napf mit Hundefutter bereits geleert.
Beverly merkte, dass sie müde wurde. Sie rauchte eine Zigarette und lauschte der Musik. Als die Platte zu Ende war, setzte sie sich noch einmal ans Klavier. Sie schlug einige Tasten an, gab das Spielen aber bald wieder auf, da es auf dem verstimmten Instrument keinen Spaß machte. Stattdessen starrte sie aus dem Fenster.
Der Vollmond hing wie ein großer, weißer Ball am Himmel und vergoss sein kaltes Licht über die nächtliche Landschaft. Sie beschloss, noch einen kleinen Spaziergang zu machen und sich dann ins Bett zu legen.
"Kommst du mit?", wandte sie sich an Rex. Der Hund schaute sie aus seinen treuen Augen an und bellte zustimmend, als hätte er verstanden, was sie gesagt hatte. Beverly zog eine gefütterte Jacke und Stiefel an und öffnete die Haustür.
Etwas Kleines, Dunkles lag auf den Stufen vor der Schwelle. Sie bückte sich und hob es auf, dann trat sie ein paar Schritte zurück, um ihren Fund im Licht der Eingangshalle genauer zu betrachten.
Als sie erkannte, um was es sich handelte, ließ sie es mit einem erstickten Schrei wieder fallen, als hätte sie sich daran verbrannt. Ihr Magen rebellierte vor Abscheu und sie spürte Übelkeit in sich aufsteigen.
Das dunkle, pelzige Etwas war ein toter Vogel, ein kleiner Spatz!
Fassungslos starrte Beverly das Tier an. Einige Blutstropfen klebten an ihren Fingern. Von Ekel erfüllt rannte sie ins Badezimmer und wusch sich gleich mehrmals die Hände.
Es konnte Zufall sein, dass der Spatz ausgerechnet vor ihrer Tür gestorben war, vielleicht gab es ein Nest hinter der Regenrinne, die an der Kante des Balkons über dem Eingang entlangführte. Bei dem Schnee fanden die Vögel nicht viel Futter. Der Spatz könnte an Entkräftung gestorben und aus dem Nest gefallen sein. Das würde aber nicht das Blut erklären.
Beverly bezwang ihren Ekel und hob das Tier an einem Flügel noch einmal hoch, obwohl sich ihr vor Widerwillen fast der Magen umdrehte. Sie betrachtete den Spatzen, und an seiner Brust entdeckte sie, was sie gesucht, aber auch gefürchtet hatte: ein kleines Loch, aus dem der Blutfaden rann.
Das Tier war nicht einfach gestorben, es war mit einem Luftgewehr erschossen worden. Vorhin hatte es noch nicht vor der Tür gelegen, und sie hatte auch keinen Knall gehört. Also hatte jemand den toten Spatzen absichtlich vor ihre Haustür gelegt.
George besaß ein Luftgewehr und schoss oft damit!, fuhr es ihr durch den Kopf.
Furchtsam schaute sie sich um. Alle Bäume und Büsche warfen im kalten Licht des Vollmonds tiefe, schwarze Schatten.
Stand nicht jemand vor der hohen Tanne dort drüben? Beverly glaubte, überall in den Schatten huschende Bewegungen wahrzunehmen, die immer dann aufhörten, wenn sie genauer hinschaute.
Sie schleuderte den Vogel in weitem Bogen von sich, schlug die Tür zu und lehnte sich an der Innenseite dagegen. Die Lust auf einen Mondscheinspaziergang war ihr ihr vergangen. Ihr Herz raste.
George!
Sie besaß keinen Beweis, dass er den Spatz abgeschossen und vor ihre Tür gelegt hatte, aber instinktiv spürte sie, dass es so war. Wer sollte sich sonst einen so makabren Scherz mit ihr erlaubt haben? Alles deutete auf ihn hin. Schon als sie verheiratet gewesen waren, hatte er gelegentlich im Garten seiner Villa auf Vögel geschossen, obwohl er gewusst hatte, wie sehr sie das hasste. Vielleicht hatte er es sicher gerade deshalb getan.
Details
- Seiten
- Erscheinungsjahr
- 2019
- ISBN (eBook)
- 9783738930153
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (Juli)
- Schlagworte
- wenn todeswalzer