Lade Inhalt...

Florian, der Bergretter

©2019 90 Seiten

Zusammenfassung

Erst nach einigem Hin und Her erkennt ein fescher Bursche, wo die wahre Liebe wohnt. Denn manchmal ist die Liebe ganz nah...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Table of Contents

Florian, der Bergretter

Copyright

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

Florian, der Bergretter

von Sandy Palmer

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 94 Taschenbuchseiten.

 

Erst nach einigem Hin und Her erkennt ein fescher Bursche, wo die wahre Liebe wohnt. Denn manchmal ist die Liebe ganz nah...

 

 

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Folge auf Twitter

https//twitter.com/BekkerAlfred

 

Zum Blog des Verlags geht es hier

https//cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

 

 

1

„Nun mach doch net so ein Aufhebens um den Florian“, maulte Andrea Dobler und sah kopfschüttelnd zu, wie Josefa, die grauhaarige Wirtschafterin, den zweiten Kuchen aus dem Ofen zog. „Er war grad mal ein vier Monate lang in München zum Lehrgang, aber ihr tut alle, als hätt er eine Weltreise hinter sich.“

„Ach geh!“ Josefa Schmiedel, gute sechzig Jahre alt und seit zwanzig Jahren im Haushalt der Doblers beschäftigt, winkte ab. „Der Bub mag meinen Kirschkuchen halt besonders gern, also soll er ihn zum Willkommen auch haben.“

„Ja, ja, und den Guglhupf dazu, ebenfalls den Entenbraten und Palatschinken als Nachtisch.“

„Bist gar neidisch?“ Josefa sah die blonde Andrea kopfschüttelnd an. „Das braucht’s nun wahrlich net. Ich sorg doch immerzu für dich und deine Pensionsgäste.“

„Schon gut.“ Andrea, die seit zwei Jahren die Familienpension „Isarblick“ allein verantwortlich leitete, sah ein, dass es nicht gut war, Josefa zu verärgern. Sie tat ja wirklich viel mehr für sie und den kleinen Betrieb, als es ihre Aufgabe gewesen wäre.

Vor zwanzig Jahren war Josefa Schmiedel aus Garmisch Partenkirchen nach Mittenwald gezogen und kannte Andrea und ihren älteren Bruder Florian, seit diese Kinder waren. Grade zwölf Jahre alt war der Bub gewesen, als Josefa ins Haus gekommen war. Ein aufgeweckter, schlaksiger Junge mit dunklen, immer ein wenig wilden Locken und braunen Augen, die so treuherzig dreinsehen konnten, wenn Flori etwas haben wollte. Kaum einen Wunsch hatte Josefa, die selbst kinderlos war, dem Halbwüchsigen abschlagen können.

Die kleine Pension der Doblers hatte damals gerade mal aus vier Zimmern bestanden – ein Zubrot zu Korbinians Arbeit im nahen Sägewerk. Inzwischen war der Betrieb erweitert worden. Sieben Zimmer, alle aufs Modernste ausgestattet, bot Andrea an. Die Bäder waren von Florian und Korbinian in Eigenleistung renoviert worden und waren ebenso hell wie komfortabel. Auch die Zimmer, alle mit hellem Zirbenholz verkleidet, ließen keine Wünsche offen. Bequeme Betten, geräumige Einbauschränke, dazu in vier Zimmern einen Erker mit Schreibtisch und drei Sesseln, in den anderen, kleineren, je eine kleine gemütliche Fernsehecke, boten den heute gewünschten Luxus. Dennoch herrschte eine fast familiäre Atmosphäre, die vor allem die vielen Stammgäste schätzten.

„Wenn was vom Kuchen übrig bleibt, wird’s die Gäste freuen“, meinte Josefa und machte sich daran, auch noch Kartoffelsalat vorzubereiten. „Nachher kommen sicher auch noch der Bernhard und die Katrin zur Begrüßung.“

Andrea zuckte nur mit den Schultern. „Das wird sich vor allem die Katrin net nehmen lassen. Sie ist ja immer noch verschossen in den Flori – obwohl der gar nix von ihr wissen will. Aber mir soll’s egal sein. Ich geh jetzt erst mal rüber und richte den Speiseraum fürs Abendessen“, meinte sie.

„Tu das. Ach ja – deine Mutter lässt dir sagen, dass sie später noch zum Arzt gehen wird. Ihr Rheuma macht ihr mal wieder arg zu schaffen.“

„Ja, ich weiß schon. Bis dann.“ Andrea ging hinüber in den weitläufigen Anbau, in dem die Pension untergebracht war. Es gab einen separaten Eingang, so dass die Feriengäste das alte, liebevoll renovierte Haus kaum einmal betraten.

Die für Mittenwald so typische Lüftlmalerei beherrschte den ganzen Giebel des Hauses. Sie zeigte den Heiligen Georg, den Drachentöter, der gerade seine Lanze in den Feuer speienden Drachen stieß. Darüber schwebten ein paar putzige Engel in einem hellblauen Wolkenreigen.

Der gut aussehende Mann, der jetzt seinen grünen Geländewagen neben dem Haus parkte, sah automatisch zu der bunten Malerei hoch – so, wie er es immer tat, wenn er sein Elternhaus betrat. Florian Dobler lächelte, denn er erkannte in dem Gesicht des Heiligen die Züge seines Vaters. Der Maler und sein Vater waren alte Schulfreunde, und Ulli Berghammer hatte sich einen kleinen Spaß daraus gemacht, den Freund zu verewigen. Allerdings musste man schon genau hinsehen, um in den kantigen Zügen des Heiligen Georg den lebensfrohen und sehr musikalischen Korbinian zu entdecken, der so gern lachte und fröhlich war.

„Flori! Endlich!“ Mit weit ausgebreiteten Armen kam Marianne Dobler auf ihren Ältesten zu. „Wie schön, dass du wieder daheim bist! Lang hat dein Lehrgang gedauert.“

„Ach geh, Mutter! Ich war doch alle vier Wochen daheim.“ Florian, fast einsneunzig groß, schlank und mit dichtem dunklem Haar, nahm die zierliche Marianne in den Arm. Er hatte in Garmisch eine Zusatzausbildung zum Rettungssanitäter gemacht. Hauptberuflich war er Bergführer, arbeitete im Winter hin und wieder auch als Skilehrer. Ehrenamtlich war er bei der Bergrettung und war nun auch noch examinierter Rettungssanitäter – eine Aufgabe, auf die er sich lange Zeit hindurch vorbereitet hatte.

„Komm mit, Josefa hat schon eine Jause vorbereitet.“

„Aber geh, Mutter, ich fall doch net gleich vom Fleisch. Lass mich erst mal meine Sachen hoch bringen.“ Florian bewohnte zwei Zimmer unterm Dach. Er hatte ein eigenes winziges Bad und ein kleines Schlafzimmer. Großzügiger war da schon sein Wohnzimmer – er hatte eine Dachgaube und einen kleinen Balkon eingebaut und konnte nun, wenn er mochte, hinüber zum Wettersteingebirge schauen, das sich wie eine hohe Wand hinter Mittenwald erhob.

Auch jetzt öffnete Florian erst einmal weit die Glastür und trat zwei Schritte auf den kleinen Balkon hinaus. Sein Blick schweifte über die Berggipfel, von denen er jeden ganz genau kannte. Schon früh war er mit dem Vater und dem Bernhard, seinem besten Freund, hoch zu den steinernen Riesen geklettert. Er kraxelte in den steilsten Wänden herum wie eine Gämse, war trittsicher und dennoch vorsichtig. Er liebte den Aufenthalt im Freien, die Vorstellung, mindestens acht Stunden am Tag in einem Büro eingesperrt zu sein, war ihm unerträglich. Er brauchte die frische Bergluft, die Freiheit, die er empfand, wenn er auf einem Gipfel stand und die Welt unter sich daliegen sah wie ein Spielzeugland. Da war es nicht verwunderlich, dass er seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hatte.

Florians Blick glitt hinüber zum Adlerhof, einem zweigeschossigen, lang gestreckten Gebäude mit tief herabgezogenem Dach und einer Altane, die sich ums ganze erste Stockwerk zog. Hellrot blühten in den Kästen die Geranien und leuchteten bis hierher. Es war, als grüßten sie den Heimkehrer. Florian lächelte, denn auf dem Adlerhof wohnte sein bester Freund Bernhard. Er hatte Tiermedizin studiert und seine Praxis auf dem Hof untergebracht. Zwei modern eingerichtete Behandlungsräume hatte er sich eingerichtet, dazu eine Auffangstation für verletzte Tiere, die hier gesund gepflegt wurden. Das kleine Labor wurde von Katrin betreut, Bernhards Schwester, die auch als Sprechstundenhilfe fungierte.

Es schien, als hätte die schwarzhaarige Katrin gespürt, dass Florian wieder daheim war, denn in diesem Moment trat sie aus dem Haus und sah hinüber zum Doblerhof. Der junge Mann konnte das sehnsüchtige Lächeln, das dabei um ihre Lippen spielte, nicht sehen. Wie froh war das Dirndl, dass der Flori wieder daheim war! Sie hatte ihn so sehr vermisst!

Wenn er auch immer so tat, als sei sie noch ein kleines Kind, so war Katrin schon glücklich, überhaupt in seiner Nähe sein zu können. Seit sie denken konnte, liebte sie den Florian! Aber für ihn war sie wie eine kleine Schwester – zumindest nannte er sie gern so. Es gab ihr jedes Mal einen Stich ins Herz. So ein dummer Kerl! Hatte er wirklich noch nicht begriffen, dass sie mit ihren 24 Jahren erwachsen war? Es gab mehr als einen Burschen, der ihr den Hof machte, doch die Katrin wollte nur einen – Florian!

Der Heimgekehrte ahnte nichts von den sehnsüchtigen Gedanken des Dirndls, er freute sich darauf, mit dem Bernhard bald wieder mal ausgelassen beisammen sein zu können, sich mit den Freunden von der Bergwacht zu treffen und dann, nach ein paar Tagen des Eingewöhnens daheim, seine Arbeit als Bergführer wieder aufzunehmen.

 

 

2

Daniel Sander erwachte vom melodischen Klingeln seines Mobiltelefons. Es lag griffbereit neben ihm auf dem Nachttisch, er konnte, ohne die Augen zu öffnen, danach tasten.

„Sander“, meldete er sich noch ein wenig benommen.

„Daniel! Endlich!“ Die Stimme am anderen Ende klang frisch und munter. Leider auch ein wenig schrill – zumindest in seinen Ohren. „Wo steckst du denn nur? Seit Tagen versuche ich dich jetzt schon zu erreichen!“

„Warum das denn, Evelyn? Hast du vergessen, dass du mich zum Teufel geschickt hast?“ Er setzte sich im Bett auf und stöhnte leise. Es gab wahrlich angenehmere Möglichkeiten, sich wecken zu lassen!

„Ach was, sei doch nicht so pingelig! Das hab ich doch nicht ernst gemeint!“

„So, wie du auch den Flirt mit dem jungen Tenor nicht ernst gemeint hast?“ Daniel schwang die Beine aus dem Bett und trat ans Fenster seines Hotelzimmers. Draußen war ein sonniger Tag heraufgezogen. Die Berge, die er zum Greifen nah vor sich sah, trugen nur noch kleine weiße Hauben auf ihren Gipfeln, ansonsten zogen sich grüne Tannen- und Lärchenwälder bis zur Baumgrenze hoch.

„Ach das … ich hab doch schon gesagt, dass das nichts Ernstes war. Sei doch nicht immer so spießig, Daniel. Das passt gar nicht zu dir.“

„Spießig. Ach so, du denkst also, ich sei spießig.“ Jetzt war er wirklich wach, und gleich kam die Wut auf Evelyn wieder in ihm hoch. „Wenn das so ist – erspar dir doch das Zusammensein mit einem so langweiligen Menschen. Leb wohl. Und – ruf mich nicht mehr an!“ Damit unterbrach er das Gespräch. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als er sich vorstellte, welch einen Wutausbruch Evelyn jetzt bekommen würde. Er kannte sie seit fast zwei Jahren. Die attraktive rothaarige Maskenbildnerin, die er an einem kleinen Theater in München kennengelernt hatte, besaß sehr viel Temperament. Und großen Ehrgeiz. Daniel wusste inzwischen, dass sie jedes Mittel ausschöpfen würde, um Karriere zum machen.

Als sie sich kennenlernten, war er noch ein unbedeutender Geiger im Rundfunkorchester gewesen. Inzwischen aber hatte er sich einen Namen gemacht – mit außergewöhnlichen Interpretationen der großen Klassiker. Ein zweiter David Garrett – so hatte ihn erst kürzlich ein Kritiker genannt.

Daniel selber fand, dass das weit übertrieben war. Er war schon stolz und glücklich, dass er in Deutschland und dem näheren Ausland bekannt geworden war. Nachdem er drei erfolgreiche Tourneen absolviert hatte, fühlte er sich jedoch erschöpft und beschloss, drei Wochen Urlaub zu machen. Mittenwald – die Geigenbauerstadt am Fuß des Karwendels, war der ideale Ort!

„Was soll ich denn am Ende der Welt?“, hatte sich Evelyn aufgeregt. „Ich möchte viel lieber nach Sylt. Oder an die französische Riviera. Da ist was los!“

„Genau danach steht mir nicht der Sinn. Ich brauche Ruhe!“

„Aber … kannst du denn nicht verstehen, dass ich mal was erleben will in den Ferien?“ Sie hatte ihn umarmt und geküsst. „Bitte, Schatzi, sei nett und fahr mit mir dahin, wo wir interessante Leute kennenlernen können. Das kann doch auch für dich nur von Vorteil sein.“

Aber er war bei seiner Vorstellung von einem ruhigen Urlaub geblieben – was Evelyn bewogen hatte, schon drei Tage später einen heißen Flirt mit einem italienischen Tenor zu beginnen, den sie durch Zufall in einer „In-Disco“ kennengelernt hatte. Mit ihm, so hoffte sie, würde sie Monte Carlo, Cannes und Saint Tropez besuchen können.

Es hatte Daniel nur einen kleinen Stich versetzt, als er die beiden zusammen gesehen hatte. Dann war seine Erleichterung darüber, dass die Trennung jetzt ganz einfach war, größer gewesen als jedes andere Gefühl.

Mit seinem alten Golf war er nach Mittenwald gefahren, im Gepäck Wanderkleidung – und natürlich seine Geige!

Er mietete sich in einem kleinen Hotel ein, machte lange Spaziergänge und merkte schon nach wenigen Tagen, wie der Stress von ihm abfiel.

Das Handy schrillte noch mehrfach in der nächsten halben Stunde, doch er drückte den Anruf jedes Mal weg. Evelyn musste begreifen, dass er sich von ihr nicht mehr manipulieren lassen würde!

Nach dem Frühstück schlenderte er durch den Ort – und stand wieder einmal vor dem schmucken alten Haus, in dem ein kleiner Andenkenladen untergebracht war. Im Hinterhof allerdings befand sich eine Geigenbauer-Werkstatt, das hatte er vorgestern durch Zufall herausgefunden.

Gerade wollte er die ersten Schritte durch die schmale Einfahrt machen, die in den hinteren Teil des Hauses führte, als ein großer dunkler Hund wie ein Blitz auf ihn zuraste.

Ganz spontan machte er zwei Schritte zur Seite – und fiel über eine Abfalltonne, die er nicht gesehen hatte. Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen linken Arm „Verdammt!“ Er sah sich nach dem Hund um, der aber nicht mehr zu sehen war. „So ein Mistvieh!“

„Was erlauben Sie sich?“ Wie aus dem Boden gewachsen stand eine blonde junge Frau neben ihm. Ein rotes Dirndl umspielte eine schlanke Figur. Die weiße Bluse, am Ausschnitt und an den Ärmeln mit dichter Spitze abgesetzt, bildeten einen aparten Kontrast. Das lange blonde Haar wirkte ein wenig zerzaust, sie hob nun die Hände und schob die langen Locken in den Nacken. „Was machen Sie überhaupt hier?“

„Ich … ich wollte nur …“ Er rappelte sich auf und versuchte den Schmerz im Arm zu ignorieren. „Mich interessiert die Werkstatt dort.“

„Ach so.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Mein Onkel arbeitet nur noch wenige Stunden in der Woche. Es ist besser, wenn Sie sich anmelden.“ Schon drehte sie sich um. „Tessa! Komm her, Tessa! Fuß!“

Die Berner Sennhündin gehorchte nur widerstrebend. Immer wieder sah sie aus ihren goldfarbenen Augen zu dem Fremden hin, der sich jetzt noch einmal umwandte. „Schade, ich hätt gern mit dem Geigenbauer gefachsimpelt.“

„Sie bauen auch Geigen?“ Nur zögernd ließ sich Christina auf die Unterhaltung ein.

„Nein, ich spiele Geige.“

„Das tun viele. Es klingt nur leider nicht immer gut.“ Ihrem Tonfall war zu entnehmen, dass sie auch Daniel für einen Dilettanten hielt.

„Das stimmt. Aber ich kann Ihnen ja leider net das Gegenteil beweisen.“ Er lächelte jungenhaft. „Die Werkstatt bleibt mir ja verschlossen.“

„Kommen Sie morgen am Nachmittag wieder. Dann ist Onkel Mathias da.“

„Danke. Ich komme bestimmt. Werden Sie auch da sein?“

„Ich wüsste nicht, warum das für Sie von Interesse sein könnte. Sie wollen doch die Geigenwerkstatt besichtigen.“

„Aber danach …“ Er machte drei Schritte auf sie zu, wobei er von Tessa argwöhnisch beobachtet wurde. „Ich würd Sie danach gern zu einem Kaffee einladen. Oder zu einem Glaserl Wein, wenn Sie mögen.“

„Weder – noch.“ Christina wandte sich ab. „Ich hab zu tun.“ Und schon war sie im Haus verschwunden.

„Schade.“ Noch einen letzten Blick warf Daniel hinüber zur Werkstatt, dann ging er zurück zur Straße. Er schlenderte eine halbe Stunde durch den Ort, trank in einem Straßencafé einen Cappuccino und beschloss dann, den schönen Tag zu einem Ausflug hinüber zum Lautersee zu nutzen. Er lag westlich des Ortes und war ein beliebter Badesee, an dem man sich auch Boote leihen konnte.

Genau das hatte Daniel vor zu tun, denn zum Schwimmen war es ihm noch zu kalt. Mit dem Bus fuhr er die kurze Strecke zum See hoch, und dort genoss er erst einmal die herrliche Aussicht auf Karwendel und Wetterstein, ehe er sich ein Boot mietete.

Er war noch keine Viertelstunde unterwegs, als er vom Uferrand her lautes Weinen hörte. „Robby, komm zurück! Robby!“ Die Jungenstimme war voller Panik.

Daniel spähte angestrengt zum Ufer – und bemerkte einen kleinen Hund, der im Wasser strampelte, den Kopf mit der spitzen Schnauze hoch über den kleinen Wellen.

„Robby!“ Der Bub, etwa sechs Jahre mochte er alt sein, lief mit hoch erhobenen Händen ins Wasser, doch er erreichte den Hund nicht. Entsetzt sah Daniel, dass der Junge plötzlich verschwand. Die Hände immer noch über den Kopf gestreckt ging er unter.

„Nein!“ Es geschah alles fast gleichzeitig: Daniel schrie auf, zog sich die festen Schuhe aus – und sprang kopfüber in den kalten See. Mit langen Zügen schwamm er in Richtung Ufer. Aus den Augenwinkeln heraus sah er den Hund, der immer noch tapfer vor sich hin paddelte. Von dem Jungen allerdings bemerkte er nichts.

Er tauchte, bemühte sich, unter Wasser etwas zu erkennen.

Da – ein rotes T-Shirt, ein blonder Haarschopf … Noch drei, vier lange Züge, dann hatte er das Kind erreicht und bekam es unter den Armen zu fassen.

Instinktiv wehrte ihn der Junge ab, doch Daniel war ein ausgezeichneter Schwimmer, er hielt ihn fest und brachte ihn in die richtige Position, die er einst als Rettungsschwimmer gelernt hatte. Es gelang ihm ohne weitere Mühe, den Buben ans Ufer zu bringen.

„Robby …“ Zusammen mit einem Schwall Wasser kam der Name des Hundes über die Jungenlippen.

„Dein Hund ist auch schon wieder hier.“ Daniel tätschelte die Wangen des Verunglückten. „Komm du erst mal wieder zu dir, dann kannst du dich um den Hund kümmern. Der schwimmt besser als du.“

„Ich … ich kann doch gar nicht …“ Wieder verdrehte der Bub die Augen und drohte ohnmächtig zu werden, doch Daniel ließ das nicht zu. Er hob ihn halb hoch, sprach mit ihm, schlug ihm nochmals auf die Wange. So lange, bis der Sechsjährige vollends das Bewusstsein wieder erlangt hatte. Noch zweimal spuckte er das geschluckte Wasser aus, dann ging es ihm sichtlich besser.

„Was hast du dir denn nur dabei gedacht?“ Daniel sah ihn kopfschüttelnd an. „Wenn du nicht schwimmen kannst, darfst du doch nicht einfach in den See springen.“

„Aber mein Robby …“

„Wo ist denn überhaupt deine Mutter?“ Suchend sah sich der Mann um. „Du bist doch nicht etwa allein hier?“

„Nein, mit meinem Onkel. Aber der ist drüben bei den anderen Männern. Er … er darf nix davon wissen!“ Flehend waren die großen dunklen Augen des Jungen auf Daniel gerichtet. „Sonst nimmt er mich net mehr mit.“

Daniel schüttelte den Kopf. „Na, ich glaub nicht, dass sich das verhindern lässt. Schließlich bist du nass wie eine gebadete Katze. Wie heißt du überhaupt?“

„Tobias.“

„Dann komm, Tobias, wir müssen sehen, dass wir trockene Sachen kriegen, sonst holen wir uns einen Schnupfen.“ Er stand auf und streckte die Hand nach dem Jungen aus.

„Aber … wo kriegen wir die denn?“

„Vielleicht hat der Bootsverleiher was für mich. Und du … hast du keine Sachen zum Wechseln mitgehabt?“

„Nöö.“

Daniel grinste leise vor sich hin. Das war genau der Ton, den er selbst auch immer angeschlagen hatte, wenn er als Junge Unsinn gemacht hatte. Er zog Tobias hoch und brachte ihn zu seinem Onkel.

„Ja mei, Bub, was hast denn du wieder angestellt?“ Der etwa fünfzigjährige Mann, der mit Gleichaltrigen Schafkopf gespielt hatte, sah schockiert von seinen Karten auf. „Bist du ins Wasser gefallen?“

„Ich net, Onkel Mathias. Aber der Robby. Und da musste ich doch nach …“

„Du kannst doch noch gar nicht richtig schwimmen … Bub, wenn das deine Mutter erfährt, dann gibt’s ein Donnerwetter.“

„Musst es ihr ja net sagen …“ Tobias hielt den Kopf gesenkt, während er immer noch Daniels Hand umklammert hielt.

„Er hatte Angst um seinen Hund. Da ist er ihm nachgesprungen.“ Daniel lächelte begütigend. „Keine Sorge, es ist uns allen nix passiert.“

„Sie haben ihn gerettet, gell?“ Mathias Köbeler stand auf. „Dank Ihnen tausendmal. Der Bub ist einfach zu wild für mich. Aber ich bin der einzige Großonkel, der hin und wieder Zeit für ihn hat. Und da muss ich mich eben opfern.“ Er wies auf sein Kartenspiel. „Leider war ich net aufmerksam genug. Wie … wie kann ich mich nur bei Ihnen bedanken?“

„Keine Ursache. Das war selbstverständlich. Sorgen Sie nur dafür, dass Tobias was Trockenes an den Leib kriegt, sonst wird er am End doch noch krank.“ Er schob den Jungen ein Stück vor. „Vielleicht sehen wir uns noch mal. Mach’s gut, Bub.“

„Ich … danke.“

„Nein, halt!“ Mit kräftigem Griff hielt Mathias den Jüngeren zurück. „Sie sind fremd hier, gell? Ich kenn net amal Ihren Namen. Und ich würd mich gern bei Ihnen bedanken. Wenn Sie also gleich mögen … eine Maß und ein Obstler wären doch ganz gut zur Vorbeugung?“

Daniel lachte. „Da sag ich nicht nein! Aber erst mal schau ich, ob ich was Trockenes zum Anziehen finde. Ich komm dann zurück.“

„Ihren Namen – Sie haben mir noch nicht gesagt, wie Sie heißen.“

„Daniel Sander.“ Er machte eine kleine Verbeugung und ging auch schon davon.

„Daniel Sander …“ Mathias Köbeler sah ihm stirnrunzelnd nach. „Ob er „der“ Daniel Sander ist?“

„Wen meinst denn?“, fragte Ulrich Schneider, einer seiner Kartenfreunde.

„Den Musiker. Geige spielt dieser Daniel Sander … ich sag euch, da wär der Paganini neidisch worden!“

„Geh, so ein bekannter Mann macht net bei uns Urlaub. Den zieht es in die große Welt, wo man ihn bewundert und hofiert.“

„Aber er könnt es sein. So ähnlich sah er aus auf dem Plattenumschlag.“

„Das sind CDs heut, Onkel Mathias“, korrigierte ihn Tobias.

„Naseweis! Das ist mir klar. Halt den Schnabel und schau, dass du dich umziehst! Drüben im Auto hab ich deine Badetasche. Da hast du sicher auch was Trockenes.“ Er gab ihm die Schlüssel für seinen alten Kastenwagen, und Tobias zog es vor, sich schnell davonzumachen. Das Donnerwetter, das er erwartet hatte, war ausgeblieben – und man sollte ja nix heraufbeschwören, das hatte er in seinem kurzen Leben schon gelernt.

Er pfiff nach Robby, der sich inzwischen ein paar Mal geschüttelt hatte und bereits wieder recht trocken war. Mit fliegenden Ohren sauste der Mischling neben seinem kleinen Herrn her.

Daniel hatte es nicht so einfach, ein paar trockene Sachen zu finden. Der Bootsverleiher konnte ihm nur einen alten, ausgeleierten Trainingsanzug überlassen, der dem jungen Mann mindestens drei Nummern zu weit war.

„Na, besser als nix“, kommentierte Daniel lachend, während er sich die Hosenbeine hochkrempelte. „Was ist mit dem Boot?“, fragte er dann. „Muss ich das noch holen?“

„Das macht der Schorsch schon. Ist doch Ehrensache. Wennst net den Buben aus dem Wasser geholt hättest …“ Der Bootsverleiher schüttelte den Kopf. „Der Mathias hätt daheim die Hölle erlebt. Aber der hat ja außer seinen Geigen nur die Karten im Kopf. Lässt den Buben einfach unbeaufsichtigt … das hat er jetzt davon!“ Eine Weile grantelte er noch vor sich hin, doch Daniel hörte nicht mehr zu. Nur eins war ihm wichtig:

„Der Onkel vom Tobi – das ist der Geigenbauer Köbeler?“

„Er ist der Großonkel. Aber ja, er baut ganz ordentliche Geigen. Sagt man jedenfalls. Ich versteh ja nix davon, aber die Leut kaufen seine Instrumente gern.“

„Das glaub ich. Er ist der Beste weit und breit.“ Daniel hatte es jetzt eilig, zu den Kartenspielern zurück zu kommen. Das Bündel mit den nassen Sachen unter den Arm geklemmt, ging er zu dem Holztisch, an dem die vier Männer saßen. Sie spielten jetzt nicht mehr, sondern sahen ihm aufmerksam entgegen.

„Du heißt Daniel Sander, net wahr?“ Mathias stand auf. „Komm, setz dich her. Sag …“ Er schaute den jungen Mann prüfend von der Seite her an. „Spielt du gar Geige?“

„Und Sie bauen Geigen, nicht wahr?“ Daniel lachte leise. „Heut in der Früh war ich vor Ihrer Werkstatt, aber da erfuhr ich, dass Sie net jeden Tag arbeiten.“

„Stimmt. Ich brauch meinen Ausgleich – und meine Ruhepausen.“ Er winkte der Bedienung. „Resi, bring eine Runde Bier und für alle vom besten Hausbrand.“

„Gibt’s was zu feiern?“

„Kann man so sagen.“ Er lachte leise und legte Daniel die Hand auf den Arm. „Das nenn ich eine glückliche Fügung. So müssen wir uns also kennenlernen – an einem Badesee in Bayern.“

„Es gibt schlechtere Plätze, denk ich.“ Der junge Geiger schaute in die Runde. „Ich freu mich, dass ich bei Ihnen sitzen kann. Hoffentlich störe ich nicht. Sie wollten doch sicher noch eine Weile Karten spielen.“

„Das muss net sein.“ Ein hagerer Mann mit wettergegerbtem Gesicht griff gleich nach der frischen Maß. „Wir sind für jede Abwechslung dankbar. Sind ja alle im Ruhestand – wenn man vom Mathias absieht. Aber der macht sich seine Freizeiten selber.“ Er hob den Glaskrug hoch. „Ich bin der Trittenberger Toni. War mal Holzarbeiter drüben im Sägwerk.“

Die zwei anderen stellten sich auch vor, doch Daniel war vor allem daran interessiert, den Geigenbauer näher kennenzulernen. Bald waren die beiden so in ihre Fachsimpelei vertieft, dass die drei anderen beschlossen, heim zu gehen.

„Wir sehen uns spätestens am Samstag beim Frühschoppen. Vergiss das net, Mathias.“

„Aber geh, das hab ich noch nie vergessen!“

„Kannst den Daniel ja mitbringen“, schlug Gerhard Burgmer, ein ehemaliger Drogist, der den Betrieb schon vor Jahren an den Sohn übergeben hatte, vor.

„Das schaun wir mal“, sagte Daniel rasch. Er wollte sich nicht allzu sehr einspannen lassen. Der Stammtisch interessiert ihn nicht sehr, wohl aber der Geigenbauer – und dessen Nichte, die spröde, aber blitzsaubere Christina Brettschneider.

Als sie später zusammen heimgingen, versuchte er mehrfach, die Rede auf das schöne Dirndl zu bringen, doch Mathias Köbeler ließ sich nicht allzu viel entlocken.

„Sie ist blitzgescheit, die Christina. Sie führt ihren Laden sehr erfolgreich und ist zudem die beste Sängerin im Kirchenchor.“

Das war nicht unbedingt das, was Daniel wissen wollte, doch mehr erfuhr er an diesem Tag nicht. Doch morgen, wenn er sich mit Mathias in der Werkstatt treffen wollte, hoffte er mehr über die bezaubernde Christina zu erfahren.

 

 

3

Die Geige schluchzte und jubilierte abwechselnd. Es klang einfach wunderschön, und Christina blieb stehen und hörte eine Weile zu. Zu schön war die Melodie, die gerade erklang. Der Onkel Mathias spielte ganz passabel, das musste er ja auch können, wenn er die Instrumente prüfte. Aber der Musiker, der gerade jetzt eine der Geigen im Arm hielt … das war ein Meister!

Tessa sprang leise winselnd die Treppe hinunter und blieb unten an der Haustür abwartend stehen. Als sich Christina nicht rührte, bellte die Hündin laut und auffordernd.

„Ist ja schon gut. Ich komm ja schon.“ Wie erwachend strich sich das Dirndl übers Haar. „Kannst es wohl net erwarten, nach draußen zu kommen.“

Tessa bellte noch einmal zustimmend. Dann, endlich, öffnete sich die Tür, und wie ein Blitz war der Hund im Freien.

Christina griff nach der Leine, während sie weiterhin den Geigenklängen, die aus der Werkstatt kamen, lauschte. Sie war so fasziniert, dass sie für einen Moment nicht auf Tessa achtete, die in langen Sätzen hinüber zur anderen Straßenseite rannte. Dort, im Garten des Bäckers Reuther, saß der schwarze Kater der Bäckersfrau – Tessas Intimfeind!

Details

Seiten
Jahr
2019
ISBN (eBook)
9783738930085
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juli)
Schlagworte
florian bergretter
Zurück

Titel: Florian, der Bergretter