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Raumschiff Rubikon 30 Die Irrfahrt der Rubikon

©2018 240 Seiten

Zusammenfassung

Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfredbooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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© Cover: Nach Motiven von Pixabay, Adelind, Steve Mayer

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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postmaster@alfredbekker.de

Raumschiff Rubikon 30 Die Irrfahrt der Rubikon

von Carolina Möbis


Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden …





1.


Die seidendünnen Blätter des Tecur-Baumes im hydroponischen Garten seufzten unter der feinen Berührung, als ein großer, gewandter Körper zwischen ihnen den Stamm hinaufglitt. Selbst im kleinsten Luftzug des Windgenerators begannen sie zu rascheln und leise zu klingen, wie ein Instrument, das sich selbst stimmte und für den großen Auftritt vorbereitete.

Fasziniert untersuchte Alcazar die Klänge der Tecur-Pflanze. Die singenden Bäume besaßen nicht nur die Fähigkeit, mit jedem einzelnen Blatt einen anderen Ton zu erzeugen, man sagte ihnen ebenso nach, dass die Berührung der Seidenblätter die sanften Schwingungen des Baumes auf andere Körper übertrug. Ein Effekt, der die Angehörigen vieler Rassen auf den der RUBIKON bekannten Welten zu beruhigen und zu entspannen verstand.

Diese Information hatte Alcazar der Bord-KI entnommen. Auf sein Bitten hin hatte sie ihm Dossiers über einige Pflanzenarten seiner neuen Umgebung zukommen lassen. Langsam und ohne konkrete Vorgaben erforschte er die fremden, stummen Gewächse. Eine Beschäftigung auf die er sich konzentrieren konnte, ohne jemanden zu stören oder zu belästigen. In der zurückgezogenen, produktiven Einsamkeit des Wissenschaftlers.

Der Abrogare war sich bewusst, dass er auf diese Weise keine neuen Erkenntnisse gewann, die nicht längst in den gigantischen Speichern der KI abgelegt waren. Dennoch erfreute es ihn, auf eigene Faust, kleine Besonderheiten zu entdecken. Wann immer er die Lust an dem Spiel verlor, zog er sich in seinen Lieblingsbaum zurück, ruhte aus, dachte nach oder versetzte sein Bewusstsein in einen Zustand meditativer Entspannung.

Vielleicht war die ungestörte Stille und Andacht des hydroponischen Gartens der Grund, warum immer wieder verschiedene Mitglieder der RUBIKON-Crew, insbesondere Jelto, den Garten aufsuchten.

Gemeinsam versorgten sie die neuen Stauden am Fuß des Hügels. Gerade frisch in die Erde gepflanzt, bedurften sie einer liebevollen Pflege. Jeltos Bitte, die Aufzucht der Stauden zu übernehmen, wenn er selbst durch andere Pflichten verhindert war, kam der Arachnide gern nach.

Den Pflänzchen tat der neue Boden gut. Kein Wunder, stellte das Schiff doch für jedes Gewächs die optimale Nährstoffversorgung bereit. Erste Blütenansätze zeigten sich bereits. Alcazar hoffte, seinen neuen Freund Jelto bald mit einer beindruckenden Farbenpracht überraschen zu können.

Seine Mandibeln klickten im Takt der Vorfreude.



Im Kommandostand der RUBIKON schlenderte John Cloud nachdenklich um die Holosäule und betrachtete die Zusammenfassung der jüngsten Scanergebnisse, die Sesha in Form langer Tabellen projizierte.

Zugleich lauschte er Seshas Erläuterungen und Scutors Ergänzungen. Der Abrogare war über Lautsprecher zugeschaltet. Die Untersuchungsergebnisse waren enttäuschend. Als würde sich die geschrumpfte Galaxis dagegen wehren, gescannt zu werden.

Etwas verschleierte alle Ergebnisse, bei jedem erneuten Versuch beschwerte sich Sesha über lückenhafte Daten und sah sich nicht in der Lage, aussagekräftige Analysen zu erstellen. Selbst der laufende Informationsaustausch mit der FADEN DER VORSEHUNG half wenig. Ihr Kommandant vermutete, ebenso wie die Crew der RUBIKON, dass das unbekannte Phänomen, das Scharan durchdrang, dafür verantwortlich war. Jene bizarre Substanz, die wahrscheinlich in gewissen Maßen die Funktion der erloschenen Sterne übernahm, indem sie Licht und Wärme emittierte. Eventuell sorgte sie auch für ausgeglichene Gravitationsfelder innerhalb des Planetenhaufens und hielt auf diese Weise womöglich die Sterne und Planeten auf ihrer Position. Letzteres war jedoch bei der aktuellen Informationslage reine Spekulation.

Scobee und Jarvis hatten auf ihren Sesseln Platz genommen und lauschten dem Gespräch ebenfalls. Scutors ausufernde Erklärungen liefen auf eine unschöne Erkenntnis hinaus. Aber irgendjemand musste sie aussprechen.

»Ich fasse also zusammen«, beendete der Commander den zuletzt geführten Disput über die möglichen Auswirkungen dunkler Materie im Zusammenhang mit dem Ausdehnungsprozess einer Supernova, »dass wir trotz allem nicht wissen, wie die Sonnen von Scharan in diesen stasisartigen Zustand verfallen konnten und welche Kräfte die völlig abnorme Galaxis stabil halten. Unsere Analysen sind ebenso wenig wie die der Abrogaren imstande, eine hinreichende Erklärung zu liefern.«

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lässt sich jedoch davon ausgehen«, erwiderte Scutor, »dass die Auruunen hier experimentiert und eine ganze Galaxis in einer uns unbekannten Weise ‚eingedampft‘ haben – wie wir das Schrumpfen der Entfernungen zwischen den Planetensystemen bezeichnen. Und das schon vor verhältnismäßig langer Zeit. Vor rund 300.000 Jahren.«

»Großes Damentennis! Soweit waren wir schon vor ein paar Stunden«, brummte Jarvis vor sich hin.

Scobee lehnte sich zu ihm hinüber und flüsterte laut genug, dass der Commander es sicher und Scutor möglicherweise verstehen konnten. »Aber dafür wissen wir es jetzt in allen unwichtigen Einzelheiten.«

John bedachte seine beiden Zuhörer vor Ort mit einem warnenden Blick. Natürlich hatten sie recht. Und sie sprachen aus, was ihm selbst im Verlauf der Unterhaltung mehrfach durch den Kopf geschossen war, aber das musste man dem Arachniden ja nicht unter die Nase reiben.

Falls dieser den Spott gehört und als solchen gewertet hatte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.

»Aus dieser Entfernung wird die FADEN DER VORSEHUNG leider keine besseren Ergebnisse liefern können.«

»Schlägst du vor, dass wir näher herangehen sollten?«

»Nein.« Der Abrogare machte eine Kunstpause. »Das hast du gerade vorgeschlagen«, fuhr er fort und ein Hauch von Erheiterung war über Lautsprecher zu hören.

»Was hältst du von der Idee?«, hakte John nach.

»Ich halte sie für risikoreich. Wir wissen zu wenig über die Vorgänge innerhalb Scharans, um auszuschließen, dass ein Kontakt negative Auswirkungen auf uns haben könnte.«

»Ich weiß, was du meinst.« John nickte missmutig. »Mir ist der Gedanke auch schon gekommen. Was, wenn es eine Falle ist? Wenn die Auruunen hier etwas für ihre Feinde zurückgelassen haben. Für euch zum Beispiel. Aber die RUBIKON haben sie wahrscheinlich nicht auf dem Schirm gehabt, als sie diese abnorme Galaxis geschaffen haben.«

»Was soll das heißen, Commander Cloud?« Der Abrogare klang argwöhnisch.

»Es soll heißen, dass wir uns nicht damit zufriedengeben, einfach nur zu wissen, dass die Auruunen technisch überlegen sind. Sie behaupten zwar, dass ihre Intelligenz uns allen überlegen ist, aber wir sind nicht hierhergekommen, um unverrichteter Dinge wieder abzuziehen.«

»Hältst du uns Abrogaren für feige, Commander?« Kühl schnarrte die Stimme des Arachniden aus den Lautsprechern. »Darf ich daran erinnern, dass du dich geweigert hast, den Klon deines Besatzungsmitgliedes umfassend untersuchen zu lassen? In dieser Frage gehst du – wie nennt ihr es? – halbherzig vor. Und das, wie ich vermute, aus persönlichen Gründen. Euer Forscherdrang in Bezug auf die Technik der Auruunen hält sich also eindeutig in Grenzen. Ich musste Dir sogar versprechen die – wie sagtest du? – Finger von dieser Frau zu lassen.«

»Das klingt jetzt irgendwie falsch«, wisperte Jarvis. Aber diesmal zum Glück so leise, dass es Scutor vermutlich nicht hörte.

»Das war etwas völlig anderes«, gab John zurück. Dass der Abrogare es nicht lassen konnte, immer wieder in Richtung Assur zu sticheln, ärgerte ihn genug, um den Arachniden spüren zu lassen, dass er zu weit ging. »Assur ist ein vertrautes Mitglied meiner Besatzung und ich vertraue auf die Analysefähigkeiten meiner Leute. So wie du dich auf dein Schiff und deine Besatzung verlässt. Dass Assur ein Klon sein könnte, ist ein bisher unbestätigter Verdacht. Außerdem ist es, wenn überhaupt, unser Problem. Scharan hingegen ist ein Rätsel, das wir beide lösen müssen.«

Offenbar spürte selbst der nicht gerade überschwängliche Arachnide, dass Assur ein gefährliches Reizthema darstellte, und wechselte hastig die Richtung des Gesprächs. »Nun, dann sollten wir uns wohl ein wenig näher wagen. Ich würde gern ein paar Nahaufnahmen des folgenden Quadranten im Randgebiet der Anomalie machen. Dort befindet sich ein Materiecluster, den wir noch nicht näher untersuchen konnten. Wartet einen Augenblick. Ich leite eurer KI entsprechende Informationen zu.«

Nur wenige Sekunden später blendete Sesha aktuelle Bilder der Galaxis ein. Darin blinkte eine bestimmte Masseansammlung.

John gab der KI den Befehl, die Aufnahme zu vergrößern. Doch ab dem Punkt, wo es interessant wurde, konnte die Holosäule keine scharfen Bilder mehr liefern. Nun verstand John den Abrogaren. Tatsächlich deutete die Dokumentation an, dass sich in den Ausläufern der Galaxis noch etwas anderes befand. Verschiedene Punkte, die alles Mögliche sein konnten. Winzig im Verhältnis zur Masse eines Planetenkörpers. Aber groß genug, um aufzufallen und zu unregelmäßig für einen Mond.

»Es könnte sich um Asteroiden handeln«, fasste Sesha das Naheliegende zusammen, »Wobei dies unbekannte Masseverhältnisse voraussetzt, die aus der Bildaufnahme allein nicht zu errechnen sind. Und meine Mittelstreckenscanner können die Anomalie nur schlecht durchdringen.«

»Du meinst, etwas muss diesen Materiehaufen anziehen?«

»Zumindest muss es einen Grund geben, warum er dort ist«, gab Scutor seinen Senf dazu.

»Nun, dann schlage ich vor, wir pirschen uns gemeinsam an das Ziel heran.«

»Du meinst, die FADEN DER VORSEHUNG und die RUBIKON rücken zusammen vor, Commander Cloud?«

»Genau das.«

»Ich schlage eine Verringerung der Distanz zu Scharan um zwei Lichtmonate vor.«

Überrascht strich sich John übers Kinn. »Das ist aber nicht gerade wenig. Dafür, dass du eben noch so vorsichtig sein wolltest.«

»Wie sagt man bei euch? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«

»Ich kann dem Abrogaren nur zustimmen.« Jarvis nickte anerkennend. »Das sehe ich genauso.«

»Aus einer verringerten Distanz könnten wir wesentlich umfassendere Scans vornehmen.« Eine Prise Überlegenheit schwang in der Stimme des Abrogaren mit. »Ich bin überzeugt, dass die FADEN DER VORSEHUNG bessere Ergebnisse liefern kann als die RUBIKON.«

»Ach daher weht der Wind.« Scobee rollte mit den Augen. »Die Spinne will angeben«, flüsterte sie.

John dachte das Gleiche. Aber er hielt sich zurück. Wenn Scutor meinte, den Schlaumeier spielen zu müssen, dann war das immerhin noch harmlos und in gewisser Weise nützlich. Und sehr viel besser, als seine Paranoia in Bezug auf Assur weiter auszutoben.

Wenn die Abrogaren mit der Analyse Scharans beschäftigt waren, ließ das der RUBIKON-Crew hoffentlich genug Zeit, das Rätsel um Assur selbst zu lösen. Schließlich war das Problem ja nicht aus der Welt.

»Gut, dann verfahren wir wie folgt: Sesha? Bring uns näher an den Zielpunkt. Und zwar sobald die FADEN DER VORSEHUNG vorrückt. Halte den gleichen Abstand zum Ziel wie das Schiff der Abrogaren. Scutor? Ist das in deinem Sinne?«

»Ich bin zufrieden.«

»Gut, dann leg los, wenn du dich bereit fühlst. Wir werden an deiner Seite sein.«

»Sobald uns bessere Analyseergebnisse vorliegen, kontaktieren wir euch erneut, Commander Cloud.«

»Ich kann es kaum erwarten.« Cloud gab Sesha ein Handzeichen, die Verbindung zu schließen.

»Wer hätte das gedacht«, wandte er sich an seine Kameraden, »dass Scutor plötzlich so motiviert ist.«

»Vermutlich will er dir beweisen, dass er alles besser kann.« Jarvis schmunzelte verschmitzt. »Ich wette, es wurmt ihn gewaltig, dass du ihm Assur nicht übergeben hast.«

»Da kannst du recht haben.« Cloud nickte Scobee zu. Sie hatte während des Gesprächs genug Zeit gehabt, sich ein umfassendes Bild des Abrogaren-Kommandanten zu machen. »Ich kann mir gut vorstellen, dass Jarvis richtig liegt. Bestimmt hat sich die Spinne die Zusammenarbeit mit uns etwas einseitiger vorgestellt. Er gibt die Befehle, wir führen Sie aus.«

»Das haben schon ganz andere festgestellt.« Jarvis grinste. »Dass sie das mit einem John Cloud nicht machen können, meine ich.«

Cloud seufzte. »Wir sind nicht so hilflos und unterentwickelt, wie Scutor vielleicht glaubt. Und mein Gefühl sagt mir, wir werden schon bald Gelegenheit bekommen, das zu beweisen. Die Auruunen haben sicher nicht zum Spaß hier herumexperimentiert.«

Im nächsten Moment setzte sich die RUBIKON in Bewegung. Sesha meldete den Kurs. Er entsprach exakt den mit Scutor abgesprochenen Parametern. Beide Schiffe gingen synchron in den Annäherungsflug.

»Während die Abrogaren sich auf den unbekannten Materiehaufen konzentrieren«, grübelte Cloud, »sehen wir uns diese seltsame Kraft noch einmal näher an, die diese Mikrogalaxis mit Licht versorgt. Sesha, ich möchte, dass du so viele Daten wie möglich über diese Substanz sammelst und über das Leben, das dort eventuell existiert.«

»Wird gemacht.«



Beide Schiffe setzten während des Annäherungsmanövers ihre Untersuchungen fort. Sesha führte Scans auf allen Ebenen durch, suchte mit ihren kybernetischen Sinnen nach weiterführenden Hinweisen. Auch die FADEN DER VORSEHUNG spielte unablässig Daten ein.

»Commander, die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass sich beständig einzelne, winzige Objekte durch die Anomalie zwischen den darin befindlichen stellaren und planetaren Objekten bewegen.«

»Sind es Raumschiffe?«

»Keine, die sich so bewegen, wie wir es kennen. Einen Augenblick. Ich ziehe Vergleichsdaten aus meiner Datenbank heran«, entschuldigte sich die KI. Keine zwei Sekunden später sprach sie weiter. »Die beobachtete Bewegung weist gewisse Ähnlichkeiten auf mit einer Fortbewegung, die einigen Crewmitgliedern als »Segeln« bekannt sein dürfte.«

»Segeln? Die Lebewesen dort bewegen sich mit Segelschiffen durch die Anomalie?«

»Nein, das nicht. Es scheint sich durchaus um Raumschiffe zu handeln, wenngleich auch viele geradezu winzig sind im Verhältnis zu uns. Viele ähneln dem, was wir als Shuttles kennen. Auch ihre Geschwindigkeit ist verschwindend gering im Vergleich zu unserer oder den Möglichkeiten der FADEN DER VORSEHUNG. Die Art wie die Schiffe navigieren, ähnelt jedoch einem Gleitflug. Als herrschten in der Anomalie Triebkräfte, auf denen sie dahin gleiten.«

»Denkbar wäre das schon«, warf Scobee ein. »Insbesondere, wenn diese Masse tatsächlich die Gravitation der Planeten regelt. Dann muss es ja geradezu heftige Strömungen geben.«

»Befohlene Annäherung an Zielobjekt erreicht«, meldete Sesha und stoppte die RUBIKON. »Aber die Abrogaren halten sich nicht an die Absprache.«

»Inwiefern?«

»Die FADEN DER VORSEHUNG fliegt weiter.«

»Wie bitte?«

»Das Schiff der Abrogaren steuert mit unverminderter Geschwindigkeit auf das Zielobjekt zu«, erklärte die KI. »Auftreffen auf die ersten Ausläufer der Anomalie bei gleichbleibender Geschwindigkeit in zehn Minuten und vierunddreißig Sekunden.«

»Position halten«, befahl Cloud. »und stell eine Verbindung zu den Abrogaren her.«

Jarvis schüttelte den Kopf. »Scutor übertreibt ein bisschen, Forscherdrang hin oder her, das grenzt an Arroganz.«

»Die FADEN DER VORSEHUNG antwortet nicht auf meine Anfragen«, meldete Sesha.

»Das ist keine Arroganz.« Cloud wandte sich von der Holosäule um zu seinen Kameraden. Alle drei tauschten beunruhigte Blicke. »So ein unberechenbares Verhalten passt nicht zu dem Scutor mit dem wir in den letzten Tagen zusammengearbeitet haben. Da stimmt etwas nicht.«

»Was unternehmen wir nun?«, fragte Scobee. »Vor allem, wenn sie nicht antworten. Getreu unserem Versprechen hinterher fliegen?«

»Wir haben nicht versprochen, mit ihnen in die Anomalie hineinzufliegen. Aber wir werden handeln. Beziehungsweise einer wird es.«

Jarvis runzelte die Stirn. »Wer?«

»Immer der, der fragt.«

»Ich?«

»Du wirst transitieren.« Cloud klopfte dem Freund vertrauensvoll auf die Schulter. »Yael möchte ich vorerst nicht mit solchen Aufgaben betrauen. Dein foronischer Nanokörper erscheint mir am geeignetsten. Was immer an Bord des Abrogarenraumers passiert ist, es könnte Yael möglicherweise mehr schaden als dir. Der Junge soll sich erst einmal ein wenig ausruhen. Insbesondere, da die Abrogaren so ein inniges Verhältnis zu ihm haben. Am Ende wollen Sie ihn noch da behalten. Außerdem weiß ich, dass du dich danach sehnst, etwas unternehmen zu können.«

Jarvis gab sich keine Mühe, sein zufriedenes Grinsen zu unterdrücken. »Du kennst mich viel zu gut.«

»Dann ab mit dir. Du hast maximal acht Minuten, dann transitierst du zurück, verstanden? Egal, was dort drüben los ist. Du wirst auf keinen Fall mit in die Anomalie eintauchen.«

»Alles klar.«

Jarvis erhob sich, winkte den Freunden und transitierte.

Nachdenklich musterte Cloud die Holosäule, die keine neuen Erkenntnisse brachte, dann setzte er sich neben Scobee in den Kommandosessel. Gleichzeitig befahl er Sesha, Yael zu kontaktieren und in die Kommandozentrale zu holen.

»So wenig es mir gefällt, den Jungen dauernd einzusetzen«, wandte er sich an Scobee, »Womöglich werden wir seine Fähigkeiten doch gleich noch brauchen.«

»Hast du kein Vertrauen in Jarvis?«

»Doch. Aber nicht annähernd so viel in die Abrogaren.«

Im nächsten Moment schaltete sich Sesha ein. »Jelto hat sich gemeldet. Er bittet dich, in den hydroponischen Garten zu kommen.«

»Stell eine Verbindung her.«

»Gemacht.«

Jeltos Stimme drang aus den Lautsprechern. »Commander, Scobee. Kommt in den Garten. Das solltet ihr euch ansehen.«

»Ein schlechter Zeitpunkt, Jelto. Worum geht es denn?«

»Alcazar. Unser neuer Freund benimmt sich ungewöhnlich.«

Scobee schürzte die Lippen. »Ein seltsamer Zufall. Vielleicht solltest du dir das Ganze doch einmal ansehen. Ich bleibe hier und Sesha informiert dich über jede Veränderung der Lage.«

Der Vorschlag war gut. Er erhob sich mit einem knappen Nicken. »In Ordnung.« Dann brachte ihn der Türtransmitter in die Nähe des hydroponischen Gartens.

Sofort hastete Jelto auf ihn zu. »Gut, dass du da bist, das musst du mit eigenen Augen sehen. Außerdem erreichst du bei Alcazar vielleicht noch etwas. Mich scheint er gar nicht wahrzunehmen.«

»Am Fuß des Hügels angekommen bot die Kuppe mit dem Vaschganen-Baum und Alcazars Nest einen bizarren Anblick. So absurd, dass Clouds Kinn eine drastische Tendenz in Richtung Fußboden entwickelte. »Was zur Hölle treibt er da?«

Jelto zuckte ratlos mit den Achseln.



2.


Neugierig sah sich Jarvis auf der FADEN DER VORSEHUNG um. Seine Füße berührten eine grau schimmernde, aus unzähligen dünnen Strängen gewebte, federnde Substanz. Sie sank unter seinem Gewicht ein paar Handbreit ein. Er musste sich bemühen, das Gleichgewicht zu halten. Wie jemand der versuchte, auf einer gespannten Hängematte zu balancieren. Nur dass diese Hängematte einen kompletten Raum von mehreren Metern Durchmesser ausfüllte.

Auch die Wände und die Decke des Raumes waren von dieser tuchartigen Substanz bedeckt. Ein süßlicher Geruch ging von ihr aus.

Der erste vorsichtige Schritt enthüllte, dass dieser schimmernde Bezug klebrig war. Es kostete zwar nicht viel Kraft, den Fuß zu heben, aber die Substanz bewegte sich einige Zentimeter mit. Außerdem vibrierte sie unter seiner Bewegung. Überrascht stolperte er nach vorn, fing sich ab, indem er tief in die Knie ging, und blieb einige Sekunden stehen, bis der Stoff, sich beruhigt hatte.

Einige Meter entfernt entdeckte Jarvis über sich in der Decke einen hauchdünnen Riss in dem Tuch. Direkt unterhalb des Risses, befand sich ein zweiter im Boden. Nur durch die Bewegung des Tuches waren beide Öffnungen überhaupt zu erkennen. Vorsichtiger als zuvor bewegte sich Jarvis darauf zu.

Er hatte sich auf rund drei Meter genähert, da begann der Riss im Boden, zu wabern. Wie ein Maul schob sich der Stoff auseinander, und etwas Dunkles drängte sich heraus. Zwei lange dünne Beine tasteten sich hervor. Dann folgte der Rest eines Abrogaren.

Ohne innezuhalten, oder auch nur durch die kleinste Bewegung anzuzeigen, dass er Jarvis wahrgenommen hatte, huschte dieser Abrogare über das Netz. Auch seine Chitinbeine sanken ein. Wie seine Füße, hatten sie auch eine deutlich erkennbare Haftung am Tuch, aber dennoch wirkte jede einzelne blitzschnelle Regung des Arachniden unverschämt elegant. Insbesondere da er ohne jede Verzögerung an der Wand hinauf huschte, um in dem oberen Spalt zu verschwinden.

Die ganze Begegnung hatte nur Sekunden gedauert.

Somit war geklärt, wie sich die Abrogaren durch ihr Schiff bewegten, nämlich schnell.

Prüfend betrachtete Jarvis den oberen Ausgang. Ob er dem Arachniden folgen sollte? Oder lieber in die Richtung klettern, aus der er gekommen war. Nach einigen Sekunden des Grübelns wählte Jarvis die Variante, die ihm logischer erschien. Wenn die Abrogaren eine Krise hatten, dann eilten die einzelnen Besatzungsmitglieder sicher an die Positionen, an denen sie gebraucht wurden. Das hieß hoffentlich, dass der Abrogare ihn an einen wichtigen Ort führen konnte. Eine weiterführende Relaisstation, das Antriebsdeck, oder mit Glück sogar die Kommandozentrale des Schiffes. Das bedeutete allerdings freies Klettern an einem Stück fremdartiger Spinnenseide.

Jarvis unterdrückte die aufsteigende Beklemmung und tröstete sich damit, dass ein kleiner Sturz von ein paar Metern seinem längst nicht mehr als menschlich zu bezeichnenden Körper kaum schaden konnte. Dann tappte er beherzt zur Wand und legte seine Handflächen an den Stoff.

Das Tuch war unerwartet warm. Und es vibrierte sacht, wie in einer kaum spürbaren Brise. Übertrug es etwa die Bewegungen anderer Wesen aus anderen Räumen, die über diesen Stoff miteinander verbunden waren?

Beinahe glaubte Jarvis, die huschenden, tänzelnden Schritte vieler Arachnidenbeine zu spüren, wie sie viele Meter über und unter ihm durch das Raumschiff rasten. Aber womöglich war das alles nur Einbildung, und das Tuch vibrierte im Takt des Antriebs oder einfach, weil es in seiner Natur lag.

Die Haftung war jedenfalls gut. Im ersten Moment fühlte es sich an, als fasse man in Zuckerwatte, dann aber bot das Netz einen sanften Widerstand, und Jarvis gelang es, sich hochzuziehen. Irritierend war nur, dass die Hand nichts greifen konnte. Flach klebte sie an dem Tuch, die Finger fanden klebrigen Halt, aber keinen Griff.

Jarvis schluckte und unterdrückte erneut eine instinktive Höhenangst. Mit Bedacht löste er eine Hand vom Netz, griff über sich und zog sich wieder hoch. Nach den ersten vorsichtigen Kletterbewegungen gewann er an Routine und krabbelte schließlich sogar kopfunter am Netz entlang, bis er den Spalt erreicht hatte.

Entschlossen griff er hindurch. Harzige Seide strich über seine Hand. Hier war der Stoff noch wärmer, als an den Wänden des Raumes unter ihm. Womöglich heizten die Abrogaren ihr Schiff, indem sie Wärme über das Netz leiteten.

Auf der Suche nach besserem Halt tastete sich Jarvis voran und jäh hinein in eine nasse, pulsierende, glitschige Hitze. Erschrocken wollte er die Hand zurückziehen, aber da schloss sich die weiche warme Nässe um seine Hand wie ein gieriges Maul und zog an ihm.

Der Ruck kam unvermittelt. Und er war von solcher Stärke, dass er Jarvis einfach hoch riss, hinein in ein großes, schwarzes, schleimgefülltes Maul. Es saugte ihn Kopf voran hinein, dann schloss es sich um ihn. Eine weiche, heiße Masse. Im Reflex schloss er die Augen. Im nächsten Moment klebte er wie gelähmt in diesem engen Kanal. Der Schleim umschloss ihn, wie die tastende Zunge eines Lebewesens. Bevor er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, begann die Röhre in der er steckte, zu kontrahieren. Oder zu würgen.

Dann presste ihn etwas von unten hinauf durch den Kanal, durch den Schleim und durch die Hitze, bis er sich auf dem Netz liegend wiederfand am Boden eines kugelförmigen Raumes, der der vorherigen Kammer ähnelte. Nur war dieser rund dreimal so groß und sechs Öffnungen gingen von ihm ab. Zwei in der Decke, vier an den Seitenwänden.

Eilig brachte Jarvis kriechenderweise Abstand zwischen sich und den ekelerregenden Schlund. Das war zweifellos der scheußlichste Fahrstuhl, den er je benutzt hatte. Kein Wunder, dass Babys nach der Geburt zu schreien pflegten.

Das verdammte Raumschiff besaß organische Komponenten. Vielleicht war auch der Seidenstoff, den er für ein Spinnennetz gehalten hatte, Teil eines Lebewesens. Das erklärte immerhin das Pulsieren und die gleichbleibende Wärme.

Ein Ruck ging durch das Netz. Im nächsten Augenblick schoss ein Körper hinter ihm aus dem Spalt im Boden, dann trampelte ein Abrogare über ihn hinweg.

Die Tritte der stangenartigen Beine pressten seinen Körper gegen das Netz, dann war der Abrogare verschwunden. Als Jarvis den Kopf aus der klebrigen Masse zog, konnte er gerade noch einen vibrierenden Spalt in einer der Öffnungen erkennen.

Als nur drei Herzschläge später der nächste Arachnide wie auf Droge durch die Kammer raste, war er, der trampelnde Eindringling, immerhin vorbereitet. Im letzten Moment warf sich Jarvis herum und vermied eine weitere Kollision. Dennoch streifte der Körper des Abrogaren ihn und die Vibration des Tuches riss den Zweibeiner von den Füßen.

Schließlich rettete er sich an ein Stück Wand ohne Riss und beobachtete die Abrogaren dabei, wie sie einer nach dem anderen wie Ameisen durch ihren Bau huschten. Jeder schien es eilig zu haben.

Es dauerte ein paar Augenblicke, dann begriff Jarvis, dass es sich bei den wie besessen hin und her huschenden Abrogaren um nur zwei Individuen handelte. Jagten sie einander? War das ein verwirrendes Spiel, dessen Sinn und Regeln er nicht begriff? Jedenfalls kamen sie nirgendwo hin, tauchten immer wieder aus einem Spalt auf, um in einem anderen zu verschwinden. Auch trugen sie keine Gegenstände mit sich herum, die hastige Botengänge gerechtfertigt hätten. Was immer die beiden Abrogaren taten, die schienen sich ausschließlich durch diesen und die angrenzenden Räume zu bewegen.

Beim zehnten Mal geschah etwas Ungewöhnliches. Einer der Arachniden rannte einfach gegen eine Wand. So als sei er sicher, dort einen Durchgang zu finden, wo keiner war. Aber stattdessen rannte er sich den Kopf ein. Sofern man bei einem Spinnenwesen davon sprechen konnte. In diesem Moment erkannte Jarvis unzweifelhaft, dass sich etwa einen halben Meter hinter dem Tuch eine feste Wand befand, die der Abrogare durch den dehnbaren Stoff hindurch direkt rammte.

Ein paar Herzschläge lang hockte der Arachnide da wie betäubt, dann schüttelte er sich und stolperte weiter. Gegen die nächste Wand.

Sein Kamerad hatte mehr Glück. Er erwischte die Durchgänge noch, aber auch seinen Bewegungen haftete nun etwas Schwerfälliges, Taumelndes an. Die beiden Abrogaren wankten auf ihren vielen Beinen wie Betrunkene.

Plötzlich plumpste ein dritter Abrogare von oben herab. Soweit Jarvis in seinen Chitinzügen einen Ausdruck erkennen konnte, drückte die schwerfällige Art mit der der Abrogare sich betrachtete, Verwunderung aus.

Anstatt sich aufzurichten, hob der Arachnide lediglich ein Bein. Mit einem leeren Blick seiner kleinen, schwarzen Augen hielt er das Bein vor seine Mandibeln und biss das unterste Glied ab.

Im nächsten Augenblick stolperte sein Kamerad im verzweifelten Versuch, einen Durchgang zu finden, über ihn. Einige Sekunden lang rollte ein Knäuel aus Chitin und schwarzen segmentierten Gliedmaßen über das Tuch, dann hatte der eine Abrogare zwei Beine weniger, der andere, der den Ausgang suchte, richtete sich auf und taumelte schwankend weiter. Direkt auf Jarvis zu.

Mittlerweile war der Rammbock jedoch so langsam, dass es keine Mühe bereitete, ihm auszuweichen. Wieder schwankte der Arachnide gegen die Wand. Erst in diesem Augenblick erkannte Jarvis, dass seine Augen fehlten, als habe sie jemand einfach ausgekratzt.

Vorsichtig sprach Jarvis ihn an, aber er hörte nicht. Ebenso wenig wie der Liegende, der sich selbst weiterhin die Beine ausriss.

Jarvis vergewisserte sich, wie viel Zeit er noch hatte. Dann fluchte er. Über die Hälfte der Zeit war schon um, es blieben keine zwei Minuten mehr. Mit der Geschwindigkeit, die ihm das Netz in diesem Teil des Schiffes ermöglichte, tendierte seine Chance, Scutor oder eine andere Führungskraft zu finden, gegen null.

Noch dazu, da seine einzige Gesellschaft aus gestörten Abrogaren bestand, die entweder zu taub oder zu weggetreten waren, um ihn überhaupt anzuhören. Vielleicht war es besser, Johnny-Boy mal Bescheid zu sagen.

Huch, nur noch eine Minute verbleibend? Na, das war nicht schön. Eben noch waren es doch zwei Minuten gewesen, wo war seine Minute hin. Sowas!

»Frechheit!«, beschwerte sich Jarvis laut. Irgendjemand hatte ihm seine Minute gestohlen. Und dann mischte sich auch noch Cloud ein.

»Jarvis!«, bellte seine Stimme über den Kom-Kana l . »Deine Zeit ist fast um, wo bleibst du?«

Jarvis erklärte ihm die Sachlage. Dass ihm jemand eine Minute gestohlen hatte und die Abrogaren nicht auf ihn hören wollten.

»Komm da raus.« Komisch, der Commander klang seltsam besorgt.

»Kein Problem«, erwiderte Jarvis kichernd. »Ich hole mir einfach meine Minute zurück, dann schnappe ich mir diesen Scutor. Der sollte mal seiner durchgeknallten Mannschaft zeigen, wo der Hammer hängt. Die sind hier alle verrückt geworden, John. Das ist nicht normal. Gar nicht normal ist das!«

»Du hast keine Minute mehr«, drängte Cloud die Spaßbremse. »Du hast noch zwanzig Sekunden! Egal, was da drüben los ist, du transitierst zurück zur RUBIKON und zwar sofort

Der Gedanke, gänzlich unverrichteter Dinge wieder abziehen zu müssen, behagte Jarvis nicht. Warum regte Cloud sich so auf? Niemand ließ sich gern hetzen. Aber nun ja, auf der RUBIKON war es ja auch ganz schön, da fielen einem wenigstens keine Spinnen auf den Kopf.

»Alles klar. Wird gemacht.«

»Noch zehn Sekunden, wo bleibst du?«

»Bin ja schon unterwegs!«, brummte Jarvis, dann stolperte er gut gelaunt gegen die nächste Wand.



Einige Minuten zuvor beobachtete Cloud im hydroponischen Garten, wie der Abrogare Alcazar einen Hochgeschwindigkeitstanz um den Vaschganenbaum ausführte. Dabei verkrampfte sich in unregelmäßigen Abständen sein Körper. Er verlor sich in konvulsivischen Zuckungen, die bei einem Menschen einen epileptischen Anfall gekennzeichnet hätten. Doch anstatt in einen vollständigen Krampfzustand zu verfallen, rappelte sich Alcazar jedes Mal wieder auf, sobald er den Boden unter seinen Füßen mit einer weißen, silbrigen Substanz vollgespuckt hatte. Dabei trampelte er mit brutaler Rücksichtlosigkeit durch das Blumenbeet, das er erst wenige Stunden zuvor mit Jeltos Hilfe angelegt hatte.

Nun lagen die zarten Stile zerknickt in der noch feuchten Pflanzerde, der Abrogare schenkte ihrem Elend keinerlei Beachtung. Auch reagierte er nicht auf Jeltos Rufe oder Clouds Befehle. Er schien überhaupt nichts mehr wahrzunehmen, außer sich und seiner unverständlichen Tätigkeit.

Cloud gab Sesha den Befehl, die Lebensfunktionen des Arachniden zu überwachen und zu analysieren. Sofort setzte die KI ihre Spinnenbots in Bewegung. Auch diesen schenkte der Abrogare keine Beachtung.

Schon bald meldete die KI eine Veränderung seiner Körperchemie, war jedoch nicht in der Lage einen Grund dafür zu nennen. »Keine Spuren von Drogen in seinem Kreislauf«, meldete sie lapidar. »Verhalten manisch. Gesundheitszustand bedenklich. Ursache unbekannt.«

Nachdenklich betrachtete Cloud den Abrogaren und versuchte, durch Beobachtung eine Ursache zu finden, die Seshas künstliche Intelligenz mit ihrem mangelnden Abstraktionsvermögen nicht durchschauen konnte. »Es mag Zufall sein«, grübelte er. »Aber ebenso gut kann es einen Zusammenhang geben zwischen Alcazars Anfall und der Tatsache, dass die FADEN DER VORSEHUNG ohne Absprache auf die Ausläufer der Anomalie zusteuert. Ich habe Jarvis hinübergeschickt, er soll herausfinden, was auf Scutors Schiff vor sich geht.«

Jelto lauschte neugierig. »Es hat erst vor wenigen Minuten begonnen.«

»Ich wette, in dem Augenblick, als die FADEN DER VORSEHUNG den Kontakt zu uns abgebrochen hat«, schloss Cloud. »Sesha, vergleiche alle relevanten Ereignisse und stelle einen zeitlichen Zusammenhang her.«

Vor zwei Minuten und dreiundzwanzig Sekunden erreichten wir Zielpunkt«, erklärte die KI. »Die FADEN DER VORSEHUNG hielt Kurs und zog an uns vorbei. Vor zwei Minuten und zehn Sekunden hat das Abrogarenschiff das letzte Signal gesendet. Zum gleichen Zeitpunkt veränderte sich Alcazars Handlungsweise.«

»Noch keine Meldung von Jarvis?«

»Negativ.«

»Das läuft nicht gut.« Cloud schüttelte den Kopf. Jarvis‘ Verbleib machte ihm Sorgen. Was, wenn der ehemalige GenTec nicht zurückkehrte?

»Der zeitliche Zusammenhang ist jedenfalls unleugbar«, konstatierte Jelto.

»Behalte Alcazar im Auge«, wies ihn Cloud an. »Ich muss mich darum kümmern, Jarvis wieder an Bord zu holen. Sesha, lass deine Bots den Abrogaren weiterhin überwachen.«

»Positiv.«

»Vielleicht können wir Algorian auf ihn ansetzen, wenn der Zustand anhält und Jarvis keine Erklärung mitbringt.«

»Telepathie?«, fragte Jelto.

»Einen Versuch wäre es Wert. Aber zuvor müssen wir uns um die FADEN DER VORSEHUNG kümmern.« Cloud wandte sich zum Gehen.

»Ich halte die Stellung«, versicherte Jelto.

Im Kommandostand meldete Scobee keine Veränderung. Yael hatte sich wie befohlen dazu gesellt. Er verfolgte das Geschehen mit stummem Entsetzen.

Die sprichwörtliche Uhr tickte, und selbst nach Ablauf seines ursprünglichen Zeitrahmens ließ Jarvis nichts von sich hören. Er reagierte auch nicht auf Kontaktversuche. Erst als kaum noch eine Minute bis zum Kontakt mit der Anomalie verblieb, meldete er sich endlich. Aber sein Gerede war beunruhigend übertrieben und zusammenhanglos. Über Scutor und die Hintergründe seiner Entscheidung, das Schiff nach Scharan zu steuern, hatte er offenbar nichts herausgefunden. Dafür plapperte er wie ein Wasserfall Unverständliches über gestohlene Zeit.

»Komm da raus«, drängte Cloud.

Die verbleibende­ Zeit war längst zu knapp. Selbst ein geistig klarer Jarvis konnte in den wenigen Minuten wohl kaum etwas Nennenswertes erreichen.

Aber anstatt zu transitieren, schwatzte Jarvis fröhlich weiter.

»Du hast keine Minute mehr«, bellte Cloud in der Hoffnung, seinem Freund den Ernst der Lage ins Gedächtnis zu rufen. »Du hast noch vierzig Sekunden! Egal, was da drüben los ist, du transitierst zurück zur RUBIKON und zwar sofort

Jarvis bestätigte, aber er manifestierte sich nicht an Bord.

»Jarvis! Bestätige! Was ist bei dir los?«

»Ja doch!«, kam es schwerfällig zurück. »Ich hatte gerade einen kleinen Unfall. Kein Problem, ich hab‘s gleich. Ja, huch ...« Jarvis‘ Stimme verlor sich.

Auch ein weiterer Appell an seine Vernunft brachte ihn ebenfalls nicht zurück in die Spur.

»Sesha. Traktorstrahlen! Halte die FADEN DER VORSEHUNG fest.«

Zwar widerstrebte es Cloud, auf diese Weise über Scutors Kopf hinweg zu handeln, aber in Anbetracht der Tatsache, dass dieser noch immer keinen Kontakt aufnahm, sah Cloud keine andere Möglichkeit mehr.

»Negativ«, verkündete die KI. »Traktorstrahlen sind wirkungslos. Antrieb der FADEN DER VORSEHUNG zu stark.«

»Kannst du sie wenigstens verlangsamen?«

»Negativ.«

»Kannst du Jarvis irgendwie zurückholen?«

»Negativ.«

»Jarvis! Noch zehn Sekunden! Wo bleibst du?«

Aber der ehemalige GenTec antwortete nur mit einem hysterischen Kichern.

Scobee hatte dem Austausch schweigend gelauscht. Nun legte sie Cloud eine Hand auf den Unterarm. »Darf ich?«

»Klar.«

Sie nickte. In ihrem Gesicht stand eben solche Nervosität geschrieben, wie auch Cloud sie fühlte.

»Jarvis!«, bellte sie dann unvermittelt im besten Kasernenton. »Beweg gefälligst deinen Hintern hierher und transitiere! Oder wir trinken die Kiste Whiskey ohne dich!«

Im nächsten Augenblick gab Sesha den Kontakt des Abrogarenraumers mit der Anomalie bekannt.

Scobee fluchte.

Cloud wollte nach Jarvis rufen, aber in dem Moment, als er Luft holte, unterrichtete ihn Sesha über eine Nachricht von Rotak.

Offenbar war Jarvis in dessen Quartier aufgetaucht. Nun lag er auf dem Boden im vor Rotaks Bett und schien eine Art Rausch auszuschlafen, als wäre er noch aus Fleisch und Blut.

Nur kurze Zeit später meldete er sich jedoch wieder selbst.

»Ich bin auf dem Weg zu euch!«, gab er peinlich berührt an den Kommandostand kund. »Ihr werdet nicht glauben, was dort drüben los ist.«

Wenig später informierte er seine Freunde über alle verstörenden Details. Neben Cloud und Scobee waren auch Yael und Jelto anwesend. Jarvis erläuterte jedes Detail über die irrational handelnden Abrogaren, die nicht mehr ansprechbar gewesen waren und auch über seinen eigenen fragwürdigen Zustand.

»Am ehesten ähnelte es tatsächlich einem Vollrausch«, erklärte er kleinlaut. »Ich hätte nicht gedacht, dass mir das mit meinem Nanokörper noch einmal passiert, aber tatsächlich war ich breit wie eine Flunder bei drei G. Ich konnte kaum noch meine Sinne beieinander behalten und hätte beinahe nicht mehr transitieren können. Wäre ich auch nur ein paar Sekunden länger geblieben, hätte ich wohl auch meine Zeit damit verbracht, gegen Wände zu rennen.«

»Und wie hast du es schließlich doch noch geschafft?«, fragte Yael wissbegierig.

Jarvis senkte den Kopf. »Es war der Neid. Scobee hat etwas von Whiskey gesagt. In meinem Zustand konnte ich mir kaum etwas Schöneres vorstellen.«

»Wusste ich‘s doch!« Scobee schlug mit der linken Faust gegen ihre flache Rechte. »Die Drohung, ohne dich zu feiern, hat gewirkt.«

»Ja«, gab Jarvis sichtlich ungern zu. »Das war wohl so.«

»Hast du irgendeine Vermutung, was diese Zerrüttung der Abrogaren verursacht hat?«, lenkte Cloud die Diskussion wieder zurück auf das Wesentliche.

Jarvis schüttelte den Kopf. »Nein. Ich weiß nur, dass es mich auch erwischt hatte. Aber sobald ich wieder an Bord der RUBIKON war, hat der Spuk aufgehört und ich konnte wieder klar denken. Alles, was ich davor gesagt oder getan habe, erscheint mir nun völlig schwachsinnig. Aber an Bord der FADEN DER VORSEHUNG erschienen mir meine Gedankengänge völlig natürlich und logisch.«

»So ähnlich wie in einem Traum«, sinnierte Cloud.

»Genau das«, bestätigte der ehemalige GenTec. »Das trifft es wahrscheinlich am besten.«

Während Jarvis seinen Bericht abgab, behielt Sesha die FADEN DER VORSEHUNG im Auge. Wenigstens blieb die Integrität des Schiffes gewahrt. Es navigierte ungehindert weiter durch die fremde Strahlung hindurch, deren Quelle die Anomalie war.

»Vielleicht sind die Abrogaren besonders anfällig für das Zeug«, mutmaßte Jarvis. Wenn es eine Krankheit wäre und ich mich angesteckt hätte, müsste Sesha Veränderungen bei mir finden. Aber die KI sagt, ich wäre wieder völlig normal.«

»Und die Abrogaren haben sich erst so seltsam verhalten, nachdem wir uns der Galaxis weiter angenähert hatten. Vielleicht gibt s in der gegenwärtigen Entfernung ein Strahlungsniveau, das uns nicht belastet, die Abrogaren hingegen schon.«

»Möglich«, stimmte Cloud zu. »Und durchaus wahrscheinlich. Zumal diese Theorie mit Alcazars Verhalten übereinstimmt. Er drehte zum gleichen Zeitpunkt durch wie der Rest seines Volkes.«

»Das könnte auch für eine telepathische Verbindung sprechen«, warf Yael ein.

»Die sie nie erwähnt haben«, ergänzte Scobee. »Sie sind doch kein Schwarm.«

»Das ist wahr. Oder es ist etwas sehr Subtiles, das so selbstverständlich ist, dass sie darüber nicht sprechen«, beharrte Yael mit der Sturheit der Jugend.

»Jelto. Du hast am ausgiebigsten Zeit mit Alcazar verbracht. Hat er jemals Derartiges erwähnt?«

Jelto verneinte.

»Dann bin ich eher geneigt, die Gegebenheiten in dieser eingedampften Galaxis verantwortlich zu machen, als eine vage telepathische Verbindung, über die wir nur Vermutungen anstellen können.«

»Über die Anomalie stellt ihr doch aber auch nur Vermutungen an.«

»Ja, aber sie basiert auf Fakten«, beendete Cloud die Diskussion. »Ich werde Sesha anweisen, wieder Abstand zwischen uns und Scharan zu bringen. Ich möchte nicht, dass es uns genauso geht wie den Abrogaren. Dann werden wir zunächst das weitere Schicksal der FADEN DER VORSEHUNG beobachten. Da die Abrogaren sich nun bereits innerhalb der Anomalie befinden, können wir im Augenblick nichts Sinnvolles tun, ohne uns selbst einem enormen Risiko auszusetzen. Gibt es weitere Vorschläge?«

Cloud blickte in ratlose, betroffene Gesichter. Es schien, als habe die Unaufhaltsamkeit des Schicksals, derer sie Zeuge geworden waren, sie mutlos zurückgelassen. Die Tatsache, dass es keine Möglichkeit gegeben hatte, die Abrogaren zu retten, frustrierte nicht nur Jarvis.

Cloud kannte jedoch seine Mannschaft gut genug, um zu wissen, dass sie schon in ganz anderen, scheinbar aussichtslosen Situationen alles gegeben hatte.

Zwar konnte er im Moment nichts für Scutor und seine Mannschaft tun, das hieß aber noch lange nicht, dass die RUBIKON die Arachniden aufgab. Lediglich blinder Aktionismus half niemandem.

Die RUBIKON kehrte trotz aller Vorsicht nicht wieder zur ursprünglichen Distanz von zwei Lichtjahren zurück, sondern vergrößerte den aktuellen Abstand zu Scharan nur um ein paar Lichtmonate. Das eröffnete Sesha bessere Möglichkeiten, die Anomalie abzutasten. Allerdings hatte die KI Anweisung, die Lebensdaten aller Personen an Bord zu überwachen und bei der kleinsten Veränderung Alarm zu schlagen.

Dann legte sich Cloud mit seiner Mannschaft auf die Lauer. Sesha scannte, was das Zeug hielt und projizierte den weiteren Kurs des Abrogarenraumers in die Holosäule. Cloud sah gespannt zu.

Jelto begab sich wieder in den hydroponischen Garten um Alcazar beizustehen und wenn nötig Hilfe zu rufen, falls der Abrogare auf die Idee kam, sich selbst zu verletzen.



3.


Sesha hatte alle verfügbaren Sonden ausgeschickt. In einer gebührenden Entfernung, aber in größerer Nähe zur Anomalie, als die RUBIKON selbst, sammelten die kleinen Helfer jedes Quäntchen Information auf allen Ebenen, die ihre Sensoren zu erreichen vermochten. Zwar kamen die Sonden den Fähigkeiten der RUBIKON nicht gleich, aber immerhin gelang es ihnen, die neue Umgebung der FADEN DER VORSEHUNG im Auge zu behalten.

Paradoxerweise half das Abrogaren-Raumschiff dabei. Ob zufällig oder beabsichtigt, ließ sich jedoch nicht sagen. Sobald das Schiff zu einem Halt innerhalb der Anomalie gekommen war, begann es wieder, Daten zu senden. Aber Sesha erklärte, dass die Daten ungeordnet und lückenhaft transferiert wurden.

Dies ließ nur zwei Schlüsse zu. Entweder die Anomalie blockierte den Transfer oder die Abrogaren sendeten irrational irgendein Kauderwelsch und Datenwirrwarr.

»Möglicherweise beides«, fasste Scobee die allgemein favorisierte Vermutung in trockene Worte.

Dennoch halfen die Informationsbrocken von der FADEN DER VORSEHUNG Sesha bei einer Analyse. Schließlich erfuhr die Crew der RUBIKON, welche Natur die Materieansammlung besaß, in der sich das Abrogarenschiff nun befand.

»Meine Fresse – soll das ein Schiffsfriedhof sein?« Jarvis stieß einen leisen Pfiff aus, während er ebenso fasziniert wie Cloud, Yael und Scobee auf die Erscheinungen im Inneren der Holosäule starrte.

»Er muss jedenfalls gigantisch sein.« Auch Scobee besah die grafischen Darstellungen mit großen Augen. »Wie viele Schiffe sind das? Achthundert? Tausend? Eine kleine Flotte.«

Cloud verkniff sich einen Kommentar. Stumm betrachtete er die verschiedenen unbekannten Raumschiffe, die Sesha ins Innere der Holosäule projizierte. Vieles davon hatte die KI entsprechend verzerrter Bilddaten rekonstruiert, aber selbst, wenn man einen gewissen Ungenauigkeitsfaktor einberechnete, blieb genug Bizarres übrig, um zu staunen. Unbekannte Kleinstraumschiffe mit absonderlichen Formen schwebten regungslos neben titanischen, würfelartigen Kolossen, die sicherlich Frachtschiffe darstellten. Allesamt schwebten die Raumer still und antrieblos zwischen den toten Sternen wie Schläfer, die von früheren glorreichen Zeiten träumten.

Am Rande der reglosen Masse klebte nun auch die FADEN DER VORSEHUNG und zeigte bis auf vereinzelte Datenausstöße ebenso wenig Aktivität, wie der Rest der Formation.

»Sehe ich das richtig?« Jarvis seufzte. »Ist das eine Art galaktisches Bermudadreieck? Wer zu nahe heranfliegt, wird hineingezogen?«

Cloud zuckte die Achseln. »Schwer zu sagen. Dazu müssen wir zweifelsfrei wissen, ob die FADEN DER VORSEHUNG dorthin gesteuert wurde, oder ob ihre Antriebe soweit versagt haben, dass sie zu keinem Halte- oder Bremsmanöver mehr in der Lage war. Wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen.«

»Auf jeden Fall scheint dort drüben noch jemand am Leben zu sein«, ergänzte Scobee. »Sonst würde er uns wohl kaum Daten senden.«

»Oder ein Programm wurde nicht abgeschaltet«, warf Cloud ein. »Im Grunde wissen wir nach wie vor gar nichts über den gegenwärtigen Zustand der Abrogaren. Wir können nur spekulieren. Und uns langsam mithilfe der Sonden näher tasten.«

»Solange wir nicht wissen, welchem Einfluss die Abrogaren ausgesetzt waren und was auch Jarvis‘ Kopf verdreht hat, während er sich drüben aufhielt, kann das sehr gefährlich werden.«

»Das weiß ich auch«, gab Cloud zurück. »Dessen bin ich mir sehr wohl bewusst.«

»Commander«, sagte Sesha unvermittelt. »Annäherung eines Raumschiffes an die Anomalie.«

»Zeig her.«

Das Bild in der Holosäule wechselte. Eine Sternenkarte ersetzte die dreidimensionale Darstellung des Schiffsfriedhofs. Im Zentrum der Sternenkarte befand sich die Scharan-Anomalie, ein einzelnes Symbol zeigte ein Objekt, das sich mit hoher Geschwindigkeit durch den Raum bewegte, direkt auf die eingedampfte Galaxis und, wie eine Vergrößerung in einem weiteren Segment der Säule bewies, auf die FADEN DER VORSEHUNG zu.

Cloud biss die Zähne zusammen, als Sesha den fremden Raumer vergrößerte. Scobee schwieg verkniffen, Yael plusterte erschrocken sein Gefieder, während Jarvis lautstark fluchte. Jeder von ihnen erkannte zweifelsfrei die charakteristische Ringstruktur des Objektes, noch bevor die KI die Auruunen auch verbal identifizierte.

Jarvis Kunstkörper erblasste zwar nicht, aber sein lapidares »Da will wohl jemand bei der Party mitmachen«, klang halbherzig.

Cloud ging nicht darauf ein. Stattdessen traf er stumm eine Entscheidung. »Yael. Ich wollte es dir ersparen, aber du musst einen Avatar benutzen. Wir starten einen letzten Versuch, den Abrogaren zu helfen, bevor sie den Auruunen in die Hände fallen.«

Scobee legte die Stirn in Falten. Ihr durchdringender Blick suchte Clouds.»Kann ich dich einen Moment allein sprechen?«

Er nickte, obwohl er schon ahnte, um was es ging.

»Hast du dir das auch gut überlegt?«, begann sie, sobald sich die Tür zum Besprechungsraum hinter ihnen geschlossen hatte. »Mit allem, was der Junge in sich trägt, wäre er ein gefundenes Fressen für die Auruunen.«

»Aber er ist der Einzige, der die Distanz schnell überbrücken kann«, erläuterte Cloud ruhig. »Jarvis möchte ich kein zweites Mal schicken. Yaels Psyche und Physis ist vielleicht widerstandsfähiger gegenüber dem, was ihn befallen hat. Der Junge besitzt durch die Ganf jede Menge Seelenstärke, möchte ich behaupten.«

»Trotzdem bürdest du ihm ein enormes Risiko auf. Wie willst du das seinem Orham erklären? Oder Winoa? Sie geht dir ja jetzt schon aus dem Weg.«

»Ich werde ihn erklären, dass wir alles tun müssen, um unseren Verbündeten zu helfen. Ob Winoa damit einverstanden ist oder nicht, spielt leider keine Rolle. Wir können nicht einfach ein ganzes Raumschiff dem sicheren Tod überlassen. Und wenn die Auruunen die Abrogaren nicht töten, dann wird ihnen sicher einiges einfallen, das womöglich noch schlimmer ist als das.«

»Du denkst an Assur?«

»Im Augenblick denke ich an die Abrogaren.«

»Und ich denke an unsere Crew und unser Schiff. Es ist und bleibt ein Risiko.«

»Ist es das nicht immer?« Durch ein angedeutetes Kopfschütteln gab Cloud Scobee zu verstehen, dass er ihre Argumente angehört hatte, sich aber nicht umstimmen ließ.

Sie hob die Schultern. »Falls dir ein paar Gebete einfallen, John, dann solltest du vielleicht damit anfangen. Yael wird es brauchen können.«

Als Yael, der erstaunlicherweise nicht eine Sekunde zögerte, zur FADEN DER VORSEHUNG zu reisen, in seinem Avatar verschwand, ließ sich Cloud in seinen Kommandosessel fallen. Schweigend erwartete er Seshas Lagebericht und wünschte sich tatsächlich, dass heimliche Gebete etwas hätten bewirken können.



Im Angkdorf schien die Zeit stillzustehen. Nichts veränderte sich, ein beruhigendes, vertrautes Refugium. Zugleich aber erschien die Gleichförmigkeit der Hütten, der Landschaft, ja sogar des simulierten Wetters wie eine absurde Tünche über dem Chaos.

Alles veränderte sich außerhalb dieser künstlich generierten Welt. Nichts war mehr so, wie noch vor einigen Wochen.

Der dicke Kloß in Winoas Hals wollte nicht verschwinden. Er klebte hartnäckig seit Stunden dort und ließ sich weder wegschlucken, noch wegessen. Dennoch weigerte sie sich, in Tränen auszubrechen. Zwar war ihr zum Heulen zumute, aber wem half es? Mom riss sich schließlich auch zusammen.

Winoa bewunderte sie dafür. Zwar merkte man ihr den tiefen Schock jener Enthüllung noch an, aber sie war bei Winoas letztem Besuch schon wieder gefasst gewesen.

Assurs Tochter presste den kleinen Blumenstrauß an sich, den sie gemeinsam mit Aylea im hydroponischen Garten gepflückt hatte.

Jelto war nicht greifbar gewesen. Er hatte sie weggeschickt mit der Erklärung, dass er sich um Alcazar zu kümmern hatte, und dieser gerade seine Ruhe brauchte. Zum Glück gab es ein paar Ecken innerhalb des Gartens, wo keine Arachniden lebten und Ruhe brauchten. Auch dort wuchsen hübsche Blumen.

Ihre Mutter konnte nicht in den hydroponischen Garten, weil gewisse Leute, mit denen man nicht mehr sprach, sie auch noch unter Hausarrest gestellt hatten. Aus Sicherheitsgründen, wie Winoa erklärt worden war.

Sie begriff noch immer nicht, was im Commander vorging, wie er ihre Mom auf diese Weise verraten konnte. Sie? Ein Klon. Das war eigentlich eine lächerliche Behauptung. Aber sogar Yael hatte es gesagt. Oder besser, er hatte gesagt, dass er auf der Oort-Erde ein zweites Gen-Echo ihrer Mutter erspürt hatte. Eins, dass sich noch in Gewalt der Auruunen befand. Nun zweifelte jeder an ihrer Mom. Sogar sie selbst wusste nicht mehr, was sie glauben sollte.

Trotzdem hatte sie sich entschlossen, ihrer Mom Blumen zu bringen. Solange diese Assur von der Oort-Erde nicht an Bord war, hatte sie nur eine Mutter. Und die saß eingesperrt im Angkdorf und wurde von allen gemieden. Egal, wer sie in Wahrheit war, so etwas war nicht fair.

Dennoch stand Winoa zögernd vor ihrer Tür, sah den Blumen dabei zu, wie sie die Köpfchen hängen ließen, und fand nicht den Mut, jenem Wesen gegenüberzutreten, das sich wie ihre Mom anfühlte, redete und roch, aber es vielleicht doch nicht war.

Als sie sich endlich doch überwand, trat sie hastig ein, um nicht auf der Schwelle doch noch den Mut zu verlieren.

Aber ihre Sorge stellte sich als völlig unbegründet heraus. Das Haus ihrer Mom, in dem sie offiziell unter Arrest stand, war leer.

Assur war nicht da.



Neugierig sah Yael sich an seinem neuen Aufenthaltsort um. Prüfend sog er die Luft ein. Sie war seltsam schwer. Eigentlich roch sie nach gar nichts und ließ sich auch leicht atmen, und doch erinnerte sie an Ozon, jedoch ohne die süßliche Komponente. Vielmehr kam es ihm so vor, als atme er die drückende Stille vor einem Gewitter. Die Ruhe vor dem Sturm. Yael zwang sich zur Ruhe,

Dabei ließ er noch einmal Revue passieren, was ihm der Commander eingeschärft hatte. »Sobald du an dir auch nur das kleinste Anzeichen von Verwirrung und Desorientierung bemerkst, kehrst du sofort zurück. Ebenso, wenn du auch nur den geringsten Eindruck hast, dass dich jemand in deinem freien Denken und Willen beeinflusst.«

Aber das bedeutete, dass er sofort hätte zurückkehren müssen. Zumindest wenn man eine plötzlich aufsteigende Übelkeit als Beeinflussung des freien Willens deutete. Trotz der Tatsache, dass sich sein Magen ohne jede Vorwarnung so schmerzte, als wolle er gleich explodieren, spähte Yael seine Umgebung aus.

Nichts sah so aus, wie er sich die FADEN DER VORSEHUNG nach Jarvis‘ Schilderungen vorgestellt hatte.

Alles war klinisch hell und kahl. Er stand in einem leeren Raum. Die Wände schimmerten in mattem Perlmutt. Jäh warb ein scharfes Zischen um Aufmerksamkeit. Yael fuhr herum. Hinter ihm war ein Schott aufgegangen. Daneben schimmerte ein kleiner Energieschirm über ein paar blinkenden Leuchten. Vermutlich die Torsteuerung.

Hinter dem Schott bot sich ein beeindruckendes Panorama, eine prachtvolle Aussicht auf die seltsame Anomalie und die Schiffe, die in ihr gefangen waren.

Dazwischen stand auf einer beeindruckenden, von einer Energiekuppel überspannten Plattform ein unbekanntes Wesen. Ganz sicher kein Abrogare, sondern ein Echsenwesen mit Schuppen, Kamm und einem Greifschwanz.

Yael sprach den Fremden an.

In diesem Augenblick verließ ihn die Übelkeit. Dafür spürte er, wie Klauen über seine Haut kratzten. Und auf einmal waren da Maden, die an seinen Beinen hinaufkrochen. Aber als er an sich herabsah, gab es jedoch nichts zu sehen. Keine Würmer, kein Blut, keine Verletzung. Obwohl er ganz deutlich spürte, wie sich nadelspitze Gegenstände in seine Arme bohrten.

Wenngleich die Maden unsichtbar blieben, konnte er sich nicht erinnern jemals eine Berührung in solch ekelerregender Deutlichkeit wahrgenommen zu haben, wie diese schleimigen kleinen Körper, die sich mit quälender Langsamkeit durch sein Gefieder wühlten.

Das war es wohl, was der Commander gemeint hatte. Jetzt ging es also auch bei ihm los.

Das Echsenwesen fuhr herum. »Keine Sorge!«, rief Yael. »Wer du auch bist, ich rette dich und bringe dich in Sicherheit.«

Weil ihm nur noch wenige Sekunden verblieben, breitete er seine Schwingen aus und schoss hinaus auf die Plattform, auf den Fremden zu. Aber der schien davon gar nicht begeistert zu sein. In dem Augenblick, als Yael ihn packen und an sich ziehen wollte, duckte er sich weg.

Dann rappelte er sich schnaufend hoch und wollte sich auf Yael stürzen.

»Ich will dir helfen!«, beteuerte der Narge noch einmal, aber der Fremde hörte nicht zu.

In eindeutig feindlicher Absicht stürmte er zischend auf Yael zu.

Yael wusste nicht, was er tun sollte. Mehr aus Instinkt, denn aus rationalem Denken ließ er einen Avatar erscheinen. Er selbst wollte nur noch fort, von diesem Ort, wo kampfbereite Echsen lauerten und unsichtbare, widerliche Maden. Fort von hier. Zurück nach Hause.

Das Echsenwesen hatte offenbar nicht damit gerechnet und stolperte direkt in den Avatar. Yael folgte ihm. So ging eine Rettung natürlich auch.

Im nächsten Moment befand er sich wieder in vertrautem Terrain in der Kontrollzentrale der RUBIKON. Die Maden waren fort, ebenso wie die Schmerzen, die jene unsichtbaren Klauen ihm zugefügt hatten. Dafür waren seine Freunde wieder da. Der Commander, Scobee und Jarvis.

»Mir geht es gut«, beschwichtigte er alle aufkommenden Sorgen hektisch. »Ich habe jedoch keine Abrogaren gefunden. Nur diesen Fremden. Ich habe ihn gerettet.«

Der Fremde sah leider nicht besonders gerettet aus. Seine Augen wurden groß, er griff sich an die Brust und japste. Ein fremdartiges, zischelndes Gebrabbel drang aus seiner spitzen Schnauze, dann klappte er wie vom Blitz getroffen zusammen.

Yael durchlief ein kalter Schauer, als er begriff, was mit seinem Schützling geschah. »Ich habe ihn umgebracht!«, schrie er seine Erkenntnis heraus. »Bei Maron dem Vernichter, das wollte ich nicht. Helft ihm. Er stirbt!«

Der Commander reagierte am schnellsten. »Sesha«, rief er. »Reanimieren!«

»Positiv.«

Wie aus dem Nichts schossen Spinnenbots heran. Mit maschinellem Geschick rasten sie über den zusammengesunkenen Körper des Echsenwesens hinweg. Mit bangen Gesichtern wartete die gesamte Zentrale der RUBIKON auf das Gelingen des Notexperiments.

Tatsächlich waren die Bots erfolgreich. Das Leben kehrte zurück in den Körper des Sauroiden und er richtete sich mühsam auf.

Doch schon im nächsten Moment wiederholte sich das grausame Schauspiel erneut. Der Fremde griff sich an die Brust und japste hilflos. Dann brach er ein weiteres Mal zusammen.

»Stasebad!«, befahl der Commander. Auch diesen Befehl erfüllten die Bots der KI ohne Umschweife.

Dann wies der Commander die KI an, den Fremden auf die Krankenstation zu bringen, wo sie vorerst seinen Organismus analysieren sollte. »Und von dir erwarte ich einen genauen Bericht«, wandte er sich an Yael.

»Commander«, sagte Sesha in das Gespräch hinein. »Die Auruunen haben die FADEN DER VORSEHUNG erreicht. Das Ringschiff dockt an. Die Abrogaren haben wieder aufgehört, zu senden. Kein Datenempfang mehr.«



»Sesha?«, fragte Winoa in die Stille der Hütte hinein. »Kannst du meine Mom ausfindig machen? Wo hält sie sich auf?«

»Negativ«, antwortete die kühle Stimme der KI. »Die Person Assur ist für meine Systeme unauffindbar.«

»Heißt das, sie befindet sich möglicherweise gar nicht mehr an Bord?«, fuhr Winoa auf.

»Unklar«, sagte die KI.

»Du musst doch wissen, wo sie hingegangen ist?« Winoa wusste, dass es unsinnig und ungerecht war, Sesha zu beschimpfen, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht länger beherrschen. »Wozu soll dann der ganze dumme Hausarrest gut sein?«, schrie sie in die Leere. »Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!«

Nun kamen die Tränen doch. Schluchzend setzte sich der Teenager aufs Bett ihrer Mutter. Die Blumen landeten unbeachtet auf dem Fußboden. »Was soll das alle überhaupt?«

Winoa schlug die Hände vor das Gesicht, warf sich in das nächstbeste Kissen und schluchzte hemmungslos.

Die KI schwieg.



»Vielleicht war es die Luft«, erklärte der junge Narge später in der Krankenstation, nachdem Seshas Bots sichergestellt hatten, dass sein Gesundheitszustand keine verdeckten Schäden genommen hatte. Der Ausflug in die Anomalie war für Yael glücklicherweise folgenlos geblieben.

Er saß noch auf der Untersuchungsliege und blickte zu dem Fremden hinüber, der vorerst in einer Stasiskammer ruhte wie einst Schneewittchen in ihrem gläsernen Sarg. Nur, dass dieser Sarg jede Menge Stasisenergie enthielt, mit der der darin befindliche Körper beständig konserviert wurde. Derweil entnahm Sesha Zellproben zu Testzwecken.

»Ich konnte drüben zwar gut atmen«, fuhr Yael fort. »aber dennoch erschien mir die Luft fremdartig und unheimlich. Als wäre sie mit einer unbekannten Energie durchtränkt, die mit jedem Atemzug durch meinen Körper floss. Vielleicht verdanke ich diesem Umstand die seltsamen Erscheinungen wie Übelkeit oder Halluzinationen.

Cloud legte dir Stirn in Falten. »Warst du überhaupt auf der FADEN DER VORSEHUNG?«

»Ich weiß es nicht.« Die Verunsicherung war Yael deutlich anzumerken. Wie Jarvis machte er sich Vorwürfe, nicht mehr erreicht zu haben. »Ich konnte von der Plattform aus die gestrandeten Schiffe sehen, und dann traf ich auf diesen Sauroiden. Aber alles ging sehr schnell. Ich hatte keine Zeit, mich umzusehen, bevor mich die verstörenden Empfindungen überwältigten.«

»Du hast das gut gemacht«, lobte Cloud. »Niemand macht dir Vorwürfe. Gehen wir davon aus, dass es an Bord der FADEN DER VORSEHUNG weder eine Aussichtsplattform noch einen Sauroiden gab. Also warst du wohl nicht dort.«

»Ich verstehe nicht, warum mein Avatar mich nicht direkt auf das Schiff der Abrogaren geführt hat.« Yaels Flügel zuckten nervös.

»Es mag an den unberechenbaren Gegebenheiten der Anomalie liegen«, mutmaßte Cloud. Der junge Narge tat ihm leid. Auch er hatte viel durchgemacht. Noch vor kurzem hatte die Beeinflussung der Ganf beinahe seine Persönlichkeit zerstört, während die Abrogaren ihn wie einen Heilsbringer verehrt hatten.

Seine beeindruckenden Fähigkeiten machten ihn wertvoll. Und lasteten als schwere Verantwortung auf den schmächtigen Schultern des Jugendlichen. In seiner eigenen Wahrnehmung hatte er dabei versagt, jenen zu helfen, die in ihm ein Symbol der Hoffnung sahen.

»Immerhin hast du diesen Fremden zu uns gebracht«, munterte Cloud den deprimierten Jungen auf. »Vielleicht kann er uns wichtige Informationen bringen, gesetzt den Fall, dass wir einen Weg finden, ihn zu stabilisieren.«

»Sesha, hast du schon herausgefunden, welche Komponente unserer Umwelt dieser Extraterrestrier nicht verträgt?«, erkundigte sich Jarvis. Er war mit auf die Krankenstation gekommen, während Scobee die Stellung in der Zentrale hielt, um das Auruunenschiff im Auge zu behalten.

»Negativ. Führe Untersuchungen an seiner DNA durch, bisher keine Reaktion seiner Zellen auf getestete Stoffe.«

Ergänzend spielte die KI eine Aufstellung der Gesundheitswerte des Sauroiden ein. Jarvis runzelte die Stirn.

Cloud fragte den früheren GenTec, was ihn irritierte. Der rieb sich nachdenklich das Kinn. »Seine Zellstruktur ist ungewöhnlich, um nicht zu sagen, abnorm«, erklärte er zögernd, noch ganz in die Berichte vertieft. »Wenn ich Seshas Testauswertungen richtig verstehe, dann ist ihre Struktur nicht fix, sondern in einem Maße flexibel, dass sie eigentlich zerfallen müssten. Aber sie tun es nicht. Warum das so ist, hat Sesha leider noch nicht herausgefunden.«

»Liegt es womöglich an der Atmosphäre an Bord, dass das passiert? Eine Art Selbstzerstörung? Ein Zerfallsprozess?«

»Ich glaube nicht. Das ist kein Zerfall im Sinne von Alterung oder einem Tumor. Es scheint vielmehr in der Natur dieser Zellen zu liegen.«



Der Zugang zur Krankenstation glitt auf und enthüllte Jiims geflügelte Gestalt. In seinem Blick lag Sorge, die sich in Erleichterung verwandelte, sobald er Yael entdeckte. Offenbar wollte er sich persönlich vergewissern, dass es dem Jungen gut ging.

»Guma Tschonk«, sagte der Narge mit sanftem Vorwurf in der weichen Stimme. »Warum sagst du mir nicht Bescheid, wenn du meinen Jungen von Bord schickst? Wenn Yael etwas zugestoßen wäre, hätte ich mich nicht einmal verabschieden können.«

»Ich fürchte, für einen Abschied blieb diesmal keine Zeit, mein Freund.« Cloud hob entschuldigend die Schultern. »Es war eine Sache von Sekunden.« Mit knappen Worten weihte er Jiim in die sich überschlagenden Ereignisse der vergangenen Stunde ein.

»Und in diesem Augenblick ist ein Ringschiff der Auruunen unterwegs und entert das Schiff der Abrogaren?« Jiims Gefieder sträubte sich. »Das ist eine höchst negative Entwicklung.«

»Du sagst es.«

Wie auf Stichwort meldete Sesha, dass das Auruunenschiff seine Position änderte. Es löste sich von der FADEN DER VORSEHUNG und nahm Kurs auf ein unbekanntes Ziel innerhalb der Anomalie.

Cloud entschuldigte sich bei seinen Freunden und verließ die Krankenstation.

Aber noch bevor er die Zentrale erreicht hatte, war der Auruunenring aus der Ortung verschwunden.

»Hast du etwas beobachten können?«, wandte er sich an Scobee.

Sie schüttelte den Kopf. Sesha hat mir zwar den Vorgang in die Holosäule projiziert, aber Details waren nicht zu erkennen. Keine Kampfhandlungen. Es erweckt ehrlich gesagt den Anschein, dass die Abrogaren sich nicht im geringsten gewehrt haben.«

»Das bedeutet, dass wir nicht wissen, ob sie überhaupt noch am Leben sind«, fasste Cloud die bedrückende Situation zusammen. »Oder ob die Abrogaren sie entführt oder gar abgeschlachtet haben.«

»So sieht‘s aus. Hast du vor, ein weiteres Aufklärungskommando zu schicken?«

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738924565
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
raumschiff rubikon irrfahrt
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Titel: Raumschiff Rubikon 30 Die Irrfahrt der Rubikon