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Raumschiff Rubikon 18 Die gestohlene Residenz

©2018 240 Seiten

Zusammenfassung

Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden …

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfredbooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© Cover: Nach Motiven von Pixabay, Adelind, Steve Mayer

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Raumschiff Rubikon 18 Die gestohlene Residenz

von Marc Tannous


Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden …










Prolog


Er war nicht tot, auch wenn er sie das glauben machen wollte.

War nicht verloschen, wie es für sie den Anschein haben mochte.

Sie, die ihn erst zum Leben erweckt, die seine neue Existenz begründet hatten, als alles verloren schien und Dunkelheit das kalte Feuer in ihm ersetzte.

Hatte er sie wirklich genarrt?

Sie waren schlau, das spürte er.

Sie hofften , dass von ihm keine Gefahr mehr drohte, aber deshalb wiegten sich noch lange nicht in Sicherheit.

Sie suchten nach ihm, durchkämmten jeden Winkel ihres Schiffes, durchstöberten Gänge und Kanäle, in der verzweifelten Hoffnung, einen Anhaltspunkt auf seinen Verbleib zu finden.

Gedankenfetzen … ein Gemenge von Erinnerungen, gespeichert im kollektiven Bewusstsein eines Wesens, das einst viele gewesen war.

Dieses Schiff und seine Besatzung würden bald ihm gehören – auch wenn dies noch jenseits ihrer Vorstellungskraft lag …



1.


Für einen kurzen Moment war Jelto sich sicher, dass er nicht mehr alleine war.

Es war kein Laut, der ihm dieses Gefühl vermittelte, kein fremder Schatten, der über ihn fiel.

Es war mehr wie ein Vibrieren in der Luft. So, als würden Moleküle beiseite rücken, um Platz für etwas zu schaffen, das sich dem bloßen Auge verbarg.

Plötzlich war ihm, als streife ihn ein eisiger Hauch. Er war sich jedoch nicht sicher, ob dies nicht nur auf einer Einbildung beruhte, die seinem letzten Gedanken entsprungen war.

Jelto hob seinen Kopf, sah sich um und sondierte seine Umgebung. Er verzichtete darauf, sich aus seiner knienden Haltung zu erheben oder gar den Schössling vom Planeten der Vilaner, den er in seinen Händen hielt und gerade pflanzen wollte, beiseite zu legen.

Sein Blick wanderte über das Grün der erst seit kurzem entstandenen Vegetation und streifte die Häuser der Angks, die wie zufällig hingewürfelt den Dorfplatz umrahmten.

Irgendwo in der Ferne hörte er Stimmen spielender Kinder, doch ansonsten lag eine gespenstische Stille über dem Dorf, die – hätte er es nicht besser gewusst – den Florenhüter hätte glauben machen können, er sei ganz alleine auf der Welt.

Er musste sich getäuscht haben. Vermutlich war es nur ein Windhauch gewesen, mit der die KI des Rochenraumers, auf der sich Lichtung und Dorf in Wahrheit befanden, die Simulation einer fast grenzenlosen Landschaft umso realistischer erscheinen lassen wollte.

Und dann war das Gefühl auch schon wieder weg, als wäre ein Schalter umgelegt worden.

Jelto schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Werk zu, das er in den letzten Tagen geschaffen hatte – und worum ihn die Bewohner des Angk-Dorfes gebeten hatten.

Die Flora war auf dem besten Wege Gestalt anzunehmen und das in einer beachtlichen Geschwindigkeit. Auf herkömmlichem Wege hätte es Wochen und Monate gedauert, um zu erreichen, wofür Jelto nur Tage gebraucht hatte.

Er wandte sich wieder dem Schössling zu, den er in der rechten Hand hielt, während er ihn mit der Linken abschirmte, als müsse er ihn vor jedem noch so leichtem Windhauch beschützen.

Das Pflänzchen bewegte sich leicht, legte die Blätter an, als wolle er signalisieren, wie geborgen es sich in der Obhut des Florenhüters fühlte. Eine Reaktion, die niemanden überraschte, der um die Konditionierung wusste, die Jelto von seinen einstigen Herren, den Keelon-Mastern, erhalten hatte. Jelto war ein genetisch optimierter Klon, erschaffen alleine zu dem Zweck, sich um die exotische Pflanzenwelt in einem eigens dafür eingerichteten Reservat zu kümmern.

Doch das war lange her. In einer anderen Zeit, in einem anderen Leben …

Langsam ließ Jelto den Schössling in die eigens dafür gegrabene Kuhle gleiten, bedeckte das Loch mit etwas Erde, bis die Pflanze ausreichenden Halt besaß, um auch einem stärkeren Windstoß trotzen zu können.

Der Kontakt mit seinem Element, dem Erdreich, zeigte alsbald die erhoffte Wirkung.

Der Schössling entfaltete sich, breitete seine Blätter aus, um die wärmenden Sonnenstrahlen willkommen zu heißen.

Unter normalen Umständen hätte es Monate gedauert, bis der kleine Wicht die Größe der ihn umgebenden Sträucher erreichte. Unter dem Einfluss von Jeltos besonderer Aura, würde dies innerhalb einer Woche der Fall sein.

»Du hast viel erreicht, in den letzten Tagen. Ich bin beeindruckt.«

Jelto hob abrupt den Kopf, als er die Stimme vernahm. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er die Gestalt nicht bemerkt hatte, die sich ihm unvermittelt genähert hatte. Als er die Augen gegen das grelle Licht der künstlichen Sonne abschirmte, fiel sein Blick auf einen gedrungenen Körper sowie zwei kleine Augen, die aus einem seltsam eigenschaftslosen Gesicht auf ihn schauten.

Sooks.

Jelto seufzte innerlich. Es verging kaum ein Tag, ja kaum eine Stunde, zu der der Angk ihn nicht aufsuchte, ihm Löcher in den Bauch fragte und bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Hilfe anbot.

Eigentlich hätte Jelto dem Angk gegenüber dankbar sein müssen. Schließlich war er es gewesen, der die Idee gehabt hatte, Jeltos Garten zu einer Signalempfangsstation umzufunktionieren, die letztlich zur Entdeckung der Pflanzenzivilisation auf Rof geführt hatte.

Doch genau das war der Knackpunkt. Jelto wünschte sich inzwischen, diese Entdeckung nie gemacht zu haben. Was er auf Rof gesehen und erlebt hatte, verfolgte den sensiblen Florenhüter inzwischen bis in seine Träume. Er fühlte sich, als habe er die Büchse der Pandora geöffnet, als sei in diesem Moment alles Schlechte dieser Welt auf ihn eingeströmt, sodass es ihm kaum noch möglich war, über irgendetwas ungetrübte Freude zu empfinden. Und das, fand er, war Sooks Schuld. Manche Fragen blieben eben besser unbeantwortet.

»Was willst du?«, fragte Jelto – eine Spur zu forsch, wie er im nächsten Moment selbst zugeben musste.

»Ich wollte fragen, ob ich dir zur Hand gehen kann«, fragte Sooks, wenig überraschend.

Dieses Mal nahm Jelto sich von vorneherein vor, seine Antwort nicht zu abweisend klingen zu lassen.

»Wird deine Hilfe nicht an anderer Stelle benötigt?«

Sooks musste wissen, was Jelto damit meinte. Ein Großteil der Angk-Bevölkerung an Bord der RUBIKON war abbeordert worden, um bei der Suche nach jener unheimlichen Kreatur zu helfen, die durch Unachtsamkeit entwischt war.

Wobei der letzte Punkt nicht hundertprozentig geklärt war. Die Kreatur, entstanden aus mehreren fraktalen Leichenfetzen, hatte sich dem Zugriff durch die RUBIKON und ihrer Besatzung entzogen, als sie sich vor ihren Augen buchstäblich in Luft aufgelöst hatte.

Was tatsächlich mit ihr geschehen war, wusste indes keiner. Möglicherweise war dieses Wesen von vorneherein gar nicht überlebensfähig gewesen und tatsächlich vergangen. Schließlich konnte nicht einmal Sesha, die allgegenwärtige Bordinstanz, seinen Aufenthaltsort bestimmen oder auch nur seine weitere Existenz registrieren. Vielleicht war die Sorge wirklich unbegründet, und das Problem hatte sich längst von selbst gelöst.

Womit auch die Mühe der Angks vergebens gewesen wäre.

Andererseits … wenn dieses Ding doch noch am Leben war, hatten sie eine tickende Zeitbombe an Bord. Mit den Fraktalen, jenen von Reuben Cronenberg, dem neuen Herren über eine bizarr veränderte Erde, geschaffenen und nahezu unbezwingbaren Elitesoldaten war – untertrieben ausgedrückt – nicht gut Kirschen essen. Und wozu ein Wesen fähig war, das sich wirr aus mehreren dieser Geschöpfe zusammensetzte, daran wollte der Florenhüter nicht einmal denken.

Aus diesem Grund hatte der Commander sich dazu entschlossen, die Hilfe der Angks in Anspruch zu nehmen. Aufgrund ihrer mentalen Veranlagung, ihrer Fähigkeit, ihren Geist mit dem Schiffes auf eine Art und Weise zu verschmelzen, wie es nicht einmal Cloud selbst vergönnt war, waren sie für die Jagd auf dieses Geschöpf geradezu prädestiniert.

Und das war eben auch der Grund, weshalb es so ruhig war im Dorf. Die meisten seiner Bewohner hatten sich in einen tranceähnlichen Zustand versetzt, drangen mit ihren geistigen Fühler in jeden noch so abgelegenen Bereich des Schiffes vor und forschten nach jeder Art von Leben, das nicht als offizielles Besatzungsmitglied registriert war.

Sooks schüttelte auf Jeltos Frage hin eifrig den Kopf. »Ich konnte meine Freunde davon überzeugen, dass ich hier an deiner Seite von weitaus größerem Nutzen sein kann. Schließlich hat unsere letzte gemeinsame Mission beachtliche Früchte getragen.«

Ein grimmiger Ausdruck schlich sich auf Jeltos Gesicht. Ein Ausdruck, wie man ihn selten in den meist gütig dreinblickenden Augen des Florenhüters sah. Aufgrund seiner Prädisposition war er nicht nur ein Meister im Umgang mit pflanzlichem Leben aller Art, sondern darüber hinaus ein gebürtiger Empath, der sich in die Lage fast jedes Lebewesens versetzen konnte und deshalb jedem zunächst einmal wohlwollend gegenübertrat.

Bei Sooks verhielt es sich anders. Von ihm fühlte er sich mehr und mehr … genervt.

Sicher, ihm war klar, dass der es, bei allem was er tat, nur gut meinte. Er wollte helfen, wollte sich nützlich machen, sich in die Gesellschaft einbringen, und doch rief er bei Jelto in zunehmendem Maße ein Gefühl der Ablehnung hervor.

Jelto atmete tief durch, wollte Sooks gerade eröffnen, dass seine Hilfe nicht erwünscht war, als sich eine wesentlich mildere Stimme in ihm zu Wort meldete. Eine Stimme, die ihn daran erinnerte, dass Sooks ihm nicht bewusst Schaden zugefügt hatte. Dass all die schlimmen Dinge, die er im Zuge seiner Experimente erlebt und erfahren hatte, und die er mehr oder weniger unbewusst in den Angk hineinprojizierte, nicht unmittelbar von ihm zu verantworten waren.

Lass ihn dir doch zur Hand gehen , sagte diese Stimme. Was kann es denn schaden ?

Jelto wollte gerade einlenken, als er mit einem Mal stutzte.

Plötzlich erinnerte er sich daran, dass er eine ähnliche Situation schon einmal erlebt hatte. Auch da hatte Jelto auf eine Bitte von Sooks erst abweisend reagiert – und sich dann, von einem Moment auf den anderen, eines Besseren besonnen. Schon da hatte er sich gefragt, ob diese Stimme der Besonnenheit wirklich seinem eigenen Denken entsprang oder ihm von außen eingepflanzt worden war.

Jelto wusste ja, dass die Angks über ein beeindruckendes Maß psionischer oder metaphysischer Fähigkeiten verfügten. Die Kraft der mentalen Suggestion war für diese Wesen vermutlich nicht mehr als eine Fingerübung. Ließ er sich also von Sooks plumper Vertraulichkeit, seiner fast schon kindlich-naiven Art blenden, sodass er gar nicht merkte, wie dieser ihm seinen Willen aufzwang?

Jelto räusperte sich, schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, beherbergten sie wieder jenen Ausdruck von Unnachgiebigkeit und Härte, der ihm einen Moment lang abhanden gekommen war.

»Ihr habt mich gebeten für die Begrünung eures Dorfes zu sorgen, weil euch meine Fähigkeiten und Methoden unbekannt sind. Wenn ich Hilfe benötigen würde, hätte ich längst darum ersucht. Geh jetzt zurück zu deinesgleichen und steh mir nicht länger im Weg rum!«

Das hatte gesessen.

Die Worte waren angekommen, daran bestand kein Zweifel. Sooks senkte enttäuscht den Blick, hauchte ein Wort der Entschuldigung, dann drehte er sich um und schlich den Weg zurück, den er gekommen war.

Einen Moment lang hatte Jelto erneut so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Doch dann schob er auch diesen Zweifel beiseite. Es gab einfach Menschen, und das schloss selbstverständlich die Angks mit ein, bei denen man mit sanften Andeutungen nicht viel erreichte. Sooks war so ein Fall. Wenn man ihm nicht klare Schranken setzte, bekam man ihn nicht mehr los.

Jelto verharrte in regungsloser Haltung, bis Sooks gegangen war, dann erst wandte er sich wieder dem Schössling zu seinen Füssen zu. Er streckte seine Hand danach aus, legte sie schützend über ihn, schloss die Augen und aktivierte seine Aura neu.

Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf seine Lippen. So schwach und zerbrechlich der Setzling auch aussah, war er doch stark und strotzte so vor Lebensenergie, dass Jelto seine Einflussnahme auf das Wesentliche beschränken konnte. Der Florenhüter war zuversichtlich, dass der Baum, der daraus erwachsen würde, ihn schon in wenigen Monaten überragen und seine Schatten spendenden Wipfel über die Lichtung ausbreiten würde.

Für heute, beschloss er, hatte er genug getan. Es war Zeit, sich zu den anderen Besatzungsmitgliedern zu gesellen und sich über den Stand der Dinge zu informieren. Obwohl Jelto für ein schlichtes Leben in der Natur geschaffen war, nahm er in letzter Zeit wieder mehr und mehr Anteil an den Problemen außerhalb seines kleinen Reiches – auch dies sicherlich eine Folge seiner jüngsten Erlebnisse.

Er erhob sich, wandte sich um und wollte gerade zurück zum Dorf gehen, als er in der Bewegung verharrte. Da war es wieder, das Gefühl, aus der Deckung heraus beobachtet zu werden!

Das Herz des Florenhüters schlug schneller. Diesmal war es keine Einbildung, das spürte er.

Etwas war bei ihm, lauerte in unmittelbarer Nähe. Etwas, das nicht hierher gehörte, das nicht Teil dieser Lichtung, nicht einmal Teil der RUBIKON war.

Jeltos Blick streifte Büsche, Sträucher und Gewächse, die er in den letzten Tagen gepflanzt hatte.

Jede Menge Verstecke …, durchfuhr es ihn, ohne genau zu wissen, wovor er sich auf einmal dermaßen fürchtete.

Jeltos Herzschlag beschleunigte sich.

Den Blick noch immer zurückgewandt, setzte er sich in Bewegung – als etwas ihn aufhielt, ihn stolpern ließ und er hart zu Boden stürzte.

Stechender Schmerz zuckte von seinem Steiß ausgehend durch seine Wirbelsäule.

Sein Fuß hatte sich in etwas verfangen. Vermutlich einem Pflanzenstrang.

Wie recht er damit hatte, wurde ihm klar, als er plötzlich wie von der Hand eines Riesen in die Höhe gewuchtet wurde.

Kopfüber in der Luft hängend richtete Jelto seinen Blick auf den Strang, der sich um seinen Knöchel gewickelt, ihn dann in die Höhe gehievt hatte und nun knapp drei Meter über dem Boden baumeln ließ.

Jelto stöhnte auf.

Die Pflanze !, durchzuckte es ihn siedend heiß. Sie richtet sich gegen mich . Weshalb? Was habe ich getan ?

Jelto kam nicht mehr dazu, den verblüffenden Vorgang zu analysieren.

Er bemerkte eine schnelle Bewegung, nur wenige Meter entfernt. Wieder hatte er das Gefühl, die Luft würde vor seinen Augen vibrieren, als würde etwas die Moleküle verdrängen. Und noch schlimmer: Dieses Etwas bewegte sich direkt auf ihn zu!

Noch im selben Moment, indem er das realisierte, fühlte Jelto sich ruckartig herumgerissen.

Himmel und Erde vertauschten erneut die Plätze, und ein Schwindelgefühl erfasste den Florenhüter, als der Pflanzenstrang ihn wie eine Gliederpuppe durch die Luft wirbelte.

Obwohl Jelto die Augen am liebsten geschlossen hätte, riss er sie fast zwanghaft auf. Sein Blick fiel dabei auf den Erdboden, der ihm entgegenraste. Jelto kam sich vor wie ein Fallschirmspringer im freien Fall, wohl wissend, dass er auf den Luxus eines ihn sanft zu Boden tragenden Schirms würde verzichten müssen.

Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, stoppte der Fall auch schon, sodass Jelto erneut zwischen Himmel und Erde hängen blieb – um dann sanft wie ein Blatt im Wind abwärts getragen zu werden.

Er hätte am liebsten den Boden geküsst, als er das Erdreich unter sich spürte. Allein, er kam nicht mehr dazu.

Ein Schatten legte sich über ihn, verdunkelte die Sonne und machte ihn frösteln. Er wollte sich gerade umdrehen, als es ihn auch schon erreicht hatte.

Jelto schloss die Augen. Er musste nichts sehen, um zu wissen, was da buchstäblich wie eine Naturgewalt über ihn hereinbrach. Er spürte die Äste und Zweige, die durch seine Kleidung stachen, die Blätter, die ihn bedeckten und Wurzelstränge, die in ihn Sekundenschnelle wie in einen Kokon hüllten.

Warum tut ihr das ?, rief Jelto in Gedanken aus, in der Hoffnung, zu ihnen vorzudringen. Ich habe euch das Leben geschenkt – und ihr …?

Nun geschah alles ganz schnell.

Dunkelheit legte sich innerhalb weniger Sekunden über ihn, umhüllte ihn und ließ keine Stelle seines Körper frei.

Und dann, ganz plötzlich, kehrte Ruhe ein.

Auf einmal war alles still, als habe sich ein gewaltiger Sturm gelegt, um ihn in seinem Elend allein zu lassen.

Jelto versuchte, den Kopf zu heben, doch es misslang. Und da verstand er, dass sie ihn mit ihrem Geäst und mit ihrem Blattwerk tatsächlich zur Gänze eingehüllt hatten.

Ich bin lebendig begraben , dachte Jelto mit einer Mischung aus Entsetzen und Unverständnis. Besiegt von meinen eigenen Kindern? Warum …?

Wieder schloss er die Augen, tastete zögernd nach ihrer Aura, erfüllt von Angst vor dem, was er darin finden mochte. Dann war der Kontakt hergestellt. Mit seinen mentalen Sinnen lauschte Jelto in das ihn umgebene Blattwerk hinein.

Und er verstand.


Sie hatten sich in der Zentrale versammelt.

Commander John Cloud; Jarvis, der Mann mit dem unverwüstlichen Nanokörper; Scobee, die GenTec und neben Jarvis Clouds langjährigste Gefährtin; Aylea, die sie vor langer Zeit im Pekinger Ghetto aufgelesen hatten, und deren wacher Geist – Jarvis hätte altkluges Gehabe dazu gesagt – sowie ihr herausragender Intellekt ihr Alter von gerade mal zwölf Jahren eindrucksvoll relativierten; Algorian, der spindeldürre Aorii, dem man auf den ersten Blick wenig zutraute, dessen telepathischen Fähigkeiten ihn aber zu einem unersetzbaren Gefährten machten; und zuguterletzt Cy, das zierliche Pflanzenwesen, lebender Beweis für die vielseitigen Ausprägungen, die intelligentes Leben annehmen konnte.

Zwei Mitglieder der »Kernbesatzung« fehlten: der Narge Jiim und Jelto, der genoptimierte Pflanzenhüter. Keiner der anderen nahm den beiden ihre Abwesenheit übel. Alle wussten um die Aufgaben, die sie zu erfüllen hatten.

Der Rest hatte sich versammelt, um sich zu beraten.

Zu besprechen gab es viel, seit den jüngsten Ereignissen, die zur Entdeckung der treymorschen Brutschiffe geführt hatten – und zur Erkenntnis, dass diese den Plan verfolgten, eine Vielzahl von bewohnten Planeten der Milchstraße unter ihre Knute zu zwingen und zur Aufzucht ihrer Brut zu verdammen.

Aylea, Algorian und Cy hatten in den Sarkophagsitzen Platz genommen, John, Scobee und Jarvis hatten sich vor ihnen aufgebaut, um jene Neuigkeiten zu verkünden, sie sich in den letzten Stunden ergeben hatten.

»Der Unterlichtantrieb der treymorschen Diskusschiffe weist eine charakteristische Emission auf, die sich nachverfolgen lässt. Und genau das«, beendete John seinen knappen Exkurs, »haben wir getan.«

»Ja, und weiter?«, beschwerte sich Aylea in die Sekunden andauernde Stille hinein – womit sie sich einen tadelnden Blick ihres Kommandanten einhandelte, sowie einen bissigen Kommentar von Jarvis.

»Die heutige Jugend … Kein Sinn mehr für kunstvoll gesetzte, dramatische Pausen.«

Schnell ergriff Scobee das Wort, bevor sich die beiden noch in einem ihrer von allen anderen Bordmitgliedern gefürchteten Wortgefechte verloren.

»Um es kurz zu machen: Sesha hat einen Radius von rund 500 Lichtjahren gescannt und dabei tatsächlich Spuren entdeckt, die auf weitere Brutschiffe hindeuten. Einige davon müssen ihre Ziele bereits erreicht haben.«

Wieder breitete sich Stille unter den Anwesenden aus – und dieses Mal verharrte auch Aylea in stummer Andacht.

Sie alle hatten in der letzten Zeit genug gesehen und gehört, um zu wissen, was diese Neuigkeit zu bedeuten hatte. Wo die Treymor auftauchten, hinterließen sie nichts als verbrannte Erde. Dies war spätestens auf Rof, dem Planeten, den Algorian im Andenken an seinen verstorbenen Hassbruder so hatte dürfen, deutlich geworden.

»Worauf warten wir dann noch?«, meldete sich erneut Aylea zu Wort. »Wir müssen irgendetwas unternehmen!«

John Cloud räusperte sich, während er und Scobee sich einen knappen Seitenblick zuwarfen.

»Ich glaube nicht«, meinte er dann vorsichtig, »dass wir für die Welten, die bereits infiziert sind, noch sonderlich viel ausrichten können. Unsere Macht ist begrenzt, dieser Wahrheit müssen wir uns einfach mal stellen.«

»Das heißt«, versetzte Aylea empört, »ihr wollt das Vorgehen dieses … dieses Ungeziefers einfach ignorieren? Dabei zusehen, wie es seinen Siegeszug fortsetzt und ein Volk nach dem anderen auslöscht?«

»Keineswegs«, wies Cloud den Vorwurf zurück. »In der Tat halten wir es für sinnvoll, Kurs auf die Koordinaten zu nehmen, bei denen wir eines der Ziele der Brutschiffe vermuten. Wir werden allerdings nicht unmittelbar eingreifen. Wir werden beobachten, versuchen, mehr über unsere Gegner in Erfahrung zu bringen und eventuelle Schwachstellen ausloten. Für die Ureinwohner der betroffenen Welten können wir nichts tun, aber wir können versuchen, die weitere Ausbreitung der Käferartigen zu verhindern. Die Treymor sind eine Bedrohung für die gesamte Galaxie. Vielleicht gelingt es uns, Allianzen zu schmieden, Informationen zu sammeln und dies gegen die Käferartigen einzusetzen.«

Cloud hielt inne, sah in die Runde und wusste sofort, dass sein Vorschlag auch bei den anderen Besatzungsmitgliedern auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde. Er kannte seine Gefährten lange genug, hatte genügend Abenteuer und Gefahren mit ihnen überstanden, um ihre nonverbalen Reaktionen deuten zu können.

Algorian setzte an, um noch etwas zu sagen – als plötzlich eine Gestalt durch das Türschott der Zentrale hereinstürmte.

Cloud dachte zunächst an Jiim, der es sich möglicherweise doch nicht nehmen lassen wollte, der Konferenz beizuwohnen, doch als er sich umdrehte, fiel sein Blick auf einen Mann, den er am wenigsten auf der Rechnung gehabt hatte.

Es war einer der Angks, der keuchend und abgehetzt knapp hinter der Türschwelle zum Stehen kam und mit flackerndem Blick in die Runde sah.

Sooks war sein Name. Cloud und die anderen kannten ihn gut, seit er gemeinsam mit Jelto die Sende- und Empfangsanlage gebaut hatte, die zur Entdeckung des einst von pilzartigen Pflanzenwesen bevölkerten – und von den Treymor zu einem Brutplaneten umfunktionierten – Planeten Rof geführt hatte.

»Etwas … Entsetzliches … ist passiert«, stieß der unscheinbare Angk zwischen hektischen Atemstößen aus.

Cloud und die anderen tauschten knappe, verwunderte Blicke. Jeder schien zu ahnen, was Sooks plötzliches Auftauchen zu bedeuten hatte. Bestimmt hatte es etwas mit dem flüchtigen Fraktalengeschöpf zu tun, das nach seinem spurlosen Verschwinden möglicherweise noch immer an Bord herumgeisterte und Gott weiß was im Schilde führte. Immerhin war es Cloud selbst gewesen, der den Angks die Suche nach dem bizarren Geschöpf aufgetragen hatte.

»Atme doch erst einmal durch«, empfahl er Sooks schließlich, der noch immer um Luft rang und sich offenbar nicht entscheiden konnte, ob er diese vorrangig der eigenen Sauerstoffversorgung oder der Formulierung verständlicher Worte zuführen wollte.

Sooks nickte, folgte dem Vorschlag des Commanders, setzte dann erneut an.

Was er sagte, überraschte jeden der Anwesenden, denn damit hatte keiner gerechnet.

»Es ist Jelto!«, schnappte Sooks. Und, hörbar von seinen eigenen Worten bewegt, fügte er hinzu: »Ich glaube … . er ist tot …«


»Hier ist es!«, erklärte Sooks mit bebender Stimme, während er auf den Wust der Pflanzenstränge deutete, die sich wie eine bizarre Skulptur aus der von Jelto eigenhändig angelegten Vegetation erhoben und dabei grob menschenähnliche Umrisse andeuteten.

Es sieht tatsächlich aus wie ein Grab , ging es John durch den Kopf, begleitet von einem unangenehmen Schauder.

Noch während er sie ins Dorf geführt hatte, hatte Sooks erklärt, was er beobachtet hatte.

Nachdem Jelto sein Hilfsangebot abgelehnt hatte, war er zunächst schmollend zurück ins Dorf getrottet, hatte dort hin und her überlegt und dann doch einen Grund gefunden, warum Jelto auf gar keinen Fall auf seine Hilfe verzichten konnte.

Er war sofort zurück zur Lichtung geeilt. Und dort, aus einer Entfernung von rund zweihundert Metern, hatte er den unheimlichen Vorgang beobachtet.

John Cloud musste einige Male nachfragen, ehe er den wirren Worten des Angks einen Sinn entnehmen konnte, aber es war wohl so gewesen, dass mehrere der von Jelto gehüteten Pflanzen aus heiterem Himmel eine Attacke auf den Florenhüter gestartet hatten.

Wenn Sooks nicht übertrieb und seine Fantasie nicht mit ihm durchging, dann war Jelto zunächst von einem frei liegenden Wurzelstrang gepackt, in die Höhe geschleudert und rund zwanzig Meter weiter zu Boden geworfen worden. Als wäre das noch nicht absurd genug gewesen, war danach die eigentliche Attacke erfolgt. Diese wiederum hatte Sooks in solch ausschweifenden Worten beschrieben, dass Cloud es sich plastisch vorstellen konnte. Anscheinend hatten sich mehrere Äste, Zweige und Pflanzenstränge der Umgebung blitzschnell in Bewegung gesetzt, sich auf den am Boden liegenden Florenhüter gestürzt und diesen in Sekundenschnelle wie einen Kokon eingehüllt.

»Was ist nur in sie gefahren?«, hatte Sooks auf dem Weg ins Dorf immer wieder geseufzt.

Und obwohl er der den seltsamen Pflanzenkokon bisher als Einziger gesehen hatte, schien ihn sein erneuter Anblick am meisten zu schockieren. Vielleicht, weil es den anderen, zuhilfe geilten Besatzungsmitgliedern schwerer fiel, sich vorzustellen, dass es tatsächlich ihr Freund und Gefährte Jelto war, der unter dem undurchdringlich erscheinenden Dickicht lag.

Cloud und Scobee tauschten einen ratlosen Blick, während Aylea ein ungläubiges Keuchen ausstieß.

»Jelto?« Den Namen des Freundes rufend, warf sie sich vor der bizarren Pflanzenskulptur auf die Knie. Erst sah es so aus, als wolle sie sich mit bloßen Fingern einen Weg durch das Geäst bahnen. Doch dann besann sie sich eines Besseren, drehte sich um und musterte Jarvis mit einem flehenden Blick.

»Du musst etwas unternehmen. Wenn er wirklich da drunter ist, hat er wahrscheinlich nicht mehr viel Sauerstoff.«

Wenn er überhaupt noch lebt , fügte Cloud stumm hinzu, biss sich jedoch im selben Moment auf die Zunge. Dabei war der Gedanke durchaus berechtigt. Nach allem, was Sooks erzählt hatte, war Jelto von der Vegetation regelrecht attackiert worden. Und welchen Zweck hätte die außer Kontrolle geratene Natur damit verfolgen sollen, wenn nicht den, Jelto zu töten?

Jarvis zögerte noch, unschlüssig, wie er dieses abstruse Phänomen einordnen sollte.

»Was, denkst du, ist hier passiert?«

»Ich habe keine Ahnung«, entgegnete Cloud, ohne den Blick von dem Pflanzengrab zu nehmen, und wandte sich dann übergangslos an Sooks.

»Was, zur Hölle, hat Jelto hier nur gemacht?«

Sooks zuckte mit den Achseln und sah dabei so elend aus, als habe er selbst Jeltos Malheur zu verantworten.

»Jelto hat mir keine Einblicke in seine Arbeit gegeben. Ich habe ihm immer wieder meine Hilfe angeboten, aber er hat nur abgelehnt.«

Cloud runzelte die Stirn. Der Florenhüter hatte lebenslange Erfahrung im Umgang und der Aufzucht selbst exotischster, ja sogar potenziell gefährlicher Pflanzen. Oft unbeholfen in der Kommunikation mit seinen eigenen Artgenossen, hatte er stets den Eindruck vermittelt, dass er genau wusste, was er tat, wenn es um seine grünen Freunde ging. Cloud hatte ihm gar einen eigenen Bereich an Bord der RUBIKON überlassen, an dem er nach eigenem Gutdünken schalten und walten konnte. Jelto hatte einen hydroponischen Garten darin errichtet, in dem er nach Herzenslust experimentieren konnte. Nie zuvor war es zu einem derartigen Missgeschick gekommen.

Hatte er dieses Mal den Bogen überspannt? Hatte ihn seine Arbeit zu irgendwelchen gefährlichen Experimenten verleitet?

Sie würden es nie erfahren, wenn es ihnen nicht gelang, den Pechvogel aus seiner misslichen Lage zu befreien.

Cloud drehte sich um und wandte sich direkt an Jarvis.

»Könntest du versuchen, die Pflanzendecke zu durchstoßen? So, dass du Jelto nicht Gefahr bringst?«

»Unter normalen Umständen schon«, gab der ehemalige GenTec zurück, während er das wuchernde Dickicht misstrauisch beäugte. »Dieses Gemüse hier scheint mir allerdings alles andere als normal zu sein …«

Cloud ahnte, worin Jarvis Sorge bestand. Wenn er versuchte, sich gewaltsam Zugang zu verschaffen, konnten die Pflanzen dies als Aggression werten und sich ebenso gewaltsam zur Wehr setzen. Gegen Jarvis, gegen Cloud und gegen alle anderen, vielleicht aber auch gegen Jelto, der wenn er noch lebte, der Gewalt des Dickichts schutzlos ausgeliefert war.

»Versuchen müssen wir`s«, beschied Scobee, die diesem Phänomen ebenso ratlos gegenüberstand wie ihre Gefährten. »Wir können ihn ja schlecht da drin lassen.«

»Nee, geht gar nicht«, stimmte Jarvis flapsig zu. »Wenn`s unsere Miss Vorlaut wäre, würde ich’s mir noch mal überlegen, aber Jelto brauchen wir noch …«

»Idiot!«, zischte Aylea ihm zu, und auch John signalisierte mit einem Stirnrunzeln, dass er diese Bemerkung als überflüssig betrachtete. Dann wandte er sich an Algorian.

»Kannst du versuchen, telepathisch Kontakt zu ihm aufzunehmen? Herauszufinden, ob er noch lebt?«

»Genau das versuche ich seit unserer Ankunft«, versetzte der Aorii, der in den letzten Minuten verdächtig still geworden war.

»Und?«, fragte Aylea ungeduldig.

Algorian atmete tief durch, zuckte dann die kantigen Schultern in einer Geste, die er sich bei den menschlichen Besatzungsmitgliedern abgeschaut hatte.

»Nichts … Entweder, seine Gehirnströme werden von diesem Pflanzenkokon abgeschirmt, oder …«

Oder, sein Gehirn hat seine Funktion bereits eingestellt , beendete Cloud in Gedanken den Satz.

Erneut wandte er sich an Jarvis.

»Wie`s scheint, haben wir wenig zu verlieren.«

»Na gut, packen wir`s an.«

Jarvis war gerade dabei, seine Extremitäten zu messerscharfen Häckselgeräten auszubilden, als es geschah. Als würde der bloße Anblick der Schneidwerkzeuge ausreichen, um das Pflanzendickicht in Angst und Schrecken zu versetzen, zog es sich augenblicklich von ganz alleine zurück. Schnell, aber ohne besondere Eile, löste sich ein Strang nach dem anderen aus dem Verbund, kroch über den Boden und zog sich in seine ursprüngliche Position zurück.

»Was geht denn jetzt ab?«, zischte Aylea ungläubig, während die anderen das seltsame Treiben mit stummer Verwunderung beobachteten.

Minuten vergingen, bis sich das Dickicht vollständig entfernt hatte, und jenen leblosen Körper freigab, das es bis eben verborgen hatte.

Sooks hatte nicht gelogen. Es war tatsächlich Jelto, der bäuchlings vor ihnen lag, die Augen geschlossen hatte und durch nichts zu erkennen gab, dass er noch lebte.

Während die anderen sich vorsichtig näherten, gab es für Aylea kein Halten mehr. Den Namen des Freundes rufend, sank sie vor ihm zu Boden, legte ihr Ohr an seinen Körper, um seinen Puls zu überprüfen.

Sekundenlang verharrte sie in dieser Position, dann erhob sie sich wieder und wandte sich mit tränenfeuchten Augen den anderen zu.

»Er ist tot …«

»O nein …!«, rief Sooks erschrocken aus. »Ich hab’s doch gesagt! Ich hab’s gesagt!«

Cloud und Scobee stürzten gleichzeitig zu Jelto, ließen sich neben Aylea nieder, um ihre Diagnose zu überprüfen – als plötzlich ein Schütteln durch den Körper des Florenhüters ging, dicht gefolgt von einem krächzenden Husten, mit dem er schließlich den Kopf hob, um sich kurz darauf umständlich auf den Rücken zu drehen.

»Was ist denn hier los?«, fragte Jelto, als er die Blicke der anderen sah. »Ist jemand gestorben?«

»Jelto!« Da hatte sich Aylea auch schon auf ihn geworfen – ungeachtet eventueller Rippenbrüche oder Verstauchungen, die er sich bei seinem unfreiwilligen Sturz und der anschließenden Attacke zugezogen haben mochte.

»Hey, hey …!«, rief Jelto halb erfreut, halb verdutzt, als Ayleas Gewicht ihn zurück auf den Boden drückte. »Ich glaube, ich muss mich öfter mal rar machen.«

»Was ist denn nur passiert?«, fragte Scobee, nachdem Ayleas Wiedersehensfreude so weit abgeklungen war, dass Jelto wieder halbwegs frei atmen konnte.

In knappen Worten schilderte er, was ihm widerfahren war. Seine Erzählung deckte sich größtenteils mit der von Sooks, der seine Worte mit zustimmendem Nicken begleitete.

»Und du hast keine Ahnung, was in sie gefahren ist?«, fragte Cloud, nachdem Jelto geendet hatte.

»Zunächst nicht«, erwiderte Jelto. »Auch auf mich hat es erst mal so gewirkt, als würden sich die Pflanzen gegen mich wenden. Mich hat das sofort irritiert, weil ich keinerlei Aggression in ihrer Aura wahrgenommen habe. Dann, während sie mich umhüllten, erinnerte ich mich an das, was ich kurz vor der Attacke gesehen hatte.«

»Du meinst, dieses Flimmern in der Luft, das du zu Beginn deiner Ausführungen kurz erwähntest?«, fragte Algorian.

»Ganz genau. Erst glaubte ich, dass mir meine Sinne einen Streich spielten. Immerhin habe ich heute ziemlich lange gearbeitet, war mental etwas ausgelaugt … Nun ja … Aber als ich dalag und mich dieser Pflanzenteppich fast vollständig umhüllt hatte, da habe ich noch mal kurz aufgeblickt. Durch eine Lücke im Blattwerk habe ich es dann gesehen. Ich habe mich nicht getäuscht. Etwas hat sich mir unsichtbar genähert. Wahrscheinlich hat es mich schon eine ganze Weile beobachtet und dann beschlossen, zuzuschlagen. Wenn mich dieser provisorisch errichtete Schutzpanzer nicht vor seinem Zugriff bewahrt hätte, dann …«

»Du meinst«, fragte Scobee verwundert, »Sinn der Pflanzenattacke war es, dich vor etwas anderem zu beschützen …?«

»Genau das will ich damit sagen. Ich weiß nicht, ob die Pflanzen aus eigenem Antrieb heraus gehandelt haben. Möglicherweise war es mein Einfluss, mein Instinkt, der die Gefahr witterte, bevor mein Verstand sie wahrnehmen konnte – und sich dann der Vegetation bedient hat, um mich zu beschützen.«

»Was war es denn nun, was du gesehen hast?«, fragte Aylea ungeduldig.

Jelto wollte zu einer Antwort ansetzen, als Cloud ihm bereits zuvor kam.

»Es war der Fraktale …«

Die anderen starrten ihn fassungslos an, doch Cloud ignorierte sie und hielt Blickkontakt mit dem Florenhüter. »Richtig …?«

Jelto öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt dann inne und nickte lediglich.

Cloud schloss kurz die Augen.

»Ich wusste es. Wir haben also einen Feind an Bord. Und wie es aussieht«, fügte er grimmig hinzu, »hat er den Waffenstillstand nunmehr aufgekündigt …«


2.

Commander John Cloud dachte noch lange über seine letzten Worte auch.

Auch dann, als er der RUBIKON den Befehl gab, die von der KI georteten Zielkoordinaten des Diskusraumers anzusteuern.

Und selbst dann noch, als er am Abend in Assurs Bett lag, eng an sie geschmiegt, und ihre Haare ihn in der Nase kitzelten.

Es dauerte nicht lange, bis die Angk seine Abwesenheit bemerkte. Sie erhob sich, ließ das Laken von ihren nackten Schultern gleiten und sah ihn besorgt an.

»Was ist los mit dir? Wo bist du gerade?«

»Wieso, ich bin doch schon die ganze Zeit hier bei dir.«

Cloud zwang ein Lächeln in sein Gesicht, musste sich jedoch eingestehen, dass ihm diese Mimik fast schon Schmerzen bereitete und auf seine Gefährtin alles andere als glaubhaft wirken konnte.

»Dir lastet doch irgendetwas auf der Seele. Gib dir keine Mühe! Ich kenne dich inzwischen gut genug, als dass du etwas vor mir verbergen könntest.«

Cloud atmete tief durch. Er, Scobee und die anderen Mitglieder der Kernbesatzung hatten beschlossen, den anderen zunächst nichts von Jeltos unheimlicher Begegnung zu erzählen. Sie sahen vorerst keinen Sinn darin, die Pferde scheu zu machen, zumal der angkstämmige Teil der Bordbesatzung ohnehin bereits in Alarmbereitschaft versetzt war. Wenn sich die Bestie wirklich im Dorf der Angks aufgehalten hatte – wofür der letzte Beweis längst nicht erbracht war – hatte sie sich höchstwahrscheinlich ohnehin wieder aus dem Staub gemacht, sich vermutlich in weit entfernte Teile des Schiffes zurückgezogen.

»Ist es wegen den Treymor? Du hast Angst vor dem, was uns an unserem Zielort erwartet, nicht wahr?«

Cloud überlegte kurz.

»Ja«, sagte er dann mit belegter Stimme.

Die Antwort schien Assur zufrieden zu stellen. Nickend ließ sie sich zurück in die Laken sinken, schwang ihre Arme um den Gefährten und drückte sich an ihn.

»Wir leben in einer kalten und grausamen Zeit«, sagte sie dann leise, als würde es ihr gerade erst selbst so richtig bewusst werden. »Die Mächtigen setzen ihre Interessen rücksichtslos durch. Alleine, weil sie es können und sich ihnen niemand in den Weg stellt.«

»Das«, meinte Cloud trocken, »war schon immer so. Was die gegenwärtige Situation von vergleichbaren in der Vergangenheit unterscheidet, sind die Ausmaße, in denen dieses geschieht. Die Treymor sind ausgesprochen stark …«

wenn auch hoffentlich nicht unbesiegbar , fügte Cloud in Gedanken hinzu.

Unwillkürlich kam ihm Cronenbergs Armee in den Sinn, die mehrere der Treymor-Schiffe gekapert hatte und nun für ihre Zwecke nutzte. Glücklich war Cloud darüber allerdings nicht.

Nur noch eine weitere Partei im Kampf um die Vorherrschaft in diesem Abschnitt des Universums.

Dieser Krieg wird an mehreren Fronten geführt, und wir befinden uns mittendrin.

Der Gedanke an Cronenberg und seine Machtspielchen brachte ihn zurück zu den Fraktalen und von dort aus wieder zu dem Monstrum, das sie durch ihre eigene Unachtsamkeit erst erschaffen hatten. Damit schloss sich der Kreis.

Cloud lächelte, und diesmal musste er sich nicht dazu zwingen. Das Gespräch mit Assur hatte Ordnung in seine sich überschlagenden Gedanken gebracht. Seine Stimmung war deshalb nicht besser, aber zumindest fühlte er sich nun weniger aufgewühlt als noch zuvor.

Wortlos erwiderte er Assurs Liebkosungen. Kurz darauf versanken sie in einem Taumel, der ihn für kurze Zeit all die Probleme, die sich vor ihm auftürmten, vergessen ließ.


Der Flug zu den Zielkoordinaten gestaltete sich dermaßen ereignislos, dass Cloud sich fast wünschte, es käme endlich zu einer alles entscheidenden Konfrontation mit dem fraktalen Biest – ganz gleich, wie diese auch ausgehen mochte. Das Wissen um eine Bedrohung, die sich verbarg, die im Hintergrund lauerte, zerrte an den Nerven und zehrte an der Stimmung.

Die Angks hatten auf seinen Wunsch hin die Suche nach der Bestie ausgeweitet, obwohl Cloud ihnen noch immer nichts von Jeltos Begegnung erzählte.

Algorian, bemühte sich, ihnen mit seinen telepathischen Fähigkeiten behilflich zu sein. Aber was konnte ein einzelner Aorii schon ausrichten, wie er selbst immer wieder betonte.

Jelto hatte sich trotz allem rasch wieder der Begrünung des Angk-Dorfes zugewandt – dieses Mal jedoch, und auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin, in der Gesellschaft von Sooks, der wissbegierig jeden Handgriff seines Lehrmeisters studierte.

Doch auch Jelto war rasch zur Stelle, als der Commander die Kernbesatzung der RUBIKON in die Zentrale rief, um sie von ihrer Ankunft bei den Zielkoordinaten zu informieren.

Alle waren auf das Schlimmste gefasst.

Die Angst vor dem, was sie dort vorfinden mochten, stand ihnen ins Gesicht geschrieben, als Cloud verkündete: »Wir haben unser Ziel erreicht.«

»Und?«, fragte Jiim in die folgende Stille hinein. »Was befindet sich nun bei den abgemessenen Koordinaten, dem Ziel der Diskusschiffe?«

Clouds warf noch einen ausgiebigen Blick in die Runde, bevor er eine Antwort gab, die Ratlosigkeit hinterließ: »Nichts …«


Stille machte sich breit, fragende Blicke wurden ausgetauscht, bis wieder einmal Aylea das Schweigen brach.

»Was meinst du mit – nichts?«

Cloud räusperte sich, warf einen kurzen Seitenblick ins Scobees Richtung, bevor er sich wieder der Zwölfjährigen zuwandte. »Am Zielort der Diskusschiffe befindet sich kein Planet, kein Raumschiff – buchstäblich nichts.«

»Wohin«, fragte Algorian irritiert, »sind die Diskusse dann aufgebrochen? Und vor allem: Wohin sind sie verschwunden?«

»Die ganze Sache ist uns ein einziges Rätsel«, sagte Scobee. »Und nicht nur uns, wohlgemerkt. Auch die KI hat bislang keinen Vorschlag, was es damit auf sich haben könnte.«

»Ich arbeite daran«, ließ Sesha wie auf Kommando vernehmen.

»Das war’s fürs Erste«, beendete Cloud das Treffen.

»Wie jetzt?« fragte Aylea ungläubig. »Das soll alles gewesen sein? Sollten wir nicht alles unternehmen, um das Rätsel zu lösen?«

»Du kannst gerne eine Arbeitsgruppe bilden und uns dann Bericht erstatten«, ätzte Jarvis, dem das altkluge Gehabe manchmal zu viel wurde, obwohl er selbst leidenschaftlich gerne Nerven strapazierte.

John Cloud ergriff das Wort, bevor die Situation eskalieren konnte. Die Nerven lagen ohnehin schon blank, und es genügte ein kleiner Funke, um einen handfesten Streit zu entzünden.

»Selbstverständlich sind uns eure Vorschläge stets willkommen. Im Moment halte ich es jedoch für sinnvoll, dass wir Seshas Analyse abwarten und dann entscheiden, wie wir mit dieser Situation umgehen. Wir …«

»Ortungsergebnis!«, vermeldete Sesha wie aus heiterem Himmel.

Cloud hatte Mühe, seine Mimik unter Kontrolle zu halten, denn mit einer so plötzlichen Rückmeldung der KI hatte er nicht gerechnet.

Alle drehten sich um, wandten sich der Holosäule zu, in der just in diesem Moment zu sehen war, was die KI mit ihren Sensoren geortet hatte.

Staunen zeichnete sich auf den Gesichtern der Anwesenden ab. Es war Jarvis, der es in Worte fasste.

»Ich fürchte«, sagte er leise, »wir bekommen Besuch …«


Sekundenlang starrten alle wie gebannt auf das Raumschiff, das unvermittelt in der Holosäule aufgetaucht war. Und das unverkennbar die charakteristische X-Form der Treymorschiffe aufwies.

»Wo ist es nur her gekommen?«, fragte Aylea.

»Ich weiß nur, wo es eben noch nicht war«, gab Cloud zurück.

In der Tat. Das Schiff war buchstäblich aus dem Nichts gekommen.

»Zweifellos haben wir es hier mit einer Art Tarnfeld zu tun«, sprach Scobee das Offensichtliche aus. »Die Frage ist nur, welcher Natur es ist …«

Cloud dachte sekundenlang darüber nach. Der Begriff Tarnfeld löste eine wahre Assoziationskette in ihm aus. Schließlich wandte er sich erneut an die KI.

»Sesha, hast du schon versucht, die Umgebung nach derselben Manier zu scannen, wie damals im Heimatbereich unseres Freundes Boreguir?«

»Nein«, gab die KI unverwandt zurück. »Du hast mich bisher nicht dazu aufgefordert.«

»Dann tu es jetzt

Sekunden vergingen, wurden zu Minuten, in denen die Anwesenden schweigend ausharrten, bis Sesha erneut Rückmeldung erstattete.

»Operation ausgeführt. Ortung erfolgreich.«

»Geht es auch etwas genauer?«

»An den Zielkoordinaten befindet sich ein Himmelskörper. Dieser wird tatsächlich von einem saskanischen Tarnfeld verborgen gehalten.«

»Versuch, dich dem Wahrscheinlichkeitslevel des Objektes anzupassen.«

»Verstanden.«

Alle starrten gebannt in die Holosäule, in der außer dem sich immer weiter entfernenden X-Schiff nach wie vor nichts zu sehen war.

Bis es geschah.

Die Holosäule vibrierte kurz wie ein Wasserfall, der von einer Erschütterung erfasst wurde.

Der Schleier lüftete sich.

Und gab sein Geheimnis preis.


Geradezu ehrfurchtsvoll nahmen die Anwesenden wahr, was der von Sesha überwundene Tarnschirm preisgab.

Es war ein Planet von ungefährer Erdgröße, wie die ersten Ortungsdaten verrieten, die Sesha in die Holosäule einspielte. Oberflächenscans der ihnen zugewandten Seite ließen zwei von Ozeanen umspülte Landmassen erkennen. Einige Gebirge waren darauf auszumachen. Doch für derartige Einzelheiten hatte John momentan keinen Blick. Was seine Aufmerksamkeit bannte, war das, was sich im Orbit des Planeten abspielte.

Treymoreinheiten!

Unzählige von ihnen. Sie umschwärmten den Planeten wie Fliegen einen verwesenden Kadaver.

Wahrlich kein schlechter Vergleich

Cloud wurde bei diesem Gedanken die Brust eng. Für ihn bestand kein Zweifel, dass die Treymor sich auch diesen Planeten nur zu einem Zweck untertan gemacht hatten. Um ihn zu einem ihrer Brutplaneten umfunktionieren, genauso wie sie es mit Rof, dem Planeten der pilzartigen Wiederkeimer, gemacht hatten.

Und, als hätte es eines weiteren Beweises bedurft, hatte er am Rande des Bildbereichs der Holosäule auch schon ein auf die Entfernung winzig kleines Objekt ausgemacht, dessen charakteristische Form er dennoch zu erahnen glaubte.

Er bat Sesha dennoch, es näher heranzuzoomen.

Ein kleinerer Bildausschnitt entstand, in dessen Zentrum sich genau das manifestierte, womit Cloud gerechnet hatte.

Ein Diskusraumer.

Eines jener verfluchten Brutschiffe, in denen die Treymor ihre Brut zu weit entfernten Welten transportierten, die sie dann in Beschlag nahmen, deren Einwohner sie versklavten, sie als Ressource zur Aufzucht missbrauchten!

Cloud biss die Zähne zusammen. Am liebsten hätte er das Diskusschiff attackiert, es zum Abschuss frei gegeben. Aber wem hätte dies genutzt? Den saskanischen Bewohnern des Planeten gewiss nicht. Cloud benötigte keine weiteren Informationen, um zu erkennen, dass seine Inbesitznahme durch die Käferartigen weit fortgeschritten war.

»Verdammt!« Es war Jarvis, der diesen Fluch ausstieß. »Machen diese Typen denn vor nichts halt?«

Cloud schüttelte bedauernd den Kopf.

»Ihr Plan ist bereits weiter fortgeschritten, als ich befürchtet habe. Hier jedenfalls können wir nichts ausrichten. Wir können nur versuchen, ihnen weiterhin Steine in den Weg zu legen. Ihre weitere Ausbreitung in der Milchstraße zu verhindern.«

»Sollen wir nicht wenigstens eine Sonde runterschicken, um Informationen einzuholen«, fragte Aylea

Cloud überlegte kurz. Es war riskant, die Gefahr einer Entdeckung nicht ausgeschlossen. Dennoch, Aylea hatte recht. Wenn sie den aussichtslosen Kampf wirklich aufnehmen wollten, konnten sie über gar nicht genug Informationen verfügen. Er gab Sesha den Befehl, die Sonde bei nächstbester Gelegenheit auszusenden.

Die Bilder, die sie wenig später in die Holosäule gespielt bekamen, bestätigten Johns schlimmste Befürchtungen.

Die Treymor hatten den Planeten vollständig in ihrer Gewalt, hatten die saskanischen Ureinwohner versklavt, die ihnen nur noch als Ressource für ihre heranwachsende Brut diente. Jene Brut, die aus den, während der Fernflugs an Bord der Diskusraumer in Stasis gehaltenen Eiern hervorgegangen war.

Schreckliche Szenen spielten sich vor den Augen der Anwesenden ab.

Bilder, die von einer Verachtung allen Lebens zeugten, das nicht treymorscher Natur war.

Und da wusste Cloud, dass auch dieser Welt nicht mehr zu helfen war. Er wies Sesha an, die Holosäule auszuschalten.

Dann bat er alle anderen, die Zentrale zu verlassen.

Er hatte fürs Erste genug Zeit damit verbracht, sich über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die er mit seinen Möglichkeiten ohnehin nicht ändern konnte.

Er beschloss ganz spontan, sich als nächstes einem völlig anderen, ihn wesentlich unmittelbarer betreffenden Problem zuzuwenden …


3.

Wo bist du?

Die Worte hallten in seinen Gedanken nach. Wie ein Echo, das von den Wänden des ihn umgebenen Sarkophags zurückgeworfen wurde.

Bilder blitzten vor seinem inneren Auge auf. Erzeugt von jenem künstlichen Bewusstsein, das eins war mit ihm und seinen Gedanken.

Das Bewusstsein der KI, das ihm nach unzähligen mentalen Verschmelzungen mittlerweile fast so vertraut wie sein eigenes war.

Jedes Mal wenn er glaubte, das Schiff in all seinen Eigenheiten durchschaut zu haben, gab es Momente, in denen es ihm wiederum fremd, fast schon bedrohlich erschien. So wie jetzt.

In immer schnellerer Abfolge tauchten Räume und Gänge vor ihm auf. Orte, die er noch nie gesehen hatte. Die ihm so fremd waren, dass sie sich auch auf einem anderen Planeten hätten befinden können.

Die unglaublichen Ausmaße der ehemaligen Arche machten es fast unmöglich, sie in ihrer Gesamtheit zu erkunden.

Auch heute noch gab es selbst für den alteingesessenen Kern der Ursprungsbesatzung viele weiße Flecken, die zu erforschen Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde.

Und genau das war ihnen jetzt zum Verhängnis geworden.

Ein Feind war unter ihnen. Sie hatten ihn selbst an Bord geholt. Ein Wesen, von dem sie geglaubt hatten, es kontrollieren zu können – und das sie trotz aller Vorsicht doch unterschätzt hatten.

Eine Kreatur, deren Existenz so widernatürlich war, dass es Cloud schwer fiel, sie überhaupt als Lebewesen anzuerkennen.

Wo bist du?

Der Fluss der Bilder, der sein Bewusstsein durchströmte, war mittlerweile so schnell geworden, dass es schwer fiel, ihn noch als Kette von Einzelaufnahmen wahrzunehmen, geschweige denn irgendwelche auszumachen. Räume, so leer und steril wie Krankenzimmer, wechselten sich ab mit Zimmern, die mit ihrer prunkvollen Ausstattung an Paläste erinnerten.

Der sprunghafte Anstieg der Besatzung verlangte seinen Tribut. Ein paar der neuen Besatzungsmitglieder hatten sich mit seinem Einverständnis aus dem Dorf entfernt und andere Teile des Schiffes besiedelt; sie formten die dortigen Gegebenheiten nach ihren Bedürfnissen um und schufen sich eigene kleine Lebensräume, die John Cloud oft kaum weniger fremd waren, als die der Foronen, jener uralten Spezies, die das Schiff einst erbaut hatte.

Ein Schwindelgefühl stieg ihm auf, während er versuchte, sich auf das sich vor ihm entfaltende Kaleidoskop zu konzentrieren, als plötzlich…

»Stopp!«

Obwohl ein bloßer Gedankenimpuls genügt hätte, um die KI zum Handeln zu bewegen, brüllte John ihr den Befehl förmlich entgegen.

Die Schiffsinstanz reagierte umgehend und ohne jede Irritation.

Übergangslos fror die Bildspur ein, verharrte auf einem Raum, der John an ein römisches Dampfbad erinnerte. Er hatte keine Zeit, sich darüber zu wundern. Wie bei einer Doppelprojektion sah er noch immer jenes Bild vor sich, das ihn zum Stoppen der Bildspur bewegt hatte.

Sein Puls raste. Eine dünne Schweißschicht breitete sich trotz des atmungsaktiven Anzugs auf seiner Haut aus, während er unwillkürlich den nächsten Befehl formulierte, diesmal jedoch auf einer rein mentalen Ebene.

Zurück !

Wieder setzte sich die Bildspur in Bewegung.

Langsamer diesmal, fast im Zeitlupentempo, als würde die KI damit auf die kaum zu übersehende Erregung ihres Befehlshabers reagieren und versuchen, ihn auf diese Weise zu schonen.

Schneller !, befahl Cloud, im Bewusstsein, dass es andernfalls Minuten dauern würde, bis er zu jenem Raum zurückgelangte, in dem er seine Entdeckung gemacht haben glaubte.

Die KI reagierte.

Nun wieder im Sekundentakt ließ sie die einzelnen Räume an seinem inneren Auge vorbeiziehen.

Wobistduwobistduwo…?

Clouds Mantra wurde jäh unterbrochen, als er erneut in das Antlitz des Geschöpfes starrte, das wie aus dem Nichts vor ihm auftauchte.

Der Geschöpfe, verbesserte er sich, denn in Wahrheit waren es wohl Dutzende, die sich in diesem absurden Organismus vereinten.

Dutzende von Cronenbergs Elitesoldaten, seiner mit Abstand stärksten Waffe.

Cloud hatte sie bereits zu spüren bekommen, als er nach dem Durchbrechen der Gesteinsschale, die wie ein Wall um die heutige Erde lag, durch Angehörige einer neuen, nun herrschenden Menschheit, entführt worden war. In einem der Residenztürme der ehemaligen Master hatte John zum ersten Mal die wahre Natur dieser Geschöpfe zu spüren bekommen.

In Cronenbergs Domizil.

Cronenberg … Johns Nemesis, die ihm, vulgär ausgedrückt, seit den Tagen der Invasion der Äskulapschiffe wie Scheiße an den Hacken klebte.

Cronenberg der unerbittliche Massenmörder, der in Arabims Auftrag das Pekinger Ghetto dem Erdboden gleich gemacht hatte und der auf bizarre Art und Weise die Zeit überlistet hatte.

Er, der in seiner Schaltzentrale hockte, wie die Spinne in ihrem Netz, hatte einen Fraktalen benutzt, um John unsägliche Schmerzen zu bereiten. Wie ein mittelalterliches Folterinstrument hatte der sich um seinen Brustkorb gelegt, hatte langsam zugedrückt …

Cloud brach erneut der Schweiß aus, als er nur daran dachte.

Dieser ziehende Schmerz, das langsame Brechen der Knochen …

John wischte die Bilder beiseite.

Nein, seine erste unmittelbare Begegnung mit einem Fraktalen war kein Erlebnis gewesen, das man irgendwann einmal seinen Enkeln erzählte.

Nicht zuletzt deshalb war Cloud skeptisch gewesen, als Scobee ihn gebeten hatte, die im Wrack des X-Schiffes geborgenen fraktalen Einzelteile an Bord bringen zu dürfen, um sie Tests zu unterziehen.

Einerseits war es sicher hilfreich, Natur und Beschaffenheit dieser Kreaturen zu ergründen. Nicht nur, um eine bloße Neugier zu befriedigen, (von der sich auch Cloud trotz seiner unheimlichen Begegnung nicht befreien konnte), sondern um sich zu wappnen für weitere Begegnungen mit diesen Geschöpfen, was John für unausweichlich hielt.

Cronenberg war nie zu unterschätzen. Das hatte er zum wiederholten Male bewiesen, als es ihm und seinen Schergen gelungen war, mehrere X-Schiffe der Treymor zu kapern, die völlig unvermittelt einen Angriff auf die neue Erde gestartet hatten.

Clouds Sorge bezüglich der zu untersuchenden Fraktalen-Splitter hatte sich jedenfalls als begründet erwiesen, denn die einzelnen Teile waren in Sekundenschnelle zu einem bizarren Ganzen verschmolzen, das jeden Kommunikationsversuch verweigert und sich scheinbar in Luft aufgelöst hatte.

Und jetzt war es wieder da.

Sekundenlang schien es, als würden sich John und der Fraktale über die Distanz hinweg taxieren, So, als sei der Fraktale ebenso wie das John selbst in der Lage, die Kanäle des Schiffes anzuzapfen und eine unsichtbare Verbindung zu dem Mann im Sarkophagsitz zu knüpfen.

Das Ganze dauerte nur Sekunden, doch es genügte, um dem Mann von der Erde ein Gefühl zu vermitteln, als würde dieses Geschöpf ihn noch über die Entfernung hinweg mit seinem Wahnsinn vergiften.

Dann war es auch schon wieder weg, ohne dass es auch nur einen Hinweis darauf gab, wohin es verschwunden war.

Schweißgebadet und zitternd gab der Commander der KI den Befehl, den Sarkophagsitz zu öffnen.

Sekunden später gab er Alarm.


Rotak hielt inne, ließ den Blick schweifen, wandte sich dann seinen beiden Begleitern zu, die ihn abwartend ansahen.

»Hier muss es sein«, meinte der Angk leise, aber voller Überzeugung. »Das ist die Stelle, die der Commander uns beschrieben hat. Die Stelle, an der ihm das Monstrum erschienen ist …«

Algorian, der telepathisch begabte Aorii, sah sich unbehaglich in dem kargen Raum um. »Aber hier ist nichts«, meinte er dann so leise wie möglich, als könne er ihre Anwesenheit vor einem unsichtbaren Beobachter verbergen, wenn er nur im Flüsterton sprach.

»Die Bestie tarnt sich«, entgegnete Rotak. »Sie tarnt sich gut. Sonst wäre es ihr nicht gelungen, der allwissenden Instanz des Schiffes ihren Tod vorzutäuschen …«

Algorian nickte, während er ein leichtes Frösteln verspürte. Er dachte an Jelto, der die Macht des Wesens am eigenen Leibe zu spüren bekommen hatte. Er hatte berichtet, dass er kurz vor dem Auftauchen der Bestie ihre Anwesenheit gespürt hatte. Vielleicht lag es daran, dass auch der Florenhüter hochsensibel war, wenn auch auf eine andere Art und Weise als der Aorii.

Vielleicht hätte Commander Cloud lieber ihn mitschicken sollen, als mich , dachte Algorian. Er selbst hatte bisher völlig versagt, wann immer er versucht hatte, einen Gedankenimpuls dieses sonderbaren Wesens zu empfangen.

Andererseits … weshalb sollte ausgerechnet er etwas vollbringen, das Hunderten, nein tausenden Angks und einer fast allmächtigen KI bisher nicht gelungen war?

Dennoch … Angesichts der immensen Bedrohung, die irgendwo in den Tiefen des Rochenschiffes lauerte, war es angebracht, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Commander Cloud hatte dies zur vorrangigen Aufgabe erhoben, alles andere war zweitrangig geworden.

Deshalb hatte sich John, unmittelbar nachdem er Alarm gegeben hatte, wieder in den Sarkophagsitz zurückgezogen, von wo aus er die Jagd überwachte und weiter Ausschau hielt, in der vagen Hoffnung, einen weiteren Blick auf die Bestie zu erhaschen – oder wenigstens irgendeinen Hinweis auf ihren Verbleib zu finden.

Gleichzeitig war nahezu die gesamte Angk-Besatzung ausgeschwärmt, hatte sich an allen neuralgischen Punkten rund um den Kernbereich der RUBIKON verteilt und arbeitete sich nun von dort aus in die Tiefen des Schiffes voran.

Die Jagd war eröffnet, und Algorian war bereit, seinen Teil dazu beizutragen, so spärlich der auch ausfallen mochte.

Der Aorii schloss die Augen, lauschte und versuchte das Gedankengewirr auszuschalten, das er von Rotak und anderen Crewmitgliedern empfing. Doch sosehr er sich anstrengte, darüber hinaus empfing er … nichts . Wenn die Bestie tatsächlich noch im Verborgenen lauerte, so hatte sie aus dem Erlebnis mit Jelto gelernt und ihre Tarnung weiter verbessert. Keine guten Aussichten …

»Sie ist weg«, sagte Rotak, der normalerweise zu ausschweifenden Reden neigte, sich seit dem Betreten des Raumes jedoch erstaunlich wortkarg gegeben hatte.

»Woher weißt du das?«, erkundigte sich Algorian, unschlüssig, ob er über diese Eröffnung nun erfreut oder enttäuscht sein sollte.

Rotak antwortete nicht, sondern schloss die Augen, streckte seinen Arm aus und legte seine flache Hand auf die glatt polierte Wand zu seiner Linken. So verharrte er, horchte

Algorian wusste, dass die Angks über besondere mentale Fähigkeiten verfügten, die es ihnen erlaubten, auf eine Art und Weise mit dem Schiff zu verschmelzen, wie es nicht einmal Commander Cloud im Sarkophagsitz vergönnt war. So war es nicht verwunderlich, dass Cloud die neuen Besatzungsmitglieder gebeten hatte, die Speerspitze bei der Suche nach dem Fraktalengeschöpf zu bilden.

Minutenlang geschah nichts, doch plötzlich ging ein Zucken durch Rotaks schlanke Gestalt.

Es sah aus, als habe er einen kurzen, heftigen Stromschlag erhalten. Auf seinem Gesicht war jedoch nicht zu erkennen, ob diese Zuckungen mit Schmerzen verbunden waren. Es blieb vollkommen regungslos.

Algorian sandte dem zweiten Angk, einem hageren Burschen mit struppigem Haar und einer auffälligen Hakennase, einen fragenden Blick zu, doch dieser winkte beschwichtigend ab.

Algorian nickte verstehend, denn er wusste, was dieser ihm damit sagen wollte.

Rotak war eins geworden mit dem Schiff.


Noch im selben Moment, in dem Rotak sich in das künstliche, aber hochkomplexe Bewusstsein des Schiffes versenkt hatte, stürmte eine Flut an Bildern auf ihn ein.

Sie alle zeigten Szenen diverser Ereignisse, die sich an Bord ereignet hatten. Manche lagen nur Minuten zurück, andere hatten sich vor Jahren ereignet, zu einem Zeitpunkt, an dem das Schiff noch im Besitz seiner Erbauer gewesen war.

Das Gedächtnis der Instanz, der fast unbegrenzte Speicher der KI, vergaß nichts. Alles war abrufbar, wenn man nur wusste, welche Kanäle man anzapfen musste. Rotak hatte genügend Zeit gehabt, sich mit Seshas Bewusstsein vertraut zu machen. Ein Großteil der Jagd nach dem Monster hatte bisher darin bestanden, mit dem Schiff zu verschmelzen, es zu erforschen. Mittlerweile glaubte er, fast jeden Winkel zu kennen.

Rotak versuchte, Einfluss zu nehmen auf die Bilder, die Sesha bereitwillig mit ihm teilte. Er versuchte, sie zu sortieren, zeitlich und räumlich einzuordnen. Nach und nach gelang es ihm, alles auszublenden, was sich nicht unmittelbar in dem Raum, in dem sie sich gerade befanden, abgespielt hatte – und den Rest nach seinem zeitlichen Ablauf zu sortieren.

Und plötzlich sah er es! Für den Bruchteil einer Sekunde nur, dafür ganz deutlich und ohne jede Verzerrung.

Es sah abscheulich aus, genau wie Commander Cloud es ihnen geschildert hatte. Seltsam verwachsen, alle Körperteile und Gliedmaßen vorhanden, aber irgendwie saß alles am falschen Fleck. Und obwohl es sich dabei um eine Aufzeichnung, um eine bloße Erinnerung der KI handelte, obwohl er und das Monster durch einen zeitlichen Graben von über einer Bordstunde voneinander getrennt waren, kam es Rotak so vor, als würde dieses Ding nur ihn anstarren. Und dann, im nächsten Moment, war es verschwunden. Als hätte es sich in Luft aufgelöst.

Wieso ?, fragte sich Rotak. Wieso hat es sich so offen gezeigt, wenn es doch über die Fähigkeit verfügt, sich unserer Wahrnehmung – und der des Schiffes – zu entziehen ?

Sofort kam ihm der Gedanke an eine Falle in den Sinn, er verwarf ihn jedoch gleich wieder.

Wenn die Kreatur plante, sich an der Besatzung zu vergreifen, wäre es wesentlich aussichtsreicher gewesen, ohne jede Vorwarnung aus dem Verborgenen heraus zuzuschlagen.

Rotak ließ sich die Kreatur noch einmal zeigen. In Zeitlupe diesmal, darauf bedacht, jede Einzelheit ihres Verhaltens mit der Akribie eines Naturforschers zu studieren. Dabei interessierte ihn vor allem der Moment, in dem sich das Biest scheinbar in Luft auflöste, was in Wahrheit natürlich nur eine Täuschung sein konnte.

Dass es dem Biest gelang, sich seiner eigenen Wahrnehmung und der der anderen Besatzungsmitglieder zu entziehen, konnte Rotak ja gerade noch verstehen. Dass jedoch nicht einmal die KI in der Lage war, es zu orten, war schwer zu begreifen.

Er ließ sich das Verschwinden des Biestes noch einmal zeigen. Und ein weiteres Mal … Er versenkte sich dabei tiefer in das Schiff, als jemals zuvor, ließ sein Bewusstsein mit ihm verschmelzen und erlebte das Verschwinden der Bestie immer und immer wieder aufs Neue.

Und plötzlich fiel ihm etwas auf. Etwas, das er die Dutzend Male zuvor übersehen hatte. Weil es nicht zu sehen war .

Rotak spürte es mit den Sinnen des Schiffes.

Es war wie eine schwache Emission, ein Vibrieren in der Luft, eine Verdichtung molekularer Teile an einer ganz bestimmten Stelle des Raumes. Jener Stelle, an der eben noch die Bestie gestanden hatte.

Rotaks Herzschlag beschleunigte sich. Die Bedeutung dieser Entdeckung war gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Welchen Mechanismus, welches Tarnfeld das Monster auch immer nutzte, um sich unsichtbar zu machen, es hinterließ eine Spur! Eine Spur, bei der herkömmliche Messgeräte und Ortungssensoren versagten – nicht jedoch die mentale Fähigkeit eines Angks im geistigen Verbund mit dem Schiff.

Rotak nahm alle Konzentration zusammen, ließ sich fallen, gab sich einen Moment lang vollständig auf. Es war wie eine außerkörperliche Erfahrung, in der sein Geist den Körper verließ und eins wurde mit seiner Umgebung, jeden Winkel des Schiffes beseelte.

Und da sah er sie, längst vergangen, aber gespeichert in Seshas Erinnerung: die Emissionsspur, die das Monster beim Verlassen des Raumes hinter sich herzog!

Rasch ließ er die Zeitspur weiterlaufen, immer schneller, folgte der Fährte in einem wahren Zickzackkurs bis in die entlegensten Winkel des Schiffes.

Bis er das vorläufige Ende erreichte. Den Ort, an dem die Fährte aktuell endete.

Und mit einem Mal wusste er, wo sich die Bestie versteckt hielt!


»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte Algorian leise. Obwohl sein besorgter Blick auf den in aufrechter Pose verharrten Rotak gerichtet war, galt die Frage dem Angk an seiner Seite.

Die Frage war mehr als berechtigt. Algorian hatte in den letzten Minuten vergeblich versucht, in Rotaks Gedanken zu lesen. Es war als würde er gegen eine Barriere prallen. Eine unsichtbare Wand, die sich zwischen dem Angk und seiner Umgebung aufgebaut hatte. Und auch sein Äußeres gab Anlass zu Sorge. In Rotaks inzwischen weit geöffneten Augen war nur noch das Weiße zu sehen, und sein Körper wurde nach wie vor in regelmäßigen Abständen von spasmischen Zuckungen erfasst.

Dies alles schien seinen Begleiter wenig zu beunruhigen, denn er schüttelte als Antwort auf Algorians Frage nur den Kopf.

»Er hat Kontakt bekommen, das ist alles. Er zapft die Kanäle des Schiffes an und entlockt ihnen Informationen, die dem herkömmlichen Betrachter verborgen bleiben.«

Algorian nickte, obwohl er sich unter den Worten des Angks nur wenig vorstellen konnte. Seit er an Bord der RUBIKON lebte, war Commander John Cloud der Einzige, der zu einer solch innigen Verschmelzung in der Lage war. Er konnte sich kaum vorstellen, dass es den Angks möglich war, in Bereiche vorzudringen, die selbst dem Commander verborgen blieben.

Sie waren schon ein seltsames und überaus faszinierendes Völkchen, diese im Angksystem beheimateten Nachkommen von Prosper Merimee und dessen Gefolgschaft.

Algorian fragte sich gerade, wie lange Rotaks Trance wohl noch andauern würde, als der Angk abrupt die Augen öffnete und sich dann den beiden Begleitern zuwandte, die ihn gespannt ansahen.

»Ich weiß jetzt, wie wir die Bestie finden können …!«


Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738924442
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
raumschiff rubikon residenz
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Titel: Raumschiff Rubikon 18 Die gestohlene Residenz