Lade Inhalt...

Künstliche Menschen in der Serie Westworld (2016) – Eine kulturanthropologische Untersuchung

©2018 90 Seiten

Zusammenfassung

Es ist eine der zentralen Fragen der Serie Westworld, die hier auf den Punkt gebracht wird. In dieser Science-Fiction-Fernsehserie von 2016 geht es um den künstlich geschaffenen Menschen, auf den unterschiedliche soziale Fragen projiziert werden: Wird er das Leben erleichtern? Wird er uns bedrohen? Ab welchem Punkt sind nichtmenschliche Wesen moralisch mit uns Menschen gleichzusetzen? Die Thematik des geschaffenen (und damit künstlichen) Wesens ist keinesfalls neu, wie später noch erläutert wird. Die Kontinuität des Themas reicht bis in das Jetzt hinein und wird immer wieder an die neuen Gegebenheiten und sich ändernden Zustände der Gesellschaft angepasst und aktualisiert. Sowohl technologische Neuerungen als auch gesellschaftliche Umwälzungen finden sich in diesen Neuinterpretationen der Erzählungen um künstliche Menschen wieder, werden von diesen aufgegriffen oder in eine mögliche Zukunft extrapoliert. Doch was für Themenkomplexe werden mit dem Symbol des künstlichen Menschen verhandelt? Welche Hoffnungen und Ängste knüpfen sich bei der Neuinterpretation an diese Schablone?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Künstliche Menschen in der Serie Westworld (2016) –

Eine kulturanthropologische Untersuchung

image
image
image

1. Einleitung

image

1.1 Warum Westworld?

Ein Mann mittleren Alters wird von einer Frau herumgeführt. Er bleibt stehen, mustert sie. „Sie haben eine Frage?“, stellt sie fest. „Dann fragen Sie.“

Sie schaut ihn ruhig an.

„Sind Sie echt?“, fragt er, beinahe peinlich berührt.

„Wenn Sie das nicht erkennen, ist es dann wichtig?“, erwidert sie.

(W-2016-S1E2-00:04)

Es ist eine der zentralen Fragen der Serie Westworld, die hier auf den Punkt gebracht wird. In dieser Science-Fiction-Fernsehserie von 2016 geht es um den künstlich geschaffenen Menschen, auf den unterschiedliche soziale Fragen projiziert werden: Wird er das Leben erleichtern? Wird er uns bedrohen? Ab welchem Punkt sind nichtmenschliche Wesen moralisch mit uns Menschen gleichzusetzen? Die Thematik des geschaffenen (und damit künstlichen) Wesens ist keinesfalls neu, wie später noch erläutert wird. Die Kontinuität des Themas reicht bis in das Jetzt hinein und wird immer wieder an die neuen Gegebenheiten und sich ändernden Zustände der Gesellschaft angepasst und aktualisiert. Sowohl technologische Neuerungen als auch gesellschaftliche Umwälzungen finden sich in diesen Neuinterpretationen der Erzählungen um künstliche Menschen wieder, werden von diesen aufgegriffen oder in eine mögliche Zukunft extrapoliert. Doch was für Themenkomplexe werden mit dem Symbol[1] des künstlichen Menschen verhandelt? Welche Hoffnungen und Ängste knüpfen sich bei der Neuinterpretation an diese Schablone?

Die Analyse dieser Arbeit fußt auf einigen Prämissen, die kurz erläutert werden sollen.

Für die Untersuchung der Verwendung der Erzählschablone[2] des künstlichen Menschen bietet es sich an, einen Überblick über die Entwicklung und populäre Geschichte von künstlichen Menschen anhand von mehreren audiovisuellen Quellen aufzuzeigen. Derartige Untersuchungen sind seit den 1970er Jahren der Kulturanthropologie/Volkskunde/‌Europäischen Ethnologie[3] nicht mehr fremd (Weber-Kellermann 2003: 163), doch mehr dazu im kulturhistorischen Überblick über den künstlichen Menschen.

Eine weitere Prämisse dieser Arbeit ist, dass Menschen durch kulturelle Techniken wie das Lesen (und heute eben das Fernsehen) sozialisiert werden und dadurch ein Verständnis für und über die Welt erhalten.[4]

Die Fernsehserie (inzwischen durch diverse Streamingdienste auch losgelöst vom Fernsehgerät und Fernsehkanal) hat heutzutage eine etablierte Stellung gegenüber anderen Medien zur Vermittlung von Geschichten und auch Wissen erreicht. Wissen meint dabei grundsätzliches Wissen-um-die-Welt, ihre Funktionsweise und „wie sie zu sein hat“. Serien als Medienprodukte sind dabei nicht nur Abbilder ihres kulturellen Umfeldes (und bestimmter Produktionsumstände), sie wirken auch wiederum auf kulturelle Umfelder ein, wenn sie dort erscheinen und rezipiert werden. Die Verbindung zwischen Medium und Rezipient wird hierfür als komplexe Ansammlung von verschiedenen Bedeutungsebenen verstanden, nicht nur gemäß einem Sender-Empfänger-Modell (Schilling 2001: 567).

Es wird vorausgesetzt, dass (Fernseh-)Serien, wie andere Erzählungen auch, Aussagen über die Weltanschauung von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen enthalten (Newcomb & Hirsch 1992: 104) (Winkler 1992: 94).

Es ist dafür grundsätzlich egal, ob es sich um die sogenannten „neuen Medien“[5] handelt oder um orale/verschriftlichte Erzählungen. Nicht wenige Autoren sprechen dem Fernsehen und seinen Geschichten Qualitäten des Mythischen zu, im Sinne einer welterklärenden Funktion, die durch Wiederholung ihrer Narrationen eigene Archetypen ausbildet (Bleicher 1999: 31). Sie sind auch Diskussionsbeiträge, die in einer Gesellschaft durchaus unterschiedlich verstanden werden können (Hall 2006: 163). Ebenso wird vorausgesetzt, dass jede Gesellschaft eine Diskussion über die Zukunft sowohl des Individuums als auch der Gruppe führt.[6] Dafür entlehne ich mir den Begriff des Erdächtnisses bei Hartmann und Murawska (2015: 9) für dieses Reservoir an Vorstellungen, die sich eine Gesellschaft über ihre Zukunft macht. Eine Gesellschaft hat dafür unterschiedliche Orte und Ausdrucksformen, in denen die Zukunft besprochen wird. Einer dieser Orte ist die Literatur, aber auch audiovisuelle Medien wie der Film oder die Serie.

Eine weitere Prämisse dieser Arbeit ist, dass im Science-Fiction-Genre eine Gesellschaft über zentrale Fragen der Verortung ihrer selbst und ihrer Individuen verhandelt (Telotte 1995: 29) (Uerz 1999: 19).

Westworld ist nicht nur eine Serie von 2016, sondern mehrere Male der Stoff von Filmen und einer anderen Serie gewesen. Ein Stoff wie der der Serie Westworld und auch der früheren Inkarnationen eignet sich somit sowohl, um unterschiedliche Aussagen über die Zukunftsvorstellungen im Sinne von Hoffnungen und Ängsten herauszufiltern, als auch, was der Mensch ist (in Abgrenzung zu den Robotern oder künstlichen Menschen).

Bei Westworld, sowohl bei den Serien als auch bei den Filmen, handelt es sich um Science-Fiction-Geschichten. Die genaue Definition des Science-Fiction-Genres erweist sich allerdings als schwierig und ist abhängig davon, ob man versucht, sich dem Genre über Handlungselemente, Figurenkonstellationen oder Szenarien zu nähern (Clute 1993: 311). Für diese Arbeit wähle ich die Definition von Dietmar Dath. Laut ihm ist die Science-Fiction eine Kategorie der Fantastik, die sich dadurch auszeichnet, dass sie den Unglauben aufheben will. Science-Fiction (im Folgenden als SF abgekürzt) erzählt Geschichten über Dinge, die (noch) nicht sein können. Es wird aber nicht gefragt, ob es nicht menschliche Intelligenz gibt (das würde den „Unglauben“ wecken, die Geschichte würde als unglaubwürdig klassifiziert und nicht weiter gelesen). Stattdessen stellt eine SF-Geschichte die Frage: „Wie kommuniziert man mit einer nicht menschlichen Intelligenz?“ (Dath 2016: 38) Sie verlagert somit die Frage hin zu einer, die sie beantworten kann. Dies wird dann für das Abhandeln von Themen genutzt, die sonst so nicht zur Sprache kommen könnten. Durch gezieltes Othering, z. B. mit der Schablone des Roboters/künstlichen Menschen, kann im SF-Genre ein Diskurs über Themen geführt werden, der möglicherweise sonst in der Gesellschaft unter Umständen nicht möglich wäre.

Die Serie Westworld von 2016 ist für diese Arbeit der primäre Untersuchungsgegenstand. Sie eignet sich als Hauptanalysegegenstand vor allem dadurch, dass sie keinesfalls die erste Interpretation ihres Hauptthemas ist. Das Hauptthema bleibt in allen Inkarnationen der künstliche Mensch mit seinem Bedrohungspotential wie auch mit seinen positiven Möglichkeiten für seine Schöpfer.

Die Marke beginnt 1973 mit dem Kinofilm Westworld, der nicht nur durch eine Fortsetzung namens Futureworld (1976) eine Aktualisierung erfuhr, sondern auch durch die (nach nur fünf Folgen eingestellte) Serie Beyond Westworld (1980). Somit fand eine fortlaufende Neuinterpretation des Grundstoffes statt. Diese drei Inkarnationen des Erzählstoffes sollen, ausgehend von der 2016er Version, miteinander verglichen und auf ihre Beschäftigung mit diesen Fragen hin untersucht werden.

1.2 Die Methode

Das Feld der Medienanalyse als Ganzes bis hin zur Filmanalyse im Speziellen ist ungeheuer breit gefächert und bietet eine Fülle von Ansätzen, Methoden und theoretischen Konzepten.[7] Nicht alles, was es an Theorien und Methoden gibt, ist dabei für das Beantworten der Fragestellung erkenntnisfördernd. Die Serie wie auch die Kinofilme werden im Sinne dieser Arbeit als mehrdeutiger Text verstanden, deren Bedeutungsebenen hermeneutisch herausgearbeitet werden können (Bechdolf 2007: 290). Diese Arbeit orientiert sich an Ute Bechdolfs Vorschlägen für eine hermeneutische Analyse (Bechdolf 2007: 300).

Hermeneutik wird hier nicht weiter erläutert, dies haben andere Autoren zur Genüge getan.[8] Es wird vorausgesetzt, dass Hermeneutik (aller postmodernen Kritik zum Trotz) nicht nur in der Lage ist, alles zu sagen, was zu sagen und erfahren ist: Sie kann sogar mehr als das, denn Sprache erlaubt, über ihre eigenen Strukturen zu reflektieren und diese zu interpretieren (Grondin 2009: 130). Von Umberto Eco wird methodisch entlehnt, dass eine Interpretation dann als plausibel angesehen werden kann, wenn nicht eine andere Stelle des Textes (bzw. hier des Filmmaterials) dieser direkt widerspricht (Eco 1992⁵: 48). Das bedeutet, die Filme bzw. die Serie werden als ganzes, zusammenhängendes Werk gesehen, das normalerweise in zusammenhängender Form und in einer bestimmten Reihenfolge konsumiert wird. Jede Interpretation, die für die folgende Arbeit als plausibel angesehen wird, muss also dem Werk als Ganzem standhalten, d. h., es darf zumindest dem nicht direkt widersprochen werden.

Ebenfalls hermeneutischer Natur sind die unterschiedlichen filmanalytischen Arbeiten Werner Faulstichs, die grundlegende Hilfen in Form von Fragenkatalogen für die Analyse bieten (Faulstich 2008: 109). Dabei wird sich explizit auch Faulstichs Arbeiten zur Filmanalyse bedient, nicht nur bei den Arbeiten der Fernsehanalyse. Das serielle Erzählen seiner Zeit entspricht eher dem Typus, den auch Bleicher beschreibt (Bleicher 1999: 190), HBOs Westworld von 2016 hingegen ist nicht für ein Publikum gedacht, das ein Mal pro Woche eine Folge schaut, sondern kann eher als ein langer Film gesehen werden.

Ergänzt wird das Ganze durch Wolfgang Ruges Arbeit über Roboter im Film in seinem gleichnamigen Werk. Ruge geht es um eine möglichst gute Vergleichbarkeit und Kategorisierung der Robotermotive. Er arbeitet sechs Hauptmuster heraus. Er bewertet die Roboter in den von ihm untersuchten Filmen anhand der drei Oberkategorien Menschenähnlichkeit, Interaktionsqualität und Rahmenbedingungen, die er wiederum weiter aufschlüsselt. Da er den 1973er Westworld-Film darin einordnet, bietet es sich an, das Kategorisierungsmuster Ruges ebenfalls auf die neuen Inkarnationen der Marke Westworld anzuwenden. Ruge arbeitet aber weniger interpretativ-hermeneutisch, sondern mehr formalistisch (Ruge 2012: 67), um verschiedene Filme auf ihre Darstellung von künstlichen Menschen hin gut vergleichbar zu machen (Ruge 2012: 89). Deswegen soll sein Kategorisierungsschema lediglich als Ergänzung der hermeneutischen Analyse dienen. Ergänzt wird dies ebenfalls durch die Dissertation „Homo Plasticator“ von Thomas Kölsch. Diese aus der Literaturwissenschaft kommende Arbeit beschäftigt sich mit den (mythischen) Wurzeln von Geschichten über künstliche Menschen im SF-Genre. Er erarbeitet in einer europäischen Rezeptionslinie von der Antike bis in die Moderne drei Erzählmusterkategorien, die sich hier als die Typen Prometheus, Galatea und Golem zusammenfassen lassen. Kölschs Schwerpunkt liegt dabei aber auf einer von der Antike kommenden Rezeptionslinie, die mit Unterbrechungen in Europa wieder aufgegriffen wird. In dieser Arbeit sollen allerdings die mit dem künstlichen Menschen verbundenen Hoffnungen und Ängste im Mittelpunkt stehen. Kölschs Erzählmusterkategorien sind in ein für diese Arbeit gewinnbringendes Schema umwandelbar, sodass sie sich auf die jeweils spezifischen Angst- und Hoffnungskategorien fokussieren lassen. Ähnlich wie bei Kölschs Dissertation lässt sich die Dreiteilung der Erzählfiguren vornehmen, aufgeschlüsselt in künstliche Diener, Nachfolger/Nachkommen und (Liebes-)Gefährten. Viele der Ängste und Hoffnungen, die mit der Schablone des künstlichen Menschen angesprochen werden, lassen sich in diese drei Erzählmuster sortieren.

Die Arbeit wird sich ebenfalls in drei Analyseabschnitte teilen. Diese allerdings sind den Erzählmustern übergeordnet. Die ersten beiden Analyseabschnitte der Arbeit sollen sich den Hoffnungen und Ängsten widmen, die auf die Erzählschablone des künstlichen Menschen projiziert werden. Inwieweit ein künstlicher Mensch aber vom hilfreichen Diener zum gefährlichen, revoltierenden Sklaven wird, hängt von der dritten Kategorie ab, der ich den dritten Abschnitt meiner Analyse widmen will: der Conditio humana, also dem, was ein Mensch ist (ihn ausmacht) oder sein soll. Der künstliche Mensch muss durch die Handlung oder Inszenierung vom Menschen abgegrenzt werden. Somit ändert sich gemäß dem, was man als „Mensch“ definiert, auch das, was der künstliche Mensch ist. Erst das Konzipieren des Menschen als fehlerhaftes Wesen macht z. B. den künstlichen Menschen zu seinem besseren (worin, ist dann eine andere Frage) Nachkommen, der ihn zum Wohle aller ablöst. Im Gegensatz dazu steht eine Geschichte, in welcher der Mensch als grundsätzlich gut inszeniert wird. In diesem Fall ist der künstliche Mensch eine Bedrohung, die am Ende der Handlung aufgehalten/vernichtet wird. Mit dieser methodischen Grundlage will diese Arbeit also Antworten auf die oben bereits erwähnten Fragen geben: Was wird mit dem Zeichen/Symbol des künstlichen Menschen verhandelt? Welche Hoffnungen und Ängste knüpfen sich bei der Neuinterpretation an diese Schablone? Was wird dabei als menschlich verstanden?

Der künstliche Mensch muss im Film in irgendeiner Weise in seiner Künstlichkeit, also seinem Nicht-Menschsein gekennzeichnet werden. Daraus lässt sich wiederum ex negativo ableiten, was einen Menschen denn ausmacht.

Sowohl die Filme Westworld (1973), Futureworld (1976) und die Serie Westworld (2016) liegen für die Untersuchung auf Deutsch und Englisch vor. Lediglich die Serie Beyond Westworld (1980) ist ausschließlich auf dem englischsprachigen Markt erschienen und wurde nie für den deutschen Raum synchronisiert. Die Sichtung des Materials fand sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch statt, um Bedeutungsverschiebungen durch die Übersetzung zu überprüfen. Zitation erfolgt bis auf wenige Ausnahmen im englischen Original, wenn nötig mit angegebener Übersetzung oder Paraphrasierung. Wo eine relevante Bedeutungsverschiebung stattfindet, wird diese kenntlich gemacht.

Der in der Arbeit verwendete Terminus „künstlicher Mensch“ wird als Oberbegriff eines geschaffenen Menschen benutzt. Es gibt eine Vielzahl an anderen Begriffen: „Das Wort Androide bezeichnet einen Automaten in menschlicher Gestalt“ (Hügel 2003: 109)[9]

Die „Greenwood Encyclopedia of Science Fiction and Fantasy“ nennt den Androiden ein metallisches oder organisches, gemachtes Wesen, das speziell einen Menschen nachzuahmen versucht, während ein Cyborg eine Kombination aus Mensch und Maschine darstellt (Westfahl 2005: 30). Das Wort Roboter stammt aus Karel Čapeks (*1890 †1938[10]) Theaterstück „Rossumovi Univerzální Roboti“[11] (Alpers et al. 1980: 123). Es leitet sich vom tschechischen Wort robota ab, welches„arbeiten“ bedeutet. Der Begriff Roboter ersetzte das damals geläufige Wort „Automat“ (von gr. automatos, „sich selbst aus eigenem Antrieb bewegen“). Heutzutage ist „Roboter“ das geläufigste Wort. “Automat” hätte sich noch als Oberbegriff geeignet für den Untersuchungsgegenstand, unterschlägt aber die oft thematisierte Künstlichkeit dieser Wesen. Deswegen wird in dieser Arbeit der Begriff „künstlicher Mensch“ als für sich sprechender Oberbegriff gewählt: Es geht eben nicht nur um veränderte Menschen (was ein Cyborg wäre) oder Maschinenwesen im weiteren Sinne.[12] Der Begriff umfasst vom Klon über einen Homunkulus wie Frankensteins Monster alle Wesen, deren Charakteristikum ist, dass sie erschaffen wurden.[13] Mit dem Wort „erschaffen“ wird an eine Natur-Kultur-Dichotomie sprachlich angeknüpft, doch kann diese nicht vermieden werden. Die Geschichte(n), um die es geht, benutzen eine Natur-Kultur-Dichotomie und setzen sie auch oft voraus.

In der folgenden Analyse wird zuerst die Quelle vorgestellt, bevor eine Übersicht über künstliche Menschen aus kulturhistorischer Perspektive geboten wird. Anschließend wird das ambivalente Verhältnis zwischen dem Menschen und seinen Vorstellungen von künstlichen Menschen, aufgeteilt in Hoffnungen und Ängste, untersucht, bevor sich dem Aspekt der Conditio humana gewidmet wird und ein abschließendes Fazit gezogen werden kann.[14]

1.3 Quelle

Der Quellenkorpus umfasst sowohl die zehnteilige Serie Westworld des Senders HBO aus dem Jahre 2016 als auch die beiden Kinofilme Westworld (1973) und Futureworld (1976) sowie die bereits nach fünf Folgen eingestellte Fernsehserie Beyond Westworld (1980). Es handelt sich um ungefähr 1085 Minuten (mehr als 18 Stunden) reinen Videomaterials. Die beiden Filme sowie die abgesetzte Serie als auch das 2016er Reboot liegen für diese Untersuchung als DVD-Veröffentlichungen vor.[15]

Die Serie von 2016 ist mit ihrer ersten Staffel komplett ausgestrahlt worden, auch wenn eine zweite Staffel zum Zeitpunkt dieser Untersuchung angekündigt ist und produziert wird. Diese stand aber erstens zu Beginn dieser Arbeit noch nicht zur Verfügung, zweitens ist die erste Staffel in ihrem Handlungsaufbau als vollwertige Geschichte mit einem in sich geschlossenen Ende zu sehen.

Der Begriff „Fernsehserie“ meint in dieser Arbeit nicht immer dasselbe wie in vielen anderen früheren Publikationen. Gemäß dem „Handbuch Populäre Kultur“ von Hans-Otto Hügel wird im Folgenden die Serie zu einem typischen Format der Massenmedien gezählt (Hügel 2003: 397). Die Serie Westworld kann dabei beschrieben werden mit dem Modell der Fortsetzungsgeschichte, bei der eine Gruppe über einen begrenzten Zeitraum (gerne auch zeitlos) verortet eine in Folgen erzählte Geschichte erlebt (Hügel 2003: 401).

Fernsehserien sind nicht mehr ausschließlich „im Fernsehen“ und „fürs Fernsehen“ gemacht.[16] Eine Produktion wie Westworld (2016), vom Bezahlfernsehdienst HBO produziert, hat nicht mehr die „eine Folge pro Woche“ als Blaupause, bei der ein Zuschauer erst in der nächsten Woche wieder einschalten kann. Der Dienst ist auf Abruf verfügbar, also kann jeder jede Folge sehen, wenn und wann er es will. Somit ist die Narration gänzlich anders gestrickt und kann voraussetzen, dass jede vorherige Folge gesehen wurde. Das muss beim Vergleich der Westworld-Fassungen mit bedacht werden. In der Komplexität der erzählten Geschichte wird dies deutlich. Der 1973er Kinofilm hat mit seiner heute fast schon kurz anmutenden Länge[17] von 85 Minuten deutlich weniger Zeit, eine Handlung zu zeigen, als es die Serie Westworld von 2016 mit ca. 56 Minuten pro Folge, also insgesamt 593 Minuten, hat.

Der erste Westworld-Film von 1973 basiert auf dem Drehbuch[18] von Michael Crichton, der bei dem Film ebenfalls Regie führte. Crichton wurde später einem größeren Publikum bekannt durch den Film Jurassic Park, dessen Grundthema ähnlich dem von Westworld ist: Es geht um einen außer Kontrolle geratenen Themenpark und den sich überschätzenden Menschen. Yul Brynner spielt im 1973er Westworld den Antagonisten als defekten und mordenden Roboter. Sein Auftreten und Aussehen ist sicher bewusst angelehnt an seine Rolle des Revolvermanns Chris aus den „Glorreichen Sieben“ von 1960. Doch mehr zum Inhalt der unterschiedlichen Inkarnationen der Marke Westworld im Kapitel 2.2 (Zusammenfassung der wichtigsten Handlungsstränge).

Aufgrund des kommerziellen Erfolges dieses ersten Films gab es bereits 1976 eine Fortsetzung namens Futureworld. Während Yul Brynner zwar auf dem Plakat des Films auch bei der Fortsetzung eine prominente Rolle einnimmt, spielt er im Film lediglich eine unwichtige Nebenrolle. Das Drehbuch stammt auch nicht mehr aus der Hand von Michael Crichton, sondern von George Schenk sowie Mayo Simon. Allerdings ist die Idee eines weiteren Themenparkbereiches namens Futureworld bereits im Original-Drehbuch des Films von 1973 als Welt angelegt gewesen. Dort fand sie keine Verwendung. 1980 folgte dann die Serie Beyond Westworld, die den Film Futureworld ignoriert und an den 1973er Film anknüpft. Ihre schlechten Einschaltquoten bedeuteten aber bereits nach nur fünf Episoden das Ende. Anschließend ließ man die Marke Westworld eine Weile ruhen. Wichtig wurde die Entwicklung dessen, was eine Fernsehserie ist. Nachdem der bezahlpflichtige Kabelfernsehsender HBO in den USA mit Serien wie Sopranos (1999-2007) und Game of Thrones (2011-fortlaufend) Erfolge feierte, nimmt die dominante Stellung von Serien immer weiter zu, der Markt für Serien wächst. 2016 wurde dann eine neue Serie in Auftrag gegeben. Das Drehbuch wurde von Jonathan Nolan sowie Lisa Joy entwickelt. Die Serie wurde ein voller Erfolg mit mehr als 6 Millionen Zuschauern (inklusive Streamingdienste) bei der Premiere und immer noch 2,7 Millionen bei der Erstausstrahlung der zweiten Episode.[19]

Einflüsse auf die 2016er Serie sind sehr unterschiedlicher Natur: Von den Autoren selbst werden zum Beispiel die Romane Philip K. Dicks[20] angegeben. Ein zentrales Thema seiner Geschichten ist die Frage nach dem Wesen der Realität, aber auch totalitäre Überwachungsszenarien und grundsätzliche ethische Fragen wie der, was einen Menschen eigentlich ausmache. Diese Themenkomplexe werden in der Serie aufgegriffen.

Als eine weitere Inspiration werden von den Autoren einige moderne Videospiele[21] genannt, gerade die Grand Theft Auto-Serie und die Red Dead Redemption-Spiele. Es sind Spiele mit einer offenen Welt, die durchaus im Sinne eines Spielplatzes angelegt sind, auf dem man Dinge ausprobieren kann. Es geht in diesen Spielen, ähnlich wie in Crichtons Themenpark, um Welten, in denen man im wortwörtlichen Sinne eine Rolle spielen kann und in eine Narration eingebunden wird. Es ist dort, vereinfacht gesagt, ebenso möglich, einen Panzer zu fahren als auch einen Banküberfall zu begehen. Gerade dieser Aspekt wird in Westworld aufgegriffen: Es ist ein Ort, an dem man normative Verhaltensgrenzen aufgrund fehlender Konsequenzen ohne Bedenken überschreiten kann. Ebenso nimmt die Serie die Perspektive der Nicht-Spieler-Charaktere (also der künstlichen Menschen, die den Park bevölkern) ein, auf die das Benehmen der Spieler (Gäste des Parks) befremdlich wirken müsste.[22]

In dieser Untersuchung wird bei Szenen immer Stunde und Minute angegeben, nicht die Sekunde. Die Zitation der Westworld-Versionen erfolgt immer wie folgt: Erste Episode, dreißigste Minute der Serie Beyond Westworld wäre BW-E1-00:30.

Die Sekunde kann in den einzelnen Quellenversionen durchaus abweichen, weswegen auf diese Angabe verzichtet wurde. Bei der für die Untersuchung genutzten Version von Westworld (2016) bei Amazon Prime sowie der DVD-Version z. B. fehlen die im Fernsehen mitgesendeten Was-bisher-geschah-Rückblenden, was dort den Timecode ein wenig verschiebt.

image
image

2.1 Eine kleine Geschichte des künstlichen Menschen

Da bereits andere Autoren wie Daniel Ichbiah mit seinem Werk „Roboter. Geschichte_Technik_Entwicklung“ umfassende Darstellungen zur Geschichte künstlicher Menschen verfasst haben, will ich mich nur schlaglichtartig mit einigen der kulturell wichtigen Ereignisse beschäftigen, deren Nachwirkung an der ein oder anderen Stelle noch in der Serie Westworld zu spüren ist. Zusätzlich liste ich die für die Geschichte des künstlichen Menschen bedeutende Literatur auf.

Ein nützliches und sehr aktuelles Übersichtswerk liefern Barthelmeß und Furbach (2012). Es beleuchtet knapp und zeitübergreifend die Verbindung zwischen künstlichen Intelligenzen und Kulturen. Die Autoren greifen dazu weit aus und arbeiten auch kulturvergleichend. Nicht nur da Vincis Entwürfe von Automaten finden Erwähnung (Barthelmeß & Furbach 2012: 20), auch außereuropäisch werden Beispiele betrachtet: In japanischen Erzählungen gibt es z. B. eine weniger ablehnende Haltung gegenüber Robotern als in US-amerikanischen und europäischen Geschichten, was laut einigen Autoren mit dem Shintoismus zu tun haben könnte (Barthelmeß & Furbach 2012: 101). Dieser kennt das im Christentum häufig aktualisierte Motiv der Hybris nicht. Hierfür sei auf andere Arbeiten verwiesen, die umfassend die wechselseitige Geschichte Japans in Bezug zu künstlichen Menschen darlegen (Wißnet 2007). Eine Art Reader stellt der Sammelband von Klaus Völker, „Künstliche Menschen. Dichtungen und Dokumente über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen“, dar und bietet einen historischen Querschnitt. Der Schwerpunkt ist dabei ebenfalls nicht nur europäisch, sondern nimmt auch z. B. asiatische Erzählungen über einen hölzernen Menschen mit auf, der so überzeugend lüstern die Königin ansieht, dass er dafür hingerichtet werden soll (Völker 1976: 63).

Ideengeschichtlich ist René Descartes zu nennen, der oft als Begründer einer Philosophie genannt wird, die den Menschen als Automaten, also als Maschine denkt (Preußner 2012: 53). Feinmechanik war aber ebenso eine wesentliche Bedingung für automatisch funktionierende Maschinen. Im 17. Jahrhundert gab es bereits eine rege Beschäftigung und Tradition in der Feinmechanik. Man baute nicht nur Uhren, sondern versuchte auch erfolgreich die Nachbildung von Lebewesen. Das ist gewissermaßen nichts Neues, da der Mensch schon lange figürliche Darstellungen anfertigt.[23] Nicht nur der Mensch wurde und wird mechanisch nachgebildet, sondern auch Tiere. Kurz wegen ihrer zeitgenössischen Bekanntheit sei hier stellvertretend die mechanische Ente von Jacques de Vaucansons genannt, die nicht nur laufen, sondern auch „fressen“ und „verdauen“ sowie „ausscheiden“ konnte (Sutter 1997: 113).

Mechanische Puppen jeder Art wurden überall in Europa gezeigt. Von dem heute als Autor bekannten Heinrich von Kleist (*1777 †1811) gibt es einen Text, in dem er über seinen Eindruck von einem kleinen mechanischen Tänzer reflektiert. Seiner Meinung nach besitzt dieser eine gewisse Erhabenheit, da ihm jedwede Reue oder Zweifel fremd sind (Kleist 2000: 10). Bereits hier kann man die Ängste und Hoffnungen finden, die verschiedene Reaktualisierungen erfahren. Kleist ist durchaus begeistert von den Möglichkeiten eines künstlichen Menschen. Doch auch zu jener Zeit lässt sich bereits die Furcht vor dem künstlichen Menschen erkennen, wie z. B. in E. T. A. Hoffmanns (*1776 †1822) „Der Sandmann“[24] geäußert. In dieser Geschichte verliebt sich der Protagonist in die künstliche Menschenfrau Olimpia, was ein schlechtes Ende nimmt. Nicht nur trennt sich der Protagonist für diese Olimpia von seiner Verlobten, er stirbt auch zum Schluss tragisch. Die Olimpia ersetzt hier die Verlobte – ein Motiv, das auch in Westworld wieder auftaucht. In dieser Geschichte Hoffmanns ist die künstliche Menschenfrau aber keineswegs die „Böse“. Es geht Hoffmann vielmehr um die Wirkung, die solche Maschinen auf Menschen haben. Sowohl die Thematik des Ersetzt-Werdens als auch die grundsätzliche Frage, ob so ein geschaffenes Wesen überhaupt die Gefühle zu erwidern vermag, werden von Hoffman hier angeschnitten. E. T. A. Hoffmann zählt zu den Romantikern, bei denen eine weitere Überschneidung des künstlichen Menschen mit anderen Themenkomplexen, wie dem Unheimlichen, stattfindet. Die Horrorgeschichte[25] ist gezwungen, sich immer wieder neu zu erfinden, um weiterhin „bedrohlich“ zu wirken, somit werden neue Figuren dem bekannten Repertoire zugestellt (Brittnacher 1994: 269). Die Verknüpfung folgt aus den Homunkuli-Geschichten (Brittnacher 1994: 320). Im Gegensatz zu den „mechanischen“ künstlichen Menschen, also jenen mit Zahnrad und Feder, existiert hier eine parallele Erzähltradition mit künstlichen Menschen aus Lehm oder organischen Materialien.

Der Homunkulus, das Menschlein, ist eine in spätmittelalterlichen Geschichten auftauchende Figur, bei der es sich um einen künstlicher Mensch handelt, der mittels Alchemie zum Leben erweckt wird. Diese Geschichten dienten vermutlich auch als Vorbild für die später häufig verfilmte Geschichte: Mary Shelleys Frankenstein (1818). Viktor Frankenstein erschafft ein Monster (das im Original keinen Namen besitzt). Letztlich stirbt Viktor Frankenstein allerdings nicht durch die Hand der Kreatur (Shelley 1993: 308), wie es häufig in den Filmen geschieht. Shelley macht im Gegensatz zu den diversen filmischen Rezeptionen Frankenstein nicht den alleinigen Vorwurf für das Erschaffen der Kreatur, vielmehr dafür, ein schlechter Vater zu sein und sich nicht um sie zu kümmern. Ebenso wäre es an Victor Frankenstein gewesen, dem Monster eine Gefährtin zu entwickeln (Shelley 1993: 306). Ihm ging es zu sehr um die Kunst des Leben-Erschaffens selbst als um die daraus resultierende Verantwortung (Telotte 1995: 37). Georg Seeßlen bezeichnet das geschaffene, künstliche Wesen als unvollständig. Frankenstein begeht einen Schöpfungsakt ohne Frau und die daraus resultierende Kreatur ist unvollständig (Seeßlen 2000: 19).

Erst später ändert sich diese Geschichte zu einer Erzählung, in der Victor Frankenstein von seiner Schöpfung vernichtet wird. Shelleys Roman bringt es immerhin auf über zehn Verfilmungen. Die erste Shelley-Verfilmung ist von 1910 und seitdem eine feste Größe im Kino. Mit den verschiedenen Aspekten des Mythos beschäftigt sich Rudolf Drux’ Sammelband „Der Frankenstein-Komplex“. Thomas Koebner geht darin davon aus, dass die nachgemachten Menschen eine Art Grauen beim Rezipienten auslösen. Menschen würden immer nach den Details suchen, in denen sich die künstlichen Menschen von den Menschen unterscheiden. So wiederum suche der Mensch eigentlich nach dem, was ihn wirklich ausmache (Koebner 1999: 119). Die „Greenwood Encyclopedia of Science Fiction and Fantasy“ vermerkt, dass mittels des Themas des Androiden häufig eigentlich versucht werde, zu definieren, was Menschlichkeit sei (Westfahl 2005: 31). Der Roboter, der künstliche Mensch, ist dabei das „Andere“, was als Gegenmodell des Menschen dient (Ruge 2012: 169). Insoweit erlaubt der Blick auf die Geschichte des künstlichen Menschen immer einen Blick auf das, was ein Mensch zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Geschichte ist oder vielmehr sein soll.

Ein weiteres Thema kommt später dazu, exemplarisch zu sehen bei Karel Čapeks Theaterstück „R.U.R.“. Dieses Stück entstand in der Heimatstadt der Golem-Legende, in Prag. Čapeks Geschichte spielt in einer nicht näher genannten Zukunft, in der künstliche Menschen ein alltägliches Phänomen sind. Lediglich die Firma Rossum stellt sie her, auf einer Insel und nach einem geheimen Rezept. Čapeks Roboter sind keine feinmechanischen Wesen, die durch Zahnräder und/oder Platinen und Kabel als Schöpfungen erkennbar sind. Sie sind aus einer nicht näher definierten Art Kunststoff gefertigt, der sich verhält wie eine lebende Masse (Čapek 2017: 8). Daraus werden dann die künstlichen Menschen geformt. Damit beginnen sich die Erzähltraditionen über künstliche Menschen aus organischem Material und die, die mechanisch sind, endgültig stark zu vermischen.

Der Hintergrund des Wortes „Robots“ legt bereits ein Thema nahe, das immer wieder aufgegriffen wird, nämlich die Nähe zu Sklaverei und Arbeitsdienst (Schlobinski 2008: 83). Zu diesem Zweck wird der künstliche Mensch geschaffen. Während die Idee des Ersetztwerdens durch die Industrialisierung bereits existierte (siehe z. B. Gerhard Hauptmanns „Die Weber“ von 1892)[26], wird hier den Maschinen ein Gesicht gegeben. Die künstlichen Menschen sind die Arbeiter, die nicht anständig behandelt werden. Wie auch bei den Arbeitern ist das Zahlenverhältnis eigentlich auf Seiten der Ausgenutzten und so können diese auch die Macht erlangen. Was ihnen nicht gelingt, ist, sich nach der Vernichtung der Menschen selbst zu reproduzieren. Sie werden gebaut, nicht geboren, und nachdem das Geheimnis vernichtet wurde, wie sie geschaffen werden, sind ihre Tage wortwörtlich gezählt. Ihr Ende ist offen, auch wenn in den Figuren Primus und Helena eine Art Adam-und Eva-Paar angedeutet wird. Beide künstlichen Menschen lieben sich derartig, dass sie bereit wären, füreinander zu sterben. Die Geschichte Čapeks endet somit mit Hoffnung für diese neue Spezies, nicht für die Menschen. Damit lässt sich zu Čapek resümieren, dass sich das Motiv des hilfreichen Dieners ebenso findet wie das des Ersetztwerdens durch den künstlichen Menschen. Dazu kommt noch das hier neu auftauchende Thema der Ausbeutung, das programmatisch schon im Wort „Robota“ zu erkennen ist. Ebenso gibt es den Themenkomplex, der eine Art Nachkommenschaft der Spezies Mensch in der Spezies des künstlichen Menschen sieht. Auch die Natur-Kultur-Dichotomie ist enthalten, denn als Wesen, die durch Kultur geschaffen wurden, sind Čapeks Roboter unfruchtbar, wie schon bei Frankenstein und anderen „geschaffenen“ Menschen.

Ein weiterer einflussreicher Autor ist Isaac Asimov. Ihm verdankt das Englische, wie auch das Deutsche, nicht nur das Wort „Robotik“, sondern auch eine Fülle an SF-Romanen, von denen manche verfilmt wurden. Die Auseinandersetzung mit künstlichen Menschen und ihren kulturellen Bedeutungen ist in unterschiedlichen Fachbereichen zu beobachten (Sandoval et al. 2014: 61) (Sharkey et al. 2017).

Es existiert auch in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft eine Auseinandersetzung mit SF-Romanen (Nagl 1972), wenn auch weniger etabliert als im Angelsächsischen.

Sporadisch sind auch die umfassenden Arbeiten, die versuchen, den künstlichen Menschen in weitere Kontexte einzubinden. Ruges „Roboter im Film“ ist speziell für diese Untersuchung von Bedeutung, da es nicht nur allgemein auf das Genre der SF abzielt, sondern direkt auf die im Fokus dieser Arbeit stehenden künstlichen Menschen. Andere Arbeiten versuchen schlaglichtartige Übersichten zu bieten, wie Barthelmeß’ und Furbachs (2012) „IRobot – uMan“, oder konzentrieren sich auf die damit verbundenen Erzählmuster wie Kölschs (2009) „Homo Plasticator. Antike Menschenschöpfungsmythen in der Science Fiction“, das auch einen weiten Horizont wählt. Arbeiten wie die von Borrmann (2001) oder Drux (1999) beschäftigen sich konzentriert mit einem verhältnismäßig kleinen Sample (beide Frankenstein). Gerade in Anlehnung daran soll diese Untersuchung sich bei der Beschäftigung mit dem künstlichen Menschen als Schablone auf die Westworld-Inkarnationen stützen. Im kulturübergreifenden Vergleich zeigt sich in der Literatur eine lange Tradition in der Beschäftigung mit künstlichen Menschen, die beinahe universell anmutet. Möglicherweise liegt dem eine grundsätzliche Frage danach zugrunde, was der Mensch eigentlich „ist“. Auffällig bei all der Literatur ist, dass sich die Erzählmuster des Dieners, Nachfolgers und der (Liebes-)Gefährtin mehr oder weniger abgrenzbar immer wieder in derartigen Geschichten finden: Der Diener in Čapeks Roman, der Nachfolger bei Frankenstein und die (Liebes-)Gefährtin bei E. T. A. Hoffmann.

2.2 Zusammenfassung der wichtigsten Handlungsstränge

Die Handlung des Filmes von 1973 spielt in einer nicht näher genannten Zukunft auf der Insel Delos in einem Themenpark. Er beginnt mit einer Expositions-Szene im Stile einer Werbung. Diese erklärt, welche Handlungsmöglichkeiten der Themenpark anbietet. Im Gegensatz zu einem heutigen Themenpark handelt es sich nicht um eine Reihe von Fahrgeschäften und Bauten unter einem Oberthema, sondern eher um eine vollständige, simulierte Welt, ähnlich einer LARP (Live Action Role Play)- oder Living History-Veranstaltung. Zum weiten Feld von Living History, speziell im Museum, siehe Carstensen (2008).

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (eBook)
9783738922202
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (August)
Schlagworte
künstliche menschen serie westworld eine untersuchung
Zurück

Titel: Künstliche Menschen in der Serie  Westworld (2016) – Eine kulturanthropologische Untersuchung