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Die neue Dämmerung der Eisriesen

©2018 80 Seiten

Zusammenfassung

Die neue Dämmerung der Eisriesen
von Hendrik M. Bekker

Der Umfang dieser Geschichte entspricht 65 Taschenbuchseiten.

Das Ende der Welt kam nicht wie erwartet. Es war nicht der vom Mensch herbeigeführte Klimawandel, es war ein Feind ohne Gnade.
Die letzten Reste der einst großen menschlichen Zivilisation vegetieren nun in der Dunkelheit geduckt vor sich hin, Schutz suchend vor den eisigen Winden und den neuen Herrschern der Erde: den Eisriesen!
Dies sind Geschichten aus der Zeit nach dem Untergang....

Erweiterte Ausgabe des Eisriesen-Zyklus.

Das Ebook enthält folgende Episoden:
Überlebende
Die Entführung
Rückschlag
Der Versuch
Nürnberger Untergrund
Die neue Dämmerung
Das Tor

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Die neue Dämmerung der Eisriesen

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von Hendrik M. Bekker

Der Umfang dieser Geschichte entspricht 65 Taschenbuchseiten.

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DAS ENDE DER WELT KAM nicht wie erwartet. Es war nicht der vom Mensch herbeigeführte Klimawandel, es war ein Feind ohne Gnade.

Die letzten Reste der einst großen menschlichen Zivilisation vegetieren nun in der Dunkelheit geduckt vor sich hin, Schutz suchend vor den eisigen Winden und den neuen Herrschern der Erde: den Eisriesen!

Dies sind Geschichten aus der Zeit nach dem Untergang....

––––––––

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ERWEITERTE AUSGABE des Eisriesen-Zyklus.

Das Ebook enthält folgende Episoden:

Überlebende

Die Entführung

Rückschlag

Der Versuch

Nürnberger Untergrund

Die neue Dämmerung

Das Tor

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Überlebende

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Es ist das Ende der Welt.

Schräger Satz, oder?

Wenn man ihn das erste Mal denkt, fühlt es sich frevelhaft an. Der Teil in einem, der völlig auf das Überleben ausgerichtet ist, knallt dem rationalen Teil einen vor den Latz und ruft NEIN.

Wenn man ihn dann das erste Mal sagt, muss das ähnlich sein. Bisher hab ich‘s nur gedacht und sogar mal jemanden sagen hören. Aber, ehrlich? Ich glaube es inzwischen.

Nur, etwas ist nicht so richtig so, wie man sich das vorstellt. Der Emmerich-Katastrophen-Film ist abgelaufen, einmal walzten die Naturgewalten über die Erde und dann ... Ja, dann waren wir noch da.

Wenn es so was gibt wie einen Weltuntergang, dachte ich immer, es ist wie Armageddon in der Bibel. Nicht dass ich das gelesen habe, wer hat es schon? Aber da steht doch, meine ich, dass am Ende, wenn Gericht gehalten wurde, die Tür zum Paradies zugemacht wird und die Schöpfung vorbei ist. Sack zu, Affe tot, irgendwie so.

Aber wir sind noch da!

Ich starre auf die gefrorene Piste vor mir. Das hier war mal Teil des Hafenbeckens von Emden. Das ist oben in Deutschland, in Ostfriesland. Okay, für das „oben“ wäre mein Erdkundelehrer nun sauer. Halt im Norden.

Aber der Reihe nach, das, was hier vor mir ist, ist alles, was noch ist.

Es gibt eine Handvoll Bunker in Emden, Hochbunker wegen des niedrigen Grundwassers. Sie sind aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich lebe in dem, der mal ein Museum war.

Vor zwei Jahren sanken die Temperaturen. Ich meine hier nicht, dass wir einen echt miesen Sommer hatten, wir hatten nur noch bewölkten Himmel.

Dann kamen die Riesen. Es sind große Kerle in Rüstungen und mit Schwertern. Ich habe gesehen, wie ganze Magazine auf sie abgefeuert werden können und Kleinkalibergewehrkugeln kratzen nicht mal die Panzerung der Biester. Sie fressen Menschen, heißt es. Deswegen machen sie so gerne Gefangene.

Ich trage einen dicken warmen Parka und Schichten aus Pullovern, während ich durch die verschneite Stadt stapfe. Ich bin auf Essenspatrouille. Wenn ich ein Tier sehe, abknallen und mitbringen. Wenn ich einen nicht geplünderten Laden finde, muss ich Vorräte mitbringen. Wenn ich einen Riesen finde, muss ich zusehen, dass ich entkomme.

Wir sind nicht mehr viele. Die öffentliche Ordnung brach zusammen und in den Bunkern bildeten sich kleine, ja, was sind wir eigentlich?

Vielleicht sind wir Autokratien, die ihre Herrscher auf Zeit wählen. Irgendwo ein Mittelding zwischen Wahldiktatur und dem Verhindern davon, dass wir immer alles zusammen diskutieren. Es gibt ja nicht mal einen Raum im Bunker, der groß genug dafür wäre.

Ich wäre lieber in einem Atomschutzbunker, der gebaut wurde, um Jahre unterzukommen. Aber hey, ich sehe es positiv.

Während mein Blick zum Café Stadtgarten wandert, in dem ich immer so gerne gesessen habe, mache ich es mir noch einmal eindringlich klar: Es war Weltuntergang und ich bin noch da. Ich meine, leben ist besser als nicht leben.

Mein Rucksack ist leer, ich habe nichts gefunden. Meine Patrouille ist eigentlich beendet, doch ich will noch nicht aufgeben. Schließlich habe ich auch noch keinen Eisriesen gehört. Das ist ein gutes Zeichen.

Sie brummen manchmal. Es klingt wie Buckelwalgesang nur tiefer und irgendwie so, dass es dir eiskalt den Rücken runterläuft.

Vermutlich haben sie Tausende vernichtet.

Wenn wir auf Patrouille ein Radio mitnehmen, um zu hören, ob da draußen jemand ist, bekommen wir stets statisches Rauschen. Wie so oft verdränge ich den Gedanken, dass wir wirklich die allerletzten sind.

Ich beeile mich, zu einem am Stadtrand gelegenen Supermarkt zu kommen. Dort hat die Patrouille von letzter Woche angeblich eine Menge Konserven vorgefunden. Wir brauchen das Vitamin C.

Zwar können wir Schweine halten, denn sie fressen gerne die für uns zum Teil unverträglichen Pilze im Bunker, doch wir brauchen Obst, Gemüse und solche Dinge.

Wir basteln an hydroponischen Gärten, doch das wird dauern. Bis dahin müssen wir vor allem Konserven sammeln.

Während ich durch den kniehohen pulverigen Neuschnee stapfe, höre ich es: Dieses Brummen, das die Eisriesen machen. Sie verständigen sich, glaube ich, damit. Es gibt einige bei uns, die versucht haben, mit ihnen zu reden. Sie wurden geschlachtet, die Eisriesen zerschneiden und zerreißen jeden Menschen, den sie in die Finger bekommen. Was immer unter diesen runenverzierten Rüstungen steckt, es müssen Bestien sein. Ihre Helme lassen keine Sehschlitze frei.

Erneut ertönt das dumpfe Dröhnen, diesmal ganz in meiner Nähe. Ich suche Deckung in einem Häusereingang und warte.

Eine Antwort erfolgt aus Nordwesten, dann ist es lange still. Der nächste dumpfe dröhnende Laut ist weiter weg und ich beruhige mich.

Ich schäme mich nicht zuzugeben, dass ich eine Heidenangst vor den Biestern habe.

Ich habe sie rennen sehen! Ein Porsche ist nichts gegen ihre Beschleunigung. Dazu kommt, dass wir hier nicht in den USA sind. Es ist verdammt schwer, überhaupt an kleinkalibrige Waffen zu kommen. Ich habe einen Karabiner aus dem ersten Weltkrieg aus dem Museum am Ratsdelft. Er funktioniert und vielleicht reicht das Kaliber, um einen Eisriesen zu verletzen. Wissen will ich das aber nicht.

Weiter geht es durch den Schnee, der eisige Wind schneidet mir zwischen den Schichten meines Schals hindurch. Er ist aus Schafswolle, von Schafen der Aran Island aus Irland. Andere Tage, glücklichere.

Ich denke, dass wir auf verlorenem Posten stehen, als ganzes. Was soll man tun? Aufgeben ist keine Option. Also weitermachen, immer weiter dem Ende der Geschichte der Menschheit entgegen.

Wieder dieses Geräusch, dieses tiefe walhafte Brummen. Diesmal kommt es aus einer Nebenstraße direkt vor mir!

Ich renne entsetzt zu einem nahen Auto und grabe mich ein Stück in den Schnee ein. Es schneit noch immer, so dass meine Spuren bald verwischt sind.

Dann sehe ich ihn. Ein Eisriese stampft keine dreißig Meter von mir die Straße entlang. Es fühlt sich an, als würde mein Herz kleine Sprünge machen und zwischendurch aussetzen.

Ich kann ihn gut erkennen. Er ist mehr als zwei Meter groß, ganz in mattschwarzes Eisen gekleidet. Symbole, nordische Runen, leuchten blass blau und er zieht ein Schwert hinter sich her, das fast so lang ist wie ich.

Der Schnee dämpft nur schwach die dröhnenden Schritte des Riesen und das Brummen seiner Rufe spüre ich tief in der Magengegend wie einen Bass auf einem Konzert.

Ich bete inständig vor mich hin, dass er mich nicht entdeckt. Kann er im Schneegestöber nicht auch schlecht sehen? Quälend langsam verrinnt die Zeit, bis er endlich um eine Straßenecke biegt, hinter sich eine breite Schneise ziehend.

Ich atme erleichtert aus. Dabei fällt mir auf, dass ich meine Klamotten fast nass geschwitzt habe. Fröstelnd ziehe ich weiter.

Nach einer weiteren Stunde erreiche ich endlich den Supermarkt. Ich stemme die Schiebetür auf und mache hinter mir zu. Die doppelte Glastür wirkt wie eine Luftschleuse, im Inneren ist es zwar nur wenige Grad wärmer als draußen, aber ich bin froh, meinen Schal etwas lockern zu können.

Ich muss an den Geschichtsunterricht denken. In Höhlen wird es nie kälter als ein paar Grad Celsius oder so, deswegen waren sie beliebter Rastplatz bei den Urmenschen in der Eiszeit. Wenn es draußen minus zwanzig Grad sind, sind diese paar Grad plus echt angenehm warm.

Im Laden wurde geplündert, aber es ist noch viel da. Ich packe meinen Rucksack mit Konserven voll und dann noch zwei Kühltüten mit Knabberzeug und Kleinkram. Es muss leicht sein, denn der Rucksack ist durch die Konserven bereits verdammt schwer.

Zufrieden mit meiner Ausbeute gehe ich zum Ausgang. Als ich die erste Tür der Schleuse öffne, sehe ich draußen ein Fahrzeug! Es ist ein Motorrad, das auf der Straße am Parkplatz vorbeifährt. Oder ein Auto?

Es ist zu schnell, im Nachhinein bin ich der Meinung, es könnte auch ein Trike sein, eines dieser dreirädrigen Motorräder. Doch dann ist es bereits weg.

Hab ich das wirklich gesehen? Ich schüttle den Kopf. Es ist auch egal, wer sollte schon alleine rumfahren bei dem Wetter? Wer immer es ist, er ist sicher bald tot, denn der Lärm, den das Motorrad verursacht, wird die Riesen anlocken.

Mir tut der Fahrer leid, wenn er das nicht weiß. Dabei wird mir eins klar: Wenn der Fahrer nicht dumm ist, könnte seine Sorglosigkeit bedeuten, dass es Gebiete gibt, in denen man nicht so sehr auf die Riesen achten muss.

Ich behalte das im Hinterkopf. Wenn unsere Vorräte zur Neige gehen, wäre es praktisch zu wissen, ob wir nach Süden ziehen könnten.

Ich öffne die Tür und verschließe sie hinter mir, ich werde sicher nochmal wiederkommen.

Mit den schweren Tüten und dem Rucksack mache ich mich auf den Rückweg. Durch das Gepäck ist mir nicht ganz so kalt, die Anstrengung hilft.

In einiger Entfernung höre ich wieder das Brummen der Eisriesen. Ein Teil von mir findet das Geräusch schön, beinahe traurig. Der andere Teil von mir erinnert sich, wie ein Mensch mit einem Schwertstreich senkrecht gespalten wurde. Dem Teil wird übel vor Angst und Wut bei diesem Geräusch.

Es geht immer weiter, am Hafen vorbei in kleinere Straßen. Dann bin ich am Bunker.

Wir hatten versucht, einige Häuser zu besiedeln und zu dämmen, doch die Riesen haben angegriffen und letztlich die Häuser zerstört.

Ich nehme eine Eisenstange, die genau zu diesem Zweck hier deponiert ist, und schlage dreimal gegen das schwere eiserne Eingangsportal der Schleuse.

Dann wird mir geöffnet. Ein bärtiger, griesgrämiger Mann sieht hinaus in den Schnee, seine Schrotflinte im Anschlag. Hinter ihm sind andere mit geladenen Vorderlader-Gewehren. Einer hat einen Morgenstern wurfbereit. Einmal haben wir damit einen Eisriesen ins „Gesicht“ getroffen, hat ihn ganz schön beschäftigt.

Es ist alles, was wir so haben, dazu noch ein paar geladene Armbrüste. Eine Armbrust kann durchaus die Panzer von diesen Biestern durchschlagen, zumindest haben wir es damit schon geschafft.

„Albert“, begrüßt mich der Alte freundlich. „Komm rein.“

Ich trete ein und die Leute entspannen sich. Waffen werden entladen, die Tüten und mein Rucksack werden mir abgenommen.

„Thor sei Dank“, murmelt einer, andere zischen: „Gott, nicht Thor.“

Einige Bunkerbewohner sind Neupagane. So wie bei einigen der Christen hier ein neues Glaubensfeuer durch den Weltuntergang ausgebrochen ist, haben andere entschieden, dass Eisriesen und Weltverdunkelung eher nach der Edda klingen. Somit hätte ja die „recht“.

Dass die Edda hunderte Jahre nach der Christianisierung von einem Christen aufgrund von Hörensagen von Geschichten, die man ihm nicht als Kind beibrachte, geschrieben wurde, ist dabei für die egal. Für sie ist das eine gute Quelle.

Ich finde, es ist noch unpräziser als das Neue Testament, immerhin schrieb man da Dinge auf, die knapp dreißig Jahre vorbei waren, nicht dreihundert Jahre. Aber ich lass ihnen ihren Spaß, soll doch jeder daran glauben, woran er will. Immerhin haben wir hier drin soviel Toleranz, dass jeder seins glauben kann, abgesehen von einigen militanten Atheisten.

Paul, einer der jüngeren der Insassen, wie ich uns gerne nenne, nimmt mir die Waffe ab und stellt sie in den Spind neben der Tür. Dort bewahren wir sie auf. Der Spind ist unverschlossen. Was auch sonst, immerhin können wir uns Uneinigkeit nicht leisten.

Bisher tanzte noch keiner so richtig aus der Reihe, so dass wir noch nicht herausfinden mussten, wie man damit umgeht. Ich nehme an, wir würden ihn oder sie einfach auf eine Reise ohne Wiederkehr schicken. Es geht beim Überleben leider nur so.

„Albert, gut dass du wieder da bist“, begrüßt mich nun Paul und klopft mir auf den Rücken.

Ich nicke abwesend.

„War alles ruhig?“

„Ja, ich habe zwar welche gesehen, sie aber nicht mich.“

Das mit dem Trike behalte ich lieber für mich. Wäre ja auch noch schöner, hinterher hält man mich für irre. Oder man will mich nicht mehr raus lassen, das würde mich echt durchdrehen lassen.

Ich ziehe einen Teil der warmen Sachen aus und hänge sie zum Trocknen auf meine Kiste. Meine Kiste, mit einem Schloss gesichert, enthält alle verbleibenden Habseligkeiten, die ich habe.

Ich sehe auf die große Uhr, die an der Wand hängt. Es ist später Abend. Allerdings habe ich noch Hunger, also gehe ich zur Kantine in den dritten Stock und lasse mir von der Warmhalteplatte eine Portion Gulasch auftischen. Sie wussten, dass ich zurückkomme, deshalb gibt’s auch noch Essen.

Es ist sehr still im Bunker, offiziell ist Nachtruhe. Natürlich gibt es keinen Sonnenschein mehr, aber hier drin bewahren wir die Zeit doch noch auf. Unsere Uhren ticken ununterbrochen und zersägen die Zeit in Häppchen, die uns sagen, dass wir seit Monaten hier sind. Dass wir immer noch hier sind, so muss man das, finde ich, sehen.

Wenn wir aufhören würden, unsere Zeit zu benutzen, was wäre dann? Wie schnell, bis niemand mehr wüsste, ob wir nicht bereits Jahre erdulden müssen, was dort draußen vorgeht?

Das Zeitmessen ist ein letzter Fetzen der Zivilisationsdecke, die man uns heruntergerissen hat und die uns so gut gewärmt hat. Nun müssen wir alles festhalten, was wir noch haben. Möglicherweise gelingt es uns ja eine neue Decke zu schaffen.

Paul Lanza setzt sich zu mir.

„Odin sei Dank, du hast alles überstanden“, sagt er und ich nicke abwesend.

Ich denke, er ist wie ein Seemann, der zwar alles kann und richtig macht an Vorbereitungen vor großer Überfahrt, dann aber trotzdem drei Mal auf Holz klopft. Ein bisschen wie jemand, der den Schulmediziner konsultiert und dann zusätzlich Homöopathisches einnimmt. Man will sich wirklich komplett abgesichert haben, alles getan zu haben.

„Ich will morgen wieder“, erkläre ich. Er hebt neugierig die Augenbrauen.

„Was entdeckt?“

„Nein, aber ich brauch das. Den Himmel.“

Er schnaubt. „Den Himmel, pah, den sieht man doch nicht mehr.“

„Aber du fühlst die Weite da draußen“, erwidere ich und er weiß genau, was ich meine. Ich sehe es in seinen Augen.

Dieses Eingepferchtsein macht uns nur alle wahnsinnig. Er nickt langsam.

„Ich werde mal wieder auf Wache gehen“, sagt er dann mit einem Blick über die Schulter. Noch ist sein Partner, mit dem er Wache hält, nicht hier. Aber er wird gleich kommen.

Lange von der Wache entfernen darf man sich nie, wobei das auch zweifelhaft sinnvoll ist, wie ich zugeben muss. Immerhin könnte ein Riese niemals gut aufgehalten werden. Wir könnten vielleicht einen töten mit den Waffen. Vielleicht zwei. Aber dann? Sie rufen ja immer nach Artgenossen, ich befürchte, wenn sie wissen, dass wir im Bunker sind, heben sie uns aus.

Diesen dunklen Gedanken folgend, löffle ich mein Gulasch. Es ist ziemlich dünn, aber ich habe einen Mordshunger.

Anschließend höre ich mir ACDC auf meinem Discman an. Ich gehöre zu den Glückspilzen, die einen hatten, als die Katastrophe begann. Batterien findet man noch, aber versuch mal, einen Akku aufzuladen. Die meisten Geräte wie Smartphones und ähnliches sind nutzlos geworden. Mein Discman nicht.

Ich rolle mich in meinen Schlafsack ein und dämmere langsam weg.

Bis morgen ist noch viel Zeit.

Ich erwache und ziehe mir die Kopfhörer herunter. Die Musik ist zu Ende, der Discman schaltet sich automatisch ab, wenn die CD durch ist.

Ich stehe auf, gehe in die Männerumkleide und weiter zu den Duschen. Am Waschbecken betreibe ich etwas Katzenwäsche. Meine Wasserration zum Duschen habe ich für diesen Monat schon verbraucht. Also wird es so reichen müssen. Es ist ja nicht so, dass ich besonders viele Dates hätte, bei denen ich jemanden beeindrucken müsste.

Ich ziehe mich an und kümmere mich um meine heutige Aufgabe. Es geht darum, Kleidung zu waschen. Jeder muss hier quasi alles mal machen, alle paar Wochen wechselt es ab. Wobei einige Aufgaben nicht jeder erledigen muss. Kochen zum Beispiel ist etwas, das man je nach Fähigkeitenlage nur einmal muss und je nachdem wird man dann für lange Zeit erst mal nur Gehilfe.

Die Stunden reihen sich aneinander und schließlich bin ich fertig. Nach einer knappen Stunde Pause, in der ich mich ausruhe, heißt es wieder rausgehen.

Ich ziehe mich Schicht um Schicht an und werde an der Schleuse mit guten Wünschen bedacht, während ich in den immer noch tobenden Schneesturm gehe. Wieder trage ich den Karabiner über der Schulter, diesmal aber auch noch einen kleinen Rucksack mit etwas Proviant.

Ich stapfe den ganzen Weg hinaus zu dem Supermarkt erneut. Diesmal höre ich das Heulen des Motors deutlich, lange vorher. Ich mache mich auf den Weg, benutze eine Querstraße, um ihm – wer auch immer da fährt - den Weg abzuschneiden. Naja, im übertragenen Sinne. Verhindern, dass er hier herumfährt, kann ich schlecht. Ich will nicht wissen, wie mies ich auf ein bewegliches Ziel mit dem Karabiner schießen würde.

Ich beeile mich und stehe in der Mitte der Straße, als die hellen Lichter eines Fahrzeugs auftauchen. Ich hebe die Arme, winke mit dem Gewehr. Schließlich ist das Gewehr dunkel und müsste sich zumindest in der Bewegung von all dem Weiß abheben.

In dem Moment, wo das Licht so nahe kommt, dass ich begreife, dass es sich um ein Trike handelt, wird mir auch klar, wie verdammt eingeschränkt das Sichtfeld bei dem Wetter ist.

Ich springe zur Seite und das Fahrzeug rast an mir vorbei. Schnee wirbelt auf, begräbt mich unter sich, als das Trike an mir vorbeizieht und in der Dunkelheit verschwindet.

Ich bin zugegeben neugierig, also gehe ich der breiten Furche hinterher, die es hinterlässt.

Die Bebauung ist hier nicht mehr so dicht. So stapfe ich dahin, bis sie schließlich vor der Einfahrt eines kleinen Einfamilienbungalows endet.

Ich trete vor die Tür und muss kurz zugeben, dass ich nicht weiß, was ich tun soll. Ich tue das einzige, was vermutlich kein Feind machen würde. Ich klopfe drei Mal an die Tür.

Es herrscht stille im Inneren. Dann öffnet sich die Tür und ein alter Revolver wird mir hingehalten.

„Wer bist du?“, zischt eine Stimme. Es ist eine Frauenstimme. Die dazugehörige Frau klingt jung, vielleicht Anfang zwanzig. Sie ist vermummt in ihrer Winterkleidung. Ihr Gesicht ist verborgen unter einem dicken Schal, über dem sie auch noch eine Skimaske trägt. Die Schichten geben ihr ein deformiertes Aussehen.

„Albert Oswin“, erkläre ich wahrheitsgemäß. Von unserem Bunker erwähne ich besser erst mal nichts.

„Bist du allein?“

Ich nicke. Sie lässt mich herein.

„Stell das Gewehr an die Wand.“

„Wenn du die Waffe runternimmst.“

Sie nickt.

Ich stelle mein Gewehr und den Rucksack an die Wand, sie steckt ihren Revolver in ein improvisiertes Holster, das aus Pappe und Klebeband gemacht zu sein scheint.

In diesem kleinen Vorzimmer brennt ein Feuer, das sie in einer Schale entzündet hat.

Sie setzt sich hin und nickt mir zu. Ich mache es ihr nach. Während ich meinen Schal ums Gesicht etwas löse, tut sie es mir gleich und ich muss meine Mimik kontrollieren.

Es ist eine Frau, und dazu noch eine ziemlich schöne. Sie hat einen schwarzen Afro und wilde Augen.

„Isabella Mira Esperanza“, stellt sie sich vor.

Ich nehme die dargebotene Hand.

„Du weißt schon, dass die Riesen dich hier finden werden wegen dem Trike, oder?“

Sie sieht mich entsetzt an.

„Riesen? Gibt es hier auch welche?“

„Bei euch nicht?“

„Ich komme aus dem Süden, Osnabrück. Die Riesen haben niemanden am Leben gelassen und alle getötet.“

„Hier gibt es einige. Wir sollten hier weg.“

Sie mustert mich misstrauisch.

„Lebst du alleine?“

Ich zögere.

„Ich schon“, erklärt sie. „Ich entkam bei der Vernichtung eines Hochbunkers in Osnabrück. Jetzt bin ich auf der Suche nach anderen. Ich hatte gehofft, dass irgendwo keine Riesen sind.“

Letzteres war eigentlich nicht so richtig für mich bestimmt, wird mir klar, als ich ihren Blick sehe.

Sie scheint länger allein zu sein.

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738922196
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (August)
Schlagworte
dämmerung eisriesen
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Titel: Die neue Dämmerung der Eisriesen