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Kinder der verlorenen Sonne

©2018 172 Seiten

Zusammenfassung


Um das Überleben ihres Volkes im Kampf gegen einen übermächtigen Gegner zu sichern, schicken die Drivaner ein Generationsraumschiff mit Kindern auf die Reise, bevor ihre Welt vernichtet wird. In der Eile wurde das zentrale Gehirn jedoch ungenügend programmiert. Sein Programm bezieht sich nur auf Kinder, nicht auf die Erwachsenen, weshalb es die tötet. Lediglich die in jeder Generation auftretenden Mutanten werden gebraucht, um das Schiff zu steuern. Durch Zufall beobachtet die junge Listana, wie die Neu-Erwachsenen, die angeblich in den Dienst der Götter treten, getötet werden. Ihr Weltbild bricht zusammen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Table of Contents

Kinder der verlorenen Sonne

Copyright

Prolog

1.

Die Geschichte

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

Epilog

Kinder der verlorenen Sonne

SF-Roman von Margret Schwekendiek

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 172 Taschenbuchseiten.

 

Um das Überleben ihres Volkes im Kampf gegen einen übermächtigen Gegner zu sichern, schicken die Drivaner ein Generationsraumschiff mit Kindern auf die Reise, bevor ihre Welt vernichtet wird. In der Eile wurde das zentrale Gehirn jedoch ungenügend programmiert. Sein Programm bezieht sich nur auf Kinder, nicht auf die Erwachsenen, weshalb es die tötet. Lediglich die in jeder Generation auftretenden Mutanten werden gebraucht, um das Schiff zu steuern. Durch Zufall beobachtet die junge Listana, wie die Neu-Erwachsenen, die angeblich in den Dienst der Götter treten, getötet werden. Ihr Weltbild bricht zusammen.

 

 

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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postmaster@alfredbekker.de

 

 

Prolog

Tief irgendwo im unendlichen Weltraum raste ein winziger Lichtpunkt durch die Schwärze. Die Hülle bestand aus unzerstörbarem Material, war absolut dicht, so dass das Innere der Hülle mit einem atembaren Luftgemisch versehen werden konnte. Unzählige Räume in vielen verschiedenen Decks gab es in der Hülle, viele von ihnen bewohnt von den humanoiden Wesen, die sich nicht darum kümmerten und auch nicht wussten, wie sich ihr fliegendes Zuhause bewegte. Dennoch wurde die Hülle, die letztendlich ein Raumschiff war, gesteuert. Gesteuert von einer seelenlosen Maschine, versehen mit Schaltkreisen, Befehlssektionen und vielen Programmen, die sicherstellen sollten, dass den an Bord befindlichen Wesen nichts zustoßen konnte.

Das Herz dieser Maschine befand sich in der Zentrale, die noch nie von einem lebenden Wesen betreten worden war, seit es in den Dienst gestellt worden und von der Heimatwelt gestartet war.

Der Raum war kreisrund und hoch wie ein Dom, hunderte von Monitoren, versehen mit Schaltanlagen, Knöpfen, Hebeln, Mikrophonen und Terminals, bedeckten jede freie Wandfläche und waren auf verschiedene Kommandopulte im Raum verteilt. Die Decke schien aus durchsichtigem Material zu bestehen, die die Unendlichkeit widerspiegelte. Die endlose Schwärze des Weltalls erstreckte sich optisch nur wenige Handbreit über der Zentrale – und war doch weit entfernt. Die ganze Decke war ein einziger Außenbildschirm.

Vereinzelt strahlte ein Stern heller, wenn das Raumschiff an ihm vorbeiflog, doch niemals kam einer von ihnen so nahe, dass man erkennen konnte, ob die angezeigte Sonne Trabanten besaß. Der Boden war spiegelblank, noch niemals schienen hier Füße entlanggegangen zu sein. Dünne schmale Linien zeigten an, dass sich die Roboter auf immer gleichen bestimmten Bahnen bewegten. Düsteres, rötliches Licht erfüllte den Raum, spiegelte sich in den vielen abgeschalteten Bildschirmen, ließ die hier und da wie sinnlos aufleuchtenden Lampen wie Blitze durch die Dämmerung glimmen. Absolute Stille herrschte, wenn man von den stets gegenwärtigen Summen der Aggregate absah.

Alle diese Einrichtungen, erbaut, um ausgebildeten Raumfahrern die Möglichkeit zur Steuerung des Schiffes mit dem hoffnungsvollen Namen DRIVA-GORON, Drivas Zukunft, zu geben, wirkten wie tot. Nichts Lebendiges regte sich, selbst die umher huschenden Wartungs- und Reinigungsmaschinen machten nicht den Eindruck, etwas lebendiges zu sein – was sie letztendlich auch nicht waren.

Wie von Geisterhand leuchteten plötzlich einige Monitore auf, Schriftzeichen erschienen, blinkten, rasten in unheimlicher Schnelle über die Bildschirme, verschwanden wieder, wurden irgendwo gespeichert. Kein lebendes Auge bemerkte die Informationen, nur die seelenlose, nie rastende Maschine nahm die Datensätze auf.

Der Zentralrechner – das Großrechenhirn, der unbestrittene, weil unbekannte Kapitän dieses Raumschiffs – hatte Anweisungen gegeben, untergeordnete Maschinen würden sie erfüllen. Doch auch weiterhin würde kein organisches Wesen diese Zentrale betreten.

Organische Wesen? Es gab sie an Bord, aber sie hatten keine Funktionen im Bereich der Steuerung zu erfüllen, ganz im Gegenteil, sie sollten von der Zentralsteuerung und den ihr zugeordneten Robotern beschützt, gehegt und gepflegt werden. Nun, sie waren außerdem Bestandteil eines fehlerhaften Programms, ohne das der Computer dennoch nicht eine Lichtsekunde würde zurücklegen können.

Organische Wesen? Ja, sie gab es in großer Menge in diesem Raumschiff. Unter der Zentrale befand sich mehrere große Hallen. Hunderte von elektronisch gesteuerten Liegen mit Druckluft reihten sich aneinander, auf jeder lag ein Wesen, knapp einen Zentimeter über der Liegefläche, um den Körper nicht wund liegen zu lassen; wächsern das Gesicht, bleich und starr wie der Tod. Die Körper ausgezehrt, künstlich ernährt durch Schläuche, stets überwacht von Maschinen. Jedes dieser Wesen war körperlich fast tot, doch ihre Gehirne arbeiteten, durch komplizierte Verbindungen an das Computersystem angeschlossen, gezwungen durch einen absolut logischen Willen, der doch nichts eigenes produzieren konnte und nur seiner Programmierung folgte. Aber er besaß die Macht, die organischen Wesen selbst waren machtlos. Sie wurden unterjocht, bis ihre Gehirne ausgebrannt waren, bis sie keine Impulse mehr erzeugen konnten, die das System steuerten. Dann wurden ihre nutzlosen Körper entfernt, neue kamen hinzu.

Jeder, der neu hinzu kam, wurde ein Teil des Systems, bekam Zugang zu der Geschichte, die die Wiesen dahin gebracht hatte, dieser Maschine zu dienen.

Die Erkenntnis war für viele ein Schock, immer wiederkam es zu Ausfällen, weil die Gehirne nicht verkraften konnten, was sie erfuhren. Wahnsinn spiegelte sich dann in den Augen, die dennoch leblos wirken. Die Körper räumten sich auf, wollten davonlaufen und kamen doch keinen Zentimeter vom Fleck – untrennbar verbunden mit dem Ausbeuter, der die Gehirne zwang, sich zu beugen und zu arbeiten, ihm und dem System zu dienen. Alles zum Wohle der übrigen organischen Wesen, die um jeden Preis beschützt werden mussten.

 

 

1.

Irgendwo schlug ein Gong, kraftvoll und stöhnend, hallte lange nach mit seinem dunklen Klang, erfüllte die Herzen der Anwesenden mit Vorfreude.

Das Licht in der Tempelhalle flammte auf, beleuchtete die Versammlung der Neu-Erwachsenen, die sich vor dem Priesterpaar versammelt hatten, um den letzten Segen zu empfangen.

Die Neu-Erwachsenen trugen im Gegensatz zu den übrigen Bewohnern des Schiffes rote Roben, ein Zeichen, dass sie bereits den Göttern geweiht waren und nicht mehr zu den Kindern gehörten, die das Raumschiff bevölkerten. Sie würden ihren Weg gehen, der ihnen vorbestimmt war, den Weg in den Dienst der Götter.

Trivia, die Tochter von Helmar und Katra, die bereits lange bei den Göttern weilten, strich sich mit einer unbewussten Bewegung ihre langen schwarzen Haare zurück. Ihr hübsches, schmales Gesicht mit den großen schwarzen glutvollen Augen wandte sich rasch umher, schaute in die Tempelhalle. Sie wusste, sie würde diesen Raum zum letzten Mal in ihrem Leben sehen. Trivia musterte die mit kostbaren Stoffen vorhandenen Wände, an denen die jüngeren Kinder Ehrenwache hielten. Ganz in weiß gekleidet, blickten sie mit großen Augen teilweise etwas verängstigt auf die Versammlung.

Trivia dachte flüchtig an ihre zwei Kinder, die noch zu klein waren, um teilzunehmen. Sie befanden sich in der Obhut der Wachenden Schwestern in der Säuglingsstation. Auch die beiden würde sie nie mehr wiedersehen. Der Abschied war ihr schwer gefallen, es war nicht leicht für eine Mutter, ihre Kinder zu verlassen. Doch das war schon immer der ewige Kreislauf gewesen, die Neu-Erwachsenen mussten die Gemeinschaft verlassen, um den Göttern zu dienen, so lautete das Gesetz.

Trivia kehrte mit ihren Gedanken zurück in die Gegenwart, musterte das vor ihr stehende Priesterpaar, Jacor und Satra. Die beiden hatten ihr Amt erst vor Kurzem übernommen, und dies war die erste Verabschiedung. Sie wirkten nervös, ängstlich, und bemühten sich sehr, alles richtig zu machen.

Jacor war 13, ebenso wie Satra. Das Priesterpaar war immer gleich alt recht, gemeinsam führten sie ihr Amt, gemeinsam verließen sie es, um ebenfalls den Göttern zu dienen. Es gab auf dem ganzen Raumschiff kein Wesen, das älter als 18 Standard-Jahre gewesen wäre. Mit 15 Jahren setzte die Geschlechtsreife ein, mit 18 zählte man zu den Neu-Erwachsenen und wurde abberufen. Wohin, das wusste niemand. Der Dienst der Götter war etwas streng Geheimes, noch niemand war von dort zurückgekommen, um darüber zu berichten.

Jacor und Satra streckten nun gemeinsam ihre Hände aus, legten sie einem jeden der 14 Neu-Erwachsenen auf den Kopf, die sich dafür verbeugten, und sprachen die rituellen Worte.

„Geht nun, Brüder und Schwestern, dient den Göttern und lobt sie ob ihrer Gnade. Erfüllt eure Pflichten und geht ein in die Glückseligkeit der Berufenen. Unsere Wünsche und Sehnsüchte werden euch begleiten.“

Trivia traten Tränen in die Augen, liebend gern würde sie die Glückseligkeit der Berufenen tauschen für ein mühevolles Leben mit ihren Kindern. Doch gleich nahm sie sich zusammen. Es ging nicht, das wussten alle. Also unterwarfen sich auch alle den Gesetzen.

Die Neu-Erwachsenen standen auf, formierten sich in einer Reihe und schritten auf die sonst verschlossene Tür hinter dem Priestersitz zu. Wie von Geisterhand öffnete sich diese, metallisch schimmernde, glänzender Körper wurden sichtbar. Die Helfer der Götter waren gekommen, um die Berufenen zu ihrer Bestimmung zu geleiten. Wortlos folgten die Neu-Erwachsenen, die im Herzen doch noch immer Kinder waren, sie verbargen ihre Angst vor der Zukunft nur unzureichend. Die Maschinen bewegten sich fast lautlos, Trivia fragte sich, wie sie das machten. Doch eigentlich war es ihr egal. In ihrem Herzen schwanden Neugier und Trauer, nur die Angst blieb. Wohin wurden sie gebracht? Was war der Dienst für die Götter?

Der Weg führte durch viele schmale Gänge, manche nur unzureichend beleuchtet, andere grell erhellt.

Wohnen hier die Götter?, fragte sich Trivia. In ihrer Vorstellung lebten die Götter unerreichbar fern, irgendwo im unendlichen Schwarz draußen im Weltall. Ganz sicher aber nicht hinter einer dieser verschlossenen Stahltüren, an denen sie vorbei schritten.

Der Weg schien endlos, und doch hielten die Maschinen irgendwann an. Eine Tür glitt zur Seite, dahinter fiel helles Licht auf den hier nur unzureichend erleuchteten Gang. Trivia folgte ihren Brüdern und Schwestern und fand sich plötzlich in einem Raum, der eher wie eine Krankenstation aussah, denn wie ein Raum, in dem man den Göttern dienen konnte. Doch was wusste sie schon, wie sich die Götter den Dienst vorstellten? Vielleicht hatten sie alle untergeordnete Hilfsdienste zu leisten, wer wollte das sagen?

Jeder der Neu-Erwachsenen bekam eine silbern glänzende Haube auf den Kopf gesetzt, verschiedenfarbige Kabel führten von der Haube weg zu einem Maschinenblock, in dem es leise summte. Trivia spürte ein unangenehmes Kribbeln an ihrer Kopfhaut, als sie die Haube auf den Schädel setzte. In ihrem Geist schienen sich urplötzlich Sperren zu lösen, unzählige neue fremde Gedanken drangen auf sie ein, unwillkürlich schrie sie auf. Was war das?

Verwirrt und erschreckt riss sie das silberne Ding herunter, presste die Hände an die Schläfen, versuchte verzweifelt, die auf sie eindringenden Impulse zu verdrängen.

Zwei ihrer Brüder empfanden ebenso, auch sie schrien in höchster Pein und rissen die Hauben von den Köpfen. Zwei Roboter führten die zwei männlichen Erweckten zur Seite, während die übrigen Neu-Erwachsenen aus dem Raum gebracht wurden. Trivia blieb allein zurück.

„Wo bringt ihr sie hin?“, rief Trivia hinterher. Trotz des Chaos in ihrem Geist wollte sie nicht gern von ihren Brüdern und Schwestern getrennt sein. Doch sie bekam keine Antwort. Sie empfing verwirrende Gedanken wie nie zuvor, ging plötzlich den Weg im Geiste mit ihnen, sah durch ihre Augen, konzentrierte sich voll und ganz auf die Gedanken und Empfindungen der anderen, obwohl sie nicht verstand, warum das urplötzlich so war, und woher sie es konnte.

Eine weitere Maschine tauchte auf, auch Trivia wurde einen Gang entlanggeführt. Gleichzeitig blieb die junge Erwachsene mit den übrigen Brüdern und Schwestern verbunden, sah und spürte alles, was diese erlebten. Die Maschinen führten sie einen neuen Weg entlang, an dessen Ende sich eine große Tür mit einem leuchtend roten Blitz befand. Der Roboter öffnete die Tür, schob die Neu-Erwachsenen hinein, die gerade noch erkennen konnten, dass es sich nicht um eine weitere Tempelhalle handelte. Lodernde Flammen machten sich im Geist der jungen Frau breit, unerträgliche Hitze – das war der Tod! Das Letzte, was sie bewusst empfing, war ein ungeheurer Schmerz, dazu kam die Erkenntnis, nichts weiter zu sein als Nahrung für den Konverter.

Trivia schrie, gellend, sinnlos. Sie sank zusammen, Tränenfluten brachen aus ihr heraus, noch immer fühlte sie Todespein der anderen. Einer der Roboter wollte Trivia am Arm fassen und vom Boden hochziehen, doch sie schreckte zurück, wich bis in die äußerste Ecke zurück.

„Nein, nein, ich will nicht!“, schrie sie immer wieder. Doch einer seelenlosen Maschine kann man nicht entgehen. Die Maschine packte sie unsanft, aber mühelos am Arm und zerrte sie mit sich. Schließlich ergab sie sich in ihr Schicksal. Wenn sie schon sterben musste, dann wenigstens mit Würde.

So also sah der Dienst der Götter aus? Das war wahrlich keine große Tat, die Berufenen wurden kurzerhand getötet. Auch eine Art von Berufung, dachte Trivia mit bitterer Ironie.

Ihr Gesicht war wie versteinert, ihr Gang schleppend, sie fand sich damit ab, den Brüdern und Schwestern zu folgen, doch sie und die beiden Brüder, die man vor ihr aus dem Raum gebracht hatte, wurden in eine andere Richtung dirigiert. Eine weiße, unscheinbare Tür öffnete sich vor ihnen, dahinter lag ein heller, sauberer Raum. Die Tür wurde hinter ihnen sorgfältig verschlossen. Aus verborgenen Öffnungen klang ein leises Zischen. Der Raum füllte sich überraschend schnell mit einem Gas, wie Trivia erstaunt feststellte. Sie wurde von einem Augenblick auf den anderen völlig ruhig, fast apathisch. Es war ihr nun egal, was die Roboter mit ihr anstellen würden. Schlimmer als der Tod konnte es ohnehin nicht sein. Dachte sie!

Eine Wand glitt zur Seite, was sich dahinter auftat, erschreckte sie trotz der aufgezwungenen Apathie. Doch sie war nicht fähig, noch einmal mit Angst und Schrecken zu reagieren. Teilnahmslos und gleichgültig starrte sie auf das Bild, welches sich ihr und den Brüdern bot.

In langen Reihen lagen dort Wesen ihrer Art auf flachen Krankenliegen, die Körper an Schläuche angeschlossen, den Kopf bedeckt mit einer silbernen Haube, wie sie sie bereits kannte. Unzählige mussten es sein, die hier ihre Gehirnströme durch die bunten Kabel schickten, irgendwohin, einem unbekannten Zweck zu. Willenlos ließen die drei es geschehen, dass die Maschinen sie auf unbenutzte Liegen packten, sie anschlossen an die Schläuche, aus denen eine glasklare Flüssigkeit in ihrer Adern tropfte. Erneut bekamen sie eine Haube übergestülpt, hauchdünne Sonden mit hauchfeinen Nadeln bohrten sich in ihre Gehirne, schufen eine Verbindung zum System, schalteten den freien Willen aus.

Die Gehirne wurden in die Verbindung gezogen, alles war neu und unverständlich, doch dann erschienen die ersten klaren Gedanken von anderen ihrer Art in den Gehirnen. Unwillkürlich stellten sich Fragen; Bedauern und Angst erfüllte die neu hinzugekommenen, als die bereits vorhandenen Gehirne sie in den Kreis aufnahmen. Behutsam und vorsichtig tasteten sich die Gedanken der anderen vor, unterbanden die aufkeimende Panik, dann erlebten Trivia und ihre Brüder die Geschichte ihrer Vorfahren – und damit auch die Legende einer Maschine.

 

 

Die Geschichte

TRAGO V stand in riesigen Lettern auf dem Raumschiff, das sich gerade ruhig und wie spielerisch auf das Raumfeld hinab senkte. Eine erwartungsvolle Menschenmenge stand geordnet am Rande des Landeplatzes, wartete, dass sich die Schleusen öffneten und die Besatzung herauskam. Die strahlenden Gesichter der Raumfahrer zeigten den Wartenden, dass die Mission ein voller Erfolg gewesen sein musste.

Kapitän Grovar schritt als erster aus der Schleuse heraus, dicht gefolgt von den Wissenschaftlern, die auf dem siebten Planeten des Sonnensystems Driva Experimente durchgeführt hatten.

Die Sonne Drivora schien heiß, viel zu heiß herab auf den Planeten Drivana, doch heute wurde die Hitze ignoriert. Nach einer Abwesenheit von 17 Standard-Monaten war die TRAGO V endlich wieder daheim.

Nun gab es auch kein Halten mehr für die Zuschauer. Lachend und weinend gleichzeitig liefen sie auf die Männer und Frauen zu, die gerade die Schleuse verlassen hatten, umarmten sie, erzählten, redeten durcheinander.

Kapitän Grovar schloss seine Frau in die Arme, küsste sie herzlich und spürte plötzlich ein leises Zupfen an seinem Ärmel. Er beugte sich herunter, machte große Augen und nahm das Kind auf den Arm.

„Ist das wirklich schon mein Sohn Ragor? Bei den Göttern, ist er groß geworden. Als ich euch verließ, konnte er kaum laufen.“ Freudentränen liefen ihm über die Wangen, doch das störte ihn nicht. Er küsste sein Kind und nahm es auf die Arme, schloss seine Frau noch fester in die Arme und schritt mit ihr den Raumhafengebäuden entgegen, um endlich heimzufahren.

Der Besatzung stand zunächst einmal etwas Urlaub zu, doch schon in den nächsten Minuten begannen die Auswertungen sämtlicher Aufzeichnungen, die die TRAGO V gemacht hatte. Dazu gehörte auch die Überprüfung sämtlicher Ortungsergebnisse aus dem Weltraum. Hier gab es eine große Überraschung, da niemand bei diesen Daten eine Anomalie erwartet hätte.

Fast wie ein Schemen huschte ein kurzer Reflex über die Bildschirme, verschwand, kehrte gleich darauf zurück. Heftiges Rätselraten begann, schließlich einigten sich jedoch alle Wissenschaftler darauf, dass dieser Reflex ein fremdes Raumschiff gewesen sein musste.

„Es gibt also wirklich Leben außer uns“, sinnierte Kapitän Grovar, der nach einigen Tagen mit seiner Familie in den Dienst zurückgekehrt war. „Vermutet haben wir es immer, doch jetzt gibt es endlich den Beweis!“

In höchster Eile wurden Sonden in den Weltraum hinausgeschickt, mit denen die Drivaner auf sich aufmerksam machen wollten. Es konnte vielleicht einen ersten Kontakt geben, ein ungeheures Ereignis. Dass die Fremden vielleicht gar keine freundlichen Absichten haben könnten, kam dem Drivanern gar nicht in den Sinn. Seit ewig langer Zeit schon lebten sie in Frieden und Eintracht miteinander. Bis es jedoch zu diesem erstrebenswerten Zustand gekommen waren, hatte sich das Volk in viele kleine Völker gespalten, sich mit fürchterlichen Waffen bekämpft, und es hatte Millionen von Toten gegeben. Dann war im Zuge der Kriegsforschung die Kernspaltung entdeckt worden; eine schreckliche Waffe wurde gebaut und gezündet, fast wäre der Planeten zerstört worden. Das hatte letztendlich allen gezeigt, dass es so nicht weitergehen konnte. Wie durch ein Wunder fanden sich die vielen kleinen Völker zu einem einzigen großen zusammen, ächtete diese Waffen für alle Zeiten und vernichtete sie.

In der Folgezeit erreichten die Drivaner eine bemerkenswerte rhetorische Fähigkeit, sie konnten über praktisch alles reden, tauschten Argumente aus und suchten stets nach der Wahrheit. Waffen gab es keine mehr, das ganze immense Wissen wurde darauf verwandt, Wissenschaft und Forschung voranzutreiben. Das ganze Volk hatte sich dermaßen verändert, dass es keinem von ihnen in den Sinn gekommen wäre, auch nur einen Gedanken an Gewalt zu verschwenden. Um Auseinandersetzungen, wie sie zwischen denkenden Wesen, die bereit sind vorwärts zu streben und sich weiterzuentwickeln, häufig absolut unvermeidbar sind, auszutragen, entwickelten die Drivaner eine Methode des Streits, wie sie sonst nur von sehr alten, abgeklärten Völkern praktiziert wurde.

Allein durch die Kraft der Worte wurden die Kämpfe von da an ausgetragen. Die Drivaner schufen Rededuelle, die bis in die kleinste Einzelheiten ritualisiert waren. Viele kluge Philosophen, die lange die Macht des Wortes studiert hatten, legten die Regeln fest. Von da an gab es eine offizielle Stelle, an die sich jeder Drivaner wenden konnte, wenn er mit einem anderen eine Meinungsverschiedenheit hatte. Dann wurden regelrechte Kontrakte aufgesetzt, die beide Parteien unterzeichneten. Auf diese Weise hatten sie die Möglichkeit, ihre Auseinandersetzung unter der Richterschaft der Philosophen auszutragen, wobei sich oft herausstellte, dass die Gegensätze gar nicht so groß waren, wenn man in Ruhe darüber sprach. Gab es wirklich keinen Weg, aufeinander zuzugehen, so entschieden die Philosophen, wer die besseren Argumente hatte, der Unterlegene beugte sich diesem Urteil.

Mit dieser Regelung konnten alle hervorragend leben. Allen auf Drivana sollte es dabei für alle Zeiten unvergesslich bleiben, wie sich das wichtigste Duell gestaltete, welches jemals ausgetragen wurde.

Die medizinischen Wissenschaftler hatten die These aufgestellt, dass die Drivaner keine Seele besitzen konnte, wie es bisher immer von den Priestern in den Diensten der Götter propagiert worden war. Diese Abweisung aller Lehren durch die Ärzte konnten die Priester natürlich so nicht stehen lassen. Sie suchten die Duellbeamten auf und stellten den förmlichen Antrag auf ein Rededuell.

Da es sich hier bei den Duellanten um die angesehensten Parteien der Drivaner handelte, war es wichtig, selbst winzige Details der Regeln einzuhalten. Von jeder Gruppe würden sich drei hervorragende Köpfe zusammenfinden und die Argumente vortragen, die Philosophen würden ihre obersten Lehrer als Vorsitzende Richter entscheiden lassen, falls es keine Einigung geben sollte.

Das bevorstehende Duell sprach sich natürlich auf dem ganzen Planeten schnell herum und wurde mit Spannung erwartet. In Anbetracht dieser lebensbestimmenden Frage würde das Duell auf dem ganzen Planeten über Kommunikationsbilder, die Kombi-Sender, übertragen, so dass jeder die Auseinandersetzung verfolgen konnte, um sich selbst seine Gedanken darüber zu machen.

Drei Priester und drei Ärzte saßen sich im Studio gegenüber, jeder hatte vor sich schriftliche Unterlagen, sowie kleine Computer, und schaute immer wieder verstohlen zu den Gegnern hinüber. Die Blicke waren durchaus freundlich, schließlich wollte man ein Problem klären, welches schon seit vielen Generationen die Drivaner bewegte. Jeder war allerdings der Ansicht, seine Argumente würden die Besseren sein.

Endlich trat dann der oberste Philosophielehrer dazu, begleitet von zwei hervorragenden Kollegen. Diese drei bildeten das Triumvirat der Richter. Mit gemessenen Schritten traten sie an ihre Plätze. Die Duellanten standen ehrfürchtig auf und verbeugten sich. Der Vorsitzende entnahm seiner Robe, schwarz mit silbernen Ornamenten, wie sie alle Philosophen trugen, eine Schriftrolle, wie sie bereits seit ewigen Zeiten für offizielle Dokumente in Gebrauch war. Er entrollte das Dokument und begann zu sprechen. Seine Stimme klang volltönend und warm, erfüllte das ganze Studio und drang jedem der vielen Millionen Zuschauer in die Herzen.

„Ich eröffne hiermit das Duell zwischen dem Berufsstand der Priester, die das Duell beantragt haben, und den medizinischen Wissenschaftlern als Gegenpartei. Jede Partei hat das Recht, seine Argumente in angemessener Form vorzutragen, wie es das Ritual erfordert. Sollten beide Parteien nach dem Disput nicht zu einem befriedigenden Ergebnis kommen, so werden wir eine Entscheidung fällen, die von niemandem mehr angefochten werden kann. Ertron, als Wortführer der Priester, wird beginnen. Rigon, der Sprecher der Ärzte, wird der Form genügen, seinen Kontrahenten in Ruhe aussprechen zu lassen und seine Worte bedacht zu wählen. Und nun, meine Brüder und Schwestern, beginnt. Mögen die Götter in ihrer Weisheit allen die richtigen Worte in den Mund legen.“

Ertron, ein hoch gewachsener Priester, stand auf und verneigte sich leicht von seinen Gegnern. Er trug sein Haar, wie es die Priesterschaft erfordert, sehr kurz geschnitten, bis auf einen langen Zopf, der den ganzen Rücken hinunter hing. Auch seine Kollegen, Mitron und die hübsche Algora, besaßen diese Haartracht. Sie trugen, wie die Philosophen ebenfalls, lange Roben, bei den Priestern herrschte allerdings die Farbe Rot vor.

Die Ärzte hingegen hatten keine vorgeschriebene Kleidung, während ihrer Berufsausübung trugen sie jedoch weiße Anzüge, die sie angesichts der Wichtigkeit dieser Zeremonien ebenfalls angelegt hatten.

Ertron begann nun in gewählter Weise seine ersten Worte vorzutragen.

„Liebe Brüder und Schwestern auf unserem wunderbaren Planeten unter der Sonne Drivora, die von den Göttern in ihrer Weisheit erschaffen wurde, hört mich an und wägt eure Gedanken gut ab. Die Brüder und Schwestern der Ärzteschaft stellten eine These auf, die uns, die wir in festem Glauben leben, in die tiefsten Grundfesten unserer Existenz erschüttert. Sie leugnen unsere Seelen. Wie aber können wir ohne Seele leben, frage ich euch. Haben uns nicht die Götter über die Vielfalt der Arten, über jedes noch so geringe Wesen, sei es Pflanze oder Tier, erhoben, und uns mit einer Seele ausgestattet, die es uns ermöglicht, zu fühlen und zu denken? Wer die Seele leugnet, leugnet die Existenz der Drivaner. Ich bitte nun Rigon, diese Tatsachen widerlegen zu wollen.“

Der Priester verneigte sich noch einmal leicht und setzte sich dann.

Rigon, ein sehr alter Arzt mit weißem Haar und freundlichen Augen, stand nun seinerseits auf und verneigte sich.

„Ich danke dem Priester für seine Worte, die er nicht besser hätte formulieren können. Selbstverständlich sind wir Mediziner weit davon entfernt, die Existenz der Drivaner zu leugnen. Doch jedem Arzt, jedem ausgebildeten Naturwissenschaftler, wird sich die Frage nach der Seele schon einmal gestellt haben. Wir haben lange danach gesucht, Brüder und Schwestern. In jedem Körper, der uns zur Heilung anvertraut wird, fragen wir uns nach dem Sitz der Seele, um sie nicht zu verletzen. Wir haben in unserer langen Zeit als Heiler auch zahllose tote Körper untersucht. Doch nirgends, glaubt mir, nirgends haben wir jemals den Sitz der Seele gefunden. Aus diesem Grunde müssen wir einfach davon ausgehen, dass es keine Seele gibt. Denn wo sollte sie sein? Es gibt keinen Platz dafür. So kommen wir dann auch zu der für alle bedeutsamen Frage: Was ist Leben überhaupt? Wir alle leben, aber wenn das Herz aufhört zu schlagen und die Hirnströme aufhören zu fließen, endet das Leben, dann ist man tot. Das gilt, wie schon unser verehrter Priesterbruder Ertron sagte, für jedes Wesen, Tier oder Pflanze, und auch für jeden Drivaner. Wir wurden von den Göttern in ihrer Weisheit dazu ausersehen, ein größeres Gehirnvolumen zu besitzen, welches uns befähigt, komplexe Prozesse ablaufen zu lassen. Vergleicht es doch einmal mit unseren Computern, die wir mit diesem Wissen erschaffen haben. Kleine Computer haben geringere Fähigkeiten, größere denken besser und vielleicht schon ein wenig selbstständig. Wir haben sie erschaffen, aber sie sind dennoch keine Lebewesen. Deswegen werden uns die größeren Computer sicher nicht als Götter ansehen. Nein, Brüder und Schwestern, allein aus einem größeren Gehirnvolumen können wir nicht auf eine Seele schließen, es gibt einfach keinen Platz dafür in unseren Körpern.“

Der Mediziner setzte sich nach einer kurzen Verneigung, warf einen fragenden Blick zu den Philosophen hinüber, ob er mit seiner Rede etwas erreicht hätte. Doch diese rührten sich nicht, ihre Gesichter wirkten wie versteinert, so wie es vorgeschrieben war. Sie mussten unparteiisch seien und nur nach den vorgetragenen Argumenten entscheiden – sobald alle Argumente ausgetauscht waren.

Nun erhob sich Algora, die Priesterin. Sie besaß leuchtend weiß-blondes Haar und kluge, blaue Augen, die freundlich auf die Versammlung blickten. Ihre Stimme klang warm und weich, man konnte ihr stundenlang zuhören und ihre erotische, aber auch autoritäre Ausstrahlung in sich aufnehmen. Auch sie sprach frei, ohne sich noch einmal in ihren Unterlagen zu vergewissern.

„Ich bin den Ausführungen des verehrten Mediziners mit Interesse gefolgt und habe versucht, mir seine Worte zu veranschaulichen. Für die Naturwissenschaftler kann es leider wirklich keine Seele geben, wie ich aus seinen Worten herausgehört habe. Denn dieser Berufsstand ist der Meinung, dass die Seele etwas ein Körperliches sein muss. Doch wird jeder von euch mir zustimmen, wenn ich darauf hinweise, dass die Seele den ganzen Körper erfüllt, ohne jemals sichtbar zu sein. Jede Faser unseres Körpers wird belebt von der Seele. Sobald die Körperströme ihren Dienst aufgeben und wir sterben, geht die Seele ein in die Gemeinschaft des Alls in das Reich der Götter, vereinigt sich mit den anderen Seelen, die nur darauf warten, einen Körper erneut zu beleben. Rigon hat gerade das wunderbare Beispiel der Computer benutzt, und ich möchte mir seine Argumentation zu Eigen machen, wenn auch unter anderen Voraussetzungen. Wir bauen Computer und benutzen sie je nach ihrer Kapazität. Wir können sie ein- und wieder abschalten, und zu Recht verweist Rigon darauf, dass die Maschinen uns nicht für ihre Götter halten. Denn sie werden von uns mit künstlichem Leben erfüllt. Glaubt ihr denn, man kann eine Seele an- und abschalten? Werden wir Drivaner etwa an- und abgeschaltet? Nein, Brüder und Schwestern, damit ist doch bereits der Beweis erbracht, dass wir Drivaner eine Seele besitzen. Es ist eine wahrhaft müßige Frage, die unsere verehrten Ärzte da aufgeworfen haben. Sie können im Körper keine Seele finden, denn die Seele ist eine rein geistige Form, eine energetische Art des Lebens. Um diese Frage zu beenden, würde ich gern vorschlagen, dass die Ärzte sich, wie auch bisher in hervorragender Weise, um die körperlichen Leiden und Gebrechen kümmern. Überlässt die Heilung der Seelen uns Priestern, denn wir spüren die Seelen, wir erkennen sie im gesamten Körper, ob gequält oder glücklich, ob zerstört oder heil. Aber bitte, leugnet diese Seelen nicht, denn ohne sie gäbe es kein Leben. Dies sind meine Worte, mögen sie in euren Herzen reife Früchte tragen.“

Algora setzte sich, ruhig und freundlich blickte sie auf ihre Gegner, die achtungsvoll den Kopf neigten.

Für die Ärzte erläuterten Kranon und Scharita weitere Standpunkte, nach ihren Worten war durch die Rede der Priesterin ein wenig die Kraft genommen. Die kluge Frau hatte die rechten Worte gefunden, vermutlich würde niemand jemals wieder diese Existenz der Seele leugnen können, ohne ihre Aussage zur Erwiderung zu erhalten. In allen Zeiten würde fortan der Name Algora einen guten Klang haben, denn sie war die Priesterin, die allen bewiesen hatte, dass die Drivaner göttliche Geschöpfe mit Seele waren. Obwohl die Diskussion sich noch über mehrere Tage hinweg zog, waren alle wichtigen Argumente bereits ausgesprochen worden.

Am Ende des Duells standen die Philosophen auf. Von vielen Millionen Bildschirmen hatten die Drivaner dieses Duell verfolgt, und nun warteten alle auf die Entscheidung der Richter, die in ihrer Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lassen konnte.

„Wir, die wir zu Richtern über dieses Duell bestimmt wurden, erklären hiermit die Auseinandersetzung für beendet. Wir haben alle Argumente gehört und erwogen, wie es unsere Pflicht ist. Aber dennoch können wir keinen eindeutigen Sieger feststellen. Von ihrer Sicht aus haben die Ärzte und Naturwissenschaftler auf keinen Fall unrecht. Sie können in unseren Körpern keine Seele entdecken, darum bleibt ihnen keine andere Wahl, als diese zu leugnen. Denn nur, was sie sehen, fühlen, riechen, ertasten können, gilt ihnen als vorhanden. Unsere Priester hingegen, die für unser Seelenheil zuständig sind, haben uns sehr anschaulich erklärt, dass die Seele den Körper als geistige Komponente erfüllt, solange er lebt. Darum werden wir keine Entscheidung treffen können, denn jeder hat Recht. Möge jeder seinem Glauben folgen, solange die Existenz der Götter unbestreitbar bleibt, denn die Götter sind der Nabel des Universums. Sie haben uns erschaffen, ob mit oder ohne Seele, wie es vielleicht noch viele glauben werden. Die Religion der Drivaner selbst, ob zu der einen oder anderen Seite tendierend, ist jedoch unantastbar. So soll es bleiben.“

Die Philosophen verließen das Studio, Priester und Ärzte reichten sich freundschaftlich die Hände, über alle trennenden Gräben des Glaubens hinweg. Eine richtige Auseinandersetzung, das Duell der Duelle war vollzogen, niemand würde diesen Streit jemals vergessen. Für alle Zeiten prägten die Worte Algoras das Leben der Drivaner.

Aber auch schon vorher gab es keine Möglichkeit, eine Auseinandersetzung mit Gewalt zu schlichten, die Drivaner glaubten an die Friedlichkeit der ganzen Welt, wie sie von den Göttern geschaffen worden war. Aus diesem Grund übertrugen sie diese Friedfertigkeit auch auf die Wiesen, die sie in dem fremden Raumschiff vermuteten. Deshalb dachten sie jetzt auch nur daran, friedlichen Kontakt mit einem fremden Volk aufzunehmen, etwas anderes kam für sie gar nicht infrage.

Grovar selbst gab den Funkimpuls, der die Sonden zur Kontaktaufnahme auf ihre Weise schickte. Stolz erzählt er daheim von diesem Projekt, wurde aber plötzlich von seinem Sohn unterbrochen.

„Vater, glaubst du, dass in zehn oder zwölf Monaten, wenn die Sonden bis an die Grenzen unseres Systems gekommen sind, die Fremden immer noch da sind?“

„Ich weiß es nicht, mein Sohn. Wir wollen jedenfalls versuchen, einen Kontakt aufzunehmen. Falls wir kein Glück damit haben, so haben wir doch nichts unversucht gelassen und können vielleicht daraus lernen“, gab Grovar zurück. Er betrachtete seinen Sohn. Der Junge hatte sich in der letzten Zeit verändert. Er war still und in sich gekehrt, es schien, als lausche er einer inneren Stimme. Für einen gerade Sechsjährigen war das mehr als ungewöhnlich.

 

 

*

Grovar beobachtete seinen Sohn in der nächsten Zeit häufiger bei diesem inneren Lauschen. Der Junge war weit über sein Alter hinaus erwachsen. Manchmal gab er Dinge von sich, die den Kapitän verwirrten, es war fast so, als könnte das Kind Gedanken lesen. Aber das war doch unmöglich! Oder doch nicht?

Er machte sich viele Gedanken darüber, schließlich sprach er mit einem Kollegen dieses Thema an. Danvor, der ebenfalls einen Sohn im Alter von Ragor hatte, schaute erstaunt und verschreckt auf seinen Freund und Kollegen.

„Wann hast du das bemerkt?“, fragte er hastig.

„Seite wir zurückgekehrt sind“, erwiderte Grovar. „Ich dir etwas Ähnliches aufgefallen? Komm, rede schon“, drängte er.

Danvor blickte um sich, niemand hörte ihnen zu. Dann sprach er leise, fast flüsternd. „Auch mein Sohn ist so merkwürdig geworden, er starrt mich oft lange an, seine Augen sind dabei aber ganz weit weg, dann wieder scheint er alles über die Welt zu wissen. Was aber das Schlimmste ist, ich habe ihn dabei beobachtet, wie er Türen schloss, Schalter betätigte, Dinge bewegte, ohne sie anzufassen.“

„Ja, aber“, sagte Grovar erstaunt, „warum hast du noch nicht mit einem Arzt oder mit Psychologen darüber gesprochen?“

„Warum hast du es nicht getan?“, fragte Danvor zurück.

„Ich war mir nicht sicher, was mit meinem Kind vor sich ging. So deutlich wie bei deinem Sohn habe ich nichts festgestellt, aber das muss nichts zu bedeuten haben. Doch jetzt würde ich sagen, wir gehen gemeinsam zu Dr. Dregon, er wird hoffentlich Rat wissen.“

Bereits am nächsten Tag suchten die beiden besorgten Väter den Psychologen auf. Langsam und stockend berichteten sie vom Verhalten ihrer Söhne, kamen sich selbst merkwürdig vor, doch die Sorge um ihre Kinder trieb sie dazu.

Nachdem sie geendet hatten, schaute Dregon lange auf seine Unterlagen. Er schien zu überlegen, doch in Wirklichkeit war er erschreckt. Diese beiden besorgten Väter konnten nicht wissen, dass sich derartige Vorfälle in letzter Zeit häuften. Die zwei waren nicht die ersten, die mit diesem Problem hier auftauchten, allein bei ihm hatten sich bereits zehn weitere Fälle gemeldet. Er überlegte, was er tun sollte, entschloss sich dann aber, zunächst einmal mit den Kindern zu sprechen. Was ihn am meisten erschreckte, war die Tatsache, dass sich derartige Symptome bei den Kindern in einem so frühen Alter zeigten. Es musste sich um eine Mutation handeln, wie sie sich in der langen Zeit der Geschichte des Volkes nur selten manifestiert hatte.

Dregon schickte die Väter in einen Warteraum und rief die Jungen zu sich. Die Kinder, die sich vorher noch nie gesehen hatten, schauten sich nur kurz an, dann glitt ein Lächeln über ihre Züge, sie reichten sich wie auf Kommando die Hände und stellten sich gemeinsam vor dem Psychologen. Sie schienen sich ohne ein Wort zu verstehen.

Dregon war erschüttert. Hier fand er das, was bisher immer nur einige nicht sehr ernst genommene Autoren beschrieben hatten. Geistige Kräfte, die weit über das normale Maß hinausgingen und nicht mehr mit den üblichen Worten zu beschreiben waren. Es bestand für den Psychologen nicht der geringste Zweifel, dass es sich bei den beiden Jungen um telepathische Begabungen, wenn nicht sogar mehr, handelte. Auch die anderen gemeldeten Fälle besaßen eine außergewöhnliche Bandbreite. Neben weiteren Telepathen gab es Telekineten und weitere unbekannte Fähigkeiten. Die Hirnkapazitäten waren angereichert mit langwelligen Impulsen, wie verschiedene Messungen ergaben. Die üblichen Geräte waren weit überfordert, deshalb konnten sich die Wissenschaftler bei den nun folgenden Versuchen oft nur auf Vermutungen stützen, die der Wahrheit jedoch ziemlich nahe kamen.

Unter den Wissenschaftlern der Drivaner herrschte hektische Aktivität. Immer wieder neue Versuchsreihen wurden gestartet, willig machten die jungen Mutanten all dies mit, waren sie doch selbst daran interessiert herauszufinden, was sie von der Masse der üblichen Bevölkerung abhob.

Erst zwei Jahre später standen erste Ergebnisse fest. Eine bis dahin unbekannte kosmische Strahlung hatte auf den Planeten eingewirkt, einige Gehirne waren besonders empfänglich für diese Strahlung, sie hatte enorme neue Kräfte freigesetzt.

Im Verlauf zahlloser Untersuchungen waren immer neue Mutationen aufgetaucht, fast jeder 10. Drivaner war davon betroffen, jedoch niemand, der ein gewisses Lebensalter überschritten hatte. Nach den vorliegenden Erkenntnissen konnte diese Altersgrenze mit 6 bis 18 Jahren festgelegt werden, keiner der neuen Mutanten war älter.

All diese Vorkommnisse hatten dazu geführt, dass eine völlig neue Art von Computern und Maschinen erfunden werden musste. Geräte, die auf die Strahlung der Gehirne ansprachen; Geräte, die auf gedachte Impulse reagierten.

Mehr oder weniger durch Zufall entdeckten die Forscher, dass die Mutanten in der Lage waren, die Maschinen zu steuern, schneller und genauer, als normale Maschinen selbst dazu in der Lage waren; schneller auch, als die normale Befehlsübermittlung eines Drivaners – vom Gehirn zur Hand und von da über die Tastatur in die Rechengehirne.

Dregon, der Psychologe, der als erster mit diesem Phänomen zu tun gehabt hatte, starb als alter Mann in dem Bewusstsein, einen ungeheuren Fortschritt für das Volk erlangt zu haben. Denn die letzte Großtat, die er erlebte, war der Start eines neuen Raumschiffs, in dem die Mutanten die Steuerung übernahmen. Zwei von ihnen waren über einen Mentalhelm an den Zentralcomputer angeschlossen, die Befehlsübermittlung erfolgte über gedachte Impulse, sicherer und schneller, als es sich jemals ein Drivaner hätte vorstellen können.

Alle Mutanten waren gern bereit, ihre Kräfte in den Dienst des Volkes zu stellen, sie übernahmen in der Folgezeit die Arbeit der Computer, die bisher viele Vorgänge auf dem Planeten kontrolliert hatten. Ob es um die Wetterkontrolle ging, den Einsatz von Erntemaschinen oder die Leitung der Verkehrskontrolle für die Gleiterbahnen quer über den ganzen Planeten hinweg – die Mutanten wurden immer unentbehrlicher.

Mehr als 50 Jahre waren vergangen, seit die ersten Mutationen aufgetaucht waren. Weitere Kinder und Jugendliche traten mit immer neuen Varianten der veränderten Gehirne auf. Niemand konnte sich mittlerweile mehr vorstellen, wie das Leben ohne diese seltsamen Hilfskräfte gewesen war. Dennoch wurde keiner der Mutanten gezwungen, sich in das System einzugliedern, welches den ganzen Planeten umspannte, alle taten es gern und freiwillig, jeder nach seiner Fähigkeit. Die Arbeitszeit war streng geregelt, um niemanden zu überlassen, der Lebensstandard ungewöhnlich hoch, jeder mögliche Wunsch wurde ihnen erfüllt. Ein Kontrakt auf Gegenseitigkeit, eine Situation, von der alle Seiten profitierten. Die Wissenschaft nahm einen ungeheuren Aufschwung, Forschungen in bisher kaum denkbare Gebiete wurden gewagt, die Drivaner waren auf den Spuren nach dem Geheimnis des Lebens.

Über all diesem Fortschritt hatte man jedoch nicht vergessen, dass es vor langer Zeit einmal ein fremdes Raumschiff im System gegeben hatte. Die ausgeschickten Sonden waren längst aus dem Funkbereich verschwunden, niemand hatte eine Kontaktaufnahme versucht. Einige Astronomen tendierten mittlerweile zu der Annahme, dass es sich doch bei den Aufzeichnungen um einen fehlerhaften Reflex gehandelt haben musste.

All diese, zum Teil widersprüchlichen Ansichten, wurde eines Tages radikal über den Haufen geworfen, als sich die Vorboten des Unglücks zeigten.

In dem kleinen Überwachungsraum der astronomischen Zentrale blickten die Dienst habenden Wissenschaftler immer wieder gelangweilt auf die Schirme. Nichts tat sich, dennoch musste alles genau beobachtet werden, es konnte ja doch einmal etwas passieren. Genau das geschah dann mit urplötzlicher Wucht, noch dazu mit derart überraschender Schnelligkeit, dass es niemandem mehr gelang, eine Warnung auszustoßen.

Von einem Moment auf den anderen erschienen drei rasch fliegende Punkte auf den Schirmen, kamen mit irrsinniger Geschwindigkeit Näher und standen urplötzlich in direkter Nähe von Drivana. Ohne sich um die sofort einsetzenden Botschaften per Funk zu kümmern, gingen sie in einen Orbit und umkreisen den Planeten mehrmals.

Trotz dieser ungewöhnlichen Situation und der verweigerten Kontaktaufnahme freuten sich die Wissenschaftler. Endlich war es bewiesen, dass es doch noch andere Völker im All gab als nur die Drivaner. Fieberhaft wurde nach einer Möglichkeit zur Kommunikation gesucht. Die drei Schiffe, denn um solche handelt es sich ohne Zweifel, wurden mit einem wahren Regen an Impulsen überschüttet. Wenn den Fremdlingen daran gelegen gewesen wäre, Kontakt aufzunehmen, hätten sie es auf die eine oder andere Art auf jeden Fall tun können. Doch in den Raumschiffen rührte sich nichts.

In fieberhafter Eile starteten die Drivaner eine der Raumfähren, die für Transporte zu den Monden benutzt wurden. Auf einem der beiden Monde hatten sie eine Forschungsstation eingerichtet, um unter dem erheblich verringerten Gravitationseinflüssen Experimente vorzunehmen. Außerdem gab es ein streng geheimes Projekt, an welchem bereits seit vielen Jahren gearbeitet wurde. Unter einer riesigen energetischen Kuppel wurde ein Fernraumschiff gebaut, welches in die Tiefen des Alls vorstoßen sollte. Da es sich um eine sehr lange Expedition handeln würde, war dieses Raumschiff mit allem ausgestattet, was das Leben auf einer jahrelangen Reise erleichtern konnte. Das letzte, woran noch gearbeitet wurde, war eine gigantische zentrale Recheneinheit, die in der Lage sein sollte, alle anfallenden Arbeiten selbstständig zu erledigen und das Raumschiff auf einem vorbestimmten Kurs zu steuern. Roboter waren gebaut worden, um die untergeordneten Arbeiten zu übernehmen. Es gab großzügige Schlafstätten, Freizeiträume, Labors, hydroponische Anlagen, medizinische Abteilungen und Forschungseinheiten – kurzum alles, was den Drivanern auf ihrem Planeten als selbstverständlich erschien.

Die Raumfähre, die Kurs auf die drei Raumschiffe nahm, schlug einen Parallelkurs ein, um den Fremden entgegenzukommen. Die Bildübertragungen liefen pausenlos, gespannt warteten die Drivaner auf die ersten Bilder aus dem Weltraum, die ihnen die Fremden zeigen würden. Zunächst zeigten die Bilder die übliche Schwärze des Weltraums, doch dann kamen die Schiffe ins Blickfeld. Die Massentaster lieferten Auswertungen, die Drivaner schüttelten die Köpfe. Das konnte doch nicht sein!

Eine erneute Überprüfung brachte das gleiche Ergebnis. Die Raumschiffe besaßen einen Durchmesser von 1200 m an ihrer dicksten Stelle. Sie sahen aus wie unregelmäßig geformte Kugeln, zusätzlich mit Ecken, Kanten und Vorsprüngen an allen möglichen Stellen. Die Drivaner hingegen bauten ihre Raumschiffe nach rein dynamischen Gesichtspunkten, was im Weltraum natürlich keine Rolle spielte, jedoch bei den häufigen Starts und Landungen von Vorteil war. Nur das geheime Raumschiff auf dem Mond war anders. Es war als vollkommen runde Kugel gebaut worden. Hier zeigte es sich, dass verschiedenartige Lebewesen durchaus zu ähnlichen Ergebnissen kommen mussten, da die Naturgesetze für alle Lebewesen Gültigkeit hatten.

Die Raumfähre kam den drei Fremden nun immer näher, die unförmigen Kugeln füllten bald den gesamten Bildschirm aus. Noch immer schickten die Drivaner Funksprüche zu den Raumschiffen hin, immer in der Hoffnung, endlich Kontakt zu erhalten.

Doch dazu kam es nicht. Urplötzlich blitzte es bei den drei Kugeln auf, noch ehe jemand reagieren konnte, jagte ein blendend heller Strahl auf die Raumfähre zu. Mit einem lautlosen Knall explodierte sie, die Übertragungen brachen ab. In der Raumfahrtzentrale herrschte einige Augenblicke betretenes Schweigen, dann blankes Entsetzen. Alle waren erschüttert. Ohne Vorwarnung, ohne die Möglichkeit, ein Wort zu wechseln, hatten die Fremden einfach getötet.

Es war unfassbar! Wie konnte man einfach Lebewesen vernichten?

In den Drivanern war die Ehrfurcht vor dem Leben so tief verankert, dass sie es nicht fassen konnten. Die nächste Hiobsbotschaft ließ nicht lange auf sich warten. Noch bevor sich die Drivaner von dem Schock erholt hatten, rasten weitere feurige Strahlen durch das All. Diesmal aber trafen sie den ungeschützten Planeten, fraßen sich in die dicht besiedelten Gegenden, zerstörten das Leben millionenfach. Ohne Gnade und Erbarmen trafen die heißen Blitze, legten Städte in Schutt und Asche, verbrannten fruchtbare Erde und verhinderten die von Mutanten gesteuerten Arbeiten fast vollständig.

Gerade die Mutanten litten am meisten unter diesem Überfall. Sie bekamen ungeschützt die unendlich vielen Hilfeschreie zu spüren. Einige wurden wahnsinnig durch das entsetzliche Leiden ihrer Artgenossen.

Aber dann, von einer Sekunde auf die andere, hörten die tödlichen Strahlschüsse auf. Die Raumschiffe blieben weiterhin im Orbit, umkreisen den verwüsteten Planeten, jedoch noch immer, ohne sich zu melden.

In der Raumfahrtzentrale war die Verbindung über die Überwachungsgeräte seltsamerweise noch nicht völlig abgebrochen. Viele der Wissenschaftler versahen trotz des ungeheuren Schocks weiterhin ihren Dienst, auch wenn sich dieser auf die reine Beobachtung beschränkte. In anderen Räumen wurden Lösungen für das Problem diskutiert, hier prallten Meinungen aufeinander, doch war für alle eines klar: Diese Fremden kamen nicht in friedlicher Absicht. Wollten sie vielleicht den ganzen Planeten zerstören? Aber warum? Was hat man ihnen getan?

Es gab keine Antwort auf die vielen Fragen. Nur einer behielt einen absolut klaren Kopf: Rodrin, der führende Raumfahrtexperte. Er war einer der wenigen, der in das geheime Projekt eingeweiht waren. Unter seiner Federführung war es sogar beschleunigt worden. In diesem Augenblick fasste er einen tollkühnen Entschluss.

„Ich befürchte, dass diese fremden Wesen sich nicht damit zufrieden geben, Verwüstungen anzurichten. Sie werden auf die eine oder andere Art weitermachen. Wir haben keine Möglichkeit, uns zu wehren, unsere Waffen wurden vor langer Zeit abgeschafft. Aber bevor alles zerstört ist, lasst uns wenigstens die Zukunft unseres Volkes in Sicherheit bringen.“

„Was meinst du damit?“, fragte Gervon, einer der Politiker.

„Wir müssen die Kinder auf den Mond Kliron bringen und sie mit dem Raumschiff fortschicken. Wenn die Fremden irgendwann verschwinden, können wir sie zurückholen. Aber zunächst sollten sie in Sicherheit gebracht werden. Wir müssen sofort drei Fähren klarmachen und die überlebenden Kinder des Planeten zusammen rufen lassen. Schnellstens!“, ordnete Rodrin an.

Widerspruchslos wurde ihm gehorcht. Er schien der einzige zu sein, der einen klaren Kopf behalten hatte. Über die noch nicht zerstörten Kommunikationsleitungen wurden alle Eltern aufgefordert, ihre Kinder zum Raumfahrtzentrum zu bringen, während bereits die zwei letzten Fähren startklar gemacht wurden. Die meisten Eltern nahmen die Entscheidung, die Kinder in Sicherheit zu bringen, ruhig und gefasst auf, die klare Überlegung sagte ihnen, dass diese Entscheidung richtig war. Dennoch wurden Fragen laut, ob die Kinder überhaupt heil auf dem Mond ankommen konnten.

Rodrin versuchte, die aufgeregten Drivaner zu beruhigen. „Wir werden einen Kurs ausrechnen, auf dem sie die Flugbahn der Fremden nicht kreuzen. Aber es ist die einzige Möglichkeit, dass wenigstens Teile unseres Volkes überleben. Also beeilt euch.“

Natürlich gab es einige heftige Szenen, aber im Großen und Ganzen ruhig und geordnet bestiegen die Kinder die Fähren, bevölkerten die Laderäume, die sonst zum Transport der Güter dienten, die auf dem Mond gebraucht wurden. Es wurde sehr eng in den Fähren, dicht gedrängt hockten und saßen die Kinder, warfen letzte verzweifelte Blicke auf ihre Eltern, die zurückbleiben mussten.

Dann schlossen sich die Schleusen, die Fähren hoben ab und verschwanden im dunstigen Himmel. Wenige Stunden später landeten die Fähren nach einer vorsichtigen Kreuzfahrt unbehelligt auf dem Mond. Die Fremden hatten sie nicht gestört, sie schienen sich gar nicht darum zu kümmern. Stattdessen jedoch begann der Beschuss auf Drivana erneut. Wieder trafen gleißende Blitze auf den Planeten, zerstörten weitere fruchtbare Landstriche und töteten gnadenlos und anonym die unschuldigen Lebewesen.

Bald darauf brach die Verbindung zum Mond Kliron endgültig ab. Niemand wusste mehr, ob die Kinder noch rechtzeitig in das Raumschiff umsteigen konnten, und vor allem – ob sie noch frei starten konnten.

Eines der fremden Raumschiffe traf mit seinem Strahl die Raumfahrtzentrale, die in einer riesigen Explosion verging. Rodin, der bis zum letzten Augenblick an der Programmierung des Zentralcomputers gearbeitet hatte, starb mit dem Bewusstsein, alles Mögliche getan zu haben, um wenigstens einen Teil der Bevölkerung vor den Angriffen zu retten.

Die Fähren mit den Kindern waren heil gelandet, in fieberhafter Eile wurden alle angewiesen, gleich in das große Raumschiff zu steigen. Die größeren achteten auf die kleinen, alles ging seltsam geordnet vor sich. Die wenigen Wissenschaftler, die oben lebten und letzte Hand an die Anlagen gelegt hatten, überwachten das Einschleusen. Liebend gern wären sie ebenfalls geflohen, doch mit letzter verzweifelter Hoffnung und einem unglaublichen Verantwortungsbewusstsein blieben sie auf dem Mond.

In dem allgemeinen Chaos war ihnen jedoch entgangen, dass der Computer zu einem geringen Teil nicht richtig programmiert war, ein Fehler, der sich erst in späteren Zeiten als verhängnisvoll herausstellen sollte. Doch bisher sah alles noch gut aus.

Das letzte Kind war an Bord gegangen, die Schleusen schlossen sich, das Schiff hob ab. In diesem Augenblick stellten die Fremden fest, was vor sich ging. Wiederum flammten die Blitze auf, dieses Mal ging die Forschungsstation in Rauch und Flammen auf. Haarscharf streiften die Blitze an den Fernraumschiff vorbei, verfehlten es nur knapp.

Mit wachsender Beschleunigung schoss das Schiff in die Schwärze des Weltalls hinein. In den Aufenthaltsräumen drängten sich die Kinder, um über die Monitore einen vorerst letzten Blick auf ihre Heimatwelt zu werfen. Stummes Entsetzen, lautloses Weinen und sehnsüchtige Blicke ruhten auf dem großen Bildschirmen, doch das änderte sich, als weitere Strahlen auf Drivana und seine Bevölkerung niedergingen. In rascher Folge zeigten sich nun Explosionen, gingen ineinander über, Atompilze entstanden an zahllosen Stellen auf dem ganzen Planeten.

Das Raumschiff driftete immer weiter in den Weltraum hinaus, als ein vielstimmiger Schrei die Räume erfüllte. Drivana, ihre Heimat, ihr Zuhause explodierte. Der ganze Planet löste sich in Trümmerstücke auf, die in grellem Feuer auseinander stoben. Ein letzter Lichtblitz besiegelte das Schicksal des Planeten.

Die größeren Kinder, die verstanden, dass es jetzt kein Zurück mehr für sie gab, brachen weinend zusammen, bis sie sich nach und nach zusammenrissen und sich um die kleineren kümmerten.

Davon unbeeinflusst verkündete das Rechengehirn, welches die Steuerung übernommen hatte, die Aufnahme der Fahrgeschwindigkeit mit Kurs auf die nächste Sternenballung mit hoffentlich bewohnbaren Planeten.

 

 

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (eBook)
9783738921496
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Juli)
Schlagworte
kinder sonne
Zurück

Titel: Kinder der verlorenen Sonne