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Das Amulett aus der Hölle

©2018 120 Seiten

Zusammenfassung

Das Amulett aus der Hölle
Romantic Thriller von Frank Rehfeld

Der Umfang dieses Buchs entspricht 115 Taschenbuchseiten.

Nicole reist auf Wunsch ihres Onkels, Professor Jaques Montague, der archäologische Ausgrabungen betreibt, nach Ägypten zu dem Ort El Miran. Nach ihrer Ankunft im Hotel sucht sie gleich das Zimmer ihres Onkels auf. Als Nicole es betritt, sieht sie gerade noch, wie ein schwarzer Schatten sich über die Brüstung des Fensters schwingt. Für den Bruchteil einer Sekunde blickt sie in das braungebrannte Gesicht eines Fremden, der von Kopf bis Fuß in einen dunklen Burnus gehüllt ist.

Neben dem Bett findet sie ihren Onkel, dessen Gesicht vor Schmerz und Schrecken verzerrt ist. Mit letzter Kraft stammelt er etwas von einem Amulett, auf das Nicole gut aufpassen soll, und stirbt. Sie nimmt es an sich. Von diesem Moment an geht sie durch die Hölle.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Das Amulett aus der Hölle

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ROMANTIC THRILLER VON Frank Rehfeld

Der Umfang dieses Buchs entspricht 115 Taschenbuchseiten.

Nicole reist auf Wunsch ihres Onkels, Professor Jaques Montague, der archäologische Ausgrabungen betreibt, nach Ägypten zu dem Ort El Miran. Nach ihrer Ankunft im Hotel sucht sie gleich das Zimmer ihres Onkels auf. Als Nicole es betritt, sieht sie gerade noch, wie ein schwarzer Schatten sich über die Brüstung des Fensters schwingt. Für den Bruchteil einer Sekunde blickt sie in das braungebrannte Gesicht eines Fremden, der von Kopf bis Fuß in einen dunklen Burnus gehüllt ist.

Neben dem Bett findet sie ihren Onkel, dessen Gesicht vor Schmerz und Schrecken verzerrt ist. Mit letzter Kraft stammelt er etwas von einem Amulett, auf das Nicole gut aufpassen soll, und stirbt. Sie nimmt es an sich. Von diesem Moment an geht sie durch die Hölle.

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Copyright

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EIN CASSIOPEIAPRESS Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author /COVER STEVE MAYER

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de  

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NICOLE DUVALIER STÖHNTE und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Temperaturen lagen bei weit über dreißig Grad im Schatten. Im Inneren des Busses, der seit Stunden durch die ägyptische Wüste kroch, war es noch wesentlich heißer, denn die Sonne brannte erbarmungslos durch die großen Fenster herein. Jetzt sehnte sich Nicole das kühle und regnerische Wetter beinahe zurück, das in den letzten Tagen in Frankreich geherrscht hatte, und das sie dort oft genug verflucht hatte. Eine Hitze wie diese hatte sie in den knapp dreiundzwanzig Jahren ihres bisherigen Lebens noch nicht kennengelernt. Der angenehmste Teil ihrer Reise war noch der Flug von Paris nach Kairo gewesen. Die schlimme Tortur hatte erst danach begonnen, als sie in einen Bus eingestiegen war, auf dessen Tour auch der Ort El Miran lag, das vorläufige Ziel ihrer Reise.

Professor Jaques Montague, ihr Onkel, hatte sie eingeladen, auf seine Kosten für eine Woche nach Ägypten zu kommen. Er leitete archäologische Forschungen, und dieser Wissenschaft galt auch Nicoles Interesse, so dass sie dieses Fach sogar studierte. Aber alles theoretisch erworbene Wissen war nichts gegen die Aussicht, endlich einmal selbst an Ausgrabungen teilnehmen zu können, und nur durch diesen Gedanken wurde die strapaziöse Reise ein wenig erträglicher.

Die Fahrt schien kein Ende zu nehmen. Außer Nicole befanden sich nur wenige Passagiere in dem alten, schmutzigen Bus. Es gab keine Straße, wenigstens konnte die junge Archäologiestudentin keine erkennen. Die Landschaft war von unglaublicher Eintönigkeit; um den Bus herum gab es nur Sand und Felsen und noch mehr Sand, soweit der Blick reichte. Nur gelegentlich hielten sie an einer Oase oder einem kleinen Dorf, wo Fahrgäste ausstiegen und neue in den Bus traten. Kaum jemand nahm von Nicole Notiz, obwohl sie sich von den arabischen, trotz der Hitze verschleierten und in dicke Gewänder gehüllten Frauen wie ein schillernder Paradiesvogel inmitten einer Gruppe grauer Spatzen ausnahm. Es musste am sprichwörtlichen arabischen Gleichmut liegen, dass man sie nicht beachtete.

Sie fühlte sich müde, aber abgesehen davon, dass die in der Glut der Mittagssonne vor Hitze kochende Luft und die ständige Schaukelei Schlaf unmöglich machten, wagte sie es auch nicht, die Augen zu schließen. Sie musste auf ihr Gepäck achtgeben, denn auch wenn sich das sicherlich nicht verallgemeinern ließ, waren die Araber für ihre langen Finger mindestens ebenso berühmt wie für ihren Gleichmut.

Sie fuhren in einen weiteren Ort ein, der etwas größer war, als die meisten anderen, und der Fahrer erklärte ihr, dass dies El Miran sei. Nicole bedankte sich und raffte hastig ihr Gepäck zusammen, als der Bus auf einem Platz in der Mitte des Ortes hielt. Außer ihr stiegen noch einige andere Leute aus, dann setzte sich der Bus rumpelnd wieder in Bewegung.

Mit ihrem Koffer und der Reisetasche in der Hand schaute sich Nicole Duvalier um. Sie fühlte sich ziemlich verloren. Mit Ausnahme der anderen ausgestiegenen Fahrgäste, die bereits in verschiedene Richtungen davongegangen waren, war kein Mensch zu sehen. Selbst die wenigen Geschäfte schienen geschlossen zu haben.

Dann aber entdeckte sie einen alten Mann, der im dürftigen Schatten eines Hauseinganges vor sich hindöste. Sie ging hinüber. Erst als sie direkt vor ihm stehenblieb, blickte der Mann auf und musterte sie ohne sonderliches Interesse. Nicole kramte ihre Ägyptischkenntnisse zusammen. "Können Sie mir sagen, wo ich das Hotel ,Hamin‘ finden kann?", fragte sie und drückte dem Greis eine Münze in die faltige Hand. Er erklärte ihr mit knappen Worten den Weg und verfiel anschließend sofort wieder in seinen Mittagsschlaf.

Jeder Schritt fiel Nicole schwer, doch zum Glück war es nicht mehr weit bis zum Hotel. Die Freude, das Ziel endlich erreicht zu haben, war sogar stärker als die Enttäuschung, die sie beim Anblick des Gebäudes befiel. Es handelte sich um ein niedriges, altes Haus, das genauso heruntergekommen aussah wie die umliegenden Gebäude. Das gemalte Schild über dem Eingang war von Wind und Sonne ausgebleicht und fast unleserlich geworden. Natürlich, ein vollklimatisiertes, mit allem erdenklichen Luxus ausgestattetes Hotel, wie sie es aus Europa gewohnt war, durfte sie in dieser abgelegenen Wüstenstadt nicht erwarten, aber trotzdem hatte sie auf Besseres gehofft. Immerhin bot es die Aussicht auf angenehmen, schützenden Schatten.

Nicole Duvalier trat in eine schmuddelige Eingangshalle. An der Decke drehte sich träge ein Ventilator, ohne sonderliche Erfrischung zu bringen.

"Hallo!", rief sie und stellte ihr Gepäck vor der Rezeption ab. Sie musste noch dreimal rufen, bis sich ein Vorhang teilte und ein etwa vierzigjähriger Mann mit dunkler Haut und schwarzen Haaren hinter die Theke schlurfte. Er gähnte ungeniert und fragte sie in beinahe unverständlichem Dialekt nach ihren Wünschen.

"Ich bin Nicole Duvalier", stellte sich Nicole vor. "Professor Montague erwartet mich. Er hat hier ein Zimmer für mich reservieren lassen."

"Ah, der Professor", erwiderte der Araber. "Ja, ich weiß Bescheid. Kommen Sie! Ich heiße übrigens Nassir. Einfach nur Nassir." Er kam um die Theke herum, ergriff seufzend ihr Gepäck und führte sie durch eine Tür im Hintergrund der Halle. Sie stiegen eine Treppe hoch und gelangten auf einen Flur. Ein ausgeblichener Teppich, von dem Nicole vermutete, dass er einmal blau gewesen war, lag auf dem Boden.

Nassir öffnete eine Tür, stellte das Gepäck zu Boden und machte eine so einladende Handbewegung, als führe er sie in die Nobelsuite des Hilton-Hotels. Dabei war das Zimmer ebenso schmuddelig, wie alles was Nicole bisher in diesem Hotel gesehen hatte. Und es war hier auch so stickig heiß wie sonst überall. Aber wenigstens gab es ein Waschbecken und ein Bett.

"Ihre Unterkunft", sagte Nassir. "Professor Montague bewohnt das Zimmer nebenan."

Noch bevor Nicole etwas sagen konnte, verschwand er bereits wieder. Sie blickte sich kopfschüttelnd um. Mittlerweile war sie schon zu träge geworden, sich noch zu ärgern. Das hob sie sich für später auf. So erfrischte sie sich nur kurz, in dem sie sich einige Hände voll kalten Wassers ins Gesicht schöpfte. Dann verließ sie das Zimmer sofort wieder und klopfte an die Tür des Nebenraumes. Sie bekam keine Antwort, und so öffnete sie die Tür nach einigen Sekunden kurzerhand, da es hier ebensowenig ein Schloss gab wie an der Tür ihres eigenen Zimmers.

Das Erste was sie sah, war ein schwarzer Schatten, der sich gerade über die Brüstung des einzigen Fensters schwang. Beim Knarren der Tür fuhr er herum. Für den Bruchteil einer Sekunde blickte Nicole in das braungebrannte, vom Wetter gegerbte Gesicht eines Ägypters oder Arabers, der von Kopf bis Fuß in einen dunklen Burnus gehüllt war. Nur ein Teil seines Gesichts blieb frei. Es wurde von Augen beherrscht, die nachtschwarz waren und doch von innen heraus zu glühen schienen. Nicole hatte das Gefühl, in zwei lichtlose Schächte zu blicken und trotz der Hitze kroch eine Gänsehaut über ihren Rücken. Dann war der Unbekannte wie ein Spuk verschwunden. Dafür lenkte ein leises Stöhnen Nicoles Aufmerksamkeit auf sich. Neben dem Bett lag eine verkrümmte Gestalt auf dem Boden. Ein Mann mit angegrautem Haar, markantem Gesicht und braunen Augen, die jetzt vor Schmerz und Schrecken verzerrt waren.

Ihr Onkel, Professor Jaques Montague!

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IM ERSTEN MOMENT WAR Nicole vor Schrecken wie gelähmt, dann rannte sie auf ihren Onkel zu und sank neben ihm auf die Knie.

"Onkel Jaques!", rief sie von panischem Entsetzen gepackt. "Was ist los?"

Als Antwort erhielt sie nur ein erneutes leises Stöhnen. Jaques Montague presste die Hände auf seine Brust. Sein Blick war verschleiert. Schweißtropfen perlten auf seinem Gesicht.

"Onkel Jaques!", rief sie noch einmal.

Sein Blick klärte sich ein wenig.

"Mein ... Herz", stammelte er. "Amulett ... unter Kopfkissen. Gut ... darauf aufpassen. Auge des ... Gib es ... Claude! Ungeheuer wichti..." Jaques Montagues weiteren Worte gingen in einem erstickten Röcheln unter. Schaum trat über seine Lippen. Und dann starb er. Er bäumte sich noch einmal auf und sank reglos zurück. Sein Blick brach.

Es dauerte Sekunden, bis Nicole begriff, was geschehen war.

Ihr Onkel war tot!

Fassungslos starrte sie den Leichnam an. Dann begann sie gellend zu schreien.

Erst nach fast einer Minute kam Nassir ins Zimmer gestürzt, um nachzusehen, was passiert war. Auch er war vor Schrecken einige Sekunden wie gelähmt. Dann eilte er auf Nicole zu, ergriff sie an den Schultern und schüttelte sie kräftig, wobei er unverständliche Worte auf Ägyptisch murmelte. Aber Nicole nahm ihn überhaupt nicht wahr. Sie schrie immer noch aus Leibeskräften und verstummte erst, als er ihr eine heftige Ohrfeige verpasste. Der Schlag riss sie in die Wirklichkeit zurück. Sie schluchzte. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Alles war so plötzlich gekommen, dass sie noch gar nicht richtig begriff, was geschehen war. Sie wusste nur, dass ihr Onkel tot war, obwohl sich etwas in ihr weigerte, diese Wahrheit anzuerkennen.

Sie wusste nicht, wie lange sie einfach nur neben dem Toten kniete und ihn anstarrte, bis Nassir mit zwei Männern zurückkehrte, von denen der eine eine Polizeiuniform trug, der andere eine Arzttasche. Letzterer untersuchte Jaques Montague, während der Polizist Nicole sanft am Arm ergriff und zu einem Stuhl führte, auf den sie sich setzte. Nassir reichte ihr ein Glas mit einem Schluck Wasser. Erst als sie getrunken hatte, merkte sie, dass es sich nicht um Wasser, sondern um einen hochprozentigen Schnaps handelte. Der Alkohol lief wie flüssiges Feuer durch ihre Kehle und explodiert in ihrem Magen, aber er half Nicole, ihre Fassung etwas zurückzugewinnen.

Der Uniformierte redete auf sie ein, doch es dauerte lange, bis sie sich soweit von ihrem Schrecken erholt hatte, dass sie sich auf seine Worte konzentrieren und sie verstehen konnte. Sie beherrschte die ägyptische Sprache ziemlich gut, doch der Polizist redete in einem so seltsamen Dialekt, dass sie kaum etwas verstand. Glücklicherweise beherrschte er einige Brocken französisch, so dass ein Gespräch zustande kam. Stockend berichtete sie, was sie gesehen hatte. Als sie den schwarz gekleideten Sarazenen erwähnte, glitt Skepsis über das Gesicht des Uniformierten.

"Sind Sie ganz sicher?", hakte er nach.

"Ich ... ich weiß es nicht. Alles ging so schnell. Ich weiß selbst nicht mehr genau, was eigentlich passiert ist." Sie wischte sich mit einem Taschentuch Schweiß und Tränen vom Gesicht. Unsinn, dachte sie. Natürlich wusste sie genau, was passiert war. Sie durfte sich nicht aus der Fassung bringen lassen, und so holte sie tief Luft, bevor sie fortfuhr: "Doch, der Mann war da. Ich bin ganz sicher. Er ... er muss meinen Onkel ermordet haben."

"Der Mann ist tot, aber es gibt keine Anzeichen von Gewaltanwendung", erklärte der Arzt. "Alles deutet auf einen Herzinfarkt hin. Aber nur eine Autopsie kann ein sicheres Ergebnis bringen."

Nicole Duvalier verstand nur einige Brocken, den Rest musste sie sich zusammenreimen.

"Aber er war kerngesund", stieß sie hervor.

"Das hat nicht viel zu bedeuten. Die Hitze hier ist für jeden Europäer mörderisch."

"Er hielt sich bereits seit Wochen in Ägypten auf."

"Wir werden die Leiche untersuchen", sagte der Polizist. "Aber jetzt erzählen Sie bitte zu Ende, Mademoiselle Duvalier."

Nicole kam seiner Aufforderung nach, nur von dem Amulett, das ihr Onkel vor seinem Tod erwähnt hatte, sagte sie nichts. Sie wusste selbst nicht, warum sie es nicht tat. Eine Stimme in ihrem Inneren hielt sie davon ab.

"Bitte, kann ich mich etwas hinlegen?", bat sie schließlich mit einem scheuen Blick in Richtung ihres Onkels. Der Arzt hatte inzwischen ein Tuch über das Gesicht des Toten und den größten Teil seines Körpers ausgebreitet.

Sie ließ sich auf das Bett sinken. Ihre Finger glitten unter das Kopfkissen. Sie bekam etwas Hartes mit einer Kette daran zu fassen, und ohne dass ihr Tun bemerkt wurde, steckte sie es unbesehen in die Tasche ihres Rockes.

Ihr wurde schwindelig, und sie verlor das Bewusstsein, kaum dass sie sich hingelegt hatte.

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ALS NICOLE DUVALIER wieder zu Bewusstsein kam, fühlte sie sich immer noch erschöpft, aber es war die Art wohliger Erschöpfung, die man nur nach besonders langem Schlaf verspürte. Daran änderte auch nicht, dass sie sich vage an einen verwirrenden Alptraum erinnerte.

Es war dunkel um sie herum. Benommen richtete sie sich auf und taste nach der Lampe auf ihrem Nachttisch, doch ihre Hand griff ins Leere. Erst nach Sekunden fiel ihr alles wieder ein. Sie hatte nicht geträumt, alles war Wirklichkeit gewesen.

Schwaches Mondlicht fiel durch den Vorhang am Fenster herein und ließ sie ihre Umgebung wenigstens schemenhaft erkennen. Es musste sich um ihr Zimmer im Hamin-Hotel handeln.

Nicole schaute auf ihre Armbanduhr, die ein Leuchtzifferblatt besaß. Es ging bereits auf Mitternacht zu. Sie schwang die Beine aus dem Bett und unterdrückte das leichte Schwindelgefühl, das sie sofort befiel. Neben der Tür fand sie einen Lichtschalter, den sie drückte. Eine trübe Glühbirne an der Decke leuchtete auf. Wie Nicole vermutet hatte, befand sie sich wirklich in ihrem Hotelzimmer. Man hatte sie bis auf die Unterwäsche ausgezogen. Sie öffnete ihren Koffer und suchte ein Kleid heraus, das sie anzog, nachdem sie sich kurz gewaschen hatte. Vor dem fast blinden Spiegel über dem Waschbecken bürstete sie ihr langes blondes Haar und steckte es wie meist im Nacken zu einem lockeren Knoten zusammen. Dann verließ sie ihr Zimmer und trat auf den ebenfalls nur von einer schwachen Lampe erleuchteten Korridor hinaus.

Fast wäre sie vor der Tür mit einem jungen Mann zusammengestoßen. Erschrocken prallte sie zurück. Dem Unbekannten ging es genauso, aber er fing sich schneller und lächelte.

"Guten Abend, Mademoiselle Duvalier", sagte er in akzentfreiem Französisch. Erst nach dem ersten Schreck erkannte Nicole, dass er mit seiner weißen Leinenhose und dem ebenfalls weißen Hemd ziemlich europäisch gekleidet war. Auch sein scharfgeschnittenes, von ausdrucksvollen blauen Augen und vollen, sinnlichen Lippen beherrschtes Gesicht wies keinerlei arabischen Einschlag auf. Er war nicht viel älter als sie selbst.

"Sie kennen mich?", gab Nicole verdutzt zurück. "Ich wüsste nicht, dass wir schon einmal ..."

"Wir sind uns auch noch nicht begegnet", unterbrach er sie. "Ich bin Claude Fouchet, der Mitarbeiter Ihres Onkels. Es ... es ist entsetzlich, dass er tot ist."

"Ja", sagte Nicole niedergeschlagen. "Als ich vorhin ankam ..."

"Es tut mir leid, wenn ich Sie schon wieder unterbreche, aber es gibt etwas, was Sie wissen sollten. Der Professor ist nicht vorhin gestorben, sondern bereits vor drei Tagen."

"Vor drei Tagen?" Verständnislos starrte Nicole den jungen Mann an."Aber ich habe doch vorhin noch mit ihm gesprochen, direkt bevor er starb."

"Genau das war vor drei Tagen. Solange sind Sie ohnmächtig gewesen. Sie hatten nicht nur einen Kreislaufkollaps, sondern auch einen Zusammenbruch des vegetativen Nervensystems, der durch den Schock ausgelöst wurde. Doktor Malik hat Ihnen Medikamente gegeben. Die ersten zwei Tage haben Sie sogar in der Krankenstation gelegen und mussten intravenös ernährt werden."

"Was?" Nicole war fassungslos. Sie brauchte einige Sekunden, um diese Nachricht zu verarbeiten. Aber jetzt, wo Claude Fouchet es einmal angesprochen hatte, erinnerte sie sich wieder ganz schwach daran, dass sie ein paarmal dicht an der Schwelle zum Aufwachen gewesen war und fremde Stimmen gehört zu haben glaubte, die sie aber ihren Träumen zugeschrieben hatte. Schon ihrem Gefühl nach hatte sie viel länger geschlafen, als bei einer Ohnmacht normal gewesen wäre.

Drei Tage!

Sie hatte drei Tage lang geschlafen, Tage, in denen die Zeit für sie quasi stehengeblieben war. Diesen Brocken musste sie erst einmal verdauen. Sie nahm es mit einem schwachen Anflug von Galgenhumor hin.

"Kein Wunder, dass ich so hungrig bin", sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln. "Ob ich wohl irgendwo noch etwas zu essen bekommen kann?"

"Das ist kein Problem. Doktor Malik hat uns erklärt, dass Sie wahrscheinlich noch heute das Bewusstsein wiedererlangen würden. Seit ein paar Stunden komme ich schon dauernd herüber, um nach Ihnen zu sehen. Nassir hat einen Hammelbraten für Sie vorbereitet."

"Können wir ihn denn so spät noch stören?"

"Keine Angst, er schläft nicht, sondern sitzt unten mit ein paar Freunden zusammen und leert seine Alkoholvorräte. Wie man erkennen kann, ist er nicht gerade der gläubigste Anhänger des Islam." Claude Fouchet machte eine kurze Pause. "Wenn Sie sich wieder einigermaßen gut fühlen, muss ich über einiges mit Ihnen sprechen, das nicht gerade für neugierige Ohren bestimmt ist. Deshalb schlage ich vor, wir essen hier oben, dann können wir uns ungestört unterhalten."

"Einverstanden."

"Dann sage ich Nassir schnell Bescheid."

Er eilte ins Erdgeschoss hinunter, während Nicole in ihr Zimmer zurückkehrte. Sie war immer noch benommen, sowohl vom langen Schlaf wie auch durch die Eröffnung, dass sie so lange ohne Bewusstsein gewesen war. Vom plötzlichen Tod ihres Onkels, den sie immer noch nicht ganz verarbeitet hatte, gar nicht erst zu reden. So hatte sie sich ihre so heiß ersehnte Reise nach Ägypten ganz bestimmt nicht vorgestellt.

Sie trat wieder an das Waschbecken und beseitigte mit etwas Schminke die letzten Spuren des langen Schlafes. Ihr Gesicht war hübsch und gewöhnlich verzichtete sie auf jedes Make-up. Sie betonte sonst höchstens ihre hohen Wangenknochen durch ein wenig Rouge und zog die Brauen über ihren strahlend blauen Augen etwas nach, aber heute war mehr nötig.

Prüfend musterte sie sich. Es würde noch etwas dauern, bis man ihr nicht mehr ansah, was sie durchgemacht hatte, aber für den Augenblick hatte sie getan, was sie tun konnte. Auch wenn dies kaum der richtige Moment für übermäßige Eitelkeit war, wollte sie doch möglichst vorteilhaft aussehen. Mit ihrer schlanken Figur, die jedem Mannequin zur Ehre gereicht hätte, konnte sie ohnehin mehr als zufrieden sein. Aber sie überlegte sorgenvoll, was sie nach diesem Auftakt noch alles in Ägypten erwarten würde.

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"DIE LEICHE IHRES ONKELS wurde noch am Tag seines Todes nach Frankreich geflogen, wo er gestern beerdigt wurde", erklärte Claude Fouchet, als sie kurze Zeit später in seinem Zimmer zusammensaßen und Nicole ihren Hunger bereits gestillt hatte. Claudes Zimmer lag ebenfalls neben dem ihren, doch handelte es sich glücklicherweise nicht um das Zimmer, das ihr Onkel bewohnt hatte, sondern es lag auf der entgegengesetzten Seite, wie Nicole mit Erleichterung feststellte.

"Warum denn so schnell?", fragte sie enttäuscht. "Ich wäre bei der Beerdigung gerne dabeigewesen."

"Es ging nicht anders. Bei der hier herrschenden Hitze setzt der Verwesungsprozess zu schnell ein. Deshalb wurde auch die Autopsie in Frankreich durchgeführt. Dort sind die Voraussetzungen günstiger."

"Ich verstehe", murmelte Nicole. Sie war betroffen darüber, dass sie ihren Onkel nicht einmal mehr bei seinem letzten Gang hatte begleiten können. "Und was hat die Autopsie ergeben?"

"Nun, sie wurde nur durchgeführt, weil Sie behauptet haben, diesen Sarazenen gesehen zu haben. Doktor Malik hatte bereits einen Herzinfarkt bescheinigt, und die Untersuchung hat diese Diagnose nur bestätigt. Ihr Onkel war immerhin schon sechsundfünfzig Jahre alt. Jede Fremdeinwirkung bei seinem Tode ist ausgeschlossen, denn man hat keinerlei Hinweise für eine gewaltsame Auseinandersetzung gefunden."

Nicole schwieg einige Sekunden lang und senkte den Blick.

"Trotzdem war dieser unheimliche Mann da."

"Vielleicht haben Sie sich durch den Schock etwas eingebildet. So etwas kommt vor. Ihre Nerven waren ganz schön in Mitleidenschaft gezogen."

"Nein." Voller Inbrunst schüttelte Nicole Duvalier den Kopf. "Ich habe diesen Mann gesehen, so deutlich, wie ich Sie jetzt sehe."

"Nun gut", lenkte Claude ein. "Aber wenn der Unbekannte da war, dann hat er mit dem Tod des Professors jedenfalls nichts zu tun. Es sei denn ..." Er brach ab und kaute gedankenverloren auf seiner Unterlippe herum. "Es sei denn, er hat Ihren Onkel im wortwörtlichen Sinne zu Tode erschreckt. So etwas wäre theoretisch möglich, aber ich kann nicht recht daran glauben. Professor Montague war ein ziemlich kaltblütiger und abgebrühter Mensch, den so leicht nichts aus der Fassung bringen konnte. Aber das wissen Sie sicherlich genauso gut wie ich."

Wieder trat eine kurze Pause in ihrem Gespräch ein.

"Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir zu ergründen versuchen, was der Unbekannte überhaupt im Zimmer meines Onkels wollte", fuhr Nicole schließlich fort.

Claude Fouchet schaute sie ernst an.

"Ich habe einen Verdacht, aber ich weiß nicht recht, ob ich Ihnen vertrauen kann. Die ganze Angelegenheit ist höchst wichtig und streng geheim."

"Ich bin nur daran interessiert, die Ungereimtheiten beim Tode meines Onkels aufzuklären. Von mir wird niemand ein Sterbenswörtchen über seine Arbeit erfahren", versicherte Nicole.

"Sie sagen das so unbefangen. Vielleicht sehen Sie alles etwas anders, wenn ich Ihnen sage, dass ein Wort von ihnen darüber, das an die falschen Ohren gelangt, möglicherweise wirklich Ihren Tod bedeuten könnte."

Nicole wurde blass, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt.

"Das klingt ziemlich dramatisch."

"Die Angelegenheit ist es auch. Es war bereits ein Fehler, der Polizei von dem Mann zu erzählen, den Sie gesehen haben. Aber gut, da Sie nun ohnehin schon mehr wissen, als Sie eigentlich sollten, glaube ich, dass Sie ein Recht darauf haben, die ganze Wahrheit zu erfahren. Haben Sie schon einmal etwas vom Orden der Haschischin gehört?"

Nicole überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. "Nein."

"Es handelte sich im frühen Mittelalter, etwa zur Zeit der Kreuzzüge, um einen bedeutenden Orden, der von Sultan Saladin weitgehend zerschlagen wurde. Lange Zeit wähnte man ihn für vernichtet, aber im Geheimen überdauerte er die Zeit - bis in die Gegenwart."

"Und man hat nichts davon bemerkt?", wandte Nicole skeptisch ein. Jetzt erinnerte sie sich daran, doch schon einmal flüchtig von diesem Orden gehört zu haben, wusste aber nichts Genaueres darüber.

"So ist es. Natürlich gab es einige Spekulationen und Vermutungen, doch niemand nahm sie ernst. Professor Montague allerdings fand Dokumente, die auf einen verborgenen Tempel der Haschischin hindeuteten. Diesen zu finden war das wahre, allerdings geheimgehaltene Ziel unserer Expedition. Es soll dort eine Anubis-Statue geben. Sie wissen ja, Anubis war der Totengott in der altägyptischen Mythologie. Ihm galt die Verehrung der Haschischin. Deshalb stellt diese Statue einen vielleicht nicht einmal so sehr materiellen, aber ungeheueren ideellen Wert für den Orden dar."

"Aber was nutzte meinem Onkel dieser ideelle Wert?", fragte Nicole.

"Wenn er in den Besitz dieser Statue oder auch nur eines Teiles davon gelangt wäre, hätten die Haschischin jeden Preis dafür gezahlt. Und wenn der Orden auch nur im Verborgenen existiert, so verfügt er doch über immense kunsthistorische Reichtümer."

"Allmählich begreife ich, wieso Sie von einer großen Gefahr sprachen", murmelte Nicole. "Ein Raub der Statue wäre in den Augen der Haschischin sicherlich ein ungeheueres Sakrileg, das sie würden rächen wollen."

"Richtig, und man darf keinesfalls den Fehler machen, die Haschischin zu unterschätzen. Sie sind nur eine kleine Gruppe, aber sie lassen sich entfernt mit den legendären japanischen Ninja-Kriegern vergleichen. Jeder von ihnen ist eine Art Rambo, um ein moderneres Beispiel zu nehmen. Sie gehören zu den bestausgebildeten Kämpfern der Welt. Und sie besitzen einen enormen Einfluss. Natürlich würden sie alles unternehmen, ihr Heiligtum ohne eine Gegenleistung zurückzuerhalten. Deshalb glaube ich Ihnen im Gegensatz zur Polizei auch, dass Sie diesen Sarazenen wirklich gesehen haben."

"Sie meinen ..."

"Ja. Der Beschreibung nach kann es sich nur um einen Haschischin gehandelt haben. Sie haben ihn durch Ihr Erscheinen vertrieben, und dabei hatten Sie noch unerhörtes Glück, dass er Sie nicht einfach umgebracht hat. Sein Auftrag wird es gewesen sein, das Auge des Totengottes zurück zu erbeuten. Einen Tag vor seinem Tode verließ der Professor unser Camp überraschend. Nach allem, was sich zugetragen hat, fürchte ich, dass er sein Ziel erreicht hatte und floh, um uns nicht in Gefahr zu bringen."

"Er hat die Anubis-Statue gefunden?"

"Es scheint so. Ich weiß nicht, wie er herangekommen ist, aber er muss es geschafft haben. Er war hinter den Augen der Statue her, die aus Edelsteinen bestehen sollen. Aber selbst wenn er sie erbeutet hat, so hat sie entweder der Haschischin gefunden, oder Professor Montague hat sie versteckt. Da er nun tot ist, wird sie wohl niemand mehr finden können. Die Polizei hat jedenfalls sein Zimmer gründlichst durchsucht."

Nicole sprang so heftig auf, dass der Stuhl nach hinten kippte und zu Boden polterte. Sie nahm es gar nicht wahr. Ihre Augen glänzten vor Aufregung, und ihre Wangen färbten sich rot.

"Das stimmt nicht! Ich ... ich glaube, ich habe dieses Auge", rief sie.

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ENTGEISTERT STARRTE Claude Fouchet sie an. Dann sprang er ebenfalls auf, war mit zwei Schritten bei ihr und packte sie an den Schultern.

"Was sagen Sie da?", stieß er hervor. "Sie haben das Auge des Anubis?"

"Ja. Zumindest glaube ich es. Vor seinem Tode erzählte Onkel Jaques mir, dass ich ein Amulett unter dem Kopfkissen finden würde, das ich Ihnen geben sollte, und er sagte auch etwas von einem Auge. Es wäre ungeheuer wichtig, aber ich konnte mir zu diesem Zeitpunkt keinen Reim auf seine Worte machen."

"Und wo ist dieses Amulett jetzt?"

"Es müsste noch in der Tasche meines Rockes sein, drüben in meinem Zimmer. Ich konnte es heimlich einstecken, habe es aber selbst noch nicht gesehen."

"Zeigen Sie es mir!", forderte Claude aufgeregt. "Wenn das wirklich stimmt, dann haben Sie einen der wertvollsten und gefährlichsten Gegenstände in diesem Teil der Welt mit sich herumgetragen."

Sie rannten aus dem Zimmer und in Nicoles Raum hinüber. Hastig griff sie in die Tasche des Rockes, den sie bei ihrer Ankunft in El Miran getragen hatte, und der nun über der Lehne eines Stuhles hing. Sie bekam das angebliche Amulett zu fassen und zog es heraus. Es handelte sich um ein goldenes Kettchen, an dem ein mehr als taubeneigroßer, roter Stein hing, der im Lampenlicht strahlte, als wäre er von einem inneren Feuer erfüllt.

Claude Fouchet riss ihr das Amulett aufgeregt aus der Hand.

"Das ist es!", rief er mit überschnappender Stimme. "Die Augen der Anubis-Statue bestehen aus Rubinen und das hier ..."  Er verstummte abrupt. Sein Gesicht verlor alle Farbe. "Das hier ist es nicht", führte er den Satz nach einigen Sekunden fassungslos zu Ende. "Das ist nichts weiter als ein wertloses Schmuckstück aus Kunststoff."

Wütend schleuderte er das Amulett zu Boden und ließ sich auf das Bett sinken, wo er das Gesicht in den Händen verbarg. Nicole konnte gut mitfühlen, was in ihm vorging. Nach der anfänglichen Euphorie stellten seine Worte auch für sie einen seelischen Tiefschlag dar. Sie bückte sich nach der Kette und betrachtete den Stein genauer. Es stimmte. Das geschliffene, funkelnde Oval, das sie in den Fingern hielt, sah zwar hübsch und auf den ersten Blick sehr wertvoll aus, aber es war wirklich nur ein wertloser Anhänger aus Kunststoff.

"Es gibt zwei mögliche Erklärungen", sagte Claude nach einer Weile mit brüchiger Stimme. "Entweder hat der Sarazene, den Sie im Zimmer Ihres Onkels gesehen haben, das Auge bereits gefunden und durch diese Imitation ersetzt, oder das geschah während Ihrer Bewusstlosigkeit. Auch da gab es Gelegenheiten genug."

"Aber weshalb sollten die Haschischin das tun?", wandte Nicole Duvalier zweifelnd ein. "Warum so ein Aufwand mit der Imitation? Es wäre doch viel einfacher, das Auge nur zurückzustehlen."

"Stimmt. Darauf weiß ich auch keine einleuchtende Antwort. Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass eine religiöse Bedeutung dahintersteckt." Er hob abwehrend die Hände, als er sah, dass Nicole etwas sagen wollte. "Ich weiß selbst, wie wenig überzeugend das klingt", räumte er ein.

Nicole ging unruhig im Zimmer auf und ab. Claude Fouchets Erklärungen hatten ein wenig Licht in alles gebracht, aber beinahe noch mehr Fragen aufgeworfen. Sie wusste, wie weit die Wissenschaft auch auf dem Gebiet der Autopsie ausgereift war. Es war kaum noch möglich, dass bei der Beurteilung der Todesursache eine falsche Diagnose gestellt wurde, und doch konnte sie sich nicht richtig vorstellen, dass ihr Onkel wirklich nur an einem Herzinfarkt gestorben sein sollte. Wenn, dann steckte in jedem Fall dieser geheimnisvolle Sarazene dahinter, und somit handelte es sich um Mord, auch wenn sie diesen nicht beweisen konnte. Noch nicht!

Es ließ sich nicht mit Gewissheit feststellen, ob ein Infarkt durch solche Umstände wie das Klima herbeigeführt wurde, oder durch einen von einem Menschen bewusst herbeigeführten Schrecken, der so groß war, dass er zum Herzstillstand führte.

"Wir werden wohl nie herausfinden, was wirklich geschehen ist", sagte Claude resignierend. "Ich weiß auch gar nicht, ob ich alles genau wissen möchte. Was werden Sie nun tun? Das Beste wäre, wenn Sie möglichst schnell nach Paris zurückkehrten."

Nicole schüttelte den Kopf.

"Nein", sagte sie. "Das werde ich nicht tun, zumindest nicht direkt. Es mag sich vielleicht verrückt anhören, aber ich kann über den Tod meines Onkels nicht einfach mit einem Achselzucken hinweggehen. Ich möchte wenigstens versuchen, herauszufinden, was sich zugetragen hat und wer die Verantwortlichen für seinen Tod sind."

"Das hört sich nicht nur verrückt an, das ist es auch", brauste Claude auf. "Mehr noch, es ist völlig idiotisch und obendrein noch lebensgefährlich. Entschuldigen Sie, dass ich das so offen und ungeschminkt sage, aber ich halte nichts davon, mit schönen Worten lange um den heißen Brei herumzureden."

Die Andeutung eines vagen Lächelns glitt über Nicoles Gesicht.

"Ich freue mich, dass Sie mir ehrlich die Meinung sagen. Aber das ändert nichts an meinem Entschluss. Ich kann nicht anders handeln. Mein Onkel wurde fast vor meinen Augen ermordet, und nichts wird unternommen, um seinen Tod zu sühnen. Ich fühle mich einfach verpflichtet, etwas mehr über die Hintergründe herauszufinden."

"Dann engagieren Sie einen Detektiv, aber es wäre Wahnsinn, auf eigene Faust Ermittlungen anstellen zu wollen. Dies ist ein fremdes Land, das Sie nicht kennen, und es ist in vielerlei Beziehung überhaupt nicht mit Mitteleuropa zu vergleichen." Wütend schlug er auf den Tisch, als er Nicoles eisernen Gesichtsausdruck sah und erkannte, dass er genauso gut gegen eine Wand sprechen konnte. Aber er beruhigte sich sofort wieder, und als er nach ein paar Sekunden weitersprach, hatte seine Stimme einen mitfühlenden, sogar fast verständnisvollen Tonfall angenommen.

"Sie haben Ihren Onkel wohl sehr gern gehabt, nicht wahr?"

Nicole zuckte die Achseln.

"Eigentlich nicht mal. Ich habe ihn kaum gekannt, da er ständig auf Reisen war. Aber er war immerhin mein Onkel, und vielleicht würde ich sogar genauso handeln, wenn er ein Wildfremder gewesen wäre. Ist schon mal jemand in Ihren Armen gestorben?"

"Nein, glücklicherweise nicht."

"Dann können Sie auch nicht wissen, was das für ein Gefühl ist."

"Jedenfalls kann es nicht rechtfertigen, dass Sie nun auch Ihr eigenes Leben in so unverantwortlicher Weise gefährden."

"Lassen wir die nutzlose Diskussion", sagte Nicole ernst. "Alles was ich wissen will, ist, ob Sie mir helfen, oder ob ich auf mich allein gestellt bin."

"Eigentlich sollte ich Sie wirklich Ihrem eigenen Schicksal überlassen", knurrte der junge Archäologe, aber Nicole erkannte, dass es sich nur noch um ein Rückzugsgefecht handelte. Er hatte endlich eingesehen, dass er sie nicht mehr umstimmen konnte. "Ich hätte Ihnen überhaupt nicht erst von der Statue erzählen dürfen. Aber da ich es nun einmal getan habe, kann ich Sie auch nicht einfach im Stich lasen."

Nicole atmete erleichtert auf; nicht nur, weil sie nicht mehr nur auf sich allein gestellt war, sondern auch, weil sie Gefallen an Claude Fouchet gefunden hatte und sich freute, dass er ihr helfen wollte.

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738920796
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Juli)
Schlagworte
amulett hölle
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Titel: Das Amulett aus der Hölle