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Rockerkrieg in Manhattan: Kriminalroman

©2018 160 Seiten

Zusammenfassung

Rockerkrieg in Manhattan
Krimi von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 128 Taschenbuchseiten.

Über dreißig Menschen waren bei einem Brandanschlag auf einen New Yorker Nachtclub gestorben – darunter auch der verdeckt ermittelnde Drogenfahnder Bud Johnstone. Ein Fall für das FBI. Die Agenten Jesse Trevellian, Milo Tucker und ihre Kollegen ermitteln in der Rocker-Szene, da Zeugen Mitglieder der Gang >Firedogs< vom Tatort flüchten gesehen haben wollen. Auch scheint sich zwischen den einzelnen Motorradbanden ein Kleinkrieg zu entwickeln, bei dem es Tote gibt. Doch sind die Rocker-Bosse auch die Drahtzieher? Sicher ist, dass bei den verdeckten Einsätzen des FBI die Gangster immer einen Schritt voraus sind – das bedeutet, es muss irgendwo eine undichte Stelle geben ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Rockerkrieg in Manhattan

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Krimi von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 128 Taschenbuchseiten.

Über dreißig Menschen waren bei einem Brandanschlag auf einen New Yorker Nachtclub gestorben – darunter auch der verdeckt ermittelnde Drogenfahnder Bud Johnstone. Ein Fall für das FBI. Die Agenten Jesse Trevellian, Milo Tucker und ihre Kollegen ermitteln in der Rocker-Szene, da Zeugen Mitglieder der Gang >Firedogs< vom Tatort flüchten gesehen haben wollen. Auch scheint sich zwischen den einzelnen Motorradbanden ein Kleinkrieg zu entwickeln, bei dem es Tote gibt. Doch sind die Rocker-Bosse auch die Drahtzieher? Sicher ist, dass bei den verdeckten Einsätzen des FBI die Gangster immer einen Schritt voraus sind – das bedeutet, es muss irgendwo eine undichte Stelle geben ...

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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1

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Cookys Blick wurde glasig, während Bud ihm Feuer gab. Auch ohne sich umzudrehen, hätte Bud sagen können, dass wieder eine Lady mit verdammt kurzem Rock die Treppe herunterstieg. Er drehte sich trotzdem um. Die Frau stolzierte an ihnen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Cooky und Bud ließen ihre Augen so lange auf ihren langen Beinen und ihrem wiegenden Hintern ruhen, bis sie unten den schweren roten Vorhang beiseite schob. Das Gewirr aus Stimmen und Technorhythmen schwoll für einen Augenblick an. Dann tauchte die Frau in den Dschungel aus Menschenleibern und Lichtreflexen ein. "Oh Mann", stöhnte Cooky und grinste. Er zog gierig an seiner Selbstgedrehten und lehnte sich zurück an den Feuermelder. Süßer Haschischduft breitete sich in dem schmalen Treppenaufgang aus.

Obwohl es noch nicht lange nach Mitternacht war, platzte das >Studio 13< bereits aus allen Nähten. Mindesten zweitausend Gäste tummelten sich unten im Keller des alten Theaters an der Second Avenue, schätzte Bud. Er ließ sich an der gekalkten Wand auf den Boden rutschen und schloss die Augen. Die halbe Nacht neben einem Feuermelder zu stehen und den dummen Sprüchen eines Halbidioten zu lauschen gehörte zu den wenigen öden Seiten seines Jobs.

Oben, von der Straße, hörte er das dumpfe Grollen schwerer Maschinen. Er fummelte sein Handy aus der Jeansjacke und stieß Cooky gegen den Unterschenkel. Der zog einen Totschläger aus dem Gürtel und begann die Treppe hinaufzusteigen.

Er kam nur zwei Stufen weit. Bud hörte ein metallisches Floppen. Blitzartig sprang er auf die Beine. Gerade noch rechtzeitig, um Cooky aufzufangen, der wie von einer unsichtbaren Faust getroffen herumwirbelte. Etwas Feuchtes klatschte Bud ins Gesicht, und plötzlich war die weiße Wand mit Blutspritzern übersät, und da, wo noch vor zwei Sekunden Cookys linkes Auge war, fehlte ihm jetzt ein Stück seines Gesichtes.

Bud stieß den Körper zur Seite und bückte sich blitzschnell nach seinem Stiefel, wo unter dem Hosenaufschlag sein .38er steckte. Er hatte den Revolver während seines ganzen Einsatzes noch nicht benutzt. Und er ahnte, dass er diesmal nicht mehr dazu kommen würde, ihn zu benutzen.

Er behielt recht. Der vorderste der drei Burschen in Motorradhelmen, die etwa fünf Stufen über ihm standen, riss schon wieder das hässliche, schalldämpferbewehrte Gerät in seinen Fäusten hoch und zog erneut den Abzug durch. Bud wurde nach hinten geschleudert, und rutschte fast bis zum dem roten Vorhang die Treppe hinunter. Etwas explodierte heiß in seiner Brust. Er versuchte, Luft zu holen, aber es war nichts mehr da, wo er hätte hineinatmen können.

Seine letzten Sekunden liefen wie ein Film vor seinem verschwimmenden Blick ab. Er sah, wie einer der drei einen Kanister öffnete und eine Flüssigkeit über die Treppe und über Cookies Leiche ausleerte. Er sah, wie ein anderer einen Streichholz entzündete und dem dritten, dem Schützen, zunickte. Er sah, wie dieser mit seiner Waffe ausholte, und den Feuermelder zertrümmerte. Er sah ihn den Knopf drücken, er sah das Streichholz fallen, er sah die drei Burschen hinter einer aufschießenden Feuerwand die Treppe hinaufrennen.

"Es ist nur ein Film", flüsterte eine Stimme in Buds erlöschendem Gehirn, "du gehörst nicht dazu." Als der Feueralarm aufheulte, verstummte die Stimme. Der Vorhang wurde aufgerissen, Menschen stolperten über ihn, Menschen schrien, und Bud begriff, dass dies alles Wirklichkeit war. Er spürte die Hitze des Feuers an seinen Unterschenkeln. Aus dem Inneren der Disco hörte er noch eine Lautsprecherstimme: "Keine Panik bitte! Zu den Notausgängen! Keine Panik!"

Das Letzte, was Bud mitbekam, waren Hände, die sich um sein Kinn legten und ihn aus den Flammen heraus hinter den Vorhang zerrten. Dann wurde es dunkel um ihn. Und sehr still.

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Der Moderator gab mit pathetischer Stimme die neusten Hochrechnungen bekannt. Ich stellte das Autoradio lauter. Mr. McKee neben mir beugte sich aufmerksam nach vorn. Aus den Augenwinkeln sah ich ein Lächeln über sein Gesicht huschen - der Mann, zu dessen Wahlparty wir unterwegs waren, lag bei fast fünfzig Prozent: New York City hatte ab heute einen republikanischen Bürgermeister.

"Das konnte man sich ja schon vor drei Stunden ausrechnen", sagte Mr. McKee und sah auf die Uhr. Es war kurz nach Mitternacht. "Wahrscheinlich kommen wir gerade rechtzeitig zur großen Champagner-Orgie."

Ich ordnete mich rechts ein und verließ den Broadway. Auf dem Vorplatz des Rathauses herrschte ein Gewimmel wie in der Rushhour, und die City Hall war hell erleuchtet. Alles, was Rang und Namen hatte - oder zu haben glaubte - und republikanisch gesinnt war, schien sich heute Nacht hier die Klinke in die Hand zu geben.

"Ich lasse Sie hier raus, Sir", ich hielt etwa hundert Meter vor dem Haupteingang, "man muss uns nicht unbedingt zusammen sehen."

"Okay, Jesse", er öffnete die Wagentür, "dann schauen Sie sich einfach ein bisschen um. Bei so viel Prominenz werden unsere Freunde aus der Unterwelt auch nicht fehlen wollen." Er stieg aus.

"Wann hat man schon mal Gelegenheit, seine weiße Weste vorzuführen", lachte ich. Wir winkten uns zu, und ich steuerte die Tiefgarage der City Hall an. Das Schicksal meinte es gut mit mir - schon nach zehn Minuten fand ich einen Parkplatz für mein gutes, rotes Stück.

Ich hatte nichts Konkretes vor in der City Hall. Mr. McKee war als offizieller Vertreter des FBI eingeladen und hatte mich gebeten, ihn zu begleiten. Natürlich interessierte ich mich vor allem für die Gäste, deren Namen häufiger in unseren Akten auftauchten, und die Geld genug hatten, sich einen Anwalt zu leisten, der sie vor dem bösen FBI schützte. Einen sah ich gleich in der Empfangshalle: Einen properen Broker, der auch Teilhaber einer Privatbank in der Upper Westside war. Wir hatte ihn in Verdacht, Geldwäsche großen Stils zu organisieren.

Ich klemmte mir meinen Presseausweis ans Revers und mischte mich als John Smith, Reporter eines Lokalblatts aus North Carolina, unter die Gäste. An einer Dixiband vorbei drängte ich mich in den großen Sitzungssaal, den man zum Festsaal umfunktioniert hatte. Überall Konfetti, Luftschlangen, Chips und Erdnüsse auf dem Boden, die Menschen standen in großen Trauben beieinander, zur Stirnfront des Saales hin immer dichter. Hinter einem Gedränge von Reportern und Kamerateams sah ich den frisch modellierten, silbergrauen Lockenkopf unseres neuen Bürgermeisters. Ich verzog mich ans Büfett, das an der langen Seitenwand aufgebaut war. Dabei entdeckte ich einen alten Bekannten von der City Police: Fred Melbourne, leitender Detektiv der Abteilung für Drogenfahndung. Groß und breit stand er neben der Tür. Ich winkte ihm zu. "Verdammt fett geworden", dachte ich und nahm mir vor, mich mit einem vollen Teller zu ihm zu gesellen.

Ich schnappte mir Teller und Gabel, stach nach einer leckeren Schinkenrolle mit Spargel - die letzte ihrer Gattung auf dem Teller - und stieß mit einer fremden Gabel zusammen, deren Besitzer sich dieselbe Schinkenrolle angeln wollte. Überrascht sah ich auf - und schaute in ein Paar grüne Mandelaugen. Sie gehörten einer zierlichen Chinesin mit unverkennbarem amerikanischen Einschlag. In ihrem feinen, schmalen Gesicht lag ein Ausdruck der Entschlossenheit. Ihr schwarzes Haar fiel ihr bis auf die Brüste. Sie hatte sich weit über das Büfett gebeugt, um noch vor mir die Schinkenrolle zu erobern, sodass das tiefe Dekolleté ihres dunkelroten Kleides mir die beiden Kostbarkeiten in ihrer ganzen Pracht enthüllte. Mir stockte für einen Augenblick der Atem.

"Köstlich", sagte ich heiser und zwang meinen Blick zu der einsamen Delikatesse, in der unsere Gabeln steckten, "dieses Schinkenröllchen, meine ich." Ich legte es ihr auf den Teller.

"Ja, wir scheinen einen ähnlichen Geschmack zu haben", sie sprach mit einer rauchigen Altstimme, die ich nicht bei ihr erwartet hätte, und die ich genauso aufregend fand, wie ihre Gesicht und ihre Brüste.

"Mal sehen, ob wir noch mehr Gemeinsamkeiten entdecken", ließ ich meinen Charme spielen und beglückwünschte mich, meinen Chef hierher begleitet zu haben. Die Dame und ich schritten das Büfett ab und luden uns gegenseitig Leckereien auf unsere Teller. Das schien ihr ein ungeheures Vergnügen zu bereiten - selbst als der Bürgermeister längst mit seiner Rede begonnen hatte, lachte sie immer wieder laut auf. Irgendwann trafen wir uns am Ende des Büfetts. Ihr Kleid war hochgeschlitzt und hauteng. "Jennifer Hong", stellte sie sich vor, "sagen Sie Jenny zu mir."

"John Smith", ich deutete auf meinen Presseausweis, "meine Freunde nennen mich Johnny." Wir hatten kaum Zeit, uns mit unseren vollen Tellern zu beschäftigen, soviel hatten wir uns zu erzählen. Der Bürgermeister verbreitete sich mittlerweile noch einmal ausführlich über sein Wahlprogramm. Da ich ihn nicht gewählt hatte, sah ich keinen Grund mich durch eine lange Rede bestrafen zu lassen. An Melbourne vorbei gingen Jenny und ich ins Foyer. Wir plauderten, als würden wir uns schon seit Monaten kennen. "Ich besorg' mal eben was zu trinken", sagte die Lady nach einer halben Stunde und verschwand in einem Nebenraum.

Ich trat an den Eingang zum Festsaal und kriegte ein paar Brocken Regierungsprogramm mit. Der Bürgermeister ereiferte sich gerade über das Thema Sicherheit. "Ich habe versprochen, den Riesenkraken namens Organisierte Kriminalität in unserer Stadt zu bekämpfen, und ich werde es tun! Ich habe versprochen, die Drogenszene in Manhattan auszutrocknen, und ich werde es tun!"

"Bei uns hat er sich nicht beworben, bei euch Fred?", grinste ich meinen alten Kumpel Melbourne an.

Dem schien nicht nach Späßen zumute zu sein. "Dieses Arschloch", brummte er, "die Drecksarbeit überlässt er Leuten, die schlechter bezahlt sind, oder Jesse?"

"John Smith", flüsterte ich und deutete auf meinen Presseausweis, "kannst Johnny zu mir zu sagen." Er runzelte verständnislos die Stirn. Fred war schon immer etwas schwer von Begriff gewesen.

Ein Schatten tauchte neben mir auf und reichte Fred die Hand, die Linke, wie mir gleich auffiel. "Hallo Fred."

"'N' Abend, Darky", Fred wirkte plötzlich irritiert, "das ist ..."

"John Smith", stellte ich mich dem Neuankömmling vor. Er trug ein schwarzes Seidenjackett mit einem schwarzen T-Shirt mit V-Ausschnitt darunter. Unwillkürlich suchte ich mit einem raschen Blick nach einer Farbe in seiner kleinen, fast schmächtigen Erscheinung. Aber nicht nur die Lederhosen, auch die Turnschuhe waren schwarz. Ich musste mir Mühe geben, nicht an die Farbe seiner Unterwäsche zu denken, während ich ihm die Hand entgegenstreckte. Und wieder drückte er sie mit seiner Linken.

"Michael Doorwall", sagte er mit einer sanften, fast melancholischen Stimme. Auch sein Blick hatte etwas Wehmütiges. Die wässrigen, graublauen Augen, der kleine, beleidigt zusammengekniffene Schmollmund, die schütteren, grauen Haare - irgendwie erinnerte er mich an einen jung und erfolglos gebliebenen Erfinder. Oder an einen Schachgroßmeister, der ständig gegen Computer verliert. Jetzt erst bemerkte ich, dass aus dem rechten Ärmel seiner Seidenjacke eine Kunststoffhand hervorlugte.

"Tja", räusperte sich Fred. Die Begegnung schien ihm irgendwie unangenehm zu sein. "Ich glaub, ich hol' mir was zu beißen." Er walzte in Richtung Büfett ab. Doorwall verwickelte mich in einen Small Talk über die Stadt und ihr Chancen unter dem neuen Bürgermeister. Aus den Augenwinkeln sah ich Jenny mit zwei gefüllten Gläsern zurückkommen. Als sie den Schwarzen sah, blieb sie abrupt stehen. Das Lächeln gefror auf ihrem Gesicht. Sie machte kehrt und tauchte im Menschengewimmel unter.

"Entschuldigen Sie mich, Mr. Doorwall", ich versuchte Jenny im Auge zu behalten. Wenn mir diese Perle verloren ging, würde ich mir das nicht verzeihen.

"Aber gerne, Mr. Smith", Doorwall wandte sich Fred zu, der neben dem Büfett stand und aufgeregt in sein Handy bellte. Dann drängte ich mich durch die Leute und hielt Ausschau nach dem schwarzen Haar meiner chinesischen Lady.

"Ein Glück, dass ich Sie finde, Jesse!" Unverhofft stand der Chef neben mir. "Kommen Sie bitte." Er zog mich am Jackenärmel aus dem Gewühl. Ich hätte schreien können vor Enttäuschung. Er führte mich hinter einen überdimensionalen Gummibaum, wo uns niemand zuhören konnte. "Eben erhielt ich eine Nachricht aus der Zentrale. Ganz hier in der Nähe brennt ein Nachtclub. Wahrscheinlich Brandstiftung. Zahlreiche Tote und Verletzte." Er schüttelte sich. "Muss eine scheußliche Sache sein. Einer der Toten ist ein verdeckter Ermittler der City Police. Ich denke, der Fall wird an uns gehen. Ob Sie mal eben vorbeischauen? Mr. Tucker wird auch da sein."

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Die Second Avenue war vollständig gesperrt. Mindestens drei Löschzüge aus jeweils vier Fahrzeugen säumten die Straße. Ich zählte vierzehn Streifenwagen. Einige Dutzend Ambulanzen standen kreuz und quer auf der breiten Fahrbahn. Aus dem Kellereingang des Alten Theaters quoll dichter Rauch. Ich kannte den Nachtclub. In früheren Jahren hatte ich das >Studio 13< ein paar Mal besucht.

Ich stellte den Sportwagen in einer Seitenstraße ab und stieg aus. Hinter den Absperrungen drängte sich die Masse der Gaffer. "FBI, bitte lassen Sie mich durch", ich hatte Mühe mir einen Weg durch die Menge zu bahnen. Am Seiteneingang des alten Theaters stellte sich mir ein Cop in den Weg. "Was fällt Ihnen ein, Mann?! Haben Sie nicht die Absperrungen gesehen? Die gelten vorläufig auch für die Presse!" Entgeistert starrte ich ihn an. Dann kapierte ich. Ich entfernte meinen Presseausweis von meinem Jackett und zeigte dem Kollegen meine Dienstmarke.

"Sorry", brummte er und deutete hinter sich ins Innere des Gebäudes, "da drin ist noch einer von eurer Firma."

Ich ließ einige Sanitäter vorbei, die mit Verletzten aus dem Haus eilten, und hielt nach Milo Ausschau. Im hell erleuchteten Foyer des ehemaligen Theaters lagen zahlreiche mit Plastikplanen oder Decken verhüllte Körper. Es roch nach verbranntem Plastik und nach Rauch. Etwas Gespenstisches lag über der Szenerie. Die Vorstellung, nur einen üblen Traum zu träumen, drängte sich mir auf. Milo entdeckte ich in einer Gruppe von Zivilbeamten der City Police. Er hockte neben einem offensichtlich toten Mann.

Als er mich sah, sprang er auf und kam mir entgegen. "Hi, Jesse, schön, dass du kommst. Hat der Chef dich alarmiert?" Ich nickte. "Eine knüppeldicke Schweinerei ...", er ließ seinen Blick über die zugedeckten Leichen wandern und atmete geräuschvoll aus. "Siebenundzwanzig Tote", sagte er dann, "bis auf zwei alle totgetrampelt in der Panik, die das Feuer verursacht hat. Und über zweihundert Verletzte. Die Feuerwehr sagt, es sei ein Wunder, dass es nicht mehr Tote gegeben hat. Es waren gut zweieinhalb Tausend Gäste in der Disco zu dem Zeitpunkt, als der Feueralarm losging."

"Woran starben die beiden, die nicht totgetrampelt wurden?"

"Ja - das ist der Hammer", Milo drehte sich um und winkte mich hinter ihm her, "komm mit." Er führte mich zu der Gruppe um den toten Mann. Die meisten der Beamten kannte ich. In der Brust des Toten klaffte ein riesiges Loch, seine Jeansjacke war blutdurchtränkt. "Das war Lieutenant Bud Johnstone", erklärte Milo, "er gehörte zur Abteilung Drogenfahndung und ermittelte verdeckt in der Szene Süd-Manhattans."

Die Hosenbeine des Mannes waren verkohlt. Die schwarzen Stiefel darunter warfen an manchen Stellen Blasen. Fragend schaute ich Milo an. "Das Feuer wurde auf der Treppe des Eingangsbereichs gelegt", sagte Milo, "jemand hat ihn von dort in die Disco hereingezogen. Da hatte er schon nicht mehr geatmet."

"Die Feuerwehr hat dort noch eine weitere Leiche gefunden", ergänzte einer der Kollegen von der City Police, "total verkohlt."

Ich wandte mich ab. Die Delikatessen vom City-Hall-Büfett lagen mir plötzlich im Magen wie geladene Batterien. Mir war übel. Durch den Haupteingang stürmte ein fetter Typ in das Foyer - Fred Melbourne. Überrascht blieb er stehen, als er Milo und mich entdeckte. "Was zum Teufel macht ihr hier?" Milo sagte gar nichts, und ich zuckte nur mit den Schultern. "Hat das FBI den Fall übernommen?", wollte Fred wissen.

Mir lag etwas Unfreundliches auf der Zunge. Aber Milo kam mir zuvor. "Ein Haufen Tote nach Brandstiftung, Fred", sagte er ruhig, "und immerhin kam ein Bundesbeamte ums Leben."

"Was is' los?!", bellte Melbourne und schob sich näher heran.

"Buddy hat's erwischt", sagte einer seiner Detektive.

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Die Möwe scherte aus einem Dreierverband aus und ließ sich auf die Wasseroberfläche fallen. Kurz über der Gischt breitete sie die Flügel aus, bremste so ihren Sturz ab, schien für den Bruchteil einer Sekunde im Meer zu verschwinden und erhob sich kurz darauf mit schwerem, fast stockendem Flügelschlag wieder in die Luft. In ihren Greifen zappelte ein Fisch.

Sie steuerte das Ufer an und flog etwa zehn Meter über dem Wasser, als sie plötzlich aus der Flugbahn geworfen wurde. Der Fisch stürzte senkrecht hinab ins Meer, Federn spritzten in alle Richtungen davon, und der Vogel taumelte um seine Längsachse kreisend dem Wasser entgegen.

Am Ufer ertönte lautes Gelächter. Ein kahlgeschorener, in Leder gekleideter Mann reichte einen Revolver mit Schalldämpfer an den weiter, der neben ihm saß. "Jetzt bist du dran, Larry." Der Angesprochene - ein Mann Ende dreißig mit langem blondem Zopf und in Motorradmontur - nahm die Waffe, auf deren Lauf ein Schalldämpfer steckte, prüfte die Trommel und legte an. Kurz darauf stürzten zwei Möwen kreischend ins Meer. Die Gruppe am Ufer grölte Beifall.

Sie waren etwa zu zwölft, alles Männer zwischen fünfundzwanzig und vierzig. Ihre Maschinen standen hinter ihnen in einem Halbkreis geparkt. Hinten auf den Leder- oder Jeanswesten, die die meisten von ihnen auf nacktem Oberkörper trugen, prangte das Emblem ihrer Gang - ein Hundeschädel. Und darüber runenartig der Name: >Firedogs<. Sie waren eine von drei rivalisierenden Motorradgangs in der Bronx. Der südliche Pelham Bay Park war ihr Freilandquartier. Hier, am Ufer der Eastchester Bay, trafen sie sich in den Sommermonaten fast täglich.

Von der Straße her brüllte ein Motor auf. Alle Köpfe fuhren herum. "Klingt wie eine Harley", sagte einer. Der Mann mit dem blonden Zopf, Larry, erhob sich. Eine schwere Maschine rollte über den Rasen und näherte sich langsam.

"Das ist einer der Typen aus Manhattan", sagte Larry und ging der Maschine entgegen. Die anderen sahen ihn mit dem Fahrer sprechen. Kurze Zeit später kehrte er zurück. "Jungs, es gibt Kohle." Er stülpte seinen Helm über und warf sein Motorrad an. "In spätestens drei Stunden bin ich zurück", rief er und fuhr davon.

Er folgte der Harley in Richtung Central Park. Auf einem Parkplatz an der Lenox Avenue parkten sie die Motorräder. Der Harley-Fahrer, ein baumlanger Kerl, zog sich den Helm vom Kopf. Ein tiefschwarzes Gesicht unter kahlgeschorenem Schädel erschien. "Saint Lucifer will sich persönlich bei dir bedanken", sagte er ohne Larry anzusehen, "für den Hit gestern Nacht im >Studio 13<.

Larry fühlte sich geschmeichelt. Bisher hatte er seine Aufträge nur über Mittelsmänner erhalten und meist telefonisch. Dass ein Mann, den die Mittelsmänner meistens Lucie und manchmal Saint Lucifer nannten, dabei im Hintergrund stand, hatte er mehr den Nebensätzen seiner direkten Geschäftspartner entnommen.

Der schwarze Kahlkopf führte ihn über den Parkplatz zu einem roten Chevrolet und öffnete die hintere Tür. Außer dem Fahrer und dem Beifahrer saß noch ein dritter Mann im Fond des Wagens - ein rothaariger Mann, der Larry irgendwie missfiel. Nicht, weil er einen dunkelgrünen Anzug und eine korrekt gebundene Krawatte trug, sondern weil er seinem Blick auswich. Der Schwarze schob ihn ins Innere des Fahrzeugs. Der Chevrolet fuhr an. Vom Beifahrersitz aus wandte sich ihm ein grinsendes Gesicht zu. "Hallo, Larry", eine schmale Hand streckte sich nach hinten. Larry ergriff sie und fühlte die vielen Ringe an den Fingern der fremden Hand.

Der Mann, dem die Hand gehörte, war mindestens zehn Jahre jünger, als er selbst. Das grinsende Gesicht wurde ganz und gar von den dunklen Augen dominiert - sie saßen tief und groß in den Höhlen und erinnerten Larry an die Augen von Aidskranken, die er im Fernsehen gesehen hatte. Die Farbe der Gesichtshaut war schmutzig-braun, sein Schädel bis auf eine lange, rot gefärbte Scheitelsträhne kahl rasiert. Der Mann war ein Latino.

"Lucie?", fragte Larry vorsichtig.

"Richtig", grinste der Latino. Ein großer, goldener Kreole hing an dem langgezogenen Ohrläppchen seines linken Ohres. "Freut mich, dich mal kennenzulernen, Larry. Wir haben ja schon einige Geschäfte miteinander gemacht." Sein Grinsen wurde noch breiter. "Wie ihr den DJ von Barral ohne Kopf und mit dem Mikro im Arsch an den Laternenpfahl gebunden habt damals - das war schon 'ne Nummer für sich." Er schlug sich lachend auf die Schenkel. Auch der Fahrer - ein kleiner Italo - und der schwarze Kahlkopf lachten, und Larry begann, sich zu entspannen. Aber es gelang ihm nicht recht, denn der rothaarige Kerl links von ihm, der in dem Anzug, verzog keine Miene.

"Und dann gestern die Sache im >Studio 13< ...", fuhr Lucie fort, ohne den Satz zu beenden.

"Ja?", fragte Larry.

"War auch so 'ne Spezialnummer", sagte der Latino gedehnt. "Dafür schulden wir dir noch 'ne Kleinigkeit."

"Drei Riesen", sprudelte es aus Larry. Der andere antwortete nichts. Schweigend fuhren sie durch Manhattan. An einer alten Kirche hielten sie. >Golden Hades< prangte in roten Lettern über dem Eingangsportal. Als Gottesdienstraum hatte die Kirche schon seit Jahren ausgedient. Der >Golden Hades< war einer der renommiertesten Nachtclubs in South Manhattan. "Was wollen wir hier?" Larry sah sich misstrauisch um.

"Der Lord will dich sprechen." Lucie knallte die Autotür zu.

"Lord Nelson?" Lucie nickte und ging voran um die Kirche herum. Der Fahrer blieb im Wagen sitzen. Larry war ein hartgesottener Bursche. Aber der Name >Lord Nelson< ließ ihn doch erschauern. Er hatte ihn noch nicht oft gehört. Aber die wenigen Male, die er ihn gehört hatte, und die Art, wie er da ausgesprochen worden war, hatten genügt, um Larry Respekt einzuflößen. Der Lord musste einer der ganz Großen im Geschäft sein.

Hinter der Kirche betraten sie ein Gebäude, das früher einmal als Wohnhaus und Büro des Priesters gedient hatte. Lucie öffnete eine Tür und gab Larry ein Zeichen, einzutreten. Larry fiel auf, dass der kahle Schwarze und der Bursche im Anzug keinen Zentimeter von seiner Seite wichen.

Er entdeckte den Mann erst, als er zum zweiten Mal in die linke Ecke des abgedunkelten Raumes sah. Klein und drahtig saß er hinter einem riesigen Schreibtisch. Er trug eine Augenklappe über dem linken Auge, und Larry dämmerte es, wie sein Name zustande gekommen war. "Ist das der Mann?", fragte Lord Nelson.

Lucie nickte. Der Lord stand auf, kam langsam auf Larry zu und blieb vor ihm stehen. Er war ein Chinese, mindestens einen Kopf kleiner als Larry. "Du hast gestern die Sache im >Studio 13< erledigt?", sagte er. Larry nickte und fummelte verlegen an seinem blonden Zopf herum. Der einäugige Blick des anderen schien sich in ihn zu bohren. "Der Vertrag war klar, oder?" Ein Blick zu Lucie - der bestätigte nickend. "Ihr solltet den Feuermelder einschlagen und Feueralarm geben."

Larry wurde mulmig zumute. "Es standen zwei Typen vor dem Feuermelder, und da ..."

"War in dem Vertrag von Feuerlegen die Rede?", unterbrach der Chinese scharf. Wieder schüttelte Lucie den Kopf. "Es gab über zwei Dutzend Tote!", schrie der Lord. "Einer von den beiden, die ihr umgelegt habt, war ein Bulle! Jetzt haben wir nicht nur die City Police, sondern auch noch das FBI auf dem Hals!" Er ging zu dem Schreibtisch und stützte sich auf. "Wo ist die Waffe, mit der ihr geschossen habt?"

Widerstandslos griff Larry unter seine Weste und zog den Revolver mit dem Schalldämpfer aus dem Holster. Der Kerl in dem Anzug nahm ihm die Waffe ab. "Wer von deinen Kumpels weiß, dass das eine Auftragsarbeit war?", fragte der Einäugige, ohne sich umzudrehen.

"Ist das so wichtig?" Larry zog die Schultern hoch. Er hatte sich selten so unwohl in seiner Haut gefühlt.

"Die Namen!", bellte der Chinese.

"Andy Gatien und Bob Loretto", sagte Larry kleinlaut. Er beobachtete, dass Lucie die Namen notierte und erschrak.

"Sonst niemand?"

"Nein."

Der Lord wandte sich an Lucie. "Ich erwarte von dir, dass du unsere Geschäftspartner besser betreust", sagte er leise, "und sorgfältiger aussuchst." Lucies Nasenflügel zuckten. Er schaute den Lord an und nickte kaum merklich. Ohne Larry noch eines Blickes zu würdigen, ging der Einäugige an ihm vorbei zur Tür. "Was habt ihr vereinbart?"

"Dreitausend", sagte Lucie.

"Zahlt ihn aus." Die Tür fiel ins Schloss.

Verwirrt suchte Larry den Blick des Latinos. "Aber Lucie, dein Mittelsmann hat mir doch am Telefon gesagt, wir sollen die beiden Kerle am Feuermelder umlegen!"

"Da musst du etwas falsch verstanden haben." Lucie wandte sich von ihm ab und ging zum Schreibtisch. Dort setzte er sich auf die Tischplatte und betrachtete scheinbar nachdenklich seine roten Lackschuhe. "Du hast den Vertrag nicht eingehalten, Larry. Wenn wir so etwas durchgehen lassen, nehmen uns unsere Geschäftspartner nicht mehr ernst."

Larry schaute ihn verständnislos an. Plötzlich zuckte der Kerl in dem Anzug neben ihm und packte ihn an den Handgelenken. Larry wehrte seine kräftigen Arme ab und spürte im gleichen Augenblick etwas Dünnes, Scharfes um seinen Hals. Der Farbige hatte von hinten eine Drahtschlinge über ihn geworfen. Larry griff sich an die Kehle, um den Draht abzureißen. Aber es war zu spät.

Links von sich, etwa ein Meter entfernt, sah er den Rothaarigen das eine Ende des Drahtes festhalten und sich mit seinem ganzen Körpergewicht dagegenstemmen. Der Draht war an einem Holzgriff befestigt. Und zum ersten Mal sah der Kerl ihn an. Sein Gesicht war verzerrt vor Anstrengung. Seine Augen erinnerten Larry an die Augen des Plastik-Supermanns, mit dem er als kleiner Junge gespielt hatte. Er starrte in diese kalten Plastikaugen, während von rechts der schwarze Kahlkopf ebenfalls an dem Draht zerrte. Larry schlug panisch um sich und starrte dabei ungläubig in diese starren Plastik-Augen.

Lucie stand ungerührt am Schreibtisch und beobachtete, wie Larry mit den Beinen strampelte und ziellos mit seinen tätowierten Armen herumfuchtelte. Er sah, wie sein Gesicht langsam violett anlief und seine Augen immer weiter aus den Höhlen traten. Und angewidert registrierte er den feuchten Fleck im Schritt von Larrys Jeans, der sich allmählich über die Oberschenkel ausbreitete.

Als er leblos vor ihm auf dem Boden lag, sagte er: "Schafft ihn weg, sonst versaut er noch den Teppich."

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"Ein gefundenes Fressen für die Zeitungen", Mr. McKee legte die Zeitung zusammen, schob sie uns über den Schreibtisch und entfaltete die nächste. "Hier: >Neunundzwanzig Tote durch Brandstiftung in Nachtclub - die Stadt braucht eine eiserne Hand<." Er griff zur nächsten Zeitung.

"Perfektes Timing mit der Bürgermeisterwahl", sagte Jay Kronburg, "jetzt wird auch der letzte New Yorker die harte Linie des neuen Mannes begrüßen." Jay und ich saßen vor dem Schreibtisch des Chefs. Die anderen in der Sitzgruppe.

"Hört mal her", sagte Milo. Er stellte seine Kaffeetasse ab und nahm das Zeitungsblatt hoch, in dem er gerade las. ">Drogenmilieu ermordet Fahnder der City Police<", kopfschüttelnd sah er auf, "die wissen schon mehr als wir."

"Hatte Johnstone überhaupt eine heiße Spur?", fragte Clive Caravaggio.

"Seit wann ermittelte er denn?", wollte Medina wissen.

Mr. McKee legte die Zeitungen auf einen Stapel und schob ihn beiseite. "Das wüsste ich auch gern, Gentlemen", sagte er, "leider ist der Bericht seines Chefs immer noch nicht eingetroffen."

"Melbourne weiß doch schon seit drei Uhr morgens, dass wir die Unterlagen brauchen", Leslie Morell schaute auf seine Armbanduhr, und jetzt ist gleich vier Uhr nachmittags."

Mr. McKee zuckte mit den Schultern. "Ich hatte den Eindruck, er hätte den Fall lieber selbst übernommen. Ich werde ihn gleich noch einmal anrufen." Er faltete seine Hände zusammen und sah uns ernst an. Der offizielle Teil unserer Sitzung schien zu beginnen. "Gentlemen - der Fall erregt verständlicherweise die Öffentlichkeit. Wir stehen unter einem hohen Erwartungsdruck. Selbstverständlich werden wir den Fall übernehmen - nicht nur, weil ein Bundesbeamte ermordet wurde, sondern weil der Bürgermeister heute Morgen bei mir anrief und mich wissen ließ, dass er den Fall unter Dringlichkeitsstufe 1 einordnet. Inzwischen hat er auch schon mit Washington telefoniert. Erwartungsdruck also auch von der Seite."

Er lehnte sich zurück und begann in aller Seelenruhe seinen Kaffee umzurühren. Das tat er meistens dann, wenn er uns Zeit geben wollte, unangenehme Neuigkeiten zu verdauen. "Kurz und gut: Wir werden mit alle verfügbaren Einsatzkräften die Ermittlungen in Angriff nehmen. Und alle verfügbaren Einsatzkräfte heißt im Moment: Sie sechs, Gentlemen." Er nahm einen Schluck Kaffee und schaute mich an. "Jesse - sind Sie doch so freundlich und fassen Sie mal eben den Stand der Dinge zusammen."

"Das ist schnell erledigt", sagte ich und ordnete meine Notizen, "gegen 0.30 Uhr dringen mehrere Männer in den Treppenabgang des Studios ein, legen ein Feuer und schießen mit einer Waffe von Kaliber .45 auf den Undercover-Ermittler Bud Johnstone und eine weitere männliche Person, die bisher noch nicht identifiziert werden konnte. Wer den Feueralarm auslöste, kann bis zur Stunde noch nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Wahrscheinlich der zweite Tote im Treppenaufgang. Johnstone, der zur Drogenfahndung der City Police gehörte, stirbt innerhalb von Sekunden. Einige Zeugen sehen eine Gruppe von Männern auf Motorrädern davonfahren. Einer der Zeugen will das Emblem eines Tierschädels auf der Weste eines der Motorradfahrer gesehen haben. Panik bricht aus, beim Sturm auf die Notausgänge gibt es hunderte von Verletzten, siebenundzwanzig Menschen sterben sofort, bis zur Stunde erliegen vier weitere Opfer ihren schweren Verletzungen. Ende der Durchsage."

Eine Zeitlang herrschte nachdenkliches Schweigen. "Klingt ein bisschen so, als wäre Johnstone und der andere ganz zufällig auf der Treppe gewesen, als die Brandstifter kamen", sagte Milo, "das will mir nicht runter."

"Wieso erschießt jemand, der einen Laden anzünden will, zwei Männer?", warf Medina ein. "Das schmeckt nach mehr, als nur nach Brandstiftung."

"Und selbst wenn es nur Brandstiftung war", sagte Milo, "warum wurde das >Studio 13< angezündet? Versicherungsbetrug? Racketeering?"

"Sie sehen, Gentlemen, es gibt eine Menge Fragen zu klären", mischte der Chef sich ein, "ich schlage vor, dass ein Team sich mal mit den Motorradgangs in der Stadt befasst."

"Das wäre doch etwas für uns, oder?", wandte Jay sich an Leslie.

"Dann kümmern Jesse und ich uns mal um den Besitzer des Nachtclubs", sagte Milo, "wie hieß er gleich?"

"Christopher Barral", ich reichte Milo ein Blatt mit den Personalien des Mannes.

"Und Sie beide", sagte der Chef in Richtung Medina und Clive, "werten die Zeugenaussagen aus und befragen noch einmal den einen oder anderen Zeugen."

"Okay, Sir." Wir trafen noch ein paar Absprachen und trennten uns dann. Milo und ich fuhren in unser Büro hoch. Während mein Partner mit der Sekretärin des Nachtclubbesitzers telefonierte, rief ich in der City Hall an.

"Ist an der Rezeption eine Nachricht für mich angegeben worden? John Smith ist mein Name." Ich wurde mit der Rezeption verbunden. Milo hatte aufgehört zu telefonieren und schaute neugierig zu mir herüber. An der Rezeption wollte man wissen von wem ich eine Nachricht erwarte. "Von Mrs. Jennifer Hong."

Milos Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. "Tut mir leid, Mister", flötete die Stimme am anderen Ende der Leitung, "uns liegt nichts vor für Sie." Ich legte auf.

"Ermittelst du in einer privaten Sache, Mr. Smith?", lachte Milo.

"Leider vergeblich", ich verwünschte die Kerle, die das >Studio 13< angezündet hatten. Wären sie eine halbe Stunde später gekommen, hätte ich wenigstens noch Zeit gehabt, Jennies Telefonnummer herauszukriegen.

"Nimm's nicht so schwer", Milo klopfte mir auf die Schulter, "vielleicht haben wir mit unserem neuen Fall mehr Erfolg."

"Hoffentlich", seufzte ich und folgte ihm zur Tür.

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Christopher Barral war genau das, was man sich unter einem Abzocker vorstellt: Ende vierzig, breiter, unförmiger Körper in feinstes Nadelstreifentuch gehüllt, grau melierte Schläfen, goldene Rolex, einen fetten Siegelring am Finger und ein Zigarillo im Elfenbeinmundstück zwischen den Lippen.

Sein Büro sah aus, als würde die Putzfrau alle zwei Stunden aufräumen und sauber machen, und als ich in einer Ecke, unter einem teuren Bild, den Computertisch entdeckte, fragte ich mich, ob Barral das Gerät überhaupt schon einmal eingeschaltet hatte.

"Ob ich einen Verdacht habe?", grollte er. "Weiß nicht. Mein erster Gedanke war - die Konkurrenz macht Druck."

"Die Konkurrenz?", hakte ich nach.

"Wissen Sie, Mr. Trevellian", er blies eine stinkende Rauchwolke über unsere Köpfe hinweg, "Süd-Manhattan ist ein sehr lukrativer Markt für das Geschäft mit dem Nachtleben. Und da drängen sich eine Menge gieriger Mäuler, die Angst haben, ein zu kleines Stück von der leckeren Sahnetorte zu erwischen. Eine Überlebenschance haben nur die ganz Großen."

"Und um ein ganz Großer zu werden, zündet man auch schon mal einen Konkurrenzschuppen an?", sagte ich.

"Mmh", ächzend erhob er sich und ging zu einem Schrank, "eigentlich nicht. Das ist es ja eben. Als ich von dem Feuer und den beiden erschossenen Männern hörte, ließ ich den Gedanken an die Konkurrenz wieder fallen." Er nahm eine Flasche mit einer bernsteingelben Flüssigkeit aus dem Schrank. "Whisky?"

Milo hob abwehrend die Hand. "Erst nach Sonnenuntergang", sagte ich, "Schießen und Feuerlegen gehört also nicht zum Repertoire des Marketings in Ihrer Branche."

Er zuckte mit den Schultern und goss sich ein halbes Glas voll Whisky ein. "Bis jetzt jedenfalls nicht."

"Was dann?", wollte Milo wissen.

"Schlägereien in Clubs, gekaufte Gangs, die Gäste verprügeln oder vergewaltigen, Falschinformationen an die Polizei, die dann oft große Razzien nach sich ziehen", Barral zählte die Dinge auf, als würden sie zum langweiligen Alltagstrott gehören, "einmal haben sie mir einen DJ umgebracht und seine Leiche vor dem >U 66< an einen Laternenpfahl gebunden."

"U 66?" Milo schaute ihn fragend an.

"Eine alte U-Bahnstation am Brooklyn Battery Tunnel. Ich habe sie vor acht Jahren zu einem Nachtclub umbauen lassen", erklärte Barral, "aber bei diesem Mord spielten wohl nach andere Dinge eine Rolle." Er kam mit seinem Whisky zurück zum Schreibtisch. "Na ja - und dann haben sie mir vor ein paar Monaten auf der >Moon Dragon< den Feuermelder eingeschlagen."

"Die schwimmende Disco auf dem Hudson gehört auch Ihnen?"

"Ja, mein Paradepferd. Durch den Feueralarm brach damals ebenfalls eine Panik aus. Aber es ging glimpflich ab. Einen Tag später rief ein Rechtsanwalt bei mir an und fragte, ob ich an seinen Mandanten verkaufe. Natürlich keine Namen. Seitdem lasse ich in meinen Clubs die Feuermelder bewachen." Er nahm einen kräftigen Schluck.

Milo und ich sahen uns kurz an. Eine der Fragen war also schon geklärt. Weder Johnstone noch der andere Tote hatten den Feueralarm ausgelöst. "Die beiden Männer befanden sich also auf der Treppe, um den Feuermelder zu bewachen?"

"Ganz genau, Mr. Tucker." Milos Handy schrillte los. Er verzog sich auf die andere Seite des geräumigen Büros, um zu telefonieren.

"Wer sind eigentlich die ganz Großen im Geschäft mit dem Nachtleben?", wollte ich wissen.

Er zog genüsslich an seiner Zigarillo und grinste. "Ich zum Beispiel, Mr. Trevellian. Aber es gibt noch andere. Zum Teil sind sie namentlich nur dem Finanzamt bekannt. In Brooklyn drüben sitzt ein Italiener. Gegen den bin ich ein Waisenknabe. Aber er begnügt sich mit seinem Revier. In Manhattan gibt es seit ein paar Jahren einen Mann, der nicht genug kriegen kann. Er kauft einen Schuppen nach dem anderen. Das berüchtigte >Downstairs< soll ihm gehören, und vor allem dieser Nobelclub in der umgebauten Kirche - >Golden Hades<. Haben Sie sicher schon gehört."

Hatte ich. "Wie heißt der Mann?"

"Keine Ahnung, die Szene nennt ihn King Darky." Irgendwo unter meiner Schädeldecke ging ein rotes Lämpchen an.

Milo kam zurück an den Schreibtisch. Seinem Gesichtsausdruck entnahm ich, dass es Neuigkeiten gab. "Mr. Barral", er nahm Platz, "wurden Drogen konsumiert oder verkauft im >Studio 13<?" Offenbar hatte mein Partner neue Infos aus der Zentrale.

Barral lachte. "Gott! Mr. Tucker - wo werden heute keine Drogen konsumiert? Sogar bei der Army oder im weißen Haus. Wollen Sie deswegen den Generälen oder dem Präsidenten ans Bein pinkeln?"

"Ich sprach nicht nur von Konsum, Mr. Barral", Milo sah ihn scharf an, "der ermordete Polizei-Lieutenant, der im Studio ermittelte, hat vor seinem Tod über Drogenhandel größeren Stils im Studio berichtet."

Durch Barrals Gesicht schien plötzlich ein Reißverschluss zu surren. "Davon ist mir nichts bekannt, Mister", erklärte er zugeknöpft.

"Ich kann Ihnen ein paar Einzelheiten nennen", bohrte Milo.

Ich wusste genau, was jetzt kommen würde. Zu oft hatte ich es schon erlebt - Barral beugte sich zu einem seiner drei Telefone und sagte kühl aber höflich lächelnd. "Sie erlauben, dass ich meinen Anwalt anrufe ..."

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Beladen mit zwei Flaschen Cola, zwei Hotdogs und einem Stapel Papier schlenderte Leslie an den Schreibtisch seines Partners. "Wenn ich gewusst hätte, wie viele Motorradgangs es in New York City gibt, hätte ich uns nicht für diesen Job angemeldet", stöhnte Jay, "hast du noch eine Gruppe mit einem Vieh im Namen gefunden?"

"Ja", Leslie lud das Mittagessen auf dem Schreibtisch ab und reichte Jay einen Computerausdruck, "die >Iron Bulls< - sitzen im östlichen Brooklyn."

Jay überflog die Informationen. "Dann hätten wir jetzt drei Gangs mit Tieren in ihren Namen - Deine >Iron Bulls< in Brooklyn, die >Firedogs< in der Bronx und die >Streetlions< in Staten Island. Und vermutlich werden sie ihr Namenstier auch in ihrem Emblem verwurstet haben", er packte den Hotdog aus, "Preisfrage: Wie gehen wir wir vor?"

"Ganz einfach", Leslie biss in seinen Hotdog und sprach mit vollem Mund weiter, "wir telefonieren mit dem Haftrichter - die Zeugenaussagen müssten für eine Untersuchungshaft reichen - dann rufst du bei deinen ehemaligen Kollegen von der City Police an, die schnappen zwei oder drei Sportsfreunde aus jeder Gang und bringen sie uns hierher. Und dann legen wir die Westen mit den Emblemen den Zeugen vor und quetschen die Jungs ein bisschen aus." Er öffnete seine Cola und trank in einem Zug die halbe Flasche leer.

Jay lachte. "Sehr gut, Special-Agent Morell, ich werde Sie dem Chef gelegentlich für eine Beförderung vorschlagen." Er wischte sich Mund und Finger mit einer Papierserviette ab und zog sein Telefon heran. "Wie war noch mal die Nummer des Haftrichters?"

Jay telefonierte eine geschlagene Stunde lang. "Uff, das wär's", stöhnte er, als er zum letzten Mal auflegte, "die Kollegen wollen allerdings, dass wir mithelfen. Ich hab' zugesagt, dass wir um vier am Pelham Bay Park sind. Dort treiben sich die >Firedogs< herum."

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Ron Brookway schob sich seine fettigen, verfilzten Haare aus dem aufgequollenen Gesicht und betrachtete die beiden Fotos. "Klar kenne ich die - das ist Andy, und der heißt ...," er runzelte die Stirn, "... hab' vergessen wie der Typ heißt, aber ich kenn' ihn."

Er reichte die Fotos dem kahlköpfigen, dunkelhäutigen Riesenkerl, der neben ihm an der Theke saß. "Bob Loretto", half der dem Gedächtnis des anderen auf die Sprünge."

"Ach - Bobby! Klar!" Er zündete sich eine Zigarette an. "Wär' schon zu machen, Amy, aber was springt dabei heraus?"

"Für jeden der beiden einen Riesen jetzt und einen, wenn die Sache sauber über die Bühne gegangen ist", sagte der Schwarze, "und 'ne Menge lukrativer Jobs in Zukunft für die >Iron Bulls<."

Ronny überlegte ein Weilchen. "Sagen wir zwei Riesen, Amy, hier geht's schließlich nicht um Eierklau."

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738919424
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (April)
Schlagworte
rockerkrieg manhattan kriminalroman
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Titel: Rockerkrieg in Manhattan: Kriminalroman