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Milo Tucker und der Terroranschlag

©2018 160 Seiten

Zusammenfassung

Milo Tucker und der Terroranschlag
Krimi von von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 119 Taschenbuchseiten.

In Kampala in Uganda wird ein Bombenanschlag auf den US-Botschafter verübt. Einer seiner Leibwächter rettet ihn unter Einsatz seines Lebens. Milo Tucker und ein Team von Spezialisten wird nach Uganda geschickt, um die Hintergründe zu ermitteln. Doch dann wird ihr Flugzeug mit einer Flugabwehrrakete anvisiert...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Milo Tucker und der Terroranschlag

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Krimi von von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 119 Taschenbuchseiten.

In Kampala in Uganda wird ein Bombenanschlag auf den US-Botschafter verübt. Einer seiner Leibwächter rettet ihn unter Einsatz seines Lebens. Milo Tucker und ein Team von Spezialisten  wird nach Uganda geschickt, um die Hintergründe zu ermitteln. Doch dann wird ihr Flugzeug mit einer Flugabwehrrakete anvisiert...

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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»Ist die Temperatur angenehm, Eure Exzellenz?« Der österreichische Friseur lächelte unterwürfig in den Spiegel.

»Well...«, brummte der amerikanische Botschafter und legte den Kopf noch weiter zurück ins Haarwaschbecken. Sein schwarzer Aktenkoffer stand rechts unter ihm, neben dem Friseurstuhl. Keine schlechte Idee, hier am afrikanischen Ende der Welt, einen Friseurladen aufzumachen, dachte Benjamin Woodman, der den Botschafter in die Innenstadt begleitet hatte, denn hier gab es den einzigen Friseurladen in der ugandischen Hauptstadt, wo man als Europäer oder US-Amerikaner einen salonfähigen Haarschnitt verpasst bekam. Geschäftsleute, Journalisten, Piloten und Diplomaten wie Woodmans Chef gehörten zu den Kunden des Wieners, der hier seit fast zwei Jahrzehnten gute Umsätze macht.

»Bullshit«, brummte Max Perlinger neben Woodman, der in einer britischen Illustrierten blätterte. Die letzte, in der er jemals blättern würde. Aber das konnte er nicht ahnen.

Obwohl ihn nur wenige Minuten von seinem Tod trennten...

»Was denn?« Neugierig wandte sich Woodman seinem Kollegen zu.

»Mein Horoskop.« Perlinger räusperte sich und las laut vor: »Kein guter Tag für Sie. Bleiben Sie am besten zu Hause und vermeiden Sie berufliche Risiken. Bullshit!«

Er machte ein verdrossenes Gesicht und schien auf Woodmans Kommentar zu warten.

»Ist’s genehm so?«, schleimte indessen der Friseur.

Der Botschafter knurrte seine Zustimmung.

Mit einem Ohr und einem Auge war Woodman immer bei seinem Chef. Dafür wurde er bezahlt.

»Was bist du eigentlich für ’n Sternbild?«, wollte Perlinger wissen.

»Widder«, sagte Woodman.

Ein Mann nahm im freien Stuhl neben dem US-Botschafter Platz. Ein kleiner, stämmiger Orientale mit dichtem schwarzen Haar. Er steckte in einem eleganten grauen Dreiteiler. Er stellte seinen Aktenkoffer links neben seinem Stuhl ab. Neben dem Aktenkoffer des Botschafters.

Woodman nahm es flüchtig wahr. Als Leibwächter des US-Diplomaten gehörte es zu seinem Job, so etwas wahrzunehmen. Und zu Perlingers Job eigentlich auch. Aber der kriegte es nicht mit, las stattdessen das Horoskop für Widdergeborene vor.

»Also hör zu, Ben: Gute Chancen in der Liebe. Nicht zu zaghaft sein! Beruflich sollten Sie am Ball bleiben, ganz neue Erfahrungen können sich Ihnen dann bieten!« Perlinger runzelte die Stirn und musterte Woodman mit bedeutungsschwangerem Blick. Er pflegte Horoskope und Wettervorhersagen tierisch ernst zu nehmen.

»Schnurrbart stutzen«, hörte Woodman den Mann auf dem Stuhl neben dem Botschafter sagen und Woodman registrierte auch, dass sich der Friseurgeselle, ein Franzose, umgehend an die Arbeit machte.

Der Leibwächter des amerikanischen Botschafters steckte den Mann in die Schublade »Diplomat, Syrien oder Jordanien, jedenfalls Naher Osten« und kümmerte sich nicht weiter um ihn.

Vermutlich hatte der Mann genau wie Woodmans Chef am Nachmittag einen Fototermin mit dem ugandischen Präsidenten.

Woodman wandte sich also wieder seinem Kollegen zu und amüsierte sich über dessen ernsthaftes Gesicht.

»Ganz neue Erfahrungen - klingt gut«, sagte Woodman grinsend. »Vielleicht befördern sie mich zum Pförtner. Dann bräucht ich deine affige Visage nicht ständig zu sehen.«

»Idiot«, knurrte Perlinger. Demonstrativ hob er die Zeitschrift in Augenhöhe und schlug seine Beine übereinander.

Summend bearbeitete die Bartschneidemaschine in der Hand des jungen Franzosen den Schnauzer des Orientalen. Die etwas misstrauisch lauernden Augen des Österreichers wanderten zwischen dem Gesicht des schweigsamen Kunden neben sich und dem schaumbedeckten Haar des US-Botschafters hin und her.

Woodman registrierte diese Nebensächlichkeit und legte sie irgendwo in seinem Hinterkopf ab. Sein Blick schweifte durch den Friseursalon. Etwa ein Dutzend meist westlich aussehende und westlich gekleidete Männer warteten an den Zeitungstischen oder lagen entspannt in den Friseurstühlen. Niemand unter ihnen, der irgendwie verdächtig wirkte.

Woodman griff sich eine alte »New York Post« aus dem Zeitungsständer und blätterte die Sportseite auf.

»Danke«, hörte er den Orientalen in dem Dreiteiler sagen. Überrascht darüber, dass der Mann schon fertig war, ließ Woodman die Zeitung ein wenig sinken und beobachtete, wie der Gast dem Gesellen einen großen Schein in die Hand drückte.

Bevor Woodman die »New York Post« wieder heben konnte, wandte sich der Mann um. Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Die Augen des Mannes waren tiefbraun, wie feuchter Lehm und etwas Gleichgültiges und zugleich Erbarmungsloses lag in seinem Blick. Etwas, das Woodman schaudern ließ.

Der Mann ging an ihm vorbei. Woodman ließ die Zeitung erneut sinken, diesmal ganz und blickte ihm nach. Der französische Geselle tänzelte neben seinem Kunden her, überholte ihn und riss mit einer angedeuteten Verbeugung die Ladentür auf.

Und genau in diesem Moment fiel Woodmans Blick auf den Aktenkoffer, den der Orientale in der Hand hielt.

Das war doch der verdammte Koffer von seinem Boss?

Sein Kopf fuhr herum, doch der schwarze Koffer seines Chefs stand immer noch rechts unter dessen Stuhl. Exakt der gleiche Koffer, mit dem der Orientale eben hinaus auf die Straße trat.

Plötzlich schrillten bei Woodman sämtliche Alarmsirenen los.

Er ließ die Zeitung fallen, sprang auf, war mit zwei Schritten neben dem Friseurstuhl des Botschafters und er riss den schwarzen Koffer hoch.

Verdammt, das Ding wog mindestens achtzig Pfund!

Woodman wusste ziemlich genau, was sein Chef in seinem Koffer stets mit sich herumzuschleppen pflegte: Handy, Ersatzhemd, die »New YorkTimes« und eine Telefonliste mit den wichtigsten Nummern des US-Außenministeriums.

Das alles zusammen wog keine achtzig Pfund!

»Bombe!«, brüllte er. »Flach auf den Boden!«

Er sah die Tür des Friseurladens, spürte das Gewicht des schweren Koffers in seiner Hand. Sonst nahm er nichts mehr wahr. Nicht die entsetzten Gesichter der Kunden und Friseure, nicht den Österreicher und den Botschafter, die sie übereinander zwischen die beiden Friseurstühle warfen.

Woodman spurtete auf die Tür zu, riss sie auf und schrie: »Der Orientale mit dem Aktenkoffer! Hinterher, Perlie!«

Schon war er auf der Straße, zog die Tür der Botschafterlimousine auf, legte den Koffer auf den Beifahrersitz und schließlich startete er den Wagen.

Die Menschen auf dem Bürgersteig erstarrten plötzlich. Unzählige Augenpaare hefteten sich an den schwarzen Lincoln, der mit radierenden Reifen nach vorne schoss.

Woodman handelte instinktiv. Der Koffer neben ihm, die zahllosen Menschen auf der Straße. Er musste eine Katastrophe verhindern.

Beide Daumen auf der Hupe raste er über die rote Ampel auf den Kreisverkehr zu, in dessen Mitte eine große, runde Rasenfläche einen Springbrunnen umgab. Eine menschenleere Rasenfläche...

Gott im Himmel, dachte er, wenn's dich gibt, lass mich den Wagen bis dorthin bringen...

Fährradfahrer stürzten um, Bremsen quietschten, Autos fuhren ineinander. Woodman hielt mit durchgedrücktem Gaspedal auf den Springbrunnen zu.

Lass es mich schaffen, lieber Gott, dachte er, bitte, bitte...

Woodman wurde durchgeschüttelt, als der Lincoln über den Begrenzungsstein sprang und durch das Gras pflügte, dann krachte der Wagen gegen die Umrandungsmauer des Brunnens, das Heck hob sich, der Wagen wurde darüber hinweggeschleudert, während Bruchstücke der Mauer durch die Gegend flogen, dann klatschte der Wagen ins Wasser.

Woodman wurde gegen das Lenkrad geschleudert. Für Bruchteile von Sekunden sah er nur noch Sterne und zwischen ihnen ein schwarzes Loch, das sein Bewusstsein aufzusaugen drohte.

Trotz dieses gierigen Lochs und trotz des stechenden Schmerzes in seinem Brustkorb gelang es ihm, die Fahrertür zu öffnen. Benommen watete er durch das Wasser, stieg über die beschädigte Begrenzungsmauer und taumelte ein paar Schritte weit über den Rasen, der Straße entgegen.

Menschen liefen über den Kreisverkehr auf ihn zu. Mit beiden Händen winkend bedeutete er ihnen zurückzubleiben. Er wollte rufen, aber als er dafür nach Luft schnappte, jagten ihm höllische Schmerzen durch den Brustkorb. Er fiel vornüber und schlug mit dem Gesicht ins Gras. Die Schmerzwelle in seiner Brust raubte ihm endgültig das Bewusstsein.

Die Explosion hinter ihm bekam er schon nicht mehr mit. Sie riss den Lincoln auseinander und Heß ein Hagel und Regengemisch aus Glassplittern, Blechteilen, Steinen und Wasser auf den Rasen und die Straße niederprasseln...

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Yala Bin Sharisan hatte den Impulsgeber für die Bombe gedrückt und die Detonation ließ die Fensterscheiben über ihm und auch die an der Bürohausfassade auf der anderen Straßenseite vibrieren.

Erschrocken blieben die vielen Fußgänger stehen. Köpfe ruckten herum, ängstliche Blicke wurden getauscht und dann rannten die meisten los in Richtung Kreisverkehr.

Sharisan trat aus dem Hauseingang, wo er die Bombe gezündet hatte. Den Impulsgeber hatte er zurück in seine Jackentasche gesteckt.

»Stehenbleiben oder ich schieße!«, brüllte jemand.

Einer der beiden Leibwächter des Botschafters. Sharisan erkannte ihn sofort wieder  und er reagierte augenblicklich.

Er schleuderte dem Bewaffneten den Koffer des Botschafters entgegen und zog, während er zwischen zwei parkenden Autos in Deckung ging, seinen Revolver.

Zwei Schüsse zerfetzten die Frontscheibe des Wagens hinter ihm. Sharisan robbte um den vorderen Wagen herum, tauchte blitzschnell aus der Deckung auf und schoss dreimal. Zwei Kugeln schlugen in die Brust des Bodyguards, wurden von der schusssicheren Weste aufgefangen, doch die dritte nagelte in seine Stirn.

Sekunden später war Yala Bin Sharisan in einer Seitengasse verschwunden...

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Das Beekman Downtown Hospital war für seine hervorragende chirurgische Abteilung bekannt. Das Essen war traumhaft, die Ärzte machten ihre Sache mehr als gut, die meisten Schwestern überschlugen sich fast vor Freundlichkeit und einige waren darunter, deren Anblick schon wie Medizin wirkte.

Außerdem konnte man sich von morgens tun sechs, wenn die Schwestern das Zimmer zum Bettenmachen stürmten, bis abends halb zehn, wenn die Nachtschwester hereinschaute, durch ungefähr achtunddreißig Fernsehkanäle zappen. Und wenn man wollte, noch die ganze Nacht hindurch, denn in den Nachttischschubladen lagen Kopfhörer, sodass niemand seinen Zimmernachbarn stören musste.

Aber all das tröstete mich nicht die Spur. Weder hübsche Nachtschwestern noch urige Comedy Klamotten auf CBS änderten etwas daran, dass mir langsam langweilig wurde.

Ich wollte zurück in den Dienstalltag, wollte wieder Ganoven jagen und kämpfen für meine Stadt New York. Ich weiß, das klingt seltsam kriegerisch, aber ich bin mit Leib und Seele G-man, das stelle ich in solchen Momenten immer wieder fest.

Bei meinem letzten Fall war ich von einem Besoffenen angefahren worden und mein Schädel hatte einiges abbekommen. Meine Erinnerung war weg gewesen, ich hatte nicht mehr gewusst, wie ich hieß oder wer ich war. Völlig auf mich allein gestellt war ich von Killern durch die Stadt gejagt worden.

Dann aber hatte mich Milo Tucker schließlich gefunden, der natürlich nach mir gesucht hatte und als ich meinen Partner und guten Freund sah und er mich mit meinem richtigen Namen angesprochen hatte, war die Erinnerung schlagartig wieder da gewesen. Gemeinsam hatten wir dann den Fall doch noch zu einem guten Ende bringen können.

Ich fühlte mich wieder topfit, konnte mich an jedes Detail aus meinem Leben erinnern, fast besser sogar als vor dem Vorfall, so kam es mir beinahe vor, doch die FBI-Ärzte hatten darauf bestanden, dass ich die nächsten sechs Tage unter Beobachtung bleiben musste. Sie befürchteten, dass ich doch noch Bleibeschäden davongetragen hatte, die sich jedoch erst später zeigten, oder dass ich möglicherweise auch noch in Ausübung meines FBI-Dienstes  eine Art Rückfall erlitt, mein Gedächtnis schlagartig wieder weg war und ich dann mit gezogener Knarre völlig verwirrt mitten in einer Schießerei mit Gangstern dastand.

Mr. McKee hatte mir daraufhin ausdrücklich befohlen, dass ich hier im Krankenhaus unter Beobachtung blieb, denn natürlich war dem Special Agent in Charge des New Yorker FBI-Büros das Risiko zu hoch, zumal es nicht nur für mich bestand. Wir G-men mussten uns hundertprozentig aufeinander verlassen können. Wenn da im Ernstfall jemand von uns den Kopf oder das Gedächtnis verlor, konnte das zur Katastrophe führen.

Seit vier Tagen lag ich also nun schon hierherum und drehte Däumchen, glotzte in die Flimmerkiste und erhielt zwischendurch netten Damenbesuch, nämlich von der hübschen dunkelhaarigen Lori, dem jungen Girl, das mir zur Seite gestanden hatte, als ich nicht mehr gewusst hatte, wer ich war und die sich in mich verliebt hatte und offenbar, auch den G-man Jesse Trevellian liebte.

Natürlich besuchte mich auch mein Partner Milo regelmäßig und zwar jeden Abend.

»Hi, Partner  du siehst blendend aus! «, rief er, als er auch an diesem Abend wie immer um sieben im Türrahmen meines Krankenzimmers auftauchte. So hatte er mich schon am ersten Tag begrüßt. »Sind die Schwestern deinetwegen so aufgekratzt?« Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben mir ans Bett.

»Wird an dir liegen«, entgegnete ich grinsend. »Es hat sich herumgesprochen, dass du gegen sieben hier auftauchst. Um die Zeit kann ich den Schwesternruf vergessen. Vermutlich stehen sie am Stationszimmer Spalier.«

»So ungefähr.« Er reichte mir ein Päckchen. »Für dich, Partner. Wie geht's denn so?«

»Fast optimal«, sagte ich. »Schönes Zimmer, bequemes Bett, gutes Essen, hübsche Frauen um mich herum  ich fühl mich wie im Paradies. Abgesehen davon, dass ich Krankenhäuser verabscheue und nichts mehr hasse, als in so einem verdammten Bett zu liegen und mich von fremden Leuten wie ein Kranker behandeln zu lassen.«

Ich wickelte das Päckchen aus dem bunten Geschenkpapier. »Aber wenn man diese Nebensächlichkeiten mal außer Acht lässt, geht es mir einfach super. Wirklich  super...«

»Na, dann bin ich ja beruhigt.« Milo wich meinem Blick aus und kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf.

Das Päckchen enthielt einen Schlüsselanhänger - einen geschnitzten Sportwagen aus bemaltem Holz, goldfarben mit schwarzen Flecken. Das Tier duckte sich wie zum Sprung. Die Beißzähne in dem halb geöffneten Rachen waren filigran herausgearbeitet und das Holztierchen machte einen ziemlich angriffslustigen Eindruck.

»Danke, Partner!« Ich war einigermaßen sprachlos. »Der wird mich immer an dich erinnern, wenn ich mal wieder das Gedächtnis verlieren sollte.«

»So was Ähnliches habe ich mir dabei gedacht«, bestätigte Milo.

Die Tür wurde wieder geöffnet und die Stationsschwester schwebte herein. Eine hochgewachsene, knapp dreißigjährige Frau mit zu einem dicken Zopf geflochtenen blonden Haaren. Ihre klaren blauen Augen schauten ein wenig streng aus einem schmalen, ausgesprochen hübschen Gesicht. Und wäre da noch nicht die kleine Lori gewesen, hätte mich ihre hinreißende Figur vermutlich auf schräge Gedanken gebracht.

»Sieh an«, flötete sie, »Mr. Trevellian hat Besuch!« Sie gönnte Milo ein strahlendes Lächeln. »Das wird ihn etwas aufbauen. Er scheint sich ja nicht ganz wohlzufühlen bei uns.« Sie spielte die Vorwurfsvolle  am frühen Nachmittag hatte ich in ihrer Gegenwart versucht, den Arzt davon zu überzeugen, mich bitte doch vorzeitig zu entlassen, trotz Mr. McKees Ermahnung. Vergeblich.

Sie erkundigte sich nach meinem Befinden, plauderte ein paar Minuten mit Milo und rauschte wieder ab.

»So zahm heute?« Verwundert sah ich meinen Partner an. »Bist du auch seit Neuestem liiert?«

»Wie kommst du darauf?«

»Du hast ja nur das Nötigste mit der Lady gesprochen. Hätte dich ihre Telefonnummer nicht interessiert?«

»Du weißt ja nicht, wie ich mich gleich von ihr verabschieden werde.« Milo sah auf die Uhr. »Spaß beiseite - ich hab im Augenblick keine Zeit übrig. Deswegen habe ich mich bei der Lady auch so sehr zurückgehalten.«

»Das musst du mir erklären. Machst du deinen Doktor nach, oder was ist passiert?«

»Ich fliege morgen Abend nach Uganda.« Er wirkte auf mich nicht, als würde er Witze machen. »Und ich weiß nicht, wie lange ich in Afrika bleiben werde.«

»Uganda?«

»Du hast richtig gehört, Partner. Neuer Auftrag. Ausnahmsweise mal nicht im Big Apple.«

»Du fliegst ohne mich nach Afrika? Ich glaub's nicht! Jetzt red endlich!«

»In Kampala ist eine Bombe hochgegangen.« Milo lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. Er wirkte ganz so, als müsste er sich auch erst mit dem neuen Auftrag anfreunden. »Der Anschlag galt dem US-Botschafter in Uganda. Einer seiner Leibwächter hat ihn unter Einsatz seines Lebens gerettet. Und ein Blutbad verhindert. Der Mann hat schwerverletzt überlebt. Ein zweiter Bodyguard ist vom Attentäter erschossen worden.«

»Wer steckt dahinter? Weiß man was Genaueres?«

Milo zuckte mit den Schultern. »Der Attentäter soll ausgesehen haben wie ein Orientale. Die CIA vermutet irgendeine radikalislamische Splittergruppe. Um das rauszufinden, soll eine Spezialistentruppe aus CIA-Agenten und unseren Leuten nach Kampala hinunterfliegen.«

»Und du bist mit von der Partie. Und wer noch?«

»Keine Ahnung«, sagte Milo. »Ich weiß nur, dass du nicht mit zur Reisegesellschaft gehören wirst. Der Chef findet das genauso schade wie ich, aber es lässt sich nun mal nicht ändern und du weißt, warum.« Er tippte sich an die Stirn und grinste mich an. »Ein Auslandseinsatz mit ’nem geistig Debilen - das Risiko geht niemand ein.«

»Mist!«, knurrte ich.

»Mist«, bestätigte Milo.

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»... und so erhebe ich mein Glas auf den besten und liebsten Vater in der ganzen Welt!« Die junge schwarzhaarige Frau hob ihr Rotweinglas und die ganze Festgesellschaft stand auf.

»Hoch soll er leben!«, stimmte irgendjemand an. Alle fielen ein  »Hoch soll er leben...« Zahllose Kinder kreischten mit. »Hoch soll er leben...«

Der kleine drahtige Mann mit der grauen Stoppelmatte auf dem schmalen, kantigen Schädel zerdrückte eine Träne. Er saß zusammen mit seiner Frau an der Schmalseite der langen Tafel und blickte voller Stolz und Rührung in die etwa drei Dutzend Gesichter seiner großen Familie.

Hast alle waren sie zu seinem fünfundfünfzigsten Geburtstag gekommen: Eltern und Schwiegereltern, Brüder und Schwestern mit ihren Partnern, Nichten und Neffen, Cousins und Cousinen und natürlich seine sechs Töchter mit ihren Männern.

Gene Petrolli erhob sich, wischte sich die Träne aus dem Auge und schlug mit dem kleinen Silberlöffel gegen sein Glas. Gesang und Hochrufe verstummten.

»Ich...« Petrolli räusperte sich. »Ich danke euch.« Er sprach mit vor Rührung heiserer Stimme. »Ich danke euch allen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel Freude ihr mir damit gemacht habt, dass ich an diesem Tag meine ganze große Familie um mich habe...!«

Gene Petrolli hielt eine dieser Reden, für die er nicht nur in seiner Familie, sondern auch bei seinen Kollegen im FBI-Hauptquartier bekannt war: Launig, wortgewandt und humorvoll hielt er sie aus dem Stegreif, führte seine Zuhörer zwischen Erheiterung und Nachdenklichkeit hin und her und bewies aufs Neue sein schon legendäres Gedächtnis, indem er jeden, aber auch jeden Anwesenden irgendwann im Verlauf seiner Rede beim Namen nannte und persönlich ansprach.

»Und nun endlich zu dir, liebe Claudia«, wandte er sich am Ende seiner Ansprache an seine jüngste Tochter, »Du hättest mir ja das schönste Geburtstagsgeschenk machen können - meinen zehnten Enkel und meinen ersten Enkelsohn!«

Die kaum zwanzigjährige schwarzhaarige Frau lehnte sich zurück und strich sich stolz über ihren prallen Bauch. Ihr Arzt hatte ihr gesagt, dass es ein Junge werden würde.

»So hätte ich meinen Fünfundfünfzigsten wenigstens mit dem guten Gewissen beschließen können, etwas für den Erhalt des Namens Petrolli getan zu haben. Zumindest indirekt.« Gene zwinkerte dem Freund seiner Tochter zu. »Nun aber lässt sich der Knabe doch noch Zeit  wahrscheinlich aus Mitleid mit mir, denn seine Geburt hätte ja den fünfundfünfzigsten Geburtstag eines alten Knaben wie mir mühelos in den Schatten gestellt. Vielen Dank also, Claudia, an dich und deinen Sohn!«

Gelächter und Beifall brandeten auf, wieder wurden Gläser gehoben, wieder ein Toast ausgebracht.

Das Fest zog sich hin, bis in den späten Abend hinein. Dann begannen sich die Reihen zu lichten. Nach und nach wurden die neun Enkeltöchter Petrollis in den Gästezimmertrakt des großen Hauses gebracht.

Irgendwann gegen Mitternacht klingelte das Telefon. Gene Petrolli saß gerade mit zwei Schwiegersöhnen und drei Brüdern auf der Terrasse seiner Villa am Ortsrand von Morningside.

Er sah Jane,seine Frau, ins Haus verschwinden, um ans Telefon zu gehen. Und in diesem Augenblick ahnte er schon, dass ihm der Anrufer nicht zum Geburtstag gratulieren wollte.

Jane tauchte wieder in der Terrassentür auf.

»Für dich, Gene. Washington.« Sie sagte das mit der leicht gepressten Stimme, aus der nur ihre Töchter und Gene selbst den Missmut heraushören könnten. Jane Petrolli hatte sich in fast neunundzwanzig Ehejahren mit dem Job ihres Mannes arrangiert, aber gewöhnen würde sie sich bis zu seiner Pensionierung nicht daran.

Gene Petrolli nahm ihr das Telefon ab und ging hinein ins Wohnzimmer, wo der Lärmpegel nicht ganz so hoch war.

»Petrolli?«

»Jack hier - hallo, Gene.« Es war genau die Stimme, die Petrolli erwartet hatte: die immer etwas gereizt klingende Stimme von Jackson Benson. Die Stimme seines Vorgesetzten. »Tut mir leid, dich ausgerechnet bei deiner Geburtstagsparty stören zu müssen. Herzlichen Glückwunsch übrigens.«

»Danke«, knurrte Gene Petrolli.

»Gene, ich habe einen Auftrag für dich.«

»Um was geht's?«

»Hast du von dem Attentat in Kampala gehört?«

»... ’türlich. CNN berichtet den ganzen Tag lang über kaum was anderes.«

»Sessions hat entschieden, dass wir uns die Sache vor Ort genau anschauen.«

»Wir? Und die CIA?«

»Wird mit von der Partie sein, Gene. Von unserer Seite kriegst du Granger mit und zwei Special Agents aus dem District Office New York. Die CIA wird ebenfalls mit vier Leuten vertreten sein. Was sagst du dazu?«

»Mit den Terroristen zusammenarbeiten zu müssen, wäre schlimmer«, knurrte Gene. Er gehörte nicht zu jener Minderheit innerhalb des FBI, die gern mit der Central Intelligence Agency zusammenarbeitete.

»Pass auf, dass du nicht zynisch wirst auf deine alten Tage, Gene. Du wirst da drüben für unsere Jungs verantwortlich sein, hörst du?«

»Hab ich nicht anders erwartet. Wann muss ich morgen auf stehen?«

»Früh, Gene, früh. Ihr nehmt eine Militärmaschine von der U.S. Naval Air Station New York aus. Start: morgen Abend, sieben Uhr. Um elf Uhr morgens trifft sich das gesamte Team im Büro unserer New Yorker Kollegen. Ich hab einen Flug nach New York City für dich und Granger gebucht.« Er gab ihm Abflugzeit, Schalter und andere Details durch. »Alles geschnallt, Gene?«

»Ja, hab ich. Wir hören voneinander.« Gene Petrolli legte auf.

Er ging zurück in den Garten und öffnete eine neue Flasche Wein. Dem Blick seiner Frau wich er aus. Sie wusste auch so, was los war.

»Gläser her!«, rief Gene mit gespielter Strenge.

Ein halbes Dutzend Rotweingläser wurden ihm entgegengestreckt. Er füllte sie nacheinander.

»Heute feiern wir durch!« Er lachte laut auf. »Mach mal noch eine Flasche auf, Jane! Aber von dem Californier!«

»Gute Idee, Gene!« Sein noch nicht ganz achtzigjähriger Vater klopfte ihm auf die Schulter und hielt ihm sein leeres Glas hin. »Das Leben ist zu kurz, um etwas zu versäumen! Lass uns heute Abend richtig feiern und uns besaufen!«

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Samuel Grangers Apartment lag im zwölften Stockwerk eines Apartmenthauses am nordöstlichen Rand von Arrlington. Von hier aus hatte er einen herrlichen Blick über den Potomac River und die Downtown von Washington, D.C.

Granger war vor einer halben Stunde nach Hause gekommen. Drei Stunden später, als er Linda versprochen hatte. Seitdem stand er am Fenster und blickte über die nächtliche Skyline der Hauptstadt. In seiner Rechten den Brief, den er auf dem Wohnzimmertisch vorgefunden hatte.

Ein Brief von Linda. Kein langer, nur drei, vier Sätze.

»Lass es gut sein, Sammy. Du hast deine Chance gehabt und nicht genutzt. Ich akzeptiere, dass dir dein Job über alles geht. Nicht mal ich kann damit halten. Ich will dir nicht länger im Wege stehen.

Viel Glück.

Linda.«

Zigmal hatte Granger den Brief gelesen. Bis er ihn auswendig kannte.

Sie hatte es angekündigt. Eigentlich schon vor zwei Jahren. Da hatten sie kaum drei Monate zusammengelebt. Damals schon hatte sie zum ersten Mal den Satz ausgesprochen, den sie ihm dann später immer wieder gesagt hatte: »Der Job oder ich - entscheide dich!«

Jetzt hatte sie sich entschieden.

Samuel Granger riss sich vom Anblick der glitzernden Stadt los und schleppte sich ins Bad. Seine Beine waren bleiern, er selbst fühlte sich, als hätte er gestern den ganzen Tag durchgesoffen.

Er klemmte den Brief zwischen Rasierzeug und Badezimmerspiegel und drehte den Wasserhahn auf. Mit beiden Händen klatschte er sich das kalte Wasser ins Gesicht. Gott - tat das gut!

Die Lebensgeister unter seiner kraushaarigen Schädeldecke begannen sich wieder zu regen.

Seufzend richtete sich Granger auf. Die sonst schwarz glänzende Haut wirkte schlaff und fast dunkelgrau. Der Blick seiner großen, dunklen Augen blieb wieder an Lindas Brief hängen.

»Da hast du die Quittung, Sammy Boy«, murmelte er. »Da hast du sie...«

Er trocknete sich das Gesicht ab, und schlurfte zurück ins Wohnzimmer. Nicht wie fünfunddreißig fühlte er sich an diesem Abend, sondern wie fünfundsiebzig - schlaff, leer und alt.

An seiner Buchenholzschrankwand blieb er stehen und öffnete die Schrankbar. Seine Augen wanderten über die Fläschenbatterie: Martini, Rotwein, Cognac, Bourbon. Er griff nach der Cognacflasche und schenkte sich ein halbes Glas ein.

Nachdenklich ging er wieder zum Fenster. »Was machst du jetzt, du großer, starker G-man?«

Immer, wenn er unter innerem Druck stand, begann Granger mit sich selbst zu sprechen. Oder wenn er sich besonders heftig freute. Aber das war schon länger nicht mehr vorgekommen.

»Also, du Geistesriese, du titanischer Antiterrorspezialist, du absolut beschissener Beziehungsspezialist - was machst du jetzt, will ich wissen?«

Für Augenblicke spielte er mit dem Gedanken, Linda zu suchen. Allzu viele Möglichkeiten, wo sie stecken könnte, gab es nicht.

Aber er ließ die Idee schnell fallen, als er an Lindas Hartnäckigkeit dachte. Sie brauchte lange, bis sie sich mal zu einer Entscheidung durchgerungen hatte, aber wenn sie es dann getan hatte, dann zog sie ihre Sache konsequent durch. Keine zehn Pferde konnten sie dann von dem einmal eingeschlagenen Weg wieder abbringen. So war sie eben. Ende.

»Dann bleibt nur noch die Schrankbar«, murmelte er. »Oder ich dröhn mir das zentrale Nervensystem mit einer Ganznachtsreise durch sämtliche Fernsehkanäle voll.«

Er entschied sich, beide Möglichkeiten zu nutzen. An der Schrankbar füllte er sich das Cognacglas fast bis zum Rand. Als er nach der Fernbedienung seines TV-Geräts griff, läutete sein Telefon.

»Granger?«

»Benson hier«, meldete sich die Stimme seines Chefs. »Wir brauchen einen Antiterrorexperten in Kampala.«

»Der Anschlag auf den Botschafter?«

»Ja.«

Granger betrachtete die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas. »Warum nicht«, brummte er schließlich. »Hab grade sowieso nichts zu tun.«

»Abgesehen davon ist das ein Marschbefehl«, knurrte Benson unfreundlich.

»Ach so...«

»Petrolli hat das Kommando. Euer Flug geht morgen früh 7 Uhr 12 vom Washington National Airport. Ihr müsst erst noch nach New York City.«

»7 Uhr 12. Alles klar.« Er legte auf.

Granger nahm einen Schluck Cognac und lachte bitter. Kampala. Afrika.

Das konnte Wochen dauern. Wenn Linda sich nicht schon verabschiedet hätte, sie würde es jetzt tun.

»Wie sich doch alles so fügt...«

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»Jesse!« Jennifer Johnson und ihre Dienstpartnerin starrten mich fast entsetzt an.

»Ich dachte, du liegst im Beekman Downtown Hospital!«, sagte Annie erstaunt.

»Ich hab mich entlassen«, sagte ich, während die beiden hübschen Kolleginnen zu mir in den Lift stiegen. Es war neun Uhr vormittags.

»Du hast dich entlassen?«, fragte Annie verblüfft.

Die Lifttür schloss sich und meine Fahrt nach oben wurde fortgesetzt.

Jennifer Johnson, die zierliche, gut aussehende Agentin mit den blonden Haaren und der reizenden Stupsnase, sah mich ungläubig an. »Bist du sicher, dass es richtig ist, was du da tust?«

»Es geht mir blendend.« Das war die einzige Antwort, die mir einfiel und es entsprach auch der Wahrheit.

Die Ärzte hatten mit Engelszungen auf mich eingeredet, sie hatten mit Folgeschäden gedroht und mich verantwortungslos genannt. Aber ich hatte mich auf keine Diskussion eingelassen. Es war den Weißkitteln schließlich gar nichts anderes übrig geblieben, als mir das Formular zur Unterschrift vorzulegen, in dem ich bestätigte, auf eigenes Risiko und entgegen ärztlichen Rates die Klinik zu verlassen.

»So so, blendend geht's dir also.« Annie runzelte die Stirn und musterte mich skeptisch. »An deinen Namen, deine Adresse und Telefonnummer kannst du dich auch noch erinnern?«

»Schluss mit den blöden Fragen«, sagte ich grinsend. »Sagt lieber, wie geht's euch beiden Hübschen?« Ich wollte weg von dem Thema und lieber ein bisschen mit den beiden netten Kolleginnen flirten.

»Reisefieber«, antwortete Jennifer Johnson.

»Reisefieber?«, fragte ich erstaunt.

»Heute Abend geht's für Jennifer nach Afrika«, erklärte Annie. »Hat dir Milo sicher erzählt, oder?«

»Du also fliegst an meiner Stelle?«, sagte ich an Jennifer gewandt und konnte meinen Neid nur schlecht überspielen.

»Was heißt hier an deiner Stelle?«

Die Aufzugtür öffnete sich und wir traten hinaus in den Flur.

»Meines Wissens war nie die Rede davon, dass du an dem Einsatz in Kampala teilnimmst!« Jennifer funkelte mich angriffslustig an.

»Ist ja gut, ist gut«, wiegelte ich ab. »Ich bedaure ja nur, dass ich mir den blutigen Kopf geholt habe, sonst wäre sicher ich mit meinem Partner...«

Jennifer blieb stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Willst du etwa behaupten, ich als Frau sei nur ein mäßiger Ersatzpartner für Milo? Eine Art Lückenbüßer, weil der große Trevellian gerade...«

»Um Himmels willen, Jennifer  nein, nein«, sagte ich schnell. Man durfte sich von Jennifers mädchenhaften Zügen und ihrer zierlichen Figur nicht täuschen lassen, die Frau konnte knallhart sein. »Ich bin neidisch, weiter nichts«, erklärte ich mit schiefem Grinsen. »Ehrlich, Jennifer, weiter nichts.«

Die Tür zu einem der Verhörzimmer öffnete sich, Orry steckte seinen Kopf heraus, dann winkte er uns in den Raum.

Wir traten ein und nickten grüßend nach allen Seiten. Alle runzelten erstaunt die Stirn, als sie mich sahen - Milo, Clive und vor allem Mr. McKee.

Er saß vor einem auf dieser Seite durchsichtigen Einwegspiegel, der den Verhörbereich vom restlichen Raum schalldicht abtrennte. Neben ihm ein bulliger etwas kurz geratener Mann Ende fünfzig, den ich nicht kannte. Er trug einen dreiteiligen Nadelstreifenanzug und eine große dunkelrote Hornbrille, die seine welken Tränensäcke wie unter einer Lupe hervorhob. Die kahle Fläche auf seinem Quadratschädel versuchte er erfolglos durch ein paar schüttere graue Haarsträhnen zu verbergen, die er von einem Ohr zum anderen über seine Glatze gekämmt hatte.

Jennifer, Annie und ich nahmen Platz. Wie die anderen richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Szene, die sich hinter, dem Einwegspiegel abspielte.

Leslie Morell, Jay Kronburg und unser Verhörspezialist Irwin Hunter vernahmen einen bronzefarbenen Mann mit schwarzen Locken. Er sah aus wie ein Jordanier, Syrer oder Iraker. Ein orientalischer Typ jedenfalls. Sein Gesicht erinnerte mich an das einer Wachsfigur aus einem Gruselkabinett: unbeweglich und leblos.

»Sie kennen die Hintermänner des Anschlags!«, brüllte ihn Jay an. Seine Stimme wurde über einen Außenlautsprecher übertragen. »Wie lange sitzen Sie schon im Gefängnis?« Er stützte sich mit den Fäusten auf dem Tisch ab, an dem der Gefangene saß. »Vier Jahre!«, brüllte Jay. »Und weitere vier Jahre liegen noch vor Ihnen!«

Jetzt zeigte das Gesicht des Gefangenen zum ersten Mal eine Gefühlsregung. Hass und Verachtung sprühten aus seinen Augen, als er den Kopf wandte und Jay anstarrte.

»Glauben Sie mir.« Jay senkte seine Stimme und sprach plötzlich gefährlich leise, »wir verfügen über die Mittel, Sie auch für den Rest Ihres Lebens hinter Gittern versauern zu lassen.«

Der Mann schwieg eisern.

»Ich hab Ihre Prozessakte gelesen, Shumal«, sagte jetzt Leslie Morell, während sich Jay in eine Ecke des rechteckigen Raums zurückzog »Es spricht manches dafür, dass Sie einfach so hineingeschliddert sind in diesen verkorksten Waffendeal.«

Im Gegensatz zu Jay sprach Leslie ruhig, fast freundlich. Er spielte den guten Bullen.

»Wie ich höre, hat Ihr Anwalt Revision beantragt. Und wenn Sie mich fragen: Sie haben gute Chancen auf ein milderes Urteil. Ich denke, es würde die Richter beeindrucken, wenn Sie jetzt reden.«

Mr. McKee seufzte und drückte auf einen Knopf vor sich und Leslies Stimme verstummte, denn Mr. McKee hatte den Lautsprecher ausgeschaltet.

»Er wird nicht reden«, sagte der SAC des New Yorker FBI-Büros. »Genausowenig wie die anderen drei geredet haben, die wir gestern verhört haben.«

»Verdammtes Terroristenpack!«, knurrte der Mann mit der roten Hornbrille. »Man sollte sie...«

»Das ist übrigens Mr. Curd Rosedale«, unterbrach ihn Mr. McKee und sah Jennifer, Annie und mich dabei an. »Mr. Rosedale leitet die CIA-Abteilung, die sich mit den jüngsten Terroranschlägen in Schwarzafrika beschäftigt.«

Sein Händedruck war flüchtig, aber fest. Nicht mal Jennifers Lächeln konnte ihn veranlassen, es mit einem freundlichen Gesicht zu probieren. Ich war noch keine zehn Minuten mit diesem Mann im selben Raum und war mir bereits sicher, dass ich ihn nicht möchte.

»Was suchen Sie eigentlich hier, Jesse?« Mr. McKee bedachte mich mit einem tadelnden Blick. »Ich dachte, Sie liegen zur Beobachtung im Krankenhaus?«

»Überraschende Besserung, Sir. Ich werde mich zu Hause auskurieren. Falls Sie mich wirklich nicht bei diesem Einsatz brauchen können...«

Jennifers Kiefermuskulatur arbeitete und Milo deutete ein Kopfschütteln an.

»Das Team für Kampala steht«, funkte Rosedale dazwischen. »Und Krankmeldungen werden bei uns in Langley über das Vorzimmer abgewickelt und nicht im Rahmen von Strategiesitzungen.« Er schnappte sich eine Mappe und stach auf die Tür zu. »Ich würde jetzt gern den Einsatzplan festlegen!«

Ich gab mir wirklich Mühe, die Entgegnung, die mir auf der Zunge lag, herunterzuschlucken, aber leider gelang es mir nicht. »Das ist eben der Unterschied zwischen Langley und uns.« In Langley, Virginia, lag das Hauptquartier der CIA. »Wir halten uns nicht für den Mittelpunkt der Welt.«

Mein sicherlich unverschämtes Grinsen hielt der Kältewelle stand, die Rosedale mir entgegenschleuderte. Aus schmalen Augen und mit verächtlich geschürzten Lippen schwieg er mich an.

Meine Bemerkung schien eine allgemeine Lähmung ausgelöst zu haben. Nur Mr. McKee ließ sich davon nicht beeindrucken. »Ich möchte Sie kurz in meinem Büro sprechen, Jesse.« Dann blickte er auf die Uhr über der Tür. »Es ist erst halb zehn, Mr. Rosedale...«

»Commander Rosedale.«

»... und unsere Kollegen aus Washington sitzen jetzt gerade im Flugzeug. Sie haben sich für elf Uhr angemeldet. Ohne sie möchte ich nicht mit der Planung beginnen.«

»Gut.« Der CIA-Mann nickte nur grimmig und verschwand.

Spürbare Entspannung breitete sich im Raum aus.

»Halten Sie sich bitte ein wenig zurück, Jesse«, bat Mr. McKee mit einem flüchtigen Lächeln. »Mit diesem Mann ist nicht zu spaßen und wir müssen vorläufig mit ihm zusammenarbeiten. Zumindest auf Planungsebene.«

»Werd mir Mühe geben, Sir«, sagte ich. »Wer ist das?« Mit einer Kopfbewegung deutete ich auf die Glasscheibe, hinter der sich Jay und Leslie hoch immer mit dem Gefangenen beschäftigten.

»Shumal Bin Sharisan.« Milo antwortete anstelle des Chefs. »Libanesischer Staatsbürger. Wir konnten ihn vor vier Jahren bei einem illegalen Waffengeschäft schnappen. Die CIA hat Hinweise auf eine Verbindung zu radikalislamischen Terrorgruppen in Afrika.«

»Und er hat einen Bruder, der in Frankreich, Israel und Ägypten wegen Beteiligung an Terroranschlägen gesucht wird«, ergänzte Jennifer.

»Der bei dem Anschlag in Kampala verletzte Leibwächter hat eine Personenbeschreibung abgeliefert, die auf Sharisans Bruder passt«, sagte Orry.

»Wir haben also allen Grund, dem Burschen kräftig auf den Zahn zu fühlen«, sagte Clive, durch den Einwegspiegel auf den Orientalen deutend. Noch immer zeigte der sich völlig unbeeindruckt von Jays wütenden Verbalattacken und Leslies verlockenden Angeboten.

»Aber das alles hat Sie im Moment nicht zu interessieren, Jesse«, sagte Mr. McKee. »Ich brauche Sie bald wieder hier und zwar hundertprozentig fit und okay. Deswegen fahren Sie jetzt in Ihr Apartment und legen sich aufs Ohr, wenn Sie schon hingegen meiner Anweisungen nicht im Krankenhaus bleiben.« Er schob mich auf den Ausgang zu. »Ich werde regelmäßig anrufen oder jemanden vorbeischicken, um zu kontrollieren, dass Sie sich auch tatsächlich schonen. Und ich verlange, dass Sie jeden Morgen im Krankenhaus vorstellig werden und die notwendigen Untersuchungen über sich ergehen lassen. Wenn Sie sich nicht an meine Anweisungen halten, lasse ich Sie in eine unserer Untersuchungszellen sperren.«

»Davon müsst ihr mir dann aber ein Funkbild nach Kampala senden«, sagte Milo grinsend.

Mr. McKee musste lachen. »Das werden wir, Milo. Darauf können Sie sich verlassen.«

Wenige Stunden noch und das Lachen würde uns allen vergehen...

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7

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Der Eselskarren hielt vor einem der vielen Stände in dem basarähnlichen Viertel am Ufer des Victoriasees. Kleine Gemüse und Fischläden wechselten sich hier mit Lederhandlungen und dunklen Spelunken ab. Die Luft hier roch nach frisch gebackenem Fladenbrot und Fisch.

Die Ladung des kleinen Eselskarrens war mit einem bunten Teppich abgedeckt. Einer der beiden Männer auf dem Bock stieg ab. Der lange schwarze Kaftan, den er trug, fiel hinab bis zu den Sandalen und sein Kopf war von einem schwarzen Tuch verhüllt.

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738919417
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (April)
Schlagworte
milo tucker terroranschlag
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Titel: Milo Tucker und der Terroranschlag