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Gefangen in der belagerten Stadt

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2018 120 Seiten

Zusammenfassung

Gefangen in der belagerten Stadt
Tatort Mittelalter Band 4

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 116 Taschenbuchseiten.

Der 14-jährige Ortwin wünscht sich nichts mehr, als in der nahen Stadt bei einem Handwerker in die Lehre gehen zu dürfen. Heimlich flieht er mit Wolframs Hilfe dorthin. Plötzlich wird die Stadt von einer feindlichen Macht bedroht. Ortwin findet sich mitten in einem spannenden Krimi wieder.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Gefangen in der belagerten Stadt

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Tatort Mittelalter Band 4

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 116 Taschenbuchseiten.

Der 14-jährige Ortwin wünscht sich nichts mehr, als in der nahen Stadt bei einem Handwerker in die Lehre gehen zu dürfen. Heimlich flieht er mit Wolframs Hilfe dorthin. Plötzlich wird die Stadt von einer feindlichen Macht bedroht. Ortwin findet sich mitten in einem spannenden Krimi wieder.

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Zwei Tage war Ortwin ununterbrochen gelaufen. Jetzt schmerzten ihn seine Füße. Als er einen Bach erreichte, setzte er sich nieder und hielt die bloßen Füße in das eiskalte Wasser.

Dieser Bach, so wusste er, war die Grenze des Landes, das von der Burg Wildenstein aus beherrscht wurde. Hinter den Bergen lag die Stadt Barenberg. Dort wollte Ortwin hin. Einen weiteren Tag plante er für den Weg bis dahin ein.

Gerade fünfzehn Jahre alt war er – alt genug also, um allein in die Welt zu ziehen, wie er fand.

Ein Knacken im nahen Wald ließ ihn zusammenzucken. Er griff nach dem kleinen Bündel und dem Wanderstab. Abgesehen von seiner Kleidung besaß er auch gar nicht mehr.

Verfolgte man ihn?

Oder war das nur ein Reh, das in das dichte Unterholz geraten war und jetzt Schwierigkeiten hatte, durch das Gestrüpp wieder ins Freie zu finden?

Das Herz schlug dem Jungen bis zum Hals.

Was sollte er tun? Durch den Bach waten und dort einfach weiter in Richtung Barenberg laufen? Aber bis zu den Bergen gab es keine Deckung. Flache Wiesen erstreckten sich dort. Nur ab und zu gab es ein paar vereinzelte Bäume. Manche waren offenbar vom Blitz getroffen worden, weil sie so allein standen. Sie wirkten verwachsen. So als hätte sie vor langer Zeit mal jemand mit einer Riesenaxt gespalten.

Ortwin blickte sich nach einer Möglichkeit um, sich zu verstecken.

Aber die nächsten Gebüsche waren zu weit entfernt, als dass er sie noch hätte erreichen können, bevor ihn jemand sah.

Stimmen drangen aus dem Wald.

Männerstimmen.

Ortwin schluckte.

Jetzt oder nie! , dachte er. Eigentlich hatte er schon gedacht, es geschafft zu haben. Nie hätte er geglaubt, dass man ihn so hartnäckig verfolgen würde!

Für einen Moment stand Ortwin noch wie gelähmt da – ein sehr dünner Junge mit blonden Haaren.

Die Augen waren weit aufgerissen, als der Junge den ersten Reiter aus dem Wald kommen sah. Wie ein Schatten sah er aus. Als er wenig später ins Sonnenlicht ritt, glänzte sein Helm.

„Da ist er!“, brüllte der Mann.

Ein weiterer Reiter folgte ihm aus dem Unterholz und da es dort immer noch knackte, war wohl auch mindestens noch ein weiterer Verfolger hinter Ortwin her.

Der Junge gab sich einen Ruck.

Er watete durch das eiskalte Wasser des Baches.

Bis zu den Knien sank er ein. Der Boden unter seinen Füßen war weich und glitschig. So schnell er konnte, versuchte er, dass andere Ufer zu erreichen. Dort zog er sich an dem langen, harten Gras am Ufer hoch und rannte, so schnell er konnte.

Er rannte um sein Leben und seine Freiheit, denn er wusste, dass die Männer, die hinter ihm her waren, ihn einfangen und einsperren würden.

Mit dem Traum, in die Stadt Barenberg zu gelangen, war es dann vorbei.

Wahrscheinlich würde man ihm nie wieder eine Chance lassen, zu entkommen.

Er keuchte. Der Schweiß perlte ihm von der Stirn und die schmerzenden Füße spürte er nicht mehr.

Alles, was an Kraft in ihm steckte, konzentrierte er jetzt darauf, davonzurennen.

Er wandte den Kopf zur Seite.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er eine Bewegung. Er hörte den Hufschlag der Pferde hinter sich, hörte, wie das Wasser des Bachs aufspritzte, während die Reiter ihre Tiere ans andere Ufer trieben.

Immer näher und näher kamen diese Geräusche.

Der Hufschlag hämmerte dumpf auf dem weichen,

grasbewachsenen Boden.

Ich schaffe es nicht! , erkannte er. Kein Mensch konnte es mit einem Pferd aufnehmen. Aber sich einfach gefangen nehmen zu lassen, das wollte Ortwin auch nicht.

Er fühlte, wie ihn von hinten jemand an der Kleidung packte.

Ortwin strauchelte zu Boden.

Er fiel ins Gras, blickte auf und sah als Erstes die Hufe von mehreren Pferden, die ihn umkreisten.

„Wir haben ihn!“, sagte eine raue Stimme.

Die Männer waren bewaffnet. Sie trugen Schwerter und Streitäxte. Außerdem tellerförmige Helme aus Eisen, von denen manche schon recht verbeult waren und ihrem Besitzer offenbar das Leben gerettet hatten.

Sie alle trugen ein Übergewand mit dem Wappen des Burgherrn Norbert von Wildenstein.

Ortwin wusste allerdings, dass es sich bei den Männern keineswegs zum Ritter handelte, sondern nur um Burgmannen. So nannte man die Wächter, die der Baron dafür bezahlte, dass sie die Burg bewachten.

Dass der Baron sie hoch zu Ross reiten ließ, war eher ungewöhnlich. Normalerweise verrichteten sie ihren Dienst zu Fuß – aber in diesem Fall hätten sie dann wohl keine Chance gehabt, ihren Auftrag auszuführen und Ortwin gefangen zu nehmen.

Er wäre längst über alle Berge gewesen.

Und für einen Ritter wäre es normalerweise unter seiner Würde gewesen, einen flüchtenden Bauernjungen wie Ortwin gefangen zu nehmen.

Der Kampf gegen einen unbewaffneten Jungen brachte schließlich keine Ehre ein – und so hatte Baron Norbert das von der Burgwache erledigen lassen.

Ortwin stand auf. Die Knie drohten ihm zu versagen.

Die Burgmannen umringten ihn. Einer von ihnen stieg vom Pferd. „Deine Flucht ist zu Ende, Ortwin!“, sagte er.

„Eins muss man ihm lassen! Er ist weiter gekommen, als wir gedacht hätten!“, rief einer der anderen Männer.

Die anderen lachten heiser.

Der Mann, der abgestiegen war, nahm einen Strick vom Knauf seines Sattels.

„Streck deine Hände aus!“, befahl er an Ortwin gerichtet. „Wir müssen dich fesseln.“

„Was geschieht jetzt mit mir?“, fragte der Junge.

„Das liegt nicht in unserer Hand“, sagte der Burgmann.

„Darüber entscheidet einzig und allein Baron Norbert!“

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Zur gleichen Zeit auf Burg Wildenstein...

„Höher mit der Lanze!“, rief Ritter Ferdinand von Walden nun schon zum dritten Mal.

Ansgar hielt mit der Linken die Zügel des prächtig herausgeputzten Streitrosses. Unter dem rechten Arm klemmte er die Lanze. Dann ließ er das Pferd voranpreschen und bemühte sich dabei, die Lanzenspitze etwas höher zu halten, wie Ferdinand es von ihm forderte.

Aber das war sehr schwer.

Das Pferd hatte diese Übung schon so oft hinter sich gebracht, dass es von allein wusste, was es zu tun hatte. Es wurde immer schneller und galoppierte geradewegs auf den leicht hin und her schwingenden Sandsack zu, der an einem Holzgestell hing.

Damit sich Ansgar besser vorstellen konnte, dass dieser Sandsack eigentlich ein Ritter sein sollte, der ihm im Turnierkampf gegenüberstand, hatte Ferdinand von Walden ihm ein altes, zerrissenes Hemd umgehängt und außerdem seinen eigenen Ritterhelm oben festgebunden.

Ansgars Lanzenspitze traf den Sandsack genau in der Mitte mit solcher Wucht, dass die Spitze eine ganze Handbreit eindrang und sich verhakte. Der Sack schwang zurück – und wieder vor. Ansgar klammerte sich so fest er konnte an der Lanze fest, spürte aber, dass er regelrecht aus dem Sattel gehoben wurde.

Das Pferd jagte davon und lief auf dem Stück bis zur Burgmauer langsam aus.

Ansgar landete jedoch unsanft auf dem Pflaster im inneren Burghof von Burg Wildenstein. Der hölzerne Lanzenschaft schlug gegen seinen Kopf und außerdem taten ihm Po und Rücken weh.

„So ein Mist!“, rief er. „So ein verfluchter Mist! Ich werde das nie schaffen!“

„Doch, das wirst du!“, widersprach Ferdinand von Walden, bei dem Ansgar als Knappe in der Ausbildung war. „Und das sah auch schon sehr gut aus.“

„Und wieso liege ich dann im Dreck?“

„Weil du die Lanze loslassen musst, wenn sie sich verhakt.

Wenn du dich daran festklammerst, hebelt sie dich aus dem Sattel, das ist doch klar!“

Der Ritter kam herbei und reichte Ansgar die Hand. „Hör mal, du bist gerade fünfzehn und wir haben erst vor kurzem mit dem Lanzentraining begonnen.“

Ansgar rappelte sich wieder auf.

„Trotzdem...“

„In einem echten Turnier wäre es übrigens auch sehr unwahrscheinlich, dass die Lanze feststeckt, weil dein Gegner dann eine Rüstung trägt, die nicht durchdrungen wird. Und damit das beim nächsten Versuch nicht noch mal passiert, werde ich eine Holzkugel auf der Spitze befestigen. Ich glaube, das ist besser!“ Ansgar nickte.

Er blickte etwas verschämt zu seinem Freund Wolfram hinüber.

Dieser hatte sich das Spektakel auf dem inneren Burghof natürlich ebenso wenig entgehen lassen, wie ein Dutzend Küchenkinder, die eigentlich dem Küchenmeister hätten helfen müssen. Aber der Küchenmeister von Burg Wildenstein besprach gerade mit der Burgherrin die Mahlzeiten der nächsten Tage und konnte daher nicht aufpassen.

Wolfram saß auf den Stufen vor dem Eingang des Palas und blinzelte in die warme Frühlingssonne. Der Palas war das Haupthaus auf Burg Wildenstein. Hier wohnte der Burgherr und hielt im großen Saal Feste ab, an denen Wolfram meistens allerdings nicht viel Spaß hatte, weil er mithelfen musste, die Gäste zu bedienen.

Elf Jahre war Wolfram inzwischen geworden. Mit sieben Jahren, hatten seine Eltern ihn nach Burg Wildenstein gegeben, damit dort aus ihm ein richtiger Ritter würde. Gefragt hatte man ihn da nicht, denn von dem Sohn eines Ritters erwartete man, dass er selbst auch ein Ritter wurde. Wenn man vierzehn Jahre alt war, erreichte man die nächste Stufe und wurde ein Knappe. Wolfram beneidete Ansgar darum, dass der schon seit einem Jahr Knappe war. Schließlich war es besser, als Knappe die Ausrüstung eines Ritters in Ordnung zu halten, sein Pferd zu pflegen und ihn vielleicht sogar zu einem Turnier oder in die Schlacht zu begleiten, als den Pagendienst zu verrichten. Der bestand vor allem darin, bei Tisch zu bedienen oder Botengänge auszuführen. Man trainierte in diesem Alter allenfalls den Kampf mit Fäusten oder Holzschwertern - aber Ansgar durfte schon den Umgang mit richtigen Waffen üben.

Das war natürlich viel aufregender!

Außerdem bekam Ansgar auch Unterricht darin, wie man Greifvögel für die Jagd abrichtete, was Wolfram ebenfalls sehr interessiert hätte.

Der weiß gar nicht wie gut er es hat! , dachte Wolfram nicht zum ersten Mal. Soll Ansgar sich doch nicht so anstellen, nur weil er ab und zu mal beim Lanzentraining in den Dreck fällt! Das war auf jeden Fall angenehmer, als bei einem Festbankett die Gäste zu bedienen, obwohl man selbst auch schon großen Hunger hatte!

Hinter sich hörte Wolfram Schritte auf den Stufen und den hechelnden Atem eines Hundes. Er drehte sich um und ein Mädchen mit dunklen Haaren und einem grauen Gewand stand da. Ein strubbeliger Hund lief zwischen ihren nackten Füßen hindurch.

„Maria!“, stieß Wolfram hervor, während der Hund damit begann, ihm das Gesicht abzulecken. Wolfram verzog das Gesicht.

„Nicht so wild, Kasper!“, sagte er zu dem Hund.

Maria setzte sich neben Wolfram auf die Stufe.

„Wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen, Wolfram“, sagte sie.

„Ja, ich weiß.“

„Ist es deswegen, weil der Burgherr es nicht gerne sieht, wenn ein zukünftiger Ritter mit einem Küchenmädchen spricht?“

„Nein, es war einfach viel zu tun.“

„Wirklich?“

„Ich bin unserem Burgherrn Gefolgschaft schuldig – aber das heißt nicht, dass ich alles richtig finde, was Baron Norbert sagt.

Zum Beispiel habe ich mir von Pater Ambrosius Lesen und Schreiben beibringen lassen, obwohl Baron Norbert der Meinung war, dass ein Ritter das nicht unbedingt können muss!“ Maria war ebenfalls elf Jahre. Allerdings waren ihre Eltern keine Adeligen, wie es bei Wolfram der Fall war. Vielmehr waren sie Bauern gewesen und früh gestorben. Da es die Pflicht eines jeden Ritters war, Witwen und Waisen zu schützen, war es üblich, dass Burgherren wie Baron Norbert von Wildenstein Kinder ohne Eltern als Küchenkinder bei sich aufnahmen. Sie mussten in der Küche helfen und wohnten dort auch meistens.

„Da wir gerade vom Lesen und Schreiben sprechen...“, begann Maria. „Ich weiß nicht, ob es wirklich eine gute Idee war, dass du versucht hast, mir all das beizubringen, was du von Pater Ambrosius gelernt hast. Du weißt schon: Die Buchstaben und so.“

„Wieso war das keine gute Idee?“

„Eines der anderen Waisenkinder hat dem Küchenmeister verraten, dass ich etwas lesen und schreiben kann. Jetzt verlangt er von mir, dass ich seine Rezepte aufschreibe! Und zwar so schnell, wie er sie spricht! Dabei kann ich gerade mal ein paar Buchstaben zu einem Wort zusammenziehen! Wenn es dann nicht schnell genug geht, schimpft er immer so furchtbar.“ Sie seufzte. „Der Mann hat gar keine Ahnung, wie schwierig das ist!“

„Weil er selber die Buchstaben nicht kann“, meinte Wolfram.

„Wie fast alle Leute – vom Kaiser bis zum Bauern! Warum musste ich nur auf die Idee kommen, das zu lernen, obwohl das normalerweise doch nur Mönche tun. Und jetzt habe nichts als Ärger dadurch!“

„Der Küchenmeister wird sich schon wieder beruhigen.“ Maria strich sich eine Strähne ihrer Haare aus dem Gesicht.

„Was glaubst du wohl, wie er sich beruhigen wird, wenn ich nachher die Rezepte, die für ihn aufschreiben musste, nicht mehr vorlesen kann!“

Wolfram zuckte mit den Schultern. „Vielleicht sollten wir beide etwas üben. Man verlernt das nämlich so schnell. In letzter Zeit bin ich auch nicht mehr dazu gekommen. Ich sagte ja, dass ich viel zu tun hatte.“

„Was denn?“

Wolfram seufzte. „Die Wünsche der Burgherrin werden immer komplizierter, Maria. Es wird jeden Tag schwerer, sie zu bedienen.“ Er deutete in Ansgars Richtung. „Der da hat es gut! Der muss sich nur mit Sachen beschäftigen, die interessant sind und braucht nicht die schlechte Laune der Burgherrin auszuhalten!“ Maria schien gut zu verstehen, was Wolfram meinte. „Der Küchenmeister schimpft auch ständig über sie, weil sie dauernd den Speiseplan ändern will.“ Maria streckte sich der Sonne entgegen.

„Wenigstens wird es wärmer! Endlich! Es war im Winter so kalt da unten in der Küche!“

„Nicht nur dort!“, gab Wolfram zurück.

Nach einem langen Winter freute sich jeder auf Burg Wildenstein über den Frühling. Das lag vor allem daran, weil es nirgendwo hinter den dicken Steinmauern richtig warm wurde. Nur das Kaminzimmer – die Kemenate – war geheizt. Aber auch dort zog es fürchterlich, weil es in der Burg nur in der Burgkapelle Fenster aus Glas gab. Alle anderen Fenster wurden einfach mit Fensterläden aus Holz verschlossen. Entweder war also im Winter dunkel oder kalt – und meistens war beides der Fall. So manchen starken Ritter, den in der Schlacht kein Feind niederzukämpfen vermochte, war in der kalten Jahreszeit, wenn der Krieg unterbrochen wurde, von einer Lungenentzündung besiegt worden.

Der Knappe Ansgar versuchte jetzt noch einmal den Lanzenstoß auf den Sandsack.

Zunächst führte er das Pferd zum inneren Burgtor, um genügend Anlauf nehmen zu können. Dann schwang er sich in den Sattel und brachte die Lanze in die Höhe, die Ferdinand von Walden ihm beigebracht hatte.

„Wenn ich mal so weit bin, werde ich sicher alles richtig machen – so oft wie ich mir das schon angesehen habe!“, meinte Wolfram.

„Angeber!“, erwiderte Maria. „Ich glaube nicht, dass das so einfach ist, wie es aussieht!“

„Aber du kannst das beurteilen, ja?“

„Nun tu mal nicht so – du auch nicht, Wolfram!“

Ritter Ferdinand von gab Ansgar ein Handzeichen. Ansgar drückte dem Pferd die Hacken in die Seiten und ließ es voranpreschen. Im vollen Galopp stürmte der Knappe auf seinen mit Sand und Lumpen gefüllten Gegner zu.

„Höher mit der Lanze!“, rief Ferdinand von Walden.

Ansgar erwischte den Sandsack genau in der Mitte. Der Sack schwang zurück und Ansgar ritt weiter. Er senkte die Lanze und zügelte das Pferd.

„Na, das wird doch was!“, war Ferdinands Kommentar. „Aber für heute hören wir besser auf.“

„Ich bin aber noch keineswegs müde!“, protestierte Ansgar.

Ferdinand lächelte mild. „Du nicht – aber mein Pferd! Und ich will nicht, dass du es zu Schanden reitest...“ Die letzten Worte sprach Ritter Ferdinand langsamer aus. Fast schleppend. Er blickte über die Brüstung der Inneren Burgmauer zum Haupttor.

Ein Stimmengewirr war von dort zu hören.

„Da muss irgendetwas los sein!“, meinte Maria.

Der strubbelige Kaspar rannte los und sprang auf die Brüstung.

Von der Mauer aus sah er hinab.

Wolfram und Maria erhoben sich langsam und folgten ihm.

Um das äußere Burgtor hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Man konnte nicht sehen, was dort los war. Aber es dauerte gar nicht lange, bis der Menschenauflauf sich auch durch das innere Burgtor drängte.

Zwei der Burgmannen, die Baron Norbert dafür bezahlte, dass sie Wache hielten und auf den Türmen der Burg nach Feinden Ausschau hielten, führten einen Jungen mit strohblonden Haaren ab.

Wolfram schätzte, dass er etwa so alt wie Ansgar war – vierzehn oder fünfzehn Jahre. An der Kleidung und am Haarschnitt konnte man gleich erkennen, dass es sich um einen Bauernjungen handelte.

Die Kleider waren grau und braun. Der Stoff war sehr grob gewebt.

Farbige Stoffe durften nur Adelige tragen. Das Haar reichte bis zu den Ohren. Länger durfte es bei einem Bauernjungen auch nicht sein, denn langes Haar galt als Zeichen adeliger Würde und durfte nur von den hohen Herrschaften getragen werden.

Man hatte dem Jungen die Hände vorne zusammengebunden.

Die Burgmannen führten ihn fort, auf den Turm zu, wo sich die Schmachtgrube befand, wie das Gefängnis auf Burg Wildenstein genannt wurde.

Es dauerte nicht lange und die Burgmannen waren zusammen mit dem blonden Jungen hinter der schweren, hölzernen Tür verschwunden.

„Was hat der Junge wohl verbrochen?“, fragte Maria.

„Das möchte ich auch gerne mal wissen!“, meinte Wolfram.

Ansgar hatte dem Gespräch zwischen Maria und Wolfram zugehört. „Ich kenne den Jungen!“, sagte er. „Er heißt Ortwin und ist der Sohn eines Bauern hier in der Nähe!“

„Kann sein, dass ich ihn auch schon mal gesehen habe – aber seinen Namen kannte ich nicht“, gab Wolfram zurück.

„Ich war doch neulich auf Falkenjagd mit den Rittern von Wildenstein“, berichtete Ansgar. „Du erinnerst dich doch?“ Wolfram erinnerte sich sehr gut daran – vor allem deswegen, weil er in der Burg hatte bleiben müssen. Das hatte ihm zwar nicht gefallen, Wolfram hatte aber keine andere Wahl gehabt.

Leider.

Die Burgherrin hatte gemeint, nicht auf seiner Dienste verzichten zu können.

„Ja, und?“, fragte Wolfram. „Was war mit ihm?“

„Er war unter den Helfern, die das Wild aufscheuchen mussten.

Daher kenne ich ihn flüchtig.“

„Glaubst du, dass er etwas gestohlen hat?“, fragte Wolfram.

Ansgar zuckte mit den Schultern und rieb sich den Oberarm, wo er sich bei seinem Sturz vom Pferd wohl ein paar blauen Flecken geholt hatte. Aber er ließ sich nichts anmerken.

„Keine Ahnung, aber ich denke, wir werden es sicher bald erfahren!“

An den folgenden Tagen sprach sich auf der Burg herum, was der Junge namens Ortwin verbrochen hatte. Er war der Sohn eines leibeigenen Bauern – was bedeutete, dass er selbst auch Leibeigener war und nicht einfach das Land verlassen durfte.

Aber genau das hatte er getan.

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An der großen Tafel des Palas wurde ein Festmahl abgehalten.

Dies geschah zu Ehren des Ritters Herwig von Kohlingen, der für ein paar Monate auf Burg Wildenstein gelebt hatte. Er war fahrender Ritter und Sänger und hatte die Burggesellschaft mit seinen Liedern für ein paar Monate unterhalten. Wenn er sang, spielte er dazu auf einer Laute. Herwig war der vierte Sohn eines Burgherrn aus Süddeutschland. Nur wenn seine drei älteren Brüder frühzeitig starben, hatte er die Möglichkeit, selbst Burgherr zu werden und daher zog er es vor, durch die Welt zu ziehen und sein Glück zu suchen. Wenn ein Burgherr einen Kämpfer brauchte, um in den Krieg zu ziehen, schloss er sich ihm an und ließ sich dafür bezahlen. Aber sehr viel häufiger bot er an, für Unterkunft und Verpflegung seine Lieder vorzutragen.

Vor allem im Winter war das Leben auf einer Burg sehr ungemütlich und langweilig. Die Tage waren kurz, die dunklen, kalten Abende dafür lang. Und so war man immer froh, wenn jemand für etwas Abwechslung sorgte.

Ansgar durfte neben Ferdinand von Walden an der Tafel sitzen, was eine große Ehre war. Aber Ferdinand meinte, dass Ansgar sich das durch seine Leistungen bei den Lanzenübungen verdient hätte.

Wolfram hingegen musste an diesem Abend bedienen und den Teilnehmern des Banketts den Wein einschenken.

Er durfte erst etwas essen, wenn die hohen Herrschaften fertig waren.

Wenigstens gab es diesmal so viel, dass es unmöglich für die Festgesellschaft war, alles zu verspeisen. Der Frühling kam früh in diesem Jahr – und das bedeutete, man konnte den Rest der Wintervorräte jetzt ruhig verbrauchen. Dauerte der Winter hingegen länger, konnte es schon mal knapp werden mit den Nahrungsmitteln.

Burgherrin Margarete hatte ihr bestes Kleid angelegt.

Außerdem trug sie eine goldene Kette und einen kostbaren Ring.

Sie saß neben ihrem Mann, dem Burgherrn. Baron Norbert von Wildenstein hatte an diesem Tag einen großen Appetit und war guter Laune. Immer wieder ließ er sich den Wein nachschenken.

Schließlich trug Ritter Herwig von Kohlingen noch ein paar seiner Lieder vor, die vor allem die Damen entzückten. Immer wieder wollten sie eine Zugabe, bis Herwig abwinkte.

„Die ganzen Zugaben haben mich so heiser gemacht, dass ich dringend etwas trinken muss!“, erklärte er. „Aber es rührt mich, wie sehr euch meine Lieder gefallen!“

„Vielleicht sollten wir dem edlen Herrn wirklich eine Pause gönnen“, sagte Baron Norbert, während Margarete zu erkennen gab, dass sie eigentlich lieber noch ein paar Lieder gehört hätte. „Die Stimme des fahrenden Ritters soll sich doch nicht vor lauter Überanstrengung in ein erbärmliches, heiseres Krächzen verwandeln!“, meinte der Baron. Er wandte sich in Wolframs Richtung. „Komm her, Wolfram, und füll Herwig seinen Krug, damit er etwas trinken kann!“

Wolfram deutete eine Verbeugung an und kam sogleich herbei, um den Krug mit Wein zu füllen. Herwig stellte seine Laute neben sich und lehnte sie gegen den Stuhl.

„Es ist schon beneidenswert, wenn einem das Talent des Gesanges gegeben ist!“, sagte Baron Norbert. „Wenn ich sehe, wie die Damen Euch bewundern, kann ich Euch nur beneiden!“ Aber Herwig schien das etwas anders zu beurteilen.

„Um ehrlich zu sein wäre mir eine gesicherte Zukunft auf einer eigenen Burg sehr viel lieber! Aber dazu hätte ich der erste Sohn meines Vaters sein müssen. Eine Burg und den dazugehörigen Besitz kann man nun einmal nicht gut teilen – zumal, wenn das dazugehörige Land schon so klein ist, dass es gerade ausreicht, um einen Ritter und sein Gefolge zu ernähren.“

„Ihr hättet doch gewiss auf der Burg Eures Vaters bleiben können...“

„Aber dann wäre mein älterer Bruder mein Herr gewesen.“ Herwig lachte. „Und so gut habe ich mich, ehrlich gesagt, nicht mit ihm verstanden!“

„Ich bin überzeugt davon, Ihr werdet Euer Glück finden“, mischte sich Burgherrin Margarete ein.

Das Gespräch plätscherte noch etwas dahin.

Dann stellte plötzlich Ferdinand eine Frage, die Wolfram aufhorchen ließ.

„Baron Norbert, ich habe vor ein paar Tagen gesehen, dass Ihr einen Bauernjungen gefangen genommen hat, der Euer Land ohne zu fragen verlassen wollte...“

„Ohne zu fragen ist nicht ganz richtig“, sagte Baron Norbert.

„Ich war vor ein paar Wochen in seinem Dorf und da hat er mich gefragt, ob er das Wildensteiner Land verlassen dürfte, um in der Stadt sein Glück zu machen. Aber ich habe das abgelehnt. Ein paar Tage später war er verschwunden und ich habe ihn durch die Burgmannen einfangen lassen.“

Herwig, der inzwischen schon recht viel Wein getrunken hatte, meinte: „Gut, dass mein Vater nicht auf die Idee gekommen ist, mich durch seine Burgmannen wieder einfangen zu lassen!“ Er lachte dröhnend.

„Angesichts Eurer Schwertkünste, wäre das den Burgmannen wohl auch schlecht bekommen!“, setzte Ferdinand von Walden hinzu.

Herwig wandte sich an Baron Norbert, nachdem Wolfram ihm noch einmal den Wein nachschenken musste. „Warum lasst Ihr den Jungen nicht einfach ziehen? Es gibt so viele Bauernjungen und wer Eure Güte und Fürsorge nicht zu schätzen weiß, der soll doch gehen, wenn er will! Da würde ich mich an Eurer Stelle nicht weiter darüber aufregen!“

„Es geht nicht um diesen einen Bauernjungen!“, sagte Baron Norbert. „Sein eigener Vater ist wahrscheinlich froh, dass er gegangen ist, weil er dann einen Esser weniger am Tisch hat. Sein Acker wird ja nicht größer und die letzte Ernte war miserabel.“

„Vielleicht hat der Vater des Jungen ihn sogar dazu angestiftet, in die Stadt zu gehen!“, vermutete Ferdinand.

„Gut möglich!“, stimmte Norbert zu.

„Aber warum haltet Ihr ihn dann fest? Schürt das nicht die Unzufriedenheit unter den Bauern?“, hakte Herwig nach.

Norbert schüttelte den Kopf. „Es geht mir nicht um diesen einen Jungen, auf den könnten wir verzichten. Aber stellt Euch vor, es kommen noch mehr Bauern auf die Idee, sich vom Acker zu machen und in die Stadt zu gehen! Was wird dann aus den Feldern?

Wer versorgt das Vieh?“

„Das ist tatsächlich ein Problem“, stimmte Herwig zu. „Ich komme ja viel herum und habe durchaus schon erlebt, das Höfe leer stehen, weil sich die Bauern davon machten, um in die Stadt zu ziehen, da es ihnen dort angeblich besser ging!“

„Seht Ihr! Genau das befürchte ich!“, gestand Baron Norbert.

„Die Gerüchte über das sagenhaft gute Leben in der Stadt sind sowieso nicht aufzuhalten. Händler, Gaukler und anderes fahrendes Volk tragen sie in das kleinste Dorf und machen die Leute verrückt!

Deshalb verstehe ich nicht, dass Ihr so für den Jungen Partei ergreift, Ritter Herwig!“

Herwig nahm einen tiefen Schluck und sagte: „Ich ergreife nicht Partei und sage auch nicht, dass es richtig ist, was der Junge getan hat. Nur...“

„Nur verstehen könnt Ihr ihn, da Ihr Euch ja selbst auf die Wanderschaft eines fahrenden Ritters begeben habt!“, mischte sich Ferdinand von Walden ein.

„Wollt Ihr das im Ernst miteinander vergleichen?“, fragte Burgherrin Margarete. „Die kopflose Flucht eines Bauernjungen, der uns zu Dienst verpflichtet ist, mit dem Entschluss eines freien Ritters, gute Taten zu vollbringen?“

„Und gute Lieder zu singen!“, ergänzte Bernhard von Terne, einer der anderen Ritter von Burg Wildenstein, die zum Gefolge von Baron Norbert gehörten.

„Dieser Kunst zu dienen ist natürlich der höchste Zweck meiner Wanderschaft!“, beteuerte Herwig. „Aber zurück zu unserem Thema, Baron Norbert! Ist es vielleicht nicht manchmal besser, zumindest ein paar Bauernsöhne ziehen zu lassen und nur den Rest festzuhalten?“

„Was sollte ich daraus für einen Vorteil ziehen? Die anderen werden den einen beneiden, der in die Stadt gezogen ist und ihm folgen wollen, weil sie die Stadt nicht kennen und sie deshalb für ein Schlaraffenland halten! Sie vergessen dabei, dass man auch dort um sein Überleben kämpfen und hart arbeiten muss!“

„Aber wenn zu viele Bauern auf einem zu kleinen Stück Land leben, schürt das auch die Unzufriedenheit!“, gab Herwig zu bedenken.

Baron Norbert seufzte hörbar. „Ich werde darüber nachdenken.

Aber nicht heute! Heute gehört der Abend der reinen Freude und Ausgelassenheit!“

„Vielleicht ist Eure Kehle inzwischen ja nicht mehr so heiser, sodass Ihr uns noch ein besonders ergreifendes Lied zum Abschied vortragen könnt!“, schlug Margarete vor.

Und da diese Bitte von lautem Beifall unterstützt wurde, konnte Ritter Herwig kaum anders, als ihr nachzukommen.

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Warum hast du nichts gesagt?“, fragte Wolfram später seinen Freund Ansgar, als das Fest vorbei war. Es war schon nach Mitternacht. Baron Norbert und seine Frau Margarete hatten sich in ihre Gemächer zurückgezogen und auch Ritter Herwig war schlafen gegangen.

Er wollte am nächsten Morgen in aller Frühe aufbrechen.

Manche der anderen Ritter waren jedoch gleich am Tisch eingeschlafen und schnarchten jetzt vor sich hin.

Das Abräumen der Tafel sollte erst am nächsten Morgen stattfinden.

Wolfram kaute auf einem Stück Fleisch herum. Jetzt hatte er endlich die Ruhe, selbst etwas zu essen.

„Wieso hätte ich denn etwas sagen sollen?“, fragte Ansgar verständnislos. Er gähnte.

„Weil dieser Junge nicht älter ist als du – und alles, was er getan hat ist, auf Wanderschaft zu gehen. Das ist doch kein Verbrechen!“

„Ich bin nur ein Knappe. Bis ich zum Ritter geschlagen werde, vergehen noch mindestens drei Jahre und wenn ich am Tisch meine Meinung sage, wird das weder Baron Norbert noch irgendeiner der anderen Ritter besonders schätzen! Außerdem ist der Kerl doch selbst Schuld! Warum haut er einfach ab, ohne die Erlaubnis seines Barons zu haben?“

„Er hat doch niemandem geschadet!“, sagte Wolfram. „Wenn eines der Küchenkinder sich aufmachen würde, um in die Stadt oder sonst wohin zu gehen, würde der Baron ja auch nicht seine Burgmannen hinterherschicken!“

Ansgar seufzte. „Das ist doch auch etwas ganz anderes!“, meinte er. „Die Küchenkinder können froh sein, dass sie hier auf der Burg mit durchgefüttert werden. Wenn sie weg sind, braucht Baron Norbert sie nicht mehr zu versorgen.“ Ansgar rang mit den Händen und fuhr fort: „Es ist doch eigentlich ganz einfach: Gott hat jeden an seinen Platz gestellt. Der Sohn des Bauern muss eben wieder Bauer werden, auch wenn wenig Land da ist – so wie die Söhne von Rittern - wie wir beide - auch wieder Ritter werden. Was glaubst du, was geschieht, wenn es dir eines Tages einfach einfiele, in die Stadt zu ziehen, um da dein Glück zu machen?“ Wolfram verzog das Gesicht und kratzte sich am Kinn. „Ich nehme an, es gäbe erst Ärger mit Baron Norbert und anschließend mit meinen Eltern!“

„Worauf du Gift nehmen kannst!“, nickte Ansgar. „Also wenn schon ein Adeliger nicht frei entscheiden kann, was er wird, wieso sollte das dann ein leibeigener Bauernsohn dürfen?“ Die Gedanken schwirrten Wolfram nur so im Kopf herum.

„Von der Seite habe ich das noch nie betrachtet“, meinte er nachdenklich. „Aber es gibt einen Unterschied: Ich will Ritter werden!“

„Glück für dich, sonst wärst du schlecht dran, Wolfram!“

„Und wer sagt, dass es wirklich Gott ist, der das so will – und nicht nur Männer wie Baron Norbert, die verhindern wollen, dass ihnen ihre Hilfskräfte weglaufen?“

Ansgar schnippste mit den Fingern. „Das müsstest du doch wissen, Wolfram.“

Wolfram runzelte die Stirn. „Wie kommst du darauf?“

„Weil du doch lesen kannst. Das steht bestimmt in der Bibel!

Hast du mal ein bisschen darin gelesen?“

„Das habe ich“, nickte Wolfram. „Bei Pater Ambrosius im Kloster gibt es ein Exemplar der Bibel und es ist mir tatsächlich gelungen, die Buchstaben zu Wörtern zusammenzuziehen. Aber das Buch ist leider nicht auf Deutsch, sondern in lateinischer Sprache.

Und Latein können noch nicht einmal die meisten Mönche!“ Ansgar zuckte mit den Schultern. „Dann wirst du wohl einfach so glauben müssen, dass es stimmt, was ich sage!“

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Am nächsten Tag ließ der Burgherr Wolfram zu sich rufen. Er sollte in den Palas kommen und natürlich erschien Wolfram dort so schnell wie möglich. Vielleicht gab es irgendeine Arbeit als Laufbursche zu erledigen. Gleichgültig, was es auch sein mochte – es war interessanter, als die Burgherrin zu bedienen und die Essensreste eines Festmahls wegzuräumen. Baron Norbert strich sich den Bart glatt und musterte den Pagen von oben bis unten. Ein prüfender Blick, von dem Wolfram noch nicht so recht wusste, was er zu bedeuten hatte.

Norbert von Wildenstein war ein großer, breitschultriger Ritter.

Das Schwert hing ihm am Gürtel und die linke Faust hatte sich um den Griff geschlossen.

„Du bist ein kluger Junge und ich denke, dass du die Aufgabe erfüllen kannst, die ich für dich vorgesehen habe!“, sagte der Burgherr.

Ein Auftrag! , jubilierte Wolfram innerlich. Endlich! Aber ganz so überraschend kam das nicht. Schließlich wurde es jetzt Frühling.

Und da war es vielleicht wieder nötig, dass bei den Mühlen in der Umgebung erfragt wurde, wie viel Mehl sie liefern konnten oder dass bei einem Schmied in der Nähe ein paar Schwerter in Auftrag gegeben wurden.

Die Aussicht nach dem Winter voller Dunkelheit endlich mal wieder aus der Burg herauszukommen, freute Wolfram.

Doch er wurde enttäuscht.

Baron Norbert wollte nämlich etwas ganz anderes von seinem Pagen. „Ich möchte, dass du in Zukunft dem Gefangenen das Essen bringst“, erklärte der Burgherr.

„Ich?“, fragte Wolfram unwillkürlich.

Er schluckte. Diese Bemerkung war ihm so herausgerutscht, aber nun konnte er sie nicht mehr zurückholen. Gesagt war nun mal gesagt.

Baron Norbert musste schmunzeln.

„Ja, ich weiß, was du damit sagen willst“, erwiderte er. „Das ist eigentlich eine Aufgabe für die Küchenkinder! Schließlich ist dieser Gefangene ja kein hochrangiger fremder Ritter, für den man Lösegeld nehmen könnte oder so, sondern nur ein Bauernjunge.“ Wolfram wusste natürlich, dass in der Rangfolge ein leibeigener Bauer wie Ortwin ganz unten stand – auf einer Stufe mit dem Abortreiniger, der in der Burg für das Reinigen der Toiletten zuständig war.

Selbst Kerkermeister, Pferdeknechte, Küchenmeister und Wäscherinnen standen noch über ihm.

Daher war es schon sehr ungewöhnlich, dass ein Rittersohn diesem Gefangenen die Mahlzeiten bringen sollte.

Aber Baron Norbert hatte einen guten Grund dafür. „Dieser Junge namens Ortwin erzählt lauter fantastischer Geschichten über Leute, die es in der Stadt zu Reichtum und Wohlstand gebracht haben. Er muss diese Geschichten vom fahrenden Volk aufgeschnappt haben, weswegen ich fürs Erste keinem Gaukler mehr gestatten werde, durch das Wildensteiner Land zu fahren!“ Dann wird das nächste Ritterturnier sicher eine sehr traurige und ernste Angelegenheit!, dachte Wolfram bei sich. Aber natürlich hütete er sich davor, auch nur ein Wort in Anwesenheit seines Burgherrn darüber zu verlieren.

„Ortwin hat diese Geschichten geglaubt! Er glaubt sie immer noch und deswegen will er selbst auch in die Stadt, weil es da angeblich allen so gut geht! Wenn ich die Küchenkinder ausschicke, um ihm die Mahlzeit zu bringen, erzählt er ihnen auch davon. Das hat er nämlich schon getan, wie mir der Küchenmeister berichtet hat. Aber ich denke, du bist vernünftig genug, um erstens die Wahrheit von der Fantasie zu unterscheiden und zweitens zu wissen, wo dein Platz ist.“

„Ja, Herr“, sagte Wolfram untertänig.

Widerworte hatten ohnehin keinen Sinn. Und außerdem interessierte es Wolfram, diesen Jungen kennen zu lernen und zu erfahren, warum er unbedingt in die Stadt wollte und wie er sich sein Leben vorstellte.

Aufregender als ein langer Winter und interessanter als die Lieder von Ritter Herwig, in denen es immer nur um die Liebe zu irgendwelchen Burgfräuleins gegangen war, stellte sich Wolfram die Geschichten dieses Jungen auf jeden Fall vor.

„Du wirst ihm nicht zuhören beziehungsweise kein Wort von dem glauben, was er dir trotzdem sagt!“, wies der Burgherr ihn streng an.

„Nein, Herr. Natürlich nicht.“

„Dann melde dich beim Küchenmeister.“

„Jawohl, Herr...“

Mit einer Verbeugung entfernte sich Wolfram in Richtung Tür.

Aber nach ein paar Schritten blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. „Darf ich Euch eine Frage stellen, Baron Norbert?“

„Natürlich, Wolfram. Ich habe deinem Vater versprochen, für deine Erziehung zu einem richtigen Ritter zu sorgen. Du kannst mich alles fragen, was du willst.“

„Dann sagt mir doch bitte, wie lange Ihr diesen Ortwin eingesperrt halten wollt. Soll es noch einen Prozess gegen ihn geben?“

„Ein Prozess ist überflüssig“, sagte Baron Norbert mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Schließlich ist seine Schuld erwiesen. Wie lange ich ihn eingesperrt lasse und ob ich ihn vielleicht irgendwann begnadigen kann, das weiß ich noch nicht.

Ich werde mich mit der Burgherrin und dem Burgpfarrer besprechen.“

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6

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Wolfram meldete sich beim Küchenmeister, wie der Burgherr es ihm gesagt hatte. Der wies ihn an, am frühen Abend in die Küche zu kommen, um dem Gefangenen die Mahlzeit zu bringen.

Er bekam einen Korb, der vor allem mit Sachen gefüllt war, die der Küchenmeister sonst hätte wegschmeißen müssen, weil sie schlecht geworden wären.

Der Kerkermeister auf Burg Wildenstein war im letzten Winter an einer Lungenentzündung gestorben. Sein Nachfolger hieß Bertold und war im Hauptberuf Pferdeknecht. Es kam eher selten vor, dass auf Burg Wildenstein jemand gefangen gehalten wurde und darum verrichtete er seinen Dienst nur im Nebenberuf. So war er die meiste Zeit über gar nicht beim Kerker.

Warum auch?

Der Gefangene war in einem tiefen Loch untergebracht, der sogenannten Schmachtgrube. Wenn man ihm die Leiter wegzog, konnte er unmöglich entkommen. Es war also völlig überflüssig, ihn die ganze Zeit über zu bewachen. Er hatte nämlich ohnehin keine Chance zu fliehen.

Dazu kam noch, dass Bertold sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger mit der Handhabung der Schlösser nicht so gut auskannte. Die meisten waren ohnehin verrostet und ließen sich gar nicht mehr richtig schließen. Aber Baron Norbert wollte für deren Erneuerung keine Silbermünze ausgeben.

Als Wolfram den Turm erreichte, in dem sich die Schmachtgrube befand, war dort weder abgeschlossen, noch gab es einen Wächter. Die Burgmannen hatten schließlich andere Aufgaben.

Ursprünglich war dieser Turm die Wohnung des Burgherrn gewesen, bevor Baron Norbert den prächtigen Palas hatte bauen lassen. Jetzt wohnte hier niemand mehr – abgesehen von dem Gefangenen und ein paar Fledermäusen, die in den Mauerritzen nisteten.

Wolfram trat ein.

Draußen machte es die immer stärker werdende Frühlingssonne richtig warm, aber in diesem dicken Gemäuer war es noch immer eiskalt, sodass man eine Gänsehaut bekommen konnte.

Wolfram öffnete die knarrende Holztür und trat ein. Es war ziemlich dunkel. Die Tür fiel von allein ins Schloss. Tageslicht drang nur durch einen Schlitz unter der Tür und ein sehr hohes Fenster, in dem eine Taube ihr Nest baute und leise vor sich hin gurrte.

Kein Wunder, dass der gute Bertold lieber im warmen Pferdestall bleibt, anstatt hier in dieser Kälte den Kerkermeister abzugeben!, ging es Wolfram durch den Kopf.

Er ging vorwärts, bis zu einer weiteren Tür. Auch sie war aus Holz. Sie war abgeschlossen, aber der Schlüssel hing an einem großen Haken, ganz in der Nähe.

In dem Halbdunkel, das hier herrschte, war es recht schwierig, das Schloss zu öffnen.

Schließlich schaffte es Wolfram aber und setzte seinen Weg fort.

Licht fiel nur aus den hohen Fenstern des Turms. In seiner Grube bekam der Gefangene davon allerdings wenig ab.

Es roch moderig und eine Ratte huschte vor Wolfram davon.

Sie verschwand in einem schmalen Spalt im Mauerwerk und war im nächsten Augenblick völlig verschwunden, obwohl man auf den ersten Blick eigentlich nicht wirklich glauben konnte, dass ein so großes Tier durch einen so schmalen Spalt verschwinden konnte.

Die Leiter war tatsächlich hochgezogen worden.

Es gab ein Seil, mit dem man dem Gefangenen die Mahlzeiten oder frisches Wasser hinunterlassen konnte.

Ortwin kauerte am Boden, der fast völlig kahl war. Nur an einer Stelle war ein bisschen Stroh. Dort hatte der Junge sich hingesetzt.

Er zitterte leicht und rieb sich die Arme und Hände.

Kein Wunder!, dachte Wolfram. Es ist ja auch eiskalt hier!

Ortwin erhob sich und trat aus dem Schatten.

„Ich soll dir etwas zu Essen bringen“, sagte Wolfram.

„Ein Page, der mich bedient?“, fragte Ortwin spöttisch.

„Scheint, als wäre ich ganz plötzlich zu den hohen Herrschaften aufgestiegen.“

„Ich tue nur, was man mir aufgetragen hat“, sagte Wolfram.

„Da oben muss ein Strick sein, mit dem du den Korb zu mir herunterlassen kannst!“

„Ich habe ihn schon gesehen.“ Wolfram nahm den Strick, ließ damit den Korb herunter und zog ihn anschließend wieder hoch.

Ortwein zog das graue Tuch zur Seite, das den Korb bedeckte und verzog das Gesicht. „Reste, über die sich die Schweine freuen würden!“

„Teil es dir gut ein“, sagte Wolfram. „Ich weiß nicht, wann du das nächste Mal etwas bekommst.“

Ortwein zuckte mit den Schultern. „Diese Grube wird ja schließlich auch von allen nicht deswegen Schmachtloch genannt, weil hier die Verpflegung so toll ist! Trotzdem danke!“ Offenbar erwartete der Gefangene, dass Wolfram jetzt ging. Als der Page allerdings am Rand der Grube stehen blieb, war Ortwin ziemlich verwundert.

„Erzählst du mir, weshalb du aus dem Wildensteiner Land fliehen wolltest?“, fragte Wolfram.

Ortwin lachte heiser. „Das ist für dich vielleicht schwer zu verstehen. Du wirst hier auf Burg Wildenstein zum Ritter ausgebildet. Deine Zukunft dürfte damit gesichert sein. Aber bei mir sieht das anders aus. Ich bin das fünfte Kind eines Bauern. Der Ertrag des Landes, das Baron Norbert uns gegeben hat, reicht hinten und vorne nicht. Es ist einfach besser, es geht jemand – und da ich der Jüngste bin, dachte ich, dass ich das tun sollte.“

„Und wie sollte dein Leben in der Stadt aussehen?“ Ortwins Augen begannen zu leuchten. „Die Handelshäuser der Kaufleute brauchen immer kräftige Männer, die ihnen die Waren tragen können. Barenberg liegt am Fluss. Da machen viele Schiffe fest, die be- und entladen werden müssen. Auf diese Weise will ich mir so viel verdienen, dass ich zu einem Handwerker in die Lehre gehen kann.“

Wolfram hob die Augenbrauen. „Du hast dir das anscheinend alles ganz genau überlegt!“

„Natürlich! Hast du schon mal den Spruch gehört: Stadtluft macht frei?“, fragte Ortwin.

Wolfram schüttelte den Kopf. „Nein, noch nie. Was ist damit gemeint?“

„Wenn ein leibeigener Bauer, der sein Land nicht ohne Erlaubnis seines Herrn verlassen darf, ein Jahr und einen Tag innerhalb der Stadtmauern lebt, gilt er als frei!“ Er seufzte und sein Gesicht machte jetzt einen etwas traurigeren Eindruck. „Das war zumindest mein Traum. Aber daraus ist nichts geworden und jetzt sitze ich hier auf unbestimmte Zeit in diesem Loch.“

„Baron Norbert hat Angst, dass andere Bauernsöhne es dir nachmachen könnten!“, gab Wolfram zu bedenken.

„Ja, aber warum sollten sie das denn nicht? Wenn sich nur wenige Bauern das Land teilen müssten, kämen alle besser über die Runden! Ich verstehe Baron Norbert nicht. Er hätte mir ruhig erlauben können, das Land zu verlassen!“

Wolfram setzte sich auf den Boden und ließ die Beine in die Grube baumeln. „Erzähl mir mehr von dem Leben in der Stadt, das du dir erträumt hast. Du hast gesagt, du wolltest ein Handwerk lernen. Welches?“

Ortwin zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich noch nicht.

Vielleicht Bäcker. Brot braucht man immer und daher hat ein Bäcker immer sein Auskommen. Das Schmiedehandwerk ist auch nicht schlecht, aber im Sommer an dem heißen Ofen zu stehen, stelle ich mir sehr anstrengend vor. Eigentlich ist es aber auch ganz egal. Ich würde zu jedem Meister gehen, der mich als Lehrling annimmt. Aber dazu müsste ich natürlich erst das Lehrgeld angespart haben... Später hätte ich dann vielleicht eine eigene Werkstatt. Wusstest du, dass in der Stadt alle Meister eines Handwerks in einer Straße wohnen?“

„Nein.“

„Es gibt eine Straße für Bäcker, eine für Schmiede, eine für Weber und so weiter.“

„Woher weißt du das alles? Man könnte ja fast meinen, dass du schon mal da gewesen wärst!“

„Ich weiß es nur von den Gauklern, die jedes Jahr nach Wildenstein kommen. Die machen ihre Vorführungen nämlich auch in der Stadt. Meistens hat die Truppe bei uns im Dorf übernachtet, wenn sie nach Wildenstein kam, denn in der Burg wollte sie niemand haben.“

Gaukler genossen kein hohes Ansehen, weswegen in der Burg bisher auch niemand bereit gewesen war, ihnen eine Unterkunft zu geben. Daher kampierten sie oft in den umliegenden Dörfern.

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Erst am übernächsten Tag bekam Wolfram erneut den Auftrag, dem Gefangenen das Essen zu bringen. Wolfram nutzte die Gelegenheit, um sich erneut mit ihm zu unterhalten und Ortwin erzählte von den Dingen, die ihm die Gaukler aus der Stadt berichtet hatten.

„Es ist einfach mein Traum, ein Handwerker zu werden und etwas herzustellen, das wertvoll und nützlich ist, sodass es hinterher auf dem Markt verkauft werden kann!“, sagte der Junge. „Nur leider wird dieser Traum wohl noch etwas auf sich warten lassen. Hast du eine Ahnung, wann der Burgherr mir den Prozess machen wird?“

„Ich habe ihn sagen hören, dass er dir vielleicht gar keinen Prozess macht“, erklärte Wolfram.

„Oh, das scheint mir ein gutes Zeichen zu ein!“, erwiderte Ortwein und in seine Augen trat ein strahlender Ausdruck.

„Ich glaube nicht, dass das so gut ist“, schränkte Wolfram die Worte des Jungen ein. Er wagte es kaum, Ortwin die Wahrheit zu sagen, aber andererseits hatte es auch keinen Sinn, ihm etwas zu verschweigen.

Wolfram schluckte. „Er meint, du bräuchtest keinen Prozess, weil du sowieso schuldig wärst!“

„Keinen Prozess?“ Ortwin war außer sich vor Verzweiflung.

Man konnte ihm ansehen, dass jetzt offenbar die letzte Hoffnung in ihm geschwunden war. „Wie soll ich denn je auf Gnade hoffen können und die Dinge so darstellen, wie sie wirklich waren? Das macht alles noch viel schwieriger.“

„Ich könnte versuchen, mit ihm zu reden!“, schlug Wolfram vor, dem der Junge in der Grube inzwischen sehr Leid tat.

Schließlich war Ortwin in seinen Augen kein Verbrecher, sondern ein verzweifelter Junge, der irgendwie versuchte, einen Platz zu finden.

„Ich glaube kaum, dass Baron Norbert auf dich oder jemand anderen hören wird!“, glaubte Ortwin. „Er hat in dieser Sache einfach seine vorgefasste Meinung und denkt, dass die gesamte Ordnung zusammenbricht, wenn einer nicht an den Platz geht, der ihm vorausbestimmt wurde!“

Kerkermeister Bertold trat jetzt ein.

Im Stall gab es im Moment wohl nichts zu tun, sodass er sich im Moment der Beaufsichtigung des Kerkers widmen konnte.

„Baron Norbert sieht es nicht gerne, wenn jemand zu lange mit dem Gefangenen spricht“, erklärte er. „Darauf hat er mich extra hingewiesen.“

„Ich glaube, ich habe hier auch alles erledigt“, antwortete Wolfram.

„Das nächste Mal, sag mir doch bitte Bescheid, bevor du dem Gefangenen das Essen bringst.“

„Weshalb?“

Bertold druckste etwas herum, aber dann kam der Grund an den Tag. „Nun, meiner Ansicht nach ist es viel zu viel, was dieser Bauernjunge bekommt! Bevor du ihm den Korb hinunterlässt, würde ich gerne auch mal hineinschauen und sehen, was ich vielleicht für mich nehmen kann.“

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8

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Später beobachtete Wolfram, wie Ansgar erneut mit der Lanze trainierte. Allerdings hatte Ritter Ferdinand ihm und ein paar anderen Knappen nun eine deutlich schwierigere Aufgabe gestellt, als einfach nur einen Sandsack im Vorbeireiten zu treffen.

Im inneren Burghof war eine sogenannte Stechpuppe aufgestellt worden. Sie hatte zwei Holzarme. An dem einen war ein Sandsack befestigt, der an einer Kette herabhing. Auf der anderen Seite befand sich ein Holzschild, so ähnlich, wie es die Ritter in der Schlacht oder beim Turnier trugen, um sich gegen die Schläge des Gegners zu schützen.

Auf diesem Schild war eine runde, blau leuchtende Markierung.

Dort musste Ansgar mit seiner Lanze treffen.

Die Stechpuppe drehte sich zur Seite, sobald der Reiter seine Lanze gegen den markierten Punkt stieß. Allerdings musste der betreffende Reiter höllisch aufpassen. Wenn er nicht schnell genug war oder sich duckte, schleuderte der Sandsack herum und traf den Knappen in Kopfhöhe – ganz so, als würde der Gegner zurückschlagen.

Unter Umständen konnte der heranstürmende Reiter sogar aus dem Sattel geschleudert werden.

Alle Knappen, die es vor Ansgar versucht hatten, waren durch einen mehr oder weniger kräftigen Schlag des Sandsacks getroffen worden.

„Ja, glaubt ihr, euer Gegner würde sich nicht wehren?“, meinte Ferdinand von Walden dazu.

Wolfram setzte sich auf die Stufen des Palas und sah eine Weile zu. Aber so interessant er normalerweise das Training der Knappen auch fand, im Moment konnte er sich darauf kaum konzentrieren.

Es gingen ihm zu viele Gedanken durch den Kopf.

Gedanken, die mit dem Gefangenen Ortwin zu tun hatten.

Eigentlich wollte er die gerne mit jemandem besprechen und der einzige, der dafür in Frage kam, war Ansgar. Aber der hatte wohl noch eine Weile mit Stechpuppe und Lanze zu tun.

Erneut wurde einer der Knappen durch den Sandsack getroffen.

Der Schlag traf ihn von hinten an der Schulter, sodass er kopfüber vom Pferd flog und auf dem Boden landete.

Dann war Ansgar dran.

Ferdinand von Walden ließ ihn auf sein Pferd steigen, das heute die volle Turnierausrüstung trug. Dazu gehörte neben dem Sattel auch ein Kopfpanzer und ein langes, beim reiten wehendes Satteltuch, das mit dem Wappen des jeweiligen Ritters versehen war. Man nannte es die Schabracke.

Eigentlich hatte Ferdinand gedacht, die Knappen durch das Anlegen der Turnierausrüstung zu besseren Leistungen anspornen zu können. Aber das klappte offenbar nicht.

Ansgar klemmte sich die Lanze unter den Arm.

„Immer schön hoch halten!“, ermahnte ihn Ferdinand.

„Ja, Herr!“

Ansgar wirkte sehr konzentriert.

Vom inneren Burgtor aus ritt er los. Das Pferd kam in den Galopp und die Lanze traf genau in den markierten Kreis auf dem Schild. Die Stechpuppe drehte sich. Der Sandsack schleuderte durch die Luft. Aber Ansgar war schneller als die anderen Jungen.

Und doch noch nicht schnell genug.

Er duckte sich nach vorn, über den Sattelknauf.

Der Sack wirbelte an seinem Rücken vorbei, erwischte aber noch den nach hinten überstehenden Holzschaft der Lanze. Ansgar konnte sie nicht mehr halten. Sie krachte auf den Boden. Ansgar zügelte das Pferd, während Ritter Ferdinand die Lanze vom Boden aufhob und daraufhin überprüfte, ob sie beschädigt war. Mit einer angebrochenen Lanze, die dann leicht brach und splitterte, wurde nämlich selbst ein Übungskampf zu einer gefährlichen Angelegenheit.

Aber es schien alles in Ordnung zu sein.

„Tut mir Leid, Ritter Ferdinand. Ich habe mein Bestes gegen!“, rief Ansgar.

„Das habe ich gesehen – und es war ja auch fast gut genug“, lächelte Ferdinand.

„Aber nur fast!“, knurrte Ansgar.

„Das wird schon!“, versuchte Ferdinand Zuversicht auszustrahlen. „Wie heißt es so schön: Übung macht den Meister!“

„Darf ich es mal probieren?“, wandte sich jetzt Wolfram an Ferdinand.

Der Ritter sah ihn erstaunt an.

„Du?“

„Warum denn nicht? Schließlich habe ich mir gestern das Training schon die ganze Zeit über angesehen und genau verfolgt.

Glaubt mir, Ritter Ferdinand, im Geiste bin ich jedes Mal mit geritten! Und so perfekt waren Eure Schüler bis jetzt schließlich auch nicht!“

Ferdinand seufzte.

„Du bist zwar ziemlich kräftig gebaut für dein Alter, aber...“

„Ich bitte Euch! Was kann schon passieren?“

„Gut, dann probiere es! Aber beschwer dich nicht, wenn du später ein paar blaue Flecken hast! Dann möchte ich dich nicht jammern hören.“

„Angeber!“, meinte einer der anderen Knappen. Wolfram wusste nicht, wer von ihnen es gewesen war – nur dass es Ansgar nicht sein konnte, das stand für ihn fest. Schließlich konnte er sich auf den verlassen. Auch wenn sie manchmal heftig miteinander in Streit waren, hätte doch keiner von ihnen den anderen beleidigt, wenn andere dabei gewesen wären.

Da hielten sie zusammen wie Pech und Schwefel.

Wenig später kletterte Wolfram in den Sattel des Pferdes. Da Streitrösser sehr groß und kräftig waren, weil sie sonst einen voll ausstaffierten Ritters samt seiner Rüstung nicht lange hätten tragen können, war das für einen Elfjährigen gar nicht so einfach.

Wolfram saß schließlich im Sattel.

Von Ritter Ferdinand bekam er die Lanze, die er sich genau so unter den Arm klemmte, wie Wolfram es bei den anderen Jungen beobachtet hatte.

„Es geht darum, dass du es schaffst, das Pferd schnell genug werden zu lassen“, erklärte Ferdinand. „Denn aus dieser Geschwindigkeit kommt deine Kraft, mit der du im Turnier den Gegner aus dem Sattel hebst. Und bei der Stechpuppe schützt sie dich vor dem Schlag mit dem Sandsack!“

Dann ging es los. Wolfram trieb das Pferd voran. Das Streitross geriet in den Galopp. Der Hufschlag des mächtigen Tiers erschien Wolfram wie ein dumpfer Donner.

Immer näher und näher rückte der Schild der Stechpuppe.

Wolfram traf ihn genau in der Markierung.

Die Rache der Stechpuppe folgte postwendend.

Der Sandsack wirbelte durch die Luft, aber er traf Wolfram nicht mehr. Er berührte weder Wolframs Rücken noch den Lanzenschaft, sondern schlug einfach ins Leere, sodass die Stechpuppe sich durch die Wucht des Lanzenstichs noch einmal ganz um sich selbst drehte.

Wolfram zügelte das Pferd.

Ritter Ferdinand nahm ihm die Lanze ab und sagte: „Großartig!

Wer hätte das gedacht? Der Kleinste macht es allen vor!“ Die Knappen maulten herum, dass das alles nicht mit rechten Dingen zugehen würde.

Ansgar zögerte zunächst.

Dann klatschte er in die Hände. „Gut gemacht!“, rief er, woraufhin ihn die anderen Knappen erstaunt ansahen.

Ferdinand von Walden legte Ansgar anerkennend seine Hand auf die Schulter.

„Die Stechpuppe hat dir zwar die Lanze aus der Hand schlagen können – aber in anderer Hinsicht hast du wahre Größe bewiesen.

Denn es gehört auch zur Ritterlichkeit, dass man anerkennt, wenn ein Anderer besser ist als man selbst!“

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Das Training war beendet und einer der Knappen bekam den Auftrag, das Schlachtross in den Stall zu bringen und abzusatteln.

Wolfram wandte sich an Ansgar. „Ich muss mit dir reden“, eröffnete er.

„Worum geht es?“

„Um den Gefangenen Ortwin. Aber lass uns das nicht hier besprechen, sondern ein Stück zur Seite gehen.“

„Gut.“

Die beiden Freunde gingen durch das innere Burgtor auf den äußeren Burghof. Dort hörte ihnen niemand zu.

„Ich habe mich länger mit Ortwin unterhalten“, berichtete Wolfram. „Er hat mir von dem Leben in der Stadt erzählt, dass er sich erträumt. Du weißt, dass ich Baron Norbert als noblen Burgherrn und Ritter schätze. Aber ich finde, dass er in diesem Fall einfach nicht richtig entschieden hat. Er macht ihm noch nicht einmal den Prozess! Der arme Kerl weiß überhaupt nicht, wie lange er noch in der Schmachtgrube hocken soll. Vielleicht ein Jahr, vielleicht kommt er nie frei oder man begnadigt ihn, wenn der Baron einen anderen Gefangenen hat und das Loch frei haben muss!“

„Aber so ist das nun mal. Der Baron hat das Recht dazu!“, gab Ansgar zu bedenken.

„Ich weiß ja nicht viel über die Stadt“, bekannte Wolfram.

„Aber auch die Handwerker bei uns in der Gegend nehmen nur junge Lehrlinge an.“

„Weil die leichter lernen!“

„Am Ende wird Ortwin gar nichts mehr lernen können, weil er zu lange im Kerker gesessen hat! Ist das richtig?“ Ansgar rang mit den Armen. „Was du dir alles für Gedanken machst! Falls Ortwin irgendwann freikommt, wird er wahrscheinlich wieder als leibeigener Bauer auf dem Feld arbeiten

– wie bisher.“ Der Knappe runzelte die Stirn und sah Wolfram fragend an, bevor er nach einer kurzen Pause schließlich fort fuhr:

„Sag mal, hast du dich mit dem Kerl etwa angefreundet?“

„Na ja, ein bisschen schon. Ich finde, dass man ihm helfen sollte.“

Das Entsetzen stand Ansgar ins Gesicht geschrieben. „Du bist nicht bei Trost! Meinst du etwa, dass man Ortwin zur Flucht verhelfen sollte?“

„Es ist überhaupt kein Risiko dabei“, war Wolfram überzeugt.

„Kein Risiko?“, rief Ansgar – schier außer sich, so dass Wolfram ihn etwas beschwichtigen musste, damit er leiser sprach.

Ein paar Wäscherinnen, die mit ihren Körben voller Schmutzwäsche über den äußeren Burghof gingen, drehten sich bereits um und hörten damit auf, sich zu unterhalten.

Die beiden Jungen warteten, bis die Wäscherinnen ein Stück weitergegangen waren, ehe sie ihre Unterhaltung fortsetzen.

„Es ist doch ganz einfach! Der Kerkermeister ist doch häufig gar nicht in seinem Turm und Baron Norbert wird auch keine Wachen aufstellen, um einen Bauernjungen zu bewachen, der sowieso nicht allein aus seinem Loch herauskommen kann.“

„Und dann willst du ihm einfach die Leiter hinunterreichen, damit er verschwinden kann!“

„Ja.“

„Hast du auch darüber nachgedacht, dass die Burgmannen Ortwin sofort wieder einfangen würden? Schließlich wissen sie doch, dass er nach Barenberg will und kennen daher seinen Weg.

Und was glaubst du, wie ärgerlich Baron Norbert dann sein wird!

Ich glaube nicht, dass Ortwin dann noch begnadigt werden kann – und abgesehen davon, wird Ortwin vielleicht verraten, wer ihm geholfen hat!“

„Ich habe über all diese Dinge nachgedacht“, entgegnete Wolfram.

„Dann bist du dir vielleicht auch darüber im Klaren, dass es das Ende unserer Ritterausbildung bedeuten könnte, falls herauskommt, dass wir dem Gefangenen geholfen haben!“

„Sie werden Ortwin nicht ein zweites Mal gefangen nehmen können!“, widersprach Wolfram. „Jedenfalls nicht, wenn er einen anderen Weg nimmt. Er wird zwar viel länger unterwegs sein, aber niemand wird ihn finden! Ich habe mir das genau überlegt! Und eigentlich brauche ich auch nur noch jemanden, der mir hilft.“

„Ich weiß nicht...“

„Ansgar! Du müsstest Ortwin doch am besten verstehen!“ Ansgar schluckte. Er wusste natürlich ganz genau worauf Wolfram anspielte. Es war erst ein paar Monate her, als Ansgar von Raubrittern entführt und auf deren Burg eine ganze Weile gefangen gehalten worden war. Somit wusste er also nur zu gut, wie es sich anfühlte, Tag für Tag in einem kalten, feuchten Kerker zubringen zu müssen.

Ansgar seufzte.

Man konnte ihm ansehen, dass er sich bei der Sache nicht wohl fühlte. Aber dann gab er sich einen Ruck. „Gut, ich helfe dir“, versprach er. „Aber wenn wir erwischt werden, schickt uns Baron Norbert garantiert zu unseren Eltern zurück. Unsere Ritterausbildung ist dann wahrscheinlich ein für allemal zu Ende, denn so etwas spricht sich unter der Ritterschaft schnell herum.

Deshalb findet sich wahrscheinlich dann keine andere Burg mehr, auf der wir die Ausbildung fortsetzen könnten.“

„Ach, Ansgar! Man muss ja nicht ganz so schwarzsehen.“

„Wir werden als nutzlose Junker enden!“

Junker nannte man Söhne von Adeligen, die aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage waren, die Ausbildung zum Ritter zu absolvieren. Meistens deshalb, weil sie auf Grund von Krankheiten oder Behinderungen nicht reiten oder mit dem Schwert zu kämpfen konnten. Der Gedanke daran, dass es vielleicht das Ende ihres großen Traums bedeutete, Ritter zu werden, wenn sie Ortwin halfen, ließ Wolfram noch einmal kurz nachdenken. Aber an seiner Entscheidung änderte das nichts.

„Was wären wir denn für Ritter, wenn wir nicht auch mal Mut zeigen würden?“, gab er zurück. „Außerdem heißt es doch immer, dass es ritterlich sei, die Schwachen zu schützen! Und der Allerschwächste ist auf Burg Wildenstein im Moment der Gefangene Ortwin!“

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Die Gewohnheiten des Kerkermeisters kundschaftete Wolfram an den nächsten Tagen aus. Am Abend sah er immer noch einmal nach, ob mit dem Gefangenen alles in Ordnung war. Aber da es in den Nächten noch sehr kalt sein konnte, schlief er nicht auf dem Strohsack, der für ihn im Turm bereitlag. Es war ihm wohl einfach zu ungemütlich dort. Stattdessen verbrachte er die Nächte im Pferdestall. Die Körperwärme der Tiere sorgte nämlich dafür, dass es dort erheblich angenehmer war. Außerdem waren die Ställe aus Holz und nicht aus kaltem Stein.

Nach Mitternacht war nicht mehr damit zu rechnen, dass Kerkermeister Bertold zum Gefangenturm zurückkehrte.

Natürlich hielten die ganze Nacht über Burgmannen auf den Wehrgängen und den Wachttürmen Ausschau nach Feinden, die sich vielleicht im Schutz der Dunkelheit der Burg näherten. Aber erstens konzentrierte sich deren Aufmerksamkeit mehr auf die Umgebung und nicht auf das, was innerhalb der Burgmauern geschah. Und zweitens war bekannt, dass viele von ihnen ihre Pflichten nicht sonderlich genau nahmen und besonders in den frühen Morgenstunden einschliefen.

Ansgar und Wolfram schlichen sich nach Mitternacht zum Gefangenenturm. Ansgar musste draußen Wache halten und Wolfram durch einen Pfiff warnen, falls sich wider Erwarten doch jemand dem Gefangenenturm nähern sollte.

Vorsichtig schlich Wolfram den dunklen Korridor entlang. Er konnte kaum etwa sehen und musste den an der Wand hängenden Schlüssel für die zweite Tür fast blind ertasten.

Er trat auf irgendetwas Weiches. Mit einem quietschenden Laut bewegte sich etwas über den Boden. Wahrscheinlich hatten die Ratten gedacht, um diese Zeit das Gebäude für sich zu haben.

Vorsichtig öffnete Wolfram die zweite Tür. Sie knarrte. Das war ihm am Tag gar nicht so aufgefallen, weil es da nicht so still auf der Burg gewesen war.

Dann trat er an die Grube. Nur in eine Ecke fiel durch die hohen Turmfenster ein bisschen Mondlicht, ansonsten war es so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte.

Wolfram schob die Leiter in die Tiefe.

„Ortwin!“, wisperte er. „Wach auf!“

In der Dunkelheit bewegte sich etwas. Ortwin trat ins Mondlicht und blinzelte.

„Was machst du denn hier? Hat der Küchenmeister die Essenzeit auf mitten in der Nacht verlegt oder bekomme ich jetzt meine Henkersmahlzeit, weil sich Baron Norbert überlegt hat, dass er mich am besten hinrichten lässt?“

„Nun übertreib mal nicht!“, meinte Wolfram.

„Oh, das ist keineswegs übertrieben! Von den Gauklern weiß ich, dass andere Burgherren flüchtige Bauern manchmal auch hinrichten lassen!“

„Dich ganz bestimmt nicht, denn du bist ab jetzt wieder frei.“

„Frei?“, lachte Ortwin. „Frei war ich noch nie, Wolfram. Von Geburt an war ich ein Leibeigner - auch wenn jemand wie du es sich vielleicht nicht so richtig vorstellen kann, was das bedeutet!“

„Ab heute bist du frei“, erwiderte Wolfram und deutete auf die Leiter. „Jedenfalls, wenn du es schaffst, bis in die Stadt zu kommen und ein Jahr und einen Tag zu bleiben.“

In knappen Worten erzählte Wolfram, was er geplant hatte und Ortwin ließ sich nicht lange bitten. Er stieg die Leiter hoch.

Gemeinsam verließen sie den Gefangenenturm. Draußen hielt Ansgar noch immer Wache.

„Alles in Ordnung“, wisperte der Knappe.

„Und wie soll es jetzt weitergehen?“, fragte Ortwin.

„Wir gehen zur Nordseite der Burg“, erklärte Ansgar. „Da sind die wenigsten Wachen. Ich habe ein Seil dabei, an dem du die Mauer hinunterklettern musst.“

„Für den Weg habe ich dir eine Zeichnung gemacht“, ergänzte Wolfram. „Du musst dich Richtung Norden halten, bis du auf den Fluss triffst. Dem folgst du dann stromaufwärts bis Barenberg. Du kannst die Stadt eigentlich nicht verfehlen.“

„Aber das muss ein Riesenumweg sein!“, meinte Ortwin.

„Natürlich ist es ein Umweg!“, gestand Wolfram zu. „Aber es wird dich dort auch niemand suchen. Jedenfalls nicht schnell genug, um dich noch finden zu können.“

„Das hast du dir ja großartig ausgedacht!“, stieß Ortwin hervor.

Er sah Wolfram an. „Danke für alles!“

„Ich hoffe, dein Traum, eines Tages ein Handwerksmeister mit eigener Werkstatt zu sein, geht in Erfüllung!“, erwiderte Wolfram.

Die drei Jungen schlichen zur Nordseite der Burg und stiegen zu dem breiten Wehrgang hinauf. Einer der Burgmannen saß schnarchend gegen die dicke Mauer gelehnt da. Seine Hellebarde lag neben ihm.

„Lasst uns den guten Mann auf keinen Fall stören!“, murmelte Ansgar leise.

Er befestigte das Seil an einer der Steinzinnen und ließ es hinunter.

Ortwin verabschiedete sich noch einmal und kletterte in die Tiefe. Für kurze Zeit sahen sie ihn noch, wie er im Mondlicht über die Wiesen lief.

„Ich wünsche ihm viel Glück!“, sagte Wolfram.

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Es dauerte bis zum frühen Nachmittag des folgenden Tages, ehe es Kerkermeister Bertold überhaupt auffiel, dass der Gefangene nicht mehr in seinem Loch kauerte.

Natürlich wurden die Burgmannen alarmiert, die zunächst überall auf Burg Wildenstein nach ihm Ausschau hielten. Aber Ortwin war nirgends zu finden.

Baron Norbert war außer sich vor Ärger – aber weder Wolfram noch Ansgar ließen sich irgendetwas anmerken.

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738918878
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (März)
Schlagworte
gefangen stadt

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Gefangen in der belagerten Stadt