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Die Drachen-Attacke

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2018 180 Seiten

Zusammenfassung

Drachen-Attacke!
Die wilden Orks 3

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 163 Taschenbuchseiten.

Prinz Candric ist gemeinsam mit dem Elbenkrieger Lirandil und dem Magier Asanil unterwegs zur Drachenküste, um herauszufinden, warum es kaum noch versteinerte Dracheneier gibt. Und dann kommt es wieder zum magischen Seelentausch zwischen Candric und dem Ork Rhomroor ... Im Körper seines Ork-Freundes begegnet der junge Prinz einer Horde uralter, riesenhafter Drachen, die ganz Athranor bedroht

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Drachen-Attacke!

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Die wilden Orks 3

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 163 Taschenbuchseiten.

Prinz Candric ist gemeinsam mit dem Elbenkrieger Lirandil und dem Magier Asanil unterwegs zur Drachenküste, um herauszufinden, warum es kaum noch versteinerte Dracheneier gibt. Und dann kommt es wieder zum magischen Seelentausch zwischen Candric und dem Ork Rhomroor ... Im Körper seines Ork-Freundes begegnet der junge Prinz einer Horde uralter, riesenhafter Drachen, die ganz Athranor bedroht

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author / Cover: Agentur Munsonius

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Die Flügel der Riesenlibelle surrten. Candric, der junge Prinz von Aladar, klammerte sich an dem riesenhaften Insekt fest, das plötzlich in die Höhe schoss.

„Haltet sie zurück! Fasst sie hinter den Kopf und lenkt sie, mein Prinz!“, rief eine heisere Männerstimme, die schon nach wenigen Augenblicken kaum noch zu hören war.

Candric blickte nur kurz in die Tiefe. Fast wurde ihm schon von diesem einen Blick schwindelig. Er sah unter sich den Palast von Aladar mit seinen mächtigen Türmen und Mauern. Umgeben wurde dieser Palast von einer großen Stadt mit  ausgedehnten Hafenanlagen. Sie lag auf einer Flussinsel – dort, wo der rote Fluss sich teilte und ins Meer floss. Auf dem Westturm des Palastes standen Candrics Vater König Hadran und Batak, ein Hauptmann der königlichen Libellenreiter-Garde. Die meisten dieser Libellenreiter waren im weit entfernten Grenzgebirge zu den Ländern der Orks damit beschäftigt, darüber zu wachen, dass keine Orks die Grenze überschritten. Zwar herrschte momentan Waffenstillstand zwischen dem Königreich Beiderland und den Orks, aber das konnte sich im Handumdrehen ändern.

König Hadran war allerdings der Meinung, dass sein Sohn unbedingt lernen sollte, perfekt mit einer Riesenlibelle umgehen zu können. Und so hatte er Hauptmann Batak dazu abgestellt, mit dem jungen Thronfolger zu üben.

Candric freute das überhaupt nicht. Er hätte viel lieber in der Bibliothek gesessen und ein interessantes Buch gelesen. Auf dem Rücken einer Riesenlibelle zu sitzen und sich an deren Haaren festhalten zu müssen, um nicht in die Tiefe zu fallen, gefiel ihm überhaupt nicht. Ganz schwindelig konnte einem dabei werden. Und außerdem gehorchten manche der Riesenlibellen auch schlecht. Eigentlich sollten sie auf  leichten Druck an einer bestimmten Stelle hinter dem Kopf reagieren und ihre Flugbahn nach den Wünschen des Reiters ändern.

Aber manche dieser surrenden Biester versuchten offenbar auszuprobieren, wie viel sie sich gegenüber ihrem Reiter herausnehmen konnten.

„Candric! Du sitzt doch nicht zum ersten Mal auf einer Riesenlibelle!“, hörte er noch den Ruf seines Vaters.

Die Riesenlibelle machte einen scharfen Schwenk nach links, so dass Candric sich dicht an ihren Rücken pressen musste. Er war etwas überrascht, denn er hatte das völlig wie von selbst getan. Während die Riesenlibelle hinaus auf das Meer strebte, wurde ihm klar, woran das lag.

„Es ist doch genauso, als wenn du als Ork auf einer Hornechse sitzt und nicht herunterfallen willst!“, meldete sich eine Gedankenstimme.

Sie gehörte seinem Ork-Freund Rhomroor, mit dem er wegen eines Zauberfluchs immer bei Vollmond für einige Zeit den Körper tauschte. Dann wohnte die Seele des Königssohns im Körper eines wilden Orks, während die Seele des ungehobelten Orks Rhomroor gleichzeitig den Körper des eigentlich eher vorsichtigen jungen Prinzen bewohnte. Jeden der beiden hatte das schon in große Schwierigkeiten gebracht, aber sie hatten auch viel dabei gelernt. Vor allem waren sie Freunde geworden, wozu die Gedankenverbindung sicher beigetragen hatte, die stets bestand, wenn ihre Seelen im jeweils anderen Körper waren.

Dass auch jetzt diese Verbindung zustande kam, war ungewöhnlich.

„Verdammt, es ist doch noch gar nicht Vollmond!“, rief Candric laut aus, während die Riesenlibelle jetzt zu einem mörderischen Tiefflug ansetzte. Sie stürzte regelrecht herab, geradewegs auf das schäumende Meer zu. Candric griff nun beherzt in die Kerbe zwischen dem Kopf und dem Körper der Libelle – so, wie man es ihm gezeigt hatte. Aber irgendetwas stimmte mit dem Geschöpf einfach nicht. Es ließ sich nicht beruhigen.

Dicht über der Wasseroberfläche fing es seinen Sturz ab und schnellte dann im Tiefflug über das schäumende Meer. Das Wasser der Wellenkronen spritzte bis zu Candric hinauf und benetzte seine Schuhe und Hosenbeine.

„Es muss wahnsinnig geworden sein!“, ging es Candric durch den Kopf.

Abermals antwortete ihm die Gegenstimme seines Ork-Freundes Rhomroor. Candric konnte den hässlichen, schlammfarbenen Kerl mit vor seinem inneren Auge sehen, mit den vier Hauern, die aus seinem gewaltigen Maul herausragten und an denen noch die Reste der letzten Mahlzeit hingen.

„Mach es wie bei den Hornechsen!“, riet ihm die Stimme des Ork.

„Ach – aber den kleinen Unterschied zwischen einer Hornechse und einer Riesenlibelle hast du aber schon bemerkt ja? Letztere kann nämlich fliegen und das bedeutet, es ist noch sehr viel unangenehmer, von ihrem Rücken zu fallen, als es bei jeder Hornechse der Fall ist!“

„Auch Riesenlibellen werden müde, Candric! Lass sie sich austoben und halt dich fest. Dann wirst du sie irgendwann wieder unter deine Kontrolle bekommen und kannst vielleicht sogar herausfinden, was sie so wild gemacht hat!“

Die Gedanken des Orks machten auf Candric einen überraschend besonnenen und vernünftigen Eindruck. Also entschied sich der Königssohn dafür, diesem Rat zu folgen. Es blieb ihm ohnehin keine andere Möglichkeit. Alles, was man Candric inzwischen über die Lenkung von Riesenlibellen beigebracht hatte, schien im Moment sowieso nicht zu funktionieren. Wenn Candric die Druckpunkte am Hals berührte, reagierte das Tier überhaupt nicht. Zumindest nicht auf die Weise, wie es eigentlich sein sollte.

Springfische schnellten aus den Fluten empor. Sie waren etwa so lang wie Candrics Arme und schnappten nach der Riesenlibelle, die dadurch erneut aufgescheucht wurde. Fluchtartig stob sie in die Höhe. Die Springfische schossen zu Dutzenden aus dem Wasser. Ein ganzer Schwarm schien dicht unter der Meeresoberfläche auf Beute gelauert zu haben. Normalerweise hatten sie es auf Möwen abgesehen, aber offenbar waren sie nicht besonders wählerisch.

Einer von ihnen erwischte Candric am Fuß. Die nadelspitzen Zähne drangen durch das Leder seines Stiefels und rissen ihn dem Prinzen vom Fuß. Aber da war die Riesenlibelle auch schon so hoch, dass selbst die kräftigsten unter den Springfischen Candric nicht mehr erreichen konnten. Ein schrilles Geräusch ging jetzt von dem Tier aus. Es schien durch die Begegnung mit den Springfischen noch aufgeregter zu sein.

„Lass das Tier sich austoben – oder warte ab, bis wir die Körper und Seelen tauschen!“, meldete sich noch einmal die Gedankenstimme des Orks zu Wort. „Ich kriege das bestimmt hin!“

„Aber es ist doch noch gar nicht Vollmond!“, gab Candric in Gedanken zurück. Er war ärgerlich. Auf keinen Fall wollte er, dass Rhomroor diese Riesenlibelle für ihn bändigte.

„Wer weiß, vielleicht findet der Austausch diesmal früher statt!“, meinte Rhomroor. „Wer sagt, dass er immer genau zu Vollmond geschehen muss – und die Tatsache, dass wir jetzt schon eine Gedankenverbindung haben, muss doch auch einen Grund haben!“

„Wenn du mich jetzt freundlicherweise nicht mit deinen Ork-Gedanken ablenken würdest!“, erwiderte Candric.

Er versuchte sich auf das zu konzentrieren, was man ihm über die Lenkung von Riesenlibellen beigebracht hatte. Beherzt griff er nun mit beiden Händen an die Vertiefung hinter dem Kopf des Reittieres. Er versuchte es zurück in Richtung des Palastes von Aladar zu lenken – und tatsächlich reagierte die Riesenlibelle diesmal.

Sie flog einen Bogen und hielt dann geradewegs auf den Turm zu, auf dem König Hadran und Hauptmann Batak standen und noch immer besorgt nach dem Prinzen Ausschau hielten.

Die Flugbahn der Riesenlibelle senkte sich. Eigentlich hatte Candric vorgehabt, auf jenem Turm zu landen, von dem aus er auch gestartet war.

Aber die Riesenlibelle schien anderes im Sinn zu haben. Sie schoss so tief über den Turm hinweg, dass König Hadran und Hauptmann Batak sich zu Boden werfen mussten, um nicht umgerissen zu werden.

Unter sich sah Candric den gepflasterten inneren Palasthof. An den Zinnen der inneren Burgmauer bemerkte er Kara, seine Freundin und Vertraute, mit der er sich oft in der Bibliothek traf und die als erste bemerkt hatte, dass etwas mit ihm nicht stimmte, als Rhomroors Ork-Seele zum ersten Mal seinen Körper übernommen hatte.

Neben ihr befand sich der hochgewachsene Elbenkrieger Lirandil. Der Fährtensucher aus dem Fernen Elbenreich weilte schon ziemlich lang am Hof von König Hadran. Aber da Elben so langlebig waren, dass man sie im Vergleich zu Menschen schon fast als unsterblich bezeichnen konnte, kam ihm die vergangene Zeit, die er schon in Aladar verlebt hatte, wohl gar nicht so lang vor.

Der Elbenkrieger streckte seine Hand aus. Was sich in der Handfläche befand, konnte Candric so schnell nicht erkennen.

Die Riesenlibelle ließ sich zuerst scheinbar in die Tiefe fallen, fing sich dann aber wieder und landete schließlich im inneren Burghof des Palastes – nur ein paar Schritte von Lirandil entfernt.

Candric warf sich zur Seite und rollte sich auf dem Boden ab. Schließlich wollte er keinen Augenblick länger als unbedingt nötig auf dem Rücken dieser anscheinend verrückt gewordenen Riesenlibelle bleiben! Womöglich fiel es diesem Biest gleich wieder ein, aufzusteigen und ihn auf einen Flug ins Ungewisse mitzunehmen! Es reichte, dass ihm die Springfische einen Stiefel vom Fuß gezogen hatten! Auf ein weiteres Erlebnis dieser Art konnte er getrost verzichten!

Kara lief auf ihn zu. Das Mädchen war genau wie Prinz Candric zehn Jahre alt und die Tochter eines wichtigen Hofbeamten. „Ist dir was passiert?“, rief sie.

Candrics Schulter schmerzte etwas.

„Ich habe wohl vergessen, dass dies keine weiche Schlammgrube ist, in der sich Orks suhlen!“, dachte Candric.

„Sag bloß, du sehnst dich inzwischen danach, dich im Schlamm zu suhlen!“, meldeten sich Rhomroors Gedanken in Candrics Kopf. Außerdem hörte er dessen dröhnendes, von einem lauten Rülpsen unterbrochenes Gelächter in seinem Schädel widerhallen.

„Ich gebe zu, dass ein Leben als Ork auch ein paar Vorzüge hat!“, sagte Candric laut.

Kara sah ihn verwundert an und fasste ihn am Arm.

„Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?“

„Ja, klar!“

„Und mit wem redest du dann?“

Candric kam nicht dazu, ihr zu antworten. Sie wollte ihm aufhelfen, aber er hatte sich bereits aufgerappelt und starrte auf Lirandil.

Die Riesenlibelle war inzwischen vollkommen ruhig geworden. Die Flügel bewegten sich nicht mehr. Ihre Beißwerkzeuge am Kopf schabten noch leise gegeneinander, wurden aber immer leiser dabei. In Lirandils offener Hand befand sich ein  kleines Häufchen von einem schwarzen Pulver. Wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass von diesem Pulver Schwarzlicht ausging. Der Fährtensucher murmelte dabei in paar Worte in der Elbensprache. Zauberworte!, erkannte Candric. Jedenfalls schienen sie auf die Riesenlibelle eine äußerst beruhigende Wirkung zu haben.

Lirandil trat auf das am Boden kauernde Tier zu. Plötzlich schoss eine schwarze Stichflamme aus dem Pulverhäufchen empor. Sie reichte höher als der höchste Turm von Aladar und verlor sich schließlich im strahlend blauen Himmel über der Hauptstadt des Königreichs Beiderland. Im nächsten Augenblick war mehr als die Hälfte des schwarzen Pulvers verschwunden. Nur noch ein kleiner Rest war geblieben.

Inzwischen waren König Hadran und Hauptmann Batak vom Turm herabgekommen. Und auch Königin Taleena war aus dem Palast geeilt – so wie viele Bedienstete. Sie alle hatten den Sturzflug des Königssohns gesehen und sich natürlich Sorgen gemacht.

Lirandil verstreute inzwischen den Rest des schwarz leuchtenden Pulvers über dem Kopf der Libelle, die nun in sich zusammensackte und regungslos auf dem Boden liegen blieb.

„Was habt Ihr da getan?“, fragte Prinz Candric und näherte sich dabei dem Fährtensucher.

Lirandil hob den Kopf und sah Candric mit seinen schräg gestellten Augen an. „Ich habe dich vor dem Wahnsinn dieser Reitlibelle gerettet“, erklärte der Elb. Er beugte sich nieder und berührte die Libelle leicht am Kopf. Dabei murmelte erneut ein paar jener Zauberworte in elbischer Sprache, die Candric zuvor schon bei ihm gehört hatte. „Ganz typisch!“, sagte er dann und nickte leicht, während er die Libelle eingehend betrachtete. Elbenaugen waren sehr viel schärfer als die Augen von Menschen und so mochte es ein, dass Lirandil an dem Tier kleinste Einzelheiten auffielen, die jeder Mensch einfach übersehen hätte. „Ein geradezu typischer Fall von magischer Verwirrung“, fuhr Lirandil dann fort. „Die Libelle schläft jetzt eine Weile und wird dann erholt erwachen.“

„Magische Verwirrung?“, fragte Candric. „Was soll das sein, werter Lirandil?“

Lirandil lächelte. Der Wind fuhr ihm durch das bis auf die Schultern herabfallende Haar, sodass eines seiner spitzen Elbenohren deutlich hervorstach. „Viele Geschöpfe in der Natur reagieren mit Verwirrung auf magische Kräfte – vor allem wenn sie sehr plötzlich und unerwartet auftreten. Das Schwarze Salz aus den Höhlen des Elben-Gebirges hat sich in dieser Hinsicht schon oft als ein wirksames Mittel erwiesen.“

„Und was soll das für eine magische Kraft gewesen sein, die dieses Reittier so verwirrt hat?“, wandte sich nun Hauptmann Batak an den Fährtensucher.

„Die Gründe können vielfältig sein“, meinte Lirandil. „Ein unbedacht ausgesprochener Zauber zum Beispiel oder ein Fluch, der allzu lange nachwirkt und Pflanzen oder Tiere in Verwirrung stürzt. Bei meinen Streifzügen durch die Länder von Athranor habe ich das immer wieder erlebt. Auch viele Elben glauben oft, dass man bei einem Zauber immer so viel Magie wie möglich einsetzen sollte.“

„Stimmt das nicht?“, fragte Candric.

„Besser ist es, nur so viel wie nötig einzusetzen, denn sonst können andere Geschöpfe verwirrt werden. Manchmal sogar noch in großer Entfernung! Übrigens habe ich festgestellt, dass sich besonders die Zauber verhängnisvoll auswirken können, die sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen wiederholen!“

„Was soll das für ein Zauber gewesen sein?“, mischte sich König Hadran ein. „Gibt es hier am Hof etwa eine magische Verschwörung? Versuchen unsere Ork-Feinde vielleicht mal wieder irgendetwas, um uns das Leben schwer zu machen? Oder war das vielleicht sogar ein Anschlag auf den Thronfolger?“

Die Hoffnungen von ganz Beiderland ruhten auf Candric. Seine Mutter war die Königin von Sydien, sein Vater der König von Westanien und beide Königreiche waren nach deren Heirat zum Königreich Beiderland vereinigt worden. Allerdings war diese Vereinigung erst dann wirklich komplett, wenn Candric einst den Thron bestieg. Er würde der erste echte beiderländische König sein. Allerdings war allgemein bekannt, dass nicht alle Einwohner der zwei Länder von der Vereinigung begeistert waren. Schließlich hatte es früher auch Kriege zwischen Westanien und Sydien gegeben und manche erinnerten sich noch an diese Zeiten. Andere wiederum glaubten, dass jeweils ihr Land bei der Vereinigung benachteiligt und vom anderen unterdrückt würde. Wenn es aber keinen Thronfolger gab, dann standen die Chancen vielleicht gar nicht so schlecht dafür, das beide Länder sich wieder trennten.

Aber Lirandil glaubte nicht an diese Möglichkeit. Er schüttelte energisch den Kopf. „Nein, menschliche Magier sind im Allgemeinen zu unfähig, um mit Hilfe solcher Kräfte ein Attentat auf den Thronfolger zu Wege zu bringen!“

„So ein hochmütiger Elbenkrieger!“, entfuhr es Hauptmann Batak ärgerlich. „Ihr seht doch, dass es sein kann! Der junge Prinz ist beinahe vom Himmel gefallen – und das, obwohl ich ihm die zahmste Libelle gegeben habe, die ich zurzeit zur Verfügung habe! Und nicht eine von den neuen, dir frisch aus der fernen Libellenreiter-Stadt angeliefert wurden und deren Ausbildung erst noch verfeinert werden muss, bevor sie für den Einsatz in diesem für sie fremden Land taugen.“

„Mäßigt Euren Ton!“, schritt nun Candrics Mutter, die Königin von Sydien, ein. „Bedenkt, mit wem Ihr sprecht! Lirandil ist ein geschätzter Freund, Ratgeber und Gast unseres Königshauses!“

„Verzeiht, Majestät“, sagte der Libellenreiter-Hauptmann und verneigte sich. „Es ist nur so, dass mir aus meiner Heimat, der Stadt der Libellenreiter, einige fähige Menschen-Magier bekannt sind, die es durchaus mit den Magiern der Elben aufnehmen können!“

„Es war nicht meine Absicht, mich darüber zu streiten, ob Menschen oder Elben die besseren Magier in ihren Reihen haben“, erklärte Lirandil schließlich in aller Höflichkeit. „Es ging mir einzig und allein darum, der Ursache für das Verhalten dieser Riesenlibelle auf den Grund zu gehen.“

„Ich glaube, ich kenne diese Ursache für das, was Ihr eine magische Verwirrung genannt habt!“, mischte sich nun Candric ein. Der Fährtensucher hob die Augenbrauen.

„Ich bin gespannt!“

„Es muss damit zusammenhängen, dass eine Verwandlung bevorsteht!“

„Wie kommst du darauf?“

„Weil Rhomroors Gedankenstimme sich bei mir gemeldet hat.“

„Aber findet euer Seelentausch nicht immer zu Vollmond statt?“

„Wer sagt, dass das immer so sein muss, werter Lirandil? Und abgesehen davon kann es doch auch sein, dass vorher schon magische Kräfte wirksam werden, die diese Riesenlibelle irgendwie zu spüren vermochte!“

Lirandil nickte. „Ja, da magst du Recht haben. Das könnte tatsächlich die Ursache sein. Vielleicht solltest du dich in Zukunft nicht gerade dann auf einen Riesenlibellen-Ritt begeben, wenn eine Verwandlung bevorsteht!“

„Und ich wäre allen Beteiligten ausgesprochen dankbar, wenn diese Angelegenheit nicht hier, in aller Öffentlichkeit besprochen würde!“, fuhr nun König Hadran ziemlich ärgerlich dazwischen. Schließlich war die Tatsache, dass der Thronfolger des Königreichs Beiderland in regelmäßigen Abständen von einem wilden Ork beseelt wurde, bislang natürlich möglichst geheim gehalten worden. Abgesehen von dem Königspaar, Kara, Lirandil und dem Magier Asanil wusste niemand etwas davon. Es gab zwar Gerüchte bei Hof, was wohl die Ursache dafür war, dass der junge Königssohn sich ab und zu äußerst seltsam benahm, plötzlich kaum Tischmanieren kannte und mit Vorliebe mit den Söhnen der königlichen Ritter kämpfte. Und das, obwohl eigentlich allgemein bekannt war, dass der junge Prinz weder etwas von Prügeleien noch von den Übungskämpfen und Turnieren hielt, die für die Nachwuchsritter veranstaltet wurden. Stattdessen ging er eigentlich am liebsten in die Palastbibliothek, um dort in alten Schriften nach Geheimnissen zu forschen oder sich von spannenden Erzählungen aus längst vergangenen Zeiten gefangen nehmen zu lassen.

Candric blickte sich um.

Hauptmann Batak stand mit gerunzelter Stirn da. Er begriff wahrscheinlich nicht so genau, worüber Candric eigentlich gesprochen hatte, denn niemand hatte ihn in den Seelentausch des Prinzen eingeweiht. Aber nun machte er sich natürlich seine Gedanken, genau wie einige andere, die auch in der Nähe herumgestanden und Teile des Gesprächs mitbekommen hatten.

„Tja, es sieht wohl so als würde nicht nur ich mich an eurem Hof hin und wieder etwas danebenbenehmen“, meldete sich nun die Gedankenstimme Rhomroors. Candric glaubte in diesem Moment in seinem Kopf ein vergnügtes Rülpsen zu hören.

„Still, Ork!“, sagte Candric laut, woraufhin noch mehr besorgte Blicke auf ihn gerichtet wurden. Mit wem sprach der Prinz da, so fragten sich nicht wenige.

„Ich habe nicht ohne Grund Verbindung zu dir aufgenommen, Candric!“, vernahm Candric dann erneut die Gedankenstimme seines Ork-Freundes in seinem Kopf. „Und ich bin froh, dass es überhaupt geht ... Hier bei uns im Ork-Reich geht etwas sehr Seltsames vor sich! Etwas, worüber du Bescheid wissen solltest ...“

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2

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Rhomroor packte die Hornechse, auf deren Rücken er saß, bei den Hörnern und veranlasste sie dadurch endlich anzuhalten. Die Echse schnaubte und senkte den Kopf dabei. Aber sie gehorchte widerwillig.

Rhomroor blickte nach Nordwesten, wo eine Reihe von felsigen Anhöhen die Sicht versperrte. 

„Was ist jetzt wieder?“, fragte Brox, ein Ork, mit dem er sich viele Kämpfe geliefert hatte. Aber inzwischen konnten sich die beiden Orks ganz gut leiden. Davon abgesehen gehörten sie dem gleichen Ork-Stamm an – dem Stamm von Moraxx, der zugleich auch Anführer aller drei Orkländer war.

Rhomroor machte eine Handbewegung, mit der er seinem Begleiter bedeutete, still zu sein. Brox verzog daraufhin grimmig das Maul, aus dem spitze Hauer herausragten, wie es sich für einen Ork gehörte. Er lehnte sich auf seiner Hornechse nach vorn und schlug dem Tier seine Faust wie einen Hammer auf den Kopf. Daraufhin grunzte die Hornechse zufrieden. 

Hornechsen mochten das.

Es belebte sie und half ihnen auch nach einem langen Ritt wach zu bleiben. Aber vor allem machte es sie friedlich, denn sie mochten wohl auch den dumpfen, hohlen Klang ihrer eigenen Schädel. Seit Rhomroor die Länder der Menschen kennen gelernt hatte, erinnerte ihn dieser Klang an Trommeln, wie man sie auf den Märkten der großen Stadt Aladar hören konnte. Diese Trommeln bestanden aus einem Tonkrug, über dessen Öffnung eine Tierhaut gespannt wurde. Viele Töpfer und Händler, die ihre Krüge auf dem Markt von Aladar anboten, machten durch andauerndes Schlagen auf dieses gespannte Fell auf sich aufmerksam.

Brox stieg nun ebenfalls vom Rücken seines Reittieres. Er bemühte sich darum, möglichst geräuscharm zu atmen. Er zuckte die Schultern. Um ein Haar hätte er etwas gesagt, aber Rhomroors wilder Blick hielt ihn davon ab.

Dabei wunderte sich Rhomroor für einen Moment über sich selbst. Schließlich war Brox älter als er. Noch vor kurzem war Brox ihm in jeder Hinsicht überlegen gewesen – stärker, ausdauernder und wohl auch klüger. Jedenfalls hätte es Rhomroor sich bis vor kurzem niemals getraut, Brox eine solche Anweisung zu geben.

Wahrscheinlich hat mich die Zeit, die ich bei den Menschen verbracht habe, härter gemacht!, ging es Rhomroor durch den Kopf. Wer es geschafft hatte, unter den Menschen zu überleben, dem konnten ein paar lange Ork-Hauer oder Brox‘ gewaltige Pranken, mit denen er seine Axt schwang, keine Angst mehr einjagen, denn der hatte bereits das Schlimmste hinter sich!

Rhomroor kniete nieder und legte das Ohr an den Boden und Brox folgte nach einigem Zögern seinem Beispiel.

„Hörst du es?“, fragte Rhomroor schließlich leise.

„Sicher!“, gab Brox an, aber Rhomroor glaubte, dass er in Wahrheit noch gar nichts gehört hatte, das aber um keinen Preis der Welt zugegeben hätte.

Dann veränderte sich Brox' Gesicht. Es wurde zu einer Grimasse, so als müsste er sich ungeheuer anstrengen. „Da ist wirklich etwas!“, stellte er erstaunt fest.

„Es sind aber nicht die Zwerge!“, erwiderte Rhomroor. „Deren Klang ist anders! Und darüber hinaus findet man sie ohnehin nur noch an mehr oder minder weit abgelegenen Enden der Welt!“

Es war noch gar nicht so lange her, da war Rhomroor zusammen mit Candric, dem Magier Asanil und einigen anderen in das unterirdische Reich der Zwerge vorgedrungen, weil durch deren Grabungen ganze Landstriche abgesunken waren. Die Folgen waren in ganz Athranor noch immer zu sehen. Überall gab es Schluchten und Brüche, die während dieser Zeit entstanden waren. Gebäude waren eingestürzt und ganze Orte unbewohnbar geworden. Unter anderem gab es seitdem auch die Schlammgrube nicht mehr, in der sich alle Orks aus Rhomroors Stamm immer so gerne gesuhlt oder miteinander gekämpft hatten.

Die Zwerge hatten einfach zu gierig nach dem berüchtigten Zwergengold gegraben – ohne Rücksicht darauf, ob ihre Stollen überhaupt halten konnten. Und so waren sie schließlich einer nach dem anderen eingestürzt.

Aber das war vorbei. Der Fluch des Zwergengoldes war nicht mehr wirksam. Zwar konnte man niemals ausschließen, dass die Zwerge nicht eines Tages doch wieder dieser unheimlichen Gier erliegen würden, aber Rhomroor glaubte einfach nicht daran, dass die Geräusche, die er gehört hatte, irgend etwas mit dem Zwergenreich zu tun hatte.

„Das muss eine Herde Hornechsen sein!“, meinte Rhomroor. „Dort!“ Während er dieses Wort sagte, streckte er seine kräftige Pranke in Richtung der nahen Bergkette aus.

„Vielleicht ist einer der Hornechsenreiter-Orkstämme auf der Durchreise“, meinte Brox.

„Dann hätten sie Boten zu unserem Stamm in die Orkherrenhöhle geschickt!“, war hingegen Rhomroor überzeugt.

Schließlich war ihr Anführer Moraxx gleichzeitig auch Anführer aller Orks der drei Länder West-Orkreich, Ost-Orkreich und Orkheim. Ja, selbst die widerspenstigen Orks der Orkstadt erkannten Moraxx' Oberherrschaft an.

Brox überlegte einen Moment. „Du hast Recht!“, gab er schließlich zu.

„Ich will es genau wissen!“, meinte Rhomroor. „Lassen wir die Hornechsen hier! Die machen zu viel Krach!“

„Wir sollen sie einfach zurücklassen?“

„Brox! Ein Pfiff und sie kommen wieder zu uns!“

„Wenn sie auf uns hören. Was leider bei den Biestern nicht immer der Fall ist!“, gab Brox zu bedenken.

Rhomroor zuckte mit den Schultern. „Du kannst ja hier bleiben und auf die Hornechsen aufpassen, wenn du willst!“

„So war das auch nicht gemeint!“, antwortete Brox, während Rhomroor sich bereits auf den Weg machte. Sie liefen bis zu den Steilhängen der Felsen. Dann begannen sie zu klettern. Vorher überprüfte Rhomroor, dass die große Streitaxt, die er sich auf den Rücken geschnallt hatte, auch richtig saß und nicht etwa während der Kletterei aus dem Futteral herausfiel.

Er blickte kurz an sich herab. Das kurze Gewand, das er trug, wurde von einem breiten Gürtel zusammengehalten. Der Stoff starrte vor Dreck. Die Arme blieben frei.

Ich sollte mal wieder schlammbaden!, ging es Rhomroor besorgt durch den Kopf, denn an einigen Stellen an den Armen war die getrocknete Schlammschicht bereits abgeblättert und die eigentliche, etwas schuppige Haut des Orks kam zum Vorschein. So etwas galt unter Orks als ungepflegt. Anscheinend hat die Zeit bei den Menschen schon zu sehr auf mich abgefärbt!, ging es ihm dann durch den Kopf – denn die wuschen ja jedes kleine bisschen Dreck gleich mit viel zu viel Wasser von ihren Körpern. Das konnte ja nicht gesund sein und manchmal war Rhomroor schon der Gedanke gekommen, dies sei vielleicht der Grund dafür, dass Menschen so schwach waren. Jedenfalls war er sehr froh, dass seine Seele im Moment nicht in dem empfindlichen Körper von Prinz Candric steckte. Einen Körper, mit dem man ja noch nicht einmal einen Sturz von einer Felsklippe überleben konnte.

So groß und schwer Rhomroors Ork-Körper auch war, es fiel ihm leicht die Felsen hinaufzukletten.

Selbst an den steilsten Felshängen gab es noch kleine Vertiefungen oder Vorsprünge, an denen er sich mit seinen Pranken festhalten konnte. Und die Zehen seiner gewaltigen Plattfüße, die auf den ersten Blick sehr ungeschickt und plump wirkten, fanden überall kleine Tritte, die man benutzen konnte.

Brox musste sich ganz schön ranhalten, um hinter Rhomroor herzukommen. Er versuchte zwar, den jüngeren noch einzuholen, aber dies gelang ihm erst, als Rhomroor schon den Felsenkamm erreicht hatte.

Beide Orks blickten auf die andere Seite.

Dort erstreckte sich ein breites Tal, auf dessen gegenüberliegender Seite sich eine weitere Kette von felsigen Anhöhen erhob. Manche dieser Felsen waren durch die  Erderschütterungen eingestürzt, die von den Grabungen der Zwerge verursacht worden waren.

In der Mitte des Tales zog eine Karawane von Hornechsen. Sie waren schwer beladen. Man hatte Kisten auf ihre Rücken geschnallt – und einige der urtümlichen Tiere mussten gewaltige, kastenförmige Wagen ziehen, deren Räder ungefähr doppelt so hoch waren wie ein durchschnittlicher Ork.

Eine ganze Gruppe von schwer bewaffneten Ork-Kriegern bewachte diesen Zug. Manche ritten Hornechsen, andere folgten den Lasttieren zu Fuß.

Auch die großen Wagen waren immer mit mehreren Kriegern besetzt, die misstrauisch in der Gegend umherblickten.

Die Hornechsen mussten immer wieder angetrieben werden. Sie schienen müde zu sein. Der Inhalt der Kisten, die sie zu transportieren hatten, war offenbar sehr schwer – und ganz besonders schien das für die Fracht zu gelten, die mit Hilfe der gewaltigen Wagen transportiert wurde.

Die Hornechsen brüllten immer wieder laut auf, so als wollten sie dagegen protestieren, dass sie ihren Weg fortsetzen mussten.

Manchmal stampften sie wütend auf – und genau das hatte Rhomroor wohl schon aus weiter Entfernung hören und unter seinen Füßen spüren können.

Die gewaltigen Wagenräder ächzten und quietschten und in all das mischte sich hin und wieder noch das wütende Brüllen eines Ork-Kriegers, dem eine Hornechse einfach zu langsam war.

Aber dieser Krach hatte sein Gutes. Rhomroor und Brox konnten sich ruhig unterhalten, ohne dass sie gleich Gefahr liefen, von den Begleitern des Zuges entdeckt zu werden.

„Was im Namen unserer Ork-Väter geht hier vor sich!?“, entfuhr es Rhomroor fassungslos.

„Es gibt einen einzigen Ort, an dem ich solche Wagen schon einmal gesehen habe“, erklärte Brox. „Und das war in der Orkstadt.“

Die Orkstadt war ein besonderer Ort. Sie lag an der Mündung des Blutflusses. Innerhalb ihrer Mauern galten manche Gesetze, die man anderswo in den drei Orkländern niemals befolgt hätte, weil sie als zu streng empfunden worden wären. Zum Beispiel war es verboten, jemanden anzugreifen und zu töten, denn die Orkstadt lebte vom Handel mit anderen Ländern. Täglich legten dort Schiffe aus den Reichen der Menschen an, aber keiner dieser fremden Händler hätte auch nur seinen Fuß in die Stadt gesetzt, wenn er seines Lebens nicht sicher gewesen wäre.

Darum garantierte der Herr der Orkstadt die Sicherheit aller fremden Kaufleute und Seefahrer, die im Hafen anlegten. Und jeder Ork, der die Stadt betreten wollte, musste diese Gesetze ebenfalls befolgen. Andernfalls war er nicht erwünscht und wurde aus der Stadt gewiesen.

„Eins steht jedenfalls fest! Ohne Moraxx' Erlaubnis würde diese Wagenkarawane hier niemals ihres Weges ziehen“, war  Rhomroor überzeugt.

„Du kannst unseren Anführer ja bei Gelegenheit mal fragen, ob er kistenweise irgendwelche Schätze durch die Berge tragen lässt!“, sagte Brox.

„Du willst mich verspotten!“, schloss Rhomroor und versuchte ein finster klingendes Knurren hervorzubringen. Aber andererseits hatten sich schon manche Stammesangehörige gefragt, wo Moraxx wohl stecken mochte.

Seit Wochen hatte man ihn nicht mehr in der Orkherrenhöhle gesehen. Er war mit einigen getreuen Ork-Kriegern mit unbekanntem Ziel aufgebrochen. Niemandem war gesagt worden, wohin die Reise ging.

„Nein, ich will dich nicht verspotten“, widersprach Brox. „Du musst zugeben, dass unser Anführer einige sehr merkwürdige Dinge getan hat, seitdem er von seinem letzten Raubzug zurückkehrte.“

Zweimal war Moraxx zu einem Raubzug ins Ferne Elbenreich aufgebrochen. Das erste Mal hatte er die Zauberschriften aus der Halle der Eldran gestohlen, wie die Elben ihre guten Totengeister nannten. Er hatte mit viel Mühe die Magie der Elben erlernt und sich mit seiner Zauberei zum mächtigsten Ork aufgeschwungen. Aber das hatte ihm nicht gereicht. Sein Traum war, dass seine Macht noch viel weiter reichte – auch über die Länder der Menschen. Und nur aus diesem Grund hatte er ein Experiment gewagt und die Seele von Rhomroor gegen die des Königssohns und Thronfolgers Candric ausgetauscht. So sollte eines Tages ein Ork in Menschengestalt auf dem Thron von Aladar sitzen, der sich dann sicher leicht durch Moraxx beeinflussen ließ.

Aber diese Rechnung war nicht aufgegangen, denn erstens hatten sich Rhomroor und Candric befreundet und zweitens hatten sie es geschafft, mit Hilfe des Magiers Asanil diesen Seelentausch wieder rückgängig zu machen.

Beinahe jedenfalls, denn immer zu Vollmond trat der Seelentausch noch einmal eine gewisse Zeit in Kraft. Der Fluch war also noch nicht ganz aufgehoben, wie sie zunächst gehofft hatten. Und so sah Rhomroor schon mit Schrecken dem nächsten Vollmond entgegen, wenn er wieder dazu verurteilt war, für eine Weile im entsetzlich empfindlichen Körper eines Menschenjungen herumzulaufen. Er hoffte dann immer, dass der Aufenthalt in dem fremden Körper nicht zu lange andauerte, sodass er nicht gezwungen war, so etwas Ekliges über sich ergehen lassen zu müssen wie ein Bad in reinem Wasser. Andererseits hatte er schon gemerkt, dass ihn die Menschen schon seltsam anstarrten, wenn nur ein bisschen dunkle Erde seine Hände verfärbte oder die Reste der letzten Mahlzeit noch am Mund klebten und eigentlich doch noch gut rochen.

Moraxx war noch zu einem weiteren Raubzug ins Reich der Elben von Athranor vorgedrungen. Die Magie, die er in den Zauberbüchern gefunden hatte, war ihm einfach nicht mächtig genug. Und so hatte er mit einer Schar von Getreuen die Halle der Maladran überfallen, wie die Elben ihre bösen Totengeister nannten. Die Halle befand sich auf einer Insel, auf der sich kein Elb gerne aufhielt. Entsprechend schlecht bewacht schien die Halle gewesen zu sein.

Jedenfalls war Moraxx auch bei seinem zweiten Raubzug erfolgreich gewesen und hatte zahlreiche Bücher mit der dunklen Magie der üblen Maladran gestohlen – einer Magie, die selbst die Elben seit langem nicht mehr anzuwenden wagten.

Und so war Moraxx mit diesen Schriften zurückgekehrt, nachdem man ihn zwischenzeitlich schon als obersten Ork-Herrn abgesetzt hatte. Aber wer hätte sich nun noch gegen ihn wenden wollen?

Es gab einen Teil der Orkherrenhöhle, die nur Moraxx allein vorbehalten war. Von dort waren manchmal seltsame Geräusche zu hören gewesen, die den ganzen Stamm hatten aufhorchen lassen. Manchmal war es so schlimm gewesen, dass die Ork-Säuglinge erschreckt wurden und nicht mehr zu schreien aufhörten, woraufhin dann der ganze Stamm zu brüllen angefangen hatte, denn nach Sitte der Ork sollte niemand in seinem Schmerz allein sein und deswegen niemand allein schreien müssen.

Rhomroor hatte sich oft gefragt, was Moraxx dort wohl in seinem Teil der Höhle getan haben mochte, denn manchmal waren Stimmen zu hören gewesen, die völlig unorkisch klangen. Alle vermuteten natürlich, dass ihr Anführer mit der Magie der Maladran-Schriften experimentierte und vielleicht irgendwelche Dämonenbeschwörungen durchführte, vor denen es sogar viele Orks schauderte.

„Du bist doch Moraxx' Liebling gewesen!“, meinte Brox mit einem zischenden Unterton. Ihm lief dabei der Speichel an den Hauern entlang und ein gurgelnder Laut sorgte dafür, dass die letzten Worte kaum zu verstehen waren. „Also wenn jemand ihn nach seinen Plänen fragen könnte, ohne dass er ihn gleich mit seiner düsteren Magie zu Staub zerfallen lässt, den er dann in den Schlamm unserer neuen Stammes-Schlammgrube streut!“

„So ein Unsinn, Brox! Wie kommst du auf so was, Brox!“

„Na, wen hatte er dazu auserwählt, die Stelle des Menschenkönigssohns einzunehmen!“

„Wir haben darum gekämpft – erinnerst du dich nicht mehr? Darum bin ich auserwählt worden! Nicht, weil Moraxx mich auserwählt hätte!“

Brox machte eine wegwerfende Handbewegung mit seiner linken Pranke. Das laute Rülpsen, dass jetzt aus seinem Maul drang klang fast wie ein Gelächter. „Ich kann es dir jetzt ja sagen, Rhomroor! Damals habe ich dich nur gewinnen lassen!“

Rhomroor trommelte sich mit der Faust auf die Brust, so dass es einen dumpfen Ton gab. Da er gleichzeitig aufstieß, entstand ein schnarrender Ton. „Das glaubst du doch selber nicht!“

„Doch! Und im Nachhinein denke ich, dass Moraxx dich so oder so ausgewählt hätte! Schon weil ein Schwächling sich vermutlich besser an die anderen Schwächlinge am Hof des Menschenkönigs anpassen kann!“

„Du willst mich herausfordern?“

„Von mir aus.“

Rhomroor kochte innerlich. Normalerweise ließen sich Orks von keinem anderen Ork so reizen, wie es Brox im Moment tat. Und wenn eine richtig tiefe Schlammgrube in der Nähe gewesen wäre, hätte Rhomroor vielleicht auch nicht der Versuchung widerstehen können, Brox einfach zu packen und tief in den Morast zu drücken. Eine echte Bestrafung war das zwar nicht, weil jeder Ork Schlamm und Morast gerne im Gesicht spürte – aber es wäre ein Zeichen dafür gewesen, wer der stärkere und der bessere Kämpfer von ihnen war.

Doch es gab Wichtigeres, wie Rhomroor fand.

„Ich möchte lieber herausfinden, was diese Karawane dort zu bedeuten hat! Und eigentlich hatte ich gedacht, dass du mir dabei hilfst, Brox!“

Brox knurrte etwas Unverständliches vor sich hin. Tief in seiner Kehle gurgelte es dabei, sodass man keines seiner Worte verstehen konnte. Aber das war vielleicht auch besser so. Manchmal sprachen Orks absichtlich in dieser tiefen, gurgelnden Tonlage, sodass man vor lauter Geblubber ihres eigenen Speichels nichts verstehen konnte. Auf diese Weise konnten sie die schlimmsten Dinge sagen, ohne dass jemand deswegen beleidigt sein musste und es anschließend einen Kampf gab.

„Du traust unserem Anführer nicht?“, fragte Brox schließlich.

„Ehrlich gesagt: nein! Als er meine Seele mit seinem Zauber in den Körper des Prinzen Candric schickte, wusste ich nicht, worauf ich mich da eingelassen hatte. Aber seitdem habe ich die Menschen kennen gelernt, und ich kann dir sagen, sie sind nicht halb so böse und schlecht, wie Moraxx es uns immer erzählt!“

Brox verzog das Gesicht zu einer Grimasse, sodass seine vier Hauer in ganzer Länge hervortraten. „Mag sein, dass du recht hast, Rhomroor. Und ehrlich gesagt, mag ich dich sogar lieber, wenn ab und zu die Seele dieses Menschenjungen in dir ist!“

Rhomroor lachte dröhnend. „Weil ich dann ein guter Verlierer bin?“

„Genau!“

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3

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Rhomroor und Brox beobachteten noch eine ganze Weile den Zug. Was mochte da wohl transportiert werden? Und wohin?

Schließlich verschwanden die Wagen und Hornechsenreiter hinter einer Biegung, die die Schlucht nach ein paar Meilen machte.

„Moraxx selbst war jedenfalls nicht bei diesem Zug!“, stellte Rhomroor fest. „Aber er muss die Wagen geschickt haben! Niemand sonst kann so viele Wächter befehligen!“

„Aber das sind alles Orks von anderen Stämmen!“, erwiderte Brox. „Ich habe keinen von ihnen erkannt! Rufen wir unsere eigenen Hornechsen und folgen ihnen!“

„Nein, wir folgen ihnen ohne die Hornechsen!“, widersprach Rhomroor. „Sonst müssen wir nämlich einen weiten Umweg reiten, schließlich kommt so eine Echse niemals über diese Felsen!“

„Kommandiere mich nicht herum!“, erwiderte Brox etwas ärgerlich.

„Du wirst zugeben müssen, dass ich recht habe!“

„Wenn du diese zänkische Art von den Menschen gelernt hast, dann solltest du sie dir schleunigst wieder abgewöhnen, Rhomroor!“

Sie stiegen den Hang hinab und folgten in gehörigem Abstand dem Zug der Wagen und mit Kisten beladenen Hornechsen.

Rhomroor hatte fast den Eindruck, dass diese Kisten mit Steinen gefüllt sein mussten – oder zumindest mit etwas, dass genauso schwer war!

Immer wieder kam es vor, dass der ganze Zug ins Stocken geriet, weil einzelne Hornechsen einfach am Ende ihrer Kräfte waren. Die Ork-Krieger versuchten zwar, sie weiter anzutreiben, aber das hatte nicht immer Erfolg. Bei einem der Wagen wurden die Zugtiere ausgetauscht, wonach es dann erstmal wieder voran ging.

Rhomroor und Brox nahmen jeweils hinter hervorspringenden Felsen Deckung. Es gab in der Schlucht genügend große Gesteinsbrocken, die während der durch die Zwerge verursachten Erdbeben von den Hängen heruntergerutscht und von größeren Massiven abgebrochen waren.

Die Wächter, die den Zug begleiteten, hatten so viel damit zu tun, ihre Tiere voranzutreiben, dass sie von ihren Verfolgern gar nichts mitbekamen.

Im Laufe der Zeit sank die Sonne immer tiefer und veränderte ihre Farbe. Sie wurde milchig und es war klar, dass die Dämmerung nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Der Anführer des Wagenzuges war ein Ork, der sich die Hauer angespitzt hatte. Die Sitte, sich die Zähne spitz zu feilen, gab es nur auf der Insel Orkheim. Die dortigen Orks galten bei den Einwohnern des West-Orkreichs und des Ost-Orkreichs als etwas sonderbar. Vielleicht lag es daran, dass Orkheim eine Insel war und deswegen so gut wie nie Fremde dorthin gelangten. Andere meinten, dass das seltsame Gebaren der Orkheimer Orks mit der Ernährung zusammenhing. Die Schwärme der fliegenden Riesenschrecken, die vom Sumpfland aus ihren Zug über die Orkländer begannen, kamen nämlich nur in sehr guten Jahren und bei günstigem Wind bis Orkheim. Und so ernährten sich die Orkheimer vor allem von den großen Quallen, die von den Meeresströmungen an die Küsten der Insel gespült wurden – Quallen, deren Gift Orks gut vertragen konnten. Es reinigte ihre Mägen und machte kampfesmutig. Aber die Orks des Festlandes spotteten darüber und erzählten, dass das Quallengift nicht mutig, sondern wahnsinnig mache. Und als Beweis dafür konnte man allein schon die Sitte nennen, sich die Zähne anzuspitzen. Wer brauchte denn schließlich angespitzte Zähne, wenn er sich von weichen, wabbeligen Quallen ernährte? 

„Hast du diesen spitzzahnigen Orkheimer schon mal gesehen?“, fragte Rhomroor an Brox gewandt.

Brox schüttelte sich. „Nein! Wenn der unsere Orkherrenhöhle betreten hätte, dann würde ich mich an ihn erinnern! Aber ich habe einige der Krieger murren hören, dass Moraxx in letzter Zeit offenbar immer öfter Orks aus anderen Teilen der Orklande wichtige Aufgaben übergibt. Vielleicht traut er seinem eigenen Stamm nicht mehr!“

„Er will die Macht behalten“, glaubte hingegen Rhomroor. „Und da braucht er überall Freunde und Unterstützer – nicht nur in unserer Stammeshöhle!“

„Pah!“, machte nun Brox so laut, dass Rhomroor schon befürchtete, jemand könnte sie beide bemerkt haben. Jedenfalls ließ einer der Ork-Krieger misstrauisch den Blick schweifen. Brox und Rhomroor zogen ihre Köpfe zurück.

Eine ganze Weile verharrten sie so. Dann wagten sie es, wieder hinter dem Felsen hervorzuschauen, der ihnen als Deckung diente.

„Vielleicht geht es auch etwas leiser!“, murmelte Rhomroor und der Klang seiner Stimme glich dabei einem gurgelnden Geflüster.

„Dir scheint das ja leicht zu fallen!“, meinte Brox. „Aber das ist ja auch kein Wunder, schließlich hast du ja die grausame Selbstbeherrschung bei den Menschen überlebt, von der du mir so viele schreckliche Dinge erzählt hast!“

Inzwischen hatte Rhomroor damit aufgehört, den anderen Orks davon zu erzählen, dass man am Hof von König Hadran während der Festbankette still am Tisch sitzen musste und jede kleine Bewegung schon als Unhöflichkeit aufgefasst wurde – nur, weil dem Sitznachbarn dabei vielleicht etwas von den Speisen ins Gesicht und auf die Kleider flog! Noch grausamer war es, trotz großen Hungers eine Mahlzeit nicht einfach mit den Händen herunterschlingen zu dürfen, sondern erst zu beginnen, nachdem der König, die Königin und mehrere hochgestellte Gäste und manchmal sogar auch noch ein paar Minister ihren Krug gehoben und einen Trinkspruch von sich gegeben hatten. Aber wenn dann ein hungriger Ork dachte, jetzt könnte er wenigstens loslegen, so war das ein Irrtum! Dann war man gezwungen, die Mahlzeit mit sehr feinen Werkzeugen wie Messer, Gabel und Löffel zu zerteilen und in den Mund zu schaffen – Werkzeuge, mit denen nur jeweils winzigste Mengen zwischen die Zähne gelangen konnten. Und wenn man dabei zu hastig vorging, dann fiel einem alles herunter. Rhomroor hatte schnell festgestellt, dass die meisten seiner Ork-Freunde solche Schilderungen einfach als zu grausam empfanden, um sie sich anzuhören. So etwas war doch Folter! Und zwar von der schlimmsten Art, die ein Ork sich vorzustellen vermochte! Die Ork-Mütter hatten ihren kleinen Kindern die Ohren zugehalten, wenn Rhomroor zu erzählen begonnen hatte und selbst die hartgesottensten Krieger hatten sich schaudernd mit den oberen Hauern auf die Unterlippe gebissen. War es wirklich möglich, dass die Menschen so grausam waren? Und entsprach es tatsächlich der Wahrheit, dass ein einziges, fröhliches Rülpsen bei Tisch schon dafür sorgte, dass der Betreffende mit herablassenden Blicken bedacht wurde und zu einem Ausgestoßenen und Verachteten wurde? Und wenn Rhomroor dann erklärt hatte, dass man sich daran mit der Zeit auch einigermaßen gewöhnen könnte, war die Antwort immer nur ein mitfühlendes Aufstöhnen gewesen. Manchmal hatten ihn die anderen Orks gefragt, ob es ihm vielleicht gut tun würde, mit ihnen zusammen zu brüllen.

Mit der Zeit hatte Rhomroor dann erkannt, dass es wohl das Beste war, nicht zu viel über seine Erlebnisse bei den Menschen zu berichten. Die Vorurteile, die viele Orks gegen die Menschen hatten, wurden dadurch nur verstärkt und davon abgesehen hatte er auch den Eindruck, dass eigentlich niemand unter den Orks sich gerne diese schrecklichen Geschichten anhören mochte.

Einige Orks waren gerade damit beschäftigt, den Hornechsen die Kisten vom Rücken zu nehmen und die Zugtiere von den Wagen abzuspannen.

Dabei rutschte eine der Kisten ab. Die Hornechse, auf deren Rücken sie bis dahin mit dicken Riemen befestigt gewesen war, erschrak dabei. Der schuppige Koloss machte einen Satz nach vorn. Die Orks sprangen zur Seite und die Kiste krachte auf den steinigen Untergrund. Sie zerbrach. Und was darin zum Vorschein kam, ließ Rhomroor und Brox mit offenen Mäulern hinter dem Felsen hervorblicken.

„Ein Stein!“, entfuhr es Brox. Dass er in diesem Moment sogar laut sprach, machte überhaupt nichts, denn im halb aufgebauten Lager der Orks herrschte jetzt ohnehin ein fast ohrenbetäubender Tumult. Die Hornechse, die aus lauter Panik nach vorn gesprungen war, hatte einem anderen Tier mit dem vorderen Nasenhorn in das Hinterteil gestochen, woraufhin auch diese Hornechse wild wurde, laut aufbrüllte und nicht mehr zu halten war. Das Tier wollte davonrennen, stieß dabei aber gegen einige seiner schuppigen Artgenossen und prallte mit voller Wucht gegen deren riesenhafte Echsenkörper. Die Hornechsen stoben daraufhin in alle Richtungen. Sie trampelten alles nieder, was ihnen in den Weg kam und nicht einmal die Ork-Krieger konnten sie jetzt so ohne weiteres noch bändigen.

Überall hörte man die Orks wild durcheinander brüllen. Ihre Rufe mischten sich mit den dröhnenden Lauten der verängstigten Hornechsen.

Der Krieger mit den angespitzten Hauern schwang seine riesige Streitaxt, so als wollte er seinen Kriegern damit Zeichen machen. Doch dann musste auch er einer der wildgewordenen Hornechsen ausweichen. Gerade noch konnte er den Hörnern eines besonders großen Exemplars dieser Echsenart entgehen, bevor das riesenhafte Monstrum auf seinen säulenartigen Beinen an ihm vorbeidonnerte.

„Einfach abwarten!“, rief er, während er inzwischen auf den Boden getaumelt war und sich nun wieder aufrappelte. „Lasst sie laufen! Die beruhigen sich schon wieder!“

Der Orkheimer Krieger mit den angespitzten Hauern schien über viel Erfahrung im Umgang mit den ungestümen Riesenechsen zu verfügen. Manche der anderen Krieger versuchten demgegenüber noch, die Tiere aufzuhalten und sich ihnen in den Weg zu stellen. Aber da ein Ork viel kleiner als eine Hornechse war, beeindruckte dies die trampelnden Kolosse natürlich nicht und so blieb zumeist nur die Rettung durch einen schnellen Sprung.

Der Orkheimer hatte mit seiner Vermutung recht. Schon kurz darauf erreichten die ersten Hornechsen die steilen Felshänge zu beiden Seiten der Schlucht. Manche versuchten noch, sie emporzuklettern, aber die meisten kamen nicht weit. Diese felsigen Hänge waren selbst für die kräftigsten und geschicktesten unter den Hornechsen nicht zu nehmen. Und so standen sie da, scharrten mit ihren Vorderfüßen auf dem steinigen Untergrund und schnaubten so heftig, dass man denken konnte, dass sie im nächsten Moment keine Luft mehr bekommen würden.

Manche versuchten zurück zum Lagerplatz und den Wagen zu rennen und stießen dann mit den nachfolgenden Tieren zusammen. Es dauerte eine Weile, bis sie langsam wieder zur Ruhe kamen.

Box wandte sich unterdessen an Rhomroor. „Was glaubst du, sind in den anderen Kisten und in den Wagen vielleicht auch Steine? Wenn man sieht, wie sehr sich die Hornechsen anstrengen mussten, dann hat es ja fast den Anschein.“

„Das ist kein Stein!“, widersprach Rhomroor. Er murmelte diese Worte nur halblaut vor sich hin und pfiff dann vor lauter Erstaunen durch seine Nasenlöcher.

„Das soll kein Stein sein? Rhomroor! Was haben die Menschen mit deinem Geist gemacht, dass du nicht einmal mehr einen Stein erkennen kannst, der so riesig ist, dass man ihn schlecht übersehen kann!“

„Das ist ein Drachenei!“, widersprach Rhomroor ruhig. „Und da es versteinert ist, hast du natürlich auch recht. Es ist auch ein Stein!“

„Ein Drachenei?“, fragte Brox skeptisch und runzelte stark die Stirn. Dann öffnete er den Mund, als ob er die Zähne fletschen wollte und schmatzte dabei laut. „Hier, in den Orklanden, gibt es doch schon seit Ewigkeiten keine Drachen mehr. Und ich wüsste auch nicht, wo man ihnen sonst noch begegnen könnte.“

„Zum Beispiel an der Drachenküste in Westanien“, erwiderte Rhomroor.

„Ist das nicht eins der Menschenländer?“

„Ja!“

„Das wäre immerhin typisch“, meinte Brox. „Menschen und Drachen, zwei gleichermaßen grausame Wesen! Kein Wunder, dass sie sich im selben Land wohlfühlen! Hörst du mir eigentlich zu?“

Rhomroor war mit den Gedanken ganz woanders. Er hatte einmal ein Drachenei gesehen, das der Magier Asanil von der Drachenküste besorgt hatte. Allerdings war jenes Exemplar viel kleiner gewesen. Rhomroor hatte aber gehört, dass es auch riesenhafte Dracheneier gab. Manche von ihnen waren von großen Felsen kaum noch zu unterscheiden und höher als die mächtigsten Gebäude der Hauptstadt Aladar. Die Dracheneier – gleichgültig ob bereits versteinert oder nicht – waren Hilfsmittel bei vielen mächtigen Zauberritualen, auch das wusste Rhomroor.

„Wenn all diese Kisten und die Aufbauten der Wagen voll mit Dracheneiern sind, dann frage ich mich, wozu man sie hierher geschleppt hat!“, meinte Brox.

„Wenn wirklich Moraxx dahintersteckt, dann verfolgt er damit einen Plan!“, glaubte Rhomroor. „Einen Plan, der irgend etwas mit einem sehr starken Zauber zu tun haben muss!“

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Am Abend fand eines der üblichen Festbankette im Palast von Aladar statt. Natürlich wurde von Candric erwartet, dass er dann anwesend war. Auch wenn er das eher langweilig fand. Viel lieber hätte er sich mit Kara in der Bibliothek getroffen – vor allem auch deshalb, weil er unbedingt mit jemandem über das sprechen musste, was sein Ork-Gefährte Rhomroor ihm in Gedanken übermittelt hatte.

Und das möglichst bevor die Verwandlung vonstatten ging und sich Candric für eine unbestimmte Zeit im Körper eines Orks wiederfand. Manchmal dauerte das nur ein paar Augenblicke, aber es konnte auch sein, dass er Tage oder sogar Wochen in Rhomroors Körper blieb, was die Sache dann sehr viel komplizierter machte.

Aber an diesem Abend war alles anders als normalerweise. Das Bankett sollte gerade beginnen, der König und seine Königin hatten ebenso Platz genommen wie Kronprinz Candric und die hohen Beamten des Hofes, wozu auch Karas Vater gehörte. Selbstverständlich waren auch Lirandil und Hauptmann Batak anwesend.

Durch die hohen Fenster des königlichen Festsaals konnte man sehen, wie ein fliegendes Schiff über dem Palast erschien.

Das Luftschiff des Magiers Asanil!, erkannte Candric sofort.

„Es scheint, als hätten wir noch einen zusätzlichen Gast zu bewirten!“, stellte Königin Taleena fest.

„Und dazu einen, der stets gern bei uns gesehen wird!“, fügte König Hadran hinzu. Er klatschte in die Hände. „Wo ist der Küchenmeister? Er soll Asanil ein Mahl bereiten, wie dieser es mag!“ Dann wandte er sich an Lirandil. „Dass Elben einen etwas seltsamen Geschmack haben, wissen wir ja inzwischen ...“

Der König spielte mit seiner Bemerkung darauf an, dass Elben erstens nur sehr wenig aßen und zweitens nur Speisen zu sich nahmen, die kaum gewürzt waren. Ihre Sinne waren nämlich viel empfindlicher die der Menschen. Sie konnten besser hören, schärfer sehen und genauer riechen. Ihr Geschmackssinn war so fein und empfindlich, dass schon kleinste Gewürzmengen ausreichten. Ein einziger stecknadelgroßer Salzkristall zuviel konnte ihnen bereits den Geschmack verderben.

Lirandil runzelte die Stirn.

„Ich spüre, dass Asanil mit einer beunruhigenden Nachricht gekommen ist!“, erklärte Lirandil.

Candric wunderte sich darüber, dass Asanil sein Himmelsschiff nicht vor der Küste auf dem Wasser landen ließ und dann im Hafen von Aladar anlegte – so, wie er es bei früheren Besuchen auch schon getan hatte! Schließlich war das Himmelsschiff genauso in der Lage, sich auf dem Wasser zu bewegen wie in der Luft. Äußerlich glich es einem ganz normalen, langgezogenen, schmalen Schiff, auch wenn das Segel stets schlaff vom Mast hing – selbst beim stärksten Sturm.  Aber das hing mit der Magie dieses Schiffes zusammen – einer Magie, die nur ein Elbenmagier wie Asanil wirklich verstehen konnte.

Durch die hohen Fenster war jetzt das Schiff gut zu sehen. Asanil stand in seinem grauweißen Gewand aus Elbenseide an Deck und hatte die Hände gehoben. Vermutlich murmelte er gerade irgendwelche Zauberformeln vor sich hin, von denen man im Festsaal nichts hören konnte. Hugonil, der Affe, dem Asanil bislang vergeblich versucht hatte, mit Hilfe von Magie das Sprechen beizubringen, turnte am Mast herum und schwang sich an den Seilen hin und her. Auch wenn es der große Magier mit seiner Zauberkunst nicht geschafft hatte, dem Affen das Sprechen beizubringen, so verstand Hugonil doch jedes Wort, das man ihm sagte. So konnte Asanil ihn gut für die verschiedensten Hilfsdienste anstellen.

Jetzt kletterte der Affe über die Reling, packte dabei mit der linken Hand eines der Taue und sprang mit einem Satz auf den Balkon vor dem Bankettsaal. Dort schlang er das Tau um das Geländer.

„Der wagt es doch wohl nicht, am Balkon anzulegen!“, stieß Hauptmann Batak hervor.

„Das würde er auch nicht tun, wenn es dafür nicht einen wichtigen Grund gäbe, das spüre ich!“, mischte sich Lirandil noch einmal ein.

Inzwischen umschwirrten das Himmelsschiff mehrere Libellenreiter aus der von Hauptmann Batak befehligten Garde. Die meisten Libellenreiter waren ja noch an der Grenze zu den Orklanden eingesetzt oder vollführten gerade Botenflüge. Aber ein paar von ihnen waren dazu abgestellt worden, den Palast zu bewachen.

Man konnte ja schließlich nie wissen, ob es nicht Kräfte aus der Luft gab, die die Stadt Aladar bedrohen konnten.

„Ich werde ihn fragen!“, meinte König Hadran.

Er stand auf, reichte der Königin seinen Arm und ging dann zusammen mit ihr auf den Balkon. Das war auch für alle anderen Anwesenden das Signal, ihnen zu folgen und sich das einmalige Schauspiel anzusehen. Candric schloss sich dem natürlich an. Auf dem Balkon gesellte er sich zu Kara.

Hugonil hatte inzwischen auch das zweite Tau am gusseisernen Balkongeländer befestigt. Das Himmelsschiff schwebte nun über dem inneren Palasthof. Ein Fallreep wurde ausgeklappt. Auch das besorgte Hugonil – allerdings hatte Candric den Eindruck, dass Asanil ihn mit seinen magischen Kräften dabei unterstützte.

„Seid gegrüßt und willkommen an unserem Hof, Asanil!“, rief König Hadran ihm zu. „Aber sagt – weshalb habt Ihr nicht im Hafen angelegt, wie Ihr es sonst zu tun pflegt?“

Der Magier – ein Elb mit grauweißem Haar und weißem Bart – deutete eine kurze Verbeugung an. „Verzeiht, Majestät, aber ich hatte es eilig!“, erklärte er. Dann stieg über das Fallreep auf den Balkon. Das Schiff schaukelte dabei ein wenig in der Luft. Hugonil ließ daraufhin ein durchdringendes Kreischen hören und zog den Magier am Arm. Asanil drehte sich  noch einmal um, hob seine langfingrigen Hände und murmelte dazu eine Zauberformel in der Elbensprache. Sofort fand das Himmelsschiff eine stabile Lage und schwebte dann vollkommen ruhig neben dem Balkon.

„Ihr seid in Eile, werter Asanil? Wie kann das sein – wo Elben doch normalerweise dafür bekannt sind, sich ewig Zeit zu lassen!“, sagte nun Königin Taleena. „Schließlich lebt Ihr so lange, dass es für Euch nicht darauf ankommt, ob Ihr ein Jahrhundert früher oder später Euer Ziel erreicht.“

„In diesem Fall drängt die Zeit, meine Königin!“, erwiderte Asanil. „Ich habe Neuigkeiten, die Ihr unbedingt wissen solltet!“

„Nun auf jeden Fall seid Ihr ein gern gesehener Gast“,  sagte Königin Taleena. „Auch wenn Ihr diesmal eine ungewöhnliche Art des Auftritts gewählt habt ...“

„... die unsere Libellenreiter-Garde sehr beunruhigt hat, wie man sieht!“, ergänzte König Hadran.

Hauptmann Batak machte inzwischen den umherschwirrenden Libellenreitern mit einem Handzeichen deutlich, dass alles in Ordnung sei und keine Gefahr von dem Schiff für König, Königin oder sonst jemanden im Palast ausging. Da die Libellen während des Fluges ziemlich laut brummten, mussten die ausgebildeten Reiter eine Zeichensprache beherrschen, um sich  verständigen zu können.

Seitdem Asanil das letzte Mal in Aladar gewesen war, waren nämlich viele Monate vergangen und die meisten der Libellenreiter, die zurzeit im Palast Dienst taten, gehörten zu jenen, die frisch aus der Libellenreiter-Stadt angeworben worden waren. Der eine oder andere von ihnen mochte vielleicht schon einmal von dem Elbenmagier gehört haben, aber begegnet war ihm noch keiner von ihnen. Und so hatten sie nicht so recht gewusst, wie sie reagieren sollten, als der Magier mit seinem Himmelsschiff plötzlich mitten in den Palast hinein geflogen war. Die erfahrenen Libellenreiter, die es besser gewusst hätten, waren schließlich alle an der Grenze des Ork-Gebirges.

„Worum geht es?“, fragte König Hadran den Magier.

„Seltsame Dinge gehen im Südwesten Eures Reiches vor, mein König!“, erklärte Asanil. Er wandte den Blick und ließ ihn über die Beamten, Edelleute und Höflinge schweifen, die sich auf dem Balkon drängten. Sie alle sahen den Elbenmagier erwartungsvoll an. „Was ich zu sagen habe, ist nicht geheim, denn es wird sich ohnehin bald im ganzen Land herumgesprochen haben“, erklärte Asanil dann. „Vielleicht sind die Gerüchte über die Vorgänge, von denen ich sprechen will, mir sogar schon vorausgeeilt!“

„Nun spannt uns nicht so auf die Folter, Asanil“, mischte sich nun Candric ein. Er war einfach zu ungeduldig und brannte darauf zu erfahren, was es aus dem Südwesten zu berichten gab.

Aber da er der Thronfolger war, verzieh ihm das jeder.

„Wie ja wohl allgemein bekannt ist, gibt es im Süden von Westanien noch Drachen!“, sagte der Magier langsam und dabei schien sein Blick Candric förmlich zu durchbohren. Der junge Prinz hatte nicht die leiseste Ahnung, weshalb Asanil ihn in diesem Augenblick dermaßen prüfend ansah. Candric fühlte sich ganz unbehaglich dabei und musste unwillkürlich schlucken.

„Ja – und Dracheneier dienen zur Herstellung vieler magischer Mittel, wie ich von Euch weiß, werter Asanil!“, gab Candric zurück.

Der Magier nickte langsam und strich sich dabei über den inzwischen schon ziemlich lang gewordenen Bart. Asanil war vermutlich der einzige Elb überhaupt, der einen so dichten und langen Bart trug. Normalerweise war das Tragen von Bärten bei den Elben völlig unüblich. Wann immer es möglich war, verhinderten Elben mit Hilfe ihrer Magie das Wachstum der Barthaare. Das war einfacher, als die Plage hinnehmen zu müssen, sich jeden Tag zu rasieren. Aber bei Asanil, der sich vor langer Zeit mit dem Elbenkönig Péandir zerstritten hatte, weil dieser seine Erfindung eines magischen Himmelsschiffes für überflüssig und unsinnig hielt, war das alles anders. Es schien fast so, als wollte Asanil sich durch einen Bart deutlich von allen anderen Elben unterscheiden.

Der Magier sprach zunächst nicht weiter. Er wartete, bis jegliches Gemurmel verstummt war. Selbst Hugonil, der zuvor noch unruhig herumgesprungen war und Asanil immer wieder am Arm gezogen hatte, verharrte jetzt vollkommen still neben ihm. „Die Preise für Dracheneier sind ins Unermessliche gestiegen. Es sind so viele Sammler an der Drachenküste unterwegs wie nie zuvor und vor allem die versteinerten Exemplare lassen sich kaum noch finden. Hier und da habe ich gesehen, wie ganze Kolonnen von Männern losgezogen sind, um in den Bergen tiefe Stollen in das Erdreich zu hauen – immer in der Hoffnung, noch mehr der versteinerten Dracheneier zu finden. Allerdings sind viele Narren darunter, die Dracheneier nicht zu erkennen vermögen, wenn sie schon lange versteinert sind. Das ist wohl der einzige Grund dafür, dass ich überhaupt noch welche finden konnte! Schließlich werden sie dringend gebraucht! Ich hatte  ja versprochen, Euch mit meiner Magie bei der Behebung der Schäden zu helfen, die durch die Zwergenbeben entstanden und auch hier im Palast aufgetreten sind!“

Zwergenbeben – dieser Name hatte sich in ganz Beiderland inzwischen für die jüngsten Erdbeben eingebürgert, nachdem sich herumsprach, dass die Grabungen der Zwerge dafür die Ursache gewesen waren. Und offenbar war ein Zauber, in dem versteinerte Dracheneier eine Rolle spielten, ein wirksames Mittel, um die Reparaturen etwas beschleunigen zu können. 

„Nun beruhigt Euch erstmal, werter Asanil“, sagte daraufhin Königin Taleena.

„Meine Ausbeute ist erbärmlich!“, sagte Asanil. „Ich habe längst nicht genug versteinerte Dracheneier gefunden, um meinen Zauber damit beginnen zu können! Natürlich gibt es ein paar, die so groß und schwer sind, dass auch mein Himmelschiff sie nicht davontragen könnte! Aber die würden mir ohnehin nicht helfen, weil ich nur Dracheneier in einer ganz bestimmten Größe verwenden kann.“

„Und was ist mit den Eiern der lebenden Drachen, die diese in den Strand an der Drachenküste legen?“, fragte Candric, der darüber einige Bücher in der königlichen Bibliothek gelesen hatte.

„Sie haben nicht dieselbe magische Wirkung!“, meinte Asanil. „Für den großen Gebäude-Heilzauber, den ich für den Palast von Aladar vorgesehen hatte, um alle Risse und Schäden zu beseitigen zu können, sind sie nicht geeignet!“

„Ach so“, sagte Candric.

„Davon abgesehen würde ich auch niemandem empfehlen, mehr als nur ein paar noch unversteinerte Dracheneier vom Strand der Drachenküste zu stehlen. Wenn man das nämlich in großem Stil macht, könnte das sehr leicht den Zorn der Drachen heraufbeschwören – aber ich fürchte, viele Dracheneisucher nehme darauf im Moment keine Rücksicht. Die nehmen alles, was sie bekommen können!“ Asanil lachte heiser auf. „Kein Wunder, so wie die Preise im Moment dafür steigen!“

„Wie wäre es, wenn wir uns erst einmal unserem Festmahl zuwenden und Ihr uns im Laufe des Abends alles erzählt, was Ihr zu berichten habt“, meinte nun auch König Hadran. „Unser Palast hat zwar während der Zwergenbeben wirklich arg gelitten, aber nachdem wir an verschiedenen Stellen Stützpfeiler errichtet haben, denke ich, dass er nicht gleich in sich zusammenstürzen wird!“

Asanil atmete noch einmal tief durch – etwas, das für einen Elben genauso ungewöhnlich war, wie ein langer Bart. Entweder hatten all die Jahrhunderte, die Asanil nun schon bei den Menschen lebte, ziemlich stark auf ihn abgefärbt, oder aber die Angelegenheit mit den Dracheneiern hatte ihn einfach nur besonders stark aufgeregt.

Und dafür musste es noch einen anderen Grund geben, als nur den Umstand, dass Asanil für seinen Zauber nicht genug versteinerte Dracheneier hatte finden können!, ging es Candric durch den Kopf. Und während die gesamte Hofgesellschaft den Balkon verließ und zurück in den Festsaal ging, drängte sich Candric nun bis zu Asanil vor.

Hugonil freute sich, Candric wiederzusehen und sprang an ihm empor, kletterte auf seine Schultern und verdrehte ihm die prinzliche Mütze aus edlem Leder, aus der eine Fasanenfeder herausragte. Aber Candric hatte im Moment keinen Sinn für eine ausführliche Begrüßung des Affen. Er nahm ihn und gab ihn an Kara weiter, die ihm gefolgt war.

„Asanil, Ihr spracht von versteinerten Dracheneiern ...“

„Ich habe gerade schon an deinem Blick gesehen, dass du darüber etwas weißt, Candric!“, stellte Asanil fest.

„Ich hatte mehrfach eine Gedankenverbindung zu meinem Ork-Freund Rhomroor ... Von ihm empfing ich Gedankenbilder! Rhomroor sah einen Zug von Orks – eine Hornechsenkarawane mit schwer beladenen Tieren und riesigen Wagen! Offenbar transportieren sie große Mengen von versteinerten Dracheneiern an einen bisher unbekannten Ort!“

Das Gesicht des Magiers veränderte sich. Es erstarrte förmlich und seine buschigen weißen Augenbrauen zogen sich in der Mitte zusammen.

„Das passt mit dem zusammen, was ich herausgefunden habe!“, stellte Asanil fest. „Ganze Schiffsladungen mit diesen Eiern haben nämlich den Hafen von Daragos verlassen. Niemand wollte mir sagen, wohin sie gebracht werden, aber es gelang mir, die Gedanken des Händlers zu lesen, der die Dracheneier aufgekauft hat!“

„Und? Fuhren die Schiffe etwa auf geradem Weg in die Orklande?“, mischte sich Kara ein.

„Nein. Der Händler, dessen Gedanken ich las, wusste nichts davon. Er wusste nur, dass die Schiffe nach Carabor segeln sollten, wo die Dracheneier offenbar weiterverkauft werden.“

„Rhomroor denkt, dass Moraxx irgendeinen großen Zauber vorbereitet!“, erklärte Candric. „Und Carabor liegt doch schon auf halbem Weg zu den Orklanden!“

Asanil nickte. „Ja, das ergäbe Sinn ...“, murmelte er. „Etwas in der Art habe ich schon vermutet!“

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Wenig später wurde das Bankett fortgesetzt. Aber Asanil rührte von den Speisen kaum etwas an. Für ihn gab es jetzt einfach Wichtigeres als zu essen! So wandte er sich stattdessen an den König und die Königin. Man hatte dem Magier natürlich einen Ehrenplatz in der Nähe des Herrscherpaares zugewiesen und dafür die Stühle etwas zusammengerückt. Candric saß auch in der Nähe und konnte alles mitbekommen.

„Mein König, die Lage ist ernst“, sagte der Magier. „Was Euer Sohn mir berichtete, bestärkt mich in der Annahme, dass eine große magische Verschwörung im Gange ist.“

„Es scheint Moraxx nicht zu genügen, dass er Herr der Orklande wurde!“, meinte Lirandil.

„Nein, er hat seinen Plan, auch die Menschenreiche zu beherrschen und vielleicht sogar eines Tages ganz Athranor, wohl niemals aufgegeben“, bestätigte Asanil. „Und seitdem er  die Zauberschriften aus der Halle der Maladran besitzt, ist seine Macht noch größer geworden.“

„Das klingt in der Tat bedrohlich!“, gab König Hadran zu.

„Ich konnte nur in Erfahrung bringen, dass die Steineier nach Carabor verschifft wurden, aber es ist bekannt, dass diese Stadt einen umfangreichen Handel mit den Orks betreibt.“

Carabor war ein unabhängiger Stadtstaat an der Küste des Sumpflandes. Es gab dort fast so viele Schiffe wie in Aladar und die Caraboreaner gehörten zu den wenigen Händlern, die mutig genug waren, sich auch in der Orkstadt niederzulassen.

Asanil wandte sich an Candric. „Kann dein Freund Rhomroor sagen, wohin diese Hornechsen-Karawane, die er gesehen hat, unterwegs ist?“

„Nein, das weiß er noch nicht. Aber er will ihr weiter folgen!“

„Das ist gut so“, nickte Asanil. Und an den König und die Königin gewandt, fuhr er dann fort: „Ich will dieser Sache auf den Grund gehen! Aber dazu brauche ich die Hilfe Eures Sohnes, wir Ihr schon gesehen habt! Und vielleicht wollt auch Ihr mich begleiten! Unheil von seinem Reich abzuwenden, ist schließlich Eure erste Herrscherpflicht!“

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Es war Nacht geworden.

Die Orks saßen an ihren Feuern und die Hornechsen konnten sich erholen. Die Tiere waren inzwischen wieder einigermaßen ruhig. Die größten Unruhestifter unter ihnen waren allerdings zuvor von den Ork-Treibern mit gezielten Faustschlägen hinter den Knochenschild am Kopf betäubt worden. Sie schnarchten jetzt so laut, dass die Orks an den Feuern ziemlich laut sprechen mussten, um sich zu verständigen.

Rhomroor und Brox wagten sich aus ihrem Versteck hervor und schlichen sich etwas näher heran. Vielleicht konnten sie ja aus den Gesprächen etwas mehr darüber erfahren, wohin die Reise dieser Hornechsenkarawane nun eigentlich ging.

Die wenigen Wächter, die der Orkheimer mit den angespitzten Zähnen einteilte, waren ziemlich unaufmerksam. Offenbar rechnete niemand von ihnen damit, dass sie hier überfallen wurden.

„Hast du eine Ahnung, wie lange das noch so weitergehen soll?“, hörte Rhomroor einen der Krieger knurren. „Sollen wir diese Steine vielleicht um die halbe Welt tragen?“

„Dracheneier sind das!“, korrigierte ihn einer der anderen Krieger. „Auch wenn manche davon wie gewöhnliche Steine aussehen und wohl auch noch zerbrochen sind!“

„Ich hoffe, nur, dass die ganze Mühe sich lohnt!“

„Moraxx hat uns diesen Auftrag gegeben! Und er wird wissen, warum er so wichtig ist!“, mischte sich ein anderer ein. „Ich nehme an, dass es irgendetwas mit dieser neuen Zauberkraft zu tun hat, über die Moraxx jetzt verfügt, seitdem er von seinem zweiten Raubzug ins Ferne Elbenreich zurückkehrte.“

Ein durchdringendes Brüllen ertönte nun. Dieser Ruf war so laut und sein Klang so scharf, dass auch Rhomroor und Brox unwillkürlich zusammenzuckten.

Das war der Orkheimer. Er trat zu den Kriegern, die sich unterhalten hatten und bleckte seine angespitzten Hauer. „Ihr sollt nicht quatschen!“, knurrte er. „Jedenfalls nicht über Dinge, über die ihr nichts zu wissen braucht! Habt ihr mich verstanden?“

Im ganzen Lager der Orks war es jetzt ruhig. Nur das Schnarchen der betäubten Hornechsen war zu hören. Eine von ihnen musste aufstoßen, woraufhin ein zischender Laut aus ihrem Maul kam, der die anderen Tiere offenbar selbst im Betäubungstiefschlaf noch so sehr erschreckte, dass die meisten von ihnen sofort zu schnarchen aufhörten.

„War ja laut genug, Orkheimer!“, sagte einer der zurechtgewiesenen Krieger.

Dass der Anführer mit den angespitzten Hauern nie bei seinem Namen, sondern immer nur Orkheimer genannt wurde, war Rhomroor schon aufgefallen.

„Warum sagt uns niemand, weswegen wir diese Lasten vom Hafen der Orkstadt bis hier her, in diese fernen Berge schaffen mussten?“, fragte der andere.

„Weil Moraxx es so will“, sagte der Orkheimer. „Nicht einmal ich weiß den genauen Grund dafür. Und ich weiß auch weder, ob die Gerüchte stimmen und es sich tatsächlich um versteinerte Dracheneier oder nur irgendwelchen Bauschutt handelt, den uns listige Händler aus Carabor angedreht haben!“

„Aber du kennst den Weg, Orkheimer, wie ich hoffe!“, meinte der größere der beiden Orks am Feuer. „Oder?“

„Natürlich! Und sobald wir unser Ziel erreichen, wirst du es schon noch merken!“

„Na, das beruhigt mich aber ungemein! Ich dachte schon, du hättest dich vollkommen verlaufen und wir würden schon seit Tagen durch die Berge irren, Orkheimer!“

Ein dröhnendes Gelächter brandete unter den Ork-Kriegern auf und einige der Hornechsen erwachten jetzt aus ihrem Schlaf und fielen mit scharrenden Lauten mit ein. Damit wollten die Tiere wohl ausdrücken, wie wenig begeistert sie davon waren, dass sie aus dem Schlaf geholt wurden.

Der Orkheimer hob die Hände und daraufhin verstummten alle. „Dies ist kein Spaß! Ihr seid Teil eines großen Plans und Moraxx hat große Hoffnungen in euch gesetzt! Aber ihr scheint nur Narren zu sein!“ Er machte eine abfällige Bewegung mit seiner Pranke. „Ihr seid es nicht wert, dass man den Hornechsendreck mit euch teilt!“

Daraufhin herrschte Stille im Lager. Selbst die Hornechsen schienen zu spüren, wie ernst es der Orkheimer meinte.

Er ging zu den Tieren, um sich etwas von dem weichen Dreck zu nehmen, den die Tiere überall hinterließen, wo sie sich länger aufhielten. Eine schöne Handvoll hob er vom Boden auf. Mit der anderen Hand nahm er ein paar Steine vom Boden auf und mischte sie in den weichen Fladen hinein. Dann knetete er diesen sorgfältig durch und begann schließlich damit, seine Hauer damit einzureiben. Den Großteil des Fladens nahm er jedoch in den Mund und bewegte dabei die Backen seines Ork-Gesichts, er blähte sie auf und zog sie wieder zusammen, gurgelte etwas und spuckte dann nach und nach den Fladen mitsamt den Steinen wieder aus.

Die anderen Orks starrten ihn nur mit offenen Mäulern an. Nur hin und wieder war ein leises Knurren des Erstaunens oder gar ein Rülpsen zu hören.

„So was habe ich ja noch nie gesehen!“, stieß Rhomroor angewidert hervor. „Steine an den Zähnen – das muss doch ungesund sein!“

„Die Orkheimer haben seltsame Sitten, so sagt man!“, raunte ihm Brox zu. „Kein Wunder, sie leben ja auch auf einer Insel! Und davon abgesehen – wer sich seine Zähne anspitzt, dem ist doch auch sonst alles zuzutrauen, oder?“

„Stimmt!“, war sich Rhomroor mit Brox einig.

Inzwischen ließ der Orkheimer den Blick über seine Krieger schweifen.

„Was glotzt ihr mich so an?“, rief er. „Noch nie einen Ork bei der Zahnpflege gesehen, oder was ist los? Das solltet ihr auch alle mindestens alle zwei Monate mal machen! Das gibt einen frischen Atem, unterdrückt die üblen Gerüche aus dem Magen und verhindert außerdem, dass euch die Hauer abfaulen!“

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Früh am Morgen setzte die Hornechsen-Karawane ihren Weg fort. Rhomroor und Candric hatten sich etwas zurückgezogen, um dabei nicht entdeckt werden.

Brox meinte, dass sie ihre eigenen Hornechsen herbeirufen sollten, sobald die Karawane außer Schreiweite war.

Aber Rhomroor war dagegen. „Besser, wir folgen ihnen weiter zu Fuß. Das ist unauffälliger! Außerdem ist die Karawane so langsam, dass wir ihr ihr bequem folgen können, was ja auch kein Wunder bei den steinernen Lasten ist, die sie mit sich führen.“

„Aber die Hornechsen ...“

„Die werden alleine zur Orkherrenhöhle zurückfinden, wenn sie gemerkt haben, dass wir nicht zurückkehren“, schnitt Rhomroor seinem Begleiter das Wort ab.

„Was ich eigentlich sagen will ist: Ich weiß nicht, ob es wirklich eine gute Idee ist, wenn wir ihnen weiter folgen.“

„Hast du etwa Angst vor Moraxx‘ Zorn?“, höhnte Rhomroor.

Brox machte eine Grimasse, bei der alle vier Hauer besonders weit hervortraten. „Sehe ich vielleicht so aus, als wäre ich ängstlich?“, knurrte er und fügte dann etwa verhaltener hinzu: „Aber vielleicht sollten wir uns etwas mehr fürchten, Rhomroor! Er verfügt jetzt schließlich über eine Magie, die so mächtig ist, dass selbst die Elben vor ihr erschaudern und sie nicht anwenden! Wer weiß, vielleicht weiß er längst, dass wir auszuspionieren versuchen, wohin er die Dracheneier bringen lässt!“

„Brox, es geht um die Zukunft des Ork-Volkes! Ich fürchte nämlich, dass Moraxx' Pläne uns allen sehr schaden könnten!“

Brox machte eine wegwerfende Bewegung mit seiner Pranke. „Du bist doch nur ein elender Menschenfreund geworden!“, glaubte er.

„Nein, das stimmt nicht!“, erwiderte Rhomroor. „Du irrst dich, wenn du glaubst, dass ich in erster Linie an die Menschen denke. Ich mache mir vor allem darum Sorgen, dass Moraxx uns alle auf einen Weg führt, der nur in Krieg und Zerstörung enden kann – so wie alles andere auch, was er bisher angefangen hat!“

„Moraxx ist unser Anführer!“, gab Brox zu bedenken.

„Das kann sich erstens auch schnell wieder ändern, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Und zweitens muss ich einfach wissen, was für Pläne Moraxx verfolgt!“

„Und was willst du tun, wenn du es herausgefunden hast?“

„Das weiß ich jetzt noch nicht!“

„Du denkst ja wohl nicht daran, selbst Anführer aller Orks zu werden! Dazu bist du einfach noch zu jung!“

„Ich weiß. Und daran habe ich auch noch nie gedacht. Aber wenn du Bedenken hast und nicht mitkommen willst, kannst du ja gerne zurück zur Orkherrenhöhle gehen. Bei der Gelegenheit könntest du dann ja auch die beiden Hornechsen wieder einfangen, mit denen wir gekommen sind und sie zurückbringen.“

Brox packte Rhomroor mit seinen mächtigen Pranken bei den Schultern und stieß ihn zu Boden. Im nächsten Moment saß Rhomroor unfreiwillig auf dem harten steinigen Untergrund. Dann zog Brox seine beiden Waffen – eine Streitaxt und ein sichelförmiges Schwert. Bevor sie aufgebrochen waren, hatte Brox lange überlegt, welche der beiden Waffen er mitnehmen sollte. Da er sich nicht hatte entscheiden können, hatte er sich schließlich beide Waffen auf den Rücken geschnallt. Jetzt schlug er sie gegeneinander und knurrte dabei wie einer der vereinzelten orkländischen säbelzahnigen Berglöwen, die es nur noch in der Gegend von Arrgh gab. „Für wen hältst du mich! Willst du mich beleidigen?“

„Sollen wir jetzt vielleicht darum kämpfen, wer Recht hat?“, knurrte Rhomroor zurück, obwohl er zugeben musste, dass er den düsteren Knurrton nach Art der Berglöwen nicht so gut  beherrschte wie Brox.

„Natürlich nicht!“, brummte Brox dann und senkte seine Waffen.

„Dann heißt das wohl, dass du bei mir bleibst und mich weiter begleitest!“

„Ich hätte mich auf diesen Mist nie einlassen sollen!“, schimpfte Brox. „Wie konnte ich nur an so einen dummen Ork wie dich geraten! Selbst diese Menschenseele namens Candric, die ab und zu in deinen Körper fährt, hat mehr Hirn als du!“

„Du wirst bald eine neue Gelegenheit bekommen, das zu vergleichen“, erwiderte Rhomroor und erhob sich dabei. „In Kürze wird es wohl wieder zu einem Seelentausch kommen!“

„Richtig – ist ja auch bald wieder Vollmond!“, fiel es Brox nun ein. Rhomroor hatte Brox davon erzählt, dass dieser magische Fluch des Seelentauschs ihn immer dann ereilte. „Nichts für ungut, aber jetzt verstehe ich auch, warum du es so eilig hast, herauszufinden, was es mit den Dracheneiern und Moraxx‘ Plan auf sich hat! Du willst das noch erledigt haben, bevor dieser Prinz deinen Körper beherrscht!“

„Falls das der Fall sein sollte, wird er mich einfach vertreten und für mich weitermachen müssen“, meinte Rhomroor.

„So, wie ich Candric kenne, wird er das auch tun“, glaubte Brox. „Er scheint mir ganz in Ordnung zu sein – obwohl er ja ein Mensch ist und man sich über deren Hinterhältigkeit und Grausamkeit ja viele Geschichten erzählt ...“

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Rhomroor und Brox brachen endlich auf, um die Verfolgung aufzunehmen – allerdings war die Gefahr nicht besonders groß, dass sie die Hornechsenkarawane des Orkheimers aus den Augen verloren. Das Gelände war sehr unwegsam und deswegen kam der Karawanenzug auch nicht besonders schnell voran. Zudem hatten die Hornechsen schon einen weiten und beschwerlichen Weg hinter sich. Sie waren erschöpft und wurden von Stunde zu Stunde langsamer. Die Ork-Krieger, die den Zug begleiteten, mussten sie immer wieder antreiben.

Brox und Rhomroor folgten ihnen in gebührendem Abstand. Manchmal kletterten sie auf einen hohen Felsen und sahen dem Zug zu, wie er sich voranquälte.

Am Tag erreichte die Hornechsenkarawane dann den Ausgang der Schlucht. Vor ihnen lag eine weite Ebene und dahinter hob sich ein gewaltiges Felsmassiv empor.

„Jetzt erkenne ich, was für ein Ziel diese Karawane hat!“, stieß Brox plötzlich hervor. Die beiden Orks beobachteten die Lage von einer der umliegenden, felsigen Anhöhen aus.

„Na, dann wäre es schön, wenn du mir das große Geheimnis mal verraten würdest!“, meinte Rhomroor.

Brox ließ einen schnalzenden Laut aus seinem Maul herausdringen und gluckste dazu. „Das da vorne ist die Riesenpranke“, meinte er.

Von diesem Ort hatte Rhomroor schon gehört. Die Riesenpranke war ein gewaltiger Felsen, der die Form einer großen, steinernen Ork-Pranke hatte. Allerdings konnte man diese Form nur erkennen, wenn man auf einen Berg stieg, der noch höher war als die Riesenpranke – und davon gab es in der näheren Umgebung einige. Die Riesenpranke war ein geheimnisvoller, magischer Ort, über den sich die Orks viele Geschichten erzählten. Angeblich gab es in grauer Vorzeit einen riesigen Ork, dessen Name Rysax lautete. Seine Gestalt reichte bis zum Himmel. Dieser Riesen-Ork hatte mit einem genauso großen Drachen gekämpft und dem Ork die Pranke abgebissen. Daraufhin war der Ork so wütend geworden, dass er den Drachen besiegen konnte, indem er ihn mit der anderen Pranke erwürgte. Dann vergrub er den Drachen in der Erde. Und damit er selbst dann nicht aus der Tiefe wieder emporkommen konnte, wenn er durch Magie aus seinem Todesschlaf erweckt wurde, legte er die abgeschlagene Pranke auf die Stelle, die mit der Zeit zu Stein wurde.

So erzählten sich die Orks die Geschichte über die Entstehung der felsigen Riesenpranke. Aber das war natürlich eine Geschichte, so glaubte Rhomroor. Obwohl – ganz sicher war er sich nicht. Schließlich gingen regelmäßig die älteren Krieger hierher, um an magischen Beschwörungen teilzunehmen, durch die sie mutiger und stärker zu werden hofften.

Aber Rhomroor war noch nicht alt genug, um daran teilzunehmen. Brox hingegen schon. Er war schon einmal dabei gewesen und erinnerte sich nun offenbar an die Umgebung. „Ich bin mir vollkommen sicher! Auch wenn wir uns damals nicht aus Süden, sondern aus Richtung Norden der Riesenpranke genähert haben!“

Rhomroor deutete zu einem der schneebedeckten Gipfel, die  noch weitaus höher als die Riesenpranke waren. „Du kannst ja dort mal kurz eben hinaufklettern, wenn du doch noch einen besseren Überblick brauchst!“, spottete er.

„Nein, nein! Nicht nötig! Auf der anderen Seite der Riesenpranke, zwischen ihrem Daumen und dem Zeigefinger-Felsen, gibt es den Eingang zu einer großen Höhle. Aber darüber darf ich eigentlich den jüngeren nichts verraten.“

„Es passt doch alles zusammen, Brox!“, fand Rhomroor. „Dies ist ein magischer Ort, an dem besondere Kräfte wirksam sind! Und genau hier will Moraxx die Dracheneier hintransportieren lassen! Das kann doch kein Zufall sein! Er hat irgendeinen ganz großen Zauber vor!“

In diesem Moment begannen Teile der Riesenpranke plötzlich aufzuglühen. Zuerst sah es so aus, als ob nur die Sonne durch glänzende Kristalle im Gestein gespiegelt wurde, aber dann schossen schwarze Strahlen in den Himmel empor. Spätestens da wurde Rhomroor und Brox deutlich, dass Magie im Spiel war. Die schwarzen Strahlen verteilten sich wie dunkler Rauch. Und obwohl keinerlei Wind wehte, zog dieser Rauch zu der Hornechsenkarawane herüber. Die winzigen schwarzen Teilchen dieses magischen Rauchs sanken herab. Sie schienen überall zu sein wie der Staub während eines Sandsturms. Selbst bis zu Rhomroor und Brox gelangte dieser dunkle, feine Staub. Er kitzelte Brox in der Nase und so musste er niesen. Rhomroor erging es genauso.

Aber offenbar hatte er auch noch eine andere Wirkung.

Plötzlich schienen nämlich die Hornechsen wieder mehr Kraft zu haben – so als ob irgendeine Zaubermacht von ihnen Besitz ergriffen hatte. Zuerst schnaubten sie zwar und manche von ihnen machten Laute, die einem Niesen sehr ähnlich waren. Aber das war schnell vorbei. Danach waren die Hornechsen wie ausgewechselt. Sie strebten kraftvoll vorwärts. Es schien ihnen überhaupt nichts mehr auszumachen, dass man sie völlig überladen hatte. Die riesigen Wagen mit ihrer schweren, steinernen Fracht schienen sich jetzt schon beinahe wie von selbst zu ziehen.

Hier und da konnten Rhomroor und Brox beobachten, wie die  Ork-Krieger jetzt sogar im Dauerlauf hinter ihren Tieren hereilen mussten, während sie noch vor kurzer Zeit damit beschäftigt gewesen waren, diese anzutreiben.

Erstaunte Rufe waren zu hören. Der Orkheimer setzte zu einem kleinen Sprint an und holte eine der Hornechsen ein. Mitten im Lauf klammerte er sich an den Packriemen fest, mit denen die Kisten auf dem Rücken der Hornechse befestigt waren und schwang sich dann hinauf.

Die kräftigende Wirkung des schwarzen Rauchs schien sich auch auf die Ork-Krieger auszuwirken, die diesen Zug begleiteten. Sie waren jetzt schneller und die Müdigkeit durch die Strapazen, die in letzter Zeit hinter ihnen lagen, schien völlig verschwunden zu sein. Für keinen der Ork-Krieger bedeutete es eine Schwierigkeit, mit den Hornechsen Schritt zu halten. Es sah mühelos aus.

Rhomroor und Brox bemerkten die Veränderung ebenfalls an sich. Eine unheimliche Kraft durchströmte sie.

„Du warst doch schon mal in dieser Gegend, Brox!“, murmelte Rhomroor, immer noch etwas verunsichert. Er sah sich seine in letzter Zeit kräftig gewachsenen Pranken mit den langen, dornenähnlichen Fingernägeln an. „Hast du damals so etwas auch erlebt?“

„Nicht, dass ich mich erinnern könnte!“, erwiderte Brox. „Aber seien wir froh drum, dass wir auch etwas von diesem magischen Rauch abbekommen haben. Andernfalls hätten wir sonst Probleme, hinter diesen rennenden Hornechsen hinterherzukommen!“

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738918816
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (März)
Schlagworte
drachen-attacke

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Die Drachen-Attacke