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Der Hund des Unheils: Tatort Mittelalter 2

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2018 140 Seiten

Zusammenfassung

Der Hund des Unheils
Tatort Mittelalter Band 2

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 113 Taschenbuchseiten.

Kaspar - der Hund des Unheils? Abergläubische Bauern beschuldigen den zutraulichen Streuner, für die Krankheiten von Mensch und Tier verantwortlich zu sein. Das will Wolfram, Page auf Burg Wildenstein, nicht wahrhaben. Gemeinsam mit dem Knappen Ansgar, dem Küchenmädchen Maria und Pater Ambrosius sucht er nach den wahren Gründen für die Unglücksfälle, um den Hund vor dem mittelalterlichen Strafgericht zu bewahren.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author 

© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Der Hund des Unheils

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Tatort Mittelalter Band 2

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 113 Taschenbuchseiten.

Kaspar - der Hund des Unheils? Abergläubische Bauern beschuldigen den zutraulichen Streuner, für die Krankheiten von Mensch und Tier verantwortlich zu sein. Das will Wolfram, Page auf Burg Wildenstein, nicht wahrhaben. Gemeinsam mit dem Knappen Ansgar, dem Küchenmädchen Maria und Pater Ambrosius sucht er nach den wahren Gründen für die Unglücksfälle, um den Hund vor dem mittelalterlichen Strafgericht zu bewahren.

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„Da ist er!“, rief jemand. „Los! Wenn ihr ihn in die Finger bekommt, macht kurzen Prozess mit ihm!“

Der Hund mit den grauem, zotteligen Fell und dunklen Knopfaugen stand auf dem Hügel und blickte hinab ins Tal, wo sich einige Bauernhäuser befanden. Etwa zwanzig Männer und Frauen hatten sich von dort aus in Bewegung gesetzt. Sie schwenkten Mistgabeln, Knüppel und Äxte. Manche von ihnen hielten lodernde Fackeln in den Händen.

Zunächst stand der Hund mit wedelndem Schwanz auf seinen vier Pfoten. Aber als ihm der Brandgeruch der Fackeln in die Nase stieg und er die heiseren Stimmen hörte, senkte sich der Schwanz.

Natürlich konnte der Hund nicht verstehen, was gesagt wurde.

Aber er bemerkte den wütenden Tonfall, in dem sie sprachen.

Aufmerksam stellte er die Ohren auf und lauschte auf das, was der leichte Wind, der über die abendlichen Wiesen und Felder strich, ihm zutrug.

„Schnell! Packt das Tier!“

„Lasst es nicht entwischen!“

Der Hund war unschlüssig darüber, was er tun sollte. Oft streunte er in den Dörfern der Umgebung herum oder besuchte die Bauern. Meistens war er von den Menschen gut behandelt worden und wenn er mit einem leidenden Blick und einem Jaulen, das fast wie das leise Schluchzen eine Kindes klingen konnte, um etwas zu essen bettelte, hatte er auch fast immer irgend etwas bekommen. Abfälle zumeist. Hin und wieder auch einen Knochen.

Aber diesmal schien die Stimmung gegen ihn zu sein.

Die wütenden Männer und Frauen waren inzwischen bis auf wenige Meter herangekommen und der Instinkt sagte dem Tier, dass diese Menschen es nicht gut mit ihm meinten.

Zunächst bellte er einmal, dann fiepte er unterwürfig und senkte den Kopf.

Die Bauern blieben plötzlich stehen, so als wagten sie sich nicht weiter vor.

„Seht nur – die Augen!“, sagte ein Mann. Er schluckte und Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn.

„Die Hexenkraft leuchtet aus ihnen!“, glaubte eine junge Bäuerin zu erkennen, die einen Dreschflegel in der Hand schwang, mit dem eigentlich auf das geerntete Getreide eingedroschen wurde, um die Körner herauszutrennen.

Der Hund begann zu ahnen, dass er es war, der dieses Werkzeug bald zu spüren bekommen sollte.

Aber warum behandelte man ihn hier so feindselig?

Hatte er irgendjemandem etwas getan?

Vertrieb er nicht zum Dank dafür, dass man ihn durchfütterte, liebend gerne die Ratten aus den Vorratskammern?

„Das ist er also – der Hund des Unheils“, rief ein anderer Mann. „Seinetwegen ist unsere Ernte verdorben. Wie ich den Blick dieser dunklen Augen hasse!“

„Seht ihn nicht direkt an!“, kreischte eine schon etwas ältere Frau mit roten Wangen.

„Er hat schließlich den bösen Blick und kann euch alle verhexen!“

„So wie unseren armen Vater, den das Ungeheuer mit seiner Teufelskraft krank gemacht hat, sodass er starb!“, rief ein Mann mit dunkelblonden Haaren.

Vorsichtig und scheu, so als wären sie voller Angst, näherten sich die Menschen. Sie hoben ihre Werkzeuge wie Waffen.

Aber noch wagte es niemand, den Hund anzugreifen, der den Kopf ganz gesenkt und den Schwanz zwischen den Beinen eingeklemmt hatte, so als wollte er sich unterwerfen.

Dann schleuderte einer der Männer seine Axt in Richtung des Hundes.

Etwa eine Handbreit neben dem Tier traf die Waffe auf. Die scharfe Klinge bohrte sich in den Boden.

Der Hund bellte auf und rannte davon. Hinter sich hörte er das Wutgeheul der Menschen. Er verstand es nicht. Aber er begriff, dass er jetzt um sein Leben rennen musste. Diese Leute waren anders, als die Menschen, mit denen er bislang zu tun gehabt hatte.

Der Hund verschwand im hohen Gras.

Seine Verfolger verteilten sich. Manche von ihnen sangen mit heiseren Stimmen Kirchenlieder. Andere schlugen mit der Sense das Gras zur Seite, um den Hund aufzutreiben. Sie hetzten hinter ihm her, aber der Hund war der schnellere Läufer.

Immer größer wurde der Abstand.

Das Tier erreichte schließlich den rettenden Wald. Dort würde man ihn nicht finden.

Hechelnd erreichte der Hund die ersten Bäume und guckte sich um. Seine Ohren richteten sich auf. In der Ferne hörte er noch die wütenden Stimmen seiner Verfolger.

Jetzt, da er sich weit genug entfernt glaubte, begann er ihnen kräftig entgegen zu bellen, ehe er schließlich im Wald verschwand.

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Einige Tage später...

Die Schwerter krachten nur so gegeneinander. Wolfram konnte den Hieb seines Gegners gerade noch abwehren. Mit aller Kraft musste er dagegen halten. Immer wieder prasselten die Hiebe auf den Zehnjährigen ein und er versuchte ihnen so gut es ging auszuweichen oder sie mit Gegenschlägen abzulenken.

„Glück für dich, dass wir nur mit Holzschwertern kämpfen!“, rief Ansgar, sein Gegner. Ansgar war bereits vierzehn und dementsprechend größer und kräftiger als Wolfram. Die beiden Jungen waren trotz des Altersunterschiedes gut miteinander befreundet – aber das hieß nicht, dass einer von beiden bereit gewesen wäre, in einem Übungskampf auch nur einen Fußbreit zurückzuweichen.

Wolfram fasste nun den Griff seines Holzschwertes mit beiden Händen, nahm all seinen Mut zusammen und drosch auf Ansgar ein.

Dieser wehrte die Schläge mit seinem eigenen Holzschwert scheinbar mühelos ab.

Er ist einfach immer ein bisschen schneller als ich!, durchzuckte es Wolfram ärgerlich.

„So ein Kampf mit dem Holzschwert fordert mich gar nicht mehr richtig, seit ich Knappe bin und mit richtigen Waffen übe!“, meinte Ansgar mit gespielter Mühelosigkeit. Doch ein paar Schweißperlen standen ihm auf der Stirn und straften ihn Lügen. Ganz so einfach war es für den frisch gebackenen Knappen nämlich nicht, den Angriffen des Jüngeren standzuhalten.

„Angeber!“, rief Wolfram, nachdem es ihm sogar gelungen war, Ansgar ein paar Schritte zurückzudrängen.

Beide Jungen waren von ihren jeweiligen Eltern nach Burg Wildenstein gesandt worden, um dort zu Rittern ausgebildet zu werden. Mit sieben Jahren hatte Wolfram die Burg seines Vaters Ludwig von Hauenfels verlassen müssen, um bei dem befreundeten Baron Norbert von Wildenstein all das zu lernen, was ein voll ausgebildeter Ritter können und wissen musste. Während Wolfram mit seinen zehn Jahren noch immer ein Page war, so hatte Ansgar vor ein paar Monaten bereits die zweite Stufe der Ritterausbildung erreicht und war nun Knappe, der sich bereits im Umgang mit richtigen Waffen übte, die Ausrüstung seines Ritters und dessen Pferd in Ordnung hielt und diesen sogar in die Schlacht begleitete.

Ansgar war allerdings erst ganz am Anfang seiner Zeit als Knappe und noch weit davon entfernt, einen Ritter in die Schlacht begleiten zu dürfen. Doch das hinderte ihn nicht daran, gegenüber Wolfram und den anderen Pagen von Burg Wildenstein den kleinen Unterschied herauszustellen, der nun zwischen ihnen bestand.

Beide Jungen hielten im Kampf inne.

Sie rangen nach Luft.

„Na, was ist, gibst du auf?“, fragte Ansgar herausfordernd.

„Darauf wartest du vergeblich!“, erwiderte Wolfram. „Gib es zu, die neuen Kampftechniken, die dein Ritter dir beigebracht hat, nützen dir gegen mich nichts!“

„Das wollen wir doch mal sehen!“

Ansgar holte zu ein paar wuchtigen Hieben aus und trieb Wolfram damit mehrere Schritte zurück. Um ein Haar wäre der Zehnjährige gestolpert. Im letzten Moment konnte er dem Holzschwert ausweichen. Ansgars Schlag ging ins Leere.

Da lenkte das Bellen eines Hundes Wolfram für einen kurzen Moment ab. Es war Kasper, einer der vielen herrenlosen Hunde, die es auf Burg Wildenstein gab. Wolfram hatte den Hund längst ins Herz geschlossen und oft genug beleitete er ihn auf seinen Streifzügen in der Umgebung von Burg Wildenstein.

Während die beiden Jungen mit den Holzschwertern aufeinander eindroschen, hatte Kasper ganz ruhig dagesessen. Die Trainingskämpfe zwischen den beiden Jungen waren für Kaspar kein Grund, sich aufzuregen. Sein Bellen musste also einen anderen Anlass haben. Kaspar begann zu knurren und die Zähne zu fletschen.

Diesen Moment nutzte Ansgar. Mit einem wuchtigen Hieb schlug er Wolfram das Holzschwert aus der Hand. In hohem Bogen flog es ins Gebüsch.

Ansgar richtete die Spitze seiner eigenen Übungswaffe auf Wolfram und meinte:

„Jetzt wärst du tot, wenn wir uns in einer richtigen Schlacht gegenübergestanden hätten!“

Wolfram lief dunkelrot an. Er war wütend. Wütend darüber, dass er sich hatte ablenken lassen – und wütend auf Ansgar, der das schamlos ausgenutzt hatte. Entsprach das vielleicht den Idealen des Rittertums von Fairness und Ehre?

Aber weder Wolfram noch Ansgar kamen dazu, irgendetwas zu entgegnen, denn in diesem Augenblick preschte ein Reiter aus dem Unterholz des nahen Waldes auf die Lichtung zu, wo der Kampf stattgefunden hatte.

An seiner Kleidung und Bewaffnung war dieser Reiter unschwer als Ritter zu erkennen. Er trug Helm und Harnisch und darunter ein Gewand aus Wolle, das Wams genannt wurde. Zwei Schwerter nannte er sein eigen. Eines war von normaler Größe und hing an seinem Gürtel, wo sich auch noch ein längerer Dolch befand. Die andere Klinge war enorm lang und sehr breit, sodass der Ritter sie in einer Lederscheide auf dem Rücken tragen musste. Der Griff war so lang, dass man ihn mit zwei Händen fassen konnte.

Wolfram hatte solche Waffen auch bei den Rittern von Burg Wildenstein schon gesehen. Es handelte sich um einen so genannten Beidhänder.

Am Sattel hing der hölzerne Schild, auf den das Wappen des Ritters aufgemalt war: Eine schwarze Rose in einem roten Kreis. Nie zuvor hatte Wolfram dieses Wappen gesehen. Außer auf dem Schild war es auch auf der Satteldecke und dem Gewand.

Das Pferd des Ritters stellte sich auf die Hinterbeine, während Kasper den Fremden weiter ankläffte. Um ein Haar wäre der hohe Herr aus dem Sattel gerutscht. Das Ross wieherte laut und im letzten Moment gelang es dem Ritter, es doch noch unter Kontrolle zu bekommen.

Wolfram war inzwischen zu Kaspar geeilt und versuchte den Hund zu beruhigen. Er kraulte ihm das graubraune Fell und redete auf ihn ein.

Kaspar ließ noch ein düsteres Knurren hören.

Der Ritter stieg aus dem Sattel und tätschelte seinem Pferd den Nacken.

„Das scheint ja ein wahrer Teufelshund zu sein, so finster, wie der mich anknurrt!“, meinte der Mann, dessen Gesicht von einem schwarzen Bart umrahmt wurde. „Sieh dir nur seine Augen an! So als wollte er mir jeden Augenblick an die Kehle springen, um mich zu zerreißen.“ Er lachte.

„Eigentlich ist er nicht so!“, erwiderte Wolfram. „Ich weiß auch nicht, was mit ihm los ist!“

„Er wird sich schon beruhigen. Manchmal wünschte ich, wir würden die Sprache der Tiere verstehen, dann wäre manches leichter!“ Der Ritter machte sein Pferd an einem Strauch fest und näherte sich. Nachdem er sich umgesehen hatte, deutete er auf Ansgars Holzschwert. „Wie ich sehe, haben sich hier zwei zukünftige Ritter im Kampf gemessen.“

„O ja!“, bestätigte Ansgar. „Und ich bin der Sieger des Wettstreits gewesen.“ Er lief rot an und verbarg das Holzschwert hinter seinem Körper. Der Grund dafür, dass die beiden Jungen an diesen abgelegenen Ort geritten waren, um miteinander zu kämpfen, war nämlich der Umstand, dass es Ansgar inzwischen peinlich war, mit einer hölzernen Waffe gesehen zu werden – einem Spielzeug, wie er es empfand. Schließlich war Ansgar bereits ein Knappe und trainierte mit Waffen aus Metall. Es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn einer der anderen Knappen ihn mit einer Holzwaffe gesehen hätte! Er wäre zum Gespött der ganzen Burg geworden, glaubte er. Dass dieser Fremde ihn damit sah, war ihm daher äußerst unangenehm, obwohl der Ritter seinerseits keinerlei Geringschätzung dafür erkennen ließ.

„Er hat mich mit unfairen Mitteln bekämpft!“, behauptete Wolfram.

„Unfair? Was soll unfair daran gewesen sein, dass du dein Schwert nicht richtig festhalten konntest?“

„Ich war abgelenkt durch die Geräusche im Wald und Kaspars Gebell!“

„Pah! Du willst nur nicht zugeben, dass du der Verlierer bist!“

„Sollten sich zwei edle Männer von morgen derart ehrlos über den Sieg in einem Übungskampf streiten?“, griff der fremde Ritter ein. „Das kann ich nicht glauben!“ Die beiden Jungen sahen ihn erstaunt an und er lächelte überlegen.

„Sagt ihm das, edler Herr!“, knurrte Ansgar und deutete auf Wolfram.

„Wieso mir? Ich habe mich richtig verhalten!“, protestierte der Zehnjährige.

Ehe sich erneut ein hitziges Wortgefecht zwischen den beiden Freunden entwickeln konnte, hob der fremde Ritter seine Hand und brachte die Jungen damit zum Schweigen.

„Ich sage euch beiden etwas“, erklärte er und wandte sich zunächst an Ansgar. „Du bist der Ältere von euch und wenn dein jüngerer Freund meint, du hättest ihn nur durch unglückliche Umstände besiegen können, sei großzügig und biete ihm die Chance der Revanche an.“ Er wandte den Kopf in Wolframs Richtung und fuhr fort: „Und dir möchte ich sagen, dass man als Ritter von Ehre anerkennen sollte, wenn man im ehrlichen Kampf bezwungen wurde. Auch dann, wenn vielleicht Umstände geherrscht haben, die den anderen begünstigten! Dein Freund kann schließlich nichts dafür, dass ich ausgerechnet in jenem Augenblick zu hören war, als er dich mit einem Schlag attackierte und du dein Schwert verlorst. Aber ungünstige Umstände kann es immer geben! Bei jedem Turnier und in jeder Schlacht! Willst du beim nächsten Mal den Wind oder den Schrei eines Vogels für deine Niederlage verantwortlich machen?“

„Nein“, murmelte Wolfram kleinlaut.

„Aber du hast richtig gehandelt, indem du auf die Geräusche im Wald mehr geachtet hast, als auf deinen Übungskampf, der ja schließlich nur eine Art Spiel ist. Schließlich konnte niemand von euch ahnen, was da aus der Dunkelheit des Unterholzes kommt! Es hätte eine Gefahr sein können. Ein Wolf! Ein wild gewordener Keiler, der euch hier nicht sehen will, oder ...“ Der Ritter zögerte.

„Oder was?“, hakte Wolfram nach.

„Ein Trupp von Raubrittern, die es auf kleine adelige Jungs wie euch abgesehen haben, sie entführen und ein hohes Lösegeld von ihren Eltern fordern könnten!“ Sowohl Wolfram als auch Ansgar hatten von derartigen Vorfällen gehört. Allerdings hatten sie sich bisher nur weit entfernt ereignet. Das so etwas auch hier und jetzt, kaum drei Meilen von der heimatlichen Burg Wildenstein entfernt, geschehen könnte, war den beiden Jungen nicht in den Sinn gekommen.

Wolfram erschrak. Er starrte den fremden Ritter an und wich unwillkürlich einen Schritt vor ihm zurück. Konnte es sein, dass dieser fremde Herr ...?

„Keine Sorge! Ich bin kein Raubritter – was euer beider Glück ist, sonst würde es euch nun schlecht ergehen. Mit euren Holzschwertern hättet ihr wohl kaum eine Chance gehabt, euch wirklich zu wehren!“ Der Ritter wandte sich erneut an Ansgar. „Du hast dich nur auf diesen Übungskampf konzentriert. Alles andere scheint dir gleichgültig gewesen zu sein – deinem Freund aber nicht. Auch darüber solltest du nachdenken!“ Ansgar senkte beschämt den Kopf.

Die Worte des Ritters hatten einigen Eindruck auf die beiden Jungen gemacht.

Nach einem Moment des Schweigens wandte sich Wolfram an Ansgar und sagte:

„Ich gratuliere dir zu deinem Sieg. Du warst heute der Bessere.“ Ansgar schüttelte den Kopf. „Wir können den Kampf einfach als unterbrochen werten und ein anderes Mal fortsetzen!“

„Dieses Angebot nehme ich gerne an.“

Der fremde Ritter stemmte die Arme in die Hüften. „Die Höflichkeit gebietet es eigentlich, dass man sich zu Anfang vorstellt. Da wir alle diesen Zeitpunkt verpasst haben, sollten wir es jetzt nachholen. Ich bin Bernward von Kammlingen, fahrender Ritter und Sänger auf Wanderschaft.“

Wolfram wartete ab, bis sein älterer und als Knappe auch ranghöherer Freund seinen Namen genannt hatte.

Endlich war der Zehnjährige an der Reihe: „Wolfram von Hauenfels“, stellte sich Wolfram vor und verneigte sich dabei, wie es die Höflichkeit verlangte. „Ich bin zurzeit Page auf der Burg des Grafen Norbert von Wildenstein!“

„Wildenstein ...“, murmelte Bernward von Kammlingen. „Ich habe gehört, dass eine Burg dieses Namens ganz in der Nähe liegt. Bauern in der Umgebung haben es mir erzählt.“

„Das ist richtig“, erklärte Wolfram. „Es sind nur ein paar Meilen.“

„Vielleicht begleitet Ihr mich dorthin, sodass ich mich Eurem Burgherrn vorstellen kann.“ Er atmete tief durch. „Die Tage werden schon kürzer und die Nächte kühler. Ich brauche eine Bleibe für den Winter. Außerdem habe ich gehört, dass hier in Kürze ein Turnier mit großem Jahrmarkt abgehalten werden soll.“ Wolfram nickte. „Das stimmt. Das große Herbstturnier wird bald stattfinden.“

„Ich nehme an, dass Baron Norbert von Wildenstein den Siegerpreis bereits ausgelobt hat!“, meinte der fremde Ritter.

In seinen Augen blitzte es auf eine Weise, die Wolfram nicht gefiel. Er vermochte nicht genau zu sagen, was es eigentlich war, das ihn so störte, aber Kaspar schien genauso zu empfinden. Er kauerte zu Wolframs Füßen und knurrte den Ritter drohend an.

„Ich glaube, wir zwei werden wohl nicht so schnell Freunde!“, stellte Bernward fest.

„Es wäre uns eine Ehre, Euch nach Burg Wildenstein zu geleiten“, erklärte inzwischen Ansgar.

„Worauf warten wir dann noch?“, fragte der Ritter.

Die beiden Jungen hatten ihre Pferde in der Nähe angebunden. Wolfram lief hin und holte sie. Wenig später schwangen sie sich in die Sättel. Reiten lernten zukünftige Ritter sehr früh. Meistens schon vor ihrer Zeit als Page. So war es auch bei Wolfram gewesen, der schon im Alter von sechs Jahren ein Pferd sicher beherrscht hatte. An Ansgars Sattel hing ein altes und bereits angerostetes Kurzschwert, dass er voller Stolz zu tragen pflegte, seit er Knappe war.

„Wie wir Euch schon sagten, Ritter Bernward – bis zur Burg sind es nur ein paar Meilen!“, rief Wolfram. „Im Galopp sind wir schnell dort!“

„Gemach, gemach!“, erwiderte der Ritter. „Mein Pferd hat einen langen und anstrengenden Ritt hinter sich und ist erschöpft. Ich möchte es nicht zu Schanden reiten, andernfalls stehe ich am Ende beim Turnier ohne Streitross da und kann mir das Preisgeld nicht verdienen.“

„Das klingt, als wärt Ihr sehr sicher, beim Herbstturnier den Sieg davonzutragen!“, sagte Wolfram.

„Oh, ich will jetzt nicht in Prahlerei verfallen, aber in aller Unbescheidenheit kann ich doch sagen, ein geübter Turnierkämpfer zu sein!“

„Es wird die Ritter von Wildenstein nicht gerade freuen, wenn sie so starke Konkurrenz bekommen!“, vermutete Ansgar.

„Oh, ganz im Gegenteil!“, erwiderte Bernward von Kammlingen. „Von den Rittern dieser Burg hört man nur das Beste. Und wenn sie wirklich so ehrenhafte Männer sind, wie überall erzählt wird, dann werden sie sich über eine echte Herausforderung freuen.“

„Ihr redet sehr viel von Ehre“, stellte Ansgar fest.

„Das ist nicht verwunderlich“, erwiderte Ritter Bernward. „Sie ist das Wichtigste bei einem Ritter. Für die Ehre ziehen wir in die Schlacht und kämpfen im Turnier. Nichts anderes zählt da, weder Gold noch Güter ...“

Sie ritten im langsamen Tempo von dannen. Ansgar führte die Gruppe an, dann folgte Ritter Bernward und am Schluss ritt Wolfram. Dieser zügelte plötzlich sein Pferd und drehte sich im Sattel herum, weil Kaspar ihnen einfach nicht folgte.

Der Hund bellte ihnen lediglich zweimal hinterher.

„Na los, Kaspar! Komm schon!“, rief Wolfram.

Aber der Hund schien andere Pläne zu haben. Er drehte sich herum und trottete zum anderen Ende der Lichtung.

„Kaspar!“, rief Wolfram ein letztes Mal, bevor das Tier im dichten Gestrüpp des Unterholzes verschwand.

„Dieser Höllenhund scheint sehr eigenwillig zu sein!“, stellte Bernward fest.

Wolfram schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht, warum er uns nicht folgt.“

„Wäre doch nicht das erste Mal, dass er es vorzieht, sich im Wald herzutreiben!“, meinte Ansgar.

„Wie ein gut ausgebildeter Jagdhund sieht diese Promenadenmischung wirklich nicht aus“, mischte sich Bernward ein.

Wolfram riss sein Pferd herum und ließ es über die Lichtung preschen. Er ritt im scharfen Galopp bis zum Waldrand, aber von dem Hund war nichts mehr zu sehen. Er rief noch ein paar Mal in die Dunkelheit des Waldes hinein, bekam aber keine Antwort.

Bernward und Ansgar lenkten jetzt ebenfalls ihre Pferde herum und folgten Wolfram.

Der fremde Edelmann ritt seitlich an Wolfram heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Am besten, du lässt diesem Eigenbrötler seinen Willen!“, schlug er vor. „Er ist ein Streuner, nicht wahr?“

„Das stimmt“, musste Wolfram zugeben.

„Dann dürfte es entschieden zu spät sein, dieses Tier noch erziehen zu wollen.

Entweder man fängt damit an, wenn sie noch kleine Welpen sind, oder man lässt es ganz bleiben.“

Wolfram atmete tief durch. Einen Moment lang hatte er geglaubt, dass der Hund ihm vielleicht irgendetwas zeigen wollte. Aber dann wäre er zurückgekommen und hätte sich bemerkbar gemacht!, ging es Wolfram durch den Kopf.

„Wahrscheinlich hat der fremde Herr Recht“, meldete sich Ansgar zu Wort. „Du weißt doch, wie Kaspar ist. Er kommt und geht und keiner weiß, wann man ihn das nächste Mal sieht. Vermutlich jagt er nur einem Hasen oder Eichhörnchen nach und ist schneller wieder auf der Burg als wir!“

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Sie ritten durch den dichten Wald und hielten sich dabei an die wenigen schmalen Pfade, die es hier gab. Die Jungen kannten sich hervorragend in diesem Gebiet aus, denn schließlich unternahmen sie des Öfteren ausgedehnte Streifzüge, und außerdem hatte zumindest Ansgar bereits einmal bei der Jagd als Treiber geholfen.

Endlich erreichten sie den Waldrand.

In der Ferne, auf einer Anhöhe, waren die Mauern von Burg Wildenstein zu sehen.

Wolfram deutete mit dem ausgestreckten Arm dorthin und sagte: „Seht, Ritter Bernward! Dort ist unsere Burg!“

Der fremde Ritter lehnte sich in seinem Sattel zurück und meinte: „Um ehrlich zu sein hatte ich mir Burg Wildenstein etwas größer und erhabener vorgestellt!“ Wolfram ärgerte diese Bemerkung.

Wohl wusste er, dass es größere und mächtigere Burgen im Land gab als Wildenstein. Aber dies jetzt anzusprechen, da der fremde Ritter doch die Gastfreundschaft des Burgherrn begehrte, erschien Wolfram recht unhöflich.

Nach und nach näherten sie sich der Burg. Die Wachmänner, die von den Türmen und Wehrgängen aus das umliegende Land beobachteten, würden die Ankömmlinge sofort ausmachen. Wolfram konnte sich gut vorstellen, was geschah, sobald das Wappen Ritter Bernwards von den Mauern der Burg aus erkennbar war. Einer der Wächter würde sofort die Ankunft eines fremden Ritters melden und den Kommandanten der Burgwache verständigen. Dieser berichtete die Neuigkeit dann dem Baron.

Es gab nicht oft Besuch auf Burg Wildenstein. Und daher war die Ankunft eines Fremden immer etwas Besonderes, das den Alltag unterbrach.

Bald schon ritten Bernward und die beiden Jungen durch das Burgtor mit Fallgatter.

Sie gelangten in den so genannten Wirtschafts- oder Vorhof der Burg, wo allerhand Geschäftsleute und Handwerker zu finden waren. Hier standen außerdem die Häuser und Hütten der Burgbediensteten, zum Beispiel der Wachleute. Außerdem gab es eine Schmiede und eine Schneiderei, in der die Gewänder der Ritter und ihrer Damen gefertigt wurden. Die Ställe für die Tiere befanden sich ebenfalls hier, sodass oftmals der Geruch von Pferdemist über dem Vorhof wie eine schwere Dunstglocke hing.

Kaufleute priesen ihre Waren an und ein paar Gaukler versuchten, das Publikum in den Bann zu ziehen und dafür etwas zu ergattern. Das Interesse der Menschen hielt sich jedoch in Grenzen und wurde völlig abgelenkt, als der fremde Ritter hereinritt.

„Seht nur, sein Wappen!“, rief jemand.

„Er muss von weit her kommen – ein derartiges Wappen habe ich nie zuvor gesehen!“

„Er scheint ein Sänger zu sein!“

„Woher willst du das wissen?“

„An seinem Sattel hängt doch ein Instrument!“

„Eine Laute!“

„Hoffen wir nur, dass seine Stimme nicht so schrill das Lautenspiel übertönt, wie es bei dem letzten fahrenden Sänger der Fall war, der auf Burg Wildenstein beherbergt wurde.“

Auf diesen letzten Satz folgte Gelächter, das jedoch sofort verstummte, als Bernward seinen strengen Blick über die Männer und Frauen schweifen ließ, die den Weg des Ritters säumten. Die Menschen starrten den Fremden an.

Das Gewand des Ritters hatte Streifen in leuchtendem Blau und war aus einem edlen, sehr fein gewebten Stoff gefertigt.

Die Kleider der Menschen am Wegesrand waren dagegen nur in Grau und Braun gehalten. Und wenn es zwischen ihnen doch einmal einen Farbtupfer gab, so konnte man gewiss sein, dass es sich um einen Ritter oder eine Edeldame handelte, denn Handwerkern und Bauern war es verboten, Farbstoffe bei der Herstellung ihrer Kleidung zu verwenden. Denn man sollte schon gleich an der Kleidung sehen, ob jemand zum Adel gehörte oder nur ein Mann aus dem einfachen Volk war.

Auch hinter den Zinnen der inneren Burgmauer patrouillierten Burgwachen auf und ab. Sie trugen Schwerter, lange Lanzen, die Hellebarden genannt wurden, und Streitäxte. Manche von ihnen auch eine Armbrust oder einen Bogen. Durch ein Tor gelangten Wolfram, Ansgar und Ritter Bernward in den inneren Burghof, der im Fall eines Angriffs selbst dann noch verteidigt werden konnte, wenn die äußere Mauer längst durch den Feind überwunden und der Wirtschaftshof bereits erobert worden war.

Die drei ritten geradewegs auf den Palas zu, das Herrenhaus von Burg Wildenstein, den der Burgherr und seine Gattin bewohnten.

Offenbar hatte sich die Nachricht von der Ankunft des Gastes schon herumgesprochen, denn ein gutes Dutzend Ritter stand bereits vor dem Portal des Herrenhauses herum und hatten offensichtlich ihre Waffenübungen unterbrochen, um dem Gast ihres Burgherrn zu begegnen.

Wolfram stieg aus dem Sattel. Ansgar ebenfalls. Der Knappe nahm das Pferd des fremden Ritters am Zügel und nun stieg Bernward von seinem Ross.

Auf der obersten Stufe des Portals erschien jetzt ein breitschultriger Mann in der Kleidung eines Ritters. Er trug das Schwert am Gürtel, allerdings kein Kettenhemd und auch keinen Helm. Schließlich hatte er im Augenblick nicht vor, in den Kampf zu ziehen.

Ritter Bernward verneigte sich. „Seid gegrüßt, Baron und Burgherr von Wildenstein.

Mein Name ist Bernward von Kammlingen. Ich bin ein fahrender Ritter auf Wanderschaft auf der Suche nach Ruhm und Ehre.“

„Seid willkommen auf Burg Wildenstein. Ich bin Baron Norbert und dies ist meine holde Frau, die Burgherrin Margarete.“

Bernward verneigte sich noch einmal, diesmal noch tiefer. „Es wäre mir eine Ehre, an Eurem weithin bekannten Herbstturnier teilnehmen zu dürfen, an dem gewiss eine große Zahl tapferer Ritter die Waffen schwingt!“

„Um ehrlich zu sein ist Burg Wildenstein nicht gerade ein Königshof, sondern nur der Herrensitz eines einfachen Barons!“ Der Burgherr deutete auf seine Ritter. „Mit tapferen, ehrenwerten und in vielen Schlachten bewährten Rittern könnt Ihr rechnen. An Ehre gibt es hier genug zu verdienen, aber was das Preisgeld angeht ...“ Der Baron sprach zunächst nicht weiter.

Wolfram bemerkte die Veränderung, die im Gesicht des fremden Ritters vor sich ging. Eine tiefe Furche bildete sich auf dessen bis dahin glatter Stirn.

„Was ist mit dem Preisgeld?“, hakte Bernward schließlich nach, als die Pause des Schweigens ihm allzu lang wurde.

Auch die Ritter des Barons sahen ihren Burgherrn gespannt an, denn ihnen gegenüber hatte sich Baron Norbert ebenfalls noch nicht über das diesjährige Preisgeld für den Sieg beim Herbstturnier geäußert.

Der Baron atmete tief durch und schlug dem fahrenden Ritter dann freundschaftlich auf die Schulter. „Was sollen wir über Geld und Gut reden, durch die letztlich nur Verdruss und Ärger entstehen! Überlassen wir diese Dinge den Händlern und Krämerseelen, die auf dem Markt im Wirtschaftshof um ihre Waren feilschen.“

„Nun ...“

„Wir sind doch Edelleute!“

„Gewiss!“

„Edel von Abstammung – aber auch von edler Gesinnung. Euch muss ich doch nicht sagen, dass es auf ganz andere Dinge ankommt, als auf die Anhäufung von Gold und Silber. Sagt nicht auch unser Burgkaplan immer, dass man nichts davon mitnehmen kann, wenn man eines Tages ins Reich der Toten tritt!“ Bernward hob die Schultern. „Da habt Ihr sicher Recht“, gestand er Baron Norbert widerstrebend zu.

Der Burgherr fuhr indessen fort: „Gleichgültig, ob man nun am Tag des jüngsten Gerichts dazu ausersehen wird, in den Himmel aufzufahren und zur Rechten Gottes zu sitzen, oder ob man seiner Missetaten wegen abwärts in die Hölle fährt und dort auf ewig über dem Feuer geröstet wird – Gold und Silber nützen einem weder dort droben noch dort unten etwas!“

„Das lässt sich nicht bestreiten“, murmelte der fremde Ritter kleinlaut.

Wolfram hatte jedoch den Eindruck, dass Ritter Bernward nicht ganz die Wahrheit gesprochen hatte. Ein hohes Preisgeld wäre ihm wahrscheinlich lieber als aller Ruhm und alle Ehre der Welt!, ging es Wolfram durch den Kopf. Zwar sprach Bernward viel von Ehre, aber Wolfram hatte die Veränderung gesehen, die in dem Gesicht des fahrenden Ritters vor sich gegangen war, als ihm klar wurde, dass das Preisgeld des diesjährigen Turniers nicht sehr üppig ausfallen würde.

„Lasst uns erst einmal in den Palas hineingehen, verehrter Ritter Bernward“, schlug Baron Norbert vor. „Ihr müsst mir von Euren Reisen und Erlebnissen erzählen. Seid Ihr den sagenhaften Drachen einmal begegnet oder sind sie nur Geschöpfe der Fantasie?

Und wo seid Ihr schon überall gewesen?“ Norbert wandte sich den anderen Rittern zu und machte eine weit ausholende Geste. „Ich nehme an, dass diese ehrenwerten Herren hier auch an Euren Erzählungen interessiert wären, schließlich verirren sich nicht allzu oft Reisende in diese Gegend!“

„Gegen einen Becher mit Wein werdet Ihr sicher nichts einzuwenden haben, Bernward von Kammlingen“, mischte sich nun die Burgherrin mit ihrer hellen, freundlich klingenden Stimme in das Gespräch ein.

„Gewiss nicht!“, erklärte Bernward, dessen Gesicht sich wieder etwas aufhellte.

Norbert wandte sich an Ansgar. „Ihr beide wart lange weg. Zu lange für meinen Geschmack!“

„Oh, Ihr solltet den beiden Jungen keine Vorwürfe machen“, sagte Bernward. „Ich war es, der sie gewiss aufgehalten hat, weil mein Pferd durch den langen Ritt schon ziemlich müde war. Hätten sie mich nicht getroffen, so wären sie sicherlich viel früher zur Burg zurückgekehrt!“ Bernward zwinkerte Wolfram zu.

Baron Norbert zuckte die Achseln. „Wie auch immer! Ansgar, die anderen Knappen werden gerade von unserem Falkner in der Greifvogeljagd unterrichtet. Du hast schon einiges versäumt! Eile hinter ihnen her! Sie sind bei dem Dorf Langenfeld! Na los, schwing dich in den Sattel!“

Das ließ sich Ansgar nicht zweimal sagen. Er übergab das Ross Bernwards an einen der umherstehenden Ritter und stieg wieder in den Sattel seines eigenen Pferdes. Im nächsten Moment schon preschte er dem Tor der inneren Ringmauer entgegen.

Doch Wolfram hatte es ihm genau angesehen! Der Knappe hätte allzu gerne auch den Geschichten des fahrenden Ritters gelauscht – aber dazu würde er zumindest heute keine Gelegenheit mehr bekommen.

Baron Norbert wandte sich an Wolfram. „Du kommst mit uns und wirst unseren Gast bedienen“, wies er den Zehnjährigen an.

„Aber ...“ Wolfram stockte. Er bereute schon, überhaupt etwas erwidert zu haben. Es war ihm einfach über die Lippen gesprudelt und er konnte froh sein, den Rest seiner Worte einfach heruntergeschluckt zu haben.

Der Baron runzelte die Stirn. „Hast du etwa irgendetwas dagegen einzuwenden, dass du hier deinen Pflichten als Page nachkommen sollst?“, fragte er etwas ungehalten über den Widerspruch des Jungen.

„Natürlich nicht“, sagte Wolfram. Er konnte sich denken, dass sich die Gespräche mit dem Baron hinziehen würden und eigentlich hatte der Junge heute noch etwas sehr Wichtiges vor. Regelmäßig besuchte er nämlich Pater Ambrosius, einen gelehrten Mönch im nahen Kloster St. Ingbert, der ihm Lesen und Schreiben beibrachte.

Fähigkeiten, von denen Baron Norbert der Ansicht war, dass ein Ritter sie nicht zu beherrschen brauchte. Schließlich konnte sich ein Edelmann stets für ein paar Münzen die Dienste eines Schreibers leisten. Lesen und Schreiben war etwas für die Männer der Kirche, die in der Bibel lasen. Aber nicht für einen Mann, der einen Landstrich zu regieren und zu verteidigen hatte.

Wolfram war in diesem Punkt allerdings anderer Ansicht. Er wollte unbedingt lesen und schreiben lernen, um selbst nachprüfen zu können, was in den Schriften geschrieben stand.

Auch heute war er mit Ambrosius verabredet – doch nun würde er wahrscheinlich nicht mehr nach St. Ingbert reiten können. Das ärgerte ihn.

Aber gegen den Befehl seines Burgherrn wagte er nicht aufzubegehren. Wenn er sich dessen Anordnungen nicht fügte, konnte er schlimmstenfalls mit Schimpf und Schande zurück auf die Burg seiner Eltern geschickt werden. So etwas sprach sich natürlich herum. Welcher Ritter wäre danach noch bereit gewesen, ihn auszubilden?

Baron Norbert bat seinen Gast und die anderen Ritter ins Innere des Palas.

Margarete, die holde Burgherrin wandte sich nun an Wolfram. „Geh in die Küche, berichte dem Küchenmeister, dass wir hohen Besuch haben und er für den Abend ein Festmahl auftischen soll!“

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738918809
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (März)
Schlagworte
hund unheils

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Der Hund des Unheils: Tatort Mittelalter 2