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Bount Reiniger: Der Killer, dein Freund und Helfer

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2018 160 Seiten

Zusammenfassung

DER KILLER, DEIN FREUND UND HELFER
Ein Roman aus der Serie "N.Y.D. - New York Detectives" von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 101 Taschenbuchseiten.

Der Killer sah aus wie 'dein Freund und Helfer'. Er trug eine Polizeiuniform. Doch er mordete wie der Teufel. Das New York Police Department gerät in Verruf, denn unter den ehrenwerten Cops ist ein Wolf im Schafspelz. Der New Yorker Ermittler Bount Reiniger hat eine besonders harte Nuss zu knacken.

Cover: Firuz Askin

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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DER KILLER, DEIN FREUND UND HELFER

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von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 101 Taschenbuchseiten.

Der Killer sah aus wie 'dein Freund und Helfer'. Er trug eine Polizeiuniform. Doch er mordete wie der Teufel. Das New York Police Department gerät in Verruf, denn unter den ehrenwerten Cops ist ein Wolf im Schafspelz. Der New Yorker Ermittler Bount Reiniger hat eine besonders harte Nuss zu knacken.

Cover: Firuz Askin

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Der Killer sah aus wie 'dein Freund und Helfer'.

Er trug eine Polizeiuniform.

Von seinem Gesicht war kaum etwas zu erkennen, denn er trug eine dunkle Sonnenbrille und die Mütze war tief ins Gesicht gezogen. Ein eiskaltes Lächeln spielte um seine dünnen, blutleeren Lippen.

Er wartete.

Er wartete und hatte auch alle Zeit der Welt dazu. Er kannte die Gewohnheiten des Mannes, den er sich zum Opfer auserkoren hatte, gut genug, um zu wissen, dass dieser jeden Moment auftauchen konnte.

Und als dann der metallic-farbene Ferrari um die Ecke rauschte, löste er den Halteriemen seines Polizeiholsters.

Fast wie in diesen alten Western-Filmen, dachte der Killer.

Wenn sich die Kontrahenten zum Showdown bereitmachten.

Aber dieses würde kein Duell werden, sondern eine Hinrichtung.

Ja, dachte der Killer. Hinrichtung! Das ist das richtige Wort!

Der Ferrari parkte vor dem PARADISE, einem etwas heruntergekommenen Nachtclub, der sicher auch schon einmal bessere Zeiten gesehen hatte.

Es war noch früh am Morgen - ein sonniger, aber eiskalter Frühlingsmorgen in New York City. Und um diese Zeit war im PARADISE natürlich noch nichts los.

Wirst wohl geschäftlich hier zu tun haben, du Ratte!, dachte der Killer und verzog ganz leicht den Mund, so dass auf der linken Seite eine Goldkrone zum Vorschein kam.

Seine Hand legte sich um den Griff des Polizeirevolvers.

Die Tür des Ferraris ging auf, ein Mann im braunen Kamelhaarmantel stieg aus. Er trug einen gezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart, der ihm etwas Geckenhaftes gab.

Um das Handgelenk klimperte ein Goldkettchen.

Man sah es in der Sonne glitzern.

Er wirkte wie ein Mann, der sehr schnell zu sehr viel Geld gekommen war - und nun mehr davon besaß, als er sich je hatte vorstellen können. Wahrscheinlich stammte er aus kleinen Verhältnissen, denn er schien in seinem ganzen Auftreten besonderen Wert darauf zu legen, dass auch ja niemand seinen Reichtum übersah.

Ein Wangenmuskel des Killers zuckte unruhig.

Ja, dachte er. Dreckiger Reichtum! Geld, das in Blut getränkt war und mit dem man sich freikaufen konnte, wenn man am Haken des Gesetzes hing.

Doch das alles würde dem Kerl im Kamelhaarmantel jetzt auch nichts mehr nützen.

"Mr. Gonella?"

Der Mann im Kamelhaarmantel blickte zu seinem Mörder hinüber und legte die Stirn in Falten. Mit der Rechten fasste er an seinen gezwirbelten Schnurrbart und drehte daran.

"Was gibt's, Officer?"

Sein Ton drückte deutliche Herablassung aus.

Er weiß, dass die Markenträger zahnlose Papiertiger sind, dachte der Killer. Aber da wird er sich noch wundern, wenn er gleich auf die Ausnahme von der Regel trifft!

"Sind Sie Mr. Arnie Gonella?"

"Ja, der bin ich. Was soll das? Ich weiß, dass hier Halteverbot ist, aber ich habe hier immer schon geparkt. Es hat sich nie jemand daran gestört."

Gonella kam ein paar Schritte näher und baute sich vor dem Mann in der Polizeiuniform breitbeinig auf.

Dieser blieb eiskalt.

"Sie sind also Mr. Arnie Gonella - Drogendealer, Zuhälter und Mörder!"

Gonella schluckte.

Die Sache wurde ihm jetzt einfach zu bunt.

So etwas hatte er sich schon lange nicht mehr von einem Uniformträger bieten lassen müssen!

"Jetzt mach dich mal nicht zu wichtig, kleiner Bulle! Gerade hätte ich dir noch fünfhundert Dollar dafür gegeben, damit du mich hier parken lässt..."

"Es geht nicht um Ihren Parkplatz, Gonella!"

"...jetzt überlege ich, ob ich dir nicht bei Gelegenheit mal ein paar Gorillas vorbeischicken sollte, die so einen kleinen Hosenscheißer wie dich mal richtig in die Mangel nehmen."

Arnie Gonella war richtig in Fahrt gekommen, sein Kopf hochrot geworden, wie bei einem Säugling, der sich verschluckt hat.

Aber dann war er plötzlich still und das hatte einen einleuchtenden Grund.

Gonella blickte jetzt nämlich direkt in die blanke Mündung eines Polizeirevolvers.

"Mach keine Dummheiten!", zischte er und drehte sich nach allen Seiten um. Aber da war niemand. Um diese frühe Stunde war man hier fast so einsam wie in der Wüste. Und wenn wider Erwarten doch jemand die Szene beobachten würde, so wusste Arnie Gonella nur zu gut, dass er auch dann nicht auf Hilfe hoffen konnte.

Aus der Ferne wirkte es vermutlich jetzt noch wie eine gewöhnliche Verhaftung.

Außerdem kümmerte sich hier jeder nur um seinen eigenen Dreck. Wenn irgendwo eine Waffe gezogen wurde, schaute man weg. Und wenn ein Polizist dabei war, wollte man schon gar nichts damit zu tun haben.

"Heben Sie die Hände, Gonella!"

"Was immer du mir verwerfen willst, kleiner Bulle, meine Anwälte hauen mich in zwei Stunden wieder heraus."

"Ja, ich weiß", kam es eisig zurück. "Ich weiß das sehr gut, aber diesmal werden Sie keine Gelegenheit dazu bekommen."

Gonella stand mit offenem Mund da und hob die Hände. Man konnte sehen, wie ihm der Puls bis zum Hals hinauf schlug. Er begann jetzt, Angst zu haben.

Und der Killer schien dies zu genießen.

"Was...", flüsterte Gonella. "Was haben Sie mit Ihrer letzten Bemerkung gemeint, Officer?"

"Was ich sagte."

"Aber... Mein Gott! Wollen Sie Geld?"

"Erinnern Sie sich an den Namen Jack Calderwood? Natürlich erinnern Sie sich. Schließlich haben Sie ihn umgebracht."

"Das stimmt nicht! Ich..."

"Dem Gericht konnten Sie etwas vormachen, Gonella. Sie konnten Zeugen kaufen und sich Anwälte besorgen, die den Geschworenen das Hirn einnebelten. Aber mich können Sie nicht täuschen! Bei mir kommen Sie weder wegen Formfehlern noch wegen mangelnden Beweisen davon!"

Gonella atmete tief durch und schien verzweifelt. Vielleicht verfluchte er in diesem Moment die Tatsache, dass in einem engen Sportwagen eben kein Platz war, um eine Horde von Leibwächtern spazieren fahren zu können.

"Die Gerichtsverhandlung ist zu Ende", sagte Gonella. "Ich bin freigesprochen worden. Nehmen Sie das zur Kenntnis! Wenn Sie die Sache wieder aufrollen möchten, wenden Sie sich gefälligst an den Staatsanwalt. Aber Ihresgleichen kann wohl nicht verlieren!"

"So ist es. Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, dass jemand wie Sie frei herumlaufen kann."

"Vergessen Sie's. Ist besser so!"

Gonellas letzte Bemerkung war eine unverhohlene Drohung und der Killer dachte: Es gehört schon eine ziemliche Unverfrorenheit dazu, noch im Angesicht eines 38er zu drohen.

Aber bei einem Kerl, der der Staatsanwaltschaft von New York von der Schippe springen konnte war das vielleicht gar nicht so furchtbar ungewöhnlich.

"Sie haben Jack Calderwood getötet", erklärte der Killer im Brustton der Überzeugung. "Dem Gericht reichten die Beweise nicht, aber ich spreche Sie schuldig, Gonella!"

Es machte 'klick!' als der Hahn des Revolvers gespannt wurde.

"Hören Sie! Machen Sie keine Dummheiten...", schnatterte Gonella. "Wir können uns bestimmt einigen..."

Gonella wich ein paar Schritte zurück, sein Gegenüber hob die Waffe und zielte. Der Mann in Uniform war ein guter Schütze.

Gonella stierte seinen Mörder fassungslos an und für eine Sekunde oder etwas mehr geschah überhaupt nichts.

Der Killer wusste, dass sein Opfer in der rechten Manteltasche eine kleine, zierliche Schusswaffe versteckt hatte, deren Griff vergoldet war und die fast wie ein Spielzeug wirkte.

Und so war er auch nicht sonderlich überrascht, als Gonella einen letzten, verzweifelten Versuch unternahm, sein Leben doch noch zu retten.

Mit einer schnellen Bewegung riss dieser die Rechte abwärts und griff in die Tasche. Aber die Hand war noch nicht einmal zur Hälfte in den Kamelhaaren des Mantels verschwunden, da krachte bereits der 38er Polizeirevolver.

Ein Ruck ging durch Gonellas Körper. Er wurde nach hinten gerissen und taumelte, während sich mitten auf seiner Stirn ein roter Punkt bildete, der immer größer zu werden schien.

Gonella taumelte rückwärts, aber noch bevor er schwer auf das Pflaster schlug, hatte der Mann in der Polizeiuniform zwei weitere Schüsse abgegeben.

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Captain Toby Rogers vom Morddezernat Manhattan C/II fröstelte - aber das lag nicht so sehr an der Leiche, die zu seinen Füßen auf dem Pflaster lag, sondern daran, dass er seinen Mantel nicht schließen konnte.

Er hatte es versucht, aber das Ergebnis war, dass ihm jetzt auch noch ein Knopf fehlte und seine Kollegen nach Feierabend etwas hatten, worüber sie sich herzhaft amüsieren würden. Die Geschichte würde ihre Runde durch alle Abteilungen der New Yorker Polizei machen, darauf konnte man Gift nehmen.

Die Arbeit im Morddezernat war ja ansonsten nicht gerade dafür bekannt, besonders lustig zu sein.

Toby Rogers war ein massiger Koloss von gewaltigen Ausmaßen, was dazu führte, dass sein Auftreten recht ungeschickt und plump wirkte. Schon so mancher hatte sich allerdings dadurch täuschen lassen. Rogers war nämlich alles andere als ein Trottel.

Er war ein Spitzenmann seines Fachs!

"Ich kenne das Gesicht", murmelte Rogers halb zu dem Mann an seiner Seite, halb zu sich selbst gewandt. "Arnie Gonella.

Drogendealer, Zuhälter..."

"...und Polizistenmörder!", rief Greene von der Spurensicherung grimmig dazwischen, als er sich über den Toten beugte und von seinen Kollegen dabei angestarrt wurde, als wäre er ein Schamane, der gerade eine heilige Handlung vollzog.

"Ich habe davon gehört", knurrte Browne, ein hochaufgeschossener Lockenkopf. "Der verfluchte Hund wurde freigesprochen!"

"Von Toten soll man nicht schlecht sprechen", ächzte Greene ironisch.

"Von diesem schon", knurrte Browne und verzog das Gesicht.

"Gonella war ein Schwein, daran ändert auch kein Gerichtsurteil etwas!"

"Es konnte nie bewiesen werden, dass Gonella den Polizisten getötet hat", stellte Toby Rogers fest.

"Selbst wenn nicht", gab Browne unbeeindruckt zurück. "Dann sind da immer noch die vielen, die er mit Drogen vollgepumpt damit ganz langsam getötet hat." Er zuckte mit seinen schmalen Schultern. "Jetzt hat es ihn selbst erwischt. Soll ich es etwa bedauern?"

Rogers machte eine hilflose Handbewegung.

"Es verlangt ja keiner von uns, dass wir vor Trauer zerfließen. Man erwartet nur, dass wir Arnie Gonellas Mörder finden."

Browne verzog das Gesicht in einer Art und Weise, die Rogers gar nicht gefiel.

"In diesem Fall hätte ich nichts dagegen, wenn wir ihn nicht fänden", knurrte Browne grimmig. In seinen Augen blitzte es.

Der Captain runzelte die Stirn.

"Browne! So kenne ich Sie ja gar nicht! Sie steigern sich ja richtig in die Sache hinein!"

Browne schluckte und atmete dann tief durch. Seine Hände waren zu Fäusten geballt.

"Ich mag es nicht, wenn wir Cops als Zielscheiben für solche Halunken herhalten müssen..."

"Geschenkt!"

Jemand gab Rogers Gonellas Brieftasche. Rogers öffnete sie und zog ein paar Sekunden später einen zusammengefalteten, aus Zeitungsüberschriften aneinandergeklebten Brief hervor.

Unterzeichnet mit: DIE WAHRE POLIZEI.

Rogers hielt das Papier Browne hin und meinte: "Ich mag es auch nicht, wenn auf Cops geschossen wird, aber ich kann es genauso wenig leiden, wenn einer aus unserem Verein durch die Straßen zieht und in eigener Regie Richter und Henker zugleich spielt!"

Etwas abseits stand noch ein weiterer Beamter. Er schaute sich die Szene nur stumm an und schien fast etwas abwesend. Sein Blick war starr auf Arnie Gonella gerichtet.

"Hey, Marvin, träumst du? Hast du gar keine Meinung dazu?", rief Browne, der Lockenkopf, unwirsch. "Gestern beim Bier warst du noch derselben Meinung wie ich!"

Marvin hob leicht den Blick.

"Mag sein", murmelte er auf eine Art und Weise, die sein Gegenüber spüren ließ, dass er noch immer nicht ganz da war.

Browne zuckte mit den Achseln und machte eine wegwerfende Handbewegung.

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"Schon die Zeitung gelesen, Bount?"

"Nein, bin noch nicht dazu gekommen."

"Dieser Killer-Cop hat wieder zugeschlagen. Das elfte Opfer. Langsam blamiert sich unser gemeinsamer Freund Rogers mit seiner Truppe in Grund und Boden!"

"Toby wird schon wieder auf die Füße fallen, June. Verlass dich drauf, er kriegt den Kerl schon!"

Bount Reiniger, der bekannte New Yorker Privatdetektiv, lehnte sich erst einmal im Schreibtischsessel zurück und studierte die kurvenreiche Figur von June March, seiner attraktiven Assistentin.

June war eine einzige schwindelerregende Silhouette - aber leider wusste Bount ihre Reize nicht so zu würdigen, wie sie das gerne gehabt hätte.

"Du solltest wirklich mal einen Blick riskieren, Bount", meinte sie, schenkte sich auf eine unnachahmliche Weise einen Kaffee ein, um sich dann auf Bounts Schreibtisch zu setzen und gekonnt die Beine übereinander zu schlagen.

Bount grinste unverschämt.

"Tu ich doch!"

June hob die Augenbrauen und widmete Bount einen schmachtenden Blick ihrer unglaublich blauen Augen.

"Eigentlich meinte ich ja die Zeitung", konterte sie kokett. "Aber gegen das andere habe ich auch nichts."

"Nun, was ich im Augenblick sehe, ist auf jeden Fall um vieles erfreulicher, als alles, was man in der Zeitung lesen kann..."

"Das will ich hoffen!"

Und damit machte June sich wiegenden Schrittes in Richtung Tür davon. Bevor sie Bount allein ließ, drehte sie sich allerdings noch einmal um und meinte: "Übrigens - ist dir bewusst, dass du in etwa fünf Minuten einen Termin hast, Bount? Ich weiß nicht, ob es auf Klienten einen besonders guten Eindruck macht, wenn man sie in einem verschwitzten Jogging-Anzug empfängt!"

Und dann war sie auch schon verschwunden.

Als Bount aufstand, um sich frisch zu machen, fiel sein Blick doch noch kurz auf die Zeitung. 'Wer wird das nächste Opfer des Killer-Cop?', stand dort in großen Lettern.

Armer Toby, dachte der Privatdetektiv mitfühlend. Du machst im Augenblick sicher eine Menge mit. Als Selbstständiger kann man sich seine Fälle in der Regel immerhin noch aussuchen.

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"Es tut mir leid, dass ich Sie einen Moment habe warten lassen", entschuldigte sich Bount, als er wenig später jenem Klienten gegenüberstand, dessen Name in seinem Terminkalender eingetragen war.

Der Klient war eine äußerst attraktive, dunkelhaarige Schönheit, in deren braunen Augen ein seltsames Glitzern stand, das Bount unwillkürlich schlucken ließ.

"Aber das macht doch nichts, Mister Reiniger."

"Da war noch ein dringender Fall...", murmelte Bount, während er sich seine Krawatte zu Ende band. Duschen und Umziehen in fünf Minuten - das war eben kaum zu schaffen.

Die dunkle Schönheit schenkte Bount ein entzückendes Lächeln.

"Das macht doch wirklich nichts."

Fast eine volle Sekunde lang begegneten sich ihre Blicke.

"Nehmen Sie doch Platz, Miss..."

"Danke."

Sie setzten sich.

"Sagen Sie, haben wir uns nicht irgendwo schon einmal gesehen?", fragte Bount. "Irgendwie kommt mir Ihr Gesicht bekannt vor. Ich weiß im Augenblick nur nicht, wo ich Sie einordnen soll."

"Mein Name ist Diane Wyner. Mrs. Diane Wyner."

"Oh..."

"Allerdings bin ich Witwe - eine Tatsache die übrigens auch etwas damit zu tun hat, weshalb ich hier bin."

Indessen hatte es bei Bount geklingelt.

"Kann es sein, dass ich Ihr Gesicht vor einiger Zeit in den bunten Blättern gesehen habe?"

"Leider ja. Ich wurde beschuldigt, meinen Mann ermordet zu haben."

Bount nickte.

"Ich erinnere mich. Ein Fall, der ziemlich viel Aufsehen erregt hat. Vor allem deshalb, weil die Geschworenen Sie freigesprochen haben, obwohl viele der Ansicht waren, dass das ein Fehlurteil war."

"Sie mussten mich freisprechen. Ich war unschuldig."

Bount lehnte sich zurück.

"Und was ist nun ihr Anliegen? Möchten Sie vielleicht, dass ich den wahren Mörder ermittle? Dafür kommen Sie reichlich spät. Sämtliche Spuren dürften längst kalt oder verweht sein."

Diane Wyner schüttelte den Kopf und senkte den Blick.

"Nein", sagte sie dann etwas gedehnt. "Das ist es nicht."

Bount hob die Augenbrauen.

"Was dann?"

Sie sah ihn jetzt mit festem Blick an, ein Blick der Bount durch und durch ging. Was für eine Frau, schoss es ihm den Kopf.

Und dann öffnete sie ihre Handtasche und holte einen Umschlag hervor.

"Hier", sagte sie und reichte Bount das Couvert. "Dies war gestern in meiner Post. Und es war nicht der erste Brief dieser Art!"

Bount öffnete den Umschlag und holte den Inhalt heraus: Ein Stück Papier mit einem zusammengeklebten Text, der aus wüsten Drohungen bestand und mit DIE WAHRE POLIZEI gezeichnet war.

"Es ist genau wie bei den Opfern dieses Killer-Cops, der gegenwärtig New York unsicher macht", rief Diane Wyner und strich sich dabei das dunkle Haar aus den Augen. "Sie bekamen alle erst solche Briefe und wurden dann getötet." Sie schluckte.

"Vorgestern hat man auf mich geschossen, Mister Reiniger!" Sie beugte sich ein wenig vor. "Mister Reiniger, ich habe Angst um mein Leben. Deshalb bin ich zu ihnen gekommen. Sie sollen der Beste sein."

"Nun...", machte Bount.

"Doch, doch, ich habe mich erkundigt. Man spricht von Ihnen in der Branche respektvoll, Bount Reiniger."

Bount hob den Drohbrief hoch und fragte: "Waren Sie damit schon bei der Polizei, Mrs. Wyner?"

"Natürlich!"

"Die Kollegen mit den Hundemarken arbeiten doch mit Hochdruck an der Sache mit dem Killer-Cop - schon weil es langsam ihren Ruf ruiniert." Bount deutete dabei auf die Zeitungsschlagzeile.

Diane nickte.

"Ich habe es auch gelesen. Aber wissen Sie, was man mir auf dem Police Department gesagt hat?"

"Was denn?"

"Dass ich mich nicht aufregen soll. Sie würden ab und zu eine Streife bei mir vorbeischicken." Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. "Die Polizei kann ich wohl abschreiben. Eine Karte, die nicht mehr sticht."

"Oh, seien Sie nicht zu hart", meinte Bount, bot seinem Gast eine Zigarette an und nahm sich dann selbst eine. Sie lächelte matt, als er ihr Feuer gab.

Dann berichtete sie: "Die Polizei wird im Augenblick mit sogenannten Trittbrettfahrern überschwemmt. Leute, die irgendwem eins auswischen wollen, die Sache mit dem Killer-Cop gelesen haben und dann Briefe in gleicher Manier verschicken. Unterzeichnet: DIE WAHRE POLIZEI!" Sie nahm einen tiefen Lungenzug. "Ein Officer, der mich vernommen hat meinte, es sei wie eine ansteckende Krankheit. Eine Epidemie!"

Bount verstand.

Wahrscheinlich wurde es jetzt für die Polizei immer schwieriger, die echten Drohungen des Killer-Cop von denen der Trittbrettfahrer, Witzbolde und anderer zu unterscheiden, die allesamt der Auffassung zu sein schienen, dass die Polizei nicht genügend ausgelastet war.

"Ich hoffe, Sie übernehmen den Fall, Mister Reiniger", sagte Diane und legte mit einer eleganten Handbewegung, wie aus dem Ärmel gezaubert einen Scheck vor ihn hin.

"Nun", machte Bount und warf dabei ein Auge auf die eingetragene Summe. Sie war beachtlich.

"Geld ist kein Problem", sagte Diane. "Meine Werbeagentur ist eine der Top-Adressen in diesem Bereich. Und diesen verstehen Sie bitte auch nur als Anzahlung."

"Kleinlich sind Sie jedenfalls nicht... Diane." Bount lächelte gewinnend. "Ich darf Sie doch so nennen, oder?"

"Natürlich, Mister Reiniger."

"Sagen Sie Bount zu mir!"

"Bount...", sagte sie. "Wenn einer den Killer-Cop fangen kann, dann Sie, Bount!"

Bount Reiniger verzog das Gesicht.

"Den Killer Cop - oder denjenigen, der diesen Drohbrief geschrieben hat und auf Sie geschossen hat?"

"Glauben Sie nicht, dass das ein und derselbe ist? Schließlich passe ich genau in die Opferreihe dieses Monstrums hinein. Ich wurde eines Kapitalverbrechens angeklagt und freigesprochen. Und jetzt schießt DIE WAHRE POLIZEI auf mich!"

Bount nickte.

"Wahrscheinlich haben Sie recht, Diane."

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Als Bount mit dem Mantel über dem Arm und der dunkelmähnigen Diane Wyner an der Seite June begegnete, bedachte diese Bounts Begleiterin mit einem abschätzigen, fast schon etwas giftigen Blick.

Bount erklärte June in knappen Worten, worum es bei Dianes Fall ging, aber das blonde Minnesota-Girl schien kaum zuzuhören. Ihr gefiel nicht, wie Bount mit seiner Klientin umging.

Das war entschieden zu zuvorkommend, fand sie.

Ich werde auf der Hut sein müssen, ging es durch den Kopf. In ihren blauen Augen blitzte es eifersüchtig, als sie sich erkundigte: "Was wirst du jetzt unternehmen, Bount?"

Bount grinste.

"Die Sache unter die Lupe nehmen - was sonst!"

June zog eine Schnute.

"Ich hoffe, du holst dir nichts an den Augen!"

Wenig später hatten Bount und seine Klientin die Residenz des Privatdetektivs verlassen und waren mit dem Aufzug abwärts gefahren.

"Kann es sein, dass Ihre Assistentin mich nicht mag, Bount?"

Bount Reiniger unterdrückte ein Schmunzeln und meinte dann jovial: "Nein, das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen."

"Ich dachte."

"Sie haben sich bestimmt geirrt, Diane. Sind Sie übrigens mit dem Wagen hier?"

"Ja. Wenn Sie wollen, dann vertrauen Sie sich doch meinen Fahrkünsten an, Bount Reiniger!"

"Gerne", erwiderte Bount und dachte dabei: Wie lange muss man wohl dafür üben, um einen solchen Augenaufschlag drauf zu bekommen! Aber Diane Wyner hatte ihn drauf. Und wie!

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Diane fuhr einen schwarzen Mitsubishi und war eine hervorragende Fahrerin.

"Was schlagen Sie als erstes vor, Bount? Wie wollen Sie vorgehen?", erkundigte sie sich.

Bount zuckte mit den Schultern.

"Wo ist auf Sie geschossen worden?", fragte er.

"Unter dem Gebäude, in dem meine Agentur ist, befindet sich eine Tiefgarage. Dort hat der Kerl mir aufgelauert."

"...und auch versucht, Sie zu töten."

"Ja. Dies ist mein Zweitwagen. Der, in dem ich saß befindet sich nun der Werkstatt, weil die Frontscheibe zweimal durchschossen wurde. Ich werde mir Panzerglas einbauen lassen!"

"Tun Sie das, das ist bestimmt eine gute Idee."

"Aber es wird mich auf die Dauer nicht schützen können, Bount."

"Ich weiß."

Ihre Stimme klang warm, aber auch sehr ernst. Sie vibrierte ein wenig, was wohl an der Furcht lag, die empfinden musste.

Bount blickte sie von der Seite her an und meinte dann: "Keine Sorge, ich werde mein Möglichstes tun!"

"Das weiß ich."

"Fahren Sie zum Tatort, Diane. Vielleicht sind noch irgendwelche Spuren zu finden. War die Polizei schon dort?"

"Ja, aber es ist wohl nicht allzuviel dabei herausgekommen. Außer, dass es eine polizeiübliche Waffe war, mit der geschossen wurde." Sie seufzte. "Es ist kein gutes Gefühl, zu wissen, dass da draußen irgendwo ein wahnsinniger Killer auf einen wartet", sagte sie fast tonlos. "Und leider ist es so, dass er getrost abwarten kann. Wie lange werden Sie mich schützen, Bount? Mit wie vielen Leibwächtern soll ich mich umgeben? Nein, irgendwann wird er seine Chance haben und zuschlagen."

"Es sei denn, wir bekommen ihn vorher", erwiderte Bount. "Sehen Sie nicht zu schwarz, Diane!"

Dianes Fahrstil war recht aggressiv - aber bei alledem wirkte sie sicher. Vielleicht muss jemand, der sich mit Werbung befasst genau so sein, überlegte Bount. Selbstsicher und aggressiv.

Nicht lange und sie hatten den Büro-Turm erreicht, in dem Dianes Agentur untergebracht war.

"Die sechzehnte Etage gehört mir", sagte sie und zeigte dabei ihre makellosen Zähne.

Bount fragte: "Wohnen Sie auch dort?"

"Ja. Ich habe eine von den Arbeitsräumen getrennte Wohnsuite."

"Klingt, als wäre es meiner eigenen Residenz sehr ähnlich."

"Sie haben die bessere Aussicht", meinte Diane und Bount lachte.

Diane fuhr ihren Mitsubishi in die Tiefgarage hinein. Ein paar Augenblicke später hatte sie auf einem für sie reservierten Parklatz geparkt. Sie stiegen aus.

"War es hier?", erkundigte sich Bount.

Sie nickte schnell.

"Ja." Sie wollte noch etwas sagen, aber es kam nichts mehr über ihre Lippen.

"Von wo wurde geschossen."

"Sehen Sie den Betonpfeiler dort hinten, Bount?"

"Klar."

"Dort hat er gestanden."

"Erzählen Sie, Diane."

Sie atmete tief durch und schluckte. Es schien ihr nicht leicht zu fallen, über dieses Erlebnis zu reden.

Bount trat an sie heran und legte ihr vorsichtig den Arm um die Schulter. "Kommen, Sie. Diane. Es muss sein. Ich weiß, dass sie das alles vermutlich schon ein halbes Dutzend mal irgendeinem Polizisten erzählt haben, aber jede Einzelheit kann wichtig sein und uns auf eine wichtige Spur bringen."

Sie lächelte, aber es war anders als sonst.

Es wirkte gezwungen.

"Sie haben recht, Bount."

"Haben Sie den Schützen erkennen können?"

"Nein. Ich sah nur einen Schatten. Ich bin in meinen Wagen gestiegen und wollte gerade losfahren, da wurde von dem Betonpfeiler aus geschossen."

"Wie oft?"

"Ich glaube drei oder vier mal. Ich bin mir nicht ganz sicher. Zwei Kugeln gingen jedenfalls durch die Frontscheibe. Wenn ich mich nicht sofort geduckt hätte, wäre ich jetzt nicht mehr am Leben."

Sie zuckte mit den Schultern.

Bount sah so etwas wie eine einsame Träne in ihren dunklen Augen glitzern, die sie mit einer schnellen Bewegung davon wischte. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen unsere Agentur."

Bount runzelte die Stirn.

"Ich dachte, die Werbeagentur Wyner gehört Ihnen allein!"

Diane winkte ab.

"Das tut sie auch." Sie machte eine unbestimmte Geste mit der Linken. "Es ist mir nur so herausgerutscht. Bevor mein Mann ums Leben kam, haben wir sie zusammen betrieben. Es war immer unsere Agentur. Verstehen Sie, was ich meine, Bount?"

"Ich denke schon."

"Wir haben sie zusammen aufgebaut." Sie sah Bount Reiniger mit festem Blick an und hob ein wenig das Kinn dabei. "Ganz gleich, was damals die Zeitungen auch über mich geschrieben haben: Ich habe meinen Mann geliebt. Und ich hätte ihn niemals töten können!"

"Sie sind freigesprochen worden", gab Bount zurück.

"Ich möchte, dass Sie mir vertrauen, Bount. Das ist mir sehr wichtig."

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Sie fuhren mit Aufzug hinauf zur Wyner-Agentur. Wyner & Wyner Ltd., so stand es noch immer an der Tür - obwohl einer von den beiden Wyners schon seit gut einem Jahr tot war.

Aber Diane hatte den Namen nicht geändert. Vielleicht deshalb, weil er so etwas wie ein eingeführtes Markenzeichen war, vielleicht auch deshalb, weil sie ihren Mann wirklich so sehr geliebt hatte, wie sie sagte.

Zwei Gorillas standen an der Tür. Einer von ihnen war weiß, der andere schwarz. Gemeinsam hatten sie den stumpfsinnigen Blick und die gewaltigen Muskelpakete. Als sie Bount sahen, fletschten sie schon misstrauisch die Zähne.

"Schon in Ordnung, Männer", sagte Diane. Und an Bount gewandt fuhr sie dann fort: "Seit der Sache im Parkhaus habe ich diese beiden Herrn hier engagiert. Sie kommen von einem privaten Sicherheitsdienst."

"Das ist sicher keine schlechte Idee", meinte Bount. "Ich hoffe nur, dass sie in ihrem Fach auch etwas drauf haben."

Der Weiße verzog den Mund.

"Kostprobe gefällig?", knurrte er.

Bount winkte ab.

"Kein Bedarf, Gentlemen! Ein anderes Mal vielleicht..."

Bount Reiniger war sicher alles andere, als ein kleiner Mann, aber dieser Hüne überragte ihn noch um gut einen Kopf.

Neben sich hörte er die warme Stimme von Diane.

"Ich fühle mich ein wenig sicherer, wenn die beiden ein Auge darauf haben, wer hier so herumläuft."

"Verstehe...", nickte der Privatdetektiv.

Sie passierten die Tür.

Die Agentur bestand aus einem Großraumbüro, mehreren Nebenräumen und kaum einem Dutzend Angestellten. Aber obwohl es ein relativ kleiner Betrieb war, wurden hier Millionen erwirtschaftet. Das, womit hier gehandelt wurde, waren Ideen und Kreativität.

Eine brünette Dreißigerin mit elegant hochgesteckten Haaren und einem sehr seriös wirkenden, figurbetonten Kostüm steuerte direkt auf Diane zu.

"Ah, Mrs. Wyner! Gut, dass Sie wieder da sind!"

"Was gibt es denn?"

"Diese Cornflakes-Firma ist unzufrieden mit unserem Konzept für den Werbespot." Die Brünette machte ein ziemlich ratloses Gesicht, während Diane die Augen verdrehte. "Wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie dort mal persönlich anrufen würden."

Diane Wyner nickte.

"Schon gut, Miss Wilkins. Ich kümmere mich drum!"

"Okay."

"Dies ist übrigens Mister Reiniger."

Miss Wilkins lächelte.

"Angenehm", säuselte sie. Dann war sie auch schon wieder davon gerauscht. Bount hob die Augenbrauen.

"Probleme?"

"Keine, die nicht zu lösen wären!"

"Dann ist es ja gut."

"Das eben war übrigens Mary Wilkins - das hellste Licht der Agentur. Die hat wirklich Ideen! Sie allein ist für uns eine Million im Jahr wert!"

Bount pfiff durch die Zähne.

"Alle Achtung!"

Und bei sich dachte er: Sie sieht auch genau so aus, wie man sich eine Yuppie-Frau so vorstellt: jung, dynamisch, immer in Action - und arbeitssüchtig. Aber wer in diesem Job kein Workoholic war, der brachte es vermutlich auch zu nichts.

Diane seufzte.

"Sehen Sie, Bount: Unsere Kunden wollen, dass ihr Produkt möglich häufig genannt wird, dass gesagt wird, wie toll diese Cornflakes doch sind, wie viel Vitamine sie haben oder wie besonders weiß ein Waschmittel wäscht. Das Problem ist nur, dass bei solchen Sachen niemand mehr hinschaut. Viele Hersteller haben das auch schon erkannt, aber hin und wieder trifft man noch auf einen Unverbesserlichen, der einfach nichts dazulernen will - so wie diesen Cornflakes-Mann!"

"Und warum geben Sie ihm einfach, was er will?", fragte Bount. "Schließlich bezahlt er ja auch! Und wenn er unbedingt nach einem langweiligen Spot verlangt ist das doch sein Problem!"

Diane lächelte nachsichtig.

"Eben nicht, Bount. Es ist das Problem der Agentur."

"Das müssen Sie mir erklären, Diane!"

"Ganz einfach: Wenn sich herausstellt, dass der Spot nicht ankommt - wer ist dann wohl Schuld? Wyner & Wyner Ltd. natürlich! Wer sonst?"

Bount winkte ab und meinte ironisch: "Bin ich froh, dass ich in einem einfacheren Job arbeiten kann!"

"Jedem das seine, Bount Reiniger!"

Bount sah in ihre braunen Augen und sie hielt seinem Blick stand.

"Sagen Sie, Diane, was mich noch interessieren würde..."

"Ja?"

"Ihre Privatsuite... Wo befindet sich die?"

"Dort hinten die Tür am anderen Ende des Büros. Warten Sie, ich zeige es Ihnen!"

"Gibt es noch einen anderen Weg dorthin?"

"Ja. Da ist noch ein separater Eingang vom Flur her."

"Und irgendwelche Notausgänge?"

"Warum fragen Sie das alles, Bount?"

"Der, der auf Sie geschossen hat, wird es vielleicht noch einmal versuchen. Wir müssen alles bedenken", erklärte Bount. "Schließlich soll er keine zweite Chance bekommen."

"Natürlich nicht!"

Jemand kam vorbei und gab Diane einen kleinen Stapel von Couverts unterschiedlichster Größe.

"Ihre Post, Mrs. Wyner!"

"Danke sehr!"

Sie ging die Sendungen kurz durch, dann stockte sie.

"Was ist?", fragte Bount.

"Ein Brief ohne Absender...", flüsterte sie. Sie schien zu ahnen, was das bedeutete. Sie öffnete ihn, schluckte und reichte ihn an Bount weiter.

Dort stand nur in ausgeschnittenen Buchstaben: BEIM NÄCHSTEN MAL BIST DU DRAN! DIE WAHRE POLIZEI.

Bount Reiniger steckte den Brief wieder ins Couvert zurück und murmelte kaum hörbar: "Unser Freund scheint tatsächlich noch nicht aufgegeben zu haben."

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8

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Als Captain Rogers in Bount Reinigers Residenz am nördlichen Ende der 7th Avenue auftauchte, fand er June March dort ziemlich missgelaunt vor.

Der Koloss pustete wie ein Walross und hob leicht die Augenbrauen, als er Junes Gesichtsausdruck sah.

"Du scheinst dich ja gar nicht darüber zu freuen, mich zu sehen, June", versuchte es Rogers auf die heitere Tour.

June zog ein wenig Oberlippe nach oben, was ihrem hübschen Gesicht einen trotzigen Ausdruck gab.

"An dir liegt es nicht, Toby!"

"Na, dann bin ich ja beruhigt."

"Was gibt es? Willst du Bount sprechen?"

Rogers nickte.

"Ja. Und es ist ziemlich dringend."

June kannte den fetten Captain lange genug, um zu wissen, dass es wirklich dringend sein musste und ihm irgend etwas mit aller Macht unter den Nägeln brannte.

"Bount ist leider nicht da! Da war so ein schwarzmähniges Biest..."

"Eine Klientin?"

"Ja. Ich hoffe nur, da er sich nicht allzu intensiv um sie kümmert."

Rogers verzog für den Bruchteil eines Augenblicks den Mund.

Er verstand. June und ihre hoffnungslose Eifersucht...

"Ruf ihn über Autotelefon an, June. Ich würde es nicht sagen, wenn es nicht so wäre, aber es ist verdammt wichtig."

June winkte ab und atmete dabei kräftig aus, so dass sich ihr Brustkorb senkte.

"Habe ich vorhin schon versucht, Toby."

"Und?"

"Kein Erfolg. Er ist wohl mit ihrem Wagen mitgefahren." Sie seufzte "Ein schlechtes Zeichen..."

"Was ist ein schlechtes Zeichen?", fragte ein wohlvertraute Stimme und ließ sowohl June, als auch den dicken Captain vom Morddezernat Manhattan C/II augenblicklich herumwirbeln.

"Bount!", kam es über Junes Lippen.

Die Tür war aufgegangen und der Privatdetektiv mit schnellen Schritten hereingekommen. Noch mit dem Schwung dieser Bewegung warf er den Mantel in irgendeine Ecke und wandte sich an Toby.

"Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs, Toby? Wahrscheinlich bist du nicht auf Drink gekommen."

Rogers nickte.

"Kann man wohl sagen."

"Also?"

"Eine ernste Sache. Bount, du bist mein Freund. Wir haben immer zusammengehalten. Die ganzen Jahre hindurch."

"Spuck's endlich aus, Toby!"

"Heute schon Zeitung gelesen?"

"Das hat mich heute schon einmal jemand gefragt."

"Es geht um diese Killer-Cop." Rogers schüttelte verzweifelt den Kopf und wischte sich mit der fleischigen Hand über die Augen. Der Captain machte einen übernächtigten Eindruck.

"Euer Verein bekommt den Kerl einfach nicht die Finger, stimmt's?", vermutete Bount indessen und Rogers nickte resigniert.

"So ist es", gab er zu. "Du weißt, dass ich kein Trottel bin, Bount. Ich habe alles versucht und mich selbst um die Sache gekümmert, anstatt es meinen Detectives zu überlassen - was für meine Karriere vielleicht besser gewesen wäre. Bei einer solchen Sache kann man nämlich nur verlieren."

"Auf Orden warst du ja noch nie besonders scharf, Toby."

"Das hat sich auch nicht geändert. Aber diesen Killer, den will ich haben!" Rogers ballte grimmig die Rechte zur Faust, während Bount sich eine Zigarette anzündete.

June spielte nervös mit einem Kugelschreiber herum.

Unterdessen fuhr Toby fort: "Die Sache entwickelt sich langsam aber sicher zu einem Skandal für die gesamte Stadtpolizei von New York City! Ein Mann mit Marke, Uniform und 38er Special läuft durch die Straßen spielt den Henker! Was glaubst du, wie viele Nachahmer es inzwischen gibt!"

"Kann ich mir vorstellen!"

"Die Presse zerreißt sich das Maul - und wahrscheinlich sogar zu Recht." Rogers zuckte mit den Schultern. "Von den Tausenden Polizisten, die in New York Dienst tun, kann es im Grunde jeder sein. Es ist wie bei der berühmten Suche einer Stecknadel im Heuhaufen!" Rogers schien den ersten Ärger abgeladen zu haben, Jetzt wurde er etwas ruhiger und atmete auch nicht mehr so heftig.

"Das wirklich schlimme ist, dass der Killer - vorausgesetzt er ist wirklich einer von uns - natürlich sehr viel leichter an interne Informationen herankommt und vielleicht immer schon im Voraus weiß, was gegen ihn unternommen werden soll. Er kennt den Stand der Fahndung und wird niemals wirklich überrascht von unseren Maßnahmen sein. Ein Scheißspiel, Bount!"

"Steht es denn definitiv fest, dass der Täter wirklich Polizist ist?"

Toby nickte.

"So gut wie. Er benutzte bei all seinen Attentaten polizeiübliche Waffen und Munition. Einige Zeugen haben einen Mann in Uniform am Tatort gesehen. Die Beschreibungen stimmen jeweils überein. Es muss was dran sein. Und außerdem wusste der Killer offenbar so genau über seine Opfer Bescheid, dass sich vermuten lässt, dass er Zugang zu unseren Akten und anderen internen Informationen hatte."

June hob ihre unwahrscheinlich blauen Augen.

"Kann er diese Informationen nicht auch aus der Presse haben?"

Toby schüttelte energisch den Kopf.

"Nicht alle seine Opfer waren in der Presse groß herausgekommen, so dass er es nur in einem der bunten Revolverblätter nachlesen brauchte. Außerdem wurden in manchen der sichergestellten Drohbriefe auf Einzelheiten Bezug genommen, von denen nur jemand wissen kann, der die Akten kennt."

Bount Reiniger kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.

"Dieser Killer-Cop scheint mich in gewisser Weise auch zu verfolgen", murmelte er.

"Hast du etwa ebenfalls Drohbriefe bekommen, Bount?"

"Nein. Ich nicht - aber eine Klientin von mir. Und geschossen hat der Kerl auch schon auf sie."

"Es trifft sich gut, dass du ohnehin schon mit der Sache befasst bist!", meinte Rogers. "Um unserer Freundschaft willen, Bount: Du musst mir helfen!"

"Sag mir wie, Toby!"

"Indem du den Fall übernimmst und diesen Wahnsinnigen aufspürst! Es ist besser, wenn jemand von außerhalb des Polizeiapparats sich der Sache annimmt. Verflucht, ich weiß einfach nicht mehr, wem ich noch trauen kann. Wer kann mir schon sagen, ob nicht einer meiner Partner der Killer ist? Für jeden von ihnen würde die Hand ins Feuer legen - und doch! Es wäre möglich..."

"Und wie stellst du dir das vor, Toby?"

"Du hast doch oft mit uns zusammengearbeitet, Bount. Es wird nicht weiter auffallen, wenn du dich mal ein bisschen öfter bei uns herumtreibst, dich umhörst, die Augen offen hältst. Du wirst Unterstützung von ganz oben bekommen, Bount."

Bount wurde hellhörig.

"Wie weit oben?"

"Ich sagte ganz oben und meinte das auch so. Du bekommst Zugang zu den Personaldaten der New Yorker Polizei. Vielleicht findest du eine Spur."

Bount Reiniger nickte. Toby Rogers war sein langjähriger Freund. Er hätte es so oder so für ihn getan. Wie hieß es doch so schön: Eine Hand wäscht die andere.

Bei dieser Sache kam noch hinzu, dass seine Ermittlungen ihm vermutlich auch im Fall Wyner helfen würden.

"Du kannst dich auf mich verlassen, Toby", sagte der Privatdetektiv durch die Zähne und ließ dabei den Glimmstängel aufglühen.

"Ich wusste, dass du ein echter Freund bist, Bount", meinte Rogers erleichtert. "Und echte Freunde zeichnen sich ja schließlich dadurch aus, dass sie da sind, wenn man sie wirklich braucht."

"So sehe ich das auch."

Rogers griff jetzt in die Innentasche seines Mantels und holte mit umständlich wirkenden Bewegungen etwas hervor, dass Bount Reiniger schon von weitem als Scheck erkannte.

Als Rogers dem Privatdetektiv das Formular reichen wollte, winkte dieser jedoch ab.

"Lass das, Toby."

"Nimm schon!"

"Glaubst du, ich vergreife mich an den Ersparnissen eines armen Beamten?"

Bevor Rogers antwortete, ließ er erst einmal Luft ab, so wie eine Dampflokomotive.

Dann prustete er: "Es sind nicht die Ersparnisse eines armen, unterbezahlten Polizei-Captains vom Morddezernat. Es ist ein Scheck, der die Unterschrift des Bürgermeisters trägt! Du kannst ihn getrost annehmen!"

Bount zögerte noch eine halbe Sekunde, dann nahm er den Scheck doch und warf einen prüfenden Blick darauf.

Tatsächlich, es war wie Toby gesagt hatte. Er hatte also einen offiziellen Auftrag der Stadt, in dieser Sache zu ermitteln.

"Mach's gut Bount! Ich hoffe, ich sehe dich bald bei uns im Department!"

Der Privatdetektiv nickte.

"Klar."

Toby Rogers war schon fast bei der Tür, da ließ Junes Stimme den Captain noch einmal herumfahren.

"Toby?"

"Ja, was ist noch?"

June deutete mit der Rechten.

"Hat dich schon jemand darauf hingewiesen, dass an deinem Mantel ein Knopf fehlt?"

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Diane Wyner knallte den Hörer auf die Gabel. Eigentlich war das nicht ihre Art, aber im Augenblick war sie einfach ärgerlich.

"Dieser bornierte Kerl!", schimpfte sie.

Ihr gegenüber stand Mary Wilkins mit vor der Brust verschränkten Armen. Sie ahnte, was geschehen war.

Dennoch fragte sie: "Was ist?"

"Ich werde mir diesen Cornflakes-Mann persönlich vorknöpfen!", zischte Diane.

Mary winkte ab.

"Was soll's! Es lohnt doch die Mühe nicht!"

"Er ist ein wichtiger Kunde, Mary. Wenn der uns von der Fahne geht, ist das für Wyner & Wyner ein herber Rückschlag."

Sie nickte Mary Wilkins zu und schien sich selbst damit etwas Mut machen zu wollen. "Ich werde diesen McDowel schon überzeugen. Verlassen Sie sich drauf, Miss Wikins!"

Mary Wilkins zuckte mit den Schultern.

"Ich hoffe nur, Sie verschwenden nicht Ihre Zeit!"

"Keine Sorge..."

Diane nahm ihre Handtasche und machte sich auf, während Mary ihr nachsah und mit den Schultern zuckte.

Nur ruhig Blut, schoss es Diane durch den Kopf. Aber dies war eine Sache, bei der es für sie um ziemlich viel ging.

Als sie bei den beiden Wachmännern vorbei kam, befahl sie einem von ihnen, sie zu begleiten. Sicher ist sicher, dachte sie.

Schließlich konnte überall der Killer-Cop auf sie lauern.

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Zwei Stunden später war Diane bereits wieder auf dem Rückweg zur Agentur.

Die Sache war schlecht für sie ausgelaufen. Den Cornflakes-Mann und seine Firma konnte als Kunden abschreiben.

Ein herber Schlag für sie, den sie innerlich noch gar nicht richtig verdaut hatte.

Sie war wütend und ihr Fahrstil aggressiver als ohne hin schon.

Und dann kam auch noch ein Anruf per Funktelefon aus der Agentur.

Ein Kunde war persönlich erschienen und wartete nun auf sie.

Es gab irgendwelche Probleme.

"Geben Sie mir Miss Wilkins!", fauchte sie in den Hörer hinein.

"Miss Wilkins sehe ich im Augenblick hier nirgends!", kam es zurück.

"Dann soll Mazzoti sich um den Kunden kümmern bis ich da bin!"

Damit war das Gespräch zu Ende.

Diane kannte sich gut aus in den Straßenschluchten von New York. Und sie kannte jede Menge Abkürzungen.

Wenn man in einer solchen Stadt mit dem Auto ans Ziel kommen wollte, dann musste man sich wohl oder übel auskennen, sonst konnte man besser die U-Bahn oder ein Taxi benutzen.

Diane bog so abrupt in eine weniger befahrene Seitenstraße ein, dass Jeffers, der schwarze Leibwächter zusammenzuckte.

"Wagen Sie es ja nicht, meinen Fahrstil zu beanstanden!", warnte Diane schon im Vorhinein, als sie sah, wie Jeffers Luft geholt hatte.

Aber dieser winkte ab.

"Kein Gedanke, Chefin!"

"Okay!"

Aber die vermeintliche Abkürzung war keine. Und das lag an einem Müllwagen, hinter dem Diane hinterher zuckeln musste. Es gab keine Chance, an dem stinkenden Ungetüm vorbei zu kommen, denn die rechte Fahrbahn wurde durch parkende Wagen blockiert.

Diane schlug wütend gegen das Lenkrad, aber das machte die Sache auch nicht besser.

Dann bog der Müllwagen endlich in eine Seitenstraße ein.

Diane kam an eine Ampel und stoppte den Mitsubishi.

Sie atmete hörbar aus.

Das, was dann geschah, dauerte nur Augenblicke.

Zuerst nahm Diane wahr, dass die Scheibe der Beifahrertür zersplittert war. Der zweite Gedanke erst sagte ihr, dass es eine Kugel gewesen sein musste, die da eingeschlagen war und dass man auf sie geschossen hatte.

Instinktiv duckte sich Diane.

Zuvor sah sie an einer Hausecke kurz das Mündungsfeuer einer Schusswaffe aufblitzen. Das Schussgeräusch ging im Straßenlärm unter, aber die Kugel, die da jemand auf den Weg geschickt hatte, kam an.

Es gab ein hässliches Pfeifgeräusch.

Das Projektil schoss dicht über Dianes Kopf, kam durch die bereits zerschossene Scheibe in den Wagen hinein und ließ dann auch noch eines der hinteren Fenster des Mitsubishi zerbersten.

Irgendein Idiot hupte hinter dem Mitsubishi. Wahrscheinlich war die Ampel auf grün umgesprungen.

Diane rollte sich vom Sitz herunter zu den Pedalen hin. Sie kauerte unterhalb des Lenkrades. Sie war eine zierliche Frau, aber selbst für sie war dort nicht viel Platz.

Eine Heidenangst hatte sie erfasst.

Ihre Hände zitterten.

Mein Gott, wozu habe ich bloß diese Wachleute angeheuert, zuckte es durch ihren Kopf.

Und dann, als sie vorsichtig den Blick hob, sah sie es. Der Anblick war so furchtbar, dass sie unfähig war, irgendetwas zu tun.

Sie konnte nicht einmal schreien, sondern kauerte nur mit ihren weit aufgerissenen braunen Augen da und blickte in das zerstörte Gesicht ihres Leibwächters.

Er hatte ihr das Leben gerettet - wenn auch nur aus purem Zufall.

Die erste Kugel - eigentlich wohl für Diane bestimmt - war Jeffers von der Seite in die Schläfe gefahren.

Es war ein hässlicher Anblick.

Aber der Killer feuerte noch immer.

Diane sah, wie die Geschosse durch das die dünne Außenhaut des Mitsubishi schlugen, um dann irgendwo in den Polstern steckenzubleiben.

Sie hatte unwahrscheinliches Glück, bis jetzt nichts abbekommen zu haben - und mehr und mehr wurde ihr das auch bewusst. Diane machte sich so klein wie möglich und fühlte sich scheußlich. Sie konnte nichts tun, als auf ihr Glück zu hoffen.

Dann fasste sie sich.

Ihre Hand tastete vorwärts in Richtung Funktelefon. Ihre zitternden Finger wählten eine Nummer. Ihr Job brachte es mit sich, sich Dutzende von Telefonnummern zu merken. So auch diese. Es war die Nummer von Bount Reiniger.

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Als Bount Reiniger das Büro seines Freundes Toby Rogers betreten hatte, machte der dicke Captain eilfertig die Tür hinter seinem Besuch zu, um nicht belauscht zu werden.

Bount setzte sich und Reiniger bekam zwei Sekunden später eine Mappe mit Computerausdrucken vor die Nase geknallt.

"Das ist streng vertraulich", sagte Rogers, während er dabei aus dem Fenster blickte. Der Dicke war sichtlich nervös. Und Bount fand, dass das alles andere, als ein Wunder war.

"Es handelt sich um Auszüge aus den Personaldateien der New Yorker Polizei. Eine Diskette liegt auch dabei, die kann June in den PC eurer Agentur stecken und etwas damit herumspielen. Vielleicht kommt etwas dabei heraus."

"June wird begeistert sein!", meinte Bount ironisch.

"Es sind Tausende von Namen mit ein paar Angaben dazu. Und einer ist der Mörder..."

"Hast du auch eine Liste der Opfer? Die könnte mindestens ebenso interessant sein!"

"Liegt dabei."

"Gut. Sind alle Opfer mit derselben Waffe erschossen worden?"

Toby schüttelte den Kopf.

"Nein. Einige mit einem gewöhnlichen Polizeirevolver Kaliber 38. Zwei mit einem Präzisionsgewehr für Scharfschützen."

"Dann könnten es auch mehrere Täter sein?"

"Halte ich für unwahrscheinlich. Die Handschrift der Taten ist zu einheitlich. Auch die Zeugenaussagen sprechen nicht für diese Variante."

"Hm...", machte Bount Reiniger nachdenklich. "Ich habe mich gerade ein paar von deinen Leuten unterhalten. Ganz zwanglos und eher zufällig. Dieser Killer-Cop scheint nicht ohne Sympathien zu sein!"

Rogers wirbelte herum.

"Wie meinst du das?"

"Einer von deinen Leuten machte da so eine Bemerkung, als wäre dieser Kerl ihm nur dabei zuvorgekommen, das letzte Opfer auf der Liste um die Ecke zu bringen."

"Das musst du verstehen, Bount. Arnie Gonella, das 11. Opfer war des Polizistenmordes angeklagt. Da kommen schon mal solche Gefühle hoch. Schließlich muss hier jeder Tag für Tag den Kopf hinhalten." Rogers machte eine hilflose Geste und setzte noch hinzu: "Wir sind auch nur Menschen."

"Dieser Gonella wurde freigesprochen...", überlegte der Privatdetektiv laut.

"...so wie alle Opfer des Killers. Und wie bei allen anderen war auch Gonellas Freispruch nicht erster Klasse. Aber selbst wenn irgendwann doch noch handfeste Beweise gegen Gonella aufgetaucht wären - man hätte ihn nicht mehr anklagen können.

Kein Mensch darf wegen ein und desselben Verbrechens zweimal angeklagt werden, wie du ja wohl weißt, Bount."

"Allerdings."

Rogers atmete tief durch.

"Ich billige nicht, was dieser selbsternannte Henker tut - aber wenn man Tag für Tag erleben muss, wie Kriminelle wieder freigelassen werden müssen. Wenn man mit ansehen muss, wie Dealer und große Nummern des organisierten Verbrechens in Geld schwimmen und sich aus fast allem herauskaufen können, während unsereins für ein bescheidenes Gehalt seine Haut zu Markte tragen muss! Das kann einen schon wütend machen!"

Bount hob die Augenbrauen.

"Wütend genug um zu morden?"

"Vielleicht schon."

Und dann klingelte das Telefon auf Rogers’ unaufgeräumten Schreibtisch. Die mächtige Pranke des Captains sauste nieder und krallte sich den Hörer. Als dieser an sein Ohr gelangt hatte er sich inzwischen regelrecht aufgeblasen, so dass eigentlich klar war, was jetzt folgen musste. Toby würde fürchterlich losfauchen.

Bount bedauerte denjenigen, der sich am anderen Ende der Leitung befand schon jetzt - wer immer es auch sein mochte.

Aber Rogers fauchte nicht.

Er sagt überhaupt nichts, sondern hörte nur zu. Als er dann auflegte, brummte er: "Das war June!"

Bount erhob sich.

"Was wollte sie?"

"Es geht um eine Klientin von dir. Sie ist überfallen worden!"

"Dann nichts wie los!"

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"Und du meinst, diese Frau - Diane Wyner steht auf der Liste des Killer-Cops?", fragte Rogers, in dessen Dienstwagen sich Bount mitnehmen ließ. Blaulicht und Sirene konnten im Großstadtverkehr für ein schnelleres Durchkommen sorgen, als die gesamten 326 PS von Bount Reinigers champagnerfarbenen 500 SL.

Bount bestätigte.

"Ja. Sie hat mich deswegen engagiert. Und es spricht auch alles dafür. Sie wurde wegen Mordes angeklagt, freigesprochen - und nun schießt er schon zum zweiten Mal auf sie. Außerdem hat sie Drohbriefe bekommen. Den letzten mit der heutigen Post."

"Hm", machte Rogers. "Er hat sie beim ersten Mal verfehlt?"

"Richtig."

"Nach allem, was wir wissen, ist er ein hervorragender Schütze. Kopfschüsse, Herzschüsse - das ist sein Stil. Er muss gute Ergebnisse auf dem Schießstand gehabt haben."

Reiniger zuckte die Achseln.

"Auch der Beste trifft mal daneben."

"Das stimmt auch wieder."

"Ich habe mir den Tatort angesehen. Von dort, wo der Schütze gestanden haben muss, war es gar nicht so einfach, mit einem 38er das Ziel zu finden."

Es dauerte nicht lange und Rogers’ Wagen gelangte an den Ort des Geschehens. Einige Streifenwagen kamen noch im Gefolge des Captains. Die Kolonne kam zum Stehen.

Bount Reiniger ließ die Tür aufspringen. Seine Hand ging zum Griff der Automatic, die er im Schulterholster stecken hatte. Doch als er den Blick eine Sekunde lang schweifen ließ, sah der Privatdetektiv, dass hier schon alles vorbei war.

So wie er erwartet hatte.

Reiniger sah den schwarzen Mitsubishi von Diane. Er wirkte wie ein durchlöcherter Schweizer Käse.

Bount lief auf das Gefährt zu, riss die Tür auf der Fahrerseite auf und sah Diane zusammengekauert unter dem Lenkrad sitzen.

"Alles in Ordnung mit Ihnen, Diane?", fragte Bount.

Sie nickte, unfähig ein Wort zu sagen.

Bount warf einen kurzen Blick zu dem neben ihr sitzenden Leibwächter, aber da war nichts mehr zu machen. Der Killer-Cop hatte ein weiteres Opfer gefunden - auch wenn der bodygebuildete Wachmann vermutlich gar nicht gemeint gewesen war.

Bount reichte Diane die Hand und half ihr aus dem Mitsubishi heraus.

Es grenzte an ein Wunder, dass sie das lebendig überstanden hatte. An der Stirn hatte sie eine Beule, wahrscheinlich vom Lenkrad. Aber sonst schien sie tatsächlich in Ordnung.

Bount legte den Arm um ihre Schulter und sie schien es noch gar nicht richtig fassen zu können, dass sie sich noch keineswegs im Jenseits befand.

"Von wo ist geschossen worden?", drang Rogers’ Stimme dazwischen. Diane deutete mit der Rechten auf eine Straßenecke und der Captain nickte.

"Der Kerl wird längst wieder über alle Berge sein", brummte der Dicke und setzte in Gedanken hinzu: ...und sitzt vielleicht wieder schön brav in irgendeinem Streifenwagen und spielt den sauberen Polizisten!

Aber diese Bemerkung behielt er für sich und kündigte an: "Ich werde meine Männer die Passanten befragen lassen. Jeden, der hier wohnt oder herumläuft. Wenn jemand auf offener Straße das Feuer eröffnet, muss das doch jemandem aufgefallen sein!"

Indessen hatte sich Diane wieder ein wenig gefangen.

"Ich muss in die Agentur", sagte sie.

Bount schüttelte fassungslos den Kopf.

"Sie haben Nerven", meinte er.

"Ich muss", erwiderte sie. "Dort ist der Teufel los. Und die Erfahrung hat es immer wieder gezeigt: wenn man sich nicht um alles selbst kümmert."

"Sie sollten sich etwas Ruhe gönnen."

Diane lächelte.

"Fangen Sie diesen Killer! Dann kann ich mir Ruhe leisten!"

Sie löste sich von Bount und wandte sich an Captain Rogers.

"Könnte mich einer der Streifenwagen nach Hause bringen?"

Rogers nickte.

"Klar."

Bevor Diane dann einstieg, fragte sie noch an Bount gerichtet: "Wann höre ich von Ihnen?"

Bount zuckte mit den Schultern.

"Mal sehen. Vielleicht schaue ich heute Abend bei Ihnen vorbei."

"Das wäre sehr nett..." Sie seufzte. "Glauben Sie, er wird es noch einmal versuchen?" Die Frage war überflüssig, sie selbst kannte die Antwort. Aber sie hatte Furcht und wollte sich vielleicht ein wenig beruhigen.

"Bis heute Abend, Diane!", sagte Bount nur. Warum sollte er ihr noch mehr Angst einjagen?

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Als Bount Reiniger in seine Residenz zurückkehrte, war es bereits später Nachmittag. Die Sonne über dem Central Park leuchtete milchig in Bounts Etage hinein.

"Wie geht es deiner Klientin?", fragte June schnippisch.

"Sie lebt."

"Na, das wird dich ja sicher ganz besonders freuen, Bount!"

"Dich etwa nicht?"

Ihre Freude schien durchaus gedämpft zu sein.

"Ich hab's im Gefühl...", murmelte sie und Bount legte die Stirn in Falten.

"Was?"

"Dass diese Diane Wyner ein faules Ei ist, Bount. Eigentlich lässt du dir doch so etwas nicht so leicht ins Nest legen. Aber gewisse, herausragende Merkmale an ihr scheinen dich ja richtig geblendet zu haben."

Bount grinste.

"Und was habe ich deiner Meinung nach übersehen, June?"

Sie zuckte mit den Schultern.

"Ich weiß es noch nicht, Bount. Bis jetzt ist es nur ein ungutes Gefühl. Ich kann dir noch nicht sagen, was nicht stimmt. Aber ich kriege es heraus. Verlass dich drauf!"

Als Bount dann das Datenmaterial, das er von Toby Rogers erhalten hatte vor June ausbreitete, machte seine Assistentin ein nicht gerade besonders erfreutes Gesicht.

"Schätze, das heißt: Es gibt Arbeit!"

"So ist es, June."

Sie seufzte.

"Also Augen zu und durch."

"Jeder dieser Namen könnte der Killer sein! Du siehst: Es gibt jede Menge Auswahl an Verdächtigen."

"Das müssen Tausende sein!"

"Es sind Tausende, June!"

Bount blätterte in den Seiten herum, während June die Diskette nahm und sie lustlos in den PC schob.

"Wie wollen wir vorgehen, Bount?"

Bount Reiniger überlegte eine Sekunde. Dann murmelte er: "Wie wär's, wenn wir das Pferd vom Schwanz aufzäumen, June!"

"Wie meinst du das?"

"Wir fangen mit den Opfern an. Das sind nur elf - beziehungsweise zwölf, wenn man Dianes Leibwächter dazu zählt. Der Täter scheint sich sehr in den Lebensgewohnheiten seiner Opfer ausgekannt zu haben. Er wusste genau Bescheid, wann er sie wo antreffen konnte."

June zog die Augenbrauen in die Höhe.

"Ein gemeinsamer Bekannter von allen elf?"

"Nicht unbedingt. Aber der Killer könnte die Ermordeten zuvor schon einmal unter irgendeinem Vorwand aufgesucht oder in ihrer Nähe herumgeforscht haben, um seine Anschläge vorzubereiten."

"Leuchtet ein..."

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Etwa eine Stunde später saß Bount Reiniger hinter dem Steuer seines 500 SL und quälte sich durch die New Yorker Rushhour.

Arnie Gonella war der Letzte auf der Opferliste des Killer-Cops, wenn man Dianes Leibwächter nicht mitzählte. Und es war besser, ihn nicht mitzuzählen, denn dessen Tod war wohl eher ein Zufallstreffer. Eine Art Betriebsunfall.

Gonella war ein ziemlich schlimmer Finger gewesen.

Bount hatte es in Rogers’ Unterlagen gelesen.

Meistens hatte Arnie Gonella andere für sich morden lassen, was bekanntlich immer sehr schwer nachzuweisen war.

Und als er dann doch einmal selbst abgedrückt hatte, fehlten auch da die Beweise. Zeugen kippten plötzlich um, niemand hatte etwas gesehen.

Es war immer dieselbe Augen- und Ohrenkrankheit, die in solchen Fällen um sich griff und die man auch schlicht Todesangst nennen konnte.

Aber was für ein unangenehmer Zeitgenosse Gonella auch immer gewesen sein mochte - das gab noch niemandem das Recht, ihn einfach umzubringen.

Mord blieb schließlich Mord.

Irgendwann erreichte Bount dann das PARADISE, ein etwas heruntergekommenes Nachtlokal, das Arnie Gonella zur Hälfte gehört hatte. Vermutlich hatte er das Etablissement in erster Linie als Tarnung für seine Drogengeschäfte benutzt.

Bount stellte den 500 SL irgendwo in der Nähe ab und musterte die Fassade des Nachtclubs.

Es schien noch nicht viel los zu sein. Die Leuchtreklame war noch nicht eingeschaltet. War wohl auch ein bisschen früh am Tag.

Aber das Personal war schon ziemlich aktiv.

Jedenfalls sah Bount einige recht betriebsam wirkende Leute durch den Eingang ein- und ausgehen.

Er warf seinen Mantel auf den Beifahrersitz des 500 SL und näherte sich dann dem Eingang des PARADISE.

Die äußere Tür passierte der Privatdetektiv anstandslos zusammen mit einem Lieferanten, der eine Kiste edlen Whiskeys auf dem Buckel schleppte.

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738918069
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (April)
Schlagworte
bount reiniger killer freund helfer

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Bount Reiniger: Der Killer, dein Freund und Helfer