Zusammenfassung
Western-Roman von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 107 Taschenbuchseiten.
Eine Handvoll Gunslinger überfällt eine Bank in einer kleinen Rinderstadt - und damit beginnt ein Trail der Gewalt.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
RITT ZUM GALGEN
Western-Roman von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 107 Taschenbuchseiten.
Eine Handvoll Gunslinger überfällt eine Bank in einer kleinen Rinderstadt - und damit beginnt ein Trail der Gewalt.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
1
„Hände hoch! Keiner bewegt sich!“
Die drei Männer waren mit Halstüchern maskiert. Einer von ihnen hielt eine Winchester im Anschlag, die beiden anderen fuchtelten mit ihren Revolvern herum.
Die Männer hatten sich einen günstigen Zeitpunkt für ihr Vorhaben gewählt: Morgens früh, kurz nach Öffnung der Bank. Dann konnte man davon ausgehen, dass nur wenige Kunden am Schalter anstanden.
Jetzt standen dort – ziemlich verängstigt – zwei Frauen und ein Mann – und der war noch nicht einmal bewaffnet.
Dem schon etwas älteren Kassierer wurde eine Tasche hingehalten.
„Alles Bargeld einpacken!“, kam der kurze, schroffe Befehl. „Beeil dich!“ Der Kassierer war so nervös, dass ihm die Tasche erst einmal auf den Boden fiel. Einer der Bankräuber spannte den Hahn seines Revolvers und dieses Geräusch veranlasste den Kassierer zu größerer Vorsicht.
Sorgfältig packte er die Scheine in die Tasche.
„Schneller!“
„Da kommt jemand!“
„Das hat uns noch gefehlt!“
Die Tür ging auf. Ein Mann trat ein, aber noch ehe dieser die Situation richtig erfasste, hatte er den Kolben der Winchester auf den Hinterkopf bekommen und sackte betäubt zu Boden.
„Mann, wir müssen weg!“
„Los, Alter! Beeil dich mit dem Scheine einpacken!“
„Lass gut sein. Da ist genug drin!“
Dem Kassierer wurde die Tasche mit dem Geld aus den Händen gerissen.
Dann stürmten die drei Maskierten – noch immer mit schussbereiten Waffen – zur Tür hinaus.
Aber da war niemand, um sich ihnen in den Weg zu stellen. Sie schwangen sich auf ihre Pferde, die sie vor der Bank angebunden hatten, und preschten davon.
2
Als die drei Reiter einige Meilen scharf geritten waren, verlangsamten sie das Tempo. Die Halstücher hatten sie längst fallen gelassen.
„Besonders viel war’s diesmal nicht“, meinte einer von ihnen. Er hieß Sam Field, hatte pechschwarze Haare, einen schmalen Oberlippenbart und einen so dunklen Teint, dass man ihn fast für ein Halbblut halten konnte.
„Dafür ist es leicht verdientes Geld!“, meinte George Malcolm, ein hochgewachsener, fast schlaksiger Mann, dessen Haare bereits etwas angegraut waren und dessen hageres Gesicht ein kühnes Profil zeichnete.
„Glaubt mir, ich habe schon für viel weniger sehr viel schwerer arbeiten müssen!“ Malcolm lachte heiser. „Wir brauchten da nur hinein zu spazieren und das Geld abzuholen. Keiner, der sich in den Weg gestellt hat, weit und breit nicht einmal die Ahnung eines Colts, der auf dich angelegt wird!“ Er spuckte aus. „Das sind doch Arbeitsbedingungen, wie man sie sich nur erträumen kann.“ Er blickte nun zu dem dritten Reiter. „Was meinst du, Luke? Haben wir einen Grund, uns zu beklagen?“ Luke Harris hatte den schwarzen, breitkrempigen Hut tief ins Gesicht gezogen, seine Züge waren finster.
„Wenn ihr mich fragt, dann solltet ihr nicht soviel quatschen! Man hat bestimmt inzwischen schon einen Suchtrupp zusammengestellt, der die Verfolgung aufgenommen hat.“ Er spuckte aus. „Vielleicht solltet ihr daran mal ein paar Gedanken verschwenden ...“
„Du bist humorlos, Luke!“, brummte Sam Field.
„Ich möchte etwas von meiner Beute haben!“, entgegnete Harris. „Nichts weiter.“
„Niemand kennt uns“, meinte Field. „Wir können in der nächsten Stadt in den Saloon gehen und unsere Beute vertrinken, ohne behelligt zu werden!“ Er lachte. „Und in der Zwischenzeit durchstreift der Suchtrupp die Gegend.
Ist das nicht eine seltsame Vorstellung?“
„Ich kenne den Sheriff“, sagte Harris. „Matthews soll früher mal ein tüchtiger Mann gewesen sein, aber er ist in die Jahre gekommen. Jetzt macht er nur noch Dienst nach Vorschrift.“ Er schüttelte entschieden den Kopf. „Ein besonderes Risiko wird der Mann nicht eingehen ...“
3
Als die drei Reiter nach Three Little Rocks kamen, war die Sonne bereits dabei, als blutrote Scheibe hinter dem Horizont zu versinken. Von ihren Verfolgern hatten die drei nichts zu sehen bekommen.
Jetzt waren sie so gut wie sicher. Three Little Rocks war zwar nicht gerade eine Großstadt, aber doch groß genug, um dort untertauchen zu können.
„Es gibt fünf Hotels in Three Little Rocks!“, meinte Sam Field.
„Ich kenne sie alle – aber nur von außen, denn ich hatte nie genug Geld um in einem von ihnen zu übernachten.“
„Schätze, das hat sich jetzt geändert!“, setzte George Malcolm hinzu und Field nickte.
„Wo mieten wir uns ein, George? Bei McDermot? Oder bei Wilder & Griffith?“
„Jeder von uns wird sich unabhängig in einem Hotel einmieten!“, mischte Harris sich ein. „Nicht mehr lange, und Sheriff Matthews wird mit seinen Männern in Three Little Rocks auftauchen und überall nach drei Männern fragen. In den nächsten Tagen werden wir uns aus dem Weg gehen, soweit das möglich ist. Es ist besser, wenn man uns nicht zusammen sieht ...“
4
Seit zwanzig Jahren war John Matthews der Sheriff von Rawlins. Man hatte ihm den Job damals angetragen, weil er schnell genug mit dem Colt gewesen war, um ein paar schießwütige Revolverhelden aus der Stadt zu jagen.
Das war Matthews’ erste und bisher einzige Heldentat gewesen. Rawlins war eine sehr kleine und ziemlich arme Gemeinde, die sich einen Deputy nicht leisten konnte. Aber Matthews hatte keine Probleme damit gehabt, den Job allein zu verrichten. In der Gefängniszelle, die sich in einem Gebäude mit seinem Büro und der Sheriffwohnung befand, fanden hauptsächlich betrunkene Cowboys eine Möglichkeit, ihren Rausch auszuschlafen.
Seit damals, als Matthews zum Sheriff gemacht worden war, hatte es in Rawlins kaum ein Ereignis gegeben, das der Erwähnung wert gewesen wäre – bis zum heutigen Tag, an dem man die Bank um einen guten Teil ihres Bargeldes erleichtert hatte!
Ein paar Hühnerdiebe, Streitigkeiten zwischen Ranchern um einen Wasserlauf, Cowboys, die ihren Lohn im örtlichen Saloon vertranken und anschließend über die Stränge schlugen – das waren die Dinge, mit denen sich Matthews in den letzten Jahren vornehmlich beschäftigt hatte.
Eigentlich hatte er den Job nur ein paar Jahre machen wollen, um sich dann etwas anderes zu suchen. Er hatte keinesfalls vorgehabt, in einer Stadt wie Rawlins alt zu werden. Schließlich gab es anderswo mehr zu sehen, Aufregendes zu erleben ...
Aber es war anders gekommen.
Matthews hatte unterdessen einen Bauchansatz bekommen, und seine Haare waren mehr und mehr ergraut.
Ich werde alt!, durchfuhr es ihn – nicht zum erstenmal! – während er an der Spitze des Suchtrupps daherritt, die Augen angestrengt auf den sandigen Boden gerichtet, um dort nach Hufspuren zu suchen. Mit der Linken hielt er die Zügel seines Rappen und als er mit der Rechten den Colt berührte, den er im Holster trug, überlegte er: Ich bin ziemlich aus der Übung mit dem Ding!
Sicher, er war vermutlich immer noch schneller als die meisten Cowboys der Umgegend. Aber würde es noch ausreichen, um es mit den flüchtigen Bankräubern aufzunehmen?
Ich weiß nichts über sie!, durchzuckte es ihn. Vielleicht sind es nur dahergelaufene Strauchdiebe aus der Umgegend, die sich einmal an einem ehrgeizigeren Ziel versucht haben; ehemalige Cowboys vielleicht, die ihren Job verloren haben.
Dann war er ihnen überlegen, auch wenn seine letzte und einzige Bewährungsprobe schon zwanzig Jahre zurücklag.
Aber was, wenn es sich um Profis handelte? Leute, deren Geschäft es war zu schießen ...
John Matthews hatte dieses Gefühl jahrzehntelang nicht gekannt, aber jetzt kroch es ihm kalt den Rücken hinauf: die Angst!
Ich darf nicht an mir selbst zweifeln!, versuchte er sich einzureden.
Er wusste, dass die Erwartungen hoch waren, die die Bürger von Rawlins an ihn stellten. Sie warteten von ihm, dass er mit den Bankräubern kurzen Prozess machte, so wie er es damals mit den Revolverhelden gemacht hatte...
Aber er wusste nicht, ob er immer noch der Matthews von damals war.
„Sieht so aus, als wären sie in Richtung Three Little Rocks geritten!“, brummte Matthews, nachdem sein geübtes Auge die Spuren studiert hatte.
„Glaubst du, die reiten einfach so in die Stadt hinein, gehen in einen Saloon, mieten sich ein Hotelzimmer ...?“
Das war O’Conner, dem der Drugstore von Rawlins gehörte und der mit Rechnungen und Bilanzen sicherlich um einiges besser umgehen konnte als mit der hoffnungslos veralteten Büchse, die in seinem Sattelholster steckte.
„Warum sollten sie nicht?“, fragte Matthews. „Sie waren maskiert, niemand hat sie erkannt, die Zeugenaussagen zu ihrer Kleidung sind so unpräzise, dass sie fast auf jeden passen!“
Der Sheriff schüttelte den Kopf. „Tja, wenn die Kerle morgen bei dir in den Drugstore kämen, um sich Proviant für eine längere Reise zu besorgen – es würde dir nichts Ungewöhnliches auffallen!“
„Wir müssen sie kriegen!“, meinte O’Conner kämpferisch.
Der Tatendrang bei dem sonst eher stillen und zurückhaltenden Kaufmann wunderte Matthews nicht. Schließlich gehörte ein guter Teil der Bankeinlagen ihm.
Nicht mehr lange und die Sonne wird untergehen!, überlegte der Sheriff dann. Und wenn die Nacht erst angebrochen war, würden die Männer kaum noch die Hand vor Augen sehen können ...
Plötzlich empfand Matthews die Anwesenheit des Suchtrupps als äußerst unangenehm. Er konnte nicht sagen, weshalb eigentlich; ob O’Conners Ungeduld dieses Gefühl in ihm ausgelöst hatte oder ob es an etwas anderem lag ...
Der Gedanke an ein Versagen, an eine Niederlage gegen die Bankräuber, von denen sich die Spur möglicherweise irgendwo verlieren würde, hatte ihn bereits den ganzen Weg über geplagt.
Aber wenn diese Männer, die ihn jetzt begleiteten, wenn sie ihm auch kaum eine wirkliche Hilfe sein konnten, die ihm all die Jahre über vertraut hatten, Zeugen seiner Niederlage würden ...
Es schauderte Matthews bei diesem Gedanken, und er beschloss, die Männer nach Hause zu schicken.
Die Dämmerung hatte sich wie grauer Spinnweben über das Land gelegt, während die gerade hinter dem Horizont verschwundene Sonne ihre letzten Strahlen aussandte.
Zwei Stunden war es her, seit Matthews die Männer fortgeschickt hatte, und nun lag Three Little Rocks vor ihm.
Er wusste, dass die Bankräuber hier waren. Er hatte die Hufspuren ihrer Pferde bis hierher verfolgt. Nun allerdings vermischten sie sich mit denen von unzähligen Reitern, Fuhrwerken und auch Fußgängern ...
Wahrscheinlich werde ich unverrichteter Dinge zurück nach Rawlins reiten müssen!, erkannte John Matthews realistisch die Möglichkeiten, die er in dieser Sache hatte. Aber alles in ihm sträubte sich gegen diesen Gedanken.
In Three Little Rocks führte ihn sein Weg zunächst zu Buddy Silverman’s Saloon, denn dort vermutete er um diese Zeit seinen Freund Ed Norman, den hiesigen Sheriff.
Als Matthews sein Pferd angebunden und die Schwingtüren passiert hatte, musste er jedoch feststellen, dass Sheriff Norman noch nicht dort war. Dafür saß an der Theke – mit hochrotem Kopf und schon ziemlich betrunken – ein anderer Bekannter. Matthews ließ sich einen Whisky geben und gesellte sich zu dem Zecher.
„Hallo, Sam“, sagte er, während er das Glas hob und ihm zuprostete.
Sam Field rülpste ungeniert. Als er sich dann nach Matthews umsah, wankte er zunächst etwas nach hinten, und dann traten ihm die Augen aus den Höhlen und quollen hervor, als wollten sie in kürzester Zeit die Größe von Billardkugeln erreichen.
„Sie, Sheriff?“ Sam Field rülpste nochmals. „Was machen Sie denn hier?
Sie sind doch Sheriff in Rawlins, wenn ich mich nicht irre ...“ Dann kicherte er.
„Sie irren sich nicht, Sam ...“
Der Alkohol ist immer Fields Problem gewesen, überlegte Matthews. Daran schien sich nichts geändert zu haben.
Field hatte früher einen Job auf der Saunders-Ranch, ganz in der Nähe von Rawlins, gehabt. Niemand anderes als der gutmütige Jake Saunders hätte einem notorischen Säufer wie Sam Field einen Job gegeben. Seine Gutmütigkeit brachte Saunders ein paar Jahre später in Geldschwierigkeiten, und leider waren die Menschen, mit denen er zu tun hatte, weit weniger großzügig als er es ihnen gegenüber gewesen wäre. Saunders machte Pleite, seine Ranch wurde versteigert, und natürlich hatten die neuen Besitzer kaum ein Interesse daran, einen Mann wie Sam Field für sich arbeiten zu lassen, der manchmal morgens schon so betrunken war, dass er unmöglich auf einem Pferd sitzen konnte ...
Danach hatte Matthews Field aus den Augen verloren. Es musste ihm verhältnismäßig gut gehen, dachte Matthews, als er die Flasche näher betrachtete, die vor Field auf der Theke stand. Champagner aus Frankreich... Diese Flasche hatte einen langen Weg hinter sich, bis sie in den Regalen von Buddy Silverman’s Saloon gelandet war. Und ihr Preis musste auf diesem Weg zu einer stolzen Summe angewachsen sein!
„Sie können sich so etwas leisten, Sam?“
„Klar, kann ich. Warum auch nicht?“ Er zog eine Grimasse, suchte an seinem Glas zu nippen und goss sich statt dessen den Inhalt übers Hemd.
„Haben Sie Arbeit?“
Auf einmal war Field ganz ruhig, seine Glupschaugen bildeten sich zurück, und er schien für einen Moment fast nüchtern zu sein.
Natürlich hatte er keine Arbeit, Matthews brauchte Fields Antwort gar nicht abzuwarten.
„Aber Sie haben genug Geld, um sich einen solchen Tropfen leisten zu können!“
Da war ein Unterton in Matthews’ Stimme gewesen, der Sam Field mit einem Mal vorsichtiger werden ließ. Er hob die Augenbrauen, verzog die Gesichtsmuskeln und rieb sich an den Schläfen.
„Warum wollen Sie das wissen, Sheriff?“
Anstatt ihm eine Antwort zu geben, packte Matthews ihn mit der Rechten am Kragen, während er mit der Linken einen Packen von Geldscheinen aus Fields zerschlissener Jacke holte.
Matthews knallte das Geld vor Field auf den Schanktisch. Es wurde von einem Papierstreifen der Bank von Rawlins zusammengehalten.
„Sehen Sie sich das an, Sam!“, schrie Matthews, während die anderen Gespräche im Schankraum mehr und mehr verstummten, verhieß Matthews’ aufgebrachter Ton doch möglicherweise ein interessantes Schauspiel, das niemand versäumen wollte!
„Das ist mein Geld!“, sagte Field schwach.
„Ach, ja? Wirklich Ihr Geld, Sam?“ Matthews packte ihn erneut beim Kragen. „Sehen Sie sich den Packen genau an! Diese Scheine kommen von der Bank in Rawlins!“
„Na und? Ich habe sie dort abgehoben!“
„Ich wette mit Ihnen um tausend Dollar, Sam, dass Sie in Rawlins nie ein Bankkonto besessen haben!“
„Ich ...“
„Es ist doch mehr als merkwürdig: In Rawlins wird die Bank ausgeraubt und wenig später taucht Geld, das eindeutig von dort stammt, bei einem Herumtreiber auf!“
5
Wenig später war Sheriff Norman im Saloon aufgetaucht. Field wurde festgenommen und würde die Nacht im Stadtgefängnis von Three Little Rocks verbringen.
„Willst du ihn morgen schon nach Rawlins überführen, John?“, fragte Ed Norman, nachdem er die Zelle sorgfältig abgeschlossen hatte. Field schimpfte ungehalten vor sich hin. Nicht mehr lange, und er würde friedlich seinen Rausch ausschlafen.
„Es waren drei Männer, die unsere Bank überfallen haben“, erklärte Matthews. „Wenn Field einer der beiden ist, dann fehlen mir noch zwei.“
„Und du vermutest, dass sie sich ebenfalls hier in Three Little Rocks aufhalten?“
„Ja.“
Norman zuckte mit den Achseln.
„Die Männer waren maskiert. Dass du Field geschnappt hast, war ein reiner Glückstreffer ...“ Er legte Matthews eine Hand auf die Schulter. „Deine Chancen stehen nicht gut, John.“
„Ich weiß. Aber wenn ich mich davon hätte abschrecken lassen, wäre ich längst umgekehrt und zu Haus, so wie die anderen Männer des Suchtrupps.
Ich hätte Field nicht bekommen.“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Es ist einfach nicht mein Stil, schon im Voraus aufzugeben.“
6
George Malcolm hatte sich bei Wilder & Griffith eingemietet. Von seinem Zimmer aus hatte man einen guten Blick auf die Hauptstraße von Three Little Rocks, und Malcolm hatte sich einen Stuhl ans Fenster gestellt, sich eine teure Zigarre angezündet und beobachtet, was auf der Straße vor sich ging.
So früh am Morgen war dort allerdings noch kaum etwas los. Malcolm nahm einen tiefen Zug an seiner Zigarre und blies anschließend genüsslich den Rauch in die Luft. Es war ein gutes Gefühl, die Taschen voller Geld zu haben.
Plötzlich klopfte es.
Malcolms Rechte ging automatisch zum Revolver.
„Ich bin’s: Luke Harris!“
„Komm rein, Luke!“
Die Tür ging auf, und Harris trat herein. Er schien aufgeregt.
„Was gibt’s?“
„Ich war gestern Abend in Buddy Silverman’s Saloon!“
7
„Jetzt ist Mittag“, sagte Malcolm, während sie das Gefängnis auf der anderen Straßenseite beobachteten. „Alle, bis auf einen Deputy, sind zum Essen gegangen! Auf einen günstigeren Zeitpunkt können wir nicht hoffen!“ Harris lockerte den Revolver in seinem Holster.
Sie nahmen die Pferde bei den Zügeln, überquerten die staubige Straße und machten sie dann vor dem Gefängnis fest.
Es waren drei Pferde.
„Los! Bringen wir die Sache hinter uns!“, zischte Malcolm.
Dabei zogen sie sich die Halstücher über Mund und Nase, rissen die Tür auf und stürzten mit gezogenen Waffen ins Sheriffbüro.
Der wachhabende Deputy las gerade Zeitung. Es dauerte kaum den Bruchteil einer Sekunde, und er hatte die Situation erfasst.
Seine Hand glitt zum Revolverholster, und er schaffte es sogar noch, die Waffe herauszureißen und auf die Eindringlinge zu richten.
Doch dann donnerten zwei Schüsse aus kurzer Entfernung. Der Deputy sackte blutüberströmt in sich zusammen.
„Schnell!“, sagte Harris. „Die Schlüssel!“
Malcolm ging zum Fenster und beobachtete die Straße.
Nicht mehr lange, und sie würde sich mit Menschen füllen, die den Schuss gehört hatten.
Indessen hatte Harris den Schlüssel vom Haken genommen und war zu den Gefängniszellen gegangen. Sam Field war inzwischen einigermaßen nüchtern. Er hielt sich den Kopf und riss ungläubig die Augen auf, als Harris die Zellentür öffnete.
„Hey ...?“
„Los, mach jetzt! Wir haben nicht viel Zeit! Deinen Kater musst du woanders auskurieren!“
Als Field wenig später den toten Deputy sah, wurde er bleich.
„Das war Mord!“, rief er. „Dafür wird man uns aufhängen!“
„Quatsch nicht!“, schimpfte Harris.
„Aber ...“
„Wir hatten keine andere Wahl, Sam!“
Harris ging zu dem Toten hin und schnallte ihm mit einiger Mühe den Revolvergurt ab. Dann nahm er ihm den Colt aus den um den Griff verkrallten Fingern und steckte ihn in das zugehörige Holster.
„Hier, Sam! Nimm das! Du wirst es noch brauchen!“
„Los, raus jetzt!“, rief Malcolm, der noch immer am Fenster stand.
Mit gezogenen Revolvern stürmten sie ins Freie, zu den Pferden. Ein paar Leute hatten sich angesammelt und starrten ungläubig auf das, was vor ihren Augen geschah.
„Weg da!“, schrie Harris und gab einen Warnschuss ab, woraufhin die – größtenteils unbewaffneten – Bürger etwas zurückwichen. Die drei Männer schwangen sich auf ihre Pferde (wobei Field zunächst einige Schwierigkeiten hatte, überhaupt in den Sattel zu kommen), gaben ihnen die Sporen und preschten davon.
Harris gab noch einige ungezielte Warnschüsse ab.
8
Matthews und Norman hatten die Schüsse gehört und waren ins Freie gestürmt.
Sie sahen, dass vor dem Gefängnis ein Menschenauflauf entstand. Drei Männer – zwei von ihnen maskiert, bei dem dritten handelte es sich um Sam Field – ritten davon.
Matthews überlegte nicht lange, sondern nahm sich ein in der Nähe angebundenes Pferd und machte sich an die Verfolgung. Zunächst holte er etwas auf, und als er glaubte, nahe genug an den Flüchtenden heran zu sein, zog er den Revolver und feuerte ein paar Schüsse ab.
Die Flüchtenden schossen zurück, aber keine der abgefeuerten Kugeln traf ihr Ziel.
Erneut wurde hin und her geschossen, mehr auf gut Glück denn gezielt.
Ein Schrei drang dann an Matthews’ Ohren, und er dachte: Einen hat’s erwischt!
Er konnte nicht erkennen, wer von den Flüchtenden getroffen worden war, denn alle drei hingen sie tief vorgebeugt in ihren Sätteln, um möglichst wenig Zielfläche abzugeben.
Auf dem Boden sah Matthews Blut.
Er schoss (ohne allerdings ein zweites Mal zu treffen) einen Revolver leer, steckte ihn dann ins Holster zurück und versuchte verzweifelt, sein Pferd noch mehr anzutreiben.
Doch zusehends wurde der Abstand zwischen ihm und den Flüchtenden größer. Das Pferd, das er sich genommen hatte, war offensichtlich alles andere als ein ausgesprochenes Rennpferd. Mehr und mehr wurde Matthews deutlich, dass das Tier die Grenzen seiner Möglichkeiten erreicht hatte. Die Flüchtenden wurden immer kleiner und kleiner, verschwanden schließlich hinter einem Hügel, um dann noch einmal kurz aufzutauchen, bevor der Horizont sie verschluckte.
„Sie haben Deputy Jenkins erschossen!“, eröffnete Ed Norman Matthews, als dieser wenig später nach Three Little Rocks zurückkehrte. „Sie haben ihn einfach über den Haufen geschossen!“
„Sie werden nicht weit kommen!“, meinte Matthews. „Ich habe einen von ihnen erwischt.“
Er stieg aus dem Sattel und zog seinen Revolver aus dem Holster, um ihn nachzuladen. „Wenn ich ein besseres Pferd gehabt hätte, dann hätte ich sie gekriegt!“ Matthews ballte innerlich die Faust. Er war so nahe dran gewesen, er hatte sie fast in seiner Hand gehabt ...
„Sie haben einen Vorsprung, John. Aber keinen, den man nicht einholen könnte!“ Norman wandte sich an die umstehenden Bürger.
„Wir stellen einen Suchtrupp zusammen! Jeder, der sich daran beteiligen will, bekommt einen Blechstern und wird als Deputy vereidigt!“
„Kein Suchtrupp!“, erwiderte Matthews. „Es reicht völlig, wenn wir beide uns auf den Weg machen!“ Matthews dachte an seine eigenen Leute aus Rawlins, die er nach Hause geschickt hatte. „Wir verlieren zuviel Zeit ...“, meinte er schwach.
„Hier bin ich der Sheriff, John!“, gab Ed Norman unmissverständlich zurück. „Und ich sage, dass ein Suchtrupp gebildet wird!“
9
Die Hügel wurden zunehmend flacher. Die Flüchtenden durchquerten ein kleines Waldgebiet und gelangten dann auf flaches Grasland.
„Wie geht es, Luke?“, fragte George Malcolm besorgt. Er sah das blutverschmierte Hemd, das Luke Harris auf dem Leib trug, und wusste, dass seine Frage eigentlich überflüssig war. Harris hatte eine Kugel in den Rücken bekommen, und es stand außer Frage, dass er so schnell wie möglich ärztliche Betreuung brauchte.
„Es tut verdammt weh ...!“, hauchte Harris schwach. Er hing vornüber gebeugt auf seinem Pferd und keuchte.
„Was machen wir jetzt, George?“, rief Sam Field. Die letzten Reste seines Vollrausches vom vergangenen Tag waren verflogen und hatten nackter Furcht Platz gemacht. „Sag doch, was wir tun sollen! Man wird uns längst auf den Fersen sein!“
„Halt’s Maul!“
„George, ich weiß nicht, ob du dir darüber klar bist ...!“
„Halt’s Maul!“, schimpfte Malcolm noch einmal. „Wenn du dir gestern über einige Dinge besser im Klaren gewesen wärst, wenn du dich etwas besser unter Kontrolle gehabt, oder wenigstens nur in deinem Hotelzimmer für dich getrunken hättest, dann wäre das alles nicht passiert!“ Das war natürlich richtig, und Field wusste das ebenso gut wie Malcolm. Es blieb Field nichts anderes übrig, als seinen Ärger, seine Verzweiflung – und vor allem seine Angst – herunterzuschlucken.
„Wir dürfen jetzt auf keinen Fall den Kopf verlieren!“, mahnte Malcolm.
„Das wäre das Schlimmste, was wir tun könnten!“
„Dann sag doch verdammt noch mal, was wir tun sollen!“ Field fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht. Alles war wie ein schlechter Traum.
Aber aus diesem Traum konnte es kein Erwachen geben. Es war alles Wirklichkeit ... Gestern noch hatte er sich wie ein König gefühlt, mit seinen Taschen voller Geld, heute schon fühlte er sich erbärmlicher denn je. Wie oft hatte er im Straßengraben gelegen, betrunken und nicht mehr fähig, sich auf den Beinen zu halten. Er hatte die üblen Späße ertragen müssen, die die Kinder mit ihm trieben, wenn er so hilflos dalag und vor sich hinlallte. Aber all das erschien ihm im Rückblick als Zuckerschlecken, wenn er an sein gegenwärtiges Befinden dachte.
Malcolm musterte Field kühl. Ihm war klar, was mit dem Gefährten los war.
„Nun mach mal halblang, Sam!“, sagte er ihm, wobei er sich den Hut in den Nacken schob. „Schließlich hat es Luke erwischt und nicht dich!“ Sam Field beruhigte sich ein wenig. Dann sagte er: „Wir schaffen es mit Luke nicht!“
„Du meinst, wir sollten ihn zurücklassen?“, fragte Malcolm, wobei er die Stirn runzelte. Er tat dies auf eine Art und Weise, die bewirkte, dass Field kaum zu nicken wagte.
„Ihr dürft mich nicht hierlassen!“, rief Harris, dessen Augen sich vor Schreck und Schmerz geweitet hatten. „Ihr dürft es nicht! Die hängen mich auf!“
Malcolm sagte nichts, und es schien Field, als würde er jetzt seinen Vorschlag ernsthaft in Erwägung ziehen.
„Ihr könnt das nicht tun!“, wimmerte Harris. „George!“ Doch Malcolms Gesichtsausdruck blieb regungslos. Er wandte sich an Field. „Ich habe dich auch nicht im Stich gelassen, Sam! Das alles ist doch nur passiert, weil wir dich befreit haben! Du kannst doch nicht ...“
„Du kennst dich hier in der Gegend besser aus als ich, Sam“, wandte George Malcolm sich an Field. „Gibt es hier in der Nähe eine Ranch, ein Haus, irgendetwas, wo man Luke erst einmal unterbringen könnte?“
„Ja, die Farm der McCoys. Das ist nicht weit!“
„Wie viele Menschen leben dort?“
„McCoy, seine Frau und ein Baby.“
Malcolm nickte. „Damit dürften wir fertigwerden können!“
10
Mrs Liz McCoy schaute nach der Uhr.
Nicht mehr lange, und ihr Mann Jason würde aus der Stadt zurück sein.
Jason McCoy war am Morgen mit dem Wagen nach Three Little Rocks aufgebrochen, um Gemüse zu verkaufen, das sie auf ihrer kleinen Farm gezogen hatten.
Am frühen Abend würde er mit dem, was er in der Stadt eingekauft hatte, zurückkommen.
Mrs McCoy fand, dass es an der Zeit war, das Stew auf den gusseisernen Herd zu setzen. Es dauerte nicht lange, und in der engen Wohnstube verbreitete sich ein angenehmer Geruch.
Während Mrs McCoy in dem großen Topf das Stew umrührte, damit es nicht anbrannte, glitt ihr Blick zu der Wiege, die am Fenster stand.
Dort lag ihre kleine Tochter Liz, nach ihrer Mutter benannt. Die kleine Liz schlief friedlich, und ihre Mutter lächelte still vor sich hin.
Sie und Jason hatten ein gutes Leben, fand sie. Es war ein einfaches, aber ein gutes Leben. Die Farm ernährte sie und würde auch noch ein weiteres Kind ernähren können.
Sicher, sie hatten viel Arbeit, und Hilfskräfte konnten sie sich nicht leisten.
Aber sie hatten es geschafft, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Sie hatten nicht viel Land, aber auf dem, was sie besaßen, waren sie ihre eigenen Herren.
Pferdegetrappel riss Mrs McCoy aus ihren Gedanken.
Aber es waren Reiter und nicht ihr Mann Jason mit dem Wagen – das hörte sie sofort.
Besuch?, fragte sie sich. Wer mochte das sein?
Ihr erster Impuls wäre gewesen, zum Fenster zu laufen und nachzuschauen, aber dann wäre ihr das Stew angebrannt und so blieb sie vorerst am Herd.
Sie hörte Stimmen von Männern. Aber sie kannte keine dieser Stimmen, und so ließ sie das Stew schließlich doch im Stich, um die Winchester aus der Ecke zu holen.
Die Waffe war nicht geladen, also ging sie zum Schrank, um Patronen zu holen.
Sie hörte schwere Schritte.
Die Stimmen waren jetzt direkt vor der Tür.
Mit zitternden Händen fingerte sie die Patronen Stück für Stück in die Winchester. Als die Tür aufging und sie in die Mündung eines Revolvers blickte, war sie noch immer nicht damit fertig.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
„Fallenlassen!“
Ein kurzer, knapper Befehl, der keinen Zweifel daran ließ, dass der, der ihn ausgesprochen hatte, es sehr ernst meinte.
Mrs McCoy ließ die Winchester zu Boden fallen, eine Patrone, die sie noch in der Hand gehalten hatte, fiel mit hinunter.
„Was wollen Sie?“
11
„Gibt es hier noch einen anderen Raum?“, fragte Malcolm die völlig verängstigte Frau, nachdem er die Winchester vom Boden aufgehoben und an sich genommen hatte.
Die Frau sagte nichts, die Worte blieben ihr buchstäblich im Hals stecken.
Malcolm ging zur Tür, die ins Nebenzimmer führte.
Als er sie öffnete, sah er das Ehebett der McCoys und nickte.
Jetzt kam Sam Field mit dem verletzten Harris durch die Haustür. Mrs
McCoy nahm vor Entsetzen die Hand vor den geöffneten Mund, als sie das Blut sah.
„Du kannst ihn hierher bringen, Sam!“, sagte Malcolm. „Hier ist ein Bett.“ Harris stöhnte erbärmlich.
Er musste große Schmerzen haben.
Als Field ihn bis zum Bett gebracht hatte, fiel er wie ein Stein in die Kissen.
Field zog ihm daraufhin die Stiefel aus und packte auch seine Beine auf das Bett.
„Für’s erste braucht er wohl etwas Ruhe“, meinte Malcolm. Aber vielleicht hatte Harris schon bald sehr viel mehr Ruhe, als ihm lieb sein konnte. Es sah nicht gut für ihn aus.
Field kam zurück in die Wohnstube, wischte sich den Schweiß von der Stirn und seufzte. Malcolm schloss die Tür zum Nebenzimmer. Dann warf er einen Blick auf die Wiege. Das Baby war erwacht und schaute mit großen blauen Augen in die Welt, von der es noch so gut wie nichts wusste.
Malcolms Gesicht entspannte sich etwas, als das Baby ihn interessiert musterte.
„Wie heißt es?“, fragte er, ohne den Blick von der Wiege zu nehmen.
„Liz!“, beeilte sich die Frau zu antworten.
Für einen kurzen Augenblick schien es fast, als würde die Ahnung eines Lächelns Malcolms Mund umspielen. Dann blickte er aus dem Fenster.
Währenddessen flegelte sich Sam Field in einen Stuhl und fragte: „Haben Sie so etwas wie Whisky im Haus?“
„Geben Sie ihm nichts, Ma'am!“, sagte Malcolm unmissverständlich, noch bevor die Frau irgendeine Antwort geben konnte. „Er ist ein notorischer Trinker, und wir sind in einer Lage, in der sich keiner von uns eine benebelte Birne leisten kann.“ Er bedachte die Frau mit einem kühlen Blick, der nichts anderes als eine unterschwellige Drohung war. „Ich mache Sie dafür verantwortlich, dass ...“
„Machen Sie sich keine Sorgen!“, sagte die Frau. „Wir haben nichts im Haus.“
Malcolm nickte und meinte dann grinsend, an Field gewandt: „Mann, was haben wir da für ein Glück gehabt, was?“
Field verzog das Gesicht.
Er fand die Angelegenheit nicht so witzig.
Malcolm trat nun vom Fenster weg, hob die Patrone auf, die die Frau zusammen mit dem Gewehr zu Boden hatte fallenlassen und lud sie in die Winchester. Dann warf er die Waffe in Fields Richtung, der sie mit einiger Mühe auffing.
„Pass auf die Frau auf, Sam! Ich werde die Pferde in die Scheune bringen!“ Er wandte sich nochmal an die Frau. „Wo ist Ihr Mann?“
„In der Stadt!“
„Wann kommt er zurück?“
„Ich weiß nicht ...“
„Sie wissen es! Sagen Sie es mir!“
Ein verbrannter Geruch hatte sich indessen in der Wohnstube verbreitet.
Malcolms Blick fiel auf das angebrannte Stew auf dem Herd. „Sie haben Essen gemacht. Er wird also jeden Augenblick eintreffen!“, schloss er. Dann deutete er auf den Kochtopf. „Machen Sie das besser runter, Ma'am. Es riecht erbärmlich!“
12
„Ich habe Sie schon einmal gesehen!“, sagte die Frau zu Field, als Malcolm gegangen war.
„Ach ja?“ Field schien ziemlich desinteressiert.
„Ja. Ihren Namen weiß ich nicht, aber ich bin mir sicher, dass ich Sie schon einmal gesehen habe! Sie lagen am Straßenrand und waren völlig besoffen.“ Field zuckte mit den Schultern.
„Ich schätze, ńe Menge Leute haben mich schon so gesehen.“ Die Frau schickte sich nun an, das Stew vom Herd zu nehmen. Es war nicht mehr zu retten, das stand fest.
„Vor wem sind Sie auf der Flucht?“, fragte sie.
„Auf der Flucht?“
„Tun Sie nicht so, das sieht man auf den ersten Blick! Ist der Sheriff hinter Ihnen her?“
„Quatschen Sie nicht so viel, Ma'am.“
Das Baby fing an zu schreien.
Es hatte Hunger.
„Kümmern Sie sich um Ihr Kind und halten Sie verdammt noch mal den Mund!“, setzte Field noch hinzu.
Die Frau nahm das Kind an sich. Field starrte währenddessen auf den Bretterboden, und sie studierte seine Gesichtszüge. Und dann war ein guter Teil ihrer Angst erst einmal wie weggeblasen, denn sie sah, dass ihr Gegenüber sich in seiner Haut mindestens ebenso unwohl fühlte wie sie selbst. Eine halbe Stunde verging, ohne dass sich etwas Besonderes ereignete. Malcolm hatte die Pferde in der Scheune untergebracht, und die Frau hatte das Baby gestillt und gewickelt.
Anschließend hatte Malcolm sie angewiesen, dem verletzten Harris einen Verband zu machen.
„Er braucht einen Arzt“, sagte die Frau. „Wir können hier nicht viel machen.“
„Das weiß ich auch!“, erwiderte Malcolm kühl.
Wenig später – die Frau hatte inzwischen erneut Stew auf den Herd gesetzt
– waren die Geräusche eines Pferdewagens zu hören.
„Gehen Sie ans Fenster, Ma'am!“, befahl Malcolm, während er den Revolver zog und den Hahn spannte. „Ist das Ihr Mann?“ Die Frau schaute aus dem Fenster.
Natürlich war es Jason, wer sollte es um diese Zeit sonst sein? Sie schluckte.
„Tun Sie ihm nichts!“, sagte sie.
„Wenn er nicht versucht, uns etwas zu tun, tun wir ihm auch nichts! Ist er bewaffnet?“
Sie nickte.
„Er hat ein Gewehr bei sich.“
Sie wandte sich zu Malcolm um und fuhr fort: „Er ist es nicht gewohnt mit der Waffe umzugehen. Wir sind Farmer, keine Banditen ...“ Es war ihr so über die Lippen gerutscht, aber jetzt konnte sie die Worte nicht mehr zurückholen. Malcolm sah sie durchdringend an, und sie erschrak.
„Ist schon gut“, brummte er. Draußen stieg zur selben Zeit Jason McCoy vom Wagen. Sein Gewehr hatte er auf dem Bock gelassen. Woher sollte er auch ahnen, dass er es vielleicht brauchen könnte, wenn er die häusliche Türschwelle überschritt ...
Malcolm trat jetzt dicht neben die Frau.
„Gehen Sie hinaus und sagen Sie Ihrem Mann, was hier los ist.“ Er deutete zur Wiege, in der die kleine Liz inzwischen wieder friedlich schlief.
„Bedenken Sie, dass wir das Kind haben, Ma'am. Irgendwelche Tricks würde ich Ihnen also wirklich nicht empfehlen!“ Die Frau nickte schluckend.
Dann ging sie wortlos zur Tür und lief Jason McCoy entgegen.
13
Ed Norman vereidigte die Freiwilligen, die sich zum Suchtrupp gemeldet hatten, im Schnellverfahren zu Deputies und heftete jedem von ihnen einen Blechstern an die Brust. In Matthews’ Augen wurde durch diese Prozedur nur wertvolle Zeit verloren, aber Ed Norman war ein Mann, der stolz darauf war, für sich in Anspruch nehmen zu können, sich stets an die Buchstaben der Gesetze gehalten zu haben. Nachdem die Männer sich bewaffnet und mit Munition versehen hatten, brachen sie auf.
„Wie schwer, glaubst du, hast du einen von ihnen erwischt, John?“, fragte Norman, während sie der Spur der Banditen folgten.
„Keine Ahnung!“, brummte Matthews unwirsch und vielleicht sogar etwas unfreundlicher, als er es beabsichtigt hatte.
„Ich habe geschossen, sie haben geschossen, und dann hat einer von ihnen geschrien.“
Matthews dachte über die Aufgabe nach, die vor ihnen lag.
Bei einem der Gangster – Sam Field – wussten sie inzwischen, um wen es sich handelte. Das war ein unschätzbarer Vorteil. Aber Fields Komplizen waren sehr wahrscheinlich von anderem Format.
Schließlich hatten sie ihren Gefährten aus dem Gefängnis befreit und waren kaltblütig genug gewesen, Deputy Jenkins einfach abzuknallen.
Jenkins war ein schneller und guter Schütze gewesen, das wusste Matthews.
Aber es hatte ihm nichts genützt. Über die zunehmend flacher werdenden Hügel verfolgten sie die Spuren bis zu einem kleinen Waldgebiet.
Anschließend gelangten sie auf flaches Grasland, aber sie hatten Pech: Irgendeiner der Rancher aus der Umgebung hatte seine Rinder hierher getrieben, so dass man aus der Unmenge an Hufspuren, sowohl von Rindern wie auch von den Pferden der Cowboys, die der flüchtigen Gangster unmöglich herauslesen konnte.
„Keine Spuren?“, ereiferte sich Brooks, einer der vereidigten Bürger aus Three Little Rocks. Sein eigentlicher Beruf war der eines Kirchendieners, und die Winchester, die er bei sich hatte, stammte aus den Beständen von Sheriff Norman. „Verdammt noch mal, Matthews, ich dachte, Sie sind in der Gegend bekannt für Ihre Fähigkeiten, was das Spurenlesen angeht! Und Sie finden nichts?“
„So ist es!“
Sie zügelten die Pferde, Matthews stieg aus dem Sattel und fühlte mit der Hand über den Boden. „Es ist aussichtslos“, sagte er. „Genauso gut könnten Sie versuchen, auf einem Feld eine Spur zu finden, das gerade umgepflügt wurde.“
„Und nun sollen diese Banditen so davonkommen?“, rief Brooks erbost.
„Die haben den Deputy erschossen! Ich habe Jenkins gut gekannt, wir haben oft zusammen bei Buddy Silverman Karten gespielt!“ Er schüttelte den Kopf. „Das sollen sie nicht ungestraft getan haben!“
„Wir müssen überlegen“, sagte Matthews, mehr zu sich selbst als zu den anderen. Und so nahm er kaum wahr, wie Brooks sich erneut ereiferte: „Pah! Überlegen wir, bis sie über alle Berge sind!“
„Wir müssen versuchen, uns in die Lage dieser Männer hineinzuversetzen“, meinte Matthews, ohne auf die Aufgeregtheit des Kirchendieners einzugehen. Er wandte sich an Norman. „Was würdest du tun, Ed? Stell dir vor, du wärst auf der Flucht und hättest einen Verletzten bei dir.“
„Das hinge davon ab, wie schwer verletzt.“
Matthews nickte.
„Unser Mann hat einiges an Blut verloren. Wir haben die Spuren unterwegs gefunden. Es kann also keine Kleinigkeit sein, die er abgekriegt hat.“
„Ich würde mich schleunigst nach einem Unterschlupf umsehen!“, meinte Ed Norman. „Ein Haus, eine Farm, irgendetwas, wo man einen Verletzten erst einmal versorgen könnte ...“
„Ja“, sagte Matthews. „Sie sind bis hierher geritten, das steht fest. Den Wald haben sie noch durchquert. Wo gibt es hier in der Nähe eine Möglichkeit unterzutauchen?“
14
Jason McCoy musterte die Eindringlinge abschätzig, aber letztlich doch mit erstaunlicher Ruhe, als er zusammen mit seiner Frau die Wohnstube betreten hatte.
„Man kann sich seine Gesellschaft nicht immer selbst aussuchen“, sagte George Malcolm dazu. „Das gilt sowohl für Sie und Ihre Familie, wie auch für uns. Machen wir also das Beste draus.“ Seine Augen zogen sich etwas zusammen. „Sie verstehen doch, was ich meine, oder?“
„Ich denke schon“, sagte der Farmer. McCoy machte einen matten, niedergeschlagenen Eindruck.
Malcolm wandte sich an Field. „Du holst das Gewehr vom Wagen und bringst es her!“ Und wieder an McCoy: „Sie werden anschließend Ihre Einkäufe ins Haus bringen und sich um die Pferde kümmern. Ich denke, ich muss nicht noch besonders darauf hinweisen, dass Ihre Frau und Ihr Baby sich hier bei uns im Haus befinden.“
Als Field hinausging, um McCoys Gewehr vom Wagen zu holen, drang ein Stöhnen aus dem Nebenzimmer.
Harris war offensichtlich erwacht.
„Na, los! Schauen Sie nach, was mit ihm ist!“, wies Malcolm die Frau an.
Sie gehorchte stumm.
Field kam indessen mit dem Gewehr, und Mr McCoy ging hinaus, um den Wagen zu entladen.
„Behalt ihn im Auge!“, raunte Malcolm Field zu und folgte dann der Frau ins Nebenzimmer. Sie war gerade damit beschäftigt, Harris etwas Wasser einzuflößen.
„Er hat Fieber. Wenn Sie wollen, dass Ihr Freund eine Chance hat, dann sorgen Sie dafür, dass er einen Arzt bekommt.“ Malcolm wusste, dass die Frau recht hatte.
„Wer ist der nächste Arzt hier in der Gegend?“, fragte er.
„Dr. Andrews. Er wohnt in Three Little Rocks.“ Malcolm war der Frau bisher kühl und überlegen erschienen. Er hatte stets den Anschein erweckt, als sei er Herr der Lage. Aber jetzt, mit seinem nach innen gekehrten Blick, glaubte sie Anzeichen von Unsicherheit zu erkennen.
Er zermarterte sich das Gehirn, überlegte sie. Aber er hatte offenbar keine Lösung parat.
Wenn sie noch lange damit warten, einen Arzt zu holen, dann löst sich das Problem dieser Männer von selbst!, kam es ihr in den Sinn. Der Verletzte war jetzt schon mehr tot als lebendig.
Vielleicht ziehen sie davon, wenn er stirbt!, dachte sie und erschrak dann vor der Unbarmherzigkeit ihrer eigenen Gedanken. Wenn sie ehrlich war, dann wünschte ein Teil von ihr diesem Mann, der dort hilflos und schweißgebadet auf ihrem Bett lag, den Tod.
Mochte das Verderben diesen Mann treffen und dafür an ihrer Familie vorübergehen!
„Lassen Sie Ihren Komplizen zurück!“, sagte die Frau plötzlich, und dabei war sie von der Festigkeit ihrer Stimme überrascht.
Malcolm blickte auf und kniff die Augen zusammen.
„Sie wollen uns loswerden, Ma'am?“
„Wundert Sie das?“
Malcolm lachte freudlos.
„Nein, natürlich nicht.“
Sie trat nahe an Malcolm heran und sprach jetzt merklich leiser. „Sie sollten sich die Sache wirklich überlegen, Mister! Sie wissen so gut wie ich, dass so gut wie keine Aussicht besteht, diesen Mann in nächster Zeit so fit zu bekommen, dass er mit Ihnen flüchten kann.“
„Abwarten“, brummte Malcolm.
„Lassen Sie ihn hier! Wenn Sie warten, bis er stirbt, nützen Sie damit weder ihm noch sich selbst. Sie verschenken nur wertvolle Zeit.“
„Wir werden sehen.“
Mrs McCoy zuckte mit den Schultern.
„Jeder gräbt sich selbst sein Grab, Mister! Denken Sie darüber nach!“
„Sie auch!“, gab Malcolm eisig zurück. Die Frau zuckte zusammen, raffte dann ihr Kleid zusammen und ging wieder in die Wohnstube. Malcolm warf noch einen Blick auf den erbarmungswürdigen Harris und folgte ihr dann.
15
„Sie sind die Leute, die gestern Morgen die Bank von Rawlins ausgeraubt haben, nicht wahr?“, meinte Jason McCoy kauend.
Seine Frau hatte ihm und den ungebetenen Gästen jedem einen Teller mit Stew aufgefüllt. Sie selbst aß auch, aber sie merkte bald, dass sie kaum Appetit hatte. Lustlos stocherte sie im Essen herum, während ihr Mann fortfuhr: „Sie haben in Three Little Rocks den Deputy umgebracht, stimmt’s?“ Es war im Grund keine Frage, es war eine Feststellung, die Jason McCoy getroffen hatte. „Die Leute haben in der Stadt von nichts anderem geredet!“
„Es kann Ihnen egal sein, wer wir sind!“, gab Sam Field zornig zurück. „Es kann ihnen egal sein, haben Sie gehört, Mister?“ Obwohl er gar nichts getrunken hatte, war Fields Gesicht in diesem Augenblick puterrot angelaufen und seine Augen quollen hervor.
„Beherrsch dich, Sam!“, befahl Malcolm – ziemlich leise und sehr ruhig.
„Dieser Gentleman hier heißt Sam, ja?“, überlegte McCoy laut. Er musterte Field eingehend.
„Er ist ein Säufer“, meinte seine Frau. „Dir kommt das Gesicht wahrscheinlich auch bekannt vor. Vermutlich hast du ihn ebenfalls an irgendeinem Straßenrand liegen sehen ...“
„Ein Säufer, der Sam heißt ...“, murmelte Jason McCoy, und plötzlich blitzte es in seinen Augen. „Sie heißen Sam Field und haben früher einmal für Jake Saunders gearbeitet, nicht wahr?“
Field sagte nichts. Statt dessen warf er den Löffel wütend in das Stew in seinem Teller, so dass es spritzte.
„Ich erinnere mich jetzt an Sie“, fuhr McCoy fort. „Ich habe nämlich ebenfalls für Saunders gearbeitet, bevor ich mich selbstständig gemacht habe!“
Field war wie ein Kessel, auf dem heißes Wasser aufgesetzt worden war und den man anschließend sich selbst überließ. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er überkochen würde. Und dieser kritische Moment war jetzt gekommen. Mit der Linken fegte er den Teller mit Stew vom Tisch, so dass er zu Boden polterte und sein Inhalt sich über die Bretter verteilte. Dann stand er auf, langte über den Tisch und packte Jason McCoy am Kragen.
„Ein Wort noch ...“, presste er heraus. Seine Stimme war dünn und zitterte, und sei Griff war nicht besonders fest, das bemerkte McCoy sofort.
„Da kommen Reiter!“, durchschnitt plötzlich Malcolms Stimme die gefährlich aufgeladene Luft in der engen Wohnstube. Plötzlich waren alle still, und Field ließ von McCoy ab. Statt dessen glitt seine Hand zum Revolver, den er etwas in seinem Holster lockerte.
Vielleicht wurde es jetzt ernst.
Tödlich ernst.
Alle im Raum hörten das Geräusch. Malcolm stand am Fenster, er hielt den Revolver in der Hand. Es war nichts zu sehen, die Reiter kamen wohl von der anderen Seite auf die Farm der McCoys zu, von der Seite vielleicht, an der der Herd stand. Aber dort war kein Fenster.
„Ins Nebenzimmer!“, befahl Malcolm der Frau und spannte den Hahn seiner Waffe. Mrs McCoy schluckte. „Nehmen Sie das Baby an sich, Ma'am!
Schnell!“
Sie nahm das Baby aus der Wiege, Malcolm gab Field ein Zeichen, und dann gingen sie in Richtung Nebenzimmer.
„Was haben Sie vor?“, fragte McCoy, dessen Züge jetzt sichtlich angespannt waren.
„Es hängt jetzt alles von Ihnen ab, Mister!“, erklärte George Malcolm so sachlich, wie das in einer Situation wie dieser möglich war. „Wenn gleich jemand an Ihre Tür klopft, dann machen Sie auf. Aber wer immer es auch sei: Wimmeln Sie ihn ab!“ Er deutete auf die Frau mit dem Kind. „Das Wohl Ihrer Familie hängt davon ab. Wir haben uns verstanden, ja?“
„Ja.“
„Kein falsches Wort, wenn Ihnen was an Ihrer Frau und an dem Baby liegt!“
„Ich habe verstanden!“
„Gut!“
Alle bis auf Jason McCoy verschwanden daraufhin im Nebenzimmer.
Malcolm schloss von innen die Tür, blieb aber dicht dahinter stehen, um besser mithören zu können, was in der Wohnstube gesprochen werden würde.
„Zieh deine Waffe und halte sie schussbereit!“, sagte er an Fields Adresse.
„Möglicherweise geht gleich alles sehr schnell!“ Es klopfte.
„Wer ist dort?“, fragte Jason McCoy. Seine Stimme klang einigermaßen sicher und überzeugend.
„Sheriff Norman!“, kam es von der anderen Seite der Haustür.
„Dann ist alles in Ordnung! Warten Sie, Sheriff, ich mache Ihnen die Tür auf!“
McCoy öffnete und Ed Norman trat ein. Die beiden Männer begrüßten sich mit einem herzlichen Händedruck.
„Alles in Ordnung bei Ihnen, McCoy?“
Der Farmer nickte schwach. „Klar doch, Sheriff. Alles in Ordnung!“
„Wo ist Ihre Frau?“
„Drüben, im Nebenzimmer.“ McCoy schluckte. „Mit dem Baby, verstehen Sie? Sie hat ńe Menge zu tun mit der kleinen Liz, sag ich Ihnen.“ Norman runzelte die Stirn. Kaum merklich zwar, aber doch deutlich genug, um McCoy zu beunruhigen. Der Sheriff durfte auf keinen Fall Verdacht schöpfen!
Ruhig!, dachte McCoy verzweifelt. Nur ruhig bleiben!
Um die Furcht etwas einzudämmen, fuhr er dann – scheinbar gut gelaunt und zufrieden – fort: „Wollen Sie nicht hereinkommen, Sheriff? Meine Frau hat Stew gemacht ...“
Und dann sah McCoy die Teller! Keiner – auch keiner von den Banditen – hatte daran gedacht, die Teller wegzuräumen!
Es sind zuviele Teller!, durchzuckte es McCoy.
Schweiß trat ihm urplötzlich auf die Stirn, und er wischte ihn hastig mit dem Ärmel seines Hemdes weg.
Aber der Sheriff achtete nicht auf das Stew und nicht auf die Teller. Er hatte ganz andere Sorgen.
„Hören Sie, McCoy ...“, setzte er an. Da fing im Nebenzimmer das Baby an zu schreien. Ed Norman lächelte matt. „Ja, so ein Baby macht bestimmt ńe Menge Arbeit – und Krach!“, sagte er dann, obwohl er etwas ganz anderes hatte loswerden wollen. „Es freut mich, dass bei Ihnen alles offensichtlich in bester Ordnung ist, denn ehrlich gesagt: Wir hatten uns schon Ihretwegen Sorgen gemacht.“
„Unseretwegen?“
„Ja. Ich bin mit einem Suchtrupp hier. Wir suchen die drei Männer, die heute Mittag den Deputy umgelegt haben.“
„Ich war heute in der Stadt“, warf McCoy ein. „Man redet dort von nichts anderem!“
„Sie können nicht weit sein“, fuhr Norman fort. „Einer von ihnen ist schwer verletzt. Sie werden sich also einen Unterschlupf suchen müssen.“ Er wandte sich zum Gehen. „Halten Sie also die Augen offen, McCoy!“
„Mach ich.“
„Und passen Sie auf sich und Ihre Familie auf!“ Norman verließ das Haus wieder.
„Bei den McCoys ist alles in Ordnung!“, rief er den Männern des Suchtrupps zu. „Lasst uns jetzt zu den Simpsons reiten!“ Jason McCoy schloss die Tür und hörte, wie der Suchtrupp davonritt.
16
Das erste, was Jason McCoy empfand, war Erleichterung.
Dann sah er die beiden Winchester-Gewehre, jenes, das er auf dem Wagen gehabt hatte und jenes, das üblicherweise zu Hause in der Ecke neben dem Schrank stand und das seine Frau nicht mehr schnell genug hatte laden können, um sich gegen die Eindringlinge zur Wehr zu setzen.
Die beiden Waffen standen neben dem Stuhl, auf dem Sam Field gesessen hatte, angelehnt an der Wand.
In der Eile hatten die Banditen sie einfach dort stehenlassen!
Ein Schritt, dachte McCoy, und ich habe eins von den Dingern in den Händen.
McCoy zögerte. Er dachte an seine Frau, an sein Baby.
Dann trat Malcolm mit gezogenem Revolver aus dem Nebenzimmer.
„Sie haben Ihre Sache gut gemacht!“, meinte er.
McCoy schlug das Herz bis zum Hals. Jetzt traten auch seine Frau mit dem Baby und Sam Field wieder in die Wohnstube. Die kleine Liz wurde wieder in die Wiege gelegt. Malcolm steckte den Revolver ins Holster.
„Ich denke, Sie haben den Sheriff überzeugt!“, meinte er mit entspanntem Gesicht. Dann ging er an McCoy vorbei zu den Gewehren und nahm sie an sich. Eine Winchester warf er Field zu und wechselte anschließend mit Jason McCoy einen vielsagenden Blick.
„Ihre Frau sagt, der nächste Arzt hieße Andrews.“
„Ja, das stimmt. Er wohnt in Three Little Rocks.“
„Nehmen Sie eines Ihrer Pferde und holen Sie ihn!“
„Was ... was soll ich ihm denn sagen?“
„Erzählen Sie irgendetwas. Ihnen fällt schon was ein!“
17
Die Dämmerung war über das Land hereingebrochen, als Jason McCoy eins von seinen Pferden sattelte. Malcolm stand dabei, eine Winchester lässig auf die Hüfte gestützt.
„Sehen Sie zu, dass Sie schnell zurück sind“, brummte er.
„Wie alt ist dieser Dr. Andrews?“
„Um die fünfzig“, gab McCoy zur Antwort.
„Ein guter Reiter?“
„Gut genug. In seinem Beruf muss er sicher öfter mal schnell irgendwo sein.“
„Kann er was?“
„Selbst wenn er nichts könnte: Sie hätten keine andere Wahl, denn seit der alte Boxner verstorben ist, ist Andrews der einzige Arzt in Three Little Rocks ...“
McCoy stieg in den Sattel. „Ist sonst noch was?“
„Nein. Machen Sie Ihre Sache gut.“
„Ich liebe meine Familie.“
„Wenn ich das nicht wüsste, würde ich Sie nicht losschicken.“ McCoy gab dem Pferd die Sporen und preschte davon.
Gegen Abend, wenn die Sonne im Begriff war, hinter dem Horizont zu verschwinden, konnte es empfindlich kalt werden, und McCoy hatte vergessen, sich eine Jacke überzuziehen. Aber er spürte die Kälte nicht.
seine Gedanken waren bei seiner Frau und der kleinen Liz. Nur für sie ritt er jetzt durch die Dämmerung nach Three Little Rocks, um einem Verbrecher einen Arzt zu holen, dem – wenn die Justiz seiner habhaft würde – der Galgen sicher war.
McCoy hatte Deputy Jenkins gekannt. Zu behaupten, dass sie enge Freunde gewesen waren, wäre übertrieben gewesen, aber sie hatten sich ganz gut verstanden, ab und zu in Buddy Silvermans Saloon einen Drink zusammen genommen und eine Partie Billard gespielt.
Und doch: Obwohl ihre Beziehung nur verhältnismäßig flüchtig gewesen war, empfand McCoy es als ausgesprochen unangenehm, Jenkins’ Mördern helfen zu müssen.
Aber er hatte keine andere Wahl, das wusste er. Innerlich ballte er die Faust, aber er war besonnen genug, um einzusehen, dass er nichts tun konnte, als alles zu tun, was die Banditen verlangten ...
Ruhig Blut!, sagte er sich, als er die Gefühle in sich aufwallen spürte. Es würde vielleicht eine Gelegenheit kommen, diese Männer kaltzustellen oder zumindest loszuwerden. Aber er musste geduldig abwarten können, und das war schwer. Er durfte seinen Gefühlen auf keinen Fall nachgeben, wenn er nicht wollte, dass die ganze Angelegenheit in einer unbeschreiblichen Tragödie endete.
McCoy trieb das Pferd noch mehr an, obwohl er im Grunde wusste, dass es alles gab, was es zu geben hatte.
Wie oft war er diesen Weg geritten! Er kannte ihn – ebenso wie sein Pferd – fast blind.
Warum haben diese Leute sich meine Farm ausgesucht?, dachte McCoy verzweifelt. Warum nicht eine andere?
Er versuchte, diese Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Sie führten zu nichts, das wusste er.
Indessen erreichte er in scharfem Galopp das kleine Waldstück. Die Dämmerung war inzwischen weiter fortgeschritten und legte den Wald in ein gespenstisches, geradezu unheimliches Licht.
Das Pferd scheute etwas, doch McCoy trieb es unbarmherzig vorwärts.
Unter diesem Dach aus Laub und Ästen war es ziemlich dunkel, McCoy konnte kaum noch etwas erkennen, und dem Pferd schien es ähnlich zu gehen.
Ein dünner Ast peitschte ihm schmerzhaft durch das Gesicht. Er fluchte, aber es gab keine andere Möglichkeit, das wusste er. Den Wald zu umreiten bedeutete einen Umweg. Er musste also hindurch.
Ein weiterer Ast, den er in der Finsternis nicht schnell genug kommen sah, fegte ihm den Hut vom Kopf, aber er achtete nicht darauf.
Endlich kam das Ende des Wäldchens, und McCoy atmete auf. Es war jetzt wieder mehr zu sehen. Hinter den Hügeln lag Three Little Rocks.
Unbarmherzig trieb er das Pferd die Hügel hinauf. Dem Tier stand unterdessen bereits Schaum vor dem Maul. McCoy achtete nicht darauf. Es gab jetzt nur eine Sache, auf die es ankam, sonst nichts.
In der Ferne waren jetzt Lichter zu erkennen, die Lichter der näherrückenden Stadt. Bald darauf tauchten auch die schattenhaften Umrisse von Häusern auf. Inzwischen war die Sonne endgültig hinter dem Horizont verschwunden und hatte dem Mond Platz gemacht, der jetzt das Land in sein fahles Licht tauchte.
Es war Vollmond und darüber hinaus eine sternklare Nacht.
Das war gut so, fand McCoy. Es würde ihm den Rückweg mit Dr. Andrews erheblich erleichtern.
Als er Three Little Rocks erreichte, zügelte er sein Pferd. Sein wahnwitziges Tempo konnte er in den engen Straßen der Stadt keineswegs beibehalten, denn es bestand immer die Gefahr, dass er plötzlich auf ein unbeleuchtetes Gespann traf, das unverhofft aus einer Seitengasse kam. Um diese Zeit war auf den Straßen von Three Little Rocks noch eine ganze Menge los ...
Hoffentlich ist der Doktor zu Hause!, überlegte McCoy. Es war unzweifelhaft besser, wenn er ihn allein sprechen konnte als beispielsweise im Saloon, wo die halbe Stadt zuhören konnte und vielleicht Verdacht schöpfte.
Ich muss perfekt sein!, wusste er. Ein Versagen konnte er sich nicht leisten, es ging um zu viel.
McCoy lenkte sein Pferd in eine namenlose Nebenstraße, an der das Haus des Doktors lag.
Als er vor Andrews’ Haus aus dem Sattel stieg, dachte er an jenen Abend, als er das letzte Mal hier gewesen war, auch völlig außer Atem, auch ohne Jacke und innerlich sehr aufgewühlt.
An jenem Tag hatte er Dr. Andrews aufgesucht, weil bei seiner Frau die Wehen eingesetzt hatten.
Im Haus des Doktors brannte Licht.
Es ist also jemand zu Hause, schloss McCoy.
Er klopfte.
„Doc! Machen Sie auf, Doc!“