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Großband 5 – Chronik der Sternenkrieger: Sieben Sternenkrieger-Romane

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2018 1000 Seiten

Zusammenfassung

Großband #5 – Chronik der Sternenkrieger
Sieben Sternenkrieger-Romane

von Alfred Bekker



Jahre bevor Captain Sunfrost das Kommando der STERNENKRIEGER übernahm...



Dieser Sammelband enthält:

Erstes Kommando

Terrifors Geschichte

Erster Offizier

Commander Reilly 1: Ferne Mission (Handlungszeit 2234)

Commander Reilly 2: Raumschiff STERNENKRIEGER im Einsatz

Commander Reilly 3: Commander im Niemandsland

Commander Reilly 4: Das Niemandsland der Galaxis

Im Jahr 2234 übernimmt Commander Willard J. Reilly das Kommando über die STERNENKRIEGER, ein Kampfschiff des Space Army Corps der Humanen Welten. Die Menschheit befindet sich im wenig später ausbrechenden ersten Krieg gegen die außerirdischen Qriid in einer Position hoffnungsloser Unterlegenheit. Dem ungehemmten Expansionsdrang des aggressiven Alien-Imperiums haben die Verteidiger der Menschheit wenig mehr entgegenzusetzen, als ihren Mut und ihre Entschlossenheit.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Cover Steve Mayer

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Großband #5 – Chronik der Sternenkrieger

Sieben Sternenkrieger-Romane

von Alfred Bekker

Jahre bevor Captain Sunfrost das Kommando der STERNENKRIEGER übernahm...

Dieser Sammelband enthält:

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ERSTES KOMMANDO

Terrifors Geschichte

Erster Offizier

Commander Reilly 1: Ferne Mission (Handlungszeit 2234)

Commander Reilly 2: Raumschiff STERNENKRIEGER im Einsatz

Commander Reilly 3: Commander im Niemandsland

Commander Reilly 4: Das Niemandsland der Galaxis

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IM JAHR 2234 ÜBERNIMMT Commander Willard J. Reilly das Kommando über die STERNENKRIEGER, ein Kampfschiff des Space Army Corps der Humanen Welten. Die Menschheit befindet sich im wenig später ausbrechenden ersten Krieg gegen die außerirdischen Qriid in einer Position hoffnungsloser Unterlegenheit. Dem ungehemmten Expansionsdrang des aggressiven Alien-Imperiums haben die Verteidiger der Menschheit wenig mehr entgegenzusetzen, als ihren Mut und ihre Entschlossenheit.

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ALFRED BEKKER IST EIN bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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COVER STEVE MAYER

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Authors /Cover: Steve Mayer

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Chronik der Sternenkrieger: Sunfrosts Mission

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Dieses Buch enthält drei Prequel-Romane zur Serie Chronik der Sternenkrieger:

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ALFRED BEKKER: ERSTES Kommando

Alfred Bekker: Terrifors Geschichte

Alfred Bekker: Erster Offizier

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IM JAHR 2242 - ACHT Jahre bevor Rena Sunfrost Captain des Raumschiffs STERNENKRIEGER wird - bekommt sie als junger Lieutenant ihr erstes Kommando: Sie befehligt ein bewaffnetes Raumboot im Kuiper-Gürtel. Als dort unerwarteterweise der extraterrestrische Feind der Menschheit auftaucht, droht ihre erste Mission in einer Katastrophe zu enden...

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ALFRED BEKKER SCHREIBT Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, John Sinclair, Jessica Bannister, Bad Earth, Kommissar X und Ren Dhark. Die Gesamtauflage seiner Romane beträgt mehr als 3,5 Millionen Exemplare.

Cover: Steve Mayer

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Alfred Bekker

Erstes Kommando

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Extra-Roman aus der Serie

“Chronik der Sternenkrieger”

Im Jahr 2242 - acht Jahre bevor Rena Sunfrost Captain des Raumschiffs STERNENKRIEGER wird - bekommt sie als junger Lieutenant ihr erstes Kommando: Sie befehligt ein bewaffnetes Raumboot im Kuiper-Gürtel. Als dort unerwarteterweise der extraterrestrische Feind der Menschheit auftaucht, droht ihre erste Mission in einer Katastrophe zu enden...

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ALFRED BEKKER schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Zuletzt erschien DER BEFREIER DER HALBLINGE bei Blanvalet.

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DIE HAUPTPERSONEN :

Rena Sunfrost - wurde gerade zum Lieutenant befördert und kommandiert das bewaffnete Raumboot DEFIANT-29.

Fähnrich Brent Tahano - Rudergänger der DEFIANT-29

Crewwoman Leka Gao - Triebwerkstechnikerin

Crewman Seku Delan - Kommunikations- und Ortungstechniker der DEFIANT-29

Crewman Fu Davis - Waffentechniker der DEFIANT-29, bedient die fünf Geschütze im Bug des Raumboots.

Admiral Raimondo - hält große Stücke auf Sunfrost und ist dennoch sehr enttäuscht von ihr.

Steven Van Doren - der später zum Ersten Offizier der STERNENKRIEGER degradierte Van Doren ist im Jahr 2242 noch Kommandant des Leichten Kreuzers PLUTO im Rang eines Commanders. Er steht kurz vor der Beförderung zum Captain und der Kommandoübernahme eines Zerstörers.

Commander Sörensen - Kommandant von Raumfort Matthews

Anmerkung: Der Begriff Captain bezeichnet einerseits einen militärischen Rang (zwischen Commander und Commodore), andererseits aber auch die Funktion an Bord eines Schiffs: Jeder Kommandant eines Schiffs wird mit Captain angeredet, ungeachtet des Ranges. So kann ein Lieutenant der “Captain” eines Raumbootes sein und ein Commodore oder Admiral der “Captain” eines großen Schlachtschiffs. Manchmal ist natürlich ein Captain auch tatsächlich ein “Captain”...

*

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ORBITALES SPACEDOCK, Erde, Sol-System...

Jahr 2242

“Kommen Sie herein und stehen Sie bequem”, sagte Admiral Raimondo.

Rena Sunfrost, gerade zum Lieutenant des Space Army Corps befördert, hatte immer noch das Gefühl, dass die neuen Rangabzeichen an ihrer dunkelblauen Uniformkombination optische Fremdkörper waren. Das wird sich wohl noch ändern, war die junge Frau überzeugt.

“Sie gestatten, dass ich eben noch ein paar Sätze diktiere”, sagte Raimondo. “Aufzeichnung fortfahren”, wies er dann das Rechnersystem an. “In den Jahren 2236-39 stand der Bund der Humanen Welten von Sol vor seiner bisher größten Herausforderung. Die Menschheit war einem übermächtigen Gegner nahezu ausgeliefert. Die Qriid waren ihr sowohl organisatorisch als auch von ihren technologischen und militärischen Ressourcen her um ein Vielfaches überlegen. Dazu kam, dass sich der Aufbau des Space Army Corps zum Schutz der von Menschen besiedelten Planeten immer wieder verzögerte. Ich persönlich will nicht verhehlen, dass ich zeitweilig die Möglichkeit, dass unser Staatswesen diese Aggression überstehen könnte, kaum noch als realistisch angesehen habe. Und weshalb unser Feind seinen bis dahin erschreckend erfolgreichen Feldzug gegen die Humanen Welten einstellte, ist bisher noch immer ein Rätsel. Fest steht nur eins: Hätten die Qriid ihre Angriffe fortgesetzt, würde jetzt vielleicht schon gar keine Raumstreitmacht mehr existieren, die ihnen einen wenn auch noch so schwachen Widerstand entgegen setzen könnte. Wir haben also eine Verschnaufpause gewonnen - aus welchen Gründen auch immer. Und die sollten wir nutzen, denn es ist für mich keine Frage, dass der Konflikt mit dem Heiligen Imperium, wie unsere Feinde ihr Sternenreich nennen, noch nicht beendet ist. Irgendwann in naher oder fernerer Zukunft werden sie die Kampfhandlungen wieder aufnehmen - und dann Gnade uns Gott!  Absatz, Aufzeichnung vorläufig beendet. Speichern und mit meiner persönlichen Kennung codieren wie in die Routine eingegeben.”

Raimondo atmete tief durch und straffte seine Körperhaltung. Gleichzeitig strich er die knapp sitzende Uniformjacke glatt.

Sunfrost hatte keine Ahnung, weshalb Raimondo sie sprechen wollte. Schließlich war der Admiral keineswegs ihr direkter Vorgesetzter. Und ihre Ernennung zum Lieutenant war nun wirklich kein Ereignis, das unbedingt eine persönliche Unterredung mit einem Admiral des Space Army Corps der Humanen Welten nach sich ziehen musste. Schon gar nicht, wenn dieser Admiral Gregor Raimondo hieß und sich ohnehin kaum noch irgendwelchen militärischen Aufgaben, sondern stattdessen vor allem sicherheitspolitischen Fragen im Humanen Rat widmete.

“Sie haben gerade etwas von den Aufzeichnungen mitbekommen, die Grundlage für eine Abhandlung über meine Sicht des Qriid-Krieges werden”, erklärte Raimondo, während er auf das große Panoramafenster zuging. Man konnte die Erde als gewaltigen Halbkreis sehen. Sie befanden sich auf dem orbitalen Spacedock, auf dem Sunfrosts Ernennung zum Lieutenant stattgefunden hatte. Und hier lag auch die DEFIANT-29, ein unterlichtschnelles bewaffnetes Raumboot, dessen Kommando Sunfrost jetzt für die nächste Zeit übernehmen würde. Operationsgebiet: Äußeres Solarsystem. Genauer gesagt: Kuiper-Gürtel.

Raimondo wandte Sunfrost den Rücken zu.

Er hatte den Daumen der rechten mit dem kleinen Finger der linken miteinander verhakt und wirkte gedankenverloren, als er ins All blickte. Ein gewaltiges Schlachtschiff der Dreadnought-Klasse entfernte sich gerade vom Spacedock. Mit majestätischer Langsamkeit glitt der mächtige Schiffskörper mit seinen zahllosen Geschützen durch das All. Das Sonnenlicht wurde durch die Spezialbeschichtung der Außenhülle reflektiert. Es war die NEW CALIFORNIA, auf der Sunfrost als junger Fähnrich des Space Army Corps gedient hatte - wobei sie kein Teil der eigentlichen Besatzung gewesen war, sondern dem Stab von Admiral Kevin Rodrigo Carlos Müller angehört hatte. Müller stammte von New Paraguay, einer Siedlerwelt im Mondahar-System und hatte ein paar Eigenarten, die jedem Bewohner der Erde oder des Sol-Systems eigenartig vorkommen mussten. Extreme Bedingungen bringen extremes menschliches Verhalten hervor, hatte Sunfrost in ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie auf Ganymed in Erinnerung. Und nach allem, was sie über New Paraguay wusste, waren die Bedingungen dort tatsächlich extrem...

"Ich habe Ihren Weg seit Ihrem Abschluss auf der Space Army Corps Akademie aufmerksam verfolgt", erklärte Raimondo, ohne sich dabei zu Sunfrost umzudrehen. “Ihre bisherigen Leistungen waren sehr vielversprechend und berechtigten zu einigen Hoffnungen."

"Sir, ich weiß nicht, was..."

Raimondo hob eine Hand. Wieder, ohne sich umzudrehen.

Ein Zeichen dafür, dass ich schweigen soll, erkannte Sunfrost schluckend. Raimondos mitunter ziemlich selbstherrliche Art im persönlichen Umgang war gewöhnungsbedürftig - und Sunfrost war keineswegs die einzige, die diese Empfindung teilte.

"Eigentlich hatte ich erwartet, dass Sie sich für die Stelle eines Brückenoffiziers auf einem Flottenschiff bewerben würden", sagte Raimondo gedehnt. Noch immer wandte er ihr den Rücken zu. "Was hat Sie daran gehindert, Sunfrost?"

"Ich bin von keinem Kommandanten angefordert worden ", gab Sunfrost zurück und der Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte sie dabei. Sie klang nämlich entsetzlich schwach. Ungewöhnlich schwach und unsicher. Normalerweise entsprach das überhaupt nicht ihrer Art.

Aber anscheinend reichte schon allein Raimondos Anwesenheit aus, um sie zu verunsichern. Vielleicht wollte er das auch. Vielleicht zielte sein ganzes Gehabe letztlich nur darauf ab, das Gegenüber zu verunsichern. Es ist sein Informationsvorsprung, ging es Sunfrost durch den Kopf. Er weiß alles über jeden und niemand kann sich so richtig vorstellen, woher er das eigentlich hat. Raimondo durfte wohl einer der am besten informierten Menschen im gesamten Gebiet der Humanen Welten sein!

Jetzt endlich drehte Raimondo sich um. Langsam, sehr langsam geschah das. Auch das eine Demonstration purer Macht. Er bestimmt, was wann geschieht - und in welcher Geschwindigkeit.

Sunfrost rätselte noch immer darüber, was sein eigentliches Anliegen war. Aber sie begann es zu ahnen...

"Wenn Sie sich beworben hätten, hätte ich dafür sorgen können, dass Sie untergebracht werden. Waffenoffizier auf einem Leichten Kreuzer zum Beispiel - wäre das nichts für Sie gewesen? Oder noch besser auf einem Zerstörer, wobei das sicher für Ihre Vita von Vorteil gewesen wäre. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob man Ihnen das aufgrund Ihrer naturgemäß noch etwas bescheidenen Erfahrung zugetraut hätte." Raimondo lächelte. “Wahrscheinlich hätte man Sie dann auf den Posten eines Kommunikationsoffiziers abgeschoben oder als zweiten Rudergänger eingesetzt. Also doch besser ein Leichter Kreuzer wie die STERNENKRIEGER von Commander Reilly. Aber nein, Sie ziehen der großen Aufgabe offensichtlich ein Kommando im heimischen Sonnensystem vor - anstatt an der Grenze des Niemandslandes darauf zu achten, dass wir nicht plötzlich von den Qriid überrannt werden.”

Die Vorstellung, dass vogelartige Qriid durch den Weltraum rannten, amüsierte Sunfrost insgeheim so sehr, dass sie ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken konnte.

Raimondo bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick.

"Es würde mich wirklich interessieren, was Sie dazu zu sagen haben, Lieutenant Sunfrost", erklärte der Space Army Corps Admiral mit all dem Nachdruck, den er in seine Worte zu legen vermochte.

"Sir, darf ich offen sprechen?"

"Ich bitte sogar darum, Sunfrost."

"Das ist eine persönliche Entscheidung, wenn Sie verstehen, was ich meine."

Raimondos Blick war jetzt geradezu durchdringend. Aber Sunfrost begegnete ihm furchtlos. Sie war fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Nicht einmal von jemandem, der es ganz offensichtlich gut mit ihr meinte und sich als ihr Förderer verstand.

Wenn auch ein etwas enttäuschter Förderer, wie es bei Admiral Raimondo der Fall zu sein schien.

Die Augen des des Admirals wurden schmal, während er Sunfrost noch immer fixierte.

“Wissen Sie eigentlich, was da draußen los ist, Lieutenant? Sie glauben, Sie kennen den Krieg und die Situation an der Grenze des Niemandslandes zu den Qriid, nur weil Sie eine Zeitlang in einem Stab auf einem Dreadnought gedient haben. Aber wenn ich richtig informiert bin, haben Sie die entscheidende Schlacht gegen die Qriid verpasst.”

“Ich wurde abberufen, Sir.”

“Sie sprechen von privaten Entscheidungen - aber die Qriid scheißen auf private Entscheidungen. Die wollen das Universum erobern und ihren Glauben verbreiten und wer sich ihnen dabei in den Weg stellt, der wird gnadenlos ausgelöscht. Das ist nichts Privates, Lieutenant Sunfrost! Das ist eine Gefahr für die gesamte Menschheit und es ist reine Glücksache, dass wir ihr nicht bereits alle zum Opfer gefallen sind!”

Mag ja sein, aber was hat nun alles damit zu tun, dass ich mein erstes eigenes Kommando auf einem unterlichtschnellen Raumboot antrete?, ging es Sunfrost durch den Kopf. Sie war über Raimondos Ausbruch gelinde gesagt etwas irritiert. Aber bei Raimondo konnte man nie wissen, ob er nicht das, was eintrat, in Wahrheit tatsächlich von Anfang an beabsichtigt hatte.

Eine Pause des Schweigens entstand und Sunfrost hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen.

“Sir, ich...”

“Wir sind darauf angewiesen, dass sich die Besten den Qriid entgegenstellen und all ihre Intelligenz, all ihr Können, ihre Kraft und notfalls auch ihr Leben dafür einsetzen, dass diese Gefahr die Menschheit zumindest nicht vernichtet. Von Verschonen will ich gar nicht erst reden! Das wäre angesichts dessen, was sich in den drei Jahren des Krieges gegen die Geierköpfe ereignet hat, auch wohl zuviel erwartet.” Raimondo deutete mit dem Zeigefinger auf eine Weise auf Sunfrost, die sie an den Lauf einer Projektilwaffe oder eines Nadlers erinnerte. “Was wir nicht brauchen, sind Begabte, die glauben, aus privaten Gründen einen ruhigen Dienst im Hinterhof des Sonnensystems schieben zu können. Männer und Frauen, die eigentlich Erfahrungen in der Weite des Raums sammeln müssten und sich stattdessen zurückziehen, weil sie glauben, dass andere die Kastanien für sie aus dem Feuer holen werden. Aber so wird das nicht funktionieren, Lieutenant. Das werden Sie eines Tages, so hoffe ich, auch noch begreifen.”

Es gibt eine Grenze. Und die hat er jetzt überschritten, dachte Sunfrost. Du musst jetzt dagegenhalten! Es bleibt dir gar keine andere Wahl. Wenn du es nicht tust, wird er vermutlich den letzten Rest an Achtung vor dir verlieren.

“Sir, ich denke, Sie interpretieren etwas zuviel in meine Entscheidung hinein.”

“Ach, tue ich das?”

“Ja, Sir, das tun Sie.”

“Ich dachte, es wäre vielleicht ganz sinnvoll, Ihnen etwas Stoff zum Nachdenken zu geben, Sunfrost.”

“Und Sie sollten darüber nachdenken, dass meine Entscheidung, das Kommando auf einem unterlichtschnellen Raumboot anzunehmen, anstatt auf einer größeren Flotteneinheit zu dienen, vielleicht auch etwas damit zu tun haben könnte, dass ich mir so eine Aufgabe einfach noch nicht zutraue!”

“Nein, wenn Sie ehrlich sind, dann hat es mit einer etwas komplizierten Beziehung zu tun, die Sie mit einem Mann verbindet, der für den Far Galaxy Konzern auf Sedna im Kuiper-Gürtel arbeitet und Sie auf diese Weise in seiner Nähe bleiben können.”

Das weiß er auch? Sunfrost gab sich große Mühe, sich den Ärger darüber nicht anmerken zu lassen, dass Raimondo offenbar selbst über diese nun wirklich sehr persönlichen Details ihres Lebens anscheinend bestens informiert war. 

"Es tut mir leid, wenn meine Entscheidung Ihre Missbilligung findet, Sir", sagte Sunfrost. "Nichtsdestotrotz muss ich meine Entscheidungen alleine verantworten."

"Sie setzen die falschen Prioritäten, Sunfrost."

"Das wird sich herausstellen, Sir."

Raimondo nickte.

"Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass Sie Ihren Weg machen werden."

Ja, es ist nur die Frage, ob das in jedem Detail der Weg sein muss, den Sie für mich anscheinend vorgezeichnet haben, Sir, erwiderte Sunfrost in Gedanken. Tatsächlich blieb sie jedoch stumm. Nicht alle Wahrheiten durften von jedem auch ausgesprochen werden. "Alles, was ich Ihnen versichern kann ist, dass ich meinen Dienst so gewissenhaft wie möglich versehen werde."

"Das reicht nicht, Sunfrost. Für die Herausforderungen, die vor uns liegen, reicht das bei weitem nicht aus. Ich wünsche Ihnen trotzdem viel Glück. Vielleicht brauchen Sie diese Auszeit einfach und alles, was ich dagegen sagen könnte, ginge sowieso ins Leere. Die andere Möglichkeit wäre..."

...dass Sie sich in mir getäuscht und mich schlicht und ergreifend überschätzt haben, vollendete Sunfrost in Gedanken den Satz des Admirals. Er braucht es nicht einmal auszusprechen.

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ALS SUNFROST DEN RAUM von Admiral Raimondo verlassen hatte, wusste sie nicht so recht, was sie von dieser Begegnung eigentlich halten sollte. Sie ging den breiten Korridor des Spacedocks entlang, begegnete ein paar Technikern in den Overalls mit dem Emblem des Space Army Corps, die auf dem Spacedock im Erdorbit ihren Dienst taten.

Sie alberten herum, bis sie Sunfrost bemerkten. Daraufhin nahmen sie zwar nicht gleich Haltung an, verstummten aber augenblicklich.

Das liegt daran, dass die Uniformen eines Lieutenants und eines Admirals sich zur Zeit vom Schnitt her ziemlich ähnlich sind und man sie auf den ersten oberflächlichen Blick leicht verwechseln kann, wenn man nicht auf die Abzeichen und Streifen achtet, dachte Sunfrost. Vermutlich würde man das ziemlich bald ändern. Rang hatte seine Privilegien und diejenigen, die an der Spitze standen, würden schon darauf achten, dass diese Privilegien nicht auf die unteren Ränge übergingen.

In Sunfrosts Gedanken klangen die Worte des Admirals noch nach.

Irgendwie hatte man nach einem Zusammentreffen mit Raimondo stets das Gefühl sich falsch verhalten und die Karriere ein für allemal ruiniert zu haben.

Und diesmal traf das ganz besonders zu.

Es sollte mir gleichgültig sein, was dieser selbstherrliche Kerl denkt, dachte Sunfrost. Einfach tun, was man für richtig hält, mehr dem Bauch folgen, als dem Verstand und dann abwarten, was dabei herauskommt.

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EINSCHLIEßLICH DER Kommandantin bestand die Besatzung der DEFIANT-29 aus fünf Personen. Fähnrich Brent Tahano war der Rudergänger des bewaffneten Raumbootes. Ein Absolvent der Space Army Corps Akademie auf Ganymed, genau wie Sunfrost selbst. Nur mit dem Unterschied, dass sie gerade Lieutenant geworden war, während der ein paar Jahre jüngere Tahano vor kurzem die Akademie beendet hatte. Trotz seiner geringen Erfahrung war Tahano ihr Stellvertreter, was einfach daran lag, dass er als Fähnrich die Offizierslaufbahn eingeschlagen hatte, während es sich bei den anderen Besatzungsmitgliedern lediglich um einfache Crewmen handelte.

Während des Qriid-Krieges von 2236-39 hatte es hohe Verluste unter den Besatzungen der Space Army Corps Schiffe gegeben. Daher waren zahlreiche Männer und Frauen im Schnellverfahren ausgebildet und angeheuert worden. Zumeist kamen sie aus technischen Berufen der zivilen Raumfahrt oder waren aus den lokalen Verteidigungsflotten hervorgegangen, die einige Mitgliedssysteme der Humanen Welten bereits vor Gründung der gemeinsamen Raumstreitmacht aufgestellt hatten.

“Captain, es ist alles bereit zum Aufbruch”, meldete Tahano.

Captain. Hört sich gut an, dachte Sunfrost. Ein Captain bezeichnete innerhalb des Space Army Corps der Humanen Welten immer den Kommandanten eines Schiffs, ganz gleich wie groß die Einheit war, wie viel Mann Besatzung sie hatte oder welchen militärischen Rang der Kommandant innehatte. Dass es dabei auch einen militärischen Rang mit der Bezeichnung Captain gab, gehörte zu den vielen Absurditäten, die es traditionellerweise in derartigen Hierarchien gab und mit denen man sich wohl am besten frühzeitig abfand.

“Danke, Fähnrich Tahano.”

“Es sind alle Besatzungsmitglieder an Bord. Crewwoman Gao hat die Maschinen schonmal heiß laufen lassen, wenn Sie verstehen, was ich meine.”

Sie gingen durch den Korridor, der von der Schiffsschleuse zur Brücke führte. Rechts und links befanden sich die Kabinen. Einzelkabinen. Und so klein wie komfortable Särge. Dracula’s Home nannte man sie deswegen auch. Sunfrost war aus ihrer Akademiezeit bestens mit den Verhältnissen auf bewaffneten Raumbooten vertraut. Für taktische Übungen hatten nämlich so gut wie nie große Kampfschiffe zur Verfügung gestanden. Man hatte schon froh sein können, genügend Raumboote für die Ausbildung zur Verfügung zu haben und nicht etwa lediglich auf den Simulator angewiesen zu sein. Denn für die Realität gab es letztlich keinen Ersatz - und wenn man die zum ersten Mal in einer Gefechtssituation kennenlernen musste, war das mit Sicherheit etwas spät.

“Um ehrlich zu sein, weiß ich keineswegs, was Sie damit meinen, dass Crewwoman Gao die Maschinen hat heiß laufen lassen”, sagte Sunfrost. “Ich kann mir jedenfalls schwer vorstellen, dass die Maschinen bereits gestartet wurden, während wir noch angedockt sind. Davon abgesehen, würde man die Vibrationen spüren.”

“Sie kennen sich anscheinend mit den Raumbooten des DEFIANT-Typs aus, Captain.”

“Ich bin oft genug mit einer DEFIANT geflogen.” 

“Entschuldigen Sie, Captain. Damit ist gemeint, dass sie die Startroutine des Antriebs in der Simulation hat durchlaufen lassen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit für einen reibungslosen Start höher.”

“Ah, ja.”

Tahano war ihr, was der Jargon der Raumboot-Crewmen anging, um ein paar Monate voraus. Ein paar Monate Erfahrung, die sich in diesem Moment bemerkbar gemacht hatten.

Tahano blieb stehen und deutete auf eine Schiebetür. “Der Sarg des Captains.” Tahano deutete auf die kleine Tasche, die Sunfrost mit sich führte. In der war gerade mal Platz für eine Ersatzuniform und die nötigsten persönlichen Dinge.

“Sie sollten Ihre Sachen dort lassen.”

“Sie haben recht, Fähnrich.”

“Legen Sie Ihre Hand neben die Markierung, damit sich die Tür öffnet."

"Warum neben die Markierung?,", wunderte sich Sunfrost.

"Ist ein Produktionsfehler. Der sensitive Bereich liegt rechts neben der Markierung, anstatt genau dort, wo sie eigentlich hätte sein sollen." Tahano zuckte mit den Achseln. "Kriegsproduktion. Da musste manches ziemlich schnell gehen, wie mir scheint."

"Müssen nicht erst meine telemetrischen Daten und mein Handabdruck aus der zentralen Datenbank des Space Army Corps abgerufen werden?", fragte Sunfrost, die ihre Hand im ersten Moment zurückzog, ohne den sensitiven Bereich berührt zu haben. "Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass dies automatisch und vor allem ohne Bestätigung des Dateninhabers geschieht."

Tahano grinste.

"Geschieht auch nicht, Captain."

"Aber..."

"Funktioniert aber trotzdem. Wir haben die individualisierenden Funktionen der Sensorfelder abgeschaltet. Die haben ohnehin nicht zuverlässig funktioniert und immer wieder für Ärger gesorgt.”

"Das bedeutet, jedes Besatzungsmitglied hat freien Zugang zu jedem..." Sunfrost zögerte, ehe sie dem Slang-Ausdruck für die Kabinen eines Raumbootes benutzte. "...Sarg?"

"Captain, es befinden sich nie mehr als fünf Besatzungsmitglieder an Bord der DEFIANT-29. Wenn wir uns nicht vertrauen, dann sollten wir gar nicht erst in einen Einsatz fliegen, finden Sie nicht auch?"

Etwas irritiert hob Sunfrost die Augenbrauen.

"Hat mein Vorgänger das so gesehen?"

"Ja, Captain. Das hat er. Hören Sie, ich weiß, dass man beim Stabsdienst auf einem Dreadnought einen etwas anderen Standard gewohnt ist. Und ich muss ehrlich gestehen, dass ich auch erst eine Weile gebraucht habe, um mich an manche Dinge zu gewöhnen, die ich von der Space Army Corps Akademie irgendwie etwas anders kannte."

"Ehrlich gesagt, hatte ich immer die Vorstellung, dass Vorschriften dazu da sind, eingehalten zu werden."

"Ehrlich gesagt, habe ich meine ersten Monate hier an Bord im Wesentlichen dazu verwandt, mich von diesen Vorstellungen so weit wie möglich zu lösen, Captain. "

Das kann ja heiter werden, dachte Sunfrost.

Bis zur Brücke waren es nur ein paar Schritte. Von einer Brücke im klassischen Sinn zu sprechen, war ohnehin auf einem so kleinen Raumschiff vollkommen übertrieben. Die Brücke war abgesehen vom Maschinentrakt der größte Raum. Und eigentlich auch der einzige, der sich zum Aufenthalt eignete, es sei denn man wollte schlafen und begab sich in seinen Sarg.

Dracula’s Home, so hatte es auf der Akademie geheißen, sei ursprünglich dafür vorgesehen gewesen, als Rettungskapsel im Fall einer Havarie abgesprengt zu werden. Aber dazu war es aus Kostengründen nie gekommen. Schnell, billig, effektiv - das waren die Maximen gewesen, die in den Jahren des Qriid-Krieges maßgeblich gewesen waren.

Tahano stellte den Rest der Besatzung vor. Sunfrost kannte die Gesichter allerdings bereits aus den Personaldaten, die sie sich natürlich vor Antritt ihres Kommandos angesehen hatte.

Neben der Triebwerkstechnikerin Leka Gao war Crewman Seku Delan der Kommunikationstechniker an Bord der DEFIANT-29. Die Waffensysteme bediente Crewman Fu Davis.

Keiner von ihnen hatte einen Offiziersrang oder befand sich in einer Ausbildung, die mit einem Offizierspatent der Space Army Corps Akademie abgeschlossen wurde. Daher wurde auch nicht vom Waffenoffizier oder Funkoffizier gesprochen, wie es an Bord größerer Einheiten und selbst auf Zivilschiffen gang und gäbe gewesen wäre, sondern von Technikern und Crewmen. 

Sunfrost begrüßte die Crew knapp.

"Wir haben Order, umgehend in unser zukünftiges Haupteinsatzgebiet aufzubrechen. Unser Ziel ist der Matthews-Sektor im Kuiper-Gürtel. Es gibt dort anscheinend Schwierigkeiten mit Erzpiraten und deshalb will das Space Army Corps dort verstärkt Präsenz zeigen", erklärte Sunfrost. "Nähere Instruktionen werden wir wohl vor Ort bekommen."

"Also das Übliche", gestattete sich Waffentechniker Fu Davis eine Bemerkung.

"Ich glaube, niemand von uns würde es vorziehen, gegen Qriid zu kämpfen", gab Sunfrost zurück.

"Ich habe den Krieg auf so einem lausigen Unterlichtraumboot mitgemacht”, sagte Davis.

"Dann wissen Sie ja, wovon ich spreche, Crewman Davis."

"Mit einer unterlichtschnellen Einheit gegen Angreifer zu kämpfen, die urplötzlich aus dem Zwischenraum auftauchen und auch dorthin wieder verschwinden, wenn sie genug von einem haben, ist generell alles andere als eine erfreuliche Angelegenheit, Captain. Gegen die Piraten, die es hin und wieder im Kuiper-Gürtel gibt, haben wir zumindest eine reelle Chance, sie auch zu kriegen, weil sie in der Regel nicht so gut ausgerüstet sind wie die Qriid."

"Das wird sich vermutlich bald ändern", glaubte Kommunikationstechniker Seku Delan. "Überlichtantriebe werden immer preiswerter. Eines Tages wird jedes Beiboot ein Sandström-Aggregat haben. Und nur das Space Army Corps wird noch mit alten Kisten durch das All gurken, weil der Humane Rat mal wieder irgendwelche Sparmaßnahmen beschließt, die wir alle eines Tages teuer bezahlen werden."

Eine Befürchtung, die Sunfrost durchaus teilte. Sie ging allerdings auf diese Bemerkung jetzt nicht weiter ein. Die Politik des Humanen Rates zu kommentieren, sah sie nicht als ihre Aufgabe an. Eigentlich sollten die Angehörigen des Space Army Corps darauf vertrauen können, dass man dort vernünftige Entscheidungen traf, die auch die Tatsache in Betracht zogen, dass das All kein friedlicher Ort und vor allem die Qriid kein friedlicher Nachbar waren und dass sich an der generellen Aggressivität dieses Sternenreiches auch durch die eingetretene Waffenruhe im Grundsatz nicht das Geringste geändert hatte.

“Ruder! Starten Sie!”, befahl Sunfrost.

“Aye, aye, Captain”, bestätigte Brent Tahano. Er nahm ein paar Schaltungen an der Konsole des Rudergängers vor.

Im Notfall musste jeder an Bord die Funktion eines jeden anderen übernehmen können. So waren die Besatzungen ausgebildet worden und auch Sunfrost hatte während ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie auf Ganymed jede der Funktionen ausgefüllt. Selbst die des Triebwerktechnikers, auch wenn sie nicht gerade sagen konnte, dass ihr dieser Part besondere Freude gemacht hatte. Auf größeren Schiffen hatte diese Position üblicherweise ein Ingenieur inne, sodass es nahezu ausgeschlossen war, dass man mit einer gewöhnlichen Standard-Offiziersausbildung des Space Army Corps auf so einen Posten abkommandiert wurde.

Nachdem Brent Tahano die DEFIANT-29 gestartet hatte, ging ein dumpfes Rumoren durch das Raumboot. Der Boden zitterte leicht. Auch daran muss ich mich wohl erst wieder gewöhnen, dachte Sunfrost. An Bord der Dreadnought NEW CALIFORNIA hatte man davon jedenfalls nichts gemerkt.

Das Raumboot löste sich vom orbitalen Spacedock.

Sunfrost verfolgte auf einem Drei-D-Display mit, welche Position die DEFIANT-29 gerade hatte.

Tahano war ein gute Pilot. Das konnte sie jetzt schon sagen.

“Triebwerksstatus: zufriedenstellend”, meldete Gao unterdessen, nach ein paar angestrengten Blicken auf ihre Displays.

“Nur zufriedenstellend?”, wunderte sich Sunfrost.

Gao drehte sich kurz um. Ihre schräg gestellten Mandelaugen waren sehr dunkel. Das blauschwarze Haar hatte die Triebwerkstechnikerin zu einem strengen Knoten gebunden. “Mehr als zufriedenstellende Werte haben wir schon lange nicht mehr erreicht”, sagte sie.

“Ach, nein?”

“Das ist genau genommen so, seit dieses Raumboot bei einem Qriid-Gefecht einen Traser-Treffer abbekommen hat. Über ‘zufriedenstellend’ sind wir seitdem nicht mehr hinausgekommen, meistens liegen die Anzeigen in Bereichen, die sich laut Vorschrift nur als ausreichend zusammenfassen lassen.”

“Was für ein Gefecht war das?”, fragte Sunfrost.

“Nicht gerade die Schlacht von Tridor”, sagte Gao. “Niemand an Bord der DEFIANT-29 hatte bisher die Gelegenheit, Geschichte zu schreiben, so wie Sie, Sunfrost.”

“Lieutenant Sunfrost”, stellte die frisch gebackene Kommandantin klar. Der Umgangston war hier ziemlich locker. Lockerer jedenfalls, als sie es auf der NEW CALIFORNIA oder irgendeinem anderen Schiff des Space Army Corps kennengelernt hatte. Aber angesichts der Tatsache, dass die meisten Besatzungsmitglieder der bewaffneten Raumboote nicht die reguläre Ausbildung auf Ganymed durchlaufen hatten, war das nur zu verständlich. Trotzdem - Sunfrost hatte instinktiv das Gefühl, jetzt eine deutliche Grenze ziehen zu müssen. Und das hatte sie nun getan. Ob dieses Bestehen auf der Autorität ihres Ranges wirklich ein kluger Zug gewesen war, musste sich allerdings noch herausstellen. Sunfrost war sich in diesem Punkt selbst nicht so ganz sicher. In einer Crew von fünf Mann gelten wohl immer ein bisschen andere Gesetze, als wenn es um tausend Mann Besatzung an Bord eines Dreadnought geht, dachte sie. Laut sagte Sunfrost: “Ich habe die Schlacht von Tridor nicht mitgemacht.”

“Ich dachte, Sie wären auf der NEW CALIFORNIA gewesen?”, wunderte sich Gao.

Ihr Gesicht blieb dabei vollkommen unbewegt.

“Ich habe im Stab von Admiral Müller gedient und wurde abberufen, kurz bevor die NEW CALIFORNIA den Befehl bekam, ins Tridor-System zu fliegen.”

“Ich verstehe.”

Das glaube ich kaum, dachte Sunfrost. Der Unterton in Gaos Stimme war es, der Sunfrost von Anfang an nicht gefallen hatte. Ich scheine ihr offensichtlich nicht sympathisch zu sein, dachte Sunfrost. Vielleicht mag sie es einfach auch nicht, dass jemand von der Ganymed Akademie daherkommt, und ihr Befehle erteilt. Jemand ohne die geringste Ahnung von der Praxis, wie sie vielleicht glaubt... In gewisser Weise verständlich, aber Rücksicht werde ich darauf nicht nehmen können.

Gao wandte sich an Seku Delan, den Kommunikationstechniker.

“Doch keine Kriegsheldin, Seku! Man hat dir offenbar nicht die vollständige Story erzählt!”

“Anscheinend”, wiederholte Delan, ohne dabei von der Kontrolle seiner Displays aufzublicken. Er war kahlköpfig und schwarz.

Schon im Sitzen wirkte er riesig. Wenn er sich erhob, fragte man sich, wie ein so großer und breitschultriger Mann in einem der Kabinensärge überhaupt Platz finden konnte.

Offensichtlich ging es.

Seku Delan diente schließlich schon ein paar Jahre auf der DEFIANT-29 und es war wohl kaum anzunehmen, dass er diese Zeit schlaflos verbracht hatte.

––––––––

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ZWEI WOCHEN DAUERTE der Flug ins Zielgebiet im Kuiper-Gürtel. Die DEFIANT-29 verfügte zwar über ähnliche Beschleunigungswerte wie die überlichtschnellen Schiffe des Space Army Corps. Innerhalb von zehn Stunden war es möglich auf vierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen. Ein Leichter Kreuzer brauchte dafür acht Stunden. Und gerade, was die Beschleunigung von Null auf zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit anging, war ein Raumboot wie die DEFIANT-29 sogar schneller, was an der geringeren Masse im Verhältnis zur Leistungsstärke der Triebwerke lag.

Selbst die Qriid-Schiffe konnten von einem bewaffneten Raumboot eingeholt und gestellt werden. Zumindest mit etwas Glück.

Im Gegensatz zu den überlichtschnellen Einheiten trat die DEFIANT-29 allerdings nicht bei einem Wert von vierzig Prozent LG in den Sandström-Raum ein, um in diesem Zwischenkontinuum eine Geschwindigkeit zu erreichen, die relativ zum Normalraum höher als die Lichtgeschwindigkeit war.

Die Eintrittsgeschwindigkeit, die den Übertritt in den Sandström-Raum ermöglichte, wurde nur für überschaubare Zeitspannen gehalten.

Und das war auch gut so, denn andernfalls hätten sich Zeitdilatation und erhöhte Strahlung auch bei diesen Werten bereits auf Dauer bemerkbar gemacht. Die Geschwindigkeit stauchte den Raum. Sie verkürzte Entfernungen - aber sie macht auch aus harmloser, langwelliger Infrarotstrahlung im Extremfall kurzwellige Gamma-Strahlung.

Auf Dauer schneller als mit 40 Prozent LG zu fliegen wäre tödlich gewesen.

Zwei Wochen Unterlichtflug... Sunfrost hatte nicht geahnt, wie groß die Langeweile sein konnte, wenn man in einer Nussschale gefangen war, die von einem leistungsstarken Triebwerk durch das All geschossen wurde.

Eine Nussschale? Ein erweiterter Sarg, dachte Sunfrost, während sie sich dort zum ersten Mal mehr oder minder häuslich einrichtete, was im Wesentlichen hieß, seine Sache so zu ordnen, dass sie einen nicht störten, wenn man sich ausstreckte. Aufrecht stehen konnte man im Kabinensarg ohnehin nicht. Und Sunfrost konnte sich durchaus vorstellen, dass man darin auf die Dauer Platzangst bekam.

Immerhin war die Decke mit Datenfolie ausgekleidet.

Man konnte sich entweder die Bilder der Außenkameras darauf projizieren lassen oder eines der Bildprogramme aus der Datenbank des Bordcomputers nutzen. Einen schlichten blauen Himmel nach Erdnorm zum Beispiel. Oder wahlweise auch eine Zimmerdecke. Ganz wie man wollte.

Sunfrost streckte sich aus.

Zwei Wochen, dachte sie. Mit einem Überlichtraumschiff ist man in dieser Zeit 50 Lichtjahre entfernt, zum Beispiel im New Hope-System an der Grenze zum Niemandsland zum Imperium der Qriid...

Sie hingegen würde in kosmischen Maßstäben gemessen, diese zwei Wochen mit einer Reise zubringen, bei der die zurückgelegte Distanz gegenüber der Entfernung Sol - New Hope kaum darstellbar war.

Hatte Admiral Raimondo recht? Habe ich einen Fehler gemacht, als ich mich dafür entschied, im nahegelegenen Hinterhof des Sol-Systems herumzufliegen, anstatt an den Grenzen der menschlichen Besiedlung des Weltalls?

Über ihren Armbandkommunikator steuerte sie das Programm der Datenfolie an und stellte eine Verbindung zur Sandström-Funkanlage her. Da derzeit kein Alarm herrschte, war der überlichtschnelle Funk für private Verbindungen der Besatzungsmitglieder frei verfügbar. Und im Gegensatz zum herkömmlichen Funk musste man wenigstens nicht Stunden oder Tage auf eine Antwort warten.

Auf der Datenfolie über Sunfrosts Kopf erschien ein Bild-Fenster. Ansonsten hatte sich Sunfrost dafür entschieden, die Aufnahmen der Bordkameras an die Decke ihres Sargs zu projizieren, sodass man die Illusion haben konnte, frei ins All sehen zu können. Schließlich bin ich Raumfahrerin, ging es ihr durch den Kopf. Und besser als Platzangst durch die sargähnliche Innenoptik dieser Mini-Kabine zu bekommen war es allemal.

Das gerade geöffnete Bild-Fenster schien mitten im Nichts des Alls zu schweben. Es zeigte zunächst nur das Emblem des Kommunikationsservice des Space Army Corps.

"Ihre Verbindung nach Sedna", sagte die Kunststimme des Systems.

"Freischalten", sagte Sunfrost.

Wenig später wurde das Space Army Corps Emblem gegen das Markensymbol des Far Galaxy Konzerns ausgetauscht. Far Galaxy betrieb die Akademie auf dem Zwergplaneten Sedna, wobei diese Ausdrucksweise den Sachverhalt nicht so ganz traf. In Sedna hätte es eigentlich heißen müssen, nicht auf Sedna. Die Forschungsanlagen der konzerneigenen Forschungseinrichtung und Universität befanden sich nämlich zum Großteil unter der Oberfläche des gut 1200 km durchmessenden Zwergplaneten, der jenseits der Bahn des Pluto seine exzentrische Bahn zog, die ihn vermutlich alle zehntausend Jahre einmal die Sonne umrunden ließ. Vermutlich deshalb, weil das so genau bisher niemand sagen konnte. Die menschliche Wissenschaft beschäftigte sich einfach noch nicht lange genug mit der Erforschung der Umlaufbahnen von so weit entfernten Objekten, als dass es möglich gewesen wäre, einen kompletten Sonnenumlauf von Sedna zu verfolgen. Und während einer so langen kosmischen Reise konnte alles mögliche geschehen, was die Umlaufgeschwindigkeit zeitweise erhöhte oder abbremste. Und auch, wenn der Kuiper-Gürtel quasi der kosmische Hinterhof des Sol-Systems war und die Menschheit der Humanen Welten inzwischen zahlreiche weitere Systeme besiedelt und erforscht hatte, waren noch immer nicht alle Objekte bekannt, die in diesem entlegenen Gebiet umherflogen. Es gab tausend von Zwergplaneten darunter. Die größten übertrafen Pluto an Volumen und Masse, so wie beispielsweise Eris, auf dem es immerhin einen florierenden Raumhafen für Prospektorenschiffe gab und sich in den letzten fünfzig Jahren eine ganz ansehnliche Werftindustrie entwickelt hatte.

Ungefähr 800 km Durchmesser brauchte ein Körper, um sich zu einer mehr oder minder gleichmäßigen Kugelform zusammenzuballen, was eine der Voraussetzungen zur Klassifizierung als Zwergplanet war. Wie viele Objekte dieser Klasse es letztlich im Sonnensystem gab, war nicht bekannt. Es wurden immer wieder neue entdeckt, klassifiziert, kartographiert - und gegebenenfalls auch besiedelt und wirtschaftlich ausgebeutet, wenn es interessante Rohstoffe gab.

Darüber hinaus gab es natürlich noch jede Menge unregelmäßig geformter Brocken jeder nur denkbaren Größe zwischen der Neptun-Bahn und der äußersten Systemgrenze, von der eigentlich niemand genau wusste, wo man sie ansetzen sollte. Irgendwo zwischen Sol und Proxima Centauri überwog dann einfach die Gravitation eines anderen Gestirns.

In dem Bildfenster erschien ein bekanntes Gesicht.

"Tony", entfuhr es ihr.

Tony Morton, geniales Wissenschaftler-Talent in den Bereichen Genetik und Terraforming und allem, was diese beiden Gebiete miteinander verband, war ihr Ehemann. Eine Beziehung auf Distanz - notgedrungen und durch die Umstände erzwungen. Sie hatten sich kennengelernt, als sie noch auf die Ganymed-Akademie gegangen war, ineinander verliebt und ziemlich schnell geheiratet. Vielleicht deshalb, weil sie beide gedacht hatten, dass dieser offizielle Bund eine Art Schutz gegen die Entfremdung war, die sich bei einer Fernbeziehung einstellen konnte.

"Hallo Rena", begrüßte Tony Morton sie. Sein Lächeln wirkte angestrengt. "Wie läuft es mit deinem ersten Kommando?"

"Ganz gut, denke ich."

"Na, dann."

"Man könnte auch sagen, ich halte mich über Wasser."

"Dann würde ich sagen, es ist alles in Ordnung. Mehr kann man doch nicht verlangen, finde ich."

"Ja."

"Wohin geht's?"

"Raumfort Matthews."

"Ist ja quasi um die Ecke", meinte Tony Morton.

Das war natürlich reichlich geschönt ausgedrückt. Die Entfernungen da draußen im Kuiper-Gürtel hatten einen ganz anderen Maßstab als im Inneren des Sol-System. Erde und Pluto waren in ihren gegenwärtigen Positionen ungefähr genauso weit voneinander entfernt wie Sedna und das Raumfort Matthews.

"Ich habe nicht viel Zeit", sagte Tony Morton dann.

“Natürlich.”

“Es findet gleich ein Meeting statt, bei dem sich das finanzielle Schicksal unseres neuesten und geheimsten Forschungsprojektes entscheidet. Du kennst das ja. Es ist immer dasselbe. Ich hoffe, dass meine Präsentation gegenüber den Verantwortlichen des Konzerns da etwas herausholen kann.”

Sunfrost lächelte. “Dann drücke ich dir alle Daumen, Tony.”

“Ich dir auch.”

“Ein Raumboot zum Raumfort Matthews zu fliegen ist nun wirklich nicht gerade eine anspruchsvolle Mission, Tony.”

“Jeder fängt mal klein, würde ich sagen.”

Rena lächelte verhalten.

“Ja, so muss man das wohl sehen.”

“Hör mal, ich muss jetzt wirklich Schluss machen.”

“Schon gut, Tony.”

“Bis demnächst!”

Die Verbindung wurde unterbrochen. Das Emblem des Space Army Corps füllte wieder das Bildfeld aus.

Raumfort Matthews. Was für ein interessanter Ort, dachte Rena voller Ironie. Ein Stück freischwebendes Blech, irgendwo im Kuiper-Gürtel. Selbst Sirius und die Wega sind der Erde verkehrstechnisch näher als diese Station in der Wüste aus Gesteins- und Eisbrocken, die unser Sonnensystem wie eine Kugel umgibt...

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AN DIE NÄCHTE IN DRACULA’S Home begann Sunfrost sich langsam zu gewöhnen - wobei Nächte wohl nur eine Analogie für ein normaleres Leben sein konnte.

Schließlich herrschte so weit von der Sonne entfernt immer Nacht.

Zeitweilig musste Sunfrost die DEFIANT-29 auch vollkommen allein steuern. Das wurde von jedem Crewmitglied erwartet. Und tatsächlich stellte das an eine Absolventin der Space Army Corps keine besondere Anforderung dar.

Tahano zeigte ihr die Feinheiten, die es bei der Bedienung der Steuerung zu beachten galt. “Unser Gerät ist halt nicht unbedingt A-Ware”, meinte der Rudergänger. “Aber wenn man die Mucken unserer guten DEFIANT-29 etwas beachtet, dann lässt sich mit ihr eigentlich ganz gut umgehen.”

“Sie sprechen schon von unserem Raumboot wie von einer Person”, stellte Sunfrost amüsiert fest.

“So muss man sie nehmen, Lieutenant. Ein paar Macken, aber sonst ganz liebenswürdig. Die Alternative wäre doch nur, diesen Blechkasten möglichst schnell auf den Schrottplatz zu bringen.”

“Manchmal frage ich mich, wie das Space Army Corps den Krieg gegen die Qriid überhaupt überstehen konnte”, seufzte Sunfrost.

Überstehen”, wiederholte Tahano.

“Was?”

“Naja, auf diesem Wort sollte die Betonung liegen: Überstehen - nicht etwa siegen oder sowas. Und ich finde, das sagt doch schon alles aus. Eines Tages, Lieutenant, kommen die Qriid zurück und dann machen sie uns fertig. Glauben Sie es mir!”

“Mit Ihrer Befürchtung sind Sie keineswegs allein”, gab Sunfrost zurück.

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EINE ASTRONOMISCHE Einheit (AE) entspricht acht Lichtminuten oder dem Abstand zwischen Erde und Sonne.

Bei etwa vierzig Astronomischen Einheiten Entfernung von der Sonne beginnt der Kuiper-Gürtel.

Das ist knapp hinter der Neptun-Bahn. Und er erstreckt sich dann bis zu einer Entfernung von 500 AE.

Pluto, Eris, Sedna, Quuor, Makemake... Tausende von Zwergplaneten und anderen Objekten aus Eis oder Gestein waren dort zu finden. Niemand wusste, wie viele es waren. Und auch jetzt, im Jahr 2242, waren entfernte Sonnensysteme wie Wega, Sirius oder New Hope teilweise besser erforscht als diese unendliche kosmische Geröllwüste.

Such dir einen Zwergplaneten und du findest ihn, dachte Sunfrost, als sie wieder mal eine Soloschicht hatte und die DEFIANT-29 in Eigenregie durch die ewige Nacht des Alls lenkte.

Tahano und Gao spielten im hinteren Bereich des Raumboots Schach. Delan und Davis lagen in ihren Särgen und ruhten sich aus.

Tatsächlich wanderten alle möglichen Sektierer und Leute, die sich einen interstellaren Flug für ihre Auswanderung nicht leisten konnten, in den Kuiper-Gürtel aus. Manche der Zwergplaneten hatten sogar Monde. Pluto mit seinen sechs Trabanten war ein gute Beispiel dafür. Hin und wieder bildeten mehrere der Zwerge auch bizarre Systeme oder traten in gravitätische Wechselwirkung - entweder mit anderen Zwergen oder mit Neptun und Uranus. Wer es auf einer Welt aus verschmutztem Eis aushalten konnte und wem es nichts ausmachte, dass die Sonne von dort aus gesehen kaum größer als ein heller Stern war, bekam dort einen Ort, wo er ungestört leben konnte.

Zumindest so lange ungestört, bis nicht irgendwelche Konzerne Besitzansprüche stellten. Denn die Rohstoffgewinnung war ein zweiter Grund dafür, dass die kosmische Geröllwüste nicht mehr ganz so einsam war, wie in der Vergangenheit.

Es gab alles Mögliche, was man hier fördern konnte. Seltene Mineralien oder schwerer Wasserstoff oder gefrorene Kohlenwasserstoffe - bei genauerer Betrachtung war die Geröllwüste in Wahrheit eine Schatzkammer. Man musste nur einige Anstrengungen unternehmen, um die Schätze auch zu heben.

Und natürlich gab es auch einige, die es sich in diesem Punkt etwas leichter machten. Piraten, die einfach abwarteten, bis irgendein ungeschützter Frachter mit Deuterium daherkam und ihn sich schlicht und ergreifend kaperten.

Zur Bekämpfung der Piraterie war das Space Army Corps zwar nie gegründet worden. Aber andererseits gab es wohl innerhalb der Humane Welten keine andere Macht, die der Piraterie auf Dauer Einhalt gebieten konnte.

Wenn überhaupt...

Die Neptun-Bahn lag längst hinter ihnen und es lagen noch viele Tage eintönigen Fluges vor ihnen.

“Seien Sie ehrlich, Lieutenant, so haben Sie sich das nicht vorgestellt, oder?”, sprach Crewwoman Gao sie beim Frühstück an. Das Frühstück nahmen sie im hinteren Teil des Raumbootes ein, während Tahano die DEFIANT-29 im Alleingang steuerte. Wenn dessen Schicht zu Ende war, war Sunfrost wieder dran und und Gao hatte sich um einen routinemäßige Überprüfung der Triebwerke zu kümmern.

Alles ging seinen Gang.

“Ich gebe zu, dass unsere Mission bis jetzt nicht gerade aufregend war”, sagte Sunfrost. “Allerdings muss das ja nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein.”

“Haben Sie auch wieder recht. Aber ich bin ganz ehrlich”, sagte Gao.

“Wie meinen Sie das?”

“Wenn ich ein gutes Angebot für irgendeinen Frachter kriege, bin ich raus aus dem Space Army Corps.”

“Das wäre schade.”

“Wenn man sich schon zu Tode langweilt, kann man das auch zu den besseren Bedingungen der Privatwirtschaft, finde ich.”

“So kann man das natürlich auch sehen.”

“Ich sehe es so.” Gao zuckte mit den Schultern. “Leider war noch nicht das Passendes dabei. Aber ich verfolge die Ausschreibungen, wann immer wir Netzkontakt haben.”

“Nun, danke, dass Sie mich darüber unterrichten”, sagte Sunfrost.

“Ich schenke Menschen, mit denen ich zu tun habe, immer gerne reinen Wein ein.”

“Ich schätze Ihre Arbeit, Gao. Und es hätte mich eigentlich gefreut, wenn wir länger zusammen auf einem Schiff gedient hätten.”

Gao lächelte verhalten, wie es ihre Art war. Ein hintergründiges Lächeln, das nie zu hundert Prozent zu deuten war. Sie strich sich eine Strähne ihres blauschwarzen Haars hinter die Ohren, während sie den letzten Schluck aus ihrem Becher nahm.

“Ich bin ja noch nicht weg”, sagte sie. “Und mich so einfach davonmachen, das geht hier draußen ja wohl schlecht.”

“Allerdings!”

Sunfrost musste schmunzeln.

“Sehen Sie!”

“Was trinken Sie da übrigens?”, fragte Sunfrost.

“Kaffee. Kennen Sie das nicht?”

“Ich habe davon gehört.”

“Ist auf jeden Fall sehr viel besser als diese Synthodrinks, die fast jeder trinkt. Ich lass dieses Gift nicht mehr in mich hineinlaufen und mach mir dafür lieber die Mühe, mir richtigen Kaffee zu machen, auch wenn das ziemlich aus der Mode gekommen ist. Wollen Sie ihn bei Gelegenheit mal probieren?”

“Warum nicht!”, sagte Sunfrost. “Der Geruch gefällt mir jedenfalls!”

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120 ASTRONOMISCHE EINHEITEN von Zuhause, dachte Sunfrost, während einer ihrer Soloschichten. 120 mal der Abstand Erde-Sonne...

Bis Raumfort Matthews war es jetzt nicht mehr weit.

Sunfrosts Aufmerksamkeit wurde durch einen Himmelskörper abgelenkt, dem man den Namen ‘Tempel’ gegeben hatte.

Die fünfstellige Nummer, unter der dieses Objekt offiziell zu finden war, konnte sich ohnehin niemand merken. Die Götternamen selbst der entlegensten irdischen Kulturen hatten im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert als Namensgeber der immer zahlreicher werdenden Zwergplanet-Entdeckungen herhalten müssen. Makemake zum Beispiel war nach dem Schöpfergott der Osterinsel benannt.

Aber irgendwann waren keine Götter mehr übrig geblieben. Inzwischen - fast zweieinhalb Jahrhunderte später, verkaufte die Weltraumagentur der Humanen Welten an Privatpersonen das Namensrecht an den unzähligen Objekten des Kuiper-Gürtels. Gegen eine Gebühr konnte man einem Planeten den eigenen Namen geben.

Auch wenn es nur ein Zwergplanet war. Man hatte einen Platz im Universum. Wer allerdings einen sehr häufig vorkommenden  Namen trug, hatte Pech gehabt, denn Doppelbenennungen waren  nicht zulässig.

Eine beträchtliche Anzahl der Kuiper Belt Objects (KBO) war daneben aber auch inoffiziell von Prospektoren und Frachterbesatzungen benannt worden. Meistens nach der äußeren Erscheinung oder irgendwelchen markanten Merkmalen.

So war es wohl auch beim Tempel gewesen. Und ganz gleich, ob irgendeine Weltraumagentur der Humanen Welten entschied, dass dieses Objekt nun nach einem zahlenden Erdenbürger oder einer noch ungeehrten Gottheit irgendeiner Südseeinselkultur benannt werden sollte - der Tempel würde seinen Namen wohl zumindest inoffiziell für immer behalten.

Sein Äußeres war einfach zu markant.

Er war 1000 km breit und 500 km hoch. Seine Form glich der eines griechischen Tempels. Es waren säulenartige Strukturen zu erkennen und dazwischen tiefe Höhlen. Niemand wusste, welche Kräfte diese Formen geschaffen hatten. Für die Tendenz der Natur zu harmonischen Formen gab es viele Beispiele: die regelmäßigen Formen von Schneeflocken, die wiederkehrenden Muster von Wellen oder Gesteinsformationen, die aussahen, als wären sie künstlichen Ursprungs und doch nur durch Wind und Wetter geformt worden waren.

Inzwischen gab es eine Unmenge an obskuren Theorien über die Entstehung des Tempels. Es schien ähnlich wie mit den berühmten Mars-Gesichtern zu sein, die auch nichts anderes als völlig willkürlich entstandene geologische Formationen waren: Der Mensch konnte sich anscheinend nicht damit abfinden, dass etwas ohne Sinn und aus dem zufälligen Zusammenwirken natürlicher Kräfte entstanden war.

So war es auch mit dem Tempel.

Es gab die Theorie, dass eine außerirdische Rasse ihn geformt hätte. Aber alle wissenschaftlichen Untersuchungen  sprachen eigentlich dagegen.

Schon während ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie hatte Sunfrost die These gehört, dass die Qriid dieses Objekt geschaffen hätten - durch Einwirkung ihrer Traser-Strahlenwaffen auf eines der unzähligen Gebilde des Kuiper-Gürtels. Danach hatten die Qriid den Tempel quasi aus einem kugelförmigen Zwergplaneten herausgefräst - was die Formabweichung zu erklären vermochte, die doch ganz erheblich war. Schließlich hatte der Tempel eigentlich genug Masse, um im Lauf seiner Geschichte eine zumindest annähernde Kugelform auszubilden.

Sinn dieser Aktion der Qriid sei es gewesen, ein Zeichen ihres Glaubens zu setzen. Noch wusste man nur vage über die religiösen Vorstellungen der Qriid Bescheid, aber es stand fest, dass ihr Rückzug in der Entscheidungsschlacht des Krieges und der danach folgende unerklärte Waffenstillstand mit dem Tod ihres religiösen Oberhauptes zu tun hatte. Und es war wohl auch gesichert, dass die Qriid sich als ein auserwähltes Volk sahen, das von Gott dazu auserkoren war, dem Universum eine Ordnung zu geben. Ihre Soldaten verstanden sich als Gotteskrieger. In so fern machte die Errichtung eines heiligen Tempels mitten im ‘Feindesland’ durchaus Sinn...

Dass der Tempel inzwischen auf den Aufnahmen einiger Observatorien entdeckt worden war, die aus dem mittleren 21. Jahrhundert stammten - also lange bevor es überhaupt den ersten Kontakt zwischen Menschen und Qriid gegeben hatte, ließ die Anhänger dieser Theorie keineswegs verstummen.

Die Gotteskrieger des Heiligen Imperiums der Qriid hätten bereits in der Prä-Weltraum-Ära das Sol-System besucht und diesen Tempel hinterlassen, so ihre Argumentation.

Sunfrost hatte solchen Thesen immer sehr skeptisch gegenübergestanden.

Sie war eigentlich grundsätzlich der Ansicht, dass man zunächst nach der naheliegendsten Erklärung suchen sollte. Und in diesem Fall waren das die zahllosen Kollisionen im Zusammenwirken mit den Gravitationskräften benachbarter Zwergplaneten, in Verbindung mit dem offenbar sehr porösen und nicht besonders dichten Material, aus dem der Tempel zum größten Teil bestand. Es handelte sich vermutlich um das Bruchstück eines größeren Himmelskörpers, dessen andere Bestandteile inzwischen vielleicht schon zu feinerem Geröll und sogar zu Staub zerfallen waren.

Als Sunfrost während dieser einsamen Solo-Schicht an den  Steuerkontrollen der DEFIANT-29 saß und auf die Anzeigen starrte, glaubte sie daher im ersten Moment, einer Täuschung aufgesessen zu sein, als sie etwas sah, das ihr bekannt vorkam.

Etwas, das sie so oft schon gesehen hatte, dass es ihr in Fleisch und Blut übergegangen war, die entsprechenden Muster selbst aus einem unübersichtlichen Datenwust heraus zu identifizieren.

Sie nahm noch ein paar Modifikationen an den Einstellungen vor, um sicher zu gehen.

Aber es war kein Zweifel mehr möglich.

Eine Qriid-Signatur, ging es ihr durch den Kopf. Einwandfrei! Da gibt es kein Vertun!

Schon auf der Akademie hatte man den angehenden Raumfahrern des Space Army Corps beigebracht, worauf sie zu achten hatten. Und hier trafen nun gleich eine ganze Reihe von Merkmalen zu.

Die geringe Emission von Traser-Strahlen zum Beispiel. Sie waren in dieser Dosierung weder für die Besatzung des Qriid-Schiffes, noch für sonst irgendwen gefährlich, aber es war kaum möglich, ein Traser-Geschütz an Bord zu haben, ohne dass diese Emissionen angemessen werden konnten.

Sunfrost erinnerte sich daran, dass die Qriid sich im Verlauf des Krieges immer größere Mühe gegeben hatten, diese Signaturen zu unterdrücken. Aber völlig ohne Abstrahlungen, Emissionen, Wärmemuster und so weiter flog kein Raumschiff durch das All. Es ging letztlich immer darum, die typischen Muster zu identifizieren.

Eigentlich müsste ich jetzt unverzüglich Feindalarm geben, ging es Sunfrost durch den Kopf. Aber für einen Moment war sie wie erstarrt.

Ihre Gedanken gingen zurück.

Ein Gefecht gegen die Qriid, während ihres Stabsdienstes an Bord der NEW CALIFORNIA. Mehrere Traser-Treffer in einen Bereich des Schiffes, in dem ich mich gerade aufhielt. Die Arbeit an einer Großsimulation der Flottenstrategie wurde unterbrochen. Wer hatte schon Lust, an einem optimalen Operationsplan für ein koordiniertes Vorgehen der Space Army Corps-Kräfte in mehreren Grenzsystemen nachzudenken. Eine Operation über fünf Lichtjahre hinweg.

So lang war jener imaginäre Frontabschnitt im All, für den Admiral zuständig gewesen war.

Fünf Lichtjahre Grenze zum Niemandsland, dem Raumgebiet aus dem der Feind immer wieder vorstieß.

Und dann sah ich ihn.

Unmittelbar und ohne jede ortungstechnische Unterstützung durch eines der Sichtfenster!

So nahe war der Kreuzer der Vogelwesen herangekommen!

Eine Nussschale im All, wenn man ihn mit dem riesigen Schlachtschiff der Dreadnought-Klasse verglich.

Aber auch ein kleiner Skorpion kann zum tödlichen Stich ansetzen. Größe ist nicht immer Kampfkraft. Und schon gar nicht bei den Qriid, die darüber hinaus in dem Glauben angreifen, dass Gott sie ausgesandt hat und die darum weniger Rücksicht auf ihren eigenen Überlebensinstinkt zu nehmen gewohnt sind.

Im Schleichflug hatte sich der Kreuzer genähert, hatte alle Maschinen abgestellt, alles vermieden, was als Signatur erfasst werden konnte und nur den Schwung seiner vorherigen Beschleunigung genutzt.

Und jetzt war er herangekommen.

So nahe, wie es eigentlich niemals hätte passieren dürfen.

Und doch war es geschehen, allen Sicherheitsmaßnahmen und den modernsten Ortungstechnologien der Humanen Welten zum Trotz...

Ich hätte sofort sagen müssen, was ich sah, ging es Sunfrost durch den Kopf. Doch ich habe gezögert. Und eine Sekunde später kam der Angriff mit mehreren schweren Treffern.

Die Geschützbatterien der NEW CALIFORNIA hatten den Angreifer buchstäblich zerfetzt. Mindestens ein Dutzend schwere Projektile hatten die Außenhülle des Qriid-Raumers durchschlagen. Er platzte daraufhin regelrecht auseinander und verwandelte sich in einen Feuerball.

Aber davon hatten die Mitglieder der Stabsgruppe, der ein gewisser junger Fähnrich namens Sunfrost angehörte, nichts mitbekommen. Denn dort musste man ums nackte Überleben kämpfen. Es gab einen Hüllenbruch. Menschen wurden ins All geschleudert, wo augenblicklich ihr Blut zu kochen begann. Siebzig Prozent des menschlichen Körpers bestehen aus Wasser. Die Siedetemperatur für Wasser liegt auf der Erde bei 100 Grad Celsius. Aber nur dort, unter dem irdischen Druck und im Rahmen der irdischen Temperaturskala. Aber schon ein paar Kilometer höher, in der Stratosphäre liegt der Siedepunkt bei 37 Grad und im freien All noch niedriger. Manche hielten den Weltraum für einen kalten Ort, aber Sunfrost wusste, dass das nicht stimmte. Man wurde gekocht, wenn man ohne Druckanzug ins All geriet. Und dass Sunfrost das nicht am eigenen Leib zugestoßen war und sie nur anderen dabei hatte zusehen müssen, wie sie dahinschwebten und innerhalb von Augenblicken überall aufplatzten, weil ihre Flüssigkeit zu sieden begann. Genau wie bei Kometen, wenn sie das Sonnenlicht traf und ihr Eis ohne das flüssige Aggregat zu erreichen gleich zu Wasserdampf wurde.

Allerdings gab es keinen schönen Schweif dabei.

Und das Vakuum verschluckte jeden Schrei.

Sunfrost hatte sich irgendwo festhalten können, während eine Notfallschaltung aktiviert wurde. Sie regelte die künstliche Schwerkraft hoch. So hoch, dass Sunfrost an den Boden gepresst wurde. Und mit ihr der noch nicht entwichene Teil der Atemluft.

Das hatte sie gerettet.

Dass sie von keinem der glühenden Metallteile getroffen worden war, war pures Glück gewesen - denn auch vagabundierende Trümmer waren natürlich von diesem erhöhten Gravitationsniveau angezogen worden.

Sie hatte in jenen Momenten geglaubt, dass ihre Rippen unter den mörderischen Gravitationskräften brechen müssten. In einer Schicht, die kaum einen halben Meter dick war, herrschte darüber hinaus ein Luftdruck, der so hoch war, als wäre sie von einer Sekunde zur anderen zwanzig Meter tief getaucht.

Die Lungen schmerzten. Und manchmal, wenn sie daran dachte, spürte Sunfrost diesen Schmerz wieder.

So wie in diesem Moment. Sie starrte auf den Tempel. Auf die dunklen Höhlen und säulenähnlichen Gebilde, die wie von einem kosmischen Bildhauer dahingemeißelt aussahen.

Irgendwo da drin, in diesen Höhlen muss ein Qriid-Schiff sein, dachte Sunfrost. Ein kleines vielleicht. Möglicherweise eine Art Jäger, obwohl wir bisher nichts davon wissen, dass sie so etwas entwickelt hätten...

Sie nahm ein paar weitere Einstellungen und Modifikationen vor, versuchte alles aus den Ortungssystemen herauszuholen, was möglich war, um wirklich auch die letzte Möglichkeit eines Irrtums auszuschließen.

Und gleichzeitig löste sie den Feindalarm aus und leitete ein Bremsmanöver ein.

Es war so stark, dass es jeder an Bord der DEFIANT-29 zu spüren bekam.

Auch die Schläfer, die zur Zeit in Dracula’s Home ein bisschen Ruhe fanden.

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ES DAUERTE NUR AUGENBLICKE bis die gesamte Besatzung der DEFIANT-29 nicht nur auf den Beinen, sondern auch auf dem Posten war.

“Waffensysteme klar”, meldete Fu Davis.

Sunfrost zögerte einen Moment, als sie für Fähnrich Brent Tahano die Steuerkonsole freigeben sollte.

“Captain?”, fragte Tahano etwas irritiert.

“Übernehmen Sie, Tahano.”

“Wie lauten die Befehle?”

“Bremsmanöver fortsetzen.”

“Bleiben wir hier?”

“Sind Sie eine Fragemaschine oder ein Rudergänger?”

Sunfrost gelangte zum Sitz des Captains. Sie taumelte dabei etwas. Die Andruckabsorber taugten wirklich nichts. Ein derartiges Bremsmanöver brachte die ungeschminkte Wahrheit einfach an den Tag. Jene Wahrheit, die wahrscheinlich kein Verantwortlicher des Space Army Corps und schon gar kein Politiker des Humanen Rates gerne hören wollte. Und diese Wahrheit hieß: Die Ausrüstung des Corps ließ erheblich zu wünschen übrig. Zumindest, wenn man nicht gerade auf einer Hochglanz-Dreadnought seinen Dienst tat, auf der zudem auch noch der Befehlshaber eines ganzen Abschnitts seinen Stab unterhielt.

Ein Zittern durchlief jetzt das Raumboot. “Ich muss den Kurs modifizieren. Wir geraten auf Grund der starken Abbremsung ins Schlingern - und ich habe ehrlich gesagt keine Lust mit dem Tempel aneinander zu geraten”, meldete Tahano.

“Versuchen Sie die Resonanz-Phänomene zu eliminieren, Crewwoman Gao”, wandte sich Sunfrost an die Technikerin der DEFIANT-29.

Gao sah angestrengt auf ihre Konsole. Sie selbst wurde von dem Zittern ebenso erfasst wie alle anderen Besatzungsmitglieder. Das machte es nicht unbedingt leichter, das Menue des Displays zu bedienen.

“Ich tue mein Bestes, Madam!”, rief Gao.

Und die Art und Weise, wie die Technikerin das Wort Madam aussprach, hatte schon einen sehr speziellen Unterton.

Sie sagte es im Tonfall einer trotzigen Beleidigung.

Sunfrost überhörte das.

Im Augenblick kam es auf etwas anderes an. Die Signatur des Qriid-Raumfahrzeug.

Sunfrost schaltete sich die Ortung auf das Armlehnendisplay des Kommandantensitzes.

“Captain, Sie haben den Qriid-Alarm ausgelöst, aber ich sehe nirgends eine Signatur...”

Crewman Seku Delan, der inzwischen seinen Platz an der Konsole für Ortung und Kommunikation eingenommen hatte, wurde von Sunfrost unterbrochen.

“Schauen Sie richtig hin, Crewman!”

“Nein, schauen Sie richtig hin. Da ist nichts. Buchstäblich gar nichts.”

Sunfrost überprüfte die eingehenden Daten mit Hilfe ihres eigenen Zugangs zum Ortungssystem über ihr Armlehnendisplay. Verdammt, er hat Recht, wurde es ihr schlagartig klar. Die Signatur wurde nicht mehr identifiziert.

“Ich sehe gerade, Sie haben die Alarmmeldung bereits an Raumfort Matthews übermittelt”, stellte Seku Delan fest.

Sunfrost nahm noch ein paar Einstellungen an ihrem Display vor, checkte die Daten und versuchte irgendeine Erklärung dafür zu finden, dass die Signatur plötzlich nicht mehr identifiziert wurde.

“Macht ja nichts”, meinte Crewwoman Gao. “Blinder Alarm ist besser als zu später Alarm.”

“Das war kein blinder Alarm!”, beharrte Sunfrost. Sie schaltete den Hauptschirm ein. Auf Grund des großen Frontalsichtfensters war dieser Hauptschirm erstens viel kleiner als Sunfrost es von überlichtschnellen Kriegsschiffen gewöhnt war und zweitens war er kaum in Gebrauch. So gut wie nie, um genau zu sein. In einem Raumboot der DEFIANT-Klasse flog man meistens auf Sichtweite. Die meisten Raumbootmannschaften waren sich in dem Punkt einig: Der Hauptschirm war eigentlich eine überflüssige Einrichtung auf einem Raumer wie der DEFIANT-29.

Sunfrost ließ in der schematischen Darstellung die Position markieren, an der die Signatur identifiziert worden war. 

"Das Signal hat es tatsächlich gegeben“, stellte Seku Delan nach kurzer Überprüfung fest.

“Haben Sie eine Erklärung dafür, dass es verschwunden ist?”, fragte Sunfrost.

“Es gibt nur die eine: Das Qriid-Schiff ist tatsächlich so selbstmörderisch gewesen in die Höhlen des Tempels hineinzufliegen.”

“Niemand, der bei Verstand ist, würde so etwas tun”, mischte sich Tahano ein. “Ich bin ein guter Pilot und ich traue mir viel zu, aber wenn das jemand von mir verlangen würde, würde ich streiken.”

Gut zu wissen, dachte Sunfrost.

“Wer sagt denn, dass die Qriid bei Verstand sind?”, meinte Fu Davis. Der Waffentechniker der DEFIANT-29 verdrehte dabei der Augen. “Das soll jetzt nicht wie ein Vorurteil gegen Aliens klingen, aber eine Rasse, die dem Universum Gottes Ordnung aufzwingen will - oder das, was sie dafür hält - kann ja wohl nur aus Verrückten bestehen.”

“Solche Verrückten gab es in der Geschichte der Menschheit auch schon”, meinte Sunfrost. “Und wenn man es genau nimmt, sind wir erst vor relativ kurzer Zeit von solchen Ideen mehr und mehr abgekommen...”

Zumindest vorläufig, dachte Sunfrost. Denn wenn sie daran dachte, was Mitglieder von radikalen politischen Bewegungen wie zum Beispiel der immer einflussreicher werdenden HUMANITY FIRST so an Zielen propagierten, dann kamen ihr die kaum aufgeschlossener vor als qriidische Glaubenskrieger, die einfach den Geboten ihrer Religion und ihres Heiligen Imperiums folgten.

“Als es gibt zwei Möglichkeiten: Ein Analysefehler unseres Systems, das vielleicht zu schnell auf Qriid-Schiffe schließt oder es ist wirklich so ein Vogel hier und versteckt sich im Tempel”, stellte Tahano fest. Er drehte sich in seinem Stuhl zu Sunfrost um. “Die Frage ist, ob wir tatsächlich den Bremsvorgang fortsetzen und die Fahrt quasi unterbrechen sollten, um hier auszuharren und darauf zu warten, dass jemand aus den dunklen Löchern des Tempels herausfliegt.”

“Was würden Sie vorschlagen?”

“Die Meldung an Raumfort Matthews ist doch draußen?”

“Ja.”

“Dann liegt der schwarze Peter nicht mehr bei uns, Captain. Jetzt kann Commander Sörensen entscheiden, ob er Unterstützung durch einen Kreuzer oder irgendein anderes Schiff des Space Army Corps anfordert. Wir brauchen uns darüber keine Gedanken mehr zu machen.”

Ja, das ist natürlich auch eine Art und Weise mit Problemen fertig zu werden, dachte Sunfrost. Man muss sich wundern, dass die Menschheit den Krieg gegen die Qriid mit dieser Einstellung überhaupt drei Jahre lang führen konnte!

“Wir werden etwas anderes tun”, bestimmte Sunfrost. Und dabei gab sie sich große Mühe, den Ärger über Tahanos Vorschlag nicht nach außen dringen zu lassen. “Wir werden hier bleiben. Crewman Delan?”

“Ja, Captain?”

“Senden Sie eine Nachricht an Raumfort Matthews, dass es sich bei der georteten Qriid-Signatur um einen Messfehler des Systems gehandelt hat.”

“Aber...”

“Verzichten Sie auf jegliche Verschlüsselung bei der Nachricht. Ein einfacher Überlichtfunkspruch im Sandström-Spektrum.”

“Dann wird ihn jeder mithören können.”

“Genau das ist der Sinn der Sache, Delan. Crewman Tahano, schalten Sie die Maschinen aus und fliegen Sie im Schleichflug weiter.” Sunfrost wandte sich an Gao und fuhr fort: “Sie sorgen dafür, dass alle, wirklich alle nicht unbedingt notwendigen Systeme abgeschaltet werden.”

“Ja, Captain”, murmelte sie.

Ihr schien es nicht sonderlich zu behagen, was Sunfrost da angeordnet hatte. Auch wenn sie sich bisher nicht dazu äußerte, so schien sie doch insgeheim Tahanos Ansicht zu sein, die schlicht zusammengefasst lautete: Wir sollten tun, als hätten wir nichts gesehen und andere den Job machen lassen.

Aber Sunfrost war entschlossen, dieser Sache auf den Grund zu gehen.

“Die DEFIANT-29 ist hier und wir werden dieser Sache auf den Grund gehen”, stellte sie anschließend noch einmal klar.

“Ich hoffe nur, dass Sie diesen Entschluss nicht noch bereuen, Captain”, gab Tahano zurück.

“Ich verstehe, was Sie vorhaben, Captain”, meldete sich jetzt Fu Davis zu Wort. Der Waffentechniker grinste schief. “Sie wollen den Qriid - falls es ihn gibt - aus seinem Versteck locken.”

“So ist es”, nickte Sunfrost. “Vielleicht werden wir etwas Geduld brauchen.”

“Und vielleicht auch sehr viel Glück”, meinte Davis.

Vier gegen eins.

Das war das Zahlenverhältnis im Moment, was das Für und Wider dieser Vorgehensweise betraf. Aber ich bin die Eins und muss tun, was notwendig ist, ging es Sunfrost durch den Kopf.

Stunden vergingen.

Die Anspannung an Bord der DEFIANT-29 wuchs. Die ganze Zeit über war die Mannschaft in ständiger Alarmbereitschaft. Im Augenblick geschah gar nichts. Da war nur ein bewaffnetes Raumboot, das durch das All trieb, vorangebracht nur von dem noch nicht abgebremsten Schub, mit dem es diesen Ort erreicht hatte. Tahano steuerte das Raumboot so, dass es sich noch verlangsamte.

Die DEFIANT flog dabei einen Kurs, der sehr nahe am Tempel vorbeiführen würde.

Dabei verringerte sich ihre Geschwindigkeit weiter.

“Irgendein Anzeichen dafür, dass sich was tut?”, fragte Sunfrost schließlich in die Stille hinein an Crewman Delan gerichtet.

“Ich halte den Höhleneingang im Auge unseres Ortungssystems, wo das Qriid-Schiff verschwunden ist”, sagte Seku Delan.

“Tun Sie das auch mit den anderen Höhleneingängen”, wies Sunfrost ihn an.

“Aber...”

“Es könnte Verbindungen zwischen den Höhlen geben.”

“Davon ist mir zwar nichts bekannt, aber wenn Sie meinen...”

“Niemandem ist davon etwas bekannt, Delan”, gab Sunfrost zurück. “Denn wie heute schonmal jemand treffend bemerkt hat, wäre es Wahnsinn, in diese engen Gänge hineinzufliegen...”

Wenn es einer getan hätte, wäre etwas darüber in unserer Datenbank zu finden, ging es der Kommandantin durch den Kopf.

In diesem Augenblick ging das Licht aus. Die Notbeleuchtung bestand aus fluoreszierenden Streifen an den Wänden. Das Licht der Sterne war kaum sichtbar, weil die gewaltige ‘Vorderfront’ des Tempels die DEFIANT-29 dagegen abschirmte.

Die Sonne schien zwar aus der anderen Richtung - aber auf deren schwaches Leuchten verließ man sich in so großer Entfernung vom Zentralgestirn besser nicht.

“Sie haben gesagt: Möglichst alle Systeme sollen abgeschaltet werden”, entschuldigte sich Crewwoman Gao, die wohl für diesen Ausfall des Lichts verantwortlich war.

“Ist schon in Ordnung”, meinte Sunfrost.

“Je nachdem, wie lange diese Operation dauert, wird es vielleicht auch etwas frisch hier im Raumboot werden”, fügte Gao noch hinzu. “Es sei denn, Sie gestatten Tahano eine Kursänderung, sodass wir aus dem Schatten des Tempels herauskommen.”

Sunfrost ging darauf nicht weiter ein.

Während eines Raumfluges war es normalerweise kaum je das Problem, dass es zu kalt wurde. Ganz gleich, was Leute davon sagten, die keine Ahnung davon hatten. Die Kälte des Weltalls war sprichwörtlich geworden.

Wärme war die Bewegung kleinster Teilchen.

Und wo nichts mehr war, da konnte sich auch nichts bewegen.

Da war der absolute Nullpunkt von Minus 273,5 Grad Celsius oder 0 Kelvin.

Tiefer ging es es nicht hinab.

Und trotzdem hatten fast alle Raumfahrzeuge das Problem, ihre Hitze irgendwo loszuwerden. Schon die einfachen, primitiven Raumfahrzeuge und Satelliten am Beginn der Weltraum-Ära hatten dafür Radiatoren gehabt. Denn wenn das Licht der Sonne selbst aus so großer Entfernung auf ein Raumschiff traf, dann wurde es aufgeheizt. Unweigerlich. Wie hätte es auch die Wärme loswerden können, da es von nichts umgeben war. Ein paar Moleküle pro Quadratmeter - das war zu wenig, um Wärme abzuleiten. Und so hatte auch die DEFIANT-29 ausfahrbare Radiatoren, die die Hitze in Form von Infrarotstrahlung ins All entließen. De einzige Möglichkeit, die es gab.

Doch im Moment befand sich die DEFIANT im Schatten des Tempels. Schatten bedeutete Kälte. Selbst in unmittelbarer Nähe der Sonne war das so. Einige Kratertäler des sonnennahen Merkur waren so schattig, dass es dort kälter war, als auf Pluto oder seinem eisigen Mond Charon.

Noch kälter als hier in diesem Tempelschatten ist es wohl nur in den den Höhlen dieses eigenartigen Himmelskörpers, ging es Sunfrost durch den Kopf. Aber das bedeutet auch, dass die Qriid dasselbe Problem haben wie wir. Zumindest, wenn sie sich auf Schleichfahrt befinden. Und dazu sind sie ebenso wie wir gezwungen, wenn sie keinen Wert auf Entdeckung legen...

Die Erkenntnisse über die Qriid hielten sich in Grenzen.

Man hatte drei Jahre Krieg gegen sie geführt, sie aber kaum erforschen können. Abgehörter Funkverkehr, Untersuchung von gefallenen Gegnern - darauf hatte sich die Forschungstätigkeit der Humanen Welten in diesem Punkt beschränkt. Man wusste ein paar grundlegende Dinge über die vogelartige Spezies, deren Angehörige mit ihren technisch hochentwickelten Raumschiffen zum Sturm auf die Humanen Welten angetreten waren. Wie aus dem Nichts tauchten ihre Raumschiffe aus dem Zwischenraum hervor - und dorthin verschwanden sie dann auch wieder, wenn sie sich zurückzogen.

Man wusste, dass die weiblichen Qriid Eier legten und ihr Imperium vom sogenannten Aarriid beherrscht wurde, dem Stellvertreter und Auserwählten Gottes.

Vielleicht hätten sich unsere Forscher nicht einmal mit diesem Aspekt der qriidischen Kultur sonderlich intensiv zu beschäftigen versucht, wenn der Tod des Aarriid nicht entscheidend für den Rückzug der Angreifer gewesen wäre, dachte Sunfrost.

Zumindest war dies die nachträgliche Erklärung, die man für das Geschehen gefunden hatte.

Die Schlacht von Tridor...

Sunfrost war nicht dabei gewesen, aber vielleicht gerade deshalb hatte diese Entscheidungsschlacht gegen die Qriid in ihren Gedanken immer einen besonders prominenten Rang...

Wollen wir hoffen, dass sie kälteempfindlich sind, dachte Sunfrost. Und wollen wir hoffen, dass sie möglichst bald aus ihrem Loch herauskommen und keine guten Filterprogramme haben, um unsere Signatur richtig zu erfassen - beziehungsweise das, was jetzt, nach Abschaltung fast aller Systeme, davon noch übrig geblieben ist...

Delan stutzte plötzlich.

“Ich bekomme hier eigenartige Werte...”, murmelte er. “Sie hatten Recht Captain!”

“In wie fern?”, fragte Sunfrost.

“Es muss ein Qriid-Raumboot oder dergleichen sein - und es kommt nicht aus der Höhle, mit der wir alle gerechnet haben!”

“Rudergänger, gehen Sie auf einen Abfangkurs”, ordnete Sunfrost an.

“Aye, aye, Captain”, bestätigte Fähnrich Tahano. “Allerdings sind mir da gewisse Grenzen gesetzt, so lange ich unseren eigenen Schub nicht aktivieren darf!”

“Ich sage schon, wann die Maschinen wieder gestartet werden dürfen”, gab Sunfrost zurück.

Tahano korrigierte den Kurs entsprechend den Vorgaben  seines Captains.

Ein Ruck ging durch die DEFIANT-29, als sie sich etwas drehte. Die Andruckabsorber waren wie alle anderen Systeme auch, in ihrer Funktion auf ein Minimum beschränkt. Selbst die künstliche Schwerkraft an Bord war abgeschaltet. Jeder saß ja schließlich an seinem Platz und die Sicherheitsgurte verhinderten es ohnehin, dass man von dort einfach fortschwebte.

Im großen Sichtfenster des bewaffneten Raumbootes konnte man so gut wie nichts erkennen. Da war nur die namenlose Dunkelheit dieser großen Schattenzone.

Aber das Ortungssystem war keineswegs so blind. Im Infrarotbereich konnten die Außenkameras der DEFIANT die Umgebung in hoher Auflösung erfassen.

Sunfrost aktivierte an ihrem Display eine schematische Darstellung. Sie zeigte den Tempel mit seinen verschiedenen Höhleneingängen.

Und auf dieser Darstellung ihres Armlehnendisplays war auch das Objekt zu erkennen, das die Qriid-Signatur verursacht haben musste.

“Ein Raumboot, das ungefähr doppelt so groß wie unseres ist”, kommentierte Deku Delan.

“Bewaffnung?”, fragte Sunfrost.

“Zwei Traser-Strahlengeschütze, wenn ich das richtig interpretiere.”

“Es ist vermutlich ein Beiboot”, glaubte Brent Tahano.

“Haben Sie irgendwelche Emissionen anmessen können, die auf das Vorhandensein eines Überlichtsantriebs hindeuten, Delan?”, wandte sich Sunfrost an den Ortungstechniker.

Dieser schüttelte den Kopf. “Nein, danach habe ich nun schon eine ganze Weile gesucht, aber nichts gefunden.”

“Sie werden kaum Jahrmillionen Jahre aus dem Qriid-Gebiet bis hier her unterwegs gewesen sein”, glaubte Fu Davis. “Also muss es ein überlichtflugtaugliches Mutterschiff geben!”

“Das fürchte ich auch”, meinte Sunfrost.

“Was haben Sie vor, Captain?”, wollte Fu Davis wissen.

“Wir nähern uns weiter.”

“Achtung, wir werden angepeilt”, stellte Seku Delan fest.

“Sind Sie sicher?”, vergewisserte sich Sunfrost.

“Ganz sicher, Captain.”

“Maximale Kursänderung einleiten, Ruder!”, befahl Sunfrost.

Man konnte einem bevorstehenden Traser-Schuss nicht ausweichen. Das war völlig illusorisch. Man konnte nur hoffen, dass man nicht getroffen wurde.

Das Manöver der DEFIANT-29 war lediglich dazu geeignet, die Trefferwahrscheinlichkeit etwas herabzusetzen.

Die Traser-Strahlen der Qriid hatten eine größere Reichweite und Treffergenauigkeit, als die Gauss-Geschütze, wie sie auf den Kriegsschiffen der Humanen Welten üblich waren. Aber dafür war die Durchschlagskraft auf Seiten der Space Army Corps-Schiffe um ein Vielfaches höher als es beim Gegner der Fall war.

Die wolframumantelten, aus Uran oder Blei bestehenden Projektile, die damit verschossen wurden, hatten eine so gewaltige Durchschlagskraft, dass nahezu nichts ihnen hätte widerstehen können. Keine noch so harte Panzerung und kein Schutzschild.

Die Traser-Strahlkanonen, die von den Qriid als Waffe eingesetzt wurden, flammten jetzt an ihren Mündungen deutlich auf. Die grünlichen Strahlen schossen durch das All. Sie verfehlten das Raumboot unter Lieutenant Sunfrost nur knapp.

Das Armlehnendisplay zeigte an, um wie viele Kilometer die DEFIANT-29 verfehlt worden war.

Aber Kilometer waren hier draußen in der unendlichen Weite des Kuiper-Gürtel-Geröllfeldes eine Größeneinheit, die angesichts der Weite des Raumes vollkommen bedeutungslos erschien.

“Aktivieren Sie die Maschinen, Gao!”, befahl Sunfrost.

“Ist schon geschehen!”, meldete die Triebwerkstechnikerin. Ein Zittern durchlief das Raumboot. Das Licht ging wieder an, es flackerte jedoch zunächst, da die Energie primär für den Start der Triebwerke genutzt wurde.

Es dauerte eine Weile, bis die Triebwerke wieder voll belastungsfähig waren. Ein dumpfes, sonores Brummen war zu hören. Sunfrost spürte, wie der Boden zu ihren Füßen leicht vibrierte und diese Vibrationen sich auf jeden Gegenstand übertrugen.

“Fähnrich Tahano, fliegen Sie den Qriid entgegen”, verlangte Sunfrost. “Und zwar mit maximalem Schub.”

“Geradewegs ins Traser-Feuer hinein”, stellte Tahano fest.

“Es wäre schon großes Glück, wenn sie uns treffen”, stellte Sunfrost klar. Und wenn nicht und wir nahe genug an den Qriid-Raumer herankommen, liegen alle Trümpfe in unserer Hand...

Wenn...

Genau das war der springende Punkt.

Die DEFIANT-29 beschleunigte. Das Feuer des Qriid-Raumers zu erwidern wäre im Moment vollkommen unsinnig gewesen. Die Geschütze des Raumbootes hätten gar nicht die nötige Reichweite gehabt, um eine einigermaßen akzeptable Trefferwahrscheinlichkeit garantieren zu können. Auch dann nicht, wenn alle vier Geschütze des Raumbootes gleichzeitig und im Dauermodus unzählige würfelförmige Projektile verschossen und man bedachte, dass nur ein einziges davon ausreichte, um selbst ein großes Kriegsschiff zu zerstören.

Vorausgesetzt natürlich es traf auch.

Und das vorzugsweise in einen sensiblen Bereich, etwa die Maschinen oder einen Antriebskonverter.

Aber um so einen Treffer zu erreichen, musste die DEFIANT einfach näher an ihren Gegner heran, denn besonders zielgenau waren die starren Frontgeschütze nun wirklich nicht. Sie waren ausschließlich durch Veränderung der eigenen Position des Raumboots etwas zu justieren. Aber ansonsten glichen sie dem ungenauen, aber breit gestreuten Feuer einer Schrotbüchse.

Und ironischerweise war es viel leichter, ein großes Schiff zu treffen, als ein kleines.

Für die Qriid hingegen sah die Rechnung genau andersherum aus. Ihre Traser-Geschütze waren im Vergleich zu den Waffen, mit den die Schiffe des Space Army Corps ausgerüstet waren, ausgesprochen treffsicher und zielgenau - und das auch auf große Distanz.

Aber die Wahrscheinlichkeit eines Treffers blieb dennoch gering.

Die Weite des Raums, die schiere Größe des Alls sorgte dafür.

Mochte ein Qriid-Schütze einer Traser-Waffe auch einem Scharfschützen ähneln, so hatte er trotzdem das Kunststück zu vollbringen, mit einem hauchdünnen Strahl eine Erbse auf hundert Meter Entfernung zu treffen.

“Crewman Delan, senden Sie eine Nachricht an das Qriid-Schiff. Fordern Sie die Besatzung auf, sich zu ergeben und weisen Sie darauf hin, dass sie sich auf dem Territorium der Humanen Welten befinden.”

“Wie Sie meinen, Captain”, erwiderte Delan. “Sie sollten allerdings nicht damit rechnen, dass unser Gegner darauf eingeht.”

“Damit rechne ich auch nicht”, gab Sunfrost zurück. “Fähnrich Tahano?”

“Captain?”

“Kurs beibehalten, Beschleunigung weiterhin auf Maximalwerte.”

“Wenn wir nicht vorher von einem ihrer Traser-Schüsse zersäbelt werden, dann werden wir sie rammen, Captain!”, meinte Tahano sarkastisch. “Leider fehlt uns dafür ein Rammsporn oder sowas, fürchte ich.”

“Ich denke, wir haben da etwas Besseres”, glaubte Fu Davis. Der Waffentechniker der DEFIANT-29 hatte bereits alle Vorkehrungen für die Gefechtsbereitschaft getroffen. Sich beschießen zu lassen, ohne darauf antworten zu können, schien ihm nicht zu behagen. Aber noch war die DEFIANT-29 einfach nicht nahe genug an ihrem Gegner heran. Jeder Schuss wäre nichts als Munitionsverschwendung gewesen.

Fu Davis hatte eine dreidimensionale Übersicht aktiviert, die die Positionen beider Raumschiffe im Verhältnis zueinander und zum Tempel sowie einigen kleineren Gesteinsbrocken anzeigte. Ob letztere sogar Trabanten des Tempels waren, oder nur vagabundierende Brocken, die auf ihrem ziellosen Weg durch das kosmische Geröllfeld des Kuiper-Gürtels gerade von der Schwerkraft des Tempels fortgeschleudert wurden, ließ sich so ohne weiteres nicht sagen. Um das zu beurteilen, wäre ein längerer Beobachtungszeitraum notwendig gewesen.

Die zunehmende Annäherung der DEFIANT-29 und des Qriid-Raumers war maßstabsgerecht sichtbar. Die Markierungen der Raumer selbst war jedoch nicht in ihren realen Größenverhältnissen dargestellt. Denn dann hätte man auch auf dieser Darstellung nur zwei winzige, stecknadelgroße Punkte gesehen, die für das menschliche Auge kaum auszumachen gewesen wären.

Auf seinem Display konnte Fu Davis verfolgen, ab und wann die Trefferwahrscheinlichkeit groß genug war, um eine Feuereröffnung rechtfertigen zu können.

Ein grünlich schimmernder Blitz schien auf einmal das Innere der DEFIANT-29 so grell zu erleuchten, dass die Besatzung geblendet wurde. Das transparente Material der Frontscheibe war chipgesteuert und veränderte seinen Transparenz je nach Intensität der Lichteinstrahlung.

“Explosion 27 Grad Backbord, 12 Grad Höhe über Null-Ebene”, meldete Seku Delan. “Traser-Treffer auf einem nicht katalogisierten Gesteinsbrocken von ungefähr 50.000 Meter Durchmesser.”

“Gehen Sie auf Ausweichkurs, Fähnrich Tahano”, ordnete Sunfrost an.

“Ausweichkurs eingeleitet”, bestätigte Tahano.

Während die DEFIANT-29 ein scharfes Manöver nach Steuerbord vollführte und damit auch die Andruckabsorber an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit brachte, war nun die Explosion deutlich zu sehen. Die Transparenz-Materialien der Sichtfenster hatten sich in ihrer Tönung angepasst.

Stumm explodierte da ein kleiner Himmelskörper aus porösem Gestein und etwas gefrorenem Methan und Trockeneis. Kein Laut entstand dabei. Die Trümmerstücke aus teilweise aufgeschmolzenem Gestein geisterten wie Irrlichter durch die ewige Nacht der Schattenzone des Tempels und ließen sie für kurze Zeit etwas heller erscheinen.

Als ob in diesem sternenlosen Hinterhof des Universums plötzlich doch ein paar Sterne geboren worden wären, dachte Sunfrost.

Im nächsten Moment ging ein Ruck durch die DEFIANT-29. Mehrere harte Schläge schienen die Außenhülle zu treffen.

“Kollision mit Trümmerstücken”, meldete Seku Delan.

Die Gesteinsbrocken prasselten regelrecht auf die Außenhülle der DEFIANT ein. Innen wurden dadurch hämmernde Geräusche erzeugt.

“Eine Schubdüse funktioniert nicht mehr”, stellte Tahano plötzlich fest.

“Ist getroffen worden”, ergänzte Seku Delan. “Schaden der Kategorie 3.”

“Können Sie da was machen, Gao?”, wandte sich Sunfrost an die Triebwerkstechnikerin.

“Ich glaube, es wäre im Moment ein ungünstiger Augenblick, um im Druckanzug auszusteigen und da mal nach dem Rechten zu sehen”, gab Gao zurück.

“Haben Sie keinerlei Systemzugriff?”, fragte Sunfrost nochmal nach.

“Momentan nicht. Mein Rechner meldet einen Totalausfall des entsprechenden Bereichs. Ich fürchte, da lässt sich so schnell nichts aus dem Hut zaubern.”

“Sehen wir es positiv”, meinte Brent Tahano. “Es ist nur eine Schubdüse. Und auf die kann ich notfalls verzichten, sodass wir trotzdem noch ans Ziel kommen.”

“Fragt sich nur, ob ich ohne diese Schubdüse noch sowas wie eine gezielte Geschützsalve abgeben kann”, maulte Fu Davis.

Im Gefechtsfall wurde die Lenkung des Schiffs an den Waffentechniker übergeben, der das Raumboot dann jeweils exakt so ausrichtete, wie es der angestrebten Schussrichtung entsprach.

Alles hängt mit allem zusammen, dachte Sunfrost. Ohne funktionierende Schubdüsen sind auch die stärksten Geschütze des Universums nichtmal das Schwermetall wert, das in ihren Projektilen steckt...

––––––––

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DIE DEFIANT-29 TAUMELTE dahin, während ein paar weitere Traser-Schüsse beinahe den den Schiffskörper des Raumboots trafen. In Kürze würden die Qriid treffen. Da war auch Sunfrost sicher.

“Feuern Sie, Davis!”, wandte sich die Kommandantin dann an den Waffentechniker.

“Captain, die Gefechtsentfernung ist noch nicht einmal annähernd erreicht. Wir müssten...”

“Bis dahin haben die uns zerstört. Feuern Sie jetzt mit allem, was Sie haben und so gut es ohne die defekte Schubdüse geht.”

“Aye, Captain.”

Auch Brent Tahano machte ein skeptisches Gesicht.

Er schien es Fu Davis nicht so recht zuzutrauen, die DEFIANT-29 mit einer Schubdüse weniger so zu manövrieren, dass ein Anvisieren des Gegners überhaupt möglich war.

Aber da der Captain davon überzeugt zu sein schien, das Richtige zu tun, sagte Tahano schließlich: “Steuerkontrolle an Waffen übergeben.”

“Steuerkontrolle übernommen”, bestätigte Fu Davis. “Wir fliegen im Gefechtsmodus.”

Die DEFIANT-29 drehte sich etwas zur Seite. Und da die Andruckabsorber offenbar nicht mehr ganz zuverlässig waren, wurden Sunfrost und die anderen Besatzungsmitglieder zur Seite gerissen. Ohne die Sicherheitsgurte wären sie hilflos durch die Gegend geschleudert worden.

Aber so hielten sich die Blessuren in Grenzen.

Dann begann Fu Davis zu feuern. Die Geschütze des Raumboots entließen ihre tödliche Ladung. Aus allen vier Rohren wurde gleichzeitig gefeuert.

Mit schier unglaublichen Beschleunigungswerten jagten die Geschosse der platzsparenden Lagerung wegen als würfelförmige Geschosse durch das All. Hohe Geschwindigkeit und spezifische Dichte machten die Durchschlagskraft dieser Geschosse aus. Es war kaum eine Panzerung denkbar, die ihnen auf Dauer widerstehen konnte. Dazu war die kinetische Aufprallenergie einfach zu groß. Einfach, grausam und effektiv - auf diesen Nenner konnte man diese Geschütze bringen.

Es gab einen Treffer.

Allerdings handelte es sich nicht um das Qriid-Schiff, sondern um einen anderen, vagabundierenden Gesteinsbrocken. Ein einziges Projektil spaltete ihn. Das wolframumantelte Geschoss mit einem Kern, der wahlweise aus Uran oder Blei bestand, fetzte durch das Gestein hindurch, als wäre da kaum ein Widerstand. Die beim Durchschlag entstehende Reibung erzeugte Wärme. Der Gesteinsbrocken von immerhin fast einem halben Kilometer Durchmesser platzte förmlich auseinander. Teilweise schmolz er auf. Der Eis-Anteil verdampfte fast augenblicklich.

Ein Anblick, der Sunfrost an einen blasenden irdischen Pottwal oder einen aufschießenden Geysir erinnerte. Auch jetzt flogen wieder einige Bruchstücke in Richtung der DEFIANT-29. Die Treffer waren im Inneren des Raumboots wie Hagelschlag zu hören. Aber glücklicherweise waren diese Stücke - anders als die Geschosse aus den Jagdgeschützen des Raumbootes - nicht schnell und massereich genug, um wirklich Schaden anrichten zu können.

Aber wie sehr schon ein kleiner Schaden wie der an einer der Schubdüsen, die Kampfkraft zu beeinträchtigen vermochte, hatte sich ja gerade erst gezeigt.

Seku Delan meldete den Ausfall einer Außenkamera, die offenbar etwas abbekommen hatte.

Aber das stellte kein größeres Problem dar.

Fu Davis ließ die Geschütze der DEFIANT weite ununterbrochen feuern - bis nachgeladen werden musste.

Sunfrost blickte starr auf das Frontfenster des Raumbootes. Irgendwo da draußen war der Feind, nur sichtbar für das Ortungssystem.

Immer wieder zuckten grünliche Strahlen durch die Schwärze des Alls und unterbrachen sie mit ähnlich grellen Lichterscheinungen wie es bei den explodierenden Himmelskörpern der Fall war.

Und dort, wo der Ausgangspunkt dieser Strahlen war, musste die Position des Qriid-Raumers sein.

Ein rasselndes Geräusch drang nun unangenehm in Sunfrosts Bewusstsein.

Es dauerte einige Augenblicke, bis ihr klar wurde, was das war.

Die frischen Projektile wurden automatisch in die Geschützmagazine geschoben, damit sie anschließend abgefeuert werden konnten.

Obwohl - abgefeuert traf es nicht ganz.

Magnetisch beschleunigt. Das war das Wirkprinzip einer Gauss-Kanone.

Der Geschützladevorgang auf den Space Army Corps Schiffen war Sunfrost eigentlich natürlich bekannt. Sie hatte das auf der NEW CALIFORNIA während des Qriid-Krieges unzählige Male erlebt.

Der Unterschied war nur das Geräusch.

Auf größeren Schiffen hatte man einfach mehr Möglichkeiten, so etwas abzudämpfen. Und wahrscheinlich gab man sich an Bord eines Dreadnought-Schlachtschiffs, das den Stab eines Admirals beherbergte, auch etwas mehr Mühe, was diese Art von Luxus betraf.

Auf einem Raumboot hatte Sunfrost das Nachladen zuletzt während ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie erlebt. Und irgendwie hatte sie das selbst da sehr viel leiser in Erinnerung.

Ich scheine mit den Jahren empfindlicher zu werden, dachte Sunfrost.

"Wir bekommen eine Nachricht der Qriid herein", erklärte Seku Delan.

"Lassen Sie hören, was die zu sagen haben", verlangte Sunfrost. Typisch war so eine Verhaltensweise für die Gotteskrieger des Heiligen Imperiums eigentlich nicht.

"Es ist keine Audio- oder gar Videospur dabei", erklärte Seku Delan. "Es handelt sich lediglich um eine kurze  schriftliche Nachricht. Sie lautet: Qriid ergeben sich nicht. Gott ist auf unserer Seite, denn wir wurden erwählt. Fürchtet seinen Zorn."

"Ich glaube nicht, dass wir das weiter beachten sollten", meldete sich Fu Davis zu Wort. "Auf jeden Fall klingt das nicht gerade wie ein Friedensangebot, würde ich sagen."

"Dem kann ich mich allerdings nur anschließen", meinte Sunfrost.

––––––––

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EIN SIGNAL ZEIGTE AN, dass der Nachladevorgang beendet war. Die DEFIANT konnte wieder feuern.

Das Qriid-Schiff hatte unterdessen den Kurs etwas geändert. Offenbar will sich der vogelköpfige Kommandant doch nicht zu hundert Prozent auf die bessere Treffsicherheit seiner Traser-Geschütze verlassen, ging es Sunfrost durch den Kopf.

Fähnrich Tahano ging auf Abfangkurs.

Das Traser-Feuer verebbte für kurze Zeit, wurde dann aber wieder aufgenommen.

Es war gut möglich, dass das Qriid-Schiff für seine Traser-Waffen in irgendeiner Art und Weise eine ähnliche Phase der Aufladung benötigte, wie es bei den Projektilgeschützen der Space Army Corps Schiffe aus ganz anderen Gründen der Fall war.

Aber um das zu beurteilen, wusste man bislang wohl einfach noch zu wenig über die Technologie der Traser.

Sunfrost hatte zwar davon gehört, dass es in streng geheimen Forschungsprojekten, die in Zusammenarbeit zwischen Rüstungskonzernen und dem Space Army Corps durchgeführt wurden, Versuche gegeben hatte, Waffen zu entwickeln, die auf ähnlichen Wirkprinzipien wie die Technologie der Qriid basierten, aber bislang war wohl offensichtlich nichts Vorzeigbares dabei herausgekommen.

Die Qriid blieben einsame Meister darin, Energiestrahlen als zielsichere Waffe zu benutzen.

“Wollen Sie wieder übernehmen, Fu?”, fragte Fähnrich Tahano an den Waffentechniker gerichtet, denn während der Aufladephase hatte natürlich der Rudergänger wieder die Kontrolle über die Steuerung des Raumbootes gehabt.

“Jederzeit”, gab Davis zurück.

“Warten Sie!”, griff Sunfrost ein.

“Kurs ist optimal auf das Abfangen unseres Gegners ausgerichtet”, erklärte Tahano. “Das Einzige, was wir jetzt tun müssen, ist, nicht zu bremsen - und keine weitere Schubdüse verlieren, denn dann kann ich für nichts mehr garantieren!”

“Dann übergeben Sie, Fähnrich. Und Sie Davis, halten sich zurück.”

“Wie lange?”

“Bis ich sage, dass es soweit ist”, antwortete Sunfrost.

Der Erste Angriff war gescheitert. Sunfrost ahnte den Grund. Ich war zu voreilig. Die Entfernung war zu groß. Eine Fehlentscheidung. Aber ich werde diesen Fehler nicht wiederholen...

Sie lehnte sich im Kommandantensitz zurück. Mit einem Fingerwisch über das Armlehnendisplay zoomte sie die schematische Lagedarstellung etwas heran. Ja, Tahano hatte recht, der Kurs war optimal.

Und offensichtlich näherte sich die DEFIANT-29 dem Qriid-Raumer in einem Winkel, der aus irgendeinem Grund nicht optimal für die Schützen der Traser-Kanonen war. Die Schüsse waren nicht mehr so häufig und auch längst nicht so gut gezielt, wie in der früheren Phase des Gefechts. Das könnte daran liegen, wohin die Kanonen jeweils schwenkbar sind, wusste Sunfrost.

Sie hatte bisher zwei Traser-Kanonen beim gegnerischen Schiff vermutet. Und die Computeranalyse zeigte dasselbe Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von 89 Prozent an.

Aber seitdem der Gegner auf Ausweichkurs gegangen ist, wurde meistens ein Geschütz verwendet, glaubte Sunfrost erkannt zu haben.

“Können Sie das Feindschiff näher heranzoomen?”, fragte Sunfrost.

“Tut mir leid”, sagte Delan. “Ich habe bereits versucht, das Beste herauszuholen, aber leider sind einige Außensensoren durch das ständige Bombardement mit Gesteinsbrocken etwas in Mitleidenschaft gezogen worden. Eine Kamera haben wir völlig verloren. Ich will zwar nicht sagen, dass wir uns in einem Blindflug befinden, aber es kommt dem schon sehr nahe.”

“Übertreiben Sie nicht, Delan”, mischte sich Brent Tahano ein. “Notfalls kann ich diese Kiste auch mit Hilfe des Sichtfenster navigieren, ob Sie das glauben oder nicht.”

So ein Angeber, dachte Sunfrost, hielt sich aber zurück.

“Feindschiff scheint ein Wendemanöver zu versuchen”, meldete Delan dann ein paar Augenblicke später.

“Feuern Sie jetzt, Mister Davis”, verlangte Sunfrost vom Waffentechniker. Ehe sie in einer Position sind, in der sie wieder beide Geschütze benutzen können, setzte sie noch in Gedanken hinzu. Denn genau das muss der Sinn dieses Manövers sein.

“Aye, aye, Captain!”, bestätigte Davis.

Dann brachte er die DEFIANT-29 in eine Position, in der er das Qriid-Schiff anvisieren konnte.

Die maximale Gefechtsdistanz war nur knapp unterschritten.

Es bestand also das Risiko, auch diesmal nichts zu erreichen.

Aber das werden wir eingehen müssen, dachte Sunfrost, denn unsere Chancen werden sich verschlechtern, wenn das Qriid-Schiff erst wieder beide Geschütze zur Verfügung hat.

Die Projektile schnellten jetzt wieder zu Hunderten in unglaublich kurzer Zeit aus den Rohren. Ein wahrer Geschosshagel prasselte in Richtung des fremden Raumschiffs, das seinerseits das Traser-Feuer eröffnete.

Immer noch nur mit einem Geschütz, wie Sunfrost feststellte.

Wie weit sich das Qriid-Schiff bereits gedreht hatte, war angesichts der ramponierten Ortungssysteme nicht zu sagen.

Eine wichtige Information, die eigentlich Grundlage jeder taktischen Entscheidung in so einer Situation hätte sein sollen.

Aber diese Informationen standen nunmal nicht zur Verfügung.

Der alte Satz von Clausewitz bestätigt sich, dachte Sunfrost. Jede Planung geht nur bis zum nächsten Gefecht - alles, was danach kommt ist Improvisation.

Sunfrost dachte in diesem Moment daran, wie einer ihrer Ausbilder diesen Satz zitiert hatte. Wie oft habe ich ihn schon in der Realität bestätigt bekommen, rief sie sich ins Gedächtnis. Er schien fast den Status eines Naturgesetzes zu haben.

Die Gauss-Geschütze feuerten noch. Es gab noch immer keinen Treffer. Das Qriid-Schiff war anscheinend einfach zu klein - und vier Geschütze reichen am Ende wohl nicht aus, um eine ausreichende Trefferwahrscheinlichkeit zu gewährleisten.

Ein weiteres Mal blendete sie alle plötzlich ein Traser-Schuss. Diesmal war es für kurze Zeit noch heller, als es das erste Mal der Fall gewesen war. Die automatische Abblendung schien überhaupt nicht zu funktionieren.

Sunfrost hatte das Gefühl, nur von grünlichem Licht umgeben zu sein. Selbst wenn sie die Augen schloss, sah sie nichts anderes.

Sie versuchte sich mit den Armen zu schützen.

Ein Knall ertönte. Und im nächsten Augenblick war es vollkommen dunkel in der DEFIANT-29. Nur die fluoreszierenden Streifen an den Wänden sorgten noch für etwas Licht.

“Maximaler Ausfall der Energieversorgung”, stellte Crewwoman Gao fest. "Der Traser-Schuss hat uns zwar nur gestreift, denn sonst wären wir alle nicht mehr unter den Lebenden. Aber für unsere Energieversorgung war das trotzdem der Abgesang."

"Ich habe keine Systemkontrolle mehr", meldete daraufhin Fu Davis. “Weder über die Kanonen, noch über die Steuerung."

"Bei mir dasselbe", erklärte Tahano.

"Notaggregate aktivieren", befahl Sunfrost.

“Das ist nicht so einfach, wie Sie das vorschlagen", meinte Gao. "Wenn ich das richtig sehe, sind die gleich mitbeschädigt worden."

"Ich habe hier noch Anzeigen auf dem Display", meldete Seku Delan.

"Also scheint doch noch was zu gehen", glaubte Sunfrost.

"Muss nichts heißen", widersprach Brent Tahano. "Was Sie nicht wissen können, Captain: Wir haben hier an Bord einige besonders sensible Systeme mit gesonderten Energiezellen gesichert. Dazu gehört auch die Ortung und die Kommunikation. Dann kann man nämlich wenigstens Hilfe rufen, wenn was richtig schiefläuft."

“Standard ist das allerdings nicht”, stellte Sunfrost fest.

"Richtig", bestätigte Tahano. "Das ist einfach nur Trick 17 unseres geschätzten Crewmitglieds Gao. Und ihr Vorgänger als Captain der DEFIANT 29 stand auf so etwas. Ein Sicherheitsfanatiker, wenn Sie verstehen was ich meine.”

“Also jemand, der im zivilen Leben Hosenträger und Gürtel gleichzeitig trägt”, meinte Fu Davis.

“Exakt”, nickte Tahano.

Die respektlose Art, in der Tahano und Davis über ihren ehemaligen Kommandanten sprachen, gefiel Rena Sunfrost nicht. Sie hatte den vagen Verdacht, dass ihre Crew bislang ganz ähnlich über sie dachte. Daran werden wir noch arbeiten müssen, wenn wir aus diesem Schlamassel hier raus sind, ging es ihr durch den Kopf.

“Das Qriid-Schiff verändert den Kurs”, meldete Seku Delan. “Ich denke, die flüchten jetzt.”

“Die suchen das Weite”, kommentierte Fu Davis. “Würde ich an deren Stelle auch machen.”

“Ich habe die Qriid eigentlich etwas anders kennengelernt”, meinte Rena Sunfrost.

Fu Davis wandte den Blick in ihre Richtung. “Wir auch, Captain. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man an Bord des Qriid-Raumers glaubt, dass wir erledigt sind.”

“Wundert mich. Dann müssen die keine gute Ortungstechnik haben”, sagte Sunfrost. Es muss einen anderen Grund dafür geben, dass sie sich aus dem Staub machen, ohne sich davon zu überzeugen, dass sie uns wirklich erledigt haben, war Sunfrost überzeugt. Auch wenn mir da im Moment nichts Gescheites einfällt, was die Ursache dafür sein könnte.

Oder wartet irgendwo in der Nähe ein Mutterschiff auf sie, das sie erreichen müssen?

Sunfrost überlegte, ob irgendein anderer Faktor denkbar war, der den Gegner aus einem bisher unbekannten Grund unter Zeitdruck setzte. Aber ihr fiel nichts ein.

“Maschinen lassen sich nicht reaktivieren”, drangen Crewwoman Gaos Worte in Sunfrosts Gedanken. “Ich will Ihnen die Einzelheiten ersparen, aber Traser-Strahlen wirken nunmal sehr schädlich auf die McDoherty-Spulen. Und da sind jetzt einfach zu viele von durchgebrannt.”

“Gab es denn da kein Abdämpfungsfeld?”

“Wo denken Sie hin? Sowas haben vielleicht die Maschinentrakte der NEW CALIFORNIA, aber doch nicht so ein kleines Raumboot!”

“Wie soll sie das wissen, Gao?”, sagte Fu Davis. “Während ihrer Ausbildungsflüge und taktischen Übungen mit solchen Kisten, ist sicherlich niemals der Ernstfall eines Traser-Treffers eingetreten.”

Die Erkenntnis, dass sie jetzt vollkommen hilflos in ihrer kosmischen Nussschale durch das All trieben, erreichte Sunfrost tröpfchenweise. Vielleicht wehrte sie sich innerlich einfach zu sehr dagegen, sich eingestehen zu müssen, dass ihre erste Mission in einem Desaster geendet hatte.

Das Schiff beschädigt und manövrierunfähig, der Feind entkommen - keine besonders gute Bilanz für mein erstes Kommando, ging es ihr durch den Kopf.

“Es kann nur besser werden”, stellte Tahano fest. “Unsere Lage, meine ich.”

“Richten Sie einen Funkspruch an Raumfort Matthews, Crewman Delan”, befahl Sunfrost. “Wir brauchen dringend Unterstützung. Geben Sie außerdem die Warnung weiter, dass sich ein Qriid-Schiff in unserer Nähe befindet und auf der Flucht ist. Senden sie sämtliche Daten darüber, damit sich Commander Sörensen ein Bild von dem Problem machen kann.”

“Aye, Captain”, bestätigte Seku Delan. “Es wird allerdings mindestens eine halbe Stunde dauern, bis die Botschaft ankommt.”

“Wieso?”

“Das vergaß ich zu erwähnen. Die Energiezelle, die zurzeit noch Ortung und Kommunikation speist, ist zu schwach für den Sandström-Funk.”

“Wir haben also keinen Überlichtfunk.”

“Richtig.”

Sunfrost seufzte. “Dann erhält der Commander die schlechte Nachricht eben etwas später”, murmelte sie.

“Wenn Sie wirklich so sehr darauf Wert gelegt hätten, dass Commander Sörensen rechtzeitig informiert wird, hätten Sie das unmittelbar nach Ausbruch des Gefechts anordnen sollen”, sagte Seku Delan. “Aber Ihnen war es offensichtlich wichtiger, Jagd auf diesen Qriid-Raumer zu machen und ihn selbst zu erledigen, anstatt Hilfe zu holen.”

“Das ist nicht wahr!”

“Ach nein? Dann haben Sie die Meldung einfach vergessen?”

“Sie hätten die Meldung an Raumfort Matthews durchführen können.”

“Ohne oder sogar gegen Ihren Befehl, Captain?” Seku Delan schüttelte den Kopf. “Wohl kaum.”

“Es steht Ihnen nicht zu, das zu beurteilen, Crewman Delan.”

“Sie haben Probleme damit zuzugeben, einen Fehler gemacht zu haben. Vielleicht sogar einen schweren Fehler, der dazu geführt hat, dass die DEFIANT-29 ein Haufen Schrott und der Qriid-Raumer auf und davon ist, sodass ihn wahrscheinlich selbst ein größerer Flottenverband zwischen all den herumgeisternden Kleinplaneten und Asteroiden nicht mehr aufspüren könnte. Aber Sie haben Recht, es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Das wird Commander Sörensen schon erledigen, glaube ich.”

“Lass es gut sein, Seku!”, wandte sich Tahano an den Kommunikations- und Ortungstechniker.

“Ich sage kein Wort mehr”, knurrte Delan, der damit seinem Ärger auf ziemlich ausführliche Weise Luft gemacht hatte.

Und auf eine Weise, die nun wirklich jedweder Disziplin an Bord widersprach.

Das Problem ist nur, dass er vollkommen Recht hat, erkannte Sunfrost in diesem Moment. Eine schmerzhafte Erkenntnis. Aber sie ließ sich jetzt nicht mehr einfach ignorieren.

Zum ersten Mal fragte sich Sunfrost, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, dieses Kommando anzustreben.

Vielleicht lag Admiral Raimondo mit seiner Meinung richtig und ich hätte besser eine Position als Offizier auf einem Leichten Kreuzer angenommen.

Sunfrost wandte sich schließlich an Seku Delan.

“Sie haben vollkommen Recht, Crewman Delan. Möglicherweise habe ich einen Fehler gemacht und eine Entscheidung getroffen, die nicht angemessen war. Sie werden sich wohl oder übel damit abfinden müssen, dass Ihr Captain keine unfehlbare Maschine ist.”

Seku Delan hob den Blick und sagte nichts weiter dazu.

Tahano meldete sich zu Wort und warf ein: “Vielleicht ist es ganz gut, dass keine direkte Kommunikation möglich ist und immer etwas Zeit zwischen der Erstnachricht und Antwort vergeht.”

Sunfrost runzelte die Stirn. “Was meinen Sie damit, Tahano?”

“Nun, ich denke, es wird Commander Sörensen etwas verwirren, dass Sie ihm nun eine Nachricht über ein Qriid-Schiff in unserem Sektor schicken, wo Sie doch vor kurzem noch eine Mitteilung mit gegenteiligem Inhalt gemacht haben.”

Und dass die aus taktischen Grünen gemacht wurde, davon kann Sörensen natürlich nichts ahnen, ging es Sunfrost siedendheiß durch den Kopf. Laut sagte sie: “Das ist leider nicht zu ändern. Ich hoffe, Commander Sörensen hat einen gnädigen Tag.”

“Für gnädige Tage ist der Commander eigentlich nicht bekannt”, eröffnete Tahano. “Sind Sie ihm bei anderer Gelegenheit schonmal begegnet?”

“Nein.”

“Dann erschrecken Sie nicht. Angeblich soll seine schlechte Laune das Space Army Corps genauso viele Abgänge gekostet haben wie die Verluste des Qriid-Krieges.” Tahano grinste. “Aber das ist wahrscheinlich nur ein maßlos übertriebenes Gerücht.”

*

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BIS DIE ANTWORT AUS Fort Matthews eintraf, war das Qriid-Schiff inzwischen verschwunden.

Verschwunden in dem Sinn, dass es von der DEFIANT-29 aus nicht mehr zu orten war. Das konnte viele Ursachen haben. Vielleicht befand sich der flüchtende Qriid-Raumer einfach im Ortungsschatten eine der unzähligen vagabundierenden Kuiper Belt Objekts. Es war auch denkbar, dass es einfach nur mit den derzeit eingeschränkten Möglichkeiten der Bordsysteme zu tun hatte. Die Energiezelle, die im Moment Ortung und Kommunikation notdürftig aufrecht erhielt, wurde mit der Zeit schwächer und schwächer. Zudem gab es ja eine Reihe von massiven Außenschäden an der DEFIANT-29. Schäden, die Sensoren und Kameras mit einschlossen und ebenfalls dazu beitrugen, dass das wichtigste Gerät zur Orientierung im Augenblick das frontale Sichtfenster war.

Und da war auch nur deshalb etwas zu sehen, weil die Vorderfront der DEFIANT-29 derzeit nicht in Richtung des Tempels und seines weiten, abgrundtief finsteren Schattens ausgerichtet war.

“Möchten Sie die Botschaft von Commander Sörensen sehen, Captain?”, fragte Seku Delan.

“Sicher”, gab Sunfrost etwas säuerlich zurück. Was denn sonst? “Es sei denn, Ihre Energiezelle hält das nicht mehr aus!”

“Das wird nicht unser größtes Problem sein, Captain. Aber aus Gründen der Energieersparnis werde ich die Botschaft nur auf dem Display meiner Konsole abspielen. Im Energiesparmodus.”

“In Ordnung”, sagte Sunfrost.

“Sie werden aufstehen müssen, um etwas zu sehen, Captain. Von Ihrem Platz aus dürfte das nicht klappen.”

“Ich danke Ihnen für den Hinweis, Crewman Delan.”

Rena Sunfrost schnallte sich ab, bewegte sich auf Delan zu und fühlte sich dabei, als würde sie auf Eiern laufen. Außerdem war ihr schwindelig. Die künstliche Schwerkraft funktioniert auch nicht mehr, erkannte sie. Hätte ich eigentlich ahnen können...

Sie schwebte etwas nach vorn, hielt sich an einer der Konsolen fest und blickte auf Seku Delans Anzeige.

Das Gesicht eines Mannes mit markantem Gesicht und hoher Stirn erschien dort. Die Falten um die Mundwinkel hatten sich auf eine Weise in seine Züge eingegraben, dass man wohl annehmen musste, dass der Verdacht auf ständig schlechte Laune nicht ganz aus der Luft gegriffen war.

Eine Frohnatur sieht jedenfalls anders aus, dachte Sunfrost. Aber wer weiß, wie ich aussehen würde, wenn ich auf einen Posten im kosmischen Geröllfeld abkommandiert wäre. Einen Ort, gegen den selbst eine viele Lichtjahre weit entfernte Kolonialwelt wie ein Hort menschlicher Zivilisation wirkt...

“Guten Tag, Lieutenant Sunfrost”, eröffnete Commander Sörensen. “Ich will mich mit den merkwürdigen Begleitumständen Ihres Einsatzes nicht lange aufhalten. Darüber werden Sie mir bei Ihrer Ankunft im Raumfort Matthews ausführlich Bericht erstatten. Es ist Hilfe für Sie unterwegs. Glücklicherweise operiert zur Zeit der Leichte Kreuzer PLUTO unter Commander Van Doren in der Nähe. Es könnte trotzdem noch etwas Stunden dauern, bis die PLUTO bei Ihnen eintrifft. Halten Sie solange durch. Alle Einzelinformationen der Hilfsaktion werden in einem gesonderten Datensatz übertragen. Sörensen, Ende!”

Das Gesicht des Commanders verschwand.

“Ich würde sagen, das war ein milder Tag des Commanders”, kommentierte Fu Davis.

“Und ich würde sagen, das dicke Ende kommt noch”, fügte Delan hinzu. “Zumindest für Lieutenant Sunfrost. Wir sind ja nur willige Befehlsempfänger.”

“Auf den Schiffen, auf denen ich bisher gedient habe, verstanden sich die Besatzungsmitglieder als Teil einer Crew, Mister Delan. Es ist bedauerlich, dass Sie das offenbar anders sehen.”

––––––––

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EINIGE AUGENBLICKE herrschte Schweigen. Sunfrost bewegte sich indessen wieder auf ihren Platz zu und schaffte es schließlich, sich erneut auf dem Kommandantensitz festzuschnallen.

Innerlich kochte sie.

Diese Crew respektierte sie nicht. Und sie fühlte den starken Impuls, auf diesem Respekt zu bestehen. Es mochte ja sein, dass sie übereilt gehandelt und vor allem, einen schweren Fehler begangen zu haben, als sie nicht unverzüglich nach Ausbruch des Gefechts eine Nachricht an Commander Sörensen gesandt hatte - zu einem Zeitpunkt, als im Übrigen auch noch Überlichtfunk zur Verfügung stand und die Botschaft Raumfort Matthews unverzüglich erreicht hätte.

Bislang war Sunfrost gewohnt, dass sie Befehle ausführte und andere die Entscheidungen trafen - oder unterließen.

Genau das hatte sich aber nun verändert.

In dem Moment, als sie dieses Kommando übernommen hatte, war sie diejenige, auf der die Verantwortung lastete. Es gab niemanden, auf den sie diese Last abschieben konnte.

In diesem Augenblick wurde ihr der Unterschied erst so richtig bewusst.

Das bedeutete es also, ein Kommando zu führen!

Und was den mangelnden Respekt anging, lag ihr vieles auf der Zunge, was sie dazu hätte sagen können. Aber sie schluckte es herunter.

Respekt muss man sich verdienen, wurde ihr klar. Das gilt auch für mich.

Ihn einfach nur einzufordern wirkte lächerlich.

Mein Kommando hatte einen Start, wie er schlechter nicht hätte sein können, dachte sie. Aber vielleicht erhebt sich dieser flügellahme Phönix ja doch noch majestätisch in die Lüfte...

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DIE LEBENSERHALTUNGSSYSTEME arbeiteten nicht mehr. Seku Delan sandte eine letzte Nachricht an Fort Matthews. Dann aktivierte er einen Peilsender, der es der Crew der PLUTO unter Commander Van Doren leichter machen würde, das dahintreibende Raumboot ausfindig zu machen. Ein so kleines Objekt hier, im Großschatten des Tempels zu finden, war ohnehin schon schwierig genug.

“Die Sauerstoffwerte sind dramatisch gefallen”, meldete Seku Delan. “Wir sollten jetzt die Druckanzüge anlegen.”

“Gut”, stimmte Sunfrost zu.

Die Sauerstoffpatronen der Druckanzüge hielten eine ganze Weile. Außerdem gab es noch die Sauerstoffpatronen der Schlafsärge.

Notfalls konnte man die auch für die Druckanzüge verwenden.  Sich gleich in Dracula’s Home zu legen und dort die autonome Sauerstoffversorgung einzuschalten, war in dieser Situation reine Energieverschwendung, denn das Innenvolumen eines dieser Schlafsärge, dessen Luftinhalt mit Sauerstoff angereichert werden musste, war sehr viel größer, als es bei einem normalen Druckanzug der Fall gewesen war.

Und da keinerlei Explosionsgefahr oder dergleichen bestand, wäre es auch wenig sinnvoll gewesen, sich mit den Särgen vom Typ Dracula’s Home abzusprengen und deren Tauglichkeit als Rettungskapseln auszutesten.

Nacheinander legten die Mitglieder der Crew den Druckanzug an. Da nach Ausfall der von den Antigrav-Aggregaten erzeugten künstlichen Schwerkraft nun Schwerelosigkeit innerhalb der DEFIANT-29 herrschte, war das gar nicht so einfach.

Sunfrost erinnerte sich zwar an einige Kurse während ihrer Akademie-Ausbildung, in denen man lernen konnte, sich unter Schwerelosigkeit richtig und effektiv zu bewegen und Verletzungen zu vermeiden, aber wirklich verinnerlicht hatte das wohl keiner der Absolventen.

Die Raumfahrer der frühen irdischen Weltraum-Ära, die noch ohne künstliche Schwerkraft auszukommen gewohnt waren, hatten sich daran gewöhnen müssen. Genauso, wie sich die die ersten irdischen Siedler des Mars an die geringe Schwerkraft ihrer neuen Heimat gewöhnt und sich dadurch sogar körperlich verändert hatten.

Aber seit der Erfindung der Antigrav-Technologie war das Geschichte.

Schwerelosigkeit oder auch nur gegenüber dem Erdniveau verminderte Gravitation war etwas Theoretisches geworden.

Etwas, dass die meisten Raumfahrer nur am eigenen Leib erfuhren, wenn irgend etwas gründlich daneben gegangen war: Bei Unfällen und Systemausfällen.

Nichts, woran man sich wirklich gewöhnen wollte.

Einen Druckanzug unter diesen Bedingungen allein anzuziehen war schwierig. Tahano half Seku Delan dabei. Anschließend auch Fu Davis.

Nachdem Davis auch Crewwoman Gao in den Anzug geholfen hatte, wandte diese sich an Sunfrost.

Sunfrost quälte sich gerade ziemlich dabei ab, sich in den Druckanzug zu zwängen. Allein.

“Brauchen Sie Hilfe, Madam?”

Sunfrost lag die ablehnende Erwiderung bereits auf der Zunge. Erstens hasste sie es, Hilfe anzunehmen und zweitens hatte sie das Gefühl, dann schwach und hilflos zu erscheinen. Zwei Dinge, die sie in ihrer Position unbedingt vermeiden musste, wie sie glaubte.

Aber dann stimmte Sunfrost nach kurzem Zögern doch zu.

Es scheint eine Art Friedensangebot zu sein, ging es ihr durch den Kopf. Wer weiß, wann das nächste kommt, wenn ich dies einfach ablehne und Gao damit vor den Kopf stoße?

Also sagte die Kommandantin: “Gerne, Crewwoman Gao.”

Sunfrost hatte nicht das Gefühl, dass Gao bei dieser Prozedur wirklich eine große Hilfe war.

Die mangelnde Harmonie war überdeutlich. Sie kam in jeder asynchronen Bewegung der beiden zum Ausdruck. Daran war wohl erstmal nichts zu ändern.

Aber Gao hatte immerhin guten Willen.

Und das, so fand Sunfrost, war schließlich auch was wert.

*

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“SAUERSTOFFGEHALT SINKT weiter”, stellte Seku Delan fest. “Nicht mehr lange und wir sind auf dem Niveau des Mount Everest-Gipfels.”

“Ehe wir ohnmächtig werden, schließen wir besser die Helme”, sagte Sunfrost.

Die Helme der Druckanzüge bestanden aus einem transparenten Glasfaser-Kunststoff, der ähnliche Eigenschaften besaß wie die Sichtfenster der DEFIANT-29. Ein integrierter Chip stellte sich auf die Lichtverhältnisse ein. Außerdem war das hauchdünne Material variabel formbar. Man faltete den Helm einfach aus dem Kragen des Druckanzugs heraus, sodass er anschließend den Kopf wie eine Käseglocke überwölbte.

“Tja, wenn uns jetzt hier drinnen zu stickig wird, können wir ja vor die Tür gehen", meinte Brent Tahano.

Eine Bemerkung, die wohl die etwas angespannte Stimmung über den absoluten Nullpunkt der Weltraumkälte hinaus anheben sollte.

Aber diese Bemühungen gingen ganz offensichtlich ins Leere.

Crewwoman Gao verdrehte die Augen, bevor sie den Helm schloss. Ihre Stimme klang danach ziemlich dumpf, da sie aus Energieersparnisgründen nicht den Helmfunk oder den Außenlautsprecher eingeschaltet hatte. War ja auch nicht nötig, schließlich umgab sie kein Vakuum, sondern nur eine Atmosphäre mit irdischen Druckverhältnissen, die allerdings inzwischen einen so hohen Kohlendioxidgehalt hatte, dass man kaum noch eine Kerze hatte anzünden können. Schlimmer war, dass man früher oder später davon ohnmächtig wurde.

"Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn wir weniger reden”, meinte Gao. "Das spart auch Sauerstoff."

"Klar", gab Brent Tahano zurück. "Und am Besten, wir verzichten auch gleich noch auf das Ausatmen. Das ist die allerbeste Vermeidung einer Kohlendioxid-Kontamination unserer Atemluft. Und wenn wir das irgendwie geschafft haben, dann lassen wir uns das patentieren und schlagen es in Zukunft als Standardvorgehensweise auf allen Einheiten des Space Army Corps vor. Das wird die Mitglieder des Humanen Rates freuen, weil man dann nämlich auf allen Schiffen die Lebenserhaltungssysteme einsparen kann. Ein Kostenpotenzial steckt da drin, sage ich euch..."

"Du redest mal einen Quatsch, Brent", sagte Gao auf eine Weise, die gleichzeitig herablassend und vertraut wirkte.

Vielleicht auch auf eine Weise herablassend, wie sie nur unter einander sehr vertrauten Menschen vorkam.

Sunfrost fiel das gleich auf.

Genau wie der Umstand, dass Gao Fähnrich Tahano zum ersten Mal beim Vornamen angeredet hatte.

Langsam begreife ich, wie hier die Fronten verlaufen, ging es Sunfrost durch den Kopf. Wer hätte gedacht, dass selbst eine so kleine Crew ein derart kompliziertes Sozialleben birgt?

Nach Sunfrosts subjektivem Empfinden dauerte es unendlich lange, bis endlich der erlösende Funkspruch der PLUTO eintraf. Es war eine reine Audiobotschaft.

Offenbar hatte Kommandant Van Doren bedacht, dass Energie auf der DEFIAN-29 vermutlich im Moment sehr knapp war und man besser nichts davon für die optische Darstellung eines Commanders auf irgendeinem Display verschwendete.

"Hier Van Doren", meldete sich eine tiefe, Gelassenheit ausstrahlende Stimme. “Wir werden in Kürze Ihre Position erreichen. Geben Sie uns einen detaillierten Schadensbericht, damit wir entsprechende Vorkehrungen treffen können."

Die PLUTO war offenbar inzwischen nahe genug herangekommen, um bereits auch über Unterlichtfunk zu kommunizieren.

“Hier Lieutenant Sunfrost. Es freut mich, dass Sie uns holen kommen. Alle Schiffssysteme sind ausgefallen, Ersatzenergie für die Kommunikation reicht noch für ein paar Stunden. Die Sauerstoffpatrone meines Druckanzugs ist so gut wie leer, was bei den anderen vier Besatzungsmitgliedern ebenfalls der Fall sein dürfte, da wir die Anzüge ungefähr zur selben Zeit angelegt und aktiviert haben. Allerdings haben wir noch die Ersatzpatronen der Schlafsärge.”

“Schlafsärge?”, echote Commander Van Doren. “Es ist lange her, dass ich während meiner Ausbildung auf der Akademie ein Raumboot dieser Art geflogen habe und in Dracula’s Home lag. Ich wusste gar nicht, dass die Dinger überhaupt noch in Gebrauch sind...”

“Manches ändert sich eben nicht so schnell, Sir.”

“Scheint so. Wir haben Ihretwegen einen Zwischenraumflug innerhalb des Kuiper-Gürtel durchführen müssen und sind gerade ins Normaluniversum zurückgefallen. Unsere Austrittsgeschwindigkeit ist noch sehr hoch. In ca. 8-10 Stunden können wir bei Ihnen sein.”

“Verstanden, Sir. Wir haben Sie allerdings noch nicht auf dem Schirm.”

“Wir Sie auch nicht, Lieutenant. Das liegt vermutlich daran, dass wir relativ zueinander im Ortungsschatten liegen. Allerdings kann mein Kommunikationsoffizier Ihr schwaches Peilsignal empfangen und zusammen mit Ihren Positionsdaten, die Sie an Raumfort Matthews geschickt haben, werden wir nicht an Ihnen vorbeifliegen...”

“Es ist sehr dunkel hier. Wir befinden uns noch immer im Schatten des Tempels.”

“Den kann niemand verfehlen, Lieutenant. Seien Sie trotzdem geizig mit Ihrer Restenergie und dem Sauerstoff. Sie wissen ja, wie das ist. Wenn wir auf den letzten Metern nicht die passende Abbremsgeschwindigkeit erreicht haben oder zwischenzeitlich einem der zahllosen Objekte ausweichen müssen, die hier so herumfliegen, dann kann sich der von mir angegebene Zeitraum noch etwas verlängern.”

“Aye, aye, Sir.”

“Gibt es unter Ihren Leuten irgendwelche medizinischen Probleme?”

“Negativ, Commander.”

“Dann sehen wir uns in ein paar Stunden.”

“Commander?”

“Sie haben noch eine Frage?”

“Haben Sie in Ihren Ortungsdaten irgend einen Hinweis auf den Verbleib des Qriid-Schiffs, das uns begegnet ist?”

“Negativ, Lieutenant.”

“Es war ein kleines Raumfahrzeug und daher ist es wahrscheinlich nur ein Beiboot gewesen. Es könnte also sein, dass sich in der Nähe noch das Mutterschiff befindet.”

“Seien Sie versichert, dass alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet sind, Lieutenant. Wir suchen mit Argusaugen nach dem Eindringling.”

“Ja, Sir, natürlich.”

“Van Doren, Ende.”

––––––––

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“KÖNNTE SEIN, DASS DIE Zeit des Friedens vorbei ist”, sagte Fu Davis mitten in die Stille hinein. Er klang sehr dumpf unter seinem Helm.

“Es war nie ein Frieden”, sagte Sunfrost. “Nur ein Rückzug der Qriid. Ich bin die Entscheidungsschlacht im Tridor-System Dutzende von Malen taktisch durchgegangen. Die Qriid hätten sie gewinnen können und haben diesen Vorteil aus einem wichtigen Grund aufgegeben. Mutmaßlich, weil ihr Aarriid verstarb und ein Nachfolger eingesetzt werden musste. Aber nicht mal das wissen wir mit letzter Sicherheit. Genauso wenig wissen wir etwas drüber, unter welchen Bedingungen ihre Religion diesen Glaubenskriegern vorschreibt, wieder gegen die Menschheit in den Krieg zu ziehen. Das kann von heute auf Morgen geschehen, und das, was wir erlebt haben, war vielleicht der Anfang davon...”

“Vielleicht sollten Sie einen Job als Dozentin für die Geschichte des Space Army Corps auf der Akademie anstreben”, meldete sich Seku Delan zu Wort.

Ein vergiftetes Kompliment, dachte Sunfrost. Man hat zwei Möglichkeiten: Es zu ignorieren oder in die Falle hineinzutappen.

Und es gibt eine Dritte.

Etwas Unerwartetes tun.

“Ich glaube, auf der Space Army Corps Akademie gibt es eher Bedarf an guten Praktikern, die mit Ihrer Erfahrung helfen könnten, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und eingetretene Pfade zu verlassen”, sagte Sunfrost.

“Da sprechen Sie dann aber nicht von sich selbst, oder?”

“In diesem Zusammenhang spreche ich eher von Leuten wie Ihnen, Crewman Delan. Oder würden Sie sich das nicht zutrauen?”

Seku Delan schwieg.

Und Sunfrost auch.

Die Stunden bis zum Eintreffen der PLUTO krochen dahin, zumal die Ortung schließlich vollkommen ihren Geist aufgab. Die Restenergie verwendete Delan für das Peilsignal. Schließlich war es wichtiger, dass Commander Van Doren und seine Crew die DEFIANT-29 orten konnte als umgekehrt. Und so bemerkten die Crewmitglieder die Rettungsmission erst, als die PLUTO auf dem Sichtfenster auftauchte. Sie war ein vom Sternenlicht beschienenes, sich bewegendes Objekt. Ein Wanderstern, so wirkte sie aus der Ferne, ehe sie in der Dunkelheit des Tempelschattens verschwand.

Erst als sie dann die DEFIANT-29 beinahe erreicht hatte, war der Leichte Kreuzer von Commander Van Doren wieder zu sehen - diesmal als dunkles, schattenhaftes Gebilde, lediglich erhellt durch ein paar Lichtquellen an der Außenhülle des Schiffs der Scout-Klasse. Sternenkrieger nannte man diese Klasse auch, obwohl das nicht der offizielle Name dieser Klasse von wenigen Kriegsschiffen war. Die Prototypen dieses Schiffstyps waren die STERNENKRIEGER und die JUPITER gewesen. Letztere war ziemlich bald nach Fertigstellung zerstört worden.

Vielleicht lag es daran, dass man die STERNENKRIEGER nun mit der ganzen Klasse Leichten Kreuzer gleichsetzte.

*

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EIN STAHLSEIL WURDE aus einer Öffnung an der Außenhülle der PLUTO hinausgeschleudert. Am Ende befand sich eine chipgesteuerte Magnethalterung und ein Massetaster. Im Inneren der DEFIANT-29 gab es einen Knall, als die Magnethalterung auf die Außenhülle traf und sich dort befestigte. Anschließend ging ein Ruck durch das Beiboot.

“Dürfte wohl heißen, dass wir im Schlepp sind”, stellte Brent Tahano fest.

Aus dem Hangar der PLUTO wurde daraufhin eines der beiden Beibote ausgeschleust.

Es dauerte eine Weile, bis es an der Luftschleuse des Beibootes andockte.

Zuerst passierte Tahano die Schleuse, dann Gao und Delan. Fu Davis zögerte noch.

“Gehen Sie, Crewman”, sagte Sunfrost.

“Der Captain verlässt als letzter das sinkende Schiff, nicht wahr?”

“So ist es.”

“Ich wollte Ihnen noch etwas sagen, Captain.”

“Dann tun Sie es.”

“Etwas, das unter vier Augen gehört. Und ich weiß nicht, wann sich dazu die nächste Gelegenheit ergibt.”

“Ich bin ganz Ohr. Aber lassen Sie die Crew des Beibootes nicht zu lange warten.”

“Ihre Taktik gegen den Qriid-Eindringlinge war gewagt und ist vielleicht auch daneben gegangen. Ich war nicht auf der Akademie und deswegen würde ich mich nie trauen, das zu beurteilen, Madam.”

“Daran tun Sie sicher gut.”

“Allerdings hätte nicht viel gefehlt und es hätte geklappt. Tut mit leid, dass ich mit meinen Geschützen nicht getroffen habe. Aber Sie wissen ja, wie das mit diesen kosmischen  Gauss-Schrotbüchsen ist...”

“Allerdings.”

“Wenn es geklappt hätte, wären wir jetzt alle Helden. Jetzt sind wir vermutlich die Deppen und Commander Sörensen wird Ihnen in unser aller Stellvertretung die Ohren langziehen.”

“Ja, da haben Sie sicher Recht. Erfolg und Desaster liegen manchmal sehr nahe beieinander.”

“Jedenfalls war Ihr Plan, den Qriid-Raumer aus diesem steingewordenen Riesen Schweizer Käse, den wir Tempel nennen, herauszulocken, indem Sie eine falsche Nachricht an Fort Matthews schickten, in meinen Augen genial. Sie hätten den Erfolg verdient gehabt.”

“Danke, Crewman.”

“Nichts für ungut. Das bevorstehende Gespräch mit Commander Sörensen nehmen Sie am Besten hin wie schlechtes Wetter.”

Sunfrost lächelte verhalten.

“Wie macht man das?”

“Abwarten, bis es vorbei ist.”

“Ich konnte schlechtes Wetter noch nie leiden.”

“Ich auch nicht.”

“Dann sind wir ja beide im Weltraum ganz gut aufgehoben, denke ich.”

“Ja, Madam.”

Daraufhin passierte auch Crewman Fu Davis die Schleuse.

Ein Anfang, ging es Sunfrost durch den Kopf. Sie ließ noch einmal kurz den Blick schweifen. Wahrscheinlich lernt man aus Niederlagen am meisten. So heißt es doch immer. Ich will hoffen, dass es wahr ist.

*

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DER PILOT DES BEIBOOTES, das Sunfrost und ihre Crew aus dem Wrack der DEFIANT-29 geholt hatte, hieß Blacksmith und verstand sein Handwerk.

Sunfrost bewunderte insgeheim, mit welcher Zielgenauigkeit er die Fähre zurück zum Hangar-Eingang der PLUTO steuerte.

Gleichzeitig vollführte der Leichte Kreuzer eine bogenähnliche Kursänderung. Die DEFIANT in ihrem Schlepptau wurde dabei mitgezogen. Auch das stellte an den Rudergänger eine erhöhte Anforderung. Schließlich sollte das abgeschleppte Raumboot ja nicht an einem der zahllosen vagabundierenden Brocken zerschellen.

“Ihr Raumboot scheint ein Stück Schrott geworden zu sein”, sagte Blacksmith. “Nach den Orter-Daten haben Sie einiges abgekriegt.”

“Wir sind noch am Leben”, sagte Sunfrost.

“Ja, immer positiv denken. Sag ich auch immer.”

“Hauptsache, Sie konzentrieren sich nun auf den Einflug in den Hangar und bringen uns nicht noch auf den letzten Metern um, Crewman Blacksmith.”

“Keine Sorge, so etwas mache ich im Schlaf und ohne hinzusehen, Lieutenant.”

“Na, wenn Sie das sagen.”

“Sehen Sie einem Meister bei der Arbeit zu. Die Fähre ist praktisch ein Teil meines Körpers.”

Blacksmith lenkte das Beiboot in einem bogenförmigen Kurs über die PLUTO hinweg. Dabei kam er sehr nahe an die Außenhülle des Leichten Kreuzers heran. Deutlich waren die seitlich hervorragenden Gauss-Kanonen zu sehen. Vier mal vierzig Geschütze, deren Projektile auf einmal durch die elektromagnetischen Beschleuniger-Röhren der Kanonen geleitet wurden. Wenn sich ein Schiff wie die PLUTO um die eigene Achse drehend in die Formation feindlicher Raumer förmlich hinbohrte, war so ein Leichter Kreuzer eine sehr wirksame Waffe.

Blacksmith flog einen letzten Bogen, korrigierte noch einmal den Kurs und Sunfrost stellte mit Erleichterung fest, dass sich das Hangartor bereits öffnete. Sonst wäre es knapp geworden, dachte Sunfrost.

Wenig später stiegen sie aus.

Das Hangartor hatte sich da bereits geschlossen. Die im Hangar befindliche Atemluft war durch die künstliche Schwerkraft der Antigrav-Aggregate während der Einflugphase gehalten worden.

Die Anzeigen, die auf die Innenseite ihres transparenten Druckhelms projiziert wurden, zeigten, dass Erdbedingungen herrschten und sie den Helm abnehmen konnte.

Sunfrost klappte ihn in den Kragen hinein.

Links befand sich ein weiteres Beiboot, vorzugsweise für Landeoperationen auf einem Planeten geeignet.

“Sie sehen ja, dass hier wenig Platz ist”, sagte Blacksmith, der ebenfalls ausgestiegen war, an Sunfrost gewandt.

“Ich hatte mich schon etwas darüber gewundert, dass Commander Van Doren die DEFIANT-29 ins Schlepp nehmen, anstatt in den Hangar ziehen wollte”, gestand Sunfrost. “Denn für den Rudergänger stelle ich mir die weitere Reise nach Raumfort Matthews jetzt nicht gerade als das ganz große Vergnügen vor.”

“Stimmt”, nickte Blacksmith. “Schonmal auf einem größeren Schiff gewesen, als einem DEFIANT-Raumboot?” Er grinste. In seinen Worten schwang Sarkasmus mit.

Schließlich war Sunfrost ja nur die Kommandantin eines Raumbootes.

Dass sie zuvor auf einem großen Schlachtschiff gedient hatte, konnte Blacksmith ja nicht ahnen.

“Kann sein”, gab Sunfrost zurück. “Auf der NEW CALIFORNIA waren die Hangars so groß, dass selbst die PLUTO dort hätte einfliegen können - vorausgesetzt, sie wäre für Landungen überhaupt konstruiert.”

Blacksmith sah sie etwas verdutzt an. Dann sagte er. “Auf den Leichten Kreuzern ist eben nicht viel Platz. Gilt leider auch für die Kabinen. Der Captain hat schon angedeutet, dass wir Ihretwegen alle ein bisschen zusammenrücken werden.”

“Wie lange rechnen Sie für den Flug nach Fort Matthews?”

“Unter normalen Umständen ein Katzensprung. Aber mit Ihrer Schrottkiste im Schlepp...” Crewman Blacksmith zuckte mit den Schultern. “Fragen Sie mal den Captain oder noch besser: Gleich den Rudergänger. Ich würde schätzen, dass wir vier bis fünf Tage unterwegs sind, weil wir einfach keine hohen Beschleunigungswerte wagen können. Nicht mit so einer Schleuder am Heck!”

“Verstehe.”

*

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ETWAS SPÄTER EMPFING Commander Van Doren Sunfrost in seinem Captain’s Room. Der grenzte direkt an die Brücke an. Ein Besprechungszimmer, das gerade Platz genug für die Offiziere an Bord bot.

“Hat man Ihnen schon gezeigt, wo Sie die nächsten Tage unterkommen?”

“Nein, Sir, ich hatte gerade mal Gelegenheit, mir den Druckanzug abzustreifen.”

“Soweit ich meinen Ersten Offizier gerade richtig verstanden habe, wird Ihnen Lieutenant Mendoza in ihrer Kabine etwas Platz machen. Sie ist unsere Kommunikationsoffizierin. Da der Weg hier her über die Brücke führt, dürften Sie sie zumindest flüchtig gesehen haben.”

“Ja, Sir, habe ich. Es tut mir Leid, dass wir Ihnen Umstände machen.”

Commander Van Doren lächelte mild. “Keine Ursache. Dies ist wahrscheinlich mein letzter Einsatz mit der PLUTO und da ich mich an Crew und Schiff in den letzten Jahren sehr gewöhnt habe, habe ich nichts dagegen, dass sich mein letzter Flug mit diesem Sternenkrieger-Kreuzer noch etwas hinziehen wird...”

“Sie übernehmen ein neues Kommando?”

“Ja. Wir waren schon auf dem Sprung zur Erde. Aber mir fällt kein Zacken aus der Krone, wenn ich ein paar Wochen später vom Commander zum Captain befördert werde. Und der Zerstörer, den ihm übernehmen soll, operiert im Moment noch im Niemandsland. Eine Operation, die wohl auch etwas länger gedauert hat, als ursprünglich geplant...” Commander Van Doren aktivierte ein Fenster in der Bildwand. Eine dreidimensionale Übersichtskarte des Sol-Systems in großem Maßstab war darauf zu sehen. Die gegenwärtigen Positionen der äußeren Planeten waren verzeichnet. Die der inneren waren nicht zu erkennen, weil dazu der Maßstab nicht richtig gewählt war.

In der Drei-D-Karte wurde eine Position markiert. “Hier befinden wir uns”, stellte Van Doren fest. “Auf dem Weg hier hier erreichte uns eine Nachricht von Raumfort Matthews. Ein Frachter, der eine Kuiper-Gürtel-Minenkolonie anfährt, die fast hundert Astronomische Einheiten vom Tempel entfernt liegt, nämlich hier...” Van Doren markierte sie in der Darstellung. Die Position, die er angezeigt hatte, lag in einem wirklich sehr weit entfernten Gebiet des Kuiper-Gürtels. Zweieinhalb mal die Strecke Sonne-Neptun war das. Eine weite Reise für unterlichtschnelle Raumschiffe. Selbst dann, wenn sie mit den modernste und besten Triebwerken ausgestattet waren. “...dieser Frachter will ebenfalls ein Qriid-Schiff geortet haben.”

“Ist das sicher?”, fragte Sunfrost.

Van Doren zuckte mit den Schultern. “Was heißt schon sicher? Der Pilot des Frachters war überzeugt davon. Natürlich ist er kein ausgebildeter Ortungsoffizier des Space Army Corps, kennt von der Akademie auf Ganymed nicht einmal den Namen und ist ansonsten froh, wenn er in dieser Geröllwüste namens Kuiper-Gürtel den richtigen Brocken findet, auf dem die Minenbetreiber auf ihn warten”

“Andererseits wurden doch während des Qriid-Krieges alle zivilen Raumfahrer mit entsprechenden Informations- und Lernprogrammen versorgt, damit sie auf verdächtige Signaturen achten können und sie erkennen!”

Van Doren nickte. “Sicher. Aber fragen Sie mich nicht, wie groß der Prozentsatz derer ist, die sich mit diesen Programmen wirklich auseinandergesetzt haben. Noch kleiner dürfte der Anteil jener sein, die die Software mit den Ortungssystemen ihrer Raumschiffe synchronisiert haben, so dass sie auch einsatzfähig sind.”

“Scheint bei diesem Frachtfahrer der Fall gewesen zu sein. Aber wenn das wahr ist...”

“Wie gesagt, es ist noch keine gesicherte Erkenntnis.”

“Gibt es Angaben über die Größe und Beschaffenheit des Qriid-Schiffs, das der Frachter geortet haben will?”

“Die Daten werden noch ausgewertet. Aber es spricht einiges dafür, dass es sich um eine sehr viel größere Einheit gehandelt haben könnte.”

“Aber wenn dieses zweite Qriid-Schiff so weit entfernt vom Tempel operierte, dann ist es unwahrscheinlich, dass es sich um ein Beiboot handelte.”

“Es könnte ein kleines, zur Spionage geeignetes Raumboot mit Überlichtantrieb gewesen sein. Dafür würden auch die leichten Sandström-Anomalien sprechen, die wir in dieser Gegend gemessen haben.”

Sandström-Anomalien...

Sunfrost wusste sehr gut, was das bedeutete.

Diese leichten Verzerrungen der Raumzeitstruktur traten nur auf, wenn es in dem betreffenden Gebiet innerhalb eines relativ kurzen Zeitintervalls einen Ein- oder Austritt in den Zwischenraum gegeben hatte.

Und da es im Abstand vieler Astronomischer Einheiten mit Ausnahme der PLUTO kein überlichtschnelles Schiff gegeben hatte, war das die einzig mögliche Erklärung.

“Die Qriid scheinen uns zu beobachten”, stellte Van Doren fest. “Und vielleicht warten sie nur auf einen günstigen Moment, um uns erneut zu überfallen. Das Schlimme ist nur, dass wir uns kaum wirksam dagegen wehren können, wenn es soweit ist.”

“Soweit ich weiß, macht Admiral Raimondo seinen politischen Einfluss geltend, um mehr Mittel für das Space Army Corps zu bekommen”, sagte Sunfrost.

“So viele Schlachtschiffe unsere Werften auch ausspucken mögen.... Wir wissen nicht, wo sie zuschlagen. Überall innerhalb des Einflussgebietes der Humanen Welten können sie plötzlich mit einer großen Flotte aus dem Zwischenraum hervortreten und angreifen. Und als Angreifer hat man in dieser Art von Krieg leider alle Trümpfe in seiner Hand.”

“Das klingt sehr deprimierend, wenn Sie mir die Bemerkung verzeihen, Sir.”

“Nein, das ist nur eine klare Analyse der Lage, in der sich die Menschheit befindet. Es will kaum jemand wahrhaben, aber wenn dieser Konflikt von Neuem aufflammt, stehen wir sehr schnell am Abgrund.”

*

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DIE TAGE AN BORD DER PLUTO gingen mit Routine dahin. Während die Crew der DEFIANT-29 ihre Zeit vorwiegend in einem der nicht gerade großzügig bemessenen Aufenthaltsräume verbrachte, bat Sunfrost Commander Van Doren darum, zum normalen Brückendienst an Bord eingeteilt zu werden.

Schließlich war sie ein Lieutenant des Space Army Corps und konnte im Prinzip sämtliche Funktionen übernehmen - abgesehen von der des Chefingenieurs, der eine Ingenieursausbildung haben musste.

So besetzte sie überwiegend die Konsole für Kommunikation und Ortung von Lieutenant Mendoza, die dadurch mehr Zeit für andere Aufgaben bekam, sodass die Offizierscrew der PLUTO insgesamt entlastet wurde.

Ganz uneigennützig tat Sunfrost das nicht.

Der Dienst an den Ortungsanzeigen ermöglichte ihr das zu tun, was sie ohnehin im Moment gerne getan hätte.

Sie suchte nach Signaturen von Qriid-Schiffen und Anzeichen für Sandström-Anomalien.

Es glich einer Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen, aber Sunfrost folgte ihrer Überzeugung. Der Überzeugung, dass diese Aktion der Qriid Teil eines größeren Plans sein mussten. Es war die Spitze des berühmten Eisbergs, von dem neun Zehntel unter der Wasseroberfläche und damit unsichtbar blieben. Ein Gefecht mit einer zwar kleinen, aber offenbar sehr kampffähigen Qriid-Einheit und auf der bisher noch ungesicherten Ortung eines zweiten Qriid-Schiffs 100 AE entfernt - das war alles, was es bis jetzt an Anhaltspunkten gab.

Zu wenig, um die Absichten des Gegners zu durchschauen.

*

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SUNFROST MODIFIZIERTE das Ortungsprogramm der PLUTO für ihre Zwecke. Ihre derzeitige und unfreiwillige Kabinengenossin Lieutenant Mendoza war davon alles andere als begeistert.

“Vielleicht sollten Sie mal bedenken, dass Sie hier nur Gast sind, Sunfrost”, sagte sie, während einer ihrer wenigen Begegnungen in der Kabine. Schließlich lagen ihre Dienstschichten nicht parallel. “Und so freundlich das ist, dass Sie uns alle bei der Erfüllung unserer Aufgaben etwas entlasten, ich glaube, Sie haben die unangenehme Eigenschaft, überall Unruhe hineinzubringen, wo eigentlich nur alles so weiterlaufen sollte, wie es bisher lief.”

“Es war keineswegs meine Absicht, Unruhe zu stiften”, erwiderte Sunfrost. “Aber sollte es sich bestätigen, dass die Qriid den einseitigen Waffenstillstand aufgegeben haben, dann kann ich Ihnen garantieren, läuft gar nichts, aber auch wirklich gar nichts so weiter wie bisher! Und das gilt dann für Milliarden Bürger der Humanen Welten. Ob im Sol-System, in den Wega-Kolonien oder bei New Hope und Capella.”

Lieutenant Mendoza blickte einige Augenblicke lang nachdenklich auf Sunfrost herab.

Sie war groß. An die zwei Meter maß Mendoza und Sunfrost hatte sie nie (außer im Bett) ohne das Antigrav-Pak auf ihrem Rücken gesehen, das dafür sorgte, dass sie sich unter der an Bord der PLUTO herrschenden künstlichen Gravitation auf Erdniveau überhaupt aufrecht halten konnte.

Lieutenant Mendoza war eine sogenannte Real Martian.

Sie stammte von den ersten menschlichen Siedlern auf dem Mars ab, die sich dort lange vor der Erfindung der Antigrav-Technologie angesiedelt und unter der viel geringeren Schwerkraft des Mars körperlich verändert hatten. Sie waren groß, feingliedrig und schwach. Zumindest, wenn sie sich außerhalb ihres Heimatplaneten aufhielten.

Die Real Martians waren unter den menschlichen Siedlern des Mars längst zu einer verschwindend kleinen Minderheit geworden, denn spätere Marsankömmlinge von der Erde hatten von Anfang an in Habitaten mit erdähnlichen Bedingungen gelebt. Das galt insbesondere auch für die Erzeugung von künstlichen Schwerkraftfeldern.

“Ich schätze, jemand mit einem so dicken Kopf, wie Sie ihn haben, lässt sich sowieso nicht belehren”, meinte Mendoza schließlich.

Sunfrost lächelte.

“Ich gebe mir Mühe, umgänglich zu wirken.”

Mendoza erwiderte das Lächeln. Verhalten zwar, aber sie erwiderte es. “Glauben Sie mir, ich habe in den letzten Tagen dasselbe gemacht, was Sie jetzt auch versuchen, Sunfrost. Ich habe versucht, das System so lange zu modifizieren, bis es mir aus dem ganzen eingehenden Datenwust der Sensoren das herausfiltert, was ich suche.”

“Sie haben doch etwas gefunden. Wie mir Commander Van Doren sagte, sind Sandström-Anomalien gefunden worden.”

“Der Beweis dafür, dass ein überlichtschnelles Schiff in der Nähe war, dessen Antrieb auf demselben Technologie-Prinzip beruht wie unser eigener Überlichtantrieb - ja. Aber ob das ein Qriid-Raumer war, oder ein interstellarer Frachter, der nur mal kurz Station im Kuiper-Gürtel gemacht hat, bevor er nach Wega, New Hope oder Mondahar weiterfliegt, kann niemand mit letzter Sicherheit sagen.”

“Vielleicht stehe ich einfach auch nur noch zu sehr unter dem Eindruck des Gefechts mit den Qriid”, sagte Sunfrost.

“Ihr erstes Gefecht?”

“Nein. Ich war als Fähnrich auf der NEW CALIFORNIA.”

“Dann ist das doch nichts Neues für Sie.”

“Doch”, widersprach Sunfrost. “Es war das erste Gefecht unter meinem Kommando. Und es ist gründlich in die Hose gegangen, was jeder sehen kann, der den Schrotthaufen bemerkt, denn Ihr Commander freundlicherweise hinter seinem Schiff herschleppen lässt.”

Mendoza nickte langsam.

Und Sunfrost wunderte sich über sich selbst.

Vor allem über ihre Offenheit.

Sie kannte die Real Martian Frau nicht. Aber dennoch hatte sie sich ihr gegenüber geöffnet. Und das eine Sache betreffend, die ihr ziemlich an die Nieren gegangen war.

*

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EIN PAAR TAGE SPÄTER als geplant, traf die PLUTO schließlich bei Raumfort Matthews ein. Sunfrost hatte gerade Freischicht, ließ es sich aber nicht nehmen, sich das Raumfort aus dem Sichtfenster von Lieutenant Mendozas Kabine anzusehen.

Das Raumfort sah aus wie ein zusammengerollter Igel. Eine Kugel aus glänzendem Metall, gespickt mit dunklen Stacheln.

Nur dass das keine Stacheln waren, sondern Geschütze.

Röhrenähnliche Gangways ließen sich ausfahren. Dort konnten Raumschiffe anlegen - entweder, weil sie zu groß waren, um in den Hangars des Raumforts zu verschwinden oder weil ihr Aufenthaltsort nur von kurzer Dauer sein sollte.

Im Gefechtsfall war das natürlich nicht möglich.

Die meisten Schiffe, die in dieser Gegend operierten, passten in die Hangars und konnten dort im Bedrohungsfall relativ sicher vor feindlichen Angriffen sein.

Während des Qriid-Krieges war es wiederholt vorgekommen, dass Siedler von den in der Umgebung liegenden Minen auf diversen Zwergplaneten, im Raumfort Schutz suchten wie in einer Burg.

Und manchmal hatte auch das Piratenproblem derart überhand genommen, dass Minen zeitweilig aufgegeben worden waren und die Arbeiter nach Raumfort Matthews flüchteten.

Wenn kein Minenbetrieb aufrechterhalten werden konnte, hatten natürlich die Piraten auch nichts zu kapern. In sofern sprachen manche von einem sich selbst regulierenden Zyklus. Und die Minenleute schimpften auf ‘die vom Humanen Rat’, die sich angeblich gar nicht oder zu wenig um ihre Probleme kümmerten.

Es gab eine ganze Reihe solcher Raumforts im ganzen Sonnensystem. Auch im Kuiper-Gürtel. Aber angesichts der Weite hier draußen verloren sich die wenigen Schutzburgen des Raumzeitalters fast in der Unendlichkeit.

Die PLUTO dockte schließlich an.

Und als Sunfrost die Schleuse des Leichten Kreuzers der inoffiziell so benannten Sternenkrieger-Klasse passierte, hatte sie kein flaues Gefühl mehr im Magen, wenn sie an das unvermeidliche Zusammentreffen mit Commander Sörensen dachte.

Was geschehen war, war geschehen.

Eine halbe Stunde später empfing Sörensen die gesamte Crew der DEFIANT-29 in seinem Büro. Das übellaunige Gesicht war anscheinend wirklich sein Markenzeichen.

Sunfrost fragte sich, ob tatsächlich irgendeine Situation denkbar war, in der es vielleicht so etwas wie Freude auszudrücken vermochte.

Aber da war sie wohl nicht die erste, die sich diese Frage stellte.

“Der Schadensbericht ist nicht ganz so dramatisch, wie es erst den Anschein hatte”, sagte Sörensen. Der Commander des Raumforts schien sich mit Grußformalitäten nicht lange aufzuhalten. Für ihn waren das wohl eher störende Nebensächlichkeiten.

“Das freut mich zu hören, Sir”, sagte Sunfrost.

“Davon abgesehen sind wir hier für alle Eventualitäten ausgerüstet. Wenn hier jedes Raumboot erstmal die Reise zu einem Spacedock machen müsste, dann wären wir hier verloren. Ich nehme also an, dass die DEFIANT-29 in absehbarer Zeit wieder auf Kurs gehen wird.”

“Danke, Sir.”

“Ob mit Ihnen als Captain, das wird sich zeigen, Sunfrost.”

Sunfrost glaubte, sich verhört zu haben. “Sir, habe ich das richtig verstanden?”

“Haben Sie. Ich werde Admiral Raimondo empfehlen, Sie von dem Posten abzuberufen. So viel Dilettantismus ist mir in all den Jahren hier draußen wirklich selten untergekommen.”

“Wenn ich dazu etwas sagen dürften, Sir”, meldete sich nun Fu Davis zu Wort.

“Nein, dürfen Sie nicht, Crewman Davis”, fuhr Commander Sörensen ihm über den Mund. Sein Blick fixierte Sunfrost. “Ich habe mit Admiral Raimondo Kontakt aufgenommen. Sie werden in Kürze hören, wie die Sache für Sie ausgegangen ist.”

“Ja, Sir”, murmelte Sunfrost kleinlaut.

“Das wäre alles. Ich habe zu dem Unsinn, den Sie da verzapft haben, nichts weiter zu sagen. Vielleicht steht das alles dann  ja in Ihrer Degradierungs- oder Entlassungsurkunde. Je nachdem, was es wird. Zurzeit liegt ein Frachter hier am Fort angedockt. Vielleicht können Sie mit dem dann ja zurück ins innere Sonnensystem gelangen. Ich glaube, Zielraumhafen ist Port Mars... Guten Tag.”

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“ICH GLAUBE, JETZT HABEN Sie ihn wirklich böse erlebt”, sagte Brent Tahano, als sie alle das Besprechungszimmer des Commanders verlassen hatten.

Die Flure im Raumort waren weiß und wirkten fast wie in einer Klinik. Aber so fern vom Licht der Sonne, die hier nur einer von vielen Sternen war - kleiner als Sirius oder Capella - brauchte der Mensch angeblich Helligkeit. Darum war man auf die Idee gekommen, das Innere von Raumforts im Fernen Weltraum auf diese Weise zu gestalten. Wände und Decke gaben darüber hinaus Licht ab, dass dem Sonnenlicht nachempfunden war. Sie leuchteten aus sich heraus und fluoreszierten auch bei totalem Energieausfall noch wochenlang.

Sunfrost blieb plötzlich stehen.

“Crewmen der DEFIANT-29”, sagte sie. “Vielleicht ist dies das letzte Mal, dass ich als Ihr Captain zu Ihnen spreche. Sie haben ja gehört, was Commander Sörensen gerade gesagt habt. Auch wenn ich zugeben muss, dass nicht alles reibungslos zwischen uns gelaufen ist, möchte ich doch sagen, dass ich gerne Ihre Kommandantin war. Sie waren mein Erstes Kommando. Und schon alleine deswegen werde ich niemanden von Ihnen je vergessen.”

Die Crew schwieg.

Nichtmal Tahano machte eine Bemerkung. Gao wich Sunfrosts Blick aus. Seku Delan fixierte sie dafür und hatte dabei die Augenbrauen zu einer Schlangenlinie zusammengezogen, was seinem Gesicht einen sehr nachdenklichen Ausdruck gab.

“Das heißt, Sie gehen davon aus, dass Sie noch ein zweites Kommando bekommen, wenn ich Ihre Worte richtig verstanden habe”, meldete sich Fu Davis als erster zu Wort.

“Nun, die Hoffnung stirbt zuletzt”, sagte Sunfrost. “Und auch wenn die Chancen mal schlecht stehen, bin ich niemand, der so einfach aufgibt.”

“Sie scheinen eine Optimistin zu sein, Madam. Das gefällt mir. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass Sie uns erhalten bleiben.”

“Danke, Crewman Davis.”

Davis wandte sich an Tahano. “Jetzt wäre vielleicht der passende Augenblick für einen dummen Spruch, Tahano! Das könnte sie aufheitern!”

*

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SUNFROST UND DIE ANDEREN Mitglieder der Crew bekamen Kabinen auf Raumfort Matthews zugewiesen. Die waren klein und erinnerten Sunfrost aus irgendeinem Grund an Gefängniszellen. Jedenfalls hatten sie im Vergleich zu ‘Dracula’s Home’ regelrecht gigantische Ausmaße. Man konnte fast zweieinhalb Schritt darin gehen, ohne irgendwo anzustoßen.

Das gibt einem schon fast das Gefühl von Freiheit und Weite, dachte Sunfrost sarkastisch.

Über das Interkom in der Wand erreichte sie ein Überlichtfunkspruch.

Ursprungsort war Spacedock 13 im Erdorbit.

Das Emblem des Space Army Corps war nicht zu übersehen und machte wenig später dem Gesicht von Admiral Raimondo Platz.

“Guten Tag, Lieutenant Sunfrost”, sagte der Admiral. Sein Gesicht wirkte regungslos und undurchdringlich. Unmöglich vorherzusagen, wie das Urteil über mich ausgefallen ist, dachte Sunfrost. Am besten man rechnet immer mit dem Schlimmsten. Das macht es dann leichter, das etwas weniger Schlimme zu ertragen.

Zum Beispiel, dass der Traum von einem eigenen Kommando bereits zu Ende geträumt ist, ehe es richtig angefangen hat.

“Ich hoffe, es geht geht Ihnen gut, Lieutenant - nach allem, was Sie und Ihre Crew durchgemacht haben.”

“Den Umständen entsprechend, Sir”, antwortete Sunfrost.

“Sie erinnern sich an unser Gespräch vor Ihrem Aufbruch aus dem Erdorbit?”

“Natürlich, Sir.”

“Zu dem, was ich damals gesagt habe, stehe ich immer noch. Und zwar zu jedem einzelnen Wort, Lieutenant.”

“Das gilt für mich ganz genauso, Sir.”

“Ich habe mit Commander Sörensen gesprochen...”

“Sir, ich...”

“Glauben Sie immer noch, dass Sie da, wo Sie jetzt sind, an der richtigen Stelle sind?”

“Ja, Sir. Davon bin ich seit heute mehr überzeugt denn je.”

“Auf dem Leichten Kreuzer CATALINA unter Commander Ned Nainovel wird demnächst die Stelle eines Kommunikationsoffiziers frei. Wäre das nichts für Sie, Lieutenant?”

“Wie ich schon sagte, ich bin an Bord der DEFIANT-29 richtig. Und da es hier offenbar ein Problem mit einsickernden Qriid gibt...”

“Ja, es gibt da ein Problem, das scheint mir auch so. Übermitteln Sie mir bitte sämtliche Daten. Nutzen Sie dazu Ihren privaten Übertragungskanal.”

“Ja, Sir.”

“Und wie gesagt, die Stelle auf der CATALINA wird demnächst frei. Aber wenn Sie sagen, dass Sie lieber Captain auf einer Nussschale als Offizier auf einem größeren Schiff sein wollen, dann werde ich das akzeptieren.”

“Danke Sir.”

“Für eine Weile, Sunfrost. Nur für eine Weile.”

“Und wovon hängt die Dauer dieses Zeitraums ab, den Sie mir zugestehen, Sir?”

“Von Ihrer persönliche Entwicklung, Sunfrost. Früher oder später werden Sie bereit für etwas Größeres als eine Nussschale sein, Lieutenant. Da bin ich mir ganz sicher...”

Sunfrost schluckte.

“Commander Sörensen meinte in unserem Gespräch, dass ich mit meinem Rausschmiss rechnen könnte.”

“Wenn wir jeden rausschmeißen würden, den Commander Sörensen für ungeeignet hält, gäbe es kein Space Army Corps mehr, Lieutenant.”

Sunfrost lächelte verhalten.

“So kann man das natürlich auch sehen.”

“So sehe ich es”, gab Raimondo zurück.

Der Admiral unterbrach daraufhin die Verbindung.

Und Sunfrost konnte kaum fassen, dass sie immer noch das war, was sie immer hatte sein wollen: Captain eines Raumschiffs. Auch, wenn es nur ein kleines, schrottreif zusammengeschossenes Raumschiff war.

ENDE DES ROMANS

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Space Army Corps: Terrifors Geschichte

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von Alfred Bekker

Ein Extra-Roman aus der Serie “Chronik der Sternenkrieger”

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EIN CASSIOPEIAPRESS E-Book

© by Author 

© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Alfred Bekker schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Zuletzt erschien DER BEFREIER DER HALBLINGE bei Blanvalet.

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DIES IST DIE GESCHICHTE von Raggie S. Terrifor, einem genetisch optimierten Corporal der Einheit von Space Marines an Bord des Raumschiffs STERNENKRIEGER. Seine Story beginnt auf Maldena 22b, einer Supererde mit hoher Schwerkraft. Als das System von Aliens überfallen wird, muss Raggie um sein Überleben kämpfen - zusammen mit zwei umweltangepassten Supererden-Zwergen und einem für die planetaren Verhältnisse viel zu schwachen Normalmenschen-Mädchen.

Erfolgsaussichten: Null Prozent.

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Übersicht über die Serie “Chronik der Sternenkrieger”

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Alle Einzeltitel in chronologischer Reihenfolge:

Space Army Corps: Terrifors Geschichte (Handlungszeit 2238)

Erstes Kommando: Extra-Roman  (Handlungszeit 2242)

Chronik der Sternenkrieger 1 Captain auf der Brücke  (Handlungszeit 2250)

Chronik der Sternenkrieger 2 Sieben Monde

Chronik der Sternenkrieger 3 Prototyp

Chronik der Sternenkrieger 4 Heiliges Imperium

Chronik der Sternenkrieger 5 Der Wega-Krieg

Chronik der Sternenkrieger 6 Zwischen allen Fronten

Chronik der Sternenkrieger 7 Höllenplanet

Chronik der Sternenkrieger 8 Wahre Marsianer

Chronik der Sternenkrieger 9 Überfall der Naarash

Chronik der Sternenkrieger 10 Der Palast

Chronik der Sternenkrieger 11 Angriff auf Alpha

Chronik der Sternenkrieger 12 Hinter dem Wurmloch

Chronik der Sternenkrieger 13 Letzte Chance

Chronik der Sternenkrieger 14 Dunkle Welten

Chronik der Sternenkrieger 15 In den Höhlen

Chronik der Sternenkrieger 16 Die Feuerwelt

Chronik der Sternenkrieger 17 Die Invasion

Chronik der Sternenkrieger 18 Planetarer Kampf

Chronik der Sternenkrieger 19 Notlandung

Chronik der Sternenkrieger 20 Vergeltung

Chronik der Sternenkrieger 21 Ins Herz des Feindes

Chronik der Sternenkrieger 22 Sklavenschiff

Chronik der Sternenkrieger 23 Alte Götter

Chronik der Sternenkrieger 24 Schlachtpläne

Chronik der Sternenkrieger 25 Aussichtslos

Chronik der Sternenkrieger 26 Schläfer

Chronik der Sternenkrieger 27 In Ruuneds Reich

Chronik der Sternenkrieger 28 Die verschwundenen Raumschiffe

Chronik der Sternenkrieger 29 Die Spur der Götter

Chronik der Sternenkrieger 30 Mission der Verlorenen

Chronik der Sternenkrieger 31 Planet der Wyyryy

Chronik der Sternenkrieger 32 Absturz des Phoenix

Chronik der Sternenkrieger 33 Goldenes Artefakt

Chronik der Sternenkrieger 34 Hundssterne

Chronik der Sternenkrieger 35 Ukasis Hölle

Chronik der Sternenkrieger 36 Die Exodus-Flotte (Handlungszeit 2256)

Chronik der Sternenkrieger 37 Zerstörer (in Vorbereitung)

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SAMMELBÄNDE UND SONDERAUSGABEN:

Sammelband 1: Captain und Commander

Sammelband 2: Raumgefechte

Sammelband 3: Ferne Galaxis

Sammelband 4: Kosmischer Feind

Sammelband 5: Der Etnord-Krieg

Sammelband 6: Götter und Gegner

Sammelband 7: Schlächter des Alls

Sammelband 8: Verlorene Götter

Sammelband 9: Galaktischer Ruf

Sonderausgabe: Im Dienst des Star Army Corps

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Die Hauptpersonen der Geschichte:

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Raggie S. Terrifor - später Space Marine auf der STERNENKRIEGER (um 2254 n. Chr), zur Handlungszeit der Geschichte das Kind von gen-optimierten Eltern auf der Supererde Maldena 22b (etwa 2238 n. Chr.).

Naomi - ein Normalmensch unter Schwerkraftmonstern. Sie stammt vom Merkur.

Joey - ein umweltangepasstes Zwergenmädchen.

Jorian Kelly - später Taktikoffizier an Bord der ODYSSEUS, zur Handlungszeit noch jugendlicher Bewohner einer Adaptionisten-Siedlung auf Maldena 22b, der sich die Zeit mit dem Schleudern großer Steine vertreibt.

Fähnrich Rena Sunfrost - kommandiert eine Shuttle-Mission.

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MEIN NAME IST RAGGIE S. Terrifor. Was das S. bedeutet, dazu kommen wir später mal. Manche, die mich gut kennen, sagen, das steht für ‘sehr bescheuert’. Aber da gibt es durchaus auch andere Auslegungen.

Aber die meisten Leute nennen mich sowieso einfach Raggie.

Und inzwischen werde ich wohl überwiegend mit Corporal angeredet. Das bin ich nämlich. Corporal der Einheit von Space Marines an Bord des Raumschiffs STERNENKRIEGER unter dem Kommando von Captain Sunfrost.

Aber damit hat es nicht begonnen.

Es hat alles seine Geschichte. Und wenn auch manches ohne Grund zu geschehen scheint, ohne eine Vorgeschichte geschieht fast nichts. Das ist jetzt nicht philosophisch gemeint, sondern einfach nur so, wie ich es sage. Ich denke, Sie verstehen das schon richtig.

Aber ich will die Dinge von vorne berichten.

Meine Story beginnt eigentlich mit meiner Geburt. Aber daran habe ich keine Erinnerung, obwohl ich von genetisch optimierten Typen weiß, bei denen das exakt so passiert ist.

Wie schon erwähnt, so optimiert bin ich nicht. Nur ein bisschen. Geboren wurde ich auf einer Planeten der Drei Systeme. Und meine Eltern waren beide optimiert. Das S. in unserem Namen steht für Soldier. Eigentlich hätten wir Soldaten werden sollen. Oder im Fall meiner Eltern: Bleiben sollen.

Dass ich es später doch noch wurde und dem Space Army Corps der Humanen Welten beitrat, war mir nicht in die Wiege gelegt. Aber ich will Ihnen gerne erzählen, wie es dazu kam.

Die Drei Systeme waren damals noch fester Bestandteil jenes sich gerade erst bildenden Sternenreichs, das man als den Bund der Humanen Welten bezeichnet. Ein Sternenreich, das vielleicht gar nicht mehr bestehen würde, wenn es nicht einen übermächtigen äußeren Feind gegeben hätte. Jeder weiß, wovon ich rede: Von den erbarmungslosen Qriid, die ihren Einflussbereich unbarmherzig voranzutreiben versuchten und sich mit der Menschheit immerhin inzwischen zwei Kriege geliefert haben. Verrückte Glaubenskrieger, die angeblich von Gott den Auftrag haben, dem Universum eine Ordnung zu geben. Dabei ordnet sich das Universum prima von selbst. Das braucht es solche Bekloppten einfach nicht.

Aber die Idee an sich ist ja nicht neu. Und sie ist noch nichtmal typisch extraterrestrisch. Es soll ja auch schon Menschen gegeben haben, die mit ähnlichen Begründungen Kriege angezettelt haben. Ob Gott das überhaupt will, dass jemand für ihn irgendeine Ordnung aufbaut, scheint diese angeblich religiös motivierten Krieger gar nicht weiter zu kümmern.

Vielleicht träumen solche Fanatiker auch nur insgeheim davon, selbst Gott zu sein und wagen das nur nicht öffentlich zu äußern - weil in jeder Kultur, die ich kenne, egal ob außerirdisch, menschlich oder genetisch optimiert - so jemand für verrückt gehalten wird. (Bis auf den kleinen Rest, der sich durchsetzt. Die nennt man dann Propheten. Aber das ist ein anderes Thema.)

Dass die Qriid inzwischen als Verbündete angesehen werden, ist für mich nach wie vor schwer verständlich.

Schwer verständlich und auch schwer erträglich, denn ich denke dann immer an die Toten, die diese Kriege gekostet haben. Und das waren nicht wenige. Einige von ihnen standen mir sehr nahe und ich denke bis heute jeden Tag an sie. Und was die Qriid betrifft: Ich traue ihnen bis heute nicht. Mag sein, dass das wenig großherzig klingt. Mag auch sein, dass es besser wäre, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen und in die Zukunft zu sehen. Und abgesehen von den zwei Kriegen, die unsere Völker gegeneinander geführt haben, hat es ja inzwischen auch einen Konflikt gegeben, in dem wir als Verbündete kämpften. Und das kann in Zukunft durchaus wieder geschehen, denn ob die Gefahr durch die Etnord wirklich endgültig gebannt ist, da möchte ich lieber keine Prognosen wagen.

Aber egal.

Alles beginnt mit der ersten Erinnerung.

Und meine erste Erinnerung spielt schon auf Maldena 22b.

Maldena 22b ist das, was man eine Supererde nennt. Fünfmal so schwer wie die Alt-Erde. Der Planet liegt eigentlich außerhalb der habitablen Zone seiner Sonne. Aber weil seine Schwerkraft so groß ist, ist das Wasser trotzdem flüssig, denn Siede- und Schmelzpunkte gelten immer nur für einen spezifischen Druck in Verbindung mit einer spezifische Temperatur.

Es ist also sehr kalt auf Maldena-22b, aber der Ozean gefriert nicht, wobei sicher auch die enthaltenen Salze ganz hilfreich sind. Aber im Wesentlichen liegt das wohl an den anderen Faktoren, die ich bereits erwähnte.

Es gibt einen Ozean und ein paar Kontinente, wenn man zugesteht, dass Felswüsten als Kontinente zählen. Aber das tun sie wohl. Wirklich schöne Orte zum Leben sind sie nicht. Aber zumindest einer dieser Kontinente ragt hoch genug aus dem Wasser, um von den Gezeiten des Ozeans nicht regelmäßig völlig überspült zu werden und deswegen kann man dort auch Gebäude hinstellen, Siedlungen errichten und alle möglichen anderen Dinge, die Menschen für notwendig halten, wenn sie einen Planeten besiedeln.

Das Problem auf Maldena 22b ist natürlich, dass normale Menschen dort eigentlich nicht leben können, es sei denn, sie tragen andauernd ein Antigrav-Pak. Und zwar auch im Schlaf, sonst drückt ihnen das Gewicht ihres eigenen Brustkorbs noch die Luft ab. (Es sei denn, man lebt in einem Habitat mit Erd-Norm. Das ist aber eher was für die Reichen. Die mit den guten Jobs hier auf Maldena.)

Für Normalmenschen ist das Leben hier kein Vergnügen, denke ich. Außerdem brauchen normale Menschen Atemgeräte, sobald sie ins Freie gehen, weil die Luft zwar ausreichend Sauerstoff enthält, aber der Druck so hoch ist, dass das den Normalos schlecht bekommt.

Bei uns war das anders.

Meine Familie bestand ja aus Soldiers.

Da sind wir dann übrigens wieder bei der Bedeutung des “S.” in der Mitte zwischen Raggie und Terrifor. Meine Eltern trugen es auch.

Dieses “Soldier-S” bedeutet: Genetisch optimiert für den Krieg, ausgestattet mit körperlichen Merkmalen, die das Überleben erleichtern, zusätzlicher Kraft und Ausdauer und solchen Dingen halt. Damit kann man Krieg führen. Das erleichtert die Bedienung schwerer Kampfanzüge und hilft einem, wenn man auf einem unwirtlichen Planeten abstürzt.

Und es ermöglicht einem, auf einer Welt wie Maldena 22b zu leben. Und zwar ohne irgendwelche Hilfsmittel, die ja auch immer mal versagen können, wie jeder weiß, der sich nur ein  bisschen mit der Materie befasst hat.

Mein Vater bekam ein gutes Angebot bei einer guten Company.

Maldena 22b hat vielleicht keinen großen Erholungswert, aber große Vorkommen von Deuterium und Schwerem Wasser. Und beides ist sehr begehrt. Also gibt es jede Menge Firmen, die bereit sind, es sich zu holen.

Und eine davon engagierte meine Eltern, die irgendwann einfach den Entschluss gefasst hatten, dass ihr Leben vielleicht doch etwas anderes beinhalten sollte, als sich für einen Krieg vorzubereiten, der vielleicht nie stattfinden würde.

Damals dachte noch niemand an die Qriid-Gefahr.

Genau genommen wusste man noch nicht einmal etwas von der Existenz der Qriid.

Aber so ist das eben: Die Biologie scheint Menschen für etwas Bestimmtes vorgesehen zu haben und dann entscheidet der Mensch einfach, dass er mit seinen Gaben auch etwas völlig anderes anfangen kann. Und genau das haben meine Eltern getan. Schwierigkeiten, Befehle zu befolgen oder dergleichen Skrupel können es eigentlich nicht gewesen sein, die sie dazu bewogen haben, eine andere Bestimmung zu suchen. Denn normalerweise beinhaltet eine genetische Optimierung auch psychische Faktoren.

Zumindest in der Tendenz.

Aber anscheinend ist das, was man die Psyche nennt - oder um das altertümlich klingende Wort dafür zu benutzen: Die Seele! - doch sehr viel unberechenbarer, als sich das so die Gen-Ingenieure vorstellen.

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ICH WUCHS ALSO IN FAR Galaxy City auf.

So hieß das Camp des Far Galaxy Konzerns auf Maldena.

Meine Eltern arbeiteten zwar nicht für diesen interstellaren Riesen-Konzern, sondern für eine kleine, aber feine Deuterium-Company, aber Far Galaxy stellte nahezu die gesamte Infrastruktur der Kolonie auf Maldena. Und da hatten sie vielleicht auch das Recht, Far Galaxy City eben so zu nennen, wie sie es getan haben.

Von dem Zusatz “City” mal abgesehen.

Das war ein Witz.

Vielleicht auch ein Anfall von akutem Wunschdenken, wie es an einem Ort, der so weit von der Erde und den anderen zivilisierten, angenehmen gut erschlossenen Kolonien entfernt ist.

Ich sage deswegen auch bewusst nicht Stadt oder Ort. Denn Camp bezeichnet es eigentlich besser. Es waren provisorische Gebäude für einen provisorischen Aufenthalt, bei dem es nur darum ging, so viel an wertvollen Schätzen zu plündern, wie man finden konnte. Und dieser Planet war reich an diesen Schätzen.

Die hohe Schwerkraft erschien mir normal. Ich erinnerte mich nicht daran, jemals unter anderen Bedingungen gelebt und geatmet zu haben. Und dasselbe gilt für den Luftdruck und die Kälte. Damit wuchs ich auf und es war für mich so normal, wie es für die Bewohner der Erde die Bedingungen auf dem blauen Planeten sind.

Auch wenn es für jeden, der Maldena 22b kennt, eigenartig klingen mag: Dieser größtenteils von mehr oder weniger Schwerem Wasser (ja, man beachte das Wortspiel! Space Marines sind nämlich keinesfalls per se nur dumm und gewalttätig!) bedeckte Gesteinsbrocken war meine Heimat. So habe ich diese Welt empfunden.

Und wenn da nicht ein paar andere, nicht so erfreuliche Dinge wären, die alle in der einen oder anderen Form mit dem Krieg zu tun haben, dann würde ich mich ausschließlich positiv an diese Zeit und an diese Welt erinnern.

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DER ERSTE KRIEG GEGEN die Qriid begann im Jahr 2236 und endete drei Jahre später. Niemand weiß, warum dieser Krieg letztlich begann und genauso unklar ist, weshalb er so plötzlich endete. Dass der Krieg 2236 begann, ist insofern richtig, als es für die Humanen Welten insgesamt zutrifft.

Aber Maldena 22b ist ein abgelegener Hinterweltlerplanet. Es ist nicht übertrieben, wenn ich das sage. Und auf Maldena begann der Krieg erst 2238. Vorher hatten wir nichts damit zu tun. Es gab ein paar Meldungen darüber, aber bis zu dem erwähnten Jahr war das etwas, was in weit entfernten Regionen des Universums stattfand. Wie eine ferne Bedrohung, von der man hoffte, dass sie vielleicht doch noch einfach so verschwinden würde, ohne, dass man noch extra etwas dazu tun musste.

Ein Unwetter, das vielleicht im letzten Moment doch noch einen anderen Weg nimmt, sodass man nicht davon betroffen ist.

In jenem Jahr, als der Krieg dann um so heftiger nach Maldena kam, war ich zwölf. Es sollte sich alles ändern. In meinem Leben gab es ein Davor und ein Danach. Nichts war danach noch so, wie es vorher gewesen war. Das ist nun mal so.

Aber ich will mich nicht allzu sehr darüber beklagen.

Es gibt schließlich genug Leute, für die endete das Davor einfach und ein Danach hat es für sie nie gegeben. Insofern bin ich eigentlich ganz gut aus der Sache herausgekommen. Besser als viele andere, die damals auch auf Maldena waren.

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DA WAR EIN MÄDCHEN in meinem Alter, das ich gut leiden konnte. Das Mädchen hieß Naomi und sie war nicht nur das einzige Mädchen in meinem Alter auf Maldena, sie war genau genommen sogar der einzige Teenager überhaupt in Far Galaxy City. Vielleicht mochten wir uns in erster Linie deswegen, weil wir quasi die einzigen unserer Art und damit extrem aufeinander angewiesen waren. (Ich weiß, da gab es noch die Zwerge. Aber das ist ein anderes Thema, zu dem ich noch komme. Und außerdem gab es keine Zwerge in Far Galaxy City. Auch keine Zwergen-Teenager.)

Der Punkt, der Naomi und mich verband war einfach dieser: Die Auswahl an möglichen Gesprächspartnern war wirklich sehr bescheiden.

Und so teilten wir vieles miteinander, was wir unter anderen Umständen ganz sicher nicht getan hätten.

Naomi hatte es auf Maldena schon deswegen sehr viel schwerer als ich, weil sie ein Normalo-Mädchen war. Ohne Antigrav-Pak und Atemmaske konnte sie nicht einmal richtig atmen, geschweige denn aufrecht gehen. Sie war einfach nicht geschaffen für diese Supererde mit ihrer hohen Schwerkraft. Und was die Kälte betraf, trug sie eine Gesichtsmaske aus Neopren, um Erfrierungen zu vermeiden. Vor allem dann, wenn Wind aufkam. Und Maldena 22b ist nun einmal eine Welt, auf der auf Grund der besonderen Druckverhältnisse, schon geringe Windgeschwindigkeiten erhebliche Auswirkungen haben können. Was anderswo ein laues Lüftchen ist, kann hier die Auswirkung eines irdischen Hurrikan haben. Liegt am höheren Luftdruck.

Von dem sogenannten Windchill-Faktor will ich gar nicht erst gar nicht erst reden. Schon deshalb nicht, weil ich den kaum spüre - Normalo-Menschen wie Naomi allerdings schon.

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ICH WEIß NOCH, WIE ich das erste Mal bei Naomi zu Hause war. Ihr Vater war nämlich ein wichtiges Tier bei Far Galaxy. Zumindest wichtig für Maldena, vielleicht nicht ganz so wichtig für den Far Galaxy Konzern als ganzen.

Jedenfalls wohnten sie in einem Habitat-Ressort am Rande von Far Galaxy City, in dem durch Antigrav-Aggregate Erdschwere herrschte. Natürlich auch Erdatmosphäre und der Luftdruck der Erdnorm. So wie es Standard für alle Raumschiffe war und man es auch in zahllosen Habitaten finden konnte, die Menschen der Alt-Erde oder ihre Abkömmlinge errichtet hatten, um dort zu siedeln.

Ich gestehe, dass mein Körper erst Mühe hatte, sich mit diesen Bedingungen anzufreunden. Mit einer harmlosen Bewegung landete ich bereits schmerzhaft an der niedrigen Decke des Ressorts. Ich war es schließlich gewohnt, sehr viel mehr Kraft aufzuwenden. Und da ich unter der normalen mittleren Fallgeschwindigkeit auf Maldena 22b das Fünffache wog, hatte das natürlich die entsprechenden Folgen.

Die Luft erschien mir dünn und ich dachte für einige Augenblicke, dass mein Brustkorb auseinandergerissen würde. Für mich war die Atmosphäre im Ressort Unterdruck.

Dass ich später als Space Marine an Bord von Schiffen des Space Army Corps andauernd unter solchen Bedingungen leben würde und eigentlich auch keine Probleme damit verbunden sind, konnte ich mir in diesem Augenblick noch nicht vorstellen.

“Das muss doch schrecklich hier für dich sein, Naomi”, meinte ich.

“Wieso?”

Sie sah mich verständnislos an. “Wieso sollte es schrecklich auf Maldena für mich sein?”

“Naja, hier tobt nicht gerade der Bär, oder?”

“Nein, das ist richtig.”

Die Redewendung hat sich immer noch erhalten. Aber sie zeigt auch, wie sehr die Menschen selbst jetzt, da sie sich in der Weite des Kosmos ausgebreitet haben, immer noch am Standard der Erde hängen. Selbst jemand wie ich, auf den das in anderer Hinsicht doch gar nicht zutrifft.

“Genau genommen tobt hier gar nichts”, sagte ich. “Es gibt noch nichtmal Tiere hier auf Maldena.”

“Da, von wo ich herkomme, gibt es noch weniger als nichts”, sagte sie.

“Wo kommst du denn her?”

“Von Merkur.”

“Ist das nicht im Sol-System?”

“Richtig.”

Ich war nie im Sol-System gewesen.

Die Erde war für mich eine ferne Welt.

Der Ursprung der Menschheit und so weiter, Sie wissen ja.

Genau genommen ist die Erde ja nichtmal das Zentrum des Bundes der Humanen Welten, denn der Humane Rat tagt ja auf dem Mars.

Aber ich glaube, das ist nur eine kosmetische Maßnahme, die das Übergewicht der Erde gegenüber ihren Kolonien etwas abdämpfen und auf ein erträgliches Maß zurückstutzen soll.

Egal.

Von Merkur hatte ich noch nichts gehört.

Schien trotz seiner Nähe zur Erde auch nicht wirklich ein wichtiger Planet zu sein. Auf jeden Fall nicht wichtig genug, dass sich ein umfangreiches Terraforming gelohnt hätte.

Aber Naomi erzählte mir einiges über den Merkur.

Und dann verstand ich auch besser, was sie mit ihrer Bemerkung gemeint hatte.

Ich erfuhr, dass der Merkur so langsam rotiert, dass drei seiner Jahre zwei seiner Tage entsprechen. Und dass es auf der einen Seite dieser Welt sehr heiß und auf der anderen sehr kalt ist.

“Wir wohnten in einem Krater in der Nähe des Pols”, sagte Naomi mir. “Da war es minus 170 Grad kalt, weil nie ein Sonnenstrahl dort hinfiel. Das muss man sich vorstellen! Ein paar Kilometer weiter konnten während des Tages über 400 Grad erreicht werden. Aber in dem Krater gab es sogar dauerhaft gefrorenes Eis. Deswegen sind die ersten Siedler überhaupt zum Merkur gekommen, weil man dort genug Wasser hatte!”

“Klingt ja auch nicht unbedingt, wie ein Ort, an dem es sich gut gehen lässt!”

“Wieso nicht? Wir hatten ein Habitat nach Erdnorm.”

“Also genau wie hier.”

“Exakt.”

“Dann kann man sagen, für dich hat sich nichts verändert.”

Naomi nickte. “Könnte man so sagen - bis auf eine Sache.”

“Und die wäre?”

“Hier brauche ich keinen Raumanzug, wenn ich rausgehe. Und ich kann auch den Krater verlassen, ohne befürchten zu müssen, lebendig gekocht zu werden.”

“Den Krater?”

“Naja, wir lebten doch in einem Krater. Crator Town, Merkur. Allerdings war das kulturelle Angebot dort trotz der ungemütlichen Lage deutlich besser, als hier auf Maldena. Das muss ich schon sagen.”

“Ich nehme an, das wird noch besser. Mit der Zeit.”

“Glaube ich nicht.”

“Wieso nicht?”

“Mein Vater meint, Far Galaxy würde da in nächster Zeit nicht weiter investieren. Und wer sollte das hier auf Maldena denn sonst machen? Die kleine Company, für die dein Vater arbeitet ja wohl nicht.”

“Stimmt auch wieder.”

Deuterium und Schweres Wasser ernährten uns alle. Aber so richtig reich hatten sie weder uns noch unsere Company noch die planetare Kolonie insgesamt gemacht. Diese Welt hatte einfach einen Makel, den ich gar nicht als solchen empfand: Die hohe Fallgeschwindigkeit. Fast 5 g sind einfach kein Pappenstiel und nicht jeder Normal-Erdmensch hat Lust, andauernd mit einem Antigrav-Pak herumzulaufen.

Naomi war in dieser Hinsicht ja nicht gefragt worden.

Sie war einfach mit ihren Eltern mitgezogen.

Und jetzt war sie nunmal hier.

Aber wie gesagt, ich begrüßte das.

Als einziger Teenager in einem Camp wie diesem, das sich City nennt, wäre es vielleicht doch am Ende etwas arg langweilig geworden.

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EIN GANZES STÜCK VON Far Galaxy City entfernt lag die Siedlung der Adaptionisten.

Oder besser gesagt: Die nächste Siedlung der Adaptionisten, denn es gab mehrere davon und irgendwie betrachteten sie sich wohl auch als eine Art Ureinwohner des Planeten. Es gibt ja grundsätzlich zwei Ansatzpunkte, wie man die Besiedlung fremder Planeten durch die menschliche Spezies angehen kann. Möglichkeit eins ist, man passt den Planeten dem Menschen an. Man errichtet habitable Zonen, künstliche Lebensräume oder betreibt sogar Terraforming.

Die andere Möglichkeit ist, dass sich der Mensch dem Planeten anpasst.

Durch genetische Manipulationen ist das innerhalb einer Generation möglich. Ein paar DNA-Schalter werden umgelegt und schon hat man unter Umständen eine sehr große Wirkung. Schließlich ist in unserem Erbmaterial alles drin, was uns unsere Vorfahren so hinterlassen haben: Vom Einzeller über Fische, Reptilien, Säugetiere bis zu unserer heutigen Ausstattung.

Terraforming ist langwierig.

Habitate zu errichten ist kostenaufwändig und erfordert sehr viel technischen Aufwand, wenn die Lebensbedingungen auf der betreffenden Welt extrem sind.

Die Adaptionisten sind deswegen immer den Weg der Anpassung gegangen.

Sie stammen meistens von den frühen menschlichen Auswanderern ab.

Die umweltangepassten Real Martians auf dem Mars kann man dazuzählen, auch wenn sie nie eine Ideologie daraus gemacht haben, dass sich ihre Körper an die geringere Marsschwerkraft anpassten.

Den Siedlern der ersten Auswanderungswellen ins All fehlten häufig die technischen Mittel, um ihre Umgebung den eigenen Bedürfnissen anzupassen.

Schon ihre Raumschiffe waren in aller Regel primitiv. Sie haben schlicht aus der Not eine Tugend gemacht - und selbst die einfache Gen-Technik des 21. Jahrhundert war schon zu erstaunlichen Anpassungen des Menschen an seine Umgebung fähig.

Spätere Adaptionisten-Generationen machten daraus so etwas wie eine Ideologie.

Die Anpassung sei ein Prinzip des Lebens überhaupt und so.

Ich sehe das alles pragmatischer.

Ich bin zwar genetisch optimiert, aber nicht deshalb, um auf einer bestimmten Welt leben zu können, sondern um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Das ist schon noch ein kleiner Unterschied, wie ich finde. Aber wie auch immer.

Es ist leider so, dass auf vielen Menschheitswelten die Adaptionisten, die in einer ersten Welle der Besiedlung kamen, von nachfolgenden Wellen in die Rolle einer Minderheit gedrängt wurden.

Denn diejenigen, die später kamen, dachten nicht im Traum daran, sich anzupassen. Sie errichteten Habitate und Ressorts.

Orte, an denen man leben konnte, wie auf der Erde. Die Erfindung des Antigravs und der künstlichen Schwerkraft machten es möglich.

Es ist kein Problem mehr, auf einer Welt zu leben, die einen normalerweise zerquetschen würde. Sie kann mit Hilfe von Antigrav-Aggregaten zu einem ganz angenehmen Ort werden.

Zumindest zu einem, an dem man überleben kann. Und wenn es einen auf eine Welt mit geringerer Schwerkraft verschlagen hat, dann nimmt es niemand mehr in Kauf, dass die Muskeln schrumpfen, der Körper länger und graziler wird und man nach einer oder zwei Generationen ein Antigrav-Pak braucht, um unter den sogenannten Normalbedingungen noch existieren zu können.

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DIE ART UND WEISE, wie Naomi und ich uns fortbewegten, war schon sehr eigenartig. Zumindest, wenn ich das aus heutiger Sicht betrachtet.

Damals kam es mir vollkommen normal vor.

Naomi schwebte mit ihrem Antigrav-Pak in gemäßigtem Tempo daher. Die Dinger sind zwar nicht in erster Linie zum Fliegen konstruiert, aber aber sie lassen sich auch dafür benutzen. Vor allem in unwegsamen Gelände, wo es zu Fuß etwas schwierig wird.

Das Gelände war hier unwegsam, aber das war natürlich nicht der Grund dafür, dass sie das Antigrav-Pak zum fliegen benutzte. Zu Fuß wäre sie wohl kaum hundert Meter weit gekommen. Die Normalmenschen sind einfach zu schwach für Maldena 22b. Es ist keine geeignete Welt für sie. Aber ich war trotzdem froh, dass Naomi hier war.

Die Gründe habe ich ja schon erläutert.

Aber der wichtigste Grund war wohl, dass ich sie einfach gut leiden konnte.

Während Naomi also mit dem Antigrav-Pak daherschwebte und immer wieder mal eine Düse zündete, lief ich im Dauerlauf daneben her. Meinen Antigrav hatte ich so heruntergeregelt, dass ich zwar ein bisschen schneller laufen konnte, als es normalerweise auf dieser Supererde möglich gewesen wäre, aber immer noch ein gewisser sportlicher Ehrgeiz befriedigt wurde.

Genau genommen hatte ich den Antigrav nur deshalb mitgenommen, weil es auf dem Weg zur nächsten Adaptionisten-Siedlung eine Felsspalte gab, die man ohne technische Hilfe einfach nicht überwinden konnte. Selbst ich nicht.

Wir müssen auf irgendwelche Beobachter wie ein äußerst seltsames Paar gewirkt haben. Aber das war mir schon deswegen egal, weil es auf Maldena kaum Beobachter gab.

Hatte man Far Galaxy City erstmal hinter sich gelassen, dann gab es da zunächst einmal nichts mehr. Nur eine kahle Steinwüste. Oder eine Steinküste, an der sich die Wellen brachen.

Es gab noch nicht einmal Moose und dergleichen. Das Leben hatte sich auf Maldena einfach noch nicht aus dem Wasser herausgewagt.

Naomi sagte mir irgendwann einmal, dass man Maldena mit der frühen Erde vergleichen konnte, und zwar in der Zeit als sich gerade die Landmassen gebildet hatten und es einzelliges Leben nur im Ozean gab, während das Land noch steril und tot war.

Genau so war es hier.

"Wir hätten doch einen Gleiter nehmen sollen", meinte Naomi schließlich nach einer Weile.

"Wieso, wir kommen doch super voran", sagte ich. "Abgesehen davon, wer sollte uns einen Gleiter überlassen?"

"Far Galaxy hat genug davon. Und wenn ich meinen Eltern plausibel machen kann, dass ich so ein Ding unbedingt brauche..."

"So geht ihr mit wertvollem Firmeneigentum um?"

"Far Galaxy ist froh, wenn sie überhaupt jemanden finden, der für den Konzern nach Maldena geht", sagte Naomi. "Da würde nie jemand einen Aufstand deswegen machen, nur weil ein Gleiter vielleicht etwas zweckentfremdet wurde."

"Tja, da kann man mal wieder den Unterschied sehen."

"Welchen Unterschied, Raggie?"

"Na, der Unterschied, ob man für eine reiche und mächtige Konzernfirma wie Far Galaxy arbeitet, die wahrscheinlich reicher ist als die gesamten Humanen Welten, oder nur für eine kleine, arme Deuterium Company, wie das bei meinen Eltern der Fall ist."

“Jetzt tu mal nicht so, als wärt ihr arme Schlucker, Raggie.”

“Sind wir nicht?”

“Deine Eltern werden sich eine goldene Nase verdient haben, wenn sie diese Welt mal verlassen!”

“Ich glaube nicht, dass sie Maldena je wieder verlassen werden”, sagte ich.

“Wieso nicht?”

“Ich habe den Eindruck, dass sie hier genau das gefunden haben, was sie suchen. Ein Business, das sie aufbauen können und das sie erfüllt. Und was die Umweltbedingungen hier angeht, sind sie dafür ja ähnlich passend optimiert wie ich. Also das ist kein Problem.”

“Und du?”

“Was meinst du?”

“Ich nehme an, du willst irgendwann mal hier weg.”

“Habe ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken drüber gemacht.”

“Aber du musst doch irgendwelche Pläne haben.”

“Habe ich nicht. Und du?”

“Wenn alles gut geht, studiere ich irgendwann mal auf der Erde oder wenigstens Wega oder New Hope.”

“Und was?”

“Keine Ahnung. Irgend etwas, was sich mal zu Geld machen lässt.”

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WIR SETZTEN UNSEREN Weg fort.

So unterhielten wir uns oft.

Über Gott und die Welt und die Zukunft.

Darüber, wie es sein könnte und darüber, wie man auf keinen Fall werden durfte.

Aber das alles war mit einem Schlag zu Ende.

Doch ich will nicht vorgreifen.

Der Grund dafür, dass wir die Adaptionisten-Siedlung aufsuchten war, dass es sonst keine anderen Ziele gab, wo man hätte hingehen können.

Der ganze Kontinent war nichts anderes als eine kahle Steinwüste. Und es ab noch zwei weitere Kontinente, die genauso aussahen.

Es gibt ein paar Stellen, an  denen wertvolle Bodenschätze aus dem Boden geholt werden. Man hat nämlich vor kurzem erkannt, dass man auf Maldena nicht nur schweres Wasser und Deuterium gewinnen kann, sondern dass offenbar schier unerschöpfliche Vorräte von Gold, Platin und einigen anderen wertvollen Stoffen vorhanden sind.

Und dann erreichten wir schließlich die Siedlung der Adaptionisten.

Wir nannten sie auch das Dorf der Zwerge. Das ist nicht böse gemeint.

Schließlich wohnten dort ein paar Freunde von uns. Aber im Prinzip ähnelten die Adaptionisten von Maldena den Zwergen der irdischen Sagen.

Sie waren klein, gedrungen, sehr stämmig und sehr stark.

Eben den Gegebenheit dieses Planeten angepasst. Es gibt Supererden-Zwerge nicht nur auf Maldena, muss man dabei erwähnen.

Man findet sie auf zahlreichen anderen Welten innerhalb und außerhalb des Gebietes der Humanen Welten. Niemand weiß schließlich genau, wie weit die frühen Adaptionisten-Siedler kamen.

Manche sagen: sehr weit. Aber ich persönlich bin da etwas skeptischer. Das klingt nämlich immer auch ein bisschen nach Propaganda für ihre quasi-religiöse Weltanschauung von der Anpassung des Lebens an den Kosmos und so weiter.

Wie auch immer, wir hatten bei den Maldena-Zwergen ein paar Freunde.

Auch welche in unserem Alter. Mag ja sein, dass uns genetisch kaum etwas von denen trennt. Und es ist sicher kaum zwei Generationen her, dass sie sich von uns so deutlich unterscheiden. Aber ich glaube, Alienkinder hätte nicht unterschiedlicher sein können. Ich weiß nicht, was Qriid-Kinder in ihrer Freizeit so treiben. Ich nehme mal an, sie beten viel, da die Qriid doch sehr religiös sein sollen und ihre Eroberungspläne angeblich nichts anderes als eine Art Heiliger Krieg sind.

Die Supererden-Zwerge-Teenager von Maldena vertrieben sich ihre Zeit mit Steine-Werfen.

Steine-Werfen auf Maldena ist etwas vollkommen anderes, als auf einer Welt mit einer geringeren Schwerkraft, etwa auf der Erde. Ich habe das auch erst kapiert, als ich nicht mehr auf Maldena war und die sogenannten “Normalbedingungen” kennengelernt habe, die eigentlich (wenn man sich mal unseren Sektor der Milchstraße statistisch ansieht) gar nicht so “normal” im Sinne von “zahlenmäßig vorherrschend” sind.

Und was Naomi mir dazu sagte, habe ich damals gar nicht richtig verstehen können, sondern nur achselzuckend zur Kenntnis genommen.

Zum Beispiel erzählte sie mir, dass es in den Habitaten auf Merkur Sportareale gäbe, in denen die reduzierte Schwerkraft des Planeten vorherrschen würde. Offenbar haben Normalmenschen dort viel Freude daran, unter einer Mini-Schwerkraft mit sportlichen Höchstleistungen aller Art zu glänzen.

Die Zwerge von Maldena würden darüber natürlich nur lachen.

Wenn sie einen Stein werfen, dann ist die Schwerkraft gegen sie. Aber nicht nur die.

Zum Beispiel ist die Oberflächenspannung des Wassers größer als unter den sogenannten Normalbedingungen. Und das bedeutet, man kann Steine schier unendlich weit darüberflitschen lassen.

Selbst mit faustdicken Brocken geht das, vorausgesetzt natürlich, man schleudert sie auch mit genug Kraft. Und dazu sollte man natürlich unter den Bedingungen einer Supererde am besten ein Maldena-Zwerg sein.

Am zweitbesten ist man ein Genetic, wie ich.

Oder vollständig ein Genetically Optimized Individual, auch GENOPI genannt. Ich weiß, es gibt mindestens eine altirdische Sprache, in der diese Abkürzung etwas eigenartig klingt und deswegen sagt man ja auch meistens nur einfach Genetic. (Oder man spricht von “den Optimierten”). Aber das ist ein anderes Thema. Es gibt wirklich schlimmere Geburtsfehler als eine dämlich klingende Abkürzung, kann ich Ihnen sagen.

Aber ganz ehrlich, gegen die Maldena-Zwerge hätte ich im Um-die-Wette-Steineflitschen keine Chance gehabt, obwohl ich mir von klein auf immer wieder mühe gegeben habe, an sie heranzukommen.

Das Dorf der Zwerge lag an einem Binnengewässer, das ungefähr zehn Quadratkilometer groß war. Also groß genug, um Steine über die Wasseroberfläche flitschen zu lassen und nicht gleich das andere Ufer damit zu bombardieren.

Bei den Zwergen gab es eine richtige Liga mit verschiedenen Wettkämpfen. Und sich die anzusehen hatte schon einen gewissen Unterhaltungswert.

Ansonsten gab es auf diesem Planeten ja nicht allzu viel, was einen wirklich umwerfenden Schau-Wert gehabt hätte. Manche behaupteten, diese Liga sei nur entstanden, weil es bei den ersten Siedlern auf Maldena einen gewissen Mangel an Unterhaltungselektronik und Spiele-Software gegeben hätte.

Ehrlich, ich glaube, da ist in der Tat etwas dran.

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ALS NAOMI UND ICH EINTRAFEN, waren einige unserer Freunde gerade dabei zu trainieren. Die Steine sprangen nur so über die Wasseroberfläche. Manche schienen gar nicht mehr untergehen zu wollen. Und wenn einer dieser Brocken einfach auf der Wasseroberfläche liegen geblieben wäre - es hätte irgendwie ins Bild gepasst.

Das ist natürlich ein Scherz.

So groß ist dann die Oberflächenspannung des Wassers auch auf Maldena nicht. Und auch wenn die Zwerge so muskulös und stämmig sind, dass selbst ich dagegen wie ein Hänfling aussehe, sind sie eben auch nicht kräftig genug, um einen Stein ewig über Wasser zu halten. Irgendwann gehen sie alle unter. Das ist einfach das Gesetz der Schwerkraft. Die zieht jeden dieser Brocken irgendwann doch in die Tiefe.

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"HEY, WIE GEHT’S?", rief uns Joey zu. Joey hieß eigentlich Josephine. Und Josephine war eine ziemlich gute Flitscherin. Sie hatte richtige Kunststückchen drauf. Zum Beispiel zwei Steine auf die Reise zu schicken und sich dann treffen zu lassen. Ein lautes klackendes Geräusch gab es dann. Und wenn die Richtung traf, war das ein Knall, den man meilenweit hören konnte.

Es ist übrigens nur ein Gerücht, das Zwergenmädchen auch Bärte haben. Sie sind nur ziemlich kräftig.

(In einigen antiken Computerspielen tragen Zwergenmädchen Bärte. Angesichts der Kälte auf Maldena 22b habe die Adaptionisten da vielleicht beim weiblichen Teil ihrer Bevölkerung den allerletzten genetischen Optimierungsschritt noch vor sich... Aber der würde sich natürlich krass mit gewissen, überall innerhalb der Humanen Welten verbreiteten Ideale von Schönheit und Weiblichkeit beißen. Und so vermute ich mal, die Zwerginnen auf dieser Supererde frieren lieber im Gesicht, anstatt sich Bärte wachsen zu lassen. Und nein: Eine ‘Neopren-Burka’, wie Erdmenschen sie tragen müssen, würden echte, im Reagenzglas optimierte Adaptionisten niemals anlegen. Das würde ja zeigen, dass sie nicht so richtig an ihre Welt adaptiert wären.)

"Alles wie immer", sagte ich.

Joey sah sich Naomi ziemlich skeptisch an.

"Eine Normal-Irdische", meinte sie staunend. Ich war zwar vorher auch schon mit Naomi im Dorf der Zwerge gewesen, aber Joey war eigenartigerweise nie mit ihr zusammengetroffen. So war es jetzt das erste Mal. "Ist ziemlich selten, so ein Anblick."

"Kein Grund, rassistisch zu sein", sagte ich.

"Ist sie Muslimin?"

"Wieso?"

"Weil sie ihr Gesicht verdeckt hat."

"Sie friert."

"Oh."

"Nichts oh", äffte ich die Maldena-Zwergin nach.

"Ist wohl empfindlich", meinte Joey.

"Sie kann übrigens selbst reden, Joey."

Vielleicht hätten sich die beiden sogar noch unterhalten. Vielleicht...

Aber es geschahen zwei Dinge fast gleichzeitig, die dafür sorgten, dass die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf etwas anderes gelenkt wurde.

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DAS ERSTE WAS GESCHAH, war, dass Jorian Kelly einen Stein flitschen ließ. Das ist der Jorian Kelly, der später Taktikoffizier an Bord des Zerstörers ODYSSEUS unter Captain Wong wurde. Der erste Supererden-Zwerg, der in der Flotte der Humanen Welten einen hohen Offiziersrang erreichte, war er nicht. Das war Admiral Müller von der Supererde New Paraguay im Mondahar-System. Aber bei Müller sind die genetischen Veränderungen zumindest äußerlich moderat. Manche strengen Adaptionisten zählen ihn deswegen gar nicht als richtigen Superden-Zwerg.

Ein etwas hutzelig und gedrungen geratener Erdmensch eben.

Trotzdem - Jorian Kelly war später nicht mehr der erste Zwerg im Offiziersrang. Aber er war immerhin der erste Maldena 22b-Zwerg, der das schaffte. Und er war vielleicht auch derjenige, dem man das unter seinesgleichen besonders übel nahm. Jedenfalls unter den Adaptionisten von Maldena, denn da herrschte bis dahin eine ziemlich große Abneigung gegen alles Irdische, gegen die Humanen Welten, gegen das Space Army Corps, gegen die Flotte und gegen die Konzerne, die diesen Gesteinsbrocken zu einer Gold- (ja, und auch Platin-)Grube gemacht hatten und dafür sorgten, dass hier mit dem Verkauf von Deuterium und Schwerem Wasser ein bisschen Wohlstand einzog.

Jorian Kelly war damals eigentlich nicht mehr richtig zu den Jugendlichen der Adaptionisten-Siedlung zu zählen.

Er stand kurz davor, einen Job bei einer der Companies anzunehmen. Und er wäre dann Bergbauingenieur geworden, was hier vielleicht nicht so ganz dasselbe ist, wie man sich das auf der Erde oder auf Erdnorm-Planeten vorstellt. Aber Jorian hatte nie besonders viel Lust dazu. Nur Pech, wenn man auf einem Planeten lebt, auf dem es eigentlich keine anderen Jobs gibt. Dass er dann für die verhassten Companies hätte arbeiten müssen, hätten ihm seine Zwergenverwandten wohl noch nichtmal so besonders übel genommen.

Die meisten von ihnen begingen diesen Verrat ja inzwischen selbst, weil man dann ein viel einfacheres Leben hatte, als es die Adaptionisten in der Zeit davor gewohnt gewesen waren. Vor der Besetzung, wie sie die Ansiedlung von Erdnorm-Menschen nannten. Oder auch von Optimierten wie meiner Familie. Da machten sie keinen Unterschied. Fremde waren wir in den Augen der besonders Strengen so oder so. Besatzer sagten sie manchmal auch.

Die wussten noch nicht, was Besatzer wirklich waren.

Aber das sollten sie bald besser kennenlernen, als es ihnen lieb war. Sie alle.

Zumindest dir, die mit dem Leben davon kamen. Und das waren nicht allzu viele, wie ich leider sagen muss.

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DER REIHE NACH: JORIAN Kelly flitschte seinen Stein über den See. Und der Stein war erstens der größte Stein, den wir alle jemals einen der Zwergen-Teenager hatten schleudern sehen. Und zweitens schien er gar nicht mehr versinken zu wollen.

Ich habe so etwas nie zuvor und nie wieder danach gesehen. Ein Stein, der nicht untergehen wollte. Und die Oberflächenspannung des Sees wirkte so bretthart, dass ich heute immer noch kaum Worte dafür finde. Die Wasseroberfläche reagierte fast wie ein Trampolin. (Sowas gibt es natürlich auf Maldena 22b nicht. Das lernte ich erst in den Sport-Kursen beim Space Army Corps kennen. Im Sol-System, auf einem Jupitermond namens Ganymed. Allerdings sind die Ausbildungsstätten der Akademie des Space Army Corps allesamt in Habitaten mit Erdnorm untergebracht. So wie man das eben kennt. Also herrschten auch Bedingungen, unter denen ein Trampolin irgendeinen Sinn macht.)

Aber genau so sah es aus.

Ich muss allerdings gestehen, dass ich in jenem Moment noch nicht die Assoziation eines Trampolins hatte, denn so etwas kannte ich damals ja noch nicht. Dieser Bezug kommt mir erst heute in den Sinn. Aber er passt.

So ein Wurf, wie er Jorian Kelly gelang, den bringt man vielleicht einmal im Leben zustande. Selbst wenn man ein Maldena-Zwerg ist und selbst dann, wenn man Jorian Kelly heißt und wahrscheinlich der talentierteste Steine-Flitscher der gesamten Humanen Welten ist.

Es war sein Pech, dass er diesen Anblick nicht bis zum Ende genießen konnte. Wir alle konnten das nicht.

Denn in diesem Augenblick geschah noch etwas anderes.

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EIN STRAHL SCHOSS DURCH die Atmosphäre. Grünlich schimmerte er in den Wolken und zog sich wie ein gerader Strich an einen Punkt jenseits des Horizontes, der hinter schroffen Felsmassiven verborgen lag.

Genau dort hin, wo Far Galaxy City lag.

Ich konnte mich gut orientieren. Die Fähigkeit dazu hatte wohl etwas mit meiner Optimierung zu tun. Naomi hingegen hatte noch Hoffnung, weil sie ahnungslos war. Und vielleicht auch bleiben wollte. Der gewaltige Trichter aus Feuer und Staub erhob sich dort, wo Far Galaxy City gewesen war.

“Gut, dass das nicht dort war, wo unsere Eltern sind”, sagte Naomi.

Keiner der Maldena-Zwerge sagte was dazu. Sie sahen Naomi an und dann mich. Die Zwerge können sich auch gut orientieren. Vor allem in solchen schroffen, vegetationslosen Felslandschaften, wie es sie hier gibt. Landschaften, die Erdmenschen oft als eintönig oder gleichförmig empfinden. Zumindest sagen sie das so, dabei stimmt das nicht. Nicht, wenn man auf die Kleinigkeiten achtet, die den Unterschied machten.

Joey sah erst Naomi an und dann mich.

Und Jorian Kelly starrte zum Horizont.

“Far Galaxy City gibt es nicht mehr”, sagte ich. Es war ein Satz wir eine automatische Analyse. Ein Satz, der mir wie von selbst über die Lippen kam, als hätte ihn ein anderer gesprochen. Die Erfassung der Lage, die Analyse der Situation - das alles muss funktionieren, auch wenn man sich in einer emotional außergewöhnlich belastenden Gesamtsituation befindet. Heute weiß ich, dass auch dies Teil eines genetisch fixierten Programms ist, das bei einer Ausschüttung von Adrenalin und einigen anderen körpereigenen Drogen automatisch abzulaufen beginnt.

"Weg hier!", rief ich.

Es war der Instinkt für die Gefahr, der mich dann automatisch handeln ließ. Ein Instinkt, der genetisch angelegt, aber kaum trainiert war, denn ich hatte bislang kaum gefährliche Situationen erlebt. Um ehrlich zu sein, hatte ich bis dahin keine Ahnung davon, dass ich diesen Instinkt überhaupt besaß. Erst später, als ich mich mal genauer mit meinem genetischen Optimierungsprogramm beschäftigt habe, wurde mir klar, weshalb ich genau so handelte, wie es mir einfach selbstverständlich erschien.

Ich packte Naomi, aktivierte ihren Antigrav und schaltete den Regler auf den größten Wert. Sie wurde dadurch emporgeschleudert wie in einem Raketensitz. Und auch wenn die Gravitation durch das Antigravgerät auf den Wert nahe Null abgesenkt wurde, war ihr empfindlicher Normalmenschen-Körper doch erheblichen Beschleunigungskräften ausgesetzt.

Sie stieß einen Schrei aus.

Einen Schrei der Überraschung, denn sie hatte nicht damit gerechnet, was ich tat. Und dann wandt ich noch innerhalb desselben Bewegungsablaufs Jorian Kelly und Joey zu. Ich packte die beiden Maldena-Zwerge an ihren Schulterriemen. Die Zwerge tragen sowas. Da sind jede Menge Karabinerhaken und Magnethalterungen dran. Das ist praktisch, wenn man die Hände frei haben will und alle möglichen Gegenstände am Körper befestigt haben möchte.

Die Steuerung meines Antigravgürtels war auf das Sprachmenü umgeschaltet. Das habe ich routinemäßig so eingestellt. Ich will die Hände freihaben, wenn ich laufe und springe. Und auf dem Weg hier her, wäre es sehr lästig gewesen, bei jeder kleinen Justierung erstmal nach Schaltern zu suchen oder das Display aktivieren zu müssen - so komfortabel das auch sein mag.

Im nächsten Moment flog ein zwölfjähriger (wenn auch gen-optimierter) Junge in die Luft und an ihm hingen zwei Halbwüchsige, aber trotzdem ziemlich kompakte und dementsprechend schwere Maldena-Zwerge, die ebenfalls vollkommen überrascht waren.

Ich sah mich um und suchte Naomi, und fand sie schließlich. Sie war noch in der Luft. Ich vertraute einfach darauf, dass sie ihr Antigrav-Pak gut genug bedienen konnte, um keine allzu harte Landung hinzulegen.

Aus der Höhe war im Übrigen zu sehen, was für eine gewaltige Explosion den Landstrich, auf dem sich Far Galaxy City bis dahin befand, verwüstet hatte.

Beziehungsweise verwüstet haben musste - denn ich war überzeugt davon, dass es so war und dass dort nichts mehr existierte.

Im nächsten Augenblick kam ein weiterer grünlicher Strahl aus dem wolkenverhangenen Himmel. Er schnitt sich durch die dichte Atmosphäre. Und er traf diesmal nicht Far Galaxy City, sondern das Dorf der Zwerge.

Ich hatte von den qriidischen Traser-Strahlen gehört.

Auch davon, wie gewaltig die Energiemengen waren, die mit Ihnen transportiert werden konnten. Sie stellten eine Waffe dar, die zwar nicht die Durchschlagskraft irdischer Gauss-Geschütze und Railguns besaß, sich in diesem speziellen Fall aber wohl als sehr viel verheerender auswirkte. Denn während ein Gauss-Projektil durch die besonders dichte Atmosphäre einer Supererde wie Maldena 22b zweifellos stark abgebremst und vermutlich sogar verglüht wäre, ohne den Boden zu erreichen, war das bei den Traser-Strahlen der Qriid anders. Eine dichte Atmosphäre war offenbar kein Garant dafür, dass die Strahlen genug Energie verlieren, um nicht trotz allem noch größere Zerstörungen anrichten zu können.

Allerdings schossen die Qriid wohl kaum aus dem freien Weltall. Ich nahm an, dass ihre Schiffe bereits tief in die Atmosphäre eingesunken waren und wir sie nur wegen der Wolkendecke nicht sehen konnten.

In diesen Augenblicken, da wir so durch die Luft schwebten, ging mir einiges durch den Kopf. Ich sah weitere Strahlen vom Himmel schießen. Sie verwandelten einen ganzen Landstrich in eine Feuerhölle. An einigen Stellen schien mir die Energieeinwirkung so stark zu ein, dass selbst das Gestein aufgeschmolzen wurde.

Mir war es vielleicht in dem Augenblick noch nicht klar oder ich weigerte mich einfach, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen, was vielleicht auch ein Teil des genetisch implementierten Schutz-Mechanismus war.

Auf eine kalte, distanzierte Art war mir klar, dass mein bisheriges Leben in diesem Augenblick vorbei war und kaum noch jemand lebte, den ich je gekannt hatte.

Die Emotionen kamen später.

Und dafür umso schlimmer.

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DIE LANDUNG WAR HART.

Selbst für mich.

Das lag wohl daran, dass ich diese beiden Zwerge am Hals hatte, was man in diesem Fall wohl auch wirklich wörtlich verstehen sollte, denn die klammerten sich natürlich an mich. Nur, dass ich von allen die mit Abstand geringste Körpermasse hatte.

Jedenfalls ist es nicht so ganz einfach, die Landung mit einem Antigrav-Aggregat sauber und einigermaßen sanft hinzubekommen, wenn man mit einer solchen Last herumfliegt.

Ich war etwas benommen. Der Untergrund war hartes Gestein, ohne irgendeinen Bewuchs, so wie er für die Landmassen von Maldena 22b eben typisch ist. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich wieder richtig zu mir kam. Vielleicht wäre ein Normalmensch tatsächlich erst einmal ohnmächtig gewesen und hätte sich bei der Landung darüber hinaus alle Knochen im Leib  gebrochen. Mir passiert sowas nicht so schnell. Und wenn doch, dann heilt es ziemlich schnell wieder.

Von Naomi hatte ich nichts mehr gesehen. Ich wusste nicht, ob und wo sie gelandet war oder ob vielleicht die Strahlen der Qriid sie erfasst hatten.

Jorian Kelly und Joey waren hart im nehmen. Aber diesmal stöhnten sie ganz schön.

“Was fällt dir ein!”, schrie Joey.

Es kann anstrengend sein, ein Zwergenmädchen schreien zu hören. Vor allem bei dem hohen Luftdruck auf dieser Welt.

Im Gegensatz zu ihr bin ich ja an Maldena nicht angepasst, sondern ich habe mich an diese Welt lediglich auf Grund meiner genetischen Disposition ganz gut gewöhnen können.

Aber das das natürlich ein Riesen-Unterschied ist, das zeigte sich in diesem Moment. Ich zuckte regelrecht unter ihrem Schrei zusammen und die Ohren taten mir weh.

“Lass ihn!”, sagte Jorian Kelly.

“Er hätte uns fast umgebracht, dieser Verrückte!"

"Er hat uns das Leben gerettet, würde ich eher sagen", widersprach Jorian Kelly.

Joey stand da und rieb sich die Schulter. Ein paar Meter bevor ich gelandet war, war sie schon abgesprungen. Und bei der auf Maldena 22b herrschenden Fallgeschwindigkeit bedeutet so ein Sprung etwas ganz anderes, als unter der Erdnorm, wie ich sie später an Bord von Raumschiffen kennenlernte.

“Was zum Teufel war das?", fragte Joey, als sie sich etwas beruhigt hatte.

"Qriid", sagte ich.

"Ich habe gedacht, dass uns das Space Army Corps der Humanen Welten schützt", meinte Jorian Kelly.

"Und ich dachte, ihr Zwerge habt euch immer selbst schützen wollen und denkt, die Humanen Welten seien nichts anderes als ein Imperium der Unterdrückung durch die Erdmenschen", sagte ich. War vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt für so einen polemischen Ton. Aber ich hatte mir diese Bemerkung nicht verkneifen können. Schließlich waren diese Sprüche immer im Dorf der Zwerge zu hören gewesen. Und natürlich ganz besonders in meiner Gegenwart, denn für die Zwerge war ich genauso ein  Erdmensch wie Naomi. Meine genetische Optimierung sieht man mir schließlich nicht an. Darauf haben die Gen-Ingenieure, die die S-Klasse entwickelt haben, peinlich genau geachtet. Es sollten schließlich keine Monster geschaffen werden. Und es ging auch nicht darum, sich ohne Rücksicht auf irgend etwas einer fremden Welt oder einer besonderen Aufgabe anzupassen, wie es der Ideologie der Adaptionisten entspricht, die die Supererden-Zwerge hervorgebracht hat. Die Genetic Optimized Soldiers sollten vor allem auch Menschen bleiben. Erdmenschen, wenn man so will und wenn man unter diesem Begriff nicht nur Bewohner der Erde versteht, sondern alle Menschen, die der Erdnorm entsprechen. Manche sagen auch ursprüngliche Menschen.

Die Idee dahinter war, dass es schon schwer genug sein wurde, Akzeptanz für gen-optimierte Supermenschen zu finden. Aber Akzeptanz für ein Geschlecht von genmanipulierten Super-Monstern zu finden, schien vollkommen ausgeschlossen zu sein. Inzwischen hat man in dieser Hinsicht auf den Welten der Genetikerföderation im Übrigen längst jede Zurückhaltung aufgegeben. Ich weiß von methanatmenden Bergbauingenieuren mit infrarotsichtigen Facettenaugen, deren DNA ebenfalls menschlich ist - bis auf ein paar klitzekleine Modifikationen und Ergänzungen.

Dagegen bin ich richtig normal.

Was immer dieser Begriff eigentlich bedeuten mag.

Ich denke, es ist einfach so: Der Mensch entwickelt sich. Und er breitet sich im Kosmos aus. So wie er sich einst von Afrika aus auf die anderen Kontinente der Erde ausbreitete. Und auf dieser Wanderschaft veränderte er sich. Je weiter der Mensch in die Unendlichkeit des Alls vordringt und je andersartiger die Welten sind, auf denen er sich ansiedelt, desto mehr wird er sich verändern und sich schließlich vollkommen von dem unterscheiden, was er mal war.

Irgendwann, so stelle ich mir manchmal vor, wird eines sehr fernen Tages ein Mensch, der auf einer sehr fernen Welt gesiedelt hat, einem anderen Menschen begegnen und nicht einmal mehr durch einen genetischen Scan erkennen, dass er seinesgleichen gegenübersteht. Umgekehrt sind wir schon Wesen begegnet, die rein äußerlich den Erdmenschen beinahe vollkommen zu gleichen scheinen und doch nicht im geringsten mit ihnen verwandt sind. Ergebnisse einer parallelen Evolution, die ähnliche Anforderungen in einer ähnlichen Umwelt an völlig unterschiedliche Kreaturen stellte und sie so formte. Es gibt viele Beispiele dafür. Irdische Vögel und die Qriid, Menschen und K’aradan...

Aber zurück zu dem Augenblick, in dem wir uns gerade gerettet hatten. Was mit Naomi war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Niemand konnte das wissen. Ich hoffte zumindest, dass sie auch noch lebte.

“Es hat immer geheißen, dass sie kommen werden - und jetzt sind sie da, die verdammten Qriid”, meinte Jorian Kelly.

“Wir sollten zurück zum Dorf gehen, um zu sehen, ob noch jemand lebt”, sagte Joey.

Das Zwergenmädchen hatte auf mich immer sehr robust gewirkt. Aber das betraf wohl nur die äußerliche, physische Erscheinungsform und es zeigte wieder einmal, wie trügerisch es sein konnte, von der einfach auf die psychische Verfassung zu schließen.

“Da lebt niemand mehr”, sagte Jorian Kelly. Und um etwas von seiner Wut und Verzweiflung loszuwerden, nahm er einen Stein und schmetterte ihn mit ganzer Kraft auf den Boden. Ein faustdicker Brocken war das. Und er zerbrach. Er hätte am liebsten wohl auch noch einen Schrei ausgestoßen, wie er es tat, wenn er solche Brocken über den See flitschen ließ. Aber das unterließ er. So weit hatte er sich dann doch in der Gewalt. Dass bereits Qriid-Truppen gelandet waren, das nahm niemand von uns an. In so fern hätte er sich den Schrei vielleicht erlauben können. Andererseits wusste auch niemand, wie empfindlich die Sensoren der Qriid waren. Und Geräusche übertrugen sich nunmal in einer Atmosphäre wie der von Maldena 22b besonders gut.

“Sie sind alle tot”, sagte Jorian Kelly, so als würde er das ganze Ausmaß der Tragödie erst jetzt, in diesem Moment so richtig begreifen. “Alle. Hast du das eigentlich schon in dein Hirn hineingelassen, du Super-Gen-Monster?”, fragte er dann an mich gewandt.

“Ich habe es erfasst”, sagte ich.

“Es lebt niemand mehr, nicht von deinen Leuten und auch nicht von meinen.”

“So wird es sein.”

“Das nimmst du einfach so kalt hin?”

“Nein”, sagte ich.

“Aber es scheint dir gar nichts auszumachen.”

“Es macht mir was aus”, sagte ich.

“Sieht man nicht unbedingt!”

“Ich versuche, die Verarbeitung meiner Emotionen zu verschieben”, sagte ich.

“So reden doch nur Bekloppte”, meinte Jorian Kelly.

“Wir müssen Naomi finden. Vielleicht lebt sie noch.”

“Und nachsehen, ob von unseren Leuten noch jemand lebt”, warf Joey ein.

“Nein, ganz sicher nicht”, sagte ich. “Das wäre das Dümmste, was wir tun könnten. Die Qriid scheinen es auf die Siedlungen abgesehen zu haben. Also müssen wir uns von Siedlungen fern halten. Auch von denen, die sie bereits zerstört haben, denn ich glaube, dass sie dort in Kürze vielleicht selbst nachsehen werden, wie die Wirkung ihrer Treffer gewesen ist.”

Die beiden Maldena-Zwerge sahen mich erstaunt an.

Irgendjemand musste die Initiative ergreifen.

Ich war der Jüngste in dieser Dreiergruppe. Zwölf Jahre. Und abgesehen davon war ich für Jorian Kelly und Joey wohl immer in erster Linie einfach nur ein eigenartiges Phänomen gewesen. Nicht nur so eigenartig, wie für sie ein Normalmensch war, sondern noch weit darüber hinausgehend.

Aber im Moment hatte ich einfach das Gefühl, dass strategisches Denken und eine kalte Analyse der Situation gefragt war, wenn wir überleben wollten. Denn das war unter den gegebenen Umständen mit Sicherheit nicht einfach.

Ich hatte das Gefühl, zu wissen, was ich richtig war und getan werden musste.

Sehr eigenartig war das. Ich fragte mich, was davon aus mir selbst kam und was vielleicht dem genetischen Optimierungsprogramm entsprang, das in meiner Doppelhelix eingearbeitet worden war.

Für das Überleben war das im Moment vielleicht zweitrangig.

“Du willst nichtmal den Kommunikator benutzen, um zu überprüfen, ob von deinen Leuten noch jemand da ist?”, fragte Joey überrascht.

“Nein”, sagte ich. “Es könnte uns verraten und dafür sorgen, dass man auf uns schießt.”

“Aber du musst doch Naomi anpeilen”, meinte Jorian Kelly.

Er kannte sich ganz gut mit der irdischen Kommunikationstechnik aus. Normalerweise ist das bei Maldena-Zwergen anders. Unter ihnen war es lange verpönt, Kommunikatoren zu benutzen oder andauernd über ein Datennetz zu kommunizieren. Das hängt mit der Zeit zusammen, in der die Zwerge die Herrschaft über den Planeten verloren, wie sie es ausdrücken. Die Zeit, in der die ersten Nicht-Adaptionisten auf Maldena 22b gesiedelt haben und die Companies kamen, weil sie hinter dem Schweren Wasser und dem Deuterium her waren wie der Teufel hinter der armen Seele. Die Zwerge sahen die Datennetze immer als ein Instrument der Kontrolle an. Es ist nicht so, dass sie keine Funk- und Computertechnik benutzen. Aber ganz generell bevorzugen sie eine Low Tech-Umgebung. Zu komplexe Systeme machen abhängig und anfällig für Krisen, so lautete wohl die gebündelte Erfahrung der Adaptionisten, die einst nach Maldena kamen, um sich dieser Welt anzupassen und hier ein neues Leben zu beginnen. Die Technik, die sie benutzten, war gerade komplex genug, um zu überleben und für das Notwendigste zu sorgen. Und anstatt ihre Energie und ihren Forschungsdrang darauf zu verwenden, diese Systeme zu verbessern und komplexer werden zu lassen, hatten die Zwerge das Gegenteil getan. Sie hatten versucht, so einfache Lösungen wie möglich zu finden, um ihr Überleben zu sichern. Stattdessen hatten sie auf etwas anderes sehr viel mehr Wert gelegt.

Sie hatten versucht, sich von Generation zu Generation ihrer Umgebung immer besser anzupassen. Denn je mehr sie sich an den Planeten, auf dem sie lebten, anpassten, desto weniger abhängig waren sie von der Funktionsfähigkeit ihrer Technik.

Gegen einen Volltreffer einer Siedlung mit einem qriidischen Traser-Geschütz half das alles natürlich überhaupt nichts.

Auf Maldena gab es Asteroideneinschläge, Stürme von ungeheurer Gewalt, Gezeitenkräfte, die für die Überflutung ganzer Kontinente sorgten - aber den Beschuss mit Traser-Waffen hatten die Adaptionisten seinerzeit bei ihrer Koloniegründung wohl nicht bedacht.

Wir hätten sie auch!

“Wie willst du Naomi finden?”, fragte Jorian Kelly.

“Durch Berechnung. Ich kann mir ungefähr denken, wo sie gelandet sein muss. Und da wir alle gut zu Fuß sind und nicht solche Normalmenschenschwächlinge, für die die hiesige Schwerkraft ein Problem darstellt, werden wir sie bald gefunden haben.”

“Du fliegst mit deinem Antigrav-Gerät zu ihr, Raggie?”

“Um Himmels willen, nein! Das wäre Selbstmord. Wir gehen alle drei.”

“Zu Fuß?”

“Zu Fuß.”

Jorian Kelly runzelte die Stirn und seine sehr buschigen Augenbrauen zogen sich dabei zusammen. Er sah Joey an und die nickte.

“Gut”, sagte sie.

"Also gehen wir", sagte ich.

"Du bist wirklich ein Soldier", meinte Joey.

"Wie meinst du das?"

Wir hatten natürlich auch mal über die Bedeutung des Buchstabens S zwischen meinem Vor- und meinem Nachnamen gesprochen. Aber in diesem Augenblick konnte ich mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen, was sie damit sagen wollte.

Joey zuckte ihre überaus breiten Zwergenschultern.

"Du kannst ja noch nicht in irgendeiner Armee gewesen sein."

"Natürlich nicht."

"Aber du gibst Befehle, als hättest du nie was anderes gemacht."

Sie hatte recht.

Ich hatte nicht einmal darüber nachgedacht.

Vielleicht musste ich in Zukunft etwas mehr Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der beiden Maldena-Zwerge nehmen, um ihre Kooperationsbereitschaft nicht zu beeinträchtigen. Denn auch davon hing unser Überleben vielleicht noch ab.

*

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WIR KLETTERTEN DURCH die zerklüftete Landschaft.

Stundenlang.

Das Antigrav-Aggregat benutzte ich dabei nicht.

Auch nicht, um hier und da meinen Aufstieg etwas zu erleichtern. Ich hatte Kraft genug und ich glaube, es war ganz gut, dass ich die Möglichkeit hatte, mich etwas zu verausgaben. Das hielt meine Psyche besser im Gleichgewicht. Ein gutes Mittel irgendwie aufkommende Gedanken, die sich irgendwann natürlich ihre Bahn brachen. Meine toten Eltern, die Bilder von der Flammenhölle, in der Far Galaxy City zweifellos aufgegangen war - all das brodelte in mir und ich konnte das am besten im Zaum halten, wenn ich etwas tat. Denn so lange das der Fall war, war ich vollkommen fokussiert.

Für die Trauer war immer noch Zeit, dachte ich damals.

Für die Trauer. Und die Wut. Und vielleicht auch für den blanken Hass. Hass auf diejenigen, die mir mein bisheriges Leben genommen hatten. Hass auf diejenigen, die all diejenigen getötet hatten, die mir etwas bedeuteten.

Die Zeit verrann. Und wir redeten nicht viel. Aber ich kannte die beiden Zwerge immerhin gut genug, um zu wissen, dass sie ebenfalls sehr litten. Viel mehr, als es ihre raue Fassade wohl erahnen ließ.

Über uns sahen wir Shuttles der Qriid am Himmel. Es waren unterschiedliche Flugobjekte und ich will nicht behaupten, dass ich sie richtig zu identifizieren vermochte. Gleiter, Landefähren, Raumshuttles, Kampfdrohnen - von allem ein bisschen, so schien es mir.

Aber natürlich hatte ich noch keine qriidische Waffenkunde gehabt. Das war später, bei den Marines des Space Army Corps. Wissen über die Waffensysteme des Feindes ist nicht Teil des Optimierungsprogramms, das meine DNA durchlaufen hatte. Wie hätte das auch geschehen sollen? Die Ursprünge des Soldier-Programms auf den Genetiker-Welten ging schließlich auf die Zeit vor der ersten Begegnung zwischen Menschen und Qriid zurück. Eine Zeit, in der man sich nicht vorstellen konnte, dass die Menschheit auf einen Feind stoßen würde, der mit so brutaler Entschlossenheit auf ihre Vernichtung hinarbeitete. In diesem Krieg ging es um den rechten Glauben und die Errichtung einer göttlichen Ordnung, wozu die Qriid angeblich einen Auftrag von ganz ganz oben hatten. (Das war uns damals auf Maldena alles noch nicht bekannt. Erst später stellten sich die Dinge so dar, als man mehr über die Feinde erfuhr und es schließlich sogar dazu kam, dass man sich mit ihnen im Krieg gegen die Etnord verbündete.

Sie merken, dass ich über diesen Punkt immer noch nicht so einfach hinweggehen kann. Aber das ist ein anderes Thema.

Damals, auf Maldena, waren die Qriid noch die mysteriösen,  nahezu unbekannten Feinde, die sich ausgerechnet unseren Teil der Galaxis dazu ausgesucht hatten, ihr Heiliges Imperium auszudehnen und einer ominösen göttlichen Ordnung anzugliedern, der wohl niemand sonst irgend etwas Positives abgewinnen kann.

*

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WIR FANDEN NAOMI SCHLIEßLICH in einer Senke, aus der sie vermutlich auch allein nie wieder herausgekommen wäre. Die Senke wurde von schroffen Felsmassiven begrenzt. Die Kletterfähigkeiten eines Normalmenschen reichen nicht aus, um sie zu übersteigen. Jedenfalls nicht wenn dieser Normalmensch ein zwölfjähriges Mädchen ohne jegliches Training ist, dass sich ansonsten lieber von einem Antigrav-Aggregat über solche Hindernisse tragen lässt.

Aber das hatte sie sich in diesem Fall nicht getraut - bei all dem, was am Himmel zurzeit los war.

Und daran hatte sie gut getan.

Vor allem auch deshalb, weil sie mit den Energiezellen ihres Antigrav-Paks sehr sparsam sein musste. Für sie war dieses Antigrav-Pak nämlich lebenswichtig. Für mich hingegen war es nur Luxus.

Allerdings wussten wir nicht, wann und wo wir eventuell wieder an eine vollgeladene Energiezelle herankamen.

Naomi kauerte unter einem Felsvorsprung. Ein guter Ort, um sich zu verbergen, dachte ich. Jedenfalls der Beste weit und breit.

Sie stand auf, als sie uns bemerkte. Es dauerte eine Weile, bis wir sie erreicht hatten.

"Hi ", sagte ich. "Ich hoffe, du hattest eine weiche Landung."

"Nachdem ich schon einen ziemlich abrupten und unfreiwilligen Start hatte, war die Landung eine Kleinigkeit”, sagte sie.

Ich sah kaum mehr als ihre Augen. Denn mehr ließ die Neopren-Maske, die sie gegen die Kälte trug, nicht erkennen. Aber ich kannte sie gut genug, um daraus alles lesen zu können, was wesentlich war. Mehr als andere Leute vielleicht aus einem vollständigen Gesicht mit ausgeprägter Mimik hätten erkennen können. Ich sah ihre Trauer. Ich sah, dass sie geweint hatte und dass sich ihre Augen deshalb entzündet hatten, denn in einer Umgebung, die so kalt ist wie Maldena 22b, sollte man besser nicht weinen. Unter keinen Umständen. Und ich sah, dass sie vollkommen verzweifelt war. Verzweifelt wegen dem, was mit ihren Eltern und allen, die sie kannte, geschehen sein musste und ebenso wegen ihres eigenen ungewissen Schicksals.

Die Verzweiflung, die ich in diesen Augen sah, war der, die ich selbst fühlte so ähnlich, dass ich ihren Blick so schnell es ging auswich.

Denn ich hatte irgendwie das Gefühl, dass ich mich mit diesen Gefühlen jetzt besser nicht auseinandersetzen sollte. Es war besser, nicht weiter darüber nachzudenken. Nicht denken, sondern einfach handeln. Das war das Gebot der Stunde. Oder vielleicht auch das Gebot des immanenten Programms, das in mir wirkte. Spielte im Moment aber keine Rolle, woher das kam. Ob es nur Ausprägung eines individuellen Charakters oder einer genetisch fixierten Routine war, die einfach ablief, ohne dass man etwas dagegen tun konnte.

Ich war mir im übrigen inzwischen auch nicht mehr sicher, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, uns vor dem Qriid-Angriff zu retten. Zumindest, wenn man das Ganze unter dem Aspekt betrachtete, dass wir vielleicht nur einen schnellen Tod durch Traser-Strahlen gegen einen langsamen durch die Natur dieses Planeten eingetauscht hatten.

Und es gab zahllose unangenehme Todesarten für jemanden, der versuchte, auf Maldena 22b ohne besondere technische Unterstützung zu überleben.

“Hast du dir irgendwas gebrochen?”, fragte ich.

“Ich glaube nicht”, sagte Naomi. “Raggie...”

“Ja?”

Ich wusste, was sie fragen wollte.

Nein, eine Frage war es eigentlich nicht, was da nun kommen würde. Es war mehr ein Ausdruck dafür, dass sie sich noch weigerte, die Wahrheit zu akzeptieren. Sie war über dieses Stadium noch nicht hinaus. Ich konnte das verstehen.

“Es lebt niemand mehr in Far Galaxy City”, sagte ich. “Jedenfalls wäre das äußerst unwahrscheinlich. Und im Dorf der Zwerge sowieso nicht. Vermutlich sind auch einige andere Siedlungen getroffen worden, die es noch gibt. Die Qriid haben wirklich ganze Arbeit geleistet...”

“Habt ihr das gesehen?”, fragte sie.

“Nein.”

“Dann glaube ich es auch nicht.”

“Naomi...”

“Wir sollten nachsehen, ob...”

“Das hat keinen Sinn. Wir würden uns nur unnötig in Gefahr bringen.”

Sie schwieg. Eigentlich wusste sie, dass ich recht hatte. Denn selbst sie, mit ihren Normalmenschenaugen, die nicht ganz so leistungsfähig wie meine optimierten Sehorgane sind und nichtmal die Fernsicht der Maldena-Zwerge erreichten, hatte während ihres Antigrav-Pak-Fluges genug gesehen, um die Lage einschätzen zu können. Das war ein Inferno. Ein Höllenfeuer. Und wenn man nicht hinsah, änderte das einfach nichts an den Tatsachen. Leider. Ich hätte mir nichts so sehr gewünscht, als dass das alles nicht passiert wäre, aber so war es nunmal nicht. Die Würfel waren gefallen. Leider auf eine Weise, die keinem von uns gefallen konnte.

Ich bemerkte, dass Naomi zitterte.

Das fiel nicht sofort auf, weil sie wirklich gut eingepackt war. Aber jetzt sah ich es sehr deutlich - trotz der Neopren-Maske.

“Frierst du?”, fragte ich.

“Nicht so schlimm”, log sie.

“Du hast dich zu wenig bewegt.”

“Ich bin völlig erledigt, wie soll ich mich noch bewegen?” Sie machte eine Pause. “Vielleicht war es keine gute Idee, mich mit dem Anti-Grav-Pak fort zu katapultieren. Ich bin nunmal an das Wetter auf diesem Planeten nicht so richtig gewöhnt.”

“Dann wärst du tot”, sagte ich.

“Ja, ich weiß”, sagte sie. “Aber das bin ich so vielleicht auch bald. Nur, dass es länger dauert.”

Wir hatten kaum unser Leben gerettet und uns wiedergefunden, da fingen die Probleme schon an.

*

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IRGENDWO HINTER DEN Anhöhen sahen wir weitere grüne Blitze herabschießen. Sie kamen aus kleinen Flugobjekten, die zu weit entfernt waren, um sie aus der Entfernung identifizieren zu können.

“Ich glaube, die nehmen sich jetzt jede einzelne Station vor”, sagte ich. “Und jede Anlage der Companies, jeden Sender...”

“...und jede Adaptionisten-Siedlung”, sagte Jorian Kelly.

“Aber wieso?”, fragte ich. “Das ist doch vollkommen sinnlos?”

“Für die muss es irgendeinen Sinn machen“, sagte Jorian Kelly.

“Haben die keine Fusionsreaktoren? Brauchen die kein Deuterium? Kein Schweres Wasser? Wieso haben sie diese Welt überhaupt angegriffen, wenn sie hier nichts suchen? Und wieso zerstören sie dann alle Anlagen?”, fragte ich kopfschüttelnd.

Naomi war nicht in der Lage, dazu etwas zu sagen, obwohl ich glaube, dass sie sicherlich eine Meinung dazu gehabt hätte. Aber es ging ihr einfach zu schlecht. Und wir zerbrachen uns die Köpfe dieser Aliens über die Frage, was sie wohl mit dieser Welt anfangen wollten.

Das erschien mir im Augenblick grotesk. Und falsch. Und doch hatte auch das wohl einen Sinn. Es fiel in die Rubrik ‘irgend etwas tun’, damit man nicht den Verstand verlor. Denn es mochte ja sein, dass es Naomi auf Grund ihrer schwachen Normalmenschen-Konstitution im Moment am schlechtesten von uns ging. Aber wenn man die Lage nüchtern betrachtete, dann hatten wir alle keine rosigen Zeiten vor uns. Überlebenswahrscheinlichkeit Null Prozent - auf diesen finsteren Nenner konnte man es wohl vereinfacht gesagt bringen.

Zumindest dann, wenn nicht noch irgend etwas vollkommen Unvorhergesehenes geschah. Zum Beispiel eine Landung von Space Marines des Space Army Corps der Humanen Welten. Aber das setzte voraus, dass der Humane Rat unseretwegen eine Flotte ins Maldena-System entsandte, die groß genug war, um die Qriid-Invasion zurückzuschlagen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange es dauern konnte, bis dafür genug Schiffe zusammengezogen waren. Aber es konnte Wochen dauern, bis sie eintrafen. Vorausgesetzt natürlich, Maldena war überhaupt wichtig genug, um ihre Entsendung zu rechtfertigen. Schließlich wurde auch anderswo gekämpft und die Kapazitäten des Space Army Corps waren ja keineswegs unbegrenzt. Ganz im Gegenteil. Eine Raumarmee im Aufbau war das. Damals war mir das noch nicht so wirklich klar. Der Krieg war bis dahin ja weit weg von uns gewesen und schien mit dem Leben auf dieser Supererde nicht so viel zu tun haben. Und nach allem was, ich von den Zwergen über das Space Army Corps gehört hatte, war das eher der übermächtige Waffenarm der Humanen Welten. Ein Unterdrückungsinstrument, vor dem man sich fürchten sollte.

Aber dass die Perspektive der Zwerge da vielleicht etwas tendenziös war, war mir schon damals klar.

Jetzt wünschte sich vielleicht auch mancher Zwerg, dass das Space Army Corps der Humanen Welten doch bitteschön etwas mächtiger sein möge, als es der Realität entsprach.

So paradox ist das manchmal.

Aber im Moment, das schien klar zu sein, waren wir auf uns allein angewiesen. Und unsere Zeit lief ab.

Ich hatte trotzdem nicht vor, einfach aufzugeben.

Wenn wir auch keine Chance hatten, so war es doch vielleicht das Beste, die nicht vorhandene Chance zu nutzen.

Sie verstehen sicher, was ich meine, oder?

*

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ICH SCHAFFTE ES, ETWAS an den Energiezellen und deren Einstellung zu verändern, die in Naomis Kleidung eingearbeitet waren. Sie trug Thermokleidung, die sie eigentlich warm halten sollte. Aber anscheinend hielt sie sich schon zu lange im Freien auf. Die körpereigene Wärme sollte durch die in die Kleidung eingewebten Thermoelemente eigentlich zum Großteil bewahrt werden. Ein vollständiges Recyclen der Energie geht natürlich nicht. Das Verbieten die thermodynamischen Gesetze. Aber man kann den Verlust minimieren.

Das geht allerdings nur, wenn der Körper auch noch Wärme produziert und an dieser Stelle beißt sich dann die Katze in den Schwanz, wie man, glaube ich, auf der Erde sagt. (Ich glaube, nur da ergibt dieser Satz auch irgendeinen Sinn, weil es abgesehen vom Mutterplaneten aller Menschen ziemlich wenige Orte im Universum gibt, an dem es Katzen gibt. Jedenfalls solche, die sich so eigenartig verhalten.)

"Wird es wärmer?", fragte ich.

"Wo hast du das gelernt?", fragte Naomi.

"Sowas lernt man, wenn man nicht in einem Habitat unter Erdnorm aufwächst, sondern in einer etwas weniger perfekten Umgebung, in der nicht immer alles so funktioniert, wie es soll und man sich dann zu helfen wissen muss."

"Angeber."

"Wie? "

"Trotzdem danke."

"Na, dann..."

"Es wird etwas besser. Also dies ist ja nun wirklich kein warmer Planet, aber so habe ich wirklich noch nie gefroren."

"Auf die Dauer ist das keine Lösung", sagte ich. Aber das wäre eigentlich überflüssig gewesen, denn das wussten wir beide. Aber was gab es schon für dauerhafte Lösungen unter den Umständen, die wir gerade erlebten? Ich hatte Unsinn geredet und war in dem Moment nur einigermaßen dankbar dafür, dass das offenbar niemandem aufgefallen war. Glück muss man eben haben. Selbst im Unglück.

"Die Energieversorgung wird irgendwann den Geist aufgeben, nicht wahr?", meinte Naomi.

“Ja”, bestätigte ich.

"Und das wird früher sein, als wenn du die ursprünglichen Einstellungen belassen hättest?"

“Das ist nicht zu vermeiden. Aber sonst kühlst du zu sehr aus.”

“Ein Feuer machen ist wohl nicht drin, oder?”

“Wenn du hier irgendwo etwas siehst, was sich verbrennen lässt - wieso nicht? Davon abgesehen würden wir damit aber auf uns aufmerksam machen.”

“Die werden uns sowieso entdecken”, meinte Jorian Kelly. “Früher oder später.”

“Dann besser später”, sagte Naomi.

“Wenn es dunkel wird...”, begann Jorian Kelly, aber ich unterbrach ihn.

“Wenn es dunkel wird, sind wir keineswegs sicher, denn ich gehe jede Wette ein, dass auch die Qriid so etwas wie Infrarotkameras besitzen.”

“Und was schlägst du vor?” Der Zwerg verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust und seine sehr buschigen Augenbrauen waren jetzt steil nach oben gerichtet. Ich fragte mich, was diese Augenbrauen wohl mit dem genetischen Anpassungsprogramm der Adaptionisten zu tun hatten. Oder ob sie überhaupt etwas damit zu tun hatten. Vielleicht war das auch einfach nur ein unbeabsichtigter Nebeneffekt. Jedenfalls gab es auf Maldena 22b nun wirklich nicht so viel Staub, dass man sich unbedingt dermaßen buschige Augenbrauen wachsen lassen musste. Aber vielleicht hatte ich auch einfach nur noch nicht kapiert, wozu die gut waren und weshalb jeder Maldena-Zwerg nur froh sein konnte, sie zu haben.

“Keine Ahnung.”

“Ich dachte, das gehört zu einem genetischen Überlebensprogramm: Immer eine Idee haben, immer etwas tun, immer überleben...”

“Hörmal, ich bin zwölf und kein diensterfahrener Raumsoldat, der weiß, wie er mit einer Backe voll Atemluft im freien Weltraum überleben kann."

"Ich dachte nur, du hättest eine Idee, wie wir vielleicht doch noch am leben bleiben", sagte Jorian Kelly.

"Auf jeden Fall werden wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir etwas zu essen, etwas zu trinken und warme Sachen bekommen", sagte ich.

Das waren die wesentlichen Dinge, um die es immer ging. Schon bei den Homo-erectus-Horden, die vor zwei Millionen Jahren Afrika verließen, um zu sehen, ob es auch anderswo noch ein nettes Plätzchen gibt, an dem man gut leben kann.

Ich persönlich hätte auch noch eine ganze Weile ohne Nahrung und Wasser auskommen können. Auch das gehört nämlich zu meiner Gen-Optimierung. Mein Körper schaltet dann in eine Art Sparmodus, der Stoffwechsel wird auf ein Minimum reduziert. Allerdings hat das den Nachteil, dass auch weniger Energie zur Verfügung steht. Im Extremfall falle ich in eine Art Winterschlaf. Das lässt sich sogar willentlich beeinflussen, obwohl ich nie besonders gut darin war und das auch nie wirklich geübt hatte. Wozu auch? Es bestand ja nie zuvor die Notwendigkeit dafür. Aber ich weiß, dass meine Mutter ziemlich gut darin war. Zumindest wurde das erzählt. Sie hat sich ihren Stoffwechsel als Kind auf das Niveau eines katatonischen Scheintodes herabgefahren, nur um sich der Zumutung zu entziehen, bestimmte Ausbildungsprogramme durchlaufen zu müssen. Manchmal auch einfach nur, um ihren Willen durchzusetzen.

Die Erinnerungen stiegen in mir auf.

In diesem Moment hätte ich mir sehr gewünscht, dass es in meinem Leben überhaupt noch jemanden gegeben hätte, gegen den ich meinen Willen hätte durchsetzen können, ob nun durch einen todesähnlichen Winterschlaf, nerviges Teenager-Gequatsche oder einfach nur durch Geschrei, das wäre mir egal gewesen.

Ich schluckte und unterdrückte die Tränen.

Und während wir noch immer unter dem Felsvorsprung kauerten, sahen wir ein gewaltiges Luftfahrzeug durch die Atmosphäre gleiten. Einen Transportgleiter, so nahm ich an, der vermutlich von einem ihrer größeren Raumschiffe ausgeschleust worden war.

Soldaten in schweren, raumtauglichen und vermutlich servoverstärkten Kampfanzügen sprangen ab. Die Antigrav-Paks auf ihrem Rücken verhinderten, dass sie wie Steine vom Himmel fielen. Sie würden sanft landen, das stand außer Frage.

Es handelte sich offenbar um Truppen, die mit den Space Marines der Humanen Welten vergleichbar waren. Ich zählte fast einhundert Absprünge. Man konnte an den Helmen eine leichte Ausbuchtung sehen, die wohl Platz genug für die Schnäbel der Qriid bieten sollte. Und wenn man davon absah, dass ihre Knie genau andersherum einknicken ließen als es bei Menschen der Fall war und sie natürlich mit Traser-Waffen anstatt mit Gauss-Gewehren und Nadel-Strahlern ausgerüstet waren, dann gab es kaum Unterschiede. De Ähnlichkeiten waren erschreckend.

So viel unterschied uns vielleicht gar nicht von ihnen.

Dieser Gedanke war jetzt einfach da. Und obwohl er mir nicht gefiel und ich ihn eigentlich auch am liebsten aus meinem Kopf verbannt hätte, erwies er sich doch als ziemlich hartnäckig.

“Hast du mal darüber nachgedacht, ob es nicht vielleicht das Beste wäre, sich einfach zu ergeben?”, fragte Joey.

Sie sprach Jorian Kelly an, nicht mich.

Aber ich antwortete, weil es mir einfach auf der Zunge lag und Jorian Kelly einfach etwas zu lange gebraucht hatte, um seine Gedanken zu ordnen.

“Kommt nicht in Frage”, sagte ich. “Du kannst ihnen ja gerne entgegengehen. Die haben schon so viele umgebracht, da wird ihnen ein dickes, ungläubiges Zwergenmädchen auch nichts mehr ausmachen! Im Gegenteil.”

“Wir sollten das als letzte Option sehen”, meinte Jorian Kelly. “Aber wirklich nur als letzte.”

“Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt eine ist”, sagte Naomi.

Und ich hatte das Gefühl, dass sie mit dieser Einschätzung richtig lag.

Irgendwie schienen sämtliche Bewohner von Maldena 22b der göttlichen Ordnung der Qriid schlicht und ergreifend im Weg zu sein. Es war gar nicht vorgesehen, dass wir ein Teil davon werden könnten. In so fern war es folgerichtig, uns zu vernichten - und nicht etwa zu einem Glauben zu bekehren, den man offensichtlich nur teilen konnte, wenn man einen Schnabel besaß.

Und das war leider bei keinem von uns Vieren der Fall. Ich fragte mich, ob die Adaptionisten es wohl zurechtbekommen hätten, sich innerhalb von ein, zwei, drei Generationen auch optisch an das Leben unter Qriid anzupassen. Möglicherweise ja. Und vielleicht war das irgendwo anders sogar schon geschehen. Schließlich hatten die Adaptionisten bereits vor der Erfindung des Sandström-Antriebs die Weiten des Alls erforscht, um sich an allen möglichen und unmöglichen Orten anzusiedeln. Es war nicht ausgeschlossen, dass vereinzelte Gruppen unter ihnen sogar schon Kontakt zu den Qriid gehabt hatten, lange bevor sich Menschen und diese vogelartigen Kriegerspezies überhaupt offiziell begegnet waren.

*

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DER RIESIGE TRANSPORTER klappte Fortsätze und Greifarme aus. Teleskopartige Verlängerungen schoben sich hervor.

“Das ist die ganze Industrieanlage”, stellte ich fest.

“Eine Anlage zur Gewinnung von Deuterium”, meinte Naomi. “Dachte ich es mir doch, die Qriid sind auf dieselben Dinge scharf, deretwegen auch die Menschen hier sind.”

“Nur solche Menschen wie du und Raggie”, sagte Joey daraufhin. “Für uns Zwerge gilt das nicht.”

“Ja, ja, das alte Zwergen-Gelaber”, sagte Naomi. “Ganz nach dem Motto: Wir waren schon immer hier und haben die Bodenschätze immer im Boden und die Wasserschätze immer im Ozean gelassen.”

Die gewaltige Flugmaschine nahm nun eine Kurskorrektur vor.

Wenn dieser Gleiter tatsächlich eine Anlage zur Gewinnung von Deuterium beherbergte, dann konnte das nur bedeuten, dass sie zum Meer fliegen musste.

Aber das war ja nicht weit entfernt.

Mir fielen an der Unterseite des Riesengleiters mehrere Blöcke auf und ich fragte mich, ob das wohl die Antigrav-Aggregate der Fremden waren, auf deren Kraftfeldern das Gefährt durch die dichte Atmosphäre von Maldena 22b glitt.

Es gab auch Schubdüsen. Und eine davon wurde jetzt gezündet, um den Kurs noch etwas schneller und nachhaltiger zu verändern. Ein zischender Laut, so schneidend, dass es wehtat, drang nun an unsere Ohren. Und dann schoss plötzlich eine Feuerzunge hervor. Sie leckte an der Außenhülle des Gleiters entlang und reichte schätzungsweise eine halbe Meile weit. Mindestens zwei der abgesprungenen Qriid-Marines, die noch mit Hilfe ihrer Antigrav-Paks zu Boden schwebten, wurden davon erfasst. Und dann explodierte der ganze Gleiter. Er verwandelte sich in einen sich ausdehnenden Ballon aus purer Glut. Fast so, als wäre plötzlich eine zweite Sonne am Himmel von Maldena 22b erschienen.

Glühende Trümmerteile flogen durch die Luft.

Wie Sternschnuppen.

Wir gingen in Deckung, um nichts von alledem abzubekommen. Die Hitzewelle war deutlich zu spüren. Und das will auf einem Planeten mit so niedrigen Durchschnittstemperaturen schon etwas heißen!

Diese Idioten!, dachte ich, denn die Ursache für die Explosion lag auf der Hand. Niemand war verrückt genug, bei einem Landeanflug auf Maldena 22b Schubdüsen zu benutzen. Da konnte man auch gleich einen Raketenantrieb verwenden oder sich selbst anzünden.

Der Grund dafür ist der hohe Luftdruck in Verbindung mit einem Sauerstoffanteil, der weit über der sogenannten Erdnorm liegt. Dieser hohe Sauerstoffanteil erleichtert es natürlich, dass Erdmenschen hier überhaupt atmen können. Und auch die Anpassung der Adaptionisten-Zwerge war sicher leichter dadurch. Muskeln lassen sich nunmal besser mit Sauerstoff versorgen, wenn mehr davon da ist. Und unter einer so hohen Supererden-Schwerkraft kommt man ohne eine gut ausgebaute Muskulatur nunmal nicht aus. Die Alternative ist nur ein Antigrav-Pak.

Aber der hohe Sauerstoffanteil hat auch seine Schattenseite. Alles entzündet sich schneller und verbrennt leichter. Sauerstoff fördert die Verbrennung, so heißt es. Und genau das war soeben mit dem qriidischen Gleiter geschehen.

Wer Maldena 22b anflog, der musste auf Schub und Steuerung verzichten und setzte am besten ausschließlich auf eine Manövrierung anhand der Regler für die Antigrav-Aggregate. Piloten mögen sowas nicht. Aber, wer auf Maldena landen will, der hält sich besser dran, sonst geht er mitsamt seinem Gefährt genauso schnell in Flammen auf, wie das soeben mit dem Gleiter der Qriid geschehen war.

So schrecklich es war, was mit den Qriid an Bord des Gleiters geschehen war, so hielt sich mein Mitgefühl in diesem Fall in engen Grenzen.

Ehrlich gesagt, empfand ich eher so etwas wie Genugtuung. Zumindest für einen kurzen Moment. Sie hatten es verdient, in dieser Flammenhölle unterzugehen. Denn schließlich hatten sie etwas ganz ähnliches unseren Eltern und allen anderen Leuten von Far Galaxy City angetan.

*

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“WIR SOLLTEN VERSUCHEN, die Höhlen zu erreichen”, meinte Jorian Kelly.

“Welche Höhlen?”, fragte ich.

“Hast du noch nie von den Höhlen gehört?”

“Nein. Meinst du die Platin und Goldminen? Die liegen so weit entfernt, dass wir einen Monat brauchen, um dorthin zu gelangen.”

Die Arbeiter der Company erreichten diese Minen mit Hilfe eines Gleiters innerhalb einer Dreiviertelstunde. Aber für uns sah die Lage natürlich ganz anders aus. Ich fragte: “Meinst du, dass bei den Minen jemand überlebt hat?”

“Wäre nicht ausgeschlossen”, sagte Jorian Kelly. “Aber ehrlich gesagt, meinte ich nicht die Minen, sondern richtige Höhlen. Das ist unter euren Leuten nicht so bekannt, weil ihr mit den Höhlen nichts anfangen könnt. Es gibt da kein Schweres Wasser, kein Deuterium. Aber wahrscheinlich war bislang auch noch niemand dort, um nachzusehen, ob es da nicht noch irgend etwas anderes geben könnte, was man plündern kann.”

“Es soll hier tatsächlich Höhlen geben”, meinte Naomi. “Jedenfalls nach meinem planetaren Holo-Atlas, den ich zu Hause hatte.” Sie schwieg einige Augenblicke. Ihr Blick traf meinen. Sie war wieder an das erinnert worden, was sie verloren hatte. So würde es uns von nun an wohl noch lange gehen. Man erwähnte beiläufig irgendeine Kleinigkeit und war gleich mitten im Sumpf der Traurigkeit. Dagegen schien nicht einmal eine genetische Optimierung so richtig gut zu helfen. Vielleicht war das einfach unabänderlich menschlich. Etwas, von dem man sagen konnte: Da musst du durch. Aber sowas hätte ich in dem Augenblick nicht hören wollen und Naomi mit Sicherheit auch nicht. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme belegt. “Meine Eltern dachten immer, dass das mein Interesse an der Geologie dieses Planeten wecken könnte”, sagte sie. “Naja, ich habe ein bisschen mit dem Programm herumgespielt... Es sind sehr tief Höhlen. Und es gibt Wasser dort.”

“Ja, und eine konstante Temperatur von plus 12 Grad Celsius”, ergänzte Jorian Kelly.

“Hast du auch einen Holo-Atlas?”, fragte ich.

“Nein.”

“Ich dachte.”

“Sowas ist was für fantasielose Außenweltler, die sich das nicht vorstellen können.”

“Ach so.”

“Die Höhlen waren früher wichtig für unsere Leute.”

“Sag nicht, dass ihr dort gelebt habt.”

“Zeitweilig schon.”

“Ich dachte, deine Vorfahren wären adaptionistische Weltraumpioniere gewesen - und keine Höhlenmenschen.”

“Unsere Vorfahren haben unter sehr schwierigen Bedingungen ihr Leben hier auf Maldena 22b begonnen. Sie hatten nichts, was mit der heutigen Technik vergleichbar wäre. Und es kam immer wieder zu katastrophalen Zwischenfällen.”

“Was für Zwischenfälle?”

“Zum Beispiel ein koronarer Massenauswurf unseres Zentralgestirns vor fast 80 Jahren.”

“Ich dachte, die dichte Atmosphäre und das Magnetfeld von Maldena schützt uns vor so etwas.”

“Nicht vor einem Sonnensturm dieser Stärke. Dazu ist dieser Planet zu nahe an einer Sonne. Solche Ausbrüche kommen unregelmäßig vor. Wenn es soweit ist, dann braucht man einen sehr guten Strahlenschutz. Den hatten unsere Vorfahren nicht. Darum flüchteten sie in die Höhlen - für ein halbes Jahr.”

“Ein halbes Jahr?”

Jorian Kelly nickte. “So lange dauerte diese Flare-Phase immer wiederkehrender Ausbrüche. Unsere Sonne hat während dieser Zeit ein Drittel an Helligkeit zugenommen und man konnte Polarlichter am Äquator sehen.”

Ich war perplex.

“Davon wusste ich gar nichts.”

“Ihr wisst vieles über diese Welt nicht, obwohl ihr hier lebt.”

“Dann wird es irgendwann wieder so einen Ausbruch geben.”

“Irgendwann—ja.”

Ich fragte mich, ob die Companies diesen Fall überhaupt in ihre Notfallplanungen einbezogen hatten. Eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass den Astronomen von Far Galaxy und den anderen Firmen, die Maldena 22b erschlossen hatten, diese naturwissenschaftlichen Fakten unbekannt waren. Oder kümmerten sich die Konzernvertreter einfach nicht darum? War es ihnen gleichgültig, dass diese Zeitbombe tickte? Ging es ihnen nur um die Maximierung ihrer Gewinne und nahmen sie dafür in Kauf, dass vielleicht die ganze Kolonie von einem solchen koronaren Masseausbruch getroffen wurde?

All das konnte man jetzt wohl kaum noch feststellen. Denn von der Kolonie war nichts geblieben. Far Galaxy City gab es auch nicht mehr. Und wenn die Qriid mit derselben Gründlichkeit auf dem Rest des Planeten gewütet hatten, dann waren selbst die Wetterstationen und die Stationen an den Minen vernichtet worden. Vielleicht hatten sich irgendwo ein paar Zwerge in die Höhlen retten können - so wie damals, vor achtzig Jahren, als die Strahlung des Zentralgestirns die ursprünglichen Siedler dieser Welt bedrohte.

Ich hatte von weit abgelegenen Zwergen-Siedlungen gehört, deren Bewohner vielleicht und mit viel Glück Zeit genug gehabt hatten, sich zu retten. Anders als die Bevölkerung von Far Galaxy City und dem Dorf, aus dem Jorian Kelly und Joey stammten.

Aber wir rechneten besser nicht damit. Und wir taten wohl auch gut daran, uns nicht auf Hilfe zu verlassen, die vielleicht von diesen wenigen Überlebenden kommen konnte.

Das war mindestens so unwahrscheinlich wie ein schnelles Eingreifen des Space Army Corps.

Alles in allem, war unsere Lage wirklich alles andere als rosig.

“Vielleicht ist es keine schlechte Idee, so eine Höhle aufzusuchen”, meinte ich.

“Gut. Dann sollten wir uns auf den Weg machen”, sagte Jorian Kelly.

“Und du kennst den Weg?”

“Ich denke, dass ich einen der Höhleneingänge finden kann. Aber es ist ein kleiner Marsch dort hin.”

Wenn ein Maldena-Zwerg von einem kleinen Marsch sprach, dann war es wirklich ein ziemlich anstrengendes Wegstück. Und wahrscheinlich weiter, als ich mir im Moment vorstellen wollte. Und davon abgesehen waren auf diesem zerklüfteten Kontinent schon ein paar Meilen unter Umständen eine sehr anstrengende, langwierige Reise - es sei denn, man konnte mit einem Antigrav-Aggregat herumfliegen und die Klippen, die einem lästig waren, einfach überfliegen. Aber genau das war im Moment ja nicht möglich.

“Hauptsache wir sind nicht alle verhungert und verdurstet, bevor wir diese Höhle erreichen”, sagte Naomi.

Und natürlich sprach sie dabei vor allem von dem, was ihr bevorstand. Denn sie konnte Hunger und Durst am schlechtesten aushalten und würde als erste dadurch außer Gefecht gesetzt werden.

Das wusste sie natürlich.

“Keine Sorge, so weit ist es nun auch wieder nicht”, meinte Jorian Kelly. “Ich war zuletzt dort, als ich noch sehr klein war. Zusammen mit meinem Großvater.”

“Hatte der den koronaren Masseausbruch vor 80 Jahren noch erlebt?”, fragte Naomi.

Jorian Kelly nickte. “Ja, hatte er. Und er fand, ich sollte wissen, wohin man flüchten könnte, wenn es mal schlimm kommen sollte.”

“Dabei dachte er wohl kaum an die Qriid, oder?”, meinte Naomi.

“An die Qriid hat damals niemand gedacht.”

“Nein, das stimmt.”

“Unser Dorf lag früher woanders”, sagte jetzt Joey. “Es wurde verlegt - so zwanzig oder fünfundzwanzig Erdjahre vor unserer Geburt. Und seitdem dürfte der Weg zu den Höhlen etwas weiter sein.”

“Wieso hat man es verlegt?”, fragte Naomi.

“Das hatte mit euch zu tun.”

“Mit uns?”

“Natürlich nicht mit euch persönlich, sondern mit euren Leuten. Der Far Galaxy Konzern hat es angeordnet. Ich kann dir die Gründe dafür nicht sagen.”

“Die Grund dafür war die Nähe zu Far Galaxy City”, sagte Jorian Kelly. “Man wollte in der Nähe der Stadt sein, weil sich unsere Leute daran gewöhnt hatten, dort zu arbeiten oder sich mit Dingen zu versorgen, die es bei uns nicht gab.”

In der Nähe der Stadt.

Diese Worte aus Jorian Kellys Mund echoten noch in meinem Kopf. Und wenn es nicht so traurig gewesen wäre, hätte ich darüber schmunzeln können. Die Stadt. Ja, so hatte man Far Galaxy City oft genannt. Und damals als das Zwergendorf verlegt worden war, war die Stadt ganz sicher nicht größer gewesen, als in der Zeit, die ich erlebt hatte. Ganz sicher nicht.

Ein Camp, aus dem mit der Zeit ein befestigtes Camp wurde und dessen Bewohner sich als Stadt bezeichneten. So konnte man es zusammenfassen.

Und jetzt?

Nichts. Nur eine Wüste des puren Grauens und die Asche von Leichen, verbrannt in einem grausamen Strahlenfeuer.

*

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WIR MACHTEN UNS AUF den Weg. Das bedeutete zunächst einmal, dass wir ziemlich mühselig in den Felsen herumkletterten und Naomi ihr Antigrav-Pak nur dann zum Schweben benutzte, wenn es unerlässlich war und sie diese zusätzliche Hilfe einfach brauchte. Man musste stets abwägen, welche Energie man sparen wollte: Die ihres schwachen Menschenkörpers, der für diese Schwerkraft einfach nicht gemacht war oder die der Energiezellen des Antigrav-Aggregats auf ihrem Rücken, das sie aber dringend brauchte, um überhaupt überleben zu können.

Ich versuchte ebenfalls mein Antigrav-Pack so wenig wie möglich zu benutzen. Aber es war trotzdem ein gutes Gefühl, das Ding bei sich zu haben. Zum Beispiel für den Fall eines Absturzes.

Ich bildete mir zwar ein, dass mir nichts passieren könnte und wenn ich heute daran denke, dann kann ich über meine Naivität in dieser Hinsicht nur den Kopf schütteln. Ich fühlte mich wie ein Maldena-Zwerg. Genauso sicher, genauso angepasst, genauso gut im Klettern und genauso stark. Aber all das war ich nicht. Da gab es einfach einen Unterschied. Einen Unterschied, den ich mich damals einfach weigerte zu sehen. Aber er war da. Ich war zwar auf Maldena 22b aufgewachsen und groß geworden, aber Jorian Kelly und Joey waren an diese Welt angepasst. Und das war nochmal eine ganz andere Nummer.

Manchmal sahen wir zum Horizont, wenn wir einen Platz mit guter Aussicht erreichten. Zum Beispiel das Hochplateau, von dem aus man bis zum Ozean sehen konnte.

Einen Ozean, dessen Gezeiten so verheerend waren, dass es unmöglich war, auf den anderen Kontinenten des Planeten eine Siedlung zu errichten. Selbst die Adaptionisten waren daran gescheitert. Dann hätten sie wohl Fische werden müssen anstatt Zwerge.

Vom Gen-Pool her wäre das ja durchaus drin gewesen.

Jeder Mensch hat schließlich während der Schwangerschaft für eine Weile Kiemen und letztlich sind Fische auch nur Vorfahren von uns. Wir, so könnte man sagen, sind gen-optimierte Fische. Oder Fisch-Adaptionisten, die sich an das Leben auf festem Boden optimiert haben. Das hätten die Adaptionisten-Siedler von Maldena 22b ja schließlich auch wieder rückgängig machen können.

Darüber, wieso sie es nicht getan hatten, gibt es verschiedene Theorien.

Die eine ist, dass die gentechnischen Fähigkeiten der ersten Siedler eben doch relativ begrenzt waren. Mit den Möglichkeiten, die es heute auf den Welten der Genetiker-Föderation gibt, hätten sie sowieso niemals mithalten können. Das meine ich auch nicht.

Aber selbst die durch ethisch Gängelei eingeschränkte Gentechnologie auf der Erde oder den Wega-Welten würden die Möglichkeiten der Adaptionisten von damals in den Schatten stellen.

Vielleicht waren die einfach nur etwas skrupelloser darin, das, was ihnen möglich war, auch einfach durchzuführen und auszuprobieren. Darauf läuft es wohl hinaus, denke ich. Und das wiederum spricht dafür, dass sie es einfach nicht konnten - Menschen in Fische zu verwandeln.

Es gibt auf Maldena allerdings auch eine Legende.

Eine Legende, die sich sehr hartnäckig unter den Zwergen hält und die man manchmal sogar von den Bewohnern von Far Galaxy City hören konnte.

Sie besagt, dass die frühen Siedler es doch geschafft hätten und dass es jetzt im südlichen Teil des Supererdenozeans ein paar Exemplare einer sehr seltsamen, fischähnlichen Spezies gäbe, die genetisch immer noch als menschlich durchgehen würde. Die Erbinformation wäre der eines ganz gewöhnlichen Erdmenschen um den Faktor tausend ähnlicher als ein Gorilla oder Schimpanse, die man doch sonst immer als unsere nächsten Verwandten ansieht. (Seit beide Arten auf New Hope II ausgewildert wurden, sieht man sie wohl eher als eine Landplage an, glaube ich. Aber dazu gibt es unterschiedliche Ansichten).

Weit draußen auf dem Meer sah ich immer wieder die Gleiter der Qriid. Sie flogen sehr tief. Ihre Antigrav-Aggregate drückten teilweise die Wasseroberfläche ein, so dass sich dort muldenartige Strukturen auf dem Wasser bildeten.

“Sie scheinen wirklich keine Zeit verlieren zu wollen”, meinte Naomi.

“Was meinst du jetzt genau?”, fragte ich, da ich nicht sicher war, sie richtig verstanden zu haben.

“Na, mit der industriellen Ausbeutung dieses Planeten! Sieh dir das doch mal mit Verstand an. Sie sammeln Deuterium ein. Die Companies und vor allem Far Galaxy haben auch sehr leistungsstarke Gleiter, mit denen man ganz bequem die verschiedensten Dinge von der Oberfläche abernten kann.”

Die Qriid waren keine Idioten ohne Technik. Sie wussten genau, was sie wollten und wie sie es bekommen konnten. Unglücklicherweise war ihnen dabei eine ungläubige planetare Bevölkerung anscheinend nur im Weg. Und so war es auch folgerichtig, dass sie uns einfach jagten und auszurotten versuchten. So, wie wir es vielleicht hin und wieder mit Schädlingen zu tun pflegten, die aus dem Nichts aufgetaucht waren.

*

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ALS WIR AUF EINER FELSENKANZEL mit guter Aussicht eine Pause einlegten, sagte Joey: “Hört ihr das eigentlich auch alle?”

“Was meinst du?”, fragte Naomi.

“Dich meinte ich nicht.”

“Wieso nicht?”

“Deine Ohren sind nicht zu gebrauchen. Du kannst das nicht hören.” Sie deutete auf mich. “Du vielleicht schon.”

Zu meiner genetischen Optimierung gehörten verbesserte Sinne, so viel war klar und soviel wusste auch Joey darüber. Ich hatte mich den Zwergen gegenüber zu diesem Thema immer sehr bedeckt gehalten. Schließlich war ich keineswegs darauf aus, den Übermenschen hervorkehren zu wollen. Und insbesondere die Maldena-Zwerge können da sehr empfindlich werden. Dabei spielt es dann auch keine Rolle, dass sie selbst ja gewissermaßen auch ein Produkt eines genetischen Optimierungsprogramms sind, auch wenn das bei ihnen mit einem anderen Ziel durchgeführt wurde als bei mir. Aber lassen wir das. Das ist ein unerschöpfliches Thema. Ein weites Asteroidenfeld sozusagen. Wenn ich damit anfange, dann komme ich nicht mehr zu den wesentlichen Dingen, die ich erzählen will und die es verdient haben, dass sich jemand an sie erinnert. Auch dann, wenn ich oder irgend jemand anderes, der dies miterlebt hat, schon längst nicht mehr am Leben bin. Ewiges Leben gehört leider nicht zu den Verbesserungen, die man bei mir durchgeführt hat. Und ich schätze, es wird noch ein bisschen dauern, bis man da so etwas wie einen Zustand der Unsterblichkeit erreichen könnte.

Dann, so kann man sagen, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Menschen und dem, was sie sich früher unter ihren Göttern vorstellten. Allmächtig und unsterblich, das ist schon fast ein bisschen viel auf einmal. Nett wäre es aber trotzdem, finde ich.

Mir waren die Geräusche auch schon aufgefallen, die aus der Richtung des Ozeans kamen.

Wie soll ich mich da ausdrücken? Manche davon waren in einem sehr exotischen Frequenzbereich, der nur zum Teil von meinem Gehör noch abgedeckt wurde.

Mit den Bewohnern des Ozeans von Maldena 22b hatte ich mich nie sehr beschäftigt - außer, dass ich die eine oder andere lebende Spezies, die in dem wahrscheinlich mehr als 15000 Kilometer tiefen Ozean von Maldena schonmal auf dem Teller und gut durchgebraten genossen hatte. Aus manchen wurden auch Nahrungskonzentrate oder Rohmasse für Syntho-Steaks oder dergleichen gemacht.

Aber mir war klar, dass es da draußen auf dem Ozean etwas gab, was man zusammenfassend als fliegende Fische bezeichnen könnte. Auf der Erde und vielen anderen erdähnlichen Planeten ist das Leben aus dem Meer irgendwann ans Land gekrochen, um es als Lebensraum zu erobern, um sich danach in die Lüfte zu erheben. Auf Maldena ist der evolutionäre Zwischenschritt des Lebens an Land irgendwie ausgefallen. Es gibt keine hier beheimatete Spezies, die an Land lebt. Dafür aber um so mehr, die sich gleich aus dem Wasser in die Lüfte erhoben haben, sei es, um ihren Jägern auszuweichen oder um selbst besser jagen zu können.

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass das Fliegen auf Welten mit hoher Gravitation schwieriger sei als auf solchen mit niedriger Schwerkraft.

Das Gegenteil ist häufig der Fall.

Hohe Gravitation bedeutet im allgemeinen eine dichtere Atmosphäre mit einem hohen atmosphärischen Druck. Und ein hoher Luftdruck erleichterte das Gleiten mit Hilfe von Flügeln. Der Unterschied zwischen schwimmen und fliegen ist dann gar nicht so groß. Man braucht zwar auf Grund der hohen Schwerkraft etwas mehr Kraft, um sich in die Luft zu erheben, als unter Erdnorm - aber viel weniger Kraft, um sich in der Luft zu halten. Und darauf kommt es an. Abertausende von Kilometern lassen sich auf diese Weise mit sehr geringem Energieaufwand bewältigen.

Unzählige Spezies hatten auf Maldena die Lüfte erobert. Aber nur die Lüfte über den Ozeanen. Keinem dieser Geschöpfe wäre  es eingefallen, unter normalen Umständen über einen der Kontinente zu fliegen, denn das waren für sie nur nahrungsmittelfreie Wüsten.

Ein Flug über Land war daher nicht empfehlenswert für sie.

Aber jetzt hatte sich das geändert.

Denn jetzt waren sie auf der Flucht, und da zählten andere Gesetze als sonst.

"Die Landegleiter der Qriid müssen die fliegenden Fische aufgescheucht haben", meinte Joey.

"Ja, und jetzt fliegen sie genau auf uns zu", stellte Jorian Kelly fest.

"Wir sollten sehen, dass wir ein paar von diesen fliegenden Steaks einfangen und gut braten", meinte ich. "Wer weiß schon, wann wir an dem nächsten planetaren Schnellrestaurant vorbeikommen."

"Ich fürchte, sowas gibt es leider auf dem ganzen Planeten nicht mehr", sagte Naomi.

"Ich weiß", murmelte ich. "Verdammt, ich weiß das." Und eigentlich wollte ich nicht andauernd daran erinnert werden. Aber, das war wohl nicht zu vermeiden.

*

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“WAS GLAUBST DU, WIE lange diese Viecher brauchen, bis sie hier in der Gegend ankommen?”, fragte Jorian Kelly.

Ich zuckte mit den Schultern. Ich kann so etwas ganz gut berechnen. Auch das ist Teil meiner Optimierung. Wann schlägt welches Geschoss wo ein? Dabei ist das bei mir eher ein intuitiv ablaufender Prozess. Wenn jemand einen Stein wirft und ein bestimmtes Ziel treffen will, dann berechnet er solche Dinge ja auch im Kopf. Nur geht das bei mir etwas exakter. “Wir haben zwei Stunden”, sagte ich.

“Zwei Stunden, wofür?”, fragte Naomi.

Ich wechselte einen Blick mit Jorian Kelly und Joey. Die beiden Zwerge hatten mich verstanden, ohne dass wir darüber geredet hatten, denn wir hatten im selben Augenblick denselben Gedanken gehabt.

Naomi nicht.

Das lag an vielen Dingen. Vor allem aber daran, dass wir anderen einfach länger auf diesem Planeten lebten als sie.

“Die fliegenden Fische werden uns nicht den Gefallen tun, einfach vom Himmel zu fallen wie das Manna in der Bibel auf dem Zug der Israeliten durch die Wüste”, meinte ich.

“Ja, und?”, fragte Naomi.

“Wir müssen sie da herunterholen. Und da wir keine Schusswaffen bei uns haben, gibt es nur eine Möglichkeit.”

“Und die wäre?”

“Steine sammeln und werfen”, antwortete Joey an meiner statt.

“Genau”, sagte ich. “Wir haben das Glück, zwei exzellente Steinewerfer in unseren Reihen zu haben. So ganz schlecht bin ich ja auch nicht, aber ich glaube, es ist schon was anderes, mit einem Stein nach einem fliegenden Fisch zu werfen, als über die Wasseroberfläche eines Sees zu flitschen.”

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WIR SAMMELTEN ALSO Steine, die von ihrer Größe und Beschaffenheit als Wurfgeschosse geeignet schienen. Natürlich nahmen auch die Zwerge nicht so große Brocken, wie sie es beim Steineflitschen getan hätten. Schließlich war nun die Schwerkraft in gewisser Weise unser Feind. Auch große Zwergenmuskeln würden ihre Mühe haben, die Dinger so zu werfen, dass sie damit auch welche von den fliegenden Fischen trafen. Und zwar mit genug Wucht, dass diese Kreaturen ausgeknockt wurden.

Erfahrungswerte gab es für diese Jagdmethode nicht. Denn wie ich schon erwähnte, es war sehr selten, dass fliegende Fische überhaupt über Land flogen und davon abgesehen war zumindest ich an den Gebrauch von Technik in allen Lebensbereichen gewöhnt. Für die Zwerge galt das zwar nur mit Einschränkung, aber trotzdem... Es war ein Experiment.

Wir hatten einen schönen Steinhaufen angesammelt, als die ersten fliegenden Fische herankamen. Glücklicherweise hatten sie nicht die Richtung gewechselt. Aber das würden sie tun, wenn sie auf weitere Irritationen stießen, zum Beispiel in Form von Landegleitern der Qriid.

Jeder von uns nahm sich ein paar Steine. Auch Naomi, die mit ihren Normalmädchenmuskeln keine Chance hatte, einen der fliegenden Fische aus der Luft zu holen. Aber wie sagt man so schön? Der gute Wille zählt.

Sie wollte auch was für ihre nächste Mahlzeit tun - und dabei hatten wir noch nicht einmal darüber nachgedacht, wie wir die Dinger zubereiten sollten. Aber kommt Zeit kommt Rat. Man muss nicht alle Probleme auf einmal zu lösen versuchen. Immer der Reihe nach.

Die fliegenden Fische bildeten einen Schwarm.

Einen Schwarm, dem abertausende von einzelnen Kreaturen aus sehr unterschiedlichen Spezies angehörten. Von solchen Schwärmen hatte ich schon gehört. Sie bildeten sich bei Bedrohung, die für diese Wesen vor allem durch Wirbelstürme gegeben war.

Gemeinsam hatten sie offenbar eine bessere Chance, diesen Wirbelstürmen auszuweichen.

Als die Landegleiter der Qriid aufgetaucht waren, hatten sie darauf genauso reagiert.

Außerdem flogen sie ziemlich tief, und da wir uns ja auf einer Anhöhe befanden und die fliegenden Fische gezwungen waren, die Höhenzüge zu überfliegen, sofern sie nicht abdrehen wollten. Aber dazu saß wohl der Schrecken zu tief, den die Qriid-Gleiter verbreitet hatten.

Viele der fliegenden Fische hatten rochenähnliche Form und eine Flügelspannweite (oder sollte man Flossenspannweite sagen? Ich bin kein Biologe) von bis zu drei Metern. Andere waren viel kleiner, die kleinsten so groß wie die Handfläche eines Menschen.

Es war nicht so schwierig, sie mit einem Stein zu treffen.

Schwieriger war, sie richtig zu treffen. Es war nämlich gar nicht so einfach zu erkennen, wo sich der Kopf oder ein äquivalent des Gehirns bei diesen Organismen befand. Vielleicht gab es so etwas auch gar nicht. Jedenfalls waren sie nicht so ganz einfach auszuschalten.

Wir warfen unsere Steine und griffen sofort zu den nächsten Wurfgeschossen. So schnell wie möglich schleuderten wir die dem Schwarm der fliegenden Fische entgegen. Und ich sah schon nach wenigen Augenblicken, dass wir etliche von ihnen gut genug getroffen hatten. Der Schwarm reagierte unterdessen. Die meisten von den fliegenden Fischen verhielten sich erstaunlicherweise auf eine Art, die eher an die Verhaltensweise eines einzigen Organismus erinnerte, als an das chaotische Durcheinander abertausender und vor allem sehr unterschiedlichster Wesen aus mehr als zwei Dutzend Spezies. Spezies, die ansonsten wohl kaum mehr miteinander teilten, als den Gedanken, möglichst jeder Gefahr auszuweichen, sofern das irgendwie machbar war.

Die ersten fliegenden Fische waren bereits zu Boden gefallen. Manche tot, manche betäubt. Und andere zappelten noch, weil unsere Steinwürfe sie nur verletzt, aber nicht vernichtet hatten.

Jagen ist keine schöne Tätigkeit.

Das wurde mir an diesem Tag klar.

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BEI UNSERER MAHLZEIT gab es dann zwei Probleme. Das erste war, dass es nicht gerade appetitanregend wirkt, wenn man sterbende, japsende, zischende, röchelnde fliegende Fische dutzendweise in der Nähe sterben sieht. Wir konnten nicht alle essen. Aber wir gaben uns Mühe, alle zu erschlagen, die wir getroffen oder verletzt hatten.

Dann trugen wir unsere Beute zusammen, während der Schwarm über uns hinwegzog. Das Rascheln, das die Flugflossen dieser Tiere verursachten, war ohrenbetäubend. Außerdem hatten unsere Steinwürfe für ordentlich Chaos im Schwarm gesorgt. Und wie das bei Schwärmen so ist: Dieses Chaos breitete sich aus, verursachte Reaktionen bei immer mehr fliegenden Fischen und sorgte schließlich dafür, dass das ganze Gebilde seinen Kurs änderte.

Und dann wollten uns einige dieser Kreaturen auch noch die Beute streitig machen. Sie sahen aus wie Rochen, die man auf die Streckbank gelegt hatte und waren offenbar eine Aasfresser-Spezies, deren Angehörige darauf spezialisiert waren, kranke und sterbende Tiere zu erbeuten. In ihrer gewohnten Umgebung landeten sie irgendwann auf der Wasseroberfläche, wo sie länger umherschwammen, als dies unter Erdnorm der Fall gewesen wäre - der höheren Oberflächenspannung wegen.

Hier stürzten sie sich jetzt herab und versuchten sich das zu nehmen, was wir gerade mühsam erjagt hatten. Die beiden Zwerge versuchten die fliegenden Biester mit Fußtritten und Faustschlägen zu vertreiben. Außerdem schleuderten sie weitere Steine nach den Streckbank-Rochen. Einige davon lagen dann wenig später ebenfalls verendend auf dem Boden. Ob sie genießbar waren, würden wir sehen. Jedenfalls löste sich zumindest dieses Problem, nachdem der Schwarm abgezogen war - was angesichts seiner Größe fast zwei Stunden dauerte.

Ein anderes Problem mussten wir noch lösen.

Mit einem Multifunktionsmesser, wie es die meisten Zwerge ständig bei sich tragen, schnitt Joey einen der Kadaver auseinander. Er enthielt eine Menge Flüssigkeit in Form von Blut. “Wir haben alles was wir brauchen”, meinte das Zwergenmädchen. “Flüssigkeit und Nahrung. Und ich wette, dieses Fliegende-Fische-Blut ist so nahrhaft wie der beste Energie-Drink.”

“Ja, wir werden aufpassen müssen, nicht zu fett zu werden”, meinte ich.

“Wir werden aufpassen müssen, dass wir uns keine Krankheit holen”, meinte hingegen Naomi und machte uns damit auf einen Aspekt aufmerksam, an den wir anderen im Moment noch nicht gedacht hatten.

Joey, die ihre Beute wie einen Trinksack bereits an den Mund geführt hatte, ließ ihn wieder sinken.

“Wir haben keine andere Wahl, würde ich sagen”, meinte Jorian Kelly. “Oder will hier jemand vielleicht Feuer machen, sodass wir alles braten und abkochen können?”

Feuermachen ist auf Maldena 22b wirklich leicht.

Das liegt am hohen Sauerstoffanteil in der Atmosphäre. Die Explosion des Qriid-Gleiters nach der fahrlässigen Benutzung der Schub-Düsen hatte uns allen das ja nochmal eindrücklich vor Augen geführt.

Und wenn es wärmer auf Maldena gewesen wäre und es auf den Kontinenten eine Vegetation gegeben hätte, dann hätte diese Vegetation vermutlich andauernd in Flammen gestanden. Jeder Blitzschlag - und die waren auf Maldena gar nicht so selten - hätte dann für einen Buschbrand apokalyptischen Ausmaßes gesorgt. Vielleicht war das mit ein Grund dafür, dass sich an Land das Leben nicht etabliert hatte. Auch und gerade kein pflanzliches Leben.

Um Feuer zu machen reichte es, sich zwei Steine zu suchen und sie gegeneinander zu schlagen. Die Funken, die dabei sprühten, waren völlig ausreichend.

Vorausgesetzt, man hatte auch etwas, was man verbrennen konnte.

Aber da es auf Maldenas Kontinenten keine Vegetation gab, gab es logischerweise auch nichts, was man in irgendeiner Weise mit Brennholz hätte vergleichen können.

Und ohne Brennholz (beziehungsweise ein ähnlich brennbares Äquivalent dazu) gab es eben auch kein Feuer.

“Nehmen wir doch einfach einige der überzähligen Kadaver, die wir sowieso nicht alle essen können”, sagte Jorian Kelly.

Ich nickte. “Das könnte klappen.”

“Und was machen wir dann mit dem Fischblut?”, fragte Joey. “Wir können es nicht abkochen, weil wir kein Gefäß dafür haben. Aber ohne Flüssigkeit werden wir noch schneller sterben als ohne feste Nahrung.”

“Davon sind wir alle noch weit entfernt”, sagte ich.

“Ja, das gilt für euch. Aber nicht für mich”, sagte Naomi.

“Wir könnten es ja so machen, dass einer von uns eine Mahlzeit zu sich nimmt und dann sehen ja die anderen, ob es demjenigen bekommt.”

“Und wenn nicht?”, fragte Naomi.

“Wenn nicht, dann können die anderen demjenigen, der was zu sich genommen hat, wenigstens noch helfen.”

“Klingt nicht gerade wie ein wirklich überzeugender Plan.”

Jorian Kelly zuckte mit den Schultern. “Verzeihung, aber bist du es nicht, die den größten Hunger und größten Durst hat?”

“Abgesehen davon würde ein Feuer auch unnötig auf uns aufmerksam machen”, meinte ich.

“Ach komm schon, die Qriid werden sich nicht darum kümmern, wenn irgendwo eine kleine Flamme am lodern ist”, glaubte Naomi. “Und davon abgesehen dürfte das auch gar nicht auffallen, denn die Qriid haben doch unsre Siedlungen in Schutt und Asche gelegt.”

“Da dürfte allerdings kaum noch etwas brennen”, gab ich zu bedenken.

“Wieso nicht?”

“Wegen des hohen Sauerstoffanteils. Wenn hier etwas brennt, Naomi, dann geht das schnell und heftig.”

“So wie bei dem Gleiter.”

“Nicht immer ganz so heftig. Aber so ähnlich muss man sich das wohl vorstellen.”

“Du hast hier noch keinen Brand erlebt, oder?”, mischte sich Joey ein.

“Du denn?”, fragte Naomi das Zwergenmädchen.

“Nein. Bei uns im Dorf waren immer alle extrem vorsichtig. Das kriegen wir mit der Muttermilch mit. Aber in Far Galaxy City hat es meines Wissens auch keine Vorfälle mehr gegeben. Das soll in der Anfangszeit auch schonmal anders gewesen sein.”

“Was machen wir jetzt mit unserer Mahlzeit?”, fragte Jorian Kelly.

“Wir essen und trinken, was wir erbeutet haben”, sagte ich. “Und den Rest tragen wir mit uns, als Vorrat. Sie viel wir schleppen können.”

“Und das Feuer?”, fragte Jorian Kelly.

“Sparen wir uns. Fliegende Fische sind zu kostbar, um sie als Brennstoff zu benutzen. Außerdem würde das Feuer kaum lange genug brennen, um ein richtig gut durchgebratenes Fischsteak zu kriegen. Himmel, wir haben alle diese Fischfasern schon auf dem Teller gehabt...”

“...aber desinfiziert, aufbereitet und mit Geschmacksverstärkern”, gab Naomi zu bedenken.

“Wenn uns übel wird, dann haben wir eben Pech gehabt”, sagte ich. “Wenn wir nichts riskieren, werden wir unseren Überlebenskampf nicht gewinnen.”

“Dann guten Appetit”, meinte Naomi.

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DIE ANDEREN SAHEN EIN, dass wir keine andere Wahl hatten. Wir konnten anschließend nur noch auf die Qualität unserer Immunabwehr vertrauen. Bei mir war die optimal. Gehörte zu dem Soldier-Gen-Programm. Ob die Adaptionisten daran gedacht hatten, als sie ihre Zwergenrasse schufen, weiß ich nicht. Aber es würde nicht lange dauern, bis wir das erfuhren. Und Naomi war halt auf ihre ganz gewöhnliche Normalmenschenausstattung in dieser Hinsicht angewiesen. Aber etwas Durchfall und Erbrechen war vielleicht immer noch angenehmer, als der Tod durch verhungern oder Verdursten.

Das Blut der fliegenden Fische hatte einen leicht bitteren Geschmack.

Möglicherweise war das bereits ein Hinweis darauf, dass diese Geschöpfe selbst Abwehrstrategien gegen Infektionen und Keime entwickelt hatten.

Das ‘Fleisch’ dieser Geschöpfe schmeckte sehr unterschiedlich. Es war je nach Spezies sehr verschieden, was die Beschaffenheit und Konsistenz anging. Aber immerhin war nichts dabei, was man nicht kauen konnte. Kein Grätenskelett oder dergleichen. Die Tiere hielten ihre äußere Struktur offenbar durch eine sehr starke Muskulatur aufrecht.

Anschließend versorgten wir uns mit Vorräten. Alles konnten wir nicht mitnehmen. Nur so viel, wie wir an der Kleidung oder an den Halterungen des Antigrav-Paks befestigen konnten.

Schließlich brauchten wir die Hände zum Klettern.

Dann zogen wir weiter.

Die Nacht verbrachten wir auf einem Felsvorsprung. Ich hatte mittlerweile das Gefühl, dass Jorian Kelly doch nicht so genau wusste, wo der Eingang zu den Höhlen lag, zu dem er uns eigentlich führen wollte. Ja, schlimmer noch. Ich hatte den Verdacht, dass wir ein Stück im Kreis gelaufen waren.

Meine Fähigkeit, mir Strukturen von Landschaften und Umgebungen zu merken, ist ziemlich gut ausgeprägt. Und auch wenn wir uns in einer öden, eintönigen Felswüste befanden, gewöhnte ich mich immer besser daran, auch hier anhand von Kleinigkeiten Muster zu erkennen. Und ich war mir inzwischen eigentlich ziemlich sicher.

Gewissheit hatte ich am Morgen, als ich zum ersten Mal so nahe an den Rand des Felsplateaus, auf dem wir lagerten, herantrat, dass ich sehen konnte, was sich in der Tiefe befand. Ich entdeckte etwas, was ich für einen der Spezialanzüge hielt, mit dem die Qriid-Kämpfer aus dem Gleiter gesprungen waren. Es musste sich um einen diese Qriid-Soldaten handeln, die von der Explosion erfasst worden waren. Der Anzug wirkte aus der Ferne relativ unbeschädigt, wenn auch deutlich angerußt. Ich nahm an, dass der Qriid-Soldat nicht durch die Flammenhölle der Explosion gestorben war, sondern durch den Aufprall auf den Felsen. Die Druckwelle zusammen mit der hohen Fallgeschwindigkeit mussten dafür gesorgt haben, dass er mit unwahrscheinlicher Wucht aufgeschlagen war. Möglicherweise war auch sein Antigrav-Aggregat durch die Explosion ausgefallen.

Egal, da war ein toter Qriid.

Und möglicherweise waren Teile seiner Ausrüstung noch zu gebrauchen.

"Heh, was starrst du da in die Tiefe?", rief mir Naomi zu. "Wird dir da nicht schwindelig? "

"Ich bin zu hundert Prozent schwindelfrei", sagte ich.

Sie kam näher, aber nicht nahe genug, um auch hinuntersehen zu können. Und das aus gutem Grund. Die meisten Normalmenschen können den Anblick eines klaffenden, tiefen Abgrunds schlecht ertragen. Bei mir war dieser Makel wegoptimiert worden.

"Wartet hier auf mich, ich muss mir etwas ansehen", sagte ich. "Da unten liegt ein Qriid und vielleicht kann er uns auf seine Weise helfen."

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ICH MACHTE MICH AN den Abstieg. Weder Jorian Kelly noch Joey hatten Lust, mich zu begleiten. Ich glaube, Jorian Kelly war ziemlich sauer, weil er in diesem Augenblick hatte erkennen müssen, dass er uns tatsächlich im Kreis geführt hatte.

Vielleicht hatte er den Weg zu den Höhlen einfach nicht mehr richtig in Erinnerung.

Und was den in der Explosionshölle des Gleiters förmlich gebratenen Qriid anging, so glaubten die anderen auch nicht wirklich daran, dass etwas von seiner Ausrüstung für uns von nutzen sein konnte. Eher im Gegenteil. "Die werden ihn suchen", hatte ich Jorian Kellys Worte noch im Ohr, als ich schon die Hälfte des Abstiegs hinter mit hatte. "Die werden ihn suchen und wahrscheinlich hat er in sein Ausrüstung einen Peilsender, der dafür sorgt, dass hier bald einer der Gleiter auftaucht."

Ja, diese Gefahr bestand. Das musste ich zugeben.

Und es bestand sogar die Gefahr, dass jedes Ausrüstungsteil mit einem Peilsender versehen war und dieser Peilsender es unseren Feinden dann sehr leicht machen wurde, uns auch noch aufzuspüren und zu vernichten.

Ich gebe zu, es sprachen ebenso viele Gründe dafür, wie dagegen sprachen, um die Mühe dieses Abstiegs auf sich zu nehmen.

Letztlich war es wohl einfach die Neugier, die mich trieb. Ich wollte diesen Qriid sehen. Ich wollte in sein Schnabelgesicht sehen. Er und seinesgleichen hatten alles ausgelöscht, was mir bis dahin etwas bedeutet hatte. Und ich hatte das Gefühl, ein Recht darauf zu haben, meinem toten Feind in die Augen zu sehen.

Die Stunden gingen dahin. Meine Nahrungsmittelvorräte hatte ich bei den anderen gelassen. Das Antigrav-Pak setzte ich nur sparsam ein. Wenn es gar nicht anders ging, weil ich dessen Energiezellen möglichst schonen wollte. Schließlich wussten wir ja nicht, ob und wenn ja wann wir in dieser Hinsicht mit Ersatz rechnen konnten.

Schließlich hatte ich den toten Qriid erreicht. Die Sichtscheibe seines Helms war so angerußt, dass man nicht hindurchsehen konnte. Ich wischte den Ruß mit der Hand weg.

Der Anzug war relativ unbeschädigt, aber der Qriid in seinem Inneren war offensichtlich doch lebendig geröstet worden und nicht erst beim Aufschlag gestorben, wie ich vermutet hatte. Das Vogelgesicht, das unter dem Ruß zum Vorschein kam, war ein Anblick des Grauens. Das Fleisch hatte sich vom Skelett gelöst und war zum Teil zu Asche verbrannt. Nur der Schnabel, für den der Helm eigens eine entsprechende Ausbuchtung hatte, war relativ unbeschädigt.

Insgeheim hatte ich gehofft, dass vielleicht sogar der ganze Anzug noch zu verwenden war. Ein Kampfanzug mit Servo-Kraftverstärkung und Antigrav-Pak - das wäre in unserer Situation sicher nicht schlecht gewesen. Abgesehen davon, dass es vielleicht ein paar Unbequemlichkeiten im Umgang damit gab, denn es gab ja nunmal ein paar doch nicht ganz unbedeutende physische Unterschiede zwischen Qriid und Menschen. Und zwar jeder nur erdenklichen Art von Menschen, um das mal gleich klarzustellen. Es gab einige verkohlte Stellen an der Außenhaut. Weltraumtauglich war der Anzug so jedenfalls nicht mehr. Das Flammeninferno hatte den Stoff zwischen den Panzerplatten porös werden lassen. Es gab Risse. Und außerdem schien die Energieversorgung des Anzugs komplett ausgefallen zu sein. Das galt leider auch für das Antigrav-Pak. Ich kannte mich zwar überhaupt nicht mit qriidischer Technik aus, aber das war auch nicht notwendig. Das Antigrav-Pak dieses Außerirdischen war seinem auf den Humanen Welten gebräuchlichen Pendant so ähnlich, dass ich mir die einzelnen Funktionen und Bedienelemente leicht erschließen konnte.

Für die Marineinfanteristen der Qriid (oder wie immer man bei denen auch so eine Truppe nennen mochte) hatte dieser Anzug jetzt zweifellos nur noch einen Schrottwert. Mehr nicht.

Aber wir konnten ihn vielleicht noch gebrauchen.

*

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DAS WICHTIGSTE WAR allerdings ein stabförmiger Gegenstand, der seitlich an einer Halterung mit dem Anzug verbunden war. Er bestand aus einem dunklen Metall und schien weitgehend unbeschädigt zu sein. Ich nahm ihn an mich. Ich ahnte, worum es sich handelte: Einen Hand-Traser der Qriid.

Ich entdeckte den Abzug an der Seite.

Einen kleinen, unscheinbaren Knopf.

Außerdem gab es einen Sicherungshebel. Sowie eine kleine Leuchtdiode, die ich für die Statusanzeige der Energiezelle hielt.

Nach allem, was ich mir über die Funktionsweise dieser Waffe zusammenreimen konnte, musste sie noch gebrauchsfähig sein. Ich richtete den Hand-Traser auf einen Gesteinsbrocken ganz in meiner Nähe und betätigte den Auslöser.

Ein grünlicher Strahl schoss daraus hervor.

Er traf den Stein und verursachte beim Auftreffen ein zischendes Geräusch.

Dämpfe stiegen auf.

Ich hatte keine Ahnung, welche Gase durch welche chemische Reaktionen, die durch die Strahlen ausgelöst wurden, aus dem Gestein chemisch extrahiert wurden.

Um ehrlich zu sein, ich wusste damals noch nicht einmal etwas über die genaue Funktionsweise dieser Waffe.

Aber das hatte ich im Moment wohl mit nahezu allen Angehörigen des Space Army Corps gemeinsam.

Schließlich wusste man damals noch sehr wenig über die Waffen der Qriid.

Ich nahm an, dass es sich wahrscheinlich um ein ähnliches Wirkprinzip wie beim Laser handelte.

Jedenfalls wurde genug Energie übertragen, um den Stein einen Moment zum glühen zu bringen.

Das ließ dann allerdings auch wieder rasch nach.

Abgesehen davon, dass es sich natürlich um eine Waffe handelte, konnte ich mir noch einige weitere, praktische Anwendungen vorstellen.

Ich beschloss, etwas von der kostbaren Energie zu verschwenden, die noch in den Energiezellen meines Antigrav-Paks gespeichert war.

Den Hand-Traser befestigte ich an meinem Gürtel. Den Anzug samt dem toten Qriid schnallte ich an meinem Antigrav-Pak fest.

Klettern wollte ich so natürlich nicht.

Das wäre wahrscheinlich selbst für jemanden mit einer Soldier-Optimierung zuviel gewesen.

Stattdessen ließ ich mich bequem emporschweben, bis ich die Felsenkanzel wieder erreicht hatte, von der aus ich aufgebrochen war.

“Warst du das da unten mit dem Traser-Blitz?”, fragte mich Jorian Kelly.

“Ja, das war ich”, sagte ich.

“Bist du verrückt geworden?”

“Wieso?”

“Was glaubst du, wie weit man das sieht?”

“Nicht so besonders weit, Jorian. Die Stelle liegt in einem Tal.”

“Trotzdem. Die Qriid sehen dich auch von oben. Du weißt doch nicht, ob nicht gerade weit über uns in den Wolken einer von deren Gleitern schwebt oder eine Überwachungsdrohne.”

“Hilf mir lieber, Jorian”, sagte ich. “Und davon abgesehen haben wir jetzt ein ziemlich praktisches Werkzeug.” Ich grinste. “Notfalls lassen sich damit die Qriid auch ein Stückchen auf Distanz halten, denke ich.”

“Du willst gegen die Qriid kämpfen, ja?”

Jorian runzelte die Stirn während er dies sagte.

Dann lachte er.

“Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt, werde ich gegen sie kämpfen”, versuchte ich Jorian Kelly zu beruhigen.

“Hauptsache, du vergisst nicht, dass das ganze Space Army Corps es bis jetzt nicht geschafft hat, gegen die Banditen anzukommen.”

“Es sind Killer”, sagte ich ernst. “Nicht einfach nur Banditen. Fanatische Killer.”

*

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ICH SCHNALLTE DEN ANZUG mit dem toten Qriid ab.

Er rutschte auf den Boden.

“Und jetzt könntet ihr mir mal helfen, die sterblichen Überreste des Qriid aus dem Anzug herauszubekommen”, sagte ich.

“Was hast du vor?”, fragte Jorian Kelly.

Ich wandte mich an Naomi.

“Wir haben was Neues zum anziehen für dich”, sagte ich.

Sie sah mich an.

Ihre Augen wurden groß.

Der Rest ihres Gesichts war ja unter ihrer Neopren-Maske verborgen.

Aber ihre Augen reichten vollkommen aus, um zu sehen, was sie davon hielt.

“Ich soll in dieses Ding steigen?”

“Ja, sicher”, sagte ich. “Es wird dich warm halten. Das ein paar ungepanzerte Stellen durch die Feuerwalze durchgeschmurgelt sind, macht ja nichts. Du willst ja nicht in den freien Weltraum damit. Ich glaube auch nicht, dass wir das Antigrav-Pak noch auf Vordermann bekommen. Aber das macht nichts. Du hast ja selbst eins. Und davon abgesehen dürfte dieser Anzug auch über eine Servo-Kraftverstärkung verfügen.  Wenn wir die wieder in Gang kriegen, wird dir das auf unserem weiteren Weg sehr gut tun. Glaub mir.”

“Keine schlechte Idee”, mischte sich Joey ein. “Auf jeden Fall braucht Naomi die Kraftverstärkung am dringendsten. Und den Kälteschutz auch.”

“Sag ich doch”, meinte ich. “Es kann ein bisschen  unappetitlich werden, den Qriid aus seiner Rüstung zu holen. Und außerdem habe ich das Verschlussprinzip des Anzugs auch noch nicht so richtig begriffen, muss ich ehrlich gestehen.”

*

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WIR BRAUCHTEN FAST zwei Stunden, bis wir das herausbekommen hatten.

Manchmal sind es die einfachen Dinge, die einen aufhalten.

Nicht die schwierigen.

So war es auch in diesem Fall.

Wir öffneten den Anzug, bekamen mit einiger Mühe den Helm ab und holten dann den toten Qriid aus dem Anzug hervor.

Er zerfiel nämlich förmlich.

Offenbar war sein Körper regelrecht verdampft worden.

Sein Anzug hätte ihn vor dem Vakuum des Alls oder den meisten Projektilgeschossen und vermutlich auch vor einer Traser-Attacke geschützt. Und selbst die Explosion hatte er ja auch ganz passabel überstanden. Aber angesichts dieser Feuersglut, die sich bei der Explosion des Gleiters entfaltet hatte, war der Anzug für seinen Träger zu einer Art Backofen geworden.

Immerhin - wenn der Qriid ihn nicht getragen hätte, wäre vermutlich gar nichts von ihm übrig geblieben.

Die Temperaturen, die bei dieser Explosion entstanden waren, mussten kurzzeitig wirklich extrem hoch gewesen sein. Eine Verpuffung unter sehr hohem Sauerstoffanteil eben.

Ein beißender Geruch verschlug uns buchstäblich den Atem.

Wir bemühten uns, den Anzug so gut wie möglich zu reinigen.

Dann stieg Naomi in den Anzug. Sie war viel kleiner und zierlicher als der Qriid, der zuvor darin gesteckt hatte. Außerdem stimmten die anatomischen Proportionen nicht. Aber es gab zum Glück Möglichkeiten, die Anzug anzupassen. Man konnte die Beine verkürzen und es gab Halterungen und Riemen, mit denen der Träger Halt finden konnte. Schließlich hatten wir es geschafft, ihr den Anzug anzulegen. Auch den Helm. Man konnte ihn absetzen und damit komplett vom Anzug lösen, so wie wir das gemacht hatten. Aber eigentlich handhabte man das wohl so, wie es auch bei den Helmen der Space Marines der Humanen Welten geschah: Man klappte den Helm in den Kragen hinein.

Das ging auch bei diesem Anzug. Wir hatten nur zuerst den Mechanismus nicht gefunden und des stellte sich auch heraus, dass er nicht mehr so ganz funktionierte. Offenbar war das auch eine Folge des sehr heftigen Aufpralls.

Schließlich schnallten wir Naomi auch noch ihr Antigrav-Pak auf den Rücken. Wir hatten es ihr zuvor, beim Einstieg in den Anzug abnehmen müssen, weil das sonst nicht zu machen gewesen wäre. Ein Risiko. Sie war jetzt auch ziemlich außer Atem, weil sie für einige Zeit quasi mit einem Vielfachen ihres Körpergewichts und dem Gewicht des Anzugs belastet wurde.

Auf lange Sicht hätte sie das umgebracht.

Aber für diese kurze Zeit hatte sie das tapfer ertragen.

Sie war allerdings sichtlich froh, als sie den Antigrav wieder auf dem Rücken hatte und dessen im wahrsten Sinn des Wortes erleichternde Wirkung spürte.

Sie rang so heftig nach Luft, dass der Helm von innen beschlug.

“Mach ihn ein Stück auf”, sagte ich. “Mann kann ihn zwar nicht mehr ganz im Kragen verschwinden lassen, aber ein Stück, das geht.”

Kondensierender Atem.

An dieses Problem hatten die Qriid bei der Konstruktion des Anzugs wohl nicht gedacht. Mussten sie auch nicht. Normalerweise war dieser Anzug ja ein Miniaturraumschiff für sich. Man konnte einen Space Marine notfalls aus dem Orbit abwerfen und er wäre dann eine Dreiviertelstunde später auf der Oberfläche sicher gelandet. (Bei einem Planeten, der in etwa der Erdnorm entspricht. Aber Sie sehen schon, inzwischen rechne ich bereits immer in der Erdnorm. Erdschwerkraft, irdischer Druck und so weiter. Auf Maldena würde ich es niemandem empfehlen, schon im Orbit aus dem Landegleiter zu springen. Die Fallbeschleunigung ist dermaßen hoch, dass das dann auch wohl kaum noch ein normales Standard-Antigrav-Pak ausgleichen könnt. Man knallt dann einfach irgendwann auf den Boden, vorausgesetzt man kommt da überhaupt an und verglüht nicht in der dichten Atmosphäre. Die Qriid hatten schon ihre Gründe dafür, weshalb sie aus vergleichsweise niedriger Höhe aus dem Gleiter gesprungen waren. Daran hatten sie immerhin gedacht. An den hohen Sauerstoffanteil in der Atmosphäre allerdings wohl nicht, wie wir gesehen hatten.

*

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WIR SETZTEN UNSEREN Weg fort. Die Servo-Kraftverstärkung in Naomis Anzug ließ sich zunächst nicht aktivieren. Aber das war nicht so schlimm. Mit dem Antigrav war es kein Problem für sie, sich damit zu bewegen. Und was ihren normalmenschlichen Temperaturhaushalt anging, war es sicherlich gut für sie, dass sie das Ding trug.

Schließlich bekamen wir es doch hin, die Kraftverstärkung und einige der anderen Systeme im Anzug zu aktivieren. Darunter sogar ein Rechnermenue, dass über eine Anzeige auf der Innenseite des Helms zu bedienen war. Und zwar durch Bewegungen der Augen, die vom System registriert wurden.  Allerdings funktionierte das nur, wenn der Helm wirklich geschlossen war. Nach einer Weile sah man dann die Anzeige nicht mehr, weil alles beschlug. Dann musste erstmal gelüftet werden.

Und für Naomi war es natürlich etwa verwirrend, denn das Menue war selbstverständlich nicht in lateinischen Buchstaben beschriftetet, sondern mit Zeichen der Qriid.

Aber Computermenues haben eine gute Eigenschaft. Sie sind relativ ähnlich strukturiert. Zumindest im Wesentlichen. Und die Qriid hatten diese Dinge unabhängig von den Menschen oder den K’aradan erfunden (zumindest seit wir darüber Bescheid wussten).

“Super, jetzt kann ich hier anscheinend Daten über die Außentemperatur, den Luftdruck und so weiter sehen, die ich nicht lesen kann, weil das für mich nur Zeichensalat ist”, meinte Naomi. “Ich glaube es gibt hier auch eine Art Ortungsgerät...”

“Am besten, du versuchst erstmal, die Kraftsteuerung zu beherrschen”, sagte ich. “Normalerweise wird so etwas über Druckpunkte im Anzug reguliert, sodass du einfach nur deine Arme und Beine...”

Zu spät.

Sie hatte irgend etwas gemacht, worauf die Servo-Kraftverstärkung anscheinend reagierte. Naomi machte einen Sprung, wie ihn kein Maldena-Zwerg jemals hingekriegt hätte. Die Tatsache, dass sie ihr Antigrav-Pak eingeschaltet hatte, spielte natürlich auch eine Rolle. Jedenfalls landete sie etwa zwanzig Meter von uns entfernt an einem Hang, den rutschte sie dann nochmal hundert Meter hinab, kam an eine Stelle, an der sich eine Menge Geröll in Bewegung setzte, sodass sie nochmal ein Stück tiefer rutschte.

“Ich hoffe nur, dass nichts Wichtiges kaputtgegangen ist”, meinte Joey. Ich wusste, was sie meinte.

Das wichtigste war für Naomi schließlich ein funktionierender Antigrav-Pak.

Ohne den konnte sie nur kurze Zeit überleben. Wie kurz die Zeitspanne vermutlich war, hatten wir ja alle gesehen, als sie in den Anzug gestiegen war und dazu den Antigrav einige Augenblicke lang hatte ablegen müssen.

Unsere Fliegende-Fische-Mahlzeit hatten wir anscheinend ganz gut vertragen. Abgesehen von ein paar Blähungen gab es keine unerwünschten Nebenwirkungen.

Was uns davon geblieben war, teilten wir gut ein. Wir wussten schließlich nicht, wann uns das nächste Mal ein Schwarm dieser Kreaturen über den Weg fliegen würde.

Die Positionslichter zahlreicher Qriid-Gleiter erhellten die Nacht. Sie sahen aus wie wandernde Sterne.

Wir hatten keine Ahnung, wonach sie suchten, oder ob sie überhaupt etwas suchten.

“Vielleicht haben wir Glück”, meinte Naomi.

Ich sah sie fragend an. “Glück?”, echote ich.

“Na, dass sie sich in erster Linie um die Ausbeutung der Ressourcen von Maldena kümmern. Irgend etwas, was es hier gibt, scheint bei ihnen knapp zu sein. Deuterium vermutlich.”

“So viel weiß niemand über ihre Raumschifftechnik”, gab ich zu bedenken.

“Ja, aber ihre Gleiter scheinen sich nicht so sehr von unseren zu unterscheiden. Und was diesen Anzug angeht...”

“Ja?”

“Ich habe ja noch nicht in einem schweren Kampfanzug der Space Marines gesteckt, aber abgesehen von der Schnabelausbuchtung im Helm und ein paar anderen Kleinigkeiten scheint da auch kein fundamentaler Unterschied zu bestehen.”

“Kann sein.”

“Ich habe die Systeme übrigens auf ein Minimum heruntergefahren.”

“Wieso?”

“Wegen der Signatur. Könnte doch sein, dass die nach ihrem Soldaten suchen. Unsere Space Marines würden das doch auch machen. Und sie würden natürlich nach der Signatur der in den Anzug integrierten Systeme suchen.”

“Im Allgemeinen sind solche Anzüge gut gegen diskriminierende Emissionen abgeschirmt.”

“Gegen was?”

“Diskriminierende Emissionen. Alles, was so charakteristisch ist, dass man dich sofort erkennen und identifizieren kann. Dazu reicht übrigens schon ein charakteristisches Muster im Infrarotbild. Und das entsteht schon dadurch, weil das bisschen Wärme, das dieser Anzug abgibt, nicht überall gleichmäßig entweicht.”

“Woher weißt du so viel darüber?”

“Ich habe mich informiert”, sagte ich.

“Wegen deiner Optimierung?”

Ich zuckte mit den Schultern. “Weißt du, eigentlich schien mein Weg vorgezeichnet. Ich war dafür geschaffen, genau sowas zu werden wie der Schnabelträger, in dessen Anzug du steckst. Entweder für die Space Marines oder die eigenen Raumtruppen, die die Genetiker-Föderation unterhält. Aber noch bevor ich selbst was dazu sagen konnte, haben meine Eltern entschieden, dass es in eine andere Richtung gehen soll.”

“Ich kenne deine Geschichte”, erinnerte sie mich daran, dass ich ihr das alles schon auseinandergesetzt hatte. Wahrscheinlich sogar mehr als einmal. Das war eben ein Thema, auf das ich immer wieder früher oder später zurückkam.

Aber irgendwie kann das eigentlich auch niemanden wirklich verwundern, finde ich.

“Was ich sagen wollte: Manchmal muss man seine Ansicht dazu, wozu man angeblich bestimmt ist, vollkommen neu überdenken”, sagte ich.

“Aber du hast dich immer dafür interessiert.” Naomis Worte hatten den Tonfall eine Feststellung, nicht den einer Frage.

––––––––

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EINMAL KAM UNS EINER der Landegleiter der Qriid sehr nahe. Wir verschanzten uns zwischen den Felsen und hofften, dass man uns nicht bemerken würde. Der Gleiter flog kaum zwanzig Meter über uns hinweg.

“Die haben gar nicht nach uns gesucht”, sagte ich.

“Und wieso waren die dann hier?”, fragte Joey.

“Keine Ahnung, aber wenn die uns wirklich auf dem Schirm gehabt hätten, dann hätten die uns auch gefunden”, war ich überzeugt. “Nein, die waren wegen was anderem hier.”

“Und wegen was?”, fragte Joe.

“Rohstoffe”, sagte Jorian Kelly. “Scheint so, als würden die noch was anderes suchen, als nur Schweres Wasser oder Deuterium.”

Platin, Gold und jede menge exotischer Mineralien, wie sie nur die besondere Schwerkraft einer Supererde im Laufe ihrer Entstehung zusammenbacken kann - irgend etwas davon brauchten die Vogelartigen vermutlich auch noch. Sonst hätte es keinen Grund gegeben, sich so intensiv mit dem Kontinent zu befassen. All anderen Schätze dieses Planeten waren nämlich im Meer zu finden.

“Oder sie suchen noch nach vermeintlichen Widerstandsnestern”, meinte Jorian Kelly. Er deutete auf Naomi. “Und falls ihre Ortung die Signatur eines Kampfanzugs dieses Typs angezeigt hat, wird der Qriid im Cockpit gesagt haben: Das ist ja einer von uns!”

*

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WIR ZOGEN WEITER UND wurden immer sparsamer, was unsere Nahrung betraf. Das hatte nicht so sehr damit zu tun, dass die Vorräte dramatisch zur Neige gegangen wären, sondern eher mit einem anderen Faktor: Uns wurde nämlich nach und nach in aller Deutlichkeit bewusst, dass wir vermutlich länger auf diese Art würden leben müssen. Es gab jedenfalls kein Anzeichen dafür, dass von irgendwoher Rettung nahte.

Ich stellte mir manchmal vor, dass inzwischen eine Raumflotte des Space Army Corps das Maldena-System erreicht hatte und um diesen Hinterwäldlerplaneten mit aller Macht und alle taktischen Finesse, zu der man fähig war, kämpfte.

Ich stellte mir vor, dass die Space Army Corps Schiffe die Qriid-Raumer mit der überlegenen Feuerkraft ihrer Gauss-Geschütze zerfetzten. In meiner Vorstellung ließ ein Hagel von Projektilen aus den Geschützbatterien einen Qriid-Raumer nach dem anderen zerplatzen und explodieren. In meiner Vorstellung gab es dazu sogar ohrenbetäubende Explosionsgeräusche, obwohl doch eigentlich jeder weiß, dass es im Weltraum still ist. Vollkommen still. Selbst für meine optimierten Ohren. Eine Massedichte von wenigen Molekülen pro Quadratmeter reicht eben nicht aus, um ein Geräusch zu erzeugen.

Aber wir alle, egal wie optimiert wir sind, sind wohl in der Welt unserer Vorstellung immer noch an das Leben an einen Planeten gebunden.

Mir war bewusst, dass das alles vermutlich Wunschvorstellungen waren.

Die Qriid schlugen an vielen Orten zu. Sie tauchten überraschend aus dem Zwischenraum auf und die Flotte des Space Army Corps musste zusehen, dass sie jeweils rechtzeitig zum Ort des Geschehens kam. Und wenn man ehrlich war, musste man wohl auch als Maldena 22b-Lokalpatriot anerkennen, dass es innerhalb der Humanen Welten ein paar bedeutendere Planeten gab als diesen. Planeten, auf denen mehrere Milliarden Siedler wohnten, die davor geschützt werden mussten, unter die Herrschaft der Qriid zu geraten.

Da musste ein riesengroßer, fast völlig von Wasser bedeckter Felsbrocken wie dieser eben einfach mal etwas warten, bis man sich darum kümmerte, ihn zurückzuerobern.

Falls man das überhaupt vorhatte.

*

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WIR GINGEN DAZU ÜBER, dass wir einen Stein erhitzten und die fliegenden Fische darauf legten, um sie anschließend zu essen. Bratfisch sozusagen. Natürlich tranken wir vorher die Flüssigkeit. Denn wir konnten uns nicht leisten, sie zu verschwenden.

Ich bekam das mit der Regulierung der Traser-Energie nach einigen Versuchen auch besser hin. Die Waffe war viel zu stark eingestellt. Das hatte mit den planetaren Verhältnissen hier auf Maldena 22b zu tun. Die Strahlen selbst waren weder heiß noch handelte es sich um Wärmestrahlen. Aber sie übertrugen Energie - auf welche Weise auch immer. Und wenn dabei Wärme bei dem bestrahlten Objekt erzeugt wurde, konnte auf Grund des hohen Sauerstoffgehalts zusätzlich eine Verbrennung oder Verpuffung einsetzen und die Wirkung verstärken. Es genügte also, einen Stein nur schwach zu bestrahlen, damit er sich genug erhitzte, um darauf einen fliegenden Fisch braten zu können. Wenn der Stein zu heiß wurde, sorgte der hohe Sauerstoffanteil dafür, dass unser Steak in Flammen aufging, was uns leider auch passierte.

Die Qriid schienen sich nicht weiter um uns zu kümmern, so hatten wir langsam den Eindruck.

Aber ich hatte das Gefühl, dass das eine trügerische Sicherheit war. In einer relativ dicht bewölkten Nacht, in der man sogar Schwierigkeiten hatte, die Monde zu sehen, gab es in der Ferne plötzlich mehrere helle Lichter am Himmel.

“Explosionen”, sagte ich. “Das müssen Explosionen sein.”

“Es sind Explosionen”, bestätigte Naomi, die das Ortungsgerät ihres Anzugs aktiviert hatte. Sie konnte natürlich die Schriftzeichen der Qriid immer noch nicht lesen, aber es gab optische Veranschaulichungen, die wohl die Veränderungen von Temperaturwerten anzeigten.

“Ich hätte eigentlich gedacht, dass die inzwischen wissen, dass man die Schubdüse nicht verwenden darf”, sagte Jorian Kelly.

“Es gibt noch andere denkbare Ursachen für sowas”, meinte ich.

“Du meinst, ein Zerstörer des Space Army Corps ist gekommen, um hiermal etwas aufzuräumen? Mir scheint, das sind Wunschräume, Raggie.”

“Ja wahrscheinlich.”

Es war undenkbar, dass ein Zerstörer des Space Army Corps auf einem Planeten wie Maldena 22b landete. Genauer gesagt: Es war undenkbar, dass so ein Schiff überhaupt auf irgendeinem Planeten landete. Dazu waren sie einfach zu groß. Selbst Leichte Kreuzer waren dafür nicht gebaut. Sie würden schlicht und ergreifend nie wieder in den Orbit aufsteigen können. Jedenfalls nicht mit den bisher bekannten Antriebssystemen. Und das gilt selbst für Planeten, deren Schwerkraft geringer ist als auf der Erde.

Bewaffnete Landefähren wären natürlich eine Möglichkeit gewesen. Aber es war wohl besser, sich keinen allzu großen Hoffnungen hinzugeben. Vermutlich war das Ganze nur das, wonach es auch aussah: Eine Sauerstoffexplosion auf Grund eines unsachgemäßen Flugmanövers.

“Wenn die Explosion am Boden gewesen wäre, hätte ich gesagt: Ein Qriid hat im Freien gefurzt und wusste nicht, dass das eine Sauerstoffverpuffung ergeben kann”, meinte Joey.

Das Zwergenmädchen war heute mal wieder ganz Dame.

*

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ICH HATTE SCHON NICHT mehr daran geglaubt, dass Jorian Kelly den Weg zu den Höhlen tatsächlich noch fand. Aber es geschehen manchmal Zeichen und Wunder. Und dies war wohl ein Zeichen und ein Wunder. Allerdings war es zunächstmal fraglich, wie viel uns dieses Wunder konkret nützen würde und was das Zeichen anging, so waren alle auch nicht gerade hoffnungsfroh gestimmt. Unsere Vorräte gingen nämlich zur Neige. Und es war der Tag abzusehen, da wir keine fliegenden Fische mehr braten konnten.

Abgesehen davon war es auch nicht absehbar, dass wir ein zweites Mal das Glück haben würden, dass ein Schwarm über uns hinwegfegte und wir uns mit Hilfe von ein paar Steinwürfen genug Jagdbeute für die nächste Zeit holen konnten.

Und noch etwas machte uns Sorgen: Einige der fliegenden Fische, die wir noch bei uns trugen, fingen eigenartig an zu riechen. Und es war vielleicht keine gute Idee, die wirklich noch alle zu essen.

Ich nahm mit dem Hand-Traser eine Schwachbestrahlung dieser fliegenden Fische vor. Inzwischen hatte ich herausbekommen, wie man die Strahlungsintensität so herunterregulieren konnte, dass die Flüssigkeit in den Kadavern nicht verdampfte. Denn die brauchten wir ja unbedingt. Außerdem konnte man die Strahlintensität auf eine Art Breitbandstrahl umschalten. Ich wollte nicht ausprobieren, wie das ist, wenn man seine Hand in einen derartigen Breitbandstrahl von geringer Intensität hält, aber ich glaube, es wäre nicht sonderlich gefährlich gewesen. Ich schätze, man hätte nicht mehr als eine leichte Hautrötung davon getragen.

Ein Art Sonnenbrand sozusagen.

Ich versprach mir davon eine Art Desinfektion. Aber ob ich recht hatte und ob es dafür bei den fliegenden Fischen, die wir noch mit uns herumschleppten, auch tatsächlich wirkte, würden wir ja merken.

Jorian Kelly führte uns in die Höhle. Hier brauchten wir Licht. Inzwischen gibt es genetische Optimierungen mit Infrarotsicht. Zu meinem Programm gehörte das nicht. Also brauchten wir Licht. Aber das war kein Problem. Die Anzeigefunktion von Naomis Anzug produzierte Licht und der Kommunikator, den ich noch immer besaß, ließ sich als Taschenlampe benutzen.

Jorian Kelly hatte dafür eine andere Lösung. Er suchte sich einen Stein, bevor er uns in den Höhleneingang führte. Und er gab jedem von uns einen Brocken in derselben Größe. Etwa faustgroß.

“Was wollen wir damit? Es gibt hier keinen See”, gab Naomi zu bedenken.

“Die fluoreszieren. Einige Zeit leuchten sie, wenn sie vorher in der Sonne gelegen haben.”

“Hat dir das auch dein Großvater erzählt?”, fragte ich.

“Probiert es aus. Es klappt wirklich”, sagte Joey. “Die Schwierigkeit ist nur, man muss die richtigen Steine auswählen.”

Unter den Maldena 22b-Zwergen schien das Wissen um fluoreszierende Steine weiter verbreitet zu sein, als ich gedacht hatte. Es handelte sich also nicht nur um irgendein obskures Geheimwissen, dass Jorian Kelly von seinem Großvater aus einer angeblich guten alten Zeit überliefert worden war, als Zwerge noch echte Zwerge und keine Untertanen der Humanen Welten und ihrer profitgierigen Konzerne gewesen waren, die nichts anderes im Sinn hatten, als diesen wunderbaren Planeten genauso zu plündern, wie sie das bei jeder anderen Welt getan hatten, die ihnen in die Hände gefallen war.

Naja, ich überspitze in meiner Zusammenfassung die Auffassung vieler Maldena-Zwerge vielleicht ein bisschen.

Aber nur ein bisschen.

“Für einen geologischen Scan haben wir hier ja nicht die Möglichkeiten”, sagte ich.

Und dann folgten wir alle Jorian Kelly in die Höhle.

Kurz bevor wir tatsächlich eintraten, glaubte ich, irgendwo in weiterer Ferne das Geräusch einer Detonation zu hören.

Die anderen hörten nichts.

Aber im Vergleich zu mir sind die ja auch fast taub.

“Was ist?”, fragte Joey.

“Da ist irgendwas los”, sagte ich.

Ich hatte es im Gefühl.

Aber im Moment hatten wir keine Möglichkeit, der Sache auf den Grund zu gehen.

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IN DER HÖHLE WAR ES warm. Zumindest im Vergleich zur Oberflächentemperatur. Eine konstante Temperatur im übrigen, dir vollkommen unabhängig von der Jahreszeit oder irgendwelchen klimatischen Schwankungen gehalten wurde.

“Wir sollten im Eingangsbereich bleiben”, schlug ich vor. “Erstens müssen wir diese fluoreszierenden Steine ja wohl regelmäßig in die Sonne legen, wenn wir nicht im Dunkeln sitzen wollen und zweitens ist es ja vielleicht auch nicht schlecht, wenn man noch etwas davon mitbekommt, was sich an der Oberfläche so tut!”

“Wir sollten versuchen, die Wasserstellen zu finden” widersprach mir Jorian Kelly. “Da finden wir nicht nur Wasser, sondern vielleicht auch neue Nahrungsvorräte.”

“Ich habe immer gedacht, es gäbe kein Landleben auf Maldena 22b”, mischte sich Naomi ein.

“Gibts auch nicht”, bestätigte Jorian Kelly. “Aber dieser Kontinent ist in der Vergangenheit - genau wie die anderen noch heute - regelmäßig von den Meeresfluten im Gezeitenrhythmus überspült worden. Als sich der Kontinent tektonisch anhob, geschah das nicht mehr. Aber es blieben die Höhlenseen zurück. Und einige Spezies, die mit dem Wasser auf das Land gespült worden waren.”

“Fliegen können diese Biester aber nicht, oder?”, meinte Naomi.

“Fliegen macht in einer Höhle wenig Sinn”, erinnerte sie Jorian Kelly. “Die Evolution geht manchmal seltsame Wege - aber sie ist nicht komplett dämlich.”

Also folgten wir Jorian Kelly in die Tiefen des Höhlensystems.

Meine größte Sorge war nicht, dass sich die Geschichte von den Höhlenwesen als eine Märchenerzählung seines Großvaters ohne Wahrheitsgehalt herausstellen könnte.

Wenn sich die ersten Siedler beim großen Flare-Ausbruch hier her zurückgezogen hatten, dann war es für sie sicher sehr wichtig gewesen, hier nicht nur Wasser zur Verfügung zu haben, sondern auch Eiweiß.

Meine größte Sorge war auch nicht, dass wir vielleicht nicht zurück an die Oberfläche fanden. Davor hätte uns allein schon mein genetisch bedingt gutes Orientierungsvermögen bewahrt.

Vorausgesetzt allerdings, es ging uns nicht das Licht aus. Und wie lange so ein fluoreszierender Stein leuchtete, wusste nichtmal Jorian Kelly zu sagen. Das sei bei jedem verschieden. Zwischen ein paar Tagen und ein paar Stunden war offenbar alles möglich.

An den Wänden entdeckte ich Markierungen und eingeritzte Hinweise.

Sie stammten ohne Zweifel von den Adaptionisten, die sich einst hier her zurückgezogen hatten.

“Warte mal”, wandte ich mich an Jorian Kelly. “Vielleicht sollten wir uns einfach nach den Hinweisen richten. Ich wette, deine Vorfahren hatten dasselbe Ziel wie du.”

*

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DER ERSTE DER UNTERIRDISCHEN Seen, auf die wir stießen, sah aus wie ein pechschwarzes Meer. Der Schein unserer verschiedenen Lichtquellen spiegelte sich in der glatten Wasseroberfläche. Wie groß dieser See war, ließ ich nur erahnen. Er endete irgendwo in der Finsternis. Von der Decke hingen Tropfsteinartige Gebilde, die in verschiedenen Farben glitzerten, wenn Licht auf sie traf. 

An verschiedenen Stellen tropfte Wasser von der Höhlendecke. Dieser See mochte ursprünglich mal durch eine Überflutung entstanden sein. Aber inzwischen war er längst Teil eines Wasserkreislaufs. Die Regenfälle, die es auf Maldena regelmäßig gab, speisten ihn wohl zum größten Teil. Und dieses Wasser war so gefiltert, nachdem es hier unten endlich ankam, dass vermutlich die beste Kläranlage in Far Galaxy City nicht mit diesem Qualitätsstandard hätte mithalten können.

Ich lauschte.

Irgendein Geräusch war mir ins Ohr gedrungen, was noch zu leise war, um von den anderen überhaupt wahrgenommen zu werden.

“Hörst du wieder Gespenster?”, fragte mich Joey.

“Nein”, sagte ich. “Da ist was im Wasser.”

“Da ist sogar eine ganze Menge Getier im Wasser”, stellte Jorian Kelly klar. “Hier können wir eine Weile bleiben.”

Ich nickte. “Ja”, sagte ich. “Eine Weile.”

Ich fragte mich, wie es dann weitergehen würde. Aber vielleicht war es das beste, jetzt erst einmal an die nächsten Schritte zu denken.

“So lange, wie die ersten Adaptionisten-Siedler, die vor dem Flare geflohen sind, wird es hoffentlich nicht dauern?”, fragte ich.

“Die Angaben darüber sind widersprüchlich”, antwortete der Maldena-Zwerg. “Aber man kann wohl davon ausgehen, dass die Strahlungswerte ungefähr nach sechs Monaten wieder unbedenklich waren.”

Sechs Monate.

“Maldena-Monate?”, vergewisserte ich mich, denn man rechnet ansonsten eigentlich überall in den Zeitangaben der sogenannten Erdnorm. Zumindest überall innerhalb der Humanen Welten.

“Ja”, bestätigte Jorian Kelly.

Das war mehr als ein Erdenjahr!

*

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IN DEN NÄCHSTEN TAGEN hatten wir viel zu tun. Wir richteten uns eine Art Lager ein. Höhlenmenschen waren wir jetzt geworden - so wie die Neandertaler und die Cro Magnon Menschen auf der Erde und die ersten Adaptionisten-Siedler auf Maldena. Und wie all diese Gruppen würden wir vermutlich auch irgendwann damit anfangen, vor lauter Langeweile die Wände zu bekritzeln.

Später wahrscheinlich, wenn sich die erste Arbeitswut bei der Einrichtung dieser provisorischen, von der planetaren Natur uns gegebenen Wohnstatt gelegt hatte.

Wir suchten Steine aus, die sich gut mit Hilfe des Hand-Trasers erhitzen ließen und dann lange glühten. Da gab es nämlich durchaus Unterschiede, wie sich im Laufe der Zeit herausstellte.

Genauso wie es geschmackliche Nuancen bei den Spezies gab, die in dem schwarzen, aber gut genießbaren Wasser herumschwammen.

Es waren Spezies, die alle den fliegenden Fischen ähnelten. Vielleicht stammten sie sogar voneinander ab, nur dass diese Arten sich eben isoliert weiterentwickelt hatten, während ihre fernen Cousins sich entschieden hatten, die Lüfte zu erobern.

Die Tage gingen dahin und eigentlich fehlte uns nichts. Am besten kamen die Zwerge mit dem Leben in der Höhle zurecht. Aber das war auch kein Wunder, schließlich waren sie ja auch das Ergebnis einer größtmöglichen Anpassung an die Lebensumstände auf Maldena.

Wir verließen regelmäßig die Höhle, um die fluoreszierenden Steine dem Sonnenlicht auszusetzen. Stattdessen sammelten wir dann unter Jorian Kellys Anleitung neue Steine ein.

Darunter nicht nur Fluoreszenz-Steine, sondern auch solche, die zum Werfen geeignet waren. Denn das war unsere Jagdmethode. Oder sollte man sagen Fischfangmethode?

Die Kreaturen im See kamen nur bis zur Oberfläche, tauchten manchmal kurz auf. Dann musste man sie mit einem guten Wurf töten. Und wir hatten ja in dieser Hinsicht zwei Meister in unserer Gruppe. Auf flitschende Steine waren diese Geschöpfe nicht eingestellt. Die Evolution hatte sie auf diesen Feind nicht vorbereitet.

Anschließend stieg Naomi ins Wasser, um die an der Oberfläche treibende Beute einzusammeln. Ihr Anzug war zwar an einigen Stellen porös und und dadurch nicht mehr raumtauglich. Luftdicht war er nicht mehr, schon gar nicht, wenn ein Druckunterschied gehalten werden sollte. Aber wasserdicht schon. Zumindest lange genug, um ein paar fischähnliche Beutetiere aus dem Wasser zu holen. Einen Tauchgang hätte ich damit auch nicht empfohlen und vermutlich wäre das Wasser irgendwann auch eingedrungen. Aber Naomi brauchte nie weiter als bis zu den Knien, maximal bis zur Hüfte ins Wasser zu gehen. Der dunkle See war nämlich ziemlich flach, wie sich herausstellte.

*

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ALS ICH EIN PAAR STEINE hinausbrachte, sah ich ein paar kleine Punkte am Himmel. Oder besser gesagt: Für Normalmenschen wären es nur kleine Punkte gewesen. Aber wenn ich mich anstrengte, sah ich mehr. Es war die Qriid-Version der Space Marines. Mindestens ein Dutzend Elitesoldaten schwebten mit Hilfe ihrer Antigravgeräte zu Boden. Manche blieben auch einige Dutzend Meter über dem Boden, so als ob sie was suchen. Und ich bemerkte ich auch die charakteristischen Traser-Blitze.

Ich fragte mich, mit wem die wohl kämpften.

Vielleicht schossen sie auch einfach nur in der Gegend herum und hatten Spaß daran, Steine zum glühen zu bringen.

Wir mussten auf jeden Fall vorsichtig sein.

Hatten die Qriid vielleicht irgend etwas geortet? Etwas, das sie veranlasste, jetzt diese Gegend abzusuchen?

Genau so sah das nämlich aus.

Wie eine groß angelegte Suchaktion.

Ich sorgte dafür, dass unsere Fluoreszenzsteine nicht schön nebeneinander in der Sonne lagen, sondern so, wie es auch der natürlichen Verteilung hätte entsprechen können. Man muss auf die Kleinigkeiten achten. Unsere Feinde taten das mit Sicherheit auch.

Dann ging ich zurück in die Höhle.

*

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ICH ERZÄHLTE DEN ANDEREN davon. Wir sorgten dafür, dass unsere diversen Hilfsmittel nur noch ein Minimum an Emissionen abgaben. Meinen Kommunikator zum Beispiel, mit dem ich inzwischen versucht hatte, die Frequenzen der Qriid zu scannen, schaltete ich ganz ab. Und auch meinen Antigrav schaltete ich auf die kleinste Wirkstufe. Bei Naomi ging das nicht. Sie wäre dann nach ein paar Stunden vermutlich gestorben.

Es bleibt eben immer ein Restrisiko.

“Ich werde etwas öfter da draußen nach dem Rechten sehen!”, sagte ich und dabei fasste meine Hand an den Traser in meinem Gürtel.

“Vielleicht machst du die Qriid dadurch erst auf uns aufmerksam”, meinte Joey.

“Egal. Ich will wissen, was da vorgeht.”

“Am besten, wir gehen so selten wie möglich hinaus”, widersprach Jorian Kelly energisch. “Die werden sich nicht in die Höhle wagen. Und schon gar nicht in die tieferen Bereiche.”

“Kommt drauf an, was oder wen die suchen”, gab ich zu  bedenken.

Aber in diesem Punkt waren alle anderen gegen mich. Sie beschworen mich geradezu, keine Ausflüge nach draußen zu machen. Ich ließ mich schließlich überzeugen.

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ES WAR IN EINER DER folgenden Nächte, als ich ein Geräusch hörte. Ich wurde wach. Weder die Zwerge noch Naomi hätten dieses Geräusch überhaupt gehört, geschweige denn, dass es sie hätte wecken können.

Da war etwas.

Oder jemand. Ich war mir sicher, Schritte zu hören.

Fast lautlose Schritte, aber Schritte.

Ich griff zum Hand-Traser. Die anderen zu wecken hätte den Eindringling aufmerksam gemacht. In einer Höhle hallt jedes Geräusch ohnehin mehrfach wieder.

Ich stand auf und ging so lautlos wie ich konnte vorwärts, tastete mich bis zum nächsten Gang vor und nahm jetzt das Geräusch noch etwas deutlicher wahr.

Ich hatte mich also nicht getäuscht.

Ich wartete, schaltete sämtliche Lichtquellen ab. Den Statusanzeiger des Hand-Trasers überdeckte ich mit den Fingern. Es war stockdunkel.

Vermutlich hatte mein Gegenüber eine Infrarotsichtfunktion in den Helm eingebaut und war deswegen nicht auf Lichtquellen angewiesen.

Aber an dem Qriid-Kämpfer, der mir dann plötzlich gegenüber stand, flimmerte alles Mögliche. Unter anderem, das Display eines Moduls, bei dem es sich vermutlich um ein Ortungsgerät handelte. Ich sah deutlich den schnabelförmigen Fortsatz am Helm. Irgendwas spiegelte und blendete. Ein Lichtkegel fuhr suchend herum.

Ich dachte, dass ich vielleicht nur diese eine Chance hatte.

Und so drückte ich den Hand-Traser ab.

Der Strahl traf mein Gegenüber und ließ ihn gegen die Höhlenwand knallen. Ein dunkler schwarzer Fleck hatte sich in der Panzerung gebildet. Der Qriid rührte sich nicht.

Die Taschenlampenfunktion meines Kommunikators brauchte ich noch nicht einmal zu aktivieren. Das leuchtende Display des Ortungsmoduls war hell genug.

Ich sah, dass sein Hand-Traser fast einen Meter von ihm entfernt auf dem Boden lag. Und er rührte sich noch immer nicht.

Ich ging auf ihn zu.

Etwas fiel mir auf.

Die Beine sind eigenartig geknickt.

Jedenfalls für einen Qriid.

Dieser Gedanke war einfach da. Qriid haben ihre Knie genau anders herum geknickt wie Menschen. Sie sind in dieser Hinsicht mit Hühnern vergleichbar. Und so ähnlich laufen sie dann auch. Aber dieser Qriid war offensichtlich... anders.

Wie man einen Qriid-Helm öffnete, wusste ich inzwischen ja.

Über das, was ich dann sah, hätte ich mich unter anderen Bedingungen sehr gefreut.

Es war ein menschliches Gesicht.

*

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“HEH, WARUM HAST DU auf mich geschossen?”, fragte der Mann in dem Qriid-Anzug.

“Ich dachte...”

“Ja, der Anzug.”

“Tut mir leid, ich dachte wirklich...”

“Ist schon gut. Die Panzerung dieser Anzüge funktioniert und der Energiestoß des Trasers war nicht stark genug eingestellt. Glück für mich, Junge...”

“Wer sind Sie?”

“Du musst mir helfen. Mein Anzugfunktionen sind wegen des Energieschocks ausgefallen. Ich liege hier wie ein Käfer auf dem Rücken.”

“Wer sind Sie?”, fragte ich noch einmal. Ich dachte, ich fragte ihn besser jetzt, als wenn ich wartete, bis das System der Servo-Kraftverstärkung vielleicht nicht mehr blockiert war.

“Corporal Toq Rogers”, sagte er. “Corporal der Space Marines im Space Army Corps der Humanen Welten.”

Ich lächelte. “Dann haben Sie den Planeten zurückerobert?”

“Niemand wird den Planeten so schnell zurückerobern, Junge.”

“Aber...”

“Wir sind hier, um Überlebende und Flüchtlinge aufzunehmen. Es scheint aber nicht viele zu geben.”

“Ach, darum tragen Sie einen Qriid-Anzug.”

“Beutestücke, genau wie der Hand-Traser. Dienen der Tarnung und wir haben auch nicht viele davon.”

“Und woher wussten Sie, wo Sie suchen müssen?”

“Dein Kommunikatorsignal. Das haben wir zeitweilig angepeilt. Und davon abgesehen gibt es nicht viele Orte auf Maldena, an denen man sich verbergen und überleben könnte. Die ersten Adaptionisten-Siedler...”

“Ich helfe Ihnen”, unterbrach ich ihn.

*

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JOEY, JORIAN KELLY und Naomi waren ziemlich erstaunt, als ich Corporal Toq Rogers zu ihnen brachte.

“Ein getarntes Shuttle holt uns ab”, sagte er. “Aber erstens ist die Tarnung nicht sicher und zweitens sollten wir uns beeilen.”

“Was ist das Mutterschiff des Shuttles?”, fragte ich.

“Die NEW CALIFORNIA.”

“Ein Schlachtschiff der Dreadnought-Klasse.”

“Ja. Du kennst dich anscheinend aus.”

“Ich... habe mich informiert.”

Inzwischen funktionierte Toq Rogers Qriid-Anzug wieder. Aber im Prinzip kämpfte er mit ganz ähnlichen Schwierigkeiten bei dessen Bedienung wie Naomi. Nur dass man es geschafft hatte, bei Toq Rogers Exemplar, eine Software-Version der internen Systeme aufzuspielen, die dem herkömmlichen Standard des Space Army Corps entsprach, sodass er nicht die Hieroglyphen der Qriid hatte lernen müssen.

“Wird die NEW CALIFORNIA nicht von Admiral Müller kommandiert?”

“Ja.”

“Der erste Supererden-Zwerg in einem hohen Offiziersrang”, ergänzte Jorian Kelly.

“Er mag es nicht, wenn man ihn einen Supererden-Zwerg nennt”, sagte Toq Rogers. “Wisst ihr noch von anderen Überlebenden?”

“Nein.”

Toq Rogers blickte auf sein Chronometer. “Wir sollten aufbrechen.”

*

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DER TREFFPUNKT LAG ganz in der Nähe. Das Landeshuttle hatte vier Jagdgeschütze vorne im Bug und war damit ausgestattet wie ein bewaffnetes Raumboot. Die Tarnung, von der Corporal Toq Rogers gesprochen hatte, bestand wahrscheinlich nur aus einer Abschirmung sämtlicher Emissionen. Hätte es bereits eine funktionierende Raumkontrolle der Qriid auf dem Planeten gegeben, wäre es vermutlich gar nicht möglich gewesen, hier unbemerkt zu landen.

Und wie lange das Shuttle jetzt unbemerkt bleiben würde war ebenfalls fraglich...

An Bord wurden wir von der Kommandantin der Mission begrüßt.

Sie wirkte noch sehr jung.

“Fähnrich Rena Sunfrost”, stellte sie sich vor. “Willkommen an Bord.”

“Danke”, sagte ich.

Sunfrost wandte sich an Toq Rogers. “Wann sind die anderen hier?”

“Müssten jeden Moment eintreffen.”

“Wurden noch andere Überlebende gefunden?”, fragte Naomi. Für sie musste es eine Erleichterung sein, jetzt unter Erdnorm atmen zu können, nachdem wir die Shuttleschleuse passiert hatten. Im Inneren des Raumers herrschten Erdschwere, irdischer Luftdruck und die Zusammensetzung der Atemluft ließ wohl jeden etwas schwerer atmen, der an mehr Sauerstoff gewöhnt war.

Sunfrost sah Naomi mit ernstem Gesicht an und schüttelte den Kopf. “Nein. Wir hatten auch gedacht, es wären mehr.”

“Tun Sie mir einen Gefallen”, fragte ich.

Sunfrost hob die Augenbrauen. “Und der wäre?”

“Benutzen Sie bitte nicht die Schubdüsen, sondern starten Sie nur mit Antigrav.”

Sunfrost lächelte mild. “Keine Sorge. Bei so einem hohen Sauerstoffanteil der Atmosphäre wäre alles andere Selbstmord.”

“Sie sagen es”, nickte ich.

*

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NACHDEM AUCH DIE ANDEREN Space Marines, die an der Operation beteiligt gewesen waren, an Bord gekommen waren, hob das Shuttle ab. Dass Sunfrost mal eine Raumkommandantin werden würde, sah man ihr damals noch nicht unbedingt an. Dass sie die Kommandantin des Schiffes werden würde, auf dem ich später stationiert sein würde, natürlich noch viel weniger.

Irgendwann später erfuhr ich, dass sie damals als junger Fähnrich dem Stab von Admiral Müller auf der NEW CALIFORNIA zugeteilt worden war und sie normalerweise mehr mit Taktik und Strategie zu tun hatte als mit der Rettung von Überlebenden eines Alien-Angriffs. Sei’s drum. Es schien, als wären wir noch einmal davongekommen. Und darauf kam es an.

Und als dann das Shuttle emporstieg und ich durch das Sichtfenster in die Nacht von Maldena 22b blickte, musste ich an all die anderen denken, auf die das nicht zutraf.

ENDE

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Erster Offizier: Chronik der Sternenkrieger, Extra-Roman

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von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 161 Taschenbuchseiten.

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Übersicht über die Serie “Chronik der Sternenkrieger”

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in chronologischer Reihenfolge

Terrifors Geschichte: Space Army Corps (Handlungszeit 2238)

Erstes Kommando: Extra-Roman (Handlungszeit 2242)

Erster Offizier, Extra-Roman (Handlungszeit 2245/2246)

Chronik der Sternenkrieger 1 Captain auf der Brücke (Handlungszeit 2250)

Chronik der Sternenkrieger 2 Sieben Monde

Chronik der Sternenkrieger 3 Prototyp

Chronik der Sternenkrieger 4 Heiliges Imperium

Chronik der Sternenkrieger 5 Der Wega-Krieg

Chronik der Sternenkrieger 6 Zwischen allen Fronten

Chronik der Sternenkrieger 7 Höllenplanet

Chronik der Sternenkrieger 8 Wahre Marsianer

Chronik der Sternenkrieger 9 Überfall der Naarash

Chronik der Sternenkrieger 10 Der Palast

Chronik der Sternenkrieger 11 Angriff auf Alpha

Chronik der Sternenkrieger 12 Hinter dem Wurmloch

Chronik der Sternenkrieger 13 Letzte Chance

Chronik der Sternenkrieger 14 Dunkle Welten

Chronik der Sternenkrieger 15 In den Höhlen

Chronik der Sternenkrieger 16 Die Feuerwelt

Chronik der Sternenkrieger 17 Die Invasion

Chronik der Sternenkrieger 18 Planetarer Kampf

Chronik der Sternenkrieger 19 Notlandung

Chronik der Sternenkrieger 20 Vergeltung

Chronik der Sternenkrieger 21 Ins Herz des Feindes

Chronik der Sternenkrieger 22 Sklavenschiff

Chronik der Sternenkrieger 23 Alte Götter

Chronik der Sternenkrieger 24 Schlachtpläne

Chronik der Sternenkrieger 25 Aussichtslos

Chronik der Sternenkrieger 26 Schläfer

Chronik der Sternenkrieger 27 In Ruuneds Reich

Chronik der Sternenkrieger 28 Die verschwundenen Raumschiffe

Chronik der Sternenkrieger 29 Die Spur der Götter

Chronik der Sternenkrieger 30 Mission der Verlorenen

Chronik der Sternenkrieger 31 Planet der Wyyryy

Chronik der Sternenkrieger 32 Absturz des Phoenix

Chronik der Sternenkrieger 33 Goldenes Artefakt

Chronik der Sternenkrieger 34 Hundssterne

Chronik der Sternenkrieger 35 Ukasis Hölle

Chronik der Sternenkrieger 36 Die Exodus-Flotte (Handlungszeit 2256)

Chronik der Sternenkrieger 37 Zerstörer

Chronik der Sternenkrieger 38 Sunfrosts Weg (in Vorbereitung)

Sammelbände:

Sammelband 1: Captain und Commander

Sammelband 2: Raumgefechte

Sammelband 3: Ferne Galaxis

Sammelband 4: Kosmischer Feind

Sammelband 5: Der Etnord-Krieg

Sammelband 6: Götter und Gegner

Sammelband 7: Schlächter des Alls

Sammelband 8: Verlorene Götter

Sammelband 9: Galaktischer Ruf

Sonderausgaben:

Der Anfang der Saga (enthält “Terrifors Geschichte”, “Erstes Kommando” und

Chronik der Sternenkrieger #1-4)

Im Dienst des Space Army Corps (enthält “Terrifors Geschichte”, “Erstes Kommando”)

Druckausgabe (auch als E-Book):

Chronik der Sternenkrieger: Drei Abenteuer #1 -12 (#1 enthält Terrifors Geschichte, Erstes Kommando und Captain auf der Brücke, die folgenden enthalten jeweils drei Bände und folgen der Nummerierung von Band 2 “Sieben Monde” an.)

Ferner erschienen Doppelbände, teilweise auch im Druck.

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1

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Aus dem persönlichen Logbuch von Lieutenant Commander Rena Sunfrost, Jahreswende 2245/2246; zur Zeit der Aufzeichnung gerade zum Ersten Offizier der SURVIVOR befördert.

Ich bin seit kurzem Erster Offizier an Bord der SURVIVOR unter Commander Theo Tulane. Als Etappenziel in meiner Karriereplanung ist das eigentlich nicht schlecht für mein Alter, finde ich. Aber mein Ziel bleibt natürlich, selber so schnell wie möglich Kommandantin eines Raumschiffs zu werden.

Commander Tulane hat seine Eigenheiten.

Um ganz ehrlich zu sein: In vielen Dingen ist er das genaue Gegenteil von mir. Aber das muss nicht heißen, dass wir nicht miteinander klarkommen.

Tulane kommt von den Weltraumstreitkräften der Siedler des New Hope-Systems, die während des Krieges gegen die Qriid in das Space Army Corps des Bundes der Humanen Welten integriert wurden. Eine militärische Raumakademie hat Tulane nie von innen gesehen, was ihn manchmal sehr unkonventionell handeln lässt.

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2

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Aus dem persönlichen Logbuch von Commander Theo Tulane, Captain der SURVIVOR, 1.1. 2246:

Wir sind in einer wichtigen Mission zu einer dieser Siedlerwelten am Rand des sogenannten Niemandslandes unterwegs, wie der Raumsektor genannt wird, der den Einflussbereich der Humanen Welten vom Imperium der Qriid trennt, von denen wir glauben, dass sie jederzeit wieder angreifen könnten.

Worum es genau geht, weiß ich noch nicht.

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738917987
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Februar)
Schlagworte
großband chronik sternenkrieger sieben sternenkrieger-romane

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Großband 5 – Chronik der Sternenkrieger: Sieben Sternenkrieger-Romane