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Folge 23/24 - Chronik der Sternenkrieger Doppelband

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2018 380 Seiten

Zusammenfassung

Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.
In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...

Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Chronik der Sternenkrieger – Folge 23 und 24

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Doppelband: Alte Götter / Schlachtpläne

von Alfred Bekker

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EIN CASSIOPEIAPRESS E-Book

© 2005, 2008, 2012 by Alfred Bekker

© 2014 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich (Westf.)

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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MITTE DES 23. JAHRHUNDERTS werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.

In dieser Zeit bricht die  STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...

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ALFRED BEKKER schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.

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DIESES EBOOK ENTHÄLT folgende zwei Bände:

Band 23:  Alte Götter

Band 24:  Schlachtpläne

Der Umfang dieses Ebook entspricht 214 Taschenbuchseiten.

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Band 23: Alte Götter

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Auf Qriidia, Jahr 11543 nach der Berufung des Ersten Aarriid (= 2252 n. Christus)

Auf den ersten Blick wirkte das kleine, vogelartige Wesen nicht wie das nominelle religiöse und weltliche Oberhaupt des Heiligen Imperiums. Ein vogelähnliches Wesen mit nach hinten geknickten Beinen, das bislang noch nicht einmal in der Lage war, aufrecht zu stehen.

Und doch – dieses unscheinbare Wesen war die Projektionsfläche für die transzendenten Sehnsüchte von Abermilliarden Qriid.

Der Aarriid.

Die Wiedergeburt von Gottes Stellvertreter im Universum, der das auserwählte Volk in die Zukunft führen würde – dem Zeitalter der Göttlichen Ordnung entgegen.

Noch war der Aarriid ein unselbständiges, kaum der Sprache mächtiges Qriid-Junges, an dem die Priesterschaft die göttlichen Zeichen festgestellt hatten. Noch regierten andere in seinem Namen, aber das würde sich irgendwann ändern.

„Versuch es noch einmal!“, sagte die Stimme. „Töte ihn! Töte den hässlichen Heiden!“

Der Aarriid hob einen Hand-Traser auf und richtete ihn auf die Gestalt eines Menschen, die sich etwa drei Meter von ihm entfernt befand und jetzt einen Schritt zurückwich.

„Töte ihn! Gott will es!“

Der kleine Aarriid hob mit Mühe den Hand-Traser und feuerte. Ein blassgrüner Strahl schoss aus der Mündung heraus. Der erste Schuss verfehlte den schnabellosen Säugetierabkömmling, der jetzt seinerseits zur Waffe griff. Der Aarriid versuchte es noch einmal. Der nächste Schuss saß. Der Strahl traf den Menschen in den Brustkorb. Ein zischender Laut war zu hören, als sich der Energiestrahl in den Körper hinein brannte. Der Schnabellose zuckte und fiel zu Boden, wo er regungslos liegen blieb.

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Der am Boden liegende Mensch verblasste. Die Qualität des Hologramms war ohnehin nicht besonders gut gewesen. Es glich eher einer zweidimensionalen Projektion, als dass wirklich ein körperhafter Eindruck entstanden wäre.

Aber für Qriid-Augen war das genug. Schließlich verfügten Qriid auf Grund ihrer weit auseinander stehenden Augen über ein nicht sonderlich gut ausgeprägtes räumliches Sehen.

Auch ein reales Gegenüber erschien ihnen nur als zweidimensionale Gestalt.

Das Hologramm verschwand und ein weiterer Mensch erschien wie aus dem Nichts – diesmal mit der Waffe im Anschlag.

„Es ist genug!“, sagte eine Stimme aus dem Hintergrund.

Der qriidische Priester wandte den Schnabel in Richtung des Sprechers. Er nahm unwillkürlich Haltung an und rückte das purpurne Priestergewand zurecht.

Eine Gestalt in der Kutte verharrte zwischen den Säulen der großen Wandelhalle im Tempelbezirk von Qatlanor, der strahlenden Hauptstadt des Heiligen Imperiums. Nur für einen Moment fielen ein paar Lichtstrahlen in das Dunkel unter der tief in das Gesicht gezogenen Kapuze, die kaum einen Blick auf die Schnabelspitze freiließ.

„Prediger!“, stieß der Priester hervor. Er war erst seit kurzem einer der offiziellen Erzieher des Aarriid, eine Aufgabe, die in erster Linie politisch und nicht pädagogisch verstanden wurde. Wer den Aarriid formte, solange seine Persönlichkeit noch formbar war, gewann Einfluss auf die politische Zukunft des Imperiums. Und das war auch der Grund dafür, warum sowohl die Priesterschaft als auch das Tanjaj-Militär darum buhlten, die Erzieher des Aarriid zu stellen.

Das zahlenmäßige Verhältnis dieser beiden Gruppen unter den Aarriid-Erziehern war ein sicherer Indikator für das politisch Kräfteverhältnis zwischen beiden Gruppen, die von jeher die Geschicke des Imperiums lenkten. Gegenwärtig stand dieses Verhältnis zwei zu zwei unentschieden.

Die Position des fünften Erziehers hatte der Prediger Ron-Nertas für sich persönlich reserviert.

Er war gegenwärtig die dominierende Kraft des Imperiums und führte als charismatischer Prediger, den viele für den legendären Friedensbringer der Legende hielten, auch die Regierungsgeschäfte.

Ein Herrscher, dessen absoluter Autorität sich selbst die Tanjaj und die Priesterschaft gegenwärtig beugten, weil sie sehr genau wussten, dass keine dieser Gruppen die spirituelle Führerschaft der Qriid gegen das Wort des Predigers zu übernehmen vermochte.

Zu groß war die Sehnsucht nach Frieden unter den Gläubigen gewesen.

Zu groß der verheerende und verweichlichende Einfluss des Wohlstands, wie Priester und Tanjaj in seltener Übereinstimmung die Stimmung unter der Bevölkerung analysierten.

Aber Ron-Nertas wusste nur zu gut, dass ihm die Macht nur auf Zeit überlassen war. Er regierte – wie alle anderen imperialen Regierungen vor ihm – im Namen des Aarriid, der noch ein kleiner, hilfloser Schlüpfling war.

Doch er würde wachsen und eines Tages, wenn er dazu in der Lage war, selbst die Macht übernehmen.

Und dann kam es darauf an, welches Gedankengut den Stellvertreter Gottes geprägt hatte, welche Einstellungen, Ängste, Abneigungen und Vorlieben dann seine Entscheidungen prägen würden.

Der Kampf um die Seele des noch so jungen Oberhauptes aller Gläubigen hatte bereits begonnen und Ron-Nertas war sich nicht sicher, ob er auf diesem Gebiet tatsächlich so erfolgreich war, wie er sein musste, wollte er die Veränderungen zementieren, die sein Umsturz gebracht hatte.

Ein Dutzend Qriidia-Jahre blieben ihm vielleicht noch, um in das Herz des Aarriid die Saat des Friedens zu pflanzen.

Aber Tanjaj und Priesterschaft säten gleichzeitig etwas ganz anderes und verteidigten darüber hinaus mit Schnabel und Klauen ihre Positionen an der Sandwiege des Aarriid.

Der priesterliche Erzieher schaltete den Projektor für die Holografie ab.

„Ich habe die Zeit vergessen“, sagte er.

„Mag sein.“

„Die Ausbildung des Aarriid ist eine ernste Angelegenheit, der ich mich voll und ganz gewidmet habe.“

„Das tue ich auch“, sagte Ron-Nertas. „Also schmälere nicht die Zeit, die ich mit dem neuen Aarriid verbringen kann. Sie ist kurz genug.“

„Das empfindet jeder in der gleichen Weise, dessen Privileg die Erziehung von Gottes Stellvertreter ist.“

Der Prediger schlug seine Kutte zurück.

Der federnlose Vogelkopf kam zum Vorschein. Die gebogenen Schnabelhälften schabten mit einem durchdringenden Geräusch gegeneinander.

Der priesterliche Erzieher neigte sich nach vorn.

Ein Zeichen der Unterwerfung und des Respekts, bei dem Ron-Nertas nicht das Gefühl hatte, dass es ernst gemeint war.

„Ich ziehe mich nun zurück“, sagte der priesterliche Erzieher.

Ron-Nertas wandte sich dem kleinen Aarriid zu. Der Schlüpfling krabbelte durch den Sand. Den Spielzeug-Traser hatte er zwischenzeitlich vollkommen vergessen. Jetzt entdeckte er ihn erneut. Ein Sekret sabberte aus seinem Schnabel heraus, was in seinem Alter bei Schlüpflingen ganz normal war. Er nahm die Spielzeugwaffe und aktivierte sie. Dann fuchtelte er mit dem harmlosen Strahl herum und freute sich daran, dass an der Deckenmaserung Lichtmuster entstanden. Glucksende Geräusche kamen ihm über den Schnabel.

Er drehte sich im Sand um die eigene Achse und richtete die ‚Waffe’ auf Ron-Nertas.

Ein Schaben der Schnabelhälften folgte und der Schlüpfling drückte ab.

Der Strahl traf Ron-Nertas mitten in der Brust, während der gesalbte Aarriid glucksende Laute hervorstieß. Laute, die zunehmend unzufriedener wurden und schließlich durch ein penetrantes, unzufriedenes Schnabelschaben völlig ersetzt wurden.

„Du erwartest, dass ich getroffen zu Boden falle wie die Hologramme der hässlichen Heiden“, stellte Ron-Nertas fest. Er näherte sich und beugte sich nieder. Der Schlüpfling hatte unterdessen damit aufgehört, den Prediger zu beschießen. „Es ist erschreckend, wie schnell du gelernt hast.“

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Schritte waren in der Wandelhalle zu hören.

Der Prediger blickte auf. Ein Qriid in der Uniform eines hochrangigen Tanjaj-Offiziers trat auf die Sandwiege des Schlüpflings zu, blieb einige Meter davor stehen und nahm Haltung an.

Der Schlüpfling musterte den Tanjaj neugierig. Er entdeckte gleich den Traser an dessen Gürtel, deutete mit der Krallenhand darauf und stieß ein paar Laute aus, die deutlich machten, dass er etwas wiedererkannt hatte.

„Tanjaj-Nom Her-Kuf bittet um Verzeihung, den Prediger in einem unangemessenen Moment anzusprechen“, sagte der Offizier.

„Warum tust du das, Her-Kuf? Die Zeit, die ich mit dem Aarriid verbringe, ist tabu. Hat man dir das nicht gesagt?“

„Ich hätte dieses Tabu nicht verletzt, wenn nicht eine äußerst wichtige Nachricht eingetroffen wäre. In der Heimat der achtbeinigen Heiden steht eine Katastrophe bevor.“

Rewak-Ter-Tom, so lautete der Qriid-Name für jenes System, von dem der Tanjaj Her-Kuf gesprochen hatte. Die Qriid hatten es während ihres Eroberungszuges ihrem Imperium einverleibt, in dessen Verlauf das Heilige Imperium erstmals mit den Humanen Welten der Menschheit zusammengeprallt war.

Die Hirn fressenden, achtbeinigen Bewohner waren geflohen. Sie selbst nannten sich Wsssarrr und waren für die Qriid so etwas wie die sinnbildliche Verkörperung des Bösen. Zu rituellen Zwecken entführten die Wsssarrr Angehörige anderer Spezies, um ihre Hirne zu verspeisen, weil sie glaubten, dass dadurch etwas von der geistigen Kraft und dem Wissen ihrer Opfer auf sie überginge.

Rewak-Ter-Tom bedeutete ‚Zweite Teufel-Heimat.’

Die Qriid hatten bereits vor langer Zeit die Wsssarrr vertrieben. Auf dem zweiten Planeten der Sonne Rewak-Ter-Tom (von den Menschen Spider II genannt) waren die Gotteskrieger des Imperiums dann erneut dieser Ausgeburt des Bösen begegnet.

Leider hatte ein Großteil der Wsssarrr fliehen können.

Auf welche Weise war bis heute nicht bis in die Einzelheiten hinein bekannt. Aber sie hatten dazu wohl eine Transmitterfähige Anlage benutzt, die sich auf dem Planeten befand.

„Es wurden sehr starke Resonanzen höherdimensionaler Impulse gemessen. Abgesehen von den Anlagen, auf die wir dort gestoßen sind, scheint es noch weitere, sehr viel größere technische Hinterlassenschaften der Sambana zu geben“, erklärte der Tanjaj.

„So war es richtig, diese Welt zur Tabu-Zone zu erklären“, erwiderte der Prediger.

„Nach Ansicht unserer Experten könnte es allerdings schon sehr bald zu einer Katastrophe kommen. Und ich glaube nicht, dass wir eine Möglichkeit haben, das Problem aus eigener Kraft in den Griff zu bekommen.“

Der Prediger starrte sein Gegenüber an. „Du meinst, nur mit  Hilfe der Menschheit?“

„Sie haben immer versucht, die Sambana-Technik zu erforschen, während wir durch die Tabus der Priesterschaft daran gehindert wurden, die Errungenschaften von ‚Gottes zuerst erwähltem Volk’ für uns nutzbar zu machen.“

„Es war Gottes zu Unrecht erwähltes Volk!“, hielt Ron-Nertas seinem Gegenüber entgegen.

Auch in dieser Frage herrschte seit langem zwischen Tanjaj und Priesterschaft ein unversöhnlicher Konflikt.

„Während der Schlacht im Dreisonnensystem ist durch einen dieser Sambana-Quader ein schwarzes Loch entstanden, durch das seinerzeit das gesamte System zerstört wurde und wir die Schlacht verloren“, gab Her-Kuf zu bedenken. „Aber diesmal, so vermuten unsere Spezialisten, könnte der Effekt um den Faktor tausend größer sein.“

„Das würde bedeuten, auch benachbarte Systeme könnten in Mitleidenschaft gezogen werden?“ 

„Ja“, bestätigte Her-Kuf. „Außerdem befürchten unsere Wissenschaftler einen fünfdimensionalen Blitz, der große Teile unserer Infrastruktur in einem Umkreis von bis zu zehn  Lichtjahren völlig lahm legen könnte.“

Ist das ein Trick?, überlegte der Prediger. Ein Trick, der mich dazu verleiten soll, die Hilfe der Humanen Welten einzufordern – was mich politisch als deren Büttel darstellen würde und ich sowohl bei Tanjaj als auch der Priesterschaft an Autorität verlieren ließe?

Eine derartige Intrige traute der Prediger dem Tanjaj durchaus zu – wie im Übrigen auch der Priesterschaft. Vielleicht handelten die traditionellen Mächte innerhalb des Qriid-Reiches in diesem Fall sogar koordiniert. Schließlich hatten beide seit der Machtübernahme des Predigers erheblich an Einfluss eingebüßt.

„Ich werde mich dem Problem widmen“, kündigte Ron-Nertas an.

„Es müssen schnelle Entscheidungen getroffen werden!“, erwiderte Her-Kuf.

Aber dies schien der Prediger vollkommen anders zu  beurteilen. Er dachte nicht daran, sich drängen zu lassen. Gott führte die Geschicke des Universums. Davon war er überzeugt. Und er wollte sich nicht eher entscheiden, ehe er wusste, welchen Weg Gott ihm wies.

„Ich werde mich dem Problem widmen, nach dem ich meine Pflichten als Erzieher des Aarriids für heute erfüllt habe“, gab der Prediger mit großer Bestimmtheit zurück.

„Sehr wohl“, krächzte Her-Kuf leise zwischen seinen Schnabelhälften hervor.

„Nichts könnte wichtiger sein, als die Seele von Gottes Stellvertreter“, fügte Ron-Nertas noch hinzu. „Denn so steht es geschrieben im Buch des Ersten Aarriid: Was ihr dem antut, der Gott gegenüber den Gläubigen vertritt, dass tut ihr ihm selbst an.“

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Sambana nennen Qriid nicht ohne Schaudern ein Volk, das vor Äonen diesen Teil der Galaxis beherrschte und eine Technik zu Stande brachte, von der die Menschheit noch in Jahrtausenden nur träumen kann. Wahrscheinlich sind die Sambana mit den ‚Alten Göttern’ der Fash’rar identisch. Andere bezeichnen sie als ‚die Erhabenen’.

Das Qriid-Wort Sambana bedeutet ‚Gottes zuerst erwähltes Volk’, das mit allen Wundern der Technik ausgestattet wurde und dies Gott mit Undank und Überheblichkeit dankte. Der Legende nach glaubten die Sambana schließlich, selbst Götter zu sein, weshalb sie häufig auch als ‚Sambano’ bezeichnet werden. Dieser o-Laut am Ende verändert die Bedeutung in ‚Gottes zu Unrecht erwähltes Volk’.

Aus: DAS MOTIV DES ERWÄHLTEN VOLKES IM PENTATEUCH UND IM BUCH DES ERSTEN AARRIID – EIN VERGLEICH; abrufbar im Datennetz ab Januar 2252; Verfasser: Guillermo Benford (Ordensname: Bruder Guillermo)

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Bruder Guillermo, der Olvanorer-Mönch und wissenschaftliche Berater mit Offiziersprivilegien an Bord der STERNENKRIEGER II, hatte in einem Aufenthaltsräume platzgenommen, um eine Mahlzeit einzunehmen. Der Syntho-Salat war gut gewürzt und sehr schmackhaft. Er trank dazu reines Wasser. Die STERNENKRIEGER befand sich auf einer fast zweiwöchigen Sandström-Flugphase auf dem Weg ins Qriid-Imperium. Der Überlichtflug war immer eine Phase, in der es wenig an Bord zu tun gab. Da die Mission darüber hinaus unter strengster Geheimhaltung lief, war es auch kaum möglich, sich in irgendeiner Form darauf vorzubereiten.

So hatte Bruder Guillermo die Zeit genutzt, um sich seinen Studien zu widmen.

Fast zwei Standard-Tage lang hatte er nichts gegessen und nur ein wenig Wasser getrunken, so sehr hatte ihn das Studium gewisser Schriften in den Bann gezogen.

An einem der anderen Tische waren der ehemalige Chefentwickler des Far Galaxy-Konzerns Professor Dr. Yasuhiro von Schlichten sowie der Exo-Mediziner und jetzige Dozent an der Far Galaxy-Akademie auf dem solaren Zwergplaneten Sedna Professor Dr. Miles Rollins in ein sehr intensives Gespräch vertieft. Dass diese beiden hochkarätigen Wissenschaftler sich an Bord der STERNENKRIEGER befanden, wies darauf hin, dass es sich offenbar um eine außergewöhnliche Mission handelte, an der die Besatzung des Sondereinsatzkreuzers beteiligt war.

Mehr als das ungefähre Ziel war der Crew bisher nicht mitgeteilt worden.

Es ging in jenen Teil des sogenannten Niemandslandes, dass während des ersten Qriid-Krieges dem Heiligen Imperium einverleibt worden war. Eine Hilfsmission für die inzwischen mit der Menschheit verbündeten Qriid.

Bruder Guillermo hatte nicht viele Gedanken daran verschwendet, um was für eine Mission es sich da wohl handeln mochte. Captain Warrington würde sie schon früh genug darüber aufklären.

Nirat-Son, der Qriidische Austauschoffizier an Bord der STERNENKRIEGER, betrat in diesem Augenblick den Raum. Er ließ den Blick seiner weit auseinanderliegenden Vogelaugen umherschweifen. Für einen menschlichen Betrachter war es immer nicht ganz eindeutig zu sagen, worauf der Blick eines Qriid eigentlich gerichtet war.

Dann hatte Nirat-Son den Olvanorer-Mönch entdeckt und ging geradewegs auf ihn zu.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen, Bruder Guillermo?“

„Selbstverständlich.“

Etwas umständlich setzte sich der Qriid. Das Sitzmobiliar kam seiner Qriid-Anatomie nicht gerade entgegen. Insbesondere galt dies natürlich für die nach vorn geknickten Beine.

„Es ist immer ein eigenartiges Gefühl, an Bord eines Kriegsschiffs im Dienst des Space Army Corps in das Heilige Imperium zu fliegen.“

„Das geschieht nicht zum ersten Mal!“, erinnerte ihn Bruder Guillermo.

„Das mag sein. Aber das eigenartige Gefühl dabei bleibt doch immer dasselbe.“

„Da unsere Spezies im Augenblick nicht verfeindet sind und eigentlich auch nicht abzusehen ist, dass dies mittelfristig wieder geschehen könnte, sehe ich keinen Anlass für einen Loyalitätskonflikt“, erklärte Bruder Guillermo sachlich.

„Latent ist dieser Konflikt doch immer vorhanden oder sehen Sie das nicht so, Bruder Guillermo? Ich meine – ganz ähnlich wie bei Ihnen?“

„Bei mir?“

„Sie sind Olvanorer und Crewmitglied eines Space Army Corps Schiffs. Ein Pazifist im Dienst einer Raumstreitmacht. Sagen Sie mir nicht, dass es da in der Vergangenheit nicht durchaus auch Loyalitätskonflikte gab, die Sie mit sich austragen mussten. Ich erinnere da nur an den Einsatz des Anti-Etnord-Virus...“

Bruder Guillermo schwieg einige Augenblicke, ehe er schließlich sagte: „Ich denke für uns beide gibt es letztlich nur eine einzige Richtschnur.“

„Sie sprechen vom Willen Gottes?“

„Ja. Allerdings sind Sie in der beneidenswerten Lage, sich dieses Willens sehr viel sicherer zu sein als ich das von mir behaupten könnte.“

„Ja, unsere alte Diskussion, Bruder Guillermo: Ist ein derart von Zweifeln durchsetzter Glaube, wie Sie ihn praktizieren überhaupt noch ein Glaube?“ Er machte eine Pause, während Bruder Guillermo den letzten Rest seines Syntho-Salats zu sich nahm und sich schließlich etwas zurücklehnte. Nirat-Son schien ihn zu mustern, auch wenn man angesichts der starren Mimik der Vogelartigen nie wirklich sicher sein konnte. Der Schnabel des Qriid war halb geöffnet.

Ihm liegt noch etwa auf der Zunge, erkannte Bruder Guillermo und musste sogleich über die Formulierung schmunzeln, die für Qriid irgendwie nicht passte. Meinetwegen liegt es ihm im Schnabel, aber er will etwas sagen.

„Sprechen Sie ruhig“, sagte Bruder Guillermo laut.

Der Schnabel Nirat-Sons öffnete sich etwas mehr und blieb dann so. Vielleicht war das die Qriid-Entsprechung für großes Erstaunen.

„Nun, es ist seltsam mit Ihnen. Man will Sie wegen irgendeiner Sache ansprechen, kommuniziert dann aber über ganz andere Dinge und sagt Sachen von denen man Augenblicke zuvor noch nicht geahnt hätte, dass sie überhaupt Teil der eigenen Gedanken sind.“

„Es war nicht meine Absicht, Sie zu verwirren, Nirat-Son.“

„Eigentlich wollte ich Sie wegen der Forschungsarbeit ansprechen, die ich von Ihnen im Datennetz entdeckt habe.“

Bruder Guillermo wirkte etwas verlegen. „Welche meiner Arbeiten meinen Sie?“

„Das Motiv des erwählten Volkes im Pentateuch und im Buch des Ersten Aarriid. Ich hatte bisher nicht gewusst, dass es offenbar auch in der Geschichte Ihrer Spezies Gedanken gab, die den Überlieferungen unser Religion so sehr ähneln.“

„Ja, es gibt durchaus einige Parallelen. Aber auch Unterschiede.“

„Ihr Interesse an unserer Kultur scheint jedenfalls ernsthaft zu sein“, stellte Nirat-Son fest. „Vor allem ist es ohne die allgegenwärtige Arroganz, die mir ansonsten begegnet. Eine Haltung, die davon ausgeht, dass ein fester Glauben gleichzusetzen ist mit geistiger Starre.“

Bruder Guillermo trank den Rest seines Wassers leer. „Es freut mich, dass Sie meine Haltung anerkennen.“

„Ihre besondere Fähigkeit, die Gedanken und Emotionen anderer zu erfassen, ist mir im Übrigen auch nicht entgangen. Es würde mich interessieren, wie Sie den neuen Captain einschätzen?“

„Captain Warrington ist noch nicht lange an Bord“, wich Bruder Guillermo aus.

„Ich bin mir in der Einschätzung menschlicher Interaktionen bei weitem nicht so sicher wie Sie es für sich beanspruchen können, Bruder Guillermo. Ich glaube bemerkt zu haben, dass der Captain sehr angespannt wirkt und sich vor allem auf das Urteilsvermögen seines Ersten Offiziers verlässt.“

Bruder Willliam die Augenbrauen. „Lieutenant Commander Van Doren ist ein außergewöhnlich fähiger Raumkommandant gewesen, der durch unglückliche Umstände degradiert wurde. Er war im Übrigen auch Captain Sunfrost an Erfahrungsreichtum überlegen, sodass auch sie sich sehr häufig auf Van Dorens Urteilsvermögen verließ.“

„Da sehe ich dennoch einen gravierenden Unterschied“, widersprach Nirat-Son. „Captain Sunfrost schien mit ihrer Rolle als Captain überein zu stimmen – und das erstaunlicherweise, obwohl sie ein Weibchen war.“

„Eine Frau“, korrigierte Bruder Guillermo.

„Ich habe bewusst einen Begriff verwendet, der in Ihrer Sprache für alle Spezies verwendet wird und sowohl Eierlegerinnen wie Frauen einschließt“, gab Nirat-Son zurück.

„Sie scheinen den Captain ja beinahe zu vermissen, Nirat-Son!“, stellte Bruder Guillermo überrascht fest.

„Das ist in der Tat korrekt. Und das bezieht sich sowohl auf ihre Funktion als Captain als auch ihre Person. Es überrascht mich selbst und hat gewiss auch damit zu tun, dass ich in Rena Sunfrost nie ein vollwertiges Weibchen gesehen habe, da ihr die Fähigkeit, Eier zu legen fehlte.“

„Abgesehen von Ihren Vorbehalten gegen nicht zur Eiablage fähige Frauen teile ich Ihre Sicht der Dinge voll und ganz“, murmelte Bruder Guillermo. Sein Blick wurde nachdenklich. Er starrte durch Nirat-Son hindurch ins Nichts. Tatsache ist, dass Rena Sunfrost für tot erklärt wurde. Ein Verlust unter vielen in den Reihen des Space Army Corps. Und doch hatte er das Gefühl, dass Rena Sunfrost noch irgendwo existierte. Vielleicht Lichtjahre entfernt, vielleicht auch in einer anderen, transzendenten Ebene der Existenz. Du bist Wissenschaftler. Vergiss das nicht und halte deine transzendentalen Sehnsuchtsfantasien im Zaum. Was geschehen ist, ist geschehen. So ist es nun mal.

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Eintrag aus dem persönlichen Logbuch von Captain Milton Warrington III:

Ich habe seit kurzem das Kommando über den Sondereinsatzkreuzer STERNENKRIEGER II übernommen, nachdem meine Vorgängerin Captain Rena Sunfrost nun durch das Space Army Corps offiziell für tot erklärt wurde.

Sie wurde bis dahin als vermisst geführt und Teile der Besatzung scheinen immer noch der Hoffnung nachzuhängen, dass sie noch leben könnte.

Aber wie pflegte schon mein viel gerühmter Vater immer zu sagen: Hoffnung ist meistens ein Mangel an Information.

Mit der Besatzung komme ich einigermaßen klar.

Kleinere Reibungspunkte und Schwierigkeiten werden sich hoffentlich noch geben.

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Achtung, Captain auf der Brücke!“, meldete Commander Van Doren. Der Erste Offizier der STERNENKRIEGER II erhob sich vom Sitz des Kommandanten und nahm Haltung an.

„Stehen Sie bequem“, sagte Captain Milton Warrington III, der neue Kommandant der STERNENKRIEGER.

„Danke Sir. Wir befinden uns kurz vor dem Austritt aus dem Sandströmraum.“

Van Doren trat an die Konsole des Ersten Offiziers. Seine Finger glitten über die Sensorpunkte des Touch Screens. Er ließ sich die wichtigsten Flugdaten anzeigen.

Rudergänger Lieutenant John Taranos meldete sich zu Wort. „Eintritt in den Normalraum in zehn Sekunden. Countdown läuft.“ Taranos zählte den Countdown mit.

Dann erfolgte das Eintauchen ins Einsteinuniversum.

„Sir, ich verändere den Zoom des Hauptbildschirms“, kündigte unterdessen Ortungsoffizier Lieutenant Wiley Riggs an.

Lieutenant Commander Robert Ukasi nahm plötzlich ein paar Schaltungen an jener Konsole vor, über die der Taktikoffizier normalerweise den Einsatz der zehn schwenkbaren und jeweils von einem Waffenoffizier bemannten Gauss-Geschütze koordinierte. Jetzt ließ er sich die Ortungsdaten anzeugen. Die Verblüffung war ihm ins Gesicht geschrieben.

„Das Spider-System!“, entfuhr es ihm. Er drehte sich herum. „Die Koordinaten kamen mir gleich bekannt vor.“

Warrington hob die Augenbrauen und schlug die Beine übereinander. „Waren Sie schon einmal hier, Lieutenant Commander Ukasi?“

„Ja. Als Fähnrich habe an der ersten Mission der STERNENKRIEGER in dieser Gegend teilgenommen. Ähnliches gilt für Commander Van Doren, der damals Kommandant der JUPITER war. Allerdings gehörte dieser Raumsektor da noch zum Niemandsland.“

„Das ist korrekt“, bestätigte Van Doren etwa einsilbig.

„Gut, dann werde ich jetzt die Katze aus dem Sack lassen“, erklärte Milton Warrington III.  „Ruder! Nehmen Sie Kurs auf Spider II und leiten Sie ein entsprechendes Bremsmanöver ein. Der Austrittspunkt war entsprechend gewählt, sodass Sie keine Schwierigkeiten haben werden, die STERNENKRIEGER rechtzeitig abzubremsen, um in eine Umlaufbahn einschwenken zu können.“

„Aye, aye, Sir!“, meldete John Taranos. Seine Körperhaltung straffte sich etwas, während seine Finger mit  traumwandlerischer Sicherheit über die Sensorpunkte schnellten. „Die Geschwindigkeit beträgt 0,4076 LG. Mesonentriebwerk aktiviert, Bremsmanöver eingeleitet. In drei Stunden 45 Minuten werden wir Spider II erreichen.“

Ortungsoffizier Wiley Riggs meldete sich zu Wort. „Captain, ich orte fünf qriidische Kriegschiffe in unmittelbarer Nähe des zweiten Spider-Planeten.“

„Soeben erreicht uns die Aufforderung, uns zu identifizieren“, erklärte Fähnrich Ricardo Dunston, der die Kommunikationsoffizierin Lieutenant Susan Jamalkerim gegenwärtig auf ihrem Posten vertrat.

Warrington reagierte nicht. Er schien gedanklich abwesend zu sein.

„ID-Signal senden“, befahl Van Doren an Stelle des Captains – in der Annahme, dass dieser damit einverstanden war. Beim Anflug auf eine Welt, die zu einem verbündeten Sternenreich gehörte, gab es ohnehin keine Alternative. Die Kontaktprozedur war immer dieselbe.

Captain Warrington erhob sich von seinem Platz, während ein dumpfes Rumoren den Boden zu seinen Füßen leicht erzittern ließ – ein Zeichen dafür, dass die Mesonentriebwerke sich warmliefen, um wenig später das Bremsmanöver einzuleiten.

Seit Generationen waren die Warringtons Militärs – welche Chance hätte Milton III da wohl gehabt, etwas anderes zu werden?, ging es Van Doren durch den Kopf.

Warrington ließ den Blick durch die Zentrale der STERNENKRIEGER schweifen.

Erwartet er jetzt Aufmerksamkeit?, fragte sich Van Doren. Er wird sie nicht bekommen, so lange er nichts sagt.

Warrington räusperte sich.

„Ich nehme an, Captain, Sie werden uns jetzt darüber aufklären, was Sinn und Zweck unserer Geheimmission im Spider-System ist.“

„Sehr richtig, I.O. Ich beordere alle Offiziere in meinen Konferenzraum. In zehn Minuten.“

„Ich werde eine Ersatzbrückencrew aus Fähnrichen einteilen“, kündigte Van Doren an. „Wollen Sie dass auch die Waffenoffiziere an der Unterredung teilnehmen?“

„Ja. Außerdem natürlich Bruder Guillermo sowie die Gäste, die wir an Bord haben.“

Mit „Gästen“ meinte Captain Warrington natürlich in erster Linie die beiden Wissenschaftler Yasuhiro von Schlichten und Miles Rollins. Abgesehen davon befand sich auch noch Commodore Jay Thornton an Bord, ein Mitglied des Stabes um Admiral Akato, den Oberbefehlshaber der Space Army Corps-Verbände.

Aus welchem Grund Thornton an Bord war, erahnte Van Doren bereits, seit ihm klar war, welches Ziel die STERNENKRIEGER ansteuerte. Aber er behielt seine Rückschlüsse für sich. Schließlich war es Warringtons Aufgabe, alle Beteiligten über den Auftrag aufzuklären, den die STERNENKRIEGER erhalten hatte.

„Mit Ihrem Einverständnis werde ich das Kommando über die Brücke Lieutenant Mandagor übergeben“, kündigte Van Doren an. „Er macht das nicht zum ersten Mal und auch wenn wir uns gegenwärtig nicht in einer direkten Gefahrensituation befinden, sollte zumindest einer auf der Brücke über etwas Erfahrung verfügen.“

Lieutenant Paul Mandagor war normalerweise der Waffenoffizier von Gauss-Geschütz Nummer 8 – ein 2,30 m großer Real Martian. Diese Nachfahren der ersten Marssiedler konnten sich nur mit Hilfe eines Antigrav-Paks unter den Bedingungen der Erdschwerkraft bewegen, die an Bord der STERNENKRIEGER herrschten.

Nichtsdestotrotz war Mandagor ein sehr fähiger Offizier, dessen Fähigkeiten Van Doren sehr hoch einschätzte.

Captain Warrington nickte.

„Okay, I.O.. Sie regeln das schon!“

Dann ging der Kommandant der STERNENKRIEGER auf die Tür zu, die die Brücke vom Konferenzraum trennte und verschwand dahinter.

Es reicht offensichtlich nicht, ein Musterschüler an der Ganymed-Akademie und ein netter Kerl zu sein, um einen fähigen Captain abzugeben, dachte Van Doren.

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Wenig später versammelte sich das gesamte Offizierskorps der STERNENKRIEGER im Konferenzraum.

Ich wette, Commodore Thornton ist längst eingeweiht, ging es Van Doren durch den Kopf. Allerdings frage ich mich, weshalb man gegenüber dem Rest der Besatzung so ein Tamtam um die Geheimhaltung macht...

„Wir sind hier im Spider-System auf Grund eines akuten Hilfeersuchens der Regierung des Heiligen Imperiums der Qriid“, begann Captain Warrington mit seinen Ausführungen. „Im Jahr 2234 traf die Menschheit erstmalig auf die Qriid, deren aggressiver Expansionsdrang ganze Völkerscharen vor sich her scheuchte. Die arachnoiden Wsssarrr hatten sich hier ins Spider-System geflüchtet und dort eine neue Basis geschaffen, um sich gegen die herannahenden Qriid zu verteidigen. Vergeblich. Vor der völligen Vernichtung ihrer Zivilisation flohen die Wsssarrr über ein System von quaderförmigen Transmitterstationen, die unter anderem in den Systemen Dambanor, Triple Sun 2244 und Rendezvous gefunden wurden. Ob sich die Wsssarrr diese Technik selbst entwickelt hatten oder sie sich nur der Technik viel älterer Rassen bedienten, die sie sich erfolgreich aneigneten, ist seither umstritten. Es gibt Wissenschaftler, die behaupten sogar, dass die Wsssarrr mit den sogenannten ‚Alten Göttern’ identisch sind. Aber das ist umstritten. Tatsache ist, dass die von ihnen benutzen technischen Relikte äußerst gefährlich sind. Das hat schon das – wie wir heute wissen – relativ kleine Quader-Artefakt im Triple Sun-System bewiesen, das sich in ein Black Hole verwandelte und damit die Planeten des Systems wie Billard-Kugeln durcheinander wirbelte.“

„Immerhin brachte uns das einen der wenigen Siege während des ersten Qriid-Krieges ein“, gab Van Doren zu bedenken.

„Aber ein verdammt teuer erkaufter Sieg“, warf Ukasi ein.

Captain Warrington schmunzelte. „Bevor das hier zu einem Veteranen-Stammtisch wird, möchte ich gerne fortfahren! Die Qriid haben die von Wsssarrr verwendete Technik als Artefakte der Sambana identifiziert, des von Gott zuerst erwählten Volkes, das an seiner eigenen Hybris zu Grunde ging. Deswegen ist Spider II zu einer Tabuwelt erklärt worden. Vielleicht können Sie zu diesem Punkt etwas mehr sagen, Nirat-Son.“

„Die Frage, ob es legitim ist, Technik der Sambana zu verwenden, hat schon von jeher für theologische Differenzen zwischen den Tanjaj und der Priesterschaft gesorgt“, erklärte der qriidische Austauschoffizier. „Während wir Tanjaj in dieser Frage pragmatisch sind und durchaus für eine Ausbeutung dieser Technik plädiert haben, ist die Position der Priesterschaft in dieser Frage vollkommen starr. Sie hält es für ein Gebot der Glaubensreinheit, dass wir nicht die Technik derjenigen verwenden, die vor Äonen Gottes Willen so sehr missachteten und schließlich sogar den Frevel begingen, sich selbst für Götter zu halten.“

„Tja, deshalb nannte man die dann später ja auch die Alten Götter“, murmelte Sergeant Ray Kelleney, der Kommandant der dreißigköpfigen Truppe von Marines, die an Bord der STERNENKRIEGER stationiert war. Alle Blicke waren für einen Moment auf ihn gerichtet.

Captain Warrington sah ihn tadelnd an.

Kelleney hob die Schultern.

„Entschuldigung, Sir, das war vielleicht nicht ganz angemessen“, murmelte er dann vor sich hin.

„Fahren Sie fort, Nirat-Son“, sagte Captain Warrington.

„Wie ich schon sagte, bestand in dieser Frage immer ein starker Dissens, aber die Position der Priesterschaft konnte sich über Generationen hinweg durchsetzen. Das liegt vor allem daran, dass mindestens die letzten fünf Aarriids sich die priesterliche Auffassung zu Eigen gemacht hatten.“

Gar nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sich die Tanjaj-Position hätte durchsetzen können, dachte Van Doren. Jedenfalls hätten die Qriid die Humanen Welten vermutlich schon während des ersten Krieges, den wir mit ihnen auszufechten hatten, einfach überrannt, wenn ihnen nur ein Bruchteil jener Wunderwaffen zur Verfügung gestanden hätte, die von den Sambana erfunden worden sind...

„Die gegenwärtige Bedrohung besteht wahrscheinlich darin, dass sich auf Spider II eine bisher verborgene Sambana-Anlage befindet“, fuhr Captain Warrington fort. „Eine Anlage, die vermutlich den Quader-Artefakten ähnelt, die auch andernorts gefunden wurden, nur viel größer ist und kurz vor dem Kollaps steht.“

„Heißt dass, es steht eine Katastrophe wie im Triple Sun 2244-System bevor?“, meldete sich nun Professor Yasuhiro von Schlichten zu Wort. „Ich habe mich als junger Doktorand sehr intensiv mit den Folgen dieses Kollapses beschäftigt und damals die Theorie aufgestellt, dass sich in diesem Quader ein Antimaterie-Konverter befunden haben müsste, der kollabierte.“

„Nein, unsere qriidischen Alliierten gehen auf Grund der bisher angemessenen 5-D-Resonanzen davon aus, dass ein Kollaps dieser Anlage lichtjahrweit zu spüren wäre und vermutlich mit einem 5-D-Blitz einherginge, der in einem großen Gebiet jegliche Sandström-Technik außer Kraft setzen könnte“, gab Warrington Auskunft.

„Und wie groß wäre das betroffene Gebiet?“, erkundigte sich von Schlichten.

„Die Qriid gehen von zehn Kubiklichtjahren aus. Aber das sind reine Spekulationen.“ Warrington atmete tief durch. „Jeder von Ihnen kann ein Datendossier über seinen persönlichen Rechnerzugang abrufen. Ich möchte Sie dringend ersuchen, dies auch zu tun. Die Geheimhaltung erfolgt übrigens nicht in erster Linie aus einem Interesse unserer eigenen Regierung heraus, sondern weil wir uns auf einem politisch sehr dünnen Eis befinden. Es gibt durchaus Kräfte innerhalb des Qriid-Imperiums, die es gar nicht gerne sehen, dass wir hier eingreifen. Abgesehen davon könnte eine falsche, unbedachte Aktion unsererseits für die Destabilisierung des Regimes von Ron-Nertas sorgen und das Imperium möglicherweise wieder unter die Kontrolle der Tanjaj oder der Priesterschaft bringen – was sehr schnell aus einem außenpolitischen Alliierten wieder einen Feind machen könnte.“

„Können Sie uns nähere Informationen über die derzeitige Situation auf Spider II geben?“, fragte Sergeant Kelleney.

Captain Warrington schüttelte den Kopf. „Nein. Diese Welt wurde nach der Eroberung durch die Qriid vollkommen abgeschirmt. Letztlich wissen wir noch nicht einmal, ob sich möglicherweise noch Wsssarrr irgendwo an abgelegenen Orten verstecken konnten und vielleicht für die Aktivierung dieser technischen Anlagen verantwortlich sind.“ Warrington nickte Commodore Jay Thornton zu. „Der Commodore befand sich nach der Havarie der CAMBRIDGE für einige Zeit in Gefangenschaft der Wsssarrr. Er dürfte also zu den Menschen zählen, die wenigstens etwas über dieses rätselhafte Volk wissen, über dessen Schicksal wir nun schon seit Jahren nichts mehr gehört haben.“

„Immerhin trauen die Qriid uns zu, den Schaden zu beheben“, stellte Lieutenant Simon E. Erixon fest, seines Zeichens leitender Ingenieur an Bord der STERNENKRIEGER, der darüber hinaus eine Zusatzausbildung in Fremdvölkertechnik absolviert hatte. Der Genetic mit den nichtmenschlich wirkenden, ausschließlich zur Infrarotsicht fähigen Facettenaugen wandte den Kopf in Richtung des Captains. „Ich meine, besonders erfolgreich waren irdische Wissenschaftler bis jetzt auch nicht, was die Nutzung von Artefakten der Alten Götter angeht.“

„Ich nehme an, dass es in erster Linie politische Gründe hat, dass sich der Prediger Ron-Nertas an die Humanen Welten gewandt hat“, mischte sich nun Bruder Guillermo in das Gespräch ein. „Die Wissenschaftler-Gilden der Qriid stehen unter starkem Einfluss der Priesterschaft. Der Prediger konnte sie unmöglich um Hilfe bitten, ohne damit die Priesterschaft sogleich über den Tabu-Bruch zu informieren, den ein Eingreifen auf Spider II notgedrungen mit sich brächte. Wenn die Priesterschaft dem Prediger allerdings einen Frevel nachweisen könnte, hätte sie damit den Hebel zu seinem Sturz. Darum auch die extreme Geheimhaltung.“

„Man könnte fast annehmen, dass man Sie zuvor in dieser Sache speziell gebrieft hat“, erklärte Warrington, dem die Verblüffung über Bruder Guillermos präzise Analyse deutlich anzusehen war.

Bruder Guillermo wirkte verlegen.

„Sir, ich beschäftigte mich seit Jahren mit den innerqriidischen Kräfteverhältnissen.“

„Und wie mir die Lektüre Ihrer letzten Forschungsarbeit verraten hat, haben Sie diese in einer Weise erfasst, wie ich es für eine Ungläubigen kaum für möglich gehalten hätte“, fügte Nirat-Son hinzu. Auch wenn sein aus anatomischem Grunde krächzender Tonfall dies nicht so recht zum Ausdruck bringen vermochte, so war dieses Statement zweifellos als Ausdruck der Anerkennung gedacht.

Bruder Guillermo wandte den Blick in Richtung des Qriid.

„Ich würde es bevorzugen, wenn Sie mich nicht als Ungläubigen bezeichnen würden, Nirat-Son. Sie werden vielleicht bemerkt haben, dass ich diese Bezeichnung auch Ihnen gegenüber nie verwendet habe.“

In diesem Augenblick ertönte ein Summgeräusch.

Das Interkom meldete sich.

Captain Warrington betätigte einen Schalter.

„Hier spricht der Captain. Was gibt es?“

Es war die Brücke. „Hier Fähnrich Dunston. Wir bekommen gerade eine Transmission der Qriid herein.“

„Ich bin sofort bei Ihnen, Fähnrich. Senden Sie zunächst eine freundliche Grußbotschaft.“

„Aye, aye, Sir.“

Warrington unterbrach die Verbindung und erhob sich von seinem Platz. „Ich denke, wir haben alles besprochen. Den Rest entnehmen Sie bitte Ihrem Datenmaterial. Bruder Guillermo?“

„Captain?“

„Ich wünsche Ihre Anwesenheit auf der Brücke während der Kontaktaufnahme mit den Qriid.“

„In Ordnung, Sir.“

„Wer weiß, vielleicht ist Ihr sprichwörtliches diplomatisches Fingerspitzengefühl vonnöten.“

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Captain Warrington betrat die Brücke. Bruder Guillermo und Steven Van Doren befanden sich in seinem Gefolge.

Alle anderen Offiziere hatten Order, sich das vorhandene Datenmaterial anzusehen. Die gegenwärtig auf der Brücke Dienst tuende Ersatzmannschaft wurde vorerst nicht ersetzt. Dies sollte erst bei Eintreffen im Orbit von Spider II geschehen.

Lieutenant Mandagor verließ den Sitz des Captains und begab sich stattdessen zur Konsole des Taktikoffiziers.

„Die Qriid warten auf Ihre Kontaktbereitschaft“, erklärte Mandagor. Der 2,30 lange, fragil wirkende Real Martian nahm Haltung an, was bei seiner körperlichen Statur wie eine Parodie auf militärische Formen wirkte.

Paul Mandagor nahm diese Formalien jedoch sehr ernst.

„Schalten Sie den Funkkanal frei, Fähnrich Dunston“, befahl Warrington.

Auf dem Hauptschirm erschienen einige Schriftzeichen des qriidischen Alphabets.

Anschließend war ein Tanjaj in der typischen, Tunika ähnlichen Uniform des Qriid-Militärs zu sehen. Zahlreiche Orden hingen an seiner Brust. Auszeichnungen, die er sich vor allem während der beiden Kriege gegen die Menschheit verdient hatte.

„Hier sprich Captain Warrington vom Sondereinsatzkreuzer STERNENKRIEGER II im Dienst des Space Army Corps der Humanen Welten. Unser Identifizierungscode ist Ihnen zugegangen. Wir sind hier, um Ihnen zu helfen.“

„Seien Sie gegrüßt, Captain Warrington“, erwiderte der Qriid. „Mein Name ist Karam-Kaan. Ich bin der Systemkommandant. Der Datenstrom dieser Nachricht enthält einen umfangreichen Datensatz, der Sie über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis setzen wird. Ich hoffe, dass Ihre Kenntnisse über die Technologie der Sambana sich als nützlich erweisen, um das Problem aus der Welt zu schaffen, das uns im Moment beschäftigt.“

„Von einem Problem zu sprechen scheint mir ziemlich untertrieben zu sein“, erwiderte Captain Warrington.

Das Schaben des Schnabels, dass Karam-Kaan nun hören ließ, wurde vom Translator nicht erfasst.

„Es gibt Aufgaben, die von Individuen mit wenig Skrupeln erledigt werden müssen“, erwiderte Karam-Kaan schließlich. „Jedenfalls bahnt sich eine Katastrophe an, die wir unter allen Umständen vermeiden wollen. Wir bauen dabei natürlich auf die profunden Kenntnisse Ihrer Spezialisten im Hinblick auf die Sambana-Technik.“

„Wir werden sehen, was wir tun können“, erwiderte Captain Warrington zurückhaltend.

„Wir erwarten Sie im Orbit und werden wieder Kontakt mit Ihnen aufnehmen“, versprach Karam-Kaan. „Darüber hinaus möchte ich Sie bitten, ab jetzt absolute Überlicht-Funkstille zu wahren.“

„Sollten nicht irgendwelche außergewöhnlichen Umstände eintreten, werden wir uns daran halten“, versprach Warrington.

Die Verbindung wurde unterbrochen.

„Der Systemkommandant hat uns noch längst nicht alles gesagt, was er weiß“, war Bruder Guillermo überzeugt.

Captain Warrington runzelte die Stirn. „Woher wollen Sie das wissen?“

Bruder Guillermo zuckte einfach nur die Schultern und schwieg zunächst. Sein Blick war nach innen gerichtet und wirkte sehr konzentriert.

Dann wandte er ruckartig den Kopf und sah den Captain an.

„Sir, ich kann es Ihnen nicht näher erklären, aber unser Gesprächspartner wartet zweifellos noch auf einen günstigen Moment, um uns ein paar unangenehme Wahrheiten mitzuteilen.“

„Dann machen wir uns wohl am Besten auf einiges gefasst“, meinte Warrington.

„Ich schlage vor, wir analysieren als erstes das eingegangene Datenmaterial“, riet Van Doren.

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Viele Lichtjahre entfernt, an Bord des Morrhm-Sklavenschiffs LASHGRA...

Rena Sunfrost schlug wild um sich.

Eines der spinnenartigen, zehnbeinigen Wesen, die ihr während des Schlafes über den Körper gekrabbelt waren, erwischte sie. Es flog durch die Luft, klatschte gegen die Wand und rutschte als matschiges Etwas zu Boden.

Rena war sofort hellwach.

Für einige Augenblicke erfüllte sie Panik.

Eine Panik, von der ihr Verstand sagte, dass sie eigentlich unbegründet war. Schließlich war in all der Zeit, die sie nun schon als Sklavin auf dem Morrhm-Mutterschiff LASHGRA verbracht hatte, kein Fall bekannt geworden, dass diese kleinen Pseudospinnen irgendjemandem an Bord ernsthaft geschadet hätten. Zumindest nicht, solange so klein waren. Sunfrost vermutete nämlich, dass es sich um kleine Wsssarrr handelte, die in ihrer ausgewachsenen Form einen unheimlichen Hunger auf die Gehirne ihrer Mitgeschöpfe hatten, einen Körper besaßen, der so groß wie der eines Menschen war und durchaus gefährlich waren.

Zumindest ein Wsssarrr hatte sich an Bord der LASHGRA befunden. Um ein Haar wäre Rena Sunfrost ihm zum rituellen Hirnfraß vorgeworfen worden.

Das einzige, was Rena stutzig machte, war der Umstand, dass die kleinen arachnoiden Quälgeister zehn Beine besaßen, ein ausgewachsener Wsssarrr jedoch deren acht.

Aber da bislang kaum etwas über die Entwicklungsstadien dieser Wesen bekannt war, konnte es ja durchaus sein, dass die Arachnoiden auf dem Weg zu ihrer Adoleszenz zwei Beine verloren.

Vielleicht ein äußeres Zeichen ihrer Reife.

Rena Sunfrost sprang auf. Sie schüttelte die letzten Zehnbeiner von sich. Irgendwo muss sich auf der LASHGRA ein Nest befinden, ging es ihr durch den Kopf. Diese Biester haben sich rasant vermehrt, seit ich an Bord bin...

Die kleinen Zehnbeiner schnellten davon.

Rena erwischte noch einen von ihnen mit dem Fuß.

Aber sie wusste, dass es völlig sinnlos war, sie dezimieren zu wollen.

Im nächsten Moment erstarrte Rena, als sie merkte, dass sie beobachtet wurde. Es war eine Morrhm-Frau, die sie anstierte. Ein dumpfes Knurren kam jetzt aus ihrem mit Hauern bewehrtem Maul. Die Frauen der Morrhm waren deutlich kleiner als ihre Männer – aber trotz allem ein furchterregender Anblick.

Eine kurze Mono-Klinge hing der Morrhm-Frau vom Gürtel herab. Außerdem trug sie eine Fangpeitsche, die sich wie eine Schlinge um den Hals eines Sklaven legen konnte. Notfalls konnten damit auch Elektroschocks verabreicht werden.

Rena war zwar seit einiger Zeit Eigentum des Morrhm-Kriegers und Schiffskommandanten Taur.

Seitdem sie den Besitzer gewechselt hatte, war sie in einem anderen Teil des Schiffes untergebracht. Bran Larson und seinen Beschützer, den von einem Etnord-Symbionten besetzten dreiarmigen Pshagir namens Xygor'an hatte sie seitdem nicht mehr gesehen. Besonders die Gesellschaft von Larson fehlte ihr. Schließlich war er einer der wenigen Menschen an Bord gewesen – auch wenn er genau wie Rena von den Morrhm der humanoiden Gestalt wegen für einen K'aradan gehalten wurde. Allerdings war noch nicht einmal sicher, dass Bran Larson überhaupt noch lebte.

Als Rena ihn zuletzt gesehen hatte, war es ihm bereits sehr schlecht gegangen.

Die auf Morrhm-Schiffen allgegenwärtige Strahlung hatte ihm bereits sehr zugesetzt. Es war nicht auszuschließen, dass er bereits tot war.

Ihren neuen Besitzer hatte Rena in einem der zahllosen Korridore getroffen. Vielleicht war er auf der Suche nach Sklaven gewesen für seinen Privathaushalt gewesen. Sie wusste es nicht und würde es vermutlich auch nie erfahren.

Gleichgültig, ob der Zeitpunkt ihres Zusammentreffens nun Zufall, Schicksal oder Wille der Götter war (wie Taur inzwischen felsenfest glaubte): Genau diesen Augenblick hatte sich ein konkurrierender Morrhm ausgesucht, um Taur anzugreifen. Mit dem Monoschwert in der Hand war er um die Ecke geschnellt. Ein Angriff von hinten, gegen den Taur normalerweise keine Chance gehabt hätte.

Aber unter Morrhm-Kriegern galt so etwas offenbar nicht als unehrenhaft – sondern als listenreich.

Renas instinktive Schreckreaktion hatte Taur gewarnt, ihn die eigene Monoklinge herumfahren und den Angreifer zerteilen lassen. Ein ungezielter Hieb auf gut Glück. „Töte erst und sieh dann, wie es geschehen konnte“, hatte er daraufhin gesagt und dann zuerst die Überreste seines Feindes angesehen – und dann Rena.

Seitdem war er überzeugt davon, dass sie ein Glücksbringer für ihn war.

So gut wie alle Morrhm-Männer sahen es als unter ihrer Würde an, sich selbst mit ihren Sklaven auseinanderzusetzen.

Dazu hatten sie ihre Frauen.

Mit der Zeit hatte Rena gelernt, die Morrhm anhand ihrer Gesichtszüge, der Länge ihrer Hauer und anderen Merkmalen zu unterscheiden. Hilfreich waren dabei insbesondere Narben, die sich männliche Morrhm vor allem im Kampf holten, während sie bei den Morrhm-Frauen wohl eher Folgen von erbitterten Kämpfen um den jeweiligen Rang innerhalb des Harems waren.

Dass es dabei alles andere als zimperlich zuging, hatte Rena während ihrer Zeit in Taurs Haushalt bereits mitbekommen.

Die Morrhm-Frau, die sie mit gefletschten Hauern anstierte, glaubte Rena zu erkennen.

Das war Bragga.

Sie hatte unter den Frauen Taurs eine herausgehobene Stellung, da sie die Tochter von Atraan war, dem Stammesoberhaut der Zuur-Morrhm.

In wie fern menschliche Begriffe wie Liebe und Zuneigung auf die Sozialordnung der Morrhm überhaupt anwendbar waren, blieb Rena nach wie vor ein Rätsel, aber sie hielt es durchaus für denkbar, dass Taur die Verbindung mit Bragga eher aus politischen Gründen geschlossen hatte.

Für den Kommandanten der LASHGRA war es schließlich wichtig, einen guten Draht zum Stammesoberhaupt zu haben.

Dass Bragga ihrer herausgehobenen Stellung wegen unter Taurs anderen Frauen nicht sonderlich beliebt war, hatte Rena schon mitbekommen. Um das zu begreifen musste man auch keineswegs das Einfühlungsvermögen eines Olvanorers besitzen. Es reichte schon, wenn man mitbekam, wie sich die Morrhm-Frauen untereinander anknurrten, wenn sie glaubten, dass Taur das nicht mitbekam.

Besonders wurmte es dabei die anderen Frauen wohl, dass Bragga schlicht und ergreifend auf Grund ihrer Herkunft unantastbar war. Sie konnte sich selbst gegenüber Taur Dinge herausnehmen, die sich keine der anderen Haremsmitglieder jemals getraut hätte.

Und Taur ließ es erstaunlicherweise gewähren.

Er schien zu wissen weshalb.

Rena setzte vorsichtig einen Fuß nach vorn, um einen etwas stabileren Stand zu haben. Sie ahnte nicht, was der Grund für die Aufmerksamkeit war, die Bragga ihr im Moment zuteil werden ließ. Gibt es vielleicht irgend etwas daran auszusetzen, wie ich meine Aufgaben im Haushalt erfüllt habe?, überlegte Rena.

„Die zehnbeinigen Unglückstiere haben um dich getanzt“, sagte sie. Der Translator, den Rena sich erobert und bisher mit allen Mitteln verteidigt hatte, wählte diese Übersetzung für das Konglomerat aus rollenden, sonoren Lauten, die aus dem auf Grund der enormen Hauergröße nie wirklich geschlossenen Maul der Morrhm-Frau drangen.

„Ich verstehe nicht, was du meinst“, sagte Rena.

Aus Erfahrung wusste sie, dass es besser war, sich rechtzeitig zu erkundigen, wenn Unklarheiten auftraten. Andernfalls konnte es sein, dass die Morrhm-Frauen aus Taurs Haushalt Renas Unverständnis sofort als Arbeitsverweigerung interpretierten.

Die zumeist recht grobe und für den Sklaven schmerzhafte Reaktion ließ dann zumeist nicht lange auf sich warten.

Bragga stieß einen Schrei aus, der Rena sofort zusammenzucken ließ.

„Du Unglücksbotin!“, rief sie. „Du Freundin der zehnbeinigen Teufel! Du Krabbler-Hexe wirst unsere ganze Sippe in den Untergang stürzen und uns nur Unglück bringen.“

„Was habe ich getan?“, fragte Rena.

Bragga griff zur Fangpeitsche.

Ehe Rena sich versah, hatte sie sich der Fangarm eines Kraken um ihren Hals gelegt. Rena konnte kaum atmen. Mit einem Ruck zog Bragga die ehemalige Kommandantin der STERNENKRIEGER II zu sich heran. Rena stolperte, konnte sich kaum auf den Beinen halten, zumal im nächsten Moment eine elektrische Ladung vom Hals aus ihren Körper durchraste.

Bragga drückte auf einen Knopf, der am Schaft der Fangpeitsche zu finden war und genau in Höhe ihres wurstartig geformten, knochigen Daumens zu finden war. Die Peitschenschnur verkürzte sich dadurch. Rena wurde nach vorn gerissen. Bis auf wenige Zentimeter zog Bragga sie zu sich heran und fletschte dabei ihre imposanten Hauer, die jedes irdische Wildschwein vor Neid hätten erblassen lassen.

„Ich habe es genau gesehen“, sagte sie. „Die Krabbler-Teufel haben um dich herum getanzt. Du musst sie verhext oder sie sonst wie unter deinen Einfluss gebracht haben!“

„Nein, das ist nicht wahr!“, stieß Rena hervor.

Dass die zehnbeinigen Krabbler auch den Morrhm gehörig auf die Nerven gingen, ohne, dass irgendjemand unter ihnen eine wirksame Maßnahme zu ihrer Bekämpfung gekannt hätte, war Rena auch schon aufgefallen. 

Die unflätigen Flüche, die insbesondere die Krieger der Morrhm ständig auszustoßen pflegten, hatte Rena nie besonders ernst genommen.

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Bragga zog Rena ziemlich grob mit sich und stieß dabei durchdringende Rufe aus, die sofort die Aufmerksamkeit der anderen Morrhm-Frauen aus Taurs Haushalt erregten.

Außerdem drückte Bragga auf einen Knopf an einem der technischen Geräte, die sich an ihrem breiten Gürtel befanden. Rena nahm an, dass es sich um einen Kommunikator handelte. Irgendein umgebautes Beutestück vermutlich, denn die Morrhm stellten nur wenige Dinge in eigener Produktion her.

Bragga brachte Rena in einen großen Raum, der ansonsten nur von Morrhm betreten wurde.

Rena wurde grob zu Boden gestoßen. Die Peitschenschlinge schloss sich noch immer um ihren Hals.

„Ich kann kaum noch atmen!“, ächzte sie.

„Jedes Sauerstoffmolekühl für dich ist ohnehin reine Verschwendung!“, knurrte Bragga.

Rena versuchte die Schlinge etwas zu weiten, aber das war unmöglich.

Immer wieder betätigte Bragga unterdessen den Signalgeber ihres Kommunikators.

Nach und nach kamen Taurs andere Frauen herbei. Sie musterten Rena, fletschten dabei ihre Hauer und stießen grollende Laute aus, von denen die meisten von Renas Translator jedoch keinerlei verbale Bedeutung zugewiesen bekamen.

„Was sollen wir hier?“

„Warum hast du uns gerufen, Bragga?“

„Holt Taur her!“, rief Bragga.

Die anderen Morrhm-Frauen machten sich über Braggas Ansinnen lustig. „So hochwohlgeboren bist du nun auch nicht, dass du über deinem angetrauten Krieger und Ehemann stehen würdest und dir anmaßen könntest, ihm herumzukommandieren!“, rief eine von ihnen.

„Vergiss niemals, wer mein Vater ist!“, zischte Bragga zwischen den Hauern hindurch. Dabei fuhr ihre lange Zunge ein Stück aus dem lippenlosen Mund heraus, wodurch ein glucksender Laut erzeugt wurde. Eine Geste der Verachtung, wie Rena inzwischen herausgefunden hatte. Allerdings war ihr der genaue soziale Kontext dieser Geste noch nicht ganz klar. Es stand aber fest, dass sie eindeutig unfreundlich gemeint war.

„Der große Atraan!“, höhnte die angesprochene Morrhm-Frau. Rena hatte einmal beiläufig mitbekommen, dass sie Paddra hieß. Inzwischen war sie sich allerdings nicht ganz sicher, ob dies vielleicht einfach nur eine verächtliche Anspielung auf eine Narbe war, die sich quer über ihr Gesicht zog. Zumindest übersetzte Renas Translator diesen Namen hin und wieder so, während er offenbar in anderen grammatischen Zusammenhängen unübersetzbar blieb. „Er ist letztlich auch nur ein Krieger und es wird sich zeigen, wie lange er sich noch in seiner Position halten kann. Man sagt, seine besten Jahre seien vorbei, Bragga...“ Glucksende Laute, die Rena an ein verzerrtes Kichern erinnerten, kamen jetzt aus Paddras Maul. „Aber das bedeutet dann ja wohl, dass auch deine besten Jahre vorbei sein werden... Denn besonders fruchtbar bist du ja bis jetzt nicht gewesen und ansonsten gibt es ja wohl auch kaum etwas, was dich zu einem wertvollen Bestandteil von Taurs Haushalt machen würde.“

Ein zustimmendes Geraune entstand. Offenbar war Paddra unter Taurs Frauen nicht die einzige, die so empfand.

Eine Tür öffnete sich und die mächtige Gestalt eines Kriegers erschien. Er überragte die Frauen mindestens um anderthalb Haupteslängen. Seine Arme waren muskulöser als die schon sehr Muskel bepackten Oberschenkel seiner Frauen.

Taur stand einen Moment lang da, eine Pranke am Griff des mächtigen Monoschwertes, dass an seiner Seite hing, die andere zu einer Faust geballt, die einer monströsen Keule glich.

Unmittelbar nach seinem Auftritt herrschte Schweigen unter seinen Frauen.

„Du hast uns offenbar alle zusammen gerufen, Bragga, du kräftige Tochter des Atraan!“

Letzteres war eigentlich eine Formel der Respektsbezeugung.

In diesem Zusammenhang wurde für Rena allerdings nicht deutlich, in wie fern Taur sie vielleicht mit Ironie vorbrachte. Allerdings hatte sie das deutliche Gefühl, dass sich die Situation nur zu ihren Ungunsten entwickeln konnte. Ich bin hier wohl so etwas wie Spielball in einem Match, dessen Regeln ich nicht einmal ansatzweise begriffen habe, erkannte sie. Aber so sehr sie sich auch das Hirn darüber zermarterte, sie hatte im Augenblick keinerlei Chance, das Geschehen zu beeinflussen.

„Du hast eine Unglücksbotin in deinem Haushalt!“, brachte Bragga nun vor. Sie stieß Rena nach vorn, so dass sie stolperte. Gleichzeitig betätigte sie einen Knopf an ihrer Fangpeitsche, sodass sich die Schlinge löste. Rena prallte hart auf den Boden, konnte sich gerade noch mit den Händen abfangen und rang nach Luft. Immerhin hatte sie jetzt nicht mehr die viel zu enge Schlinge um den Hals.

Aber dass sich ihre Situation im Ganzen keineswegs verbessert hatte, wurde ihr nach Braggas letzten Worten klar. Darauf will sie also hinaus! Warum? Dass sie auf ihre Mitfrauen eifersüchtig ist, leuchtet mir ein – aber auf mich, eine Sklavin, die Taur zwar das Leben rettete, aber für trotz allem kaum mehr Stellenwert besitzt als ein Haushund, der es geschafft hat, einen Einbrecher zu verjagen?

Rena erschien diese Möglichkeit absurd.

Vielleicht will sie den anderen Frauen einfach nur demonstrieren, wie groß der Einfluss ist, den sie auf Taur ausübt, ging es ihr ein paar Augenblicke später durch den Kopf. So groß nämlich, dass sie ihn dazu bewegen kann, sich selbst von einem lieb gewonnenen Spielzeug wie mir zu verabschieden.

Rena erkannte plötzlich, was dieser Gedanke implizierte.

Sie war in Lebensgefahr, denn Rena hatte schon des Öfteren erlebt, das Taur der Tochter des Atraan offenbar kaum etwas abschlagen konnte und bei Auseinandersetzungen zwischen den Frauen stets ihre Partei ergriff.

„Die kleinen zehnbeinigen Spinnenteufel haben um diese Sklavin getanzt! Offenbar hatte sie Macht über diese Plagegeister!“

„Ein Zeichen des Unglücks“, stieß eine der anderen Frauen hervor.

Taur beugte sich zu Rena nieder und betrachtete sie, wobei sich sein gewaltiges, raubtierhaftes Maul öffnete. Ein Hauch innerer Fäulnis schlug Rena aus dem Magen des Morrhm-Kriegers entgegen. Stoßweise kamen ein paar Laute aus seinem Rachen, die wohl die Morrhm-Entsprechung eines höhnischen Gelächters waren. „Ihr alle wisst, dass ich nicht besonders abergläubisch bin“, erklärte er. „Haltet ihr mich für ein Junges, das man mit Schauergeschichten über düstere Zeichen verschrecken könnte!“

„Beim allwissenden Ruuned! Was redest du da für ein frevelhaftes Zeug! Willst du die Macht der Götter wirklich gegen dich haben, Taur? Willst du dich im Krieg tatsächlich nicht mehr auf die Kraft von Kwaais Feuer verlassen? Dein Wunsch wird schneller in Erfüllung gehen als du glaubst, wenn du diesen Schandfleck auf dem weißen Tuch deines Schicksals duldest!“ Bragga trat auf Taur zu. Rena rollte sich um die eigene Achse, um nicht einen Tritt ihrer mächtigen Füße abzubekommen, was die Tochter Atraans offenbar durchaus beabsichtigt hatte.

Furchtlos schaute Bragga zu ihrem Herrn und Gebieter auf.

Er mochte ihr Herr sein, aber sie sah sich selbst als diejenige, die den Herrn beherrschte und damit die heimliche Macht innerhalb Taur Clan darstellte.

„Du weißt, was du zu tun hast.“

„So?“, fragte Taur mit gelassenem Spott zurück.

„Die Götter verlangen es von dir!“

„Die Götter sprechen zu alten Weibern und furchtsamen Jungen. Aber niemand sonst hört sie.“

„Und doch vergewissern sich die Krieger vor jeder neuen Unternehmung ihres Wohlwollens!“

„Über mangelndes Wohlwollen der Götter kann ich mich wohl kaum beklagen, wenn du dir ansiehst, was ich erreicht habe!“

„Dann sieh zu, dass es so bleibt, Taur!“

Der Kommandant der LASHGRA machte eine wegwerfende Geste und trommelte sich dann auf den gewaltigen Brustkorb. „Keiner, der versucht hat, im Kampf gegen mich anzutreten, hat diesen Versuch überlebt! Ich bin der unangefochtene Kommandant und vielleicht werde ich sogar eines Tages Nachfolger deines Vaters Atraan als Anführer der Zuur-Morrhm. Mein Atem allein reicht schon aus, um meinen potentiellen Konkurrenten jeden Gedanken daran aufgeben zu lassen, es mit mir aufnehmen zu wollen. Die Götter können mir gleichgültig sein, solange ich auf meine eigene Kraft vertrauen kann!“

„Du brauchst nicht nur Kraft, um dich zu behaupten“, widersprach Bragga.

Taur lachte dröhnend.

„Ausgerechnet du willst mich belehren, wo deine größte Heldentat darin bestand, Sklaven zu quälen, die sich nicht wehren konnten!“

„Hüte dein Maul oder ich werde meinem Vater berichten, wie du über mich redest – damit er dir die Hauer einzeln aus dem Schlund reißt, um sie dir anschließend in die Ohren zu rammen!“

Taur starrte sie an.

Er zögerte einen Augenblick. Offenbar hatten die Worte Braggas Eindruck auf ihn gemacht. Dann packte er sie mit einer plötzlichen Bewegung und schleuderte sie gegen die Wand.

Sie rutschte zu Boden und atmete schwer.

Körperlich war Taur ihr haushoch überlegen. Es war vollkommen sinnlos für sie, ihm irgendeinen Widerstand entgegenzusetzen, zumal sich Taurs Verhalten noch im Rahmen der unter Morrhm üblichen Umgangsformen bewegte. Taur hatte sogar das Recht, jedes Mitglied seines Clans zu töten, falls ihm danach war.

In Braggas Fall musste über so einen Schritt natürlich auf Grund der damit verbundenen politischen Verwicklungen gründlich nachgedacht werden.

Bragga rappelte sich wieder auf.

Taur wandte sich unterdessen Rena zu. „Die Sklavin hat mir das Leben gerettet – wie kann sie ein Unglückszeichen sein?“

„Weil die zehnbeinigen Teufeltiere sie umkreisten!“, wiederholte Bragga. „Ich habe es gesehen  und du weißt sehr wohl, dass zumindest ein Teil der Krieger dir nicht mehr folgen würde, sobald das bekannt wird.“

Taur blickte sich um, musterte eine seiner Frauen nach der anderen. Es war unmöglich dieses Ereignis geheim zu halten. Also würde es sich wie ein Lauffeuer verbreiten, dass Troom, der Gott der Kälte und des Todes, der auch als Herr der lästigen Krabbler galt – ein Zeichen bei ihm hinterlassen hatte.

„Vielleicht hast du ja sogar recht, Bragga!“, sagte Taur schließlich. „Jedenfalls darf ich es nicht so weit kommen lassen, dass man mich für jemanden hält, den Troom verflucht hat.“

„Ich dachte, dir könnte nichts geschehen, schließlich glaubst du doch angeblich nicht an die Götter!“, höhnte Bragga. „Aber mit dir ist es wohl wie mit allen anderen Kriegern. Du willst dich doppelt absichern und schon allein die Tatsache, dass du die Existenz der Götter nicht widerlegen kannst, reicht schon aus, um dich zu ein paar frommen Gebeten zu bewegen!“

„Fromme Gebete werden in diesem Fall wohl nicht ausreichen“, meldete sich Paddra zu Wort.

„Der Meinung bin ich allerdings auch!“, fand Bragga. „Aber ein Opferritual würde – denke ich – wohl wieder zu einem allgemeinen spirituellen Gleichgewicht führen.“

Taur machte eine ausholende Geste und deutete schließlich auf Rena. „Sperrt sie ein. Wir führen ein Opferritual durch. Dann ist der Haushalt von Taur, dem Kommandanten der LASHGRA, nicht mehr vom Makel des Unglücks besudelt.“

„Mit der Opferung müssen wir warten, bis die dafür notwendigen Konstellationen eintreten“, gab Paddra zu bedenken. „Das kann ein paar Wachperioden dauern.“

„Ich schlage ein Notopfer vor“, erwiderte Bragga. „Angesichts einer akuten Bedrohung durch die Mächte des Unglücks ist das erlaubt. Ruuned sei mein Zeuge!“

„Nein“, entschied Taur. „Dann werden wir es richtig machen. Das Opfer muss drei Schlaf- und drei Wachperioden lang gefastet haben und wir werden auf den Bordrechner so programmieren, dass er die eingehenden Daten der Fernortung nach bestimmten Sternkonstellationen durchsucht.“ Er verzog sein Maul. Speichel lief ihm an den Hauern entlang und tropfte zu Boden. Er wandte sich Bragga zu. „Oder willst du riskieren, dass wir eine frevelhafte Opferung durchführen, die den Göttern nicht gefällt?“

„Es sei so, wie du gesagt hast!“, murmelte sie kleinlaut, nachdem ihr wohl klar geworden war, dass sie im Moment nicht mehr erreichen konnte.

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Rena wurde in einen leeren Container gesperrt. Es gab kein Licht und man schien es auch nicht für nötig zu erachten, sich zum sie kümmern. Weder Wasser noch irgendetwas zu essen bekam sie.

Die Stunden krochen dahin und sie fühlte sich elend.

Ihre körperliche Verfassung hatte ohnehin während ihrer Zeit auf der LASHGRA stark nachgelassen.

Dafür müsste nicht zuletzt die Strahlung verantwortlich sein, die an Bord des Schiffes herrschte.

Die Morrhm selbst schienen in dieser Hinsicht äußerst resistent zu sein, sodass sie kaum Sicherheitsvorkehrungen auf diesem Gebiet kannten.

Und das Schicksal ihrer Sklaven war ihnen letztendlich gleichgültig.

Rena kauerte sich zusammen und versuchte Hunger und Durst so gut es ging zu ignorieren, was allerdings nur sehr schwer möglich war.

Die Zeit kroch dahin.

Die Aussicht darauf, in irgendeinem bizarren Ritual der Morrhm geopfert zu werden, schreckte sie überraschenderweise kaum. Zu viel hatte sie inzwischen bereits durchmachen müssen. Zu verzweifelt war ihr Kampf um das blanke Überleben seit jenem Augenblick gewesen, als die Morrhm sie gefangen genommen und an Bord der LASHGRA verschleppt hatten.

Sie fühlte mit der Zeit Agonie in sich aufsteigen und langsam aber sicher die Herrschaft über ihren Willen zu verlieren.

Der Gedanke stieg in ihr auf, dass ein Ende mit Schrecken vielleicht besser war, als ein Schrecken ohne Ende.

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Das zur Landung auf Spider II vorgesehene Außenteam hatte Order erhalten sich im Hangar der L-1 einzufinden.

Steven Van Doren hatte einen leichten Kampfananzug, einen Nadler sowie umfangreiches technisches Equipment zur Ortung und Untersuchung von extraterrestrischer Technik angelegt. Außerdem ein Überlebensset, wie es bei Bodenmissionen in einem mit unklaren Rahmenbedingungen mitgeführt werden musste.

Und die Rahmenbedingungen waren mehr als unklar.

In dem Datensatz, der von Systemkommandant Karam-Kaan übersandt worden war, konnte man unter anderem nachlesen, dass der Kontakt zu den Qriidischen Bodenkräften völlig abgebrochen war. ‚Wächter der Höllentiere’, so hatte man die Einheit von besonders gut ausgebildeten und mit einem starken Glauben ausgestatteten Tanjaj genannt, deren Aufgabe es war, die alten Artefakte zu bewachen.

Eine Suchexpedition der Tanjaj war ebenfalls verschollen.

Ob es vielleicht weitere – gescheiterte Versuche gegeben hatte, herauszufinden, was sich auf der Oberfläche von Spider II tatsächlich abgespielt hatte, darüber konnte nur spekuliert werden. Van Doren traute es den Qriid durchaus zu, dass sie in dieser Frage nicht mit offenen Karten spielten – erstens, um nicht die ganze Kläglichkeit ihrer bisherigen Bemühungen offenbaren zu müssen und zweitens, weil sie vielleicht fürchteten, dass ihre Alliierten aus den Humanen Welten unter diesen Umständen nicht bereit waren, das Risiko einer weiteren Bodenmission auf sich zunehmen.

Jedenfalls hatte die Ortung die Signaturen mehrerer Qriidischer Beiboote auf der Oberfläche registriert und rechtzeitig festgestellt, dass diese Beiboote offensichtlich nicht mehr an Bord der im Orbit befindlichen Tanjaj-Kampfschiffe waren. Zumindest entsprach die Zahl der dort vorhandenen Shuttles nicht der sonst üblichen Norm.

Van Dorens Kommunikator summte.

„Hier Van Doren.“ 

„Hier spricht der Captain. Die Ortung meldet gerade äußerst starke 5-D-Resonanzen aus dem Zielgebiet.“

„Liefern uns die Qriid dafür irgendeine Erklärung?“, fragte Van Doren.

„Nein“, sagte Warrington. „Aber sie melden vorübergehende Störungen im Sandström-Funkband. Ich wollte nur, dass Sie darüber informiert sind, I.O. Alle Daten sind auf den Bordrechner L-1 überspielt worden und auch von dort abrufbar.“

„Danke, Sir.“

„Warrington, Ende.“

Commodore Jay Thornton bog um die Ecke des Korridors. Er blieb stehen. „Commander Van Doren, ich möchte Sie vor Beginn der Mission kurz sprechen.“

„Nichts dagegen, Sir.“

„Mir ist bewusst, dass ich der ranghöchste Offizier dieses Außenkommandos bin und daher nominell auch die Kommandogewalt hätte.“

„Das ist korrekt.“

„Tatsache ist aber, dass Sie über die größere speziellere Erfahrung verfügen. Und zwar sowohl, was die Artefakte der Alten Götter angeht, als auch generell was die Durchführung von Außenmissionen angeht. Mein letztes Kommando war die CAMBRIDGE. Das ist achtzehn Jahre her.“

„Sie waren der einzige Überlebende der CAMBRIDGE, soweit ich gehört habe.“

„Das ist richtig. Jedenfalls habe ich seitdem überwiegend Stabsdienst geleistet. Und was die Alten Götter angeht, so habe ich darüber wenig Ahnung. Ich würde also vorschlagen, dass Sie die operative Leitung übernehmen.“ Jay Thornton lächelte wohlwollend. „Falls mir etwas nicht passt, kann ich ja notfalls eingreifen, Commander.“

„Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Sir.“

„Oh, das ist kein besonders Wagnis, Commander. Sie sind prädestiniert dazu, diese Mission zu leiten. Schließlich waren Sie schon bei Triple Sun dabei und sind während verschiedener Missionen sowohl mit der STERNENKRIEGER I als auch mit dem zweiten Schiff dieses Namens immer wieder auf Hinterlassenschaften der Alten Götter gestoßen.“

„In Ordnung, Sir. Ich habe gegen Ihren Vorschlag nichts einzuwenden.“

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Wenig später trafen Thornton und Van Doren im Hangar der L-1 ein. Lieutenant Simon E. Erixon, der Leitende Ingenieur der STERNENKRIEGER nahm an der Operation ebenso teil wie Bruder Guillermo und Lieutenant Commander Robert Ukasi. Als Taktikoffizier war letzterer für die Zeit des Aufenthalts im Orbit von Spider II durch Lieutenant Mandagor zu ersetzen. Seine Teilnahme gründete auf seinen außergewöhnlichen mathematischen Fähigkeiten, die ihm nicht nur bei der Berechnung von Zielen sehr zu Pass gekommen waren, sondern auch wichtig sein konnten, um in extraterrestrische Rechnersysteme eindringen zu können. Insbesondere Professor von Schlichten hatte auf Ukasis Anwesenheit besonderen Wert gelegt.

Dr. Miles Rollins hatte sich ebenfalls eingefunden. Er war sicherlich einer der ganz wenigen Experten, die sich mit der Biologie der Wsssarrr befasst hatten, was möglicherweise von entscheidender Bedeutung sein konnte, wenn es darum ging aufzuklären, was sich auf Spider II ereignet hatte.

Als letzter traf Verbindungsoffizier Nirat-Son ein. Er trug einen schweren Hand-Traser, baute sich vor Thornton und Van Doren auf und nahm das an, was unter den Tanjaj des Heiligen Imperiums als Haltung galt.

„Ich möchte mich für die Verspätung entschuldigen“, sagte er.

„Schon gut, es ist zu keiner nennenswerten Verzögerung gekommen“, erwiderte Thornton.

„Ich hatte Kontakt mit dem Systemkommandanten und ein längeres Gespräch mit ihm. Die Lage auf Spider II scheint noch verworrener und explosiver zu sein, als man das bisher Ihnen gegenüber zugegeben hat.“

„Dann gibt es noch wesentliche Faktoren, die wir nicht kennen?“, fragte Van Doren.

„Die Tanjaj haben da unten keinerlei Kontrolle mehr. Offenbar konnte der Systemkommandant es nicht mit seiner Ehre vereinbaren, dies direkt gegenüber Captain Warrington einzuräumen. Davon abgesehen wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass es offenbar erhebliche Spannungen zwischen Tanjaj und Priesterschaft gibt. Wir müssen damit rechnen, dass Raumschiffe der Priesterschaft hier auftauchen, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen.“

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Abgesehen vom Piloten Yakuf Bogdan bestand des Außenteams aus einem Trupp Marines in schweren Kampfanzügen, die unter dem Kommando Sergeant Ray Kelleney standen.

Das Außenteam betrat die Landefähre.

Bogdan hatte zuvor bereits die Systeme gecheckt. Das Außenschot des Hangars öffnete sich und die L-1 flog hinaus ins All.

Die große schimmernde Kugel von Spider II war unübersehbar. Aber auch die Orbitalforts und Kriegsschiffe der Qriid. Auch kleinere Verteidigungseinheiten patrouillierten im Orbitalbereich und nahmen Kontrollaufgaben war.

„Die scheinen wirklich gewaltige Manschetten davor zu haben, dass jemand die Oberfläche des Planeten betritt.“

Bruder Guillermo bediente die Ortung. Auf einem Nebenbildschirm erschien eine schematische Übersicht des Planeten. „Nach den Daten, die wir von den Qriid erhalten haben, gibt es an vier Punkten auf der Planetenoberfläche Anlagen, die als Hinterlassenschaften der Sambana interpretiert werden“, erklärte der Olvanorer. „Ich habe sie der Reihe nach gegen den Uhrzeigersinn mit Buchstaben bezeichnet. Die besonders energiereichen Impulse kommen aus der Nähe von Anlage C.“

„Sie gehen nicht von der Anlage selbst aus?“, hakte Erixon nach. Der Genetic mit den ausschließlich zur Infrarotsicht fähigen Facettenaugen war gerade damit beschäftigt, das spezielle Modul mit dem Bordrechner zu verbinden, dass die Helligkeitsunterschiede herkömmlicher Bildschirme für ihn in Temperaturdifferenzen übersetzte, sodass er sie sehen konnte.

„Nein, die besonders starken Impulse gehen von einem Punkt aus, der sich fünf Kilometer westlich von Anlage C in einer Tiefe von etwa 1000 Metern unter der planetaren Oberfläche befindet. Sämtliche anderen Anlagen des Planeten senden zurzeit ebenfalls 5-Impulse und scheinen untereinander in Kontakt zu stehen.“

„Die Befürchtung, dass es zur Entstehung eines Black Hole kommen könnte, besteht allerdings nur bei dieser fünften Anlage, die offenbar alle anderen an Energie weit übertrifft“, mischte sich Nirat-Son in das Gespräch ein. Der Austauschoffizier des Heiligen Imperiums hatte sich die Ortungsdaten auf seine eigene Konsole geholt.

„Warum nennen wir diese fünfte Anlage nicht der Einfachheit halber D?“, fragte Jay Thornton.

„Ich glaube nicht, dass es sich um ein eigenständiges Artefakt handelt“, erklärte Bruder Guillermo.

Thornton sah ihn erstaunt an „Und wie ist es dann Ihrer Meinung nach?“ 

Bruder Guillermo hob die Augenbrauen. „Der sichtbare Teil von der Anlage ist nur ein kleiner Teil des eigentlichen Artefakts. Ich messe hier Bodenresonanzen an, die mich stark an die Zone unterhalb des Konsensdoms auf Nabman erinnern. Da gab es eine Zone, die wir nicht orten konnten.“

„Wir bekommen einen Funkspruch herein“, meldete Bogdan. „Die Qriid bieten uns an, einen Verbindungsoffizier an Bord zu nehmen.“

„Das fällt denen verdammt früh ein“, knurrte Van Doren. „Wie stellen sich das vor?“

„Wir sollen an ihrem Kampfschiff ZORN DES GLAUBENS VII andocken.“

Bruder Guillermo aktivierte die Ortung und ließ sich die gegenwärtige Position der ZORN DES GLAUBENS VII auf einer schematischen Darstellung anzeigen. „Es wäre möglich, einen Landekurs zu fliegen, der ein Rendezvous mit der ZORN DES GLAUBENS VII mit minimaler Zeitverzögerung möglich macht!“

Bogdans rechte Hand glitt über den Touch Screen seiner Konsole.

„Die Verzögerung bis zur Landung würde in diesem Fall nur gute anderthalb Stunden betragen.“

„Davon abgesehen, wäre es sehr unklug, irgendetwas gegen den erklärten Willen der Qriid zu unternehmen“, gab Bruder Guillermo noch zu bedenken. „Wir brauchen nämlich nicht nur ihr Wohlwollen, sondern vielleicht auch ihre Hilfe.“

„Sie scheinen bereits sehr konkretere Vorstellungen von dieser Art Ernstfall zu haben, Bruder Guillermo“, stellte Jay Thornton erstaunt fest. 

Der Olvanorer wandte den Kopf in Richtung des ehemaligen Kommandanten der CAMBRIDGE. „Jedenfalls müssen wir alles unterlassen, was die Stabilität des Prediger-Regimes untergräbt. Und im Augenblick sind die Tanjaj offenbar unsere besten Verbündeten dabei.“

Thornton lächelte mild. „Es überrascht mich, dass jemand wie Sie so strategisch zu denken vermag. Man könnte fast denken, Sie hätten die Ganymed-Akademie besucht.“

Bruder Guillermo hob die Schultern. „Was heißt jemand wie ich?“

„Ein Olvanorer. Ein Pazifist. Jemand, der den Krieg vollkommen ablehnt.“

„Sie glauben also, dass strategisches Denken ein Privileg des Militärs ist?“, antwortete Bruder Guillermo mit einer Gegenfrage.

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Eine halbe Stunde später erfolgte das Andockmanöver an die ZORN DES GLAUBENS VII.

Ein Qriid namens Dablon-Kar betrat das Innere des Shuttle über die Außenschleuse. Er stellte sich vor und benutzte dazu – anders als Nirat-Son – einen Translator. Sein Rang entsprach dem eines Tanjaj-Nom, was mit einem unteren Offiziersrang im Space Army Corps vergleichbar war. Außerdem erklärte er, bis vor wenigen Wochen zu einem Verband der sogenannten Wächtern der Höllentiere gehört zu haben, deren Aufgabe es war, die Sambana-Artefakte zu bewachen.

Da die Fähre bis zum letzten Platz besetzt war, musste einer der Marines seinen Platz für Dablon-Kar freimachen. Eine Überbelegung von einer Person war für das 15-Mann-Shutttle allerdings kein Problem. Wenn im Notfall das Mutterschiff evakuiert werden musste, konnte es sein, dass es mit mehr als doppelt so vielen Crewmitgliedern bemannt wurde.

„Es tut mir leid, dass meine Teilnahme an dieser Landemission erst so spät beschlossen wurde“, erklärte Dablon-Kar.

„Ich nehme an, dass dem ein ausführlicher Diskussionsprozess vorangegangen ist“, meinte Jay Thornton. Der spöttische Unterton des Commodores schien vom Translator des Qriid nicht übertragen zu werden. Zumindest reagierte der Verbindungsoffizier von der ZORN DES GLAUBENS VII nicht weiter darauf, sondern sagte stattdessen: „Die Lage auf der Welt, die Sie Spider II nennen, ist vollkommen außer Kontrolle geraten. Die Wsssarrr hatten den Planeten ja zum Zentrum ihrer neuen Heimat erkoren. Dabei drängten sie eine wurmähnliche, halbintelligente Spezies – die Bruoor - weit in die Peripherie zurück und rotteten sie fast aus. Inzwischen haben die Bruoor weite Teile des Planeten zurückerobert. Um sie wirksam zu bekämpfen sind sie einfach zu viele.“  Dablon-Kar vollführte eine wegwerfende Bewegung mit der Krallenhand. „Aber das ist nur eine von vielen Schwierigkeiten, die sich dort unten für unsere Wächter der Höllentiere ergeben.“

„Der Kontakt zu ihren Truppen soll abgebrochen sein“, hakte Van Doren nach.

„Ja, das ist richtig. Aber von Truppen zu sprechen ist übertrieben. Es gibt immer nur kleinere Verbände zur Bewachung der Sambana-Anlagen.“

„Ist Ihnen bekannt, ob die Tanjaj möglicherweise doch das Erbe der Sambana zu nutzen versucht haben?“, fragte Van Doren. Er war sich sehr wohl bewusst, dass diese Frage das Klima zwischen Dablon-Kar und ihm auf Dauer vergiften konnte. Aber andererseits fand der Erste Offizier der STERNENKRIEGER, dass für irgendwelche Mätzchen einfach nicht genug Zeit blieb. Eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes stand bevor und da hieß es schlicht und ergreifend handeln.

„Diese Welt steht unter imperialem Tabu“, antwortete Dablon-Kar.

„Meine Frage zielte darauf ab, ob die Tanjaj dieses Tabu vielleicht verletzt haben, um die Errungenschaften der Sambana-Technik für sich zu nutzen.“

„Nein, das wäre Frevel. Das Tabu geht auf ein Dekret des Predigers zurück, der den amtierenden Aarriid in den Regierungsgeschäften vertritt.“

„Soll das heißen, es gibt keinen Tanjaj-Offizier, der nicht insgeheim die Rechtmäßigkeit des Predigerregimes ablehnte?“, ließ Van Doren einfach nicht locker.

„Es geht nicht um die Rechtmäßigkeit, sondern um die Gottgefälligkeit der Regierung“, mischte sich Nirat-Son jetzt ein und sprang damit dem Verbindungsoffizier verbal zur Seite. „Und was die Freiheit der Gedanken angeht, so ist sie doch in Ihrer Kultur ein hochgehaltenes Prinzip. Warum also gestehen Sie diese dann nicht auch Tanjaj-Offizieren zu, die mit einer Einzelentscheidung ihrer Regierung innerlich nicht übereinstimmen. Und wenn Sie mir diese persönliche Bemerkung gestatten, Commander Van Doren: Wie ich weiß, bestand auch bei Ihnen nicht immer vollkommene innere Übereinstimmung mit den Befehlen, die man Ihnen gab.“

Van Dorens Gesicht verdüsterte sich.

Er hatte nichts dagegen, dass man ihn auf seine Degradierung um zwei Ränge ansprach, da sie erfolgt war, weil er die Humanität über die Befehlshoheit des Oberkommandos gestellt und während des zweiten Qriid-Krieges einige Havaristen des Gegners zu retten versucht hatte. Dazu stand er. Und er hatte schließlich auch die Konsequenzen getragen.

Aber es ärgerte ihn, dass Nirat-Son dem Verbindungsoffizier gestattete, der Antwort auf die in Van Dorens Augen entscheidende Frage zu umgehen.

Und diese Frage war, ob die anomalen Resonanzen, die gegenwärtig auf Spider II angemessen werden konnten, nicht vielleicht Resultat von Manipulationsversuchen der Qriid waren. Das Black Hole im Triple Sun-System war schließlich erst entstanden, nachdem die dort beheimateten Pshagir versucht hatten, in die Systeme des Quader-Artefakts einzudringen – vermutlich um es als Waffe gegen die vor den Qriid geflüchteten Xabo benutzen zu können, die den Pshagir bis auf eine unbewohnbare Extremwelt sämtliche Triple-Sun-Planeten weggenommen hatten.

Warum sollten nicht auch hier ungeschickte Schaltungen an einem System die Ursache des Übels sein, dass die Tanjaj natürlich nicht einmal in Ansätzen verstanden hatten.

„Ich schlage vor, dass wir uns selbst ein Bild machen, Commander“, mischte sich nun Bruder Guillermo ein. „Im Übrigen zeigt diese Diskussion, wie schwer es ist, sich über grundlegende Begriffe zu verständigen. Aber um das zu schaffen ist eine Haltung gegenseitigen Respekts nötig.“

Das dachte ich mir, ging es Van Doren etwas ärgerlich durch den Kopf. Nimmt dieser Olvanorer den Geierkopf auch noch in Schutz...  Van Doren lehnte sich zurück. Allerdings hat das meiste, was Bruder Guillermo tut Sinn und Verstand. Vielleicht sollte ich einfach etwas mehr auf seine Fähigkeiten vertrauen – insbesondere auf diplomatischem Gebiet.

Lieutenant Commander Ukasi meldete sich nun zu Wort.

Er wandte sich an Van Doren. „Der Energiestatus von Anlage C wächst exponentiell. Ich habe mir noch einmal die Vergleichsdaten der Triple Sun-Katastrophe angesehen. Es gibt zwischen den Impulsfolgen mathematische Beziehungen, die darauf schließen lassen, dass hier tatsächlich etwas ganz ähnliches im Gang ist. Allerdings auf einem Energielevel, dass um den Faktor tausend höher ist als damals.“

„Was glauben Sie, wie viel Zeit wir haben, Lieutenant Commander?“, fragte Van Doren.

„Dazu müssten wir wissen, wann und durch welchen Faktor der Kollaps ausgelöst wird. Aber wir werden uns beeilen müssen. Und dann ist mir noch etwas aufgefallen.“

„Was?“

Ukasi lehnte sich zurück. Sein Gesicht wirkte sehr ernst. „Eine 5-D-Resonanz, die auf den ersten Blick sehr schwach zu sein scheint, aber...“ Er zögerte, schien nach den richtigen Worten zu suchen.

„Ich dachte, es handelt sich um eine Emission, die durch uns bisher noch unbekannte technische Prozesse in der Anlage hervorgerufen wird“, vermutete Bruder Guillermo.

„So eine Art Begleitrauschen wie bei konventionellen Funk?“, fragte Jay Thornton.

Bruder Guillermo nickte.

„Exakt.“

Ukasi war jedoch entschieden anderer Ansicht. „Nein, da bin ich anderer Ansicht. Ich denke eher, dass sich um die Resonanz einer Langstreckenpeilung im 5-D-Bereich handelt. Dass die im Einsteinuniversum anmessbare Resonanz schwach erscheint, lässt noch keine zwingenden Schlüsse auf das Signal selbst zu.“

„Ein Langstreckensignal?“, mischte sich Nirat-Son ein. „Sie meinen eine Art Richtstrahl?“

„Exakt“, nickte Ukasi.

„Lässt sich der Ort anpeilen, auf den es ausgerichtet ist?“

„Nein. Aber es lassen sich mathematisch begründete Hypothesen darüber erstellen. Aber so weit bin ich noch nicht.“

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Anlage C lag inmitten einer Stadt, die von den Wsssarrr erbaut worden war. Es dominierten Quader- und Kuppelformen. Allerdings stellte Bruder Guillermo beim Überflug über die Stadt fest, dass es auch einzelne Gebäude gab, deren physikalisch-chemische Analyse darauf hindeutete, dass ihr Entstehungsdatum weit vor dem Eintreffen der Wsssarrr auf Spider II liegen musste.

„Die Wsssarrr nannten diese Stadt Ksssarrran“, sagte Dablon-Kar. „Das bedeutet Heim der Erhabenen.“

„Das könnte tatsächlich auf einen Zusammenhang mit den Alten Göttern deuten“, glaubte Bruder Guillermo. „Sie scheinen mehr Sprachmaterial der Wsssarrr gesammelt zu haben, als es uns möglich war. Ich habe den Begriff Ksssarrran nämlich gerade in das Translatorsystem des Bordrechners eingegeben, das in dieser Hinsicht eigentlich auf dem neuesten Stand ist, aber unsere Kenntnisse der Wsssarrr-Kultur ist offenbar viel zu lückenhaft.“

„Das wundert mich nicht“, bekannte Dablon-Kar. „Schließlich hatten Sie, soweit ich informiert in, nur einige wenige und sehr kurze Begegnungen mit diesem Volk.“

„Begegnungen der unerfreulichen Art“, fasste es Jay Thornton zusammen. „Auf mich trifft das besonders zu, schließlich hatten mich diese Biester schon als Zutat ihres rituellen Hirn-Schmauses vorgesehen.“

„Jedenfalls weiß niemand, wo sie geblieben sind, seit sie 2236 kurzzeitig das Sol-System bedrohten“, meinte Van Doren.

„Die Übersetzung des Begriffs Ksssarrran lässt offen, ob sich die Wsssarrr selbst als die Erhabenen ansahen oder sie damit die Alten Götter bezeichneten“, analysierte Bruder Guillermo.

„Wir wissen doch bereits einiges über die Vergangenheit der Erhabenen“, meldete sich Dr. Rollins zu Wort. „Zum Beispiel, dass sie die Etnord und andere Hilfsvölker erschufen oder für ihre Zwecke abrichteten und offenbar weit weniger friedliebend waren, als wir das von einer sehr fortgeschrittenen Rasse erwarten würden.“ Dr. Rollins ließ derweil die Finger über den Touchscreen seines Terminals schnellen, während Bogdan in einem Bogen über die Stadt Ksssarrran flog. „Ich kann Lebenszeichen von mehreren Dutzend Qriid orten“, stellte er fest.

„Dann haben unsere Leute überlebt“, sagte Dablon-Kar. „Allerdings frage ich mich, weshalb sie sich nicht gemeldet haben.“

„In unmittelbarer Nähe der Anlage C befinden sich drei Raumfähren qriidischer Produktion. Der Energielevel ist niedrig. Glauben Sie, dass sie funktionsfähig sind, Lieutenant Erixon?“

„Ich habe keinen Zweifel daran“, stellte Erixon klar.

„Es bleibt die Frage, weshalb der Kontakt abriss“, stellte Nirat-Son fest.

„Diese wurmähnlichen Lebensformen kann ich ebenfalls in großer Zahl orten“, fügte Rollins hinzu. „Es sind hunderttausende davon in der Stadt. Offenbar fühlen sie sich in den verlassenen Behausungen der Wsssarrr ganz wohl.“

„Das ist eine neue Entwicklung“, stellte Dablon-Kar fest.

Rollins sandte dem Verbindungsoffizier einen fragenden Blick zu, bis er begriff, dass er sein Unverständnis verbalisieren musste, da der Qriid überhaupt kein Verständnis für menschliche Mimik oder Gestik besaß.

„Was meinen Sie mit einer neuen Entwicklung?“, hakte Bruder Guillermo nach, der die Situation sofort erfasste und schneller reagierte als Dr. Rollins.

Dablon-Kar öffnete zunächst den Schnabel. Anschließend drangen ein paar krächzende Laute zwischen den beiden gebogenen Hornstücken hervor. Der Translator des Qriid übersetzte diese Laute in ein Kauderwelsch aus unzusammenhängenden Wörtern und Begriffen.

Nirat-Son griff ein.

„Der Tanjaj-Nom Dablon-Kar will ausdrücken, dass die Bruoor die Zone um die Stadt Ksssarrran noch nicht so frequentiert haben, wie es im Augenblick der Fall ist.“

„Sind diese Biester in irgendeiner Form gefährlich?“, erkundigte sich Sergeant Kelleney.

Dablon-Kar rieb die Schnabelhälften gegeneinander und antwortete: „Nein. Unseren Erkenntnissen nach sind sie nur lästig.“

„Mit denen werden wir schon fertig!“, wandte sich der Marine James Levoiseur an seinen Sitznachbarn Leary Dawson, einen jungen Kerl, der zum ersten Mal auf einem Kampfschiff stationiert war.

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Die L-1 landete auf einem großzügig angelegten Platz. Rings herum waren Gebäude zu sehen. Richtung Süden stieg das Gelände stark an. Eine Anhöhe befand sich hier, aus der ein quaderförmiges, goldfarbenes und metallisch im Sonnenlicht glänzendes Gebäude einige Meter herausragte.

Das Ganze wirkte wie ein gigantischer, mehrere hundert Meter breiter Goldbarren, der aus einem Erdhaufen herausragte.

Der Hügel, unter dem sich offenbar der Großteil der Anlage befand, war unbebaut.

Der Zoom einer Bordkamera ging auf die Landefähren der Qriid, die verlassen dastanden. Bei einer der Maschine stand das Schott der Außenschleuse offen.

Van Doren wandte sich an Kelleney. „Wenn Sie die Lage für ruhig halten, dann gehen Sie mit Ihren Marines raus, Sergeant.“

„Aye, aye, Sir!“, erwiderte Kelleney und schloss daraufhin den Helm seines schweren, notfalls auch raumtauglichen Kampfanzugs.

Die anderen Marines folgten seinem Beispiel und nahmen ihre Gauss-Gewehre in die Hände. Darüber hinaus waren sie mit Nadlern und Thermostrahlern ausgerüstet.

Die Marines Levoiseur und Haroldis gingen als erste durch die Schleuse. Draußen nahmen sie ihre Positionen ein. Es folgten Dawson, DiStefano und Geskovic.

Nach wenigen Augenblicken kam die Meldung, dass die Lage unter Kontrolle war.

Bruder Guillermo und Bogdan überprüften derweil die Anzeigen der Ortung und bestätigten die Meldung der Marines.

Van Doren wandte sich an Thornton.

„Dann also hinein ins Vergnügen“, sagte er spöttisch.

Nun verließ auch der Rest des Außenteams bis auf Bogdan die Ladefähre.

Die Marines Levoiseur, Haroldis und Geskovic wandten sich zusammen mit Dr. Rollins und Dablon-Kar zunächst den Landefähren zu. Der Rest der Marines-Truppe wurde von Sergeant Kelleney angewiesen, sich in einem Umkreis von hundert Metern zu postieren.

Van Doren fiel ein grünlicher Belag auf dem Boden auf. Er hatte eine pulverige Konsistenz. „Haben Sie eine Ahnung, was das sein könnte?“, fragte er Bruder Guillermo.

Der Olvanorer untersuchte die Substanz mit dem Scanner seines Ortungsgerätes. „Auf jeden Fall ist es organisch.“

„Enthält es Keime, die uns gefährlich werden könnten?“

„Nein, sonst wäre es der Bioabtastung durch das Bordsystem bereits aufgefallen“, erwiderte Bruder Guillermo. „Allerdings enthält die Substanz Verbindungen, die sowohl Bestandteil von Drogen sind, als auch von unseren Körpern selbst hergestellt werden.“

„Das heißt, man sollte dieses Pulver nicht gerade zu sich nehmen“, schloss Van Doren.

„Es könnte eine bewusstseinsverändernde Wirkung haben. Aber das ist eine Hypothese. Die Bestandteile, die für diese Eigenschaften verantwortlich sind, sind beispielsweise den körpereigenen Endorphinen des menschlichen Körpers sehr ähnlich – aber ob sie auch diese Wirkung haben wäre erst noch zu testen.“

„Ich glaube, auf ein praktisches Experiment in dieser Hinsicht verzichten wir besser“, äußerte sich Ukasi.

Thornton ging unterdessen bereits auf den erstaunlicherweise offen stehenden Eingang der Anlage zu.

„Die sogenannten Wächter der Höllentiere haben ihren Job aber nicht besonders gründlich gemacht“, stellte er gegenüber Nirat-Son klar.

„Diese Tanjaj werden einen Grund dafür gehabt haben, ihren Posten zu verlassen“, war der Austauschoffizier überzeugt.

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738917819
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Februar)
Schlagworte
folge chronik sternenkrieger doppelband

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Folge 23/24 - Chronik der Sternenkrieger Doppelband