Zusammenfassung
Dieses Buch enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Feuer und Flamme
Alfred Bekker: Tot und blond
Alfred Bekker: Die schlesische Zeitmaschine
Alfred Bekker: Maulwurfjagd
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Alfred Bekker
Mörder geben nicht auf: Vier Krimis
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Copyright
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EIN CASSIOPEIAPRESS Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author/ Titelbild:
© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
www.AlfredBekker.de
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POSTMASTER @ ALFREDBEKKER . de
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Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre.
Dieses Buch enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Feuer und Flamme
Alfred Bekker: Tot und blond
Alfred Bekker: Die schlesische Zeitmaschine
Alfred Bekker: Maulwurfjagd
Alfred Bekker: Feuer und Flamme
Als eine Papierfabrik in Flammen aufgeht, muss Bount Reiniger einen Mörder stoppen...
1
Hundegebell drang von Ferne durch die Finsternis der Nacht, während der Maskierte den Kragen seiner Lederjacke hochschlug und einen Augenblick lang zurückblickte. Er sah die Flammen emporzüngeln, sah, wie sie sich Stück für Stück weiterfraßen. Der Mann hielt einen Moment inne und bewegte sich einen Schritt weiter. In der Rechten hielt er noch den leeren Benzinkanister, den er jetzt mit einer kraftvollen Bewegung davon schleuderte.
Eine volle Sekunde noch gönnte er sich den Anblick der gierig leckenden Flammen, dann drangen Stimmen an sein Ohr, und das hieß, dass er sich jetzt beeilen musste. Es waren nicht mehr als ein paar unverständliche Wortfetzen. Scheinwerfer gingen an und der Maskierte rannte in Richtung des Zauns, der das Fabrikgelände umgab. Er war nur ein mittelmäßiger Läufer, aber das reichte in diesem Fall vollkommen aus. Er würde es schaffen.
Wenig später fand er das Loch, das er sich zuvor mit Hilfe einer langen Stahlzange geöffnet hatte und durch das er auf das Gelände gelangt war. Die Stimmen in seinem Rücken wurden lauter. Er fluchte, als ein Drahtende ihm die Jacke aufriss. Dann war er endlich durch und rannte die wenigen Meter bis zu zum Wagen.
Der Maskierte riss eine Tür auf und sprang hinein. Nur einen Sekundenbruchteil später startete der Wagen. Die Reifen drehten durch und dann jagte er in die Dunkelheit hinein. Der Maskierte atmete auf. Die Stimmen und das Hundegebell verloren sich nach und nach. Er nahm die Strumpfmaske vom Kopf, blickte kurz in den Rückspiegel und lächelte.
2
Anthony Jennings fühlte seinen Puls bis zum Hals hinauf schlagen, als er seinen Ferrari etwas zu abrupt stoppte. Er seufzte hörbar und fuhr sich mit der flachen Hand über das müde wirkende Gesicht. Der Tag war hart genug für ihn gewesen und nun auch das noch!
Nur ruhig bleiben!, dachte er. Da musst du verdammt noch mal durch! Irgendwo in seinem Hinterkopf hörte Jennings vage die Stimme seines Arztes, der ihm schon seit Jahren weniger Stress verordnet hatte.
Aber der hatte gut reden! Jennings holte ein Tablettenröhrchen aus seiner Jackentasche heraus und nahm zwei von den runden Dragees, die sich darin befanden. Unzerkaut und gezwungenermaßen ohne Wasser würgte er sie herunter und hoffte, dass sie die rasenden Kopfschmerzen vertreiben würden, die ihn schon den ganzen Tag über plagten. Genau genommen, seit die Post gekommen war und er jenen gewissen Brief bekommen hatte. Einen Brief, der aus Zeitungsschnipseln zusammengeklebt worden war und der alles andere als freundliche Glückwünsche zu seinem bevorstehenden sechzigsten Geburtstag enthielt!
Jennings öffnete die Tür des Ferraris und sein Blick glitt über das Fabrikgelände. Scheinwerfer hatten an diesem Ort die Nacht zum Tag gemacht. Er sah einen Streifenwagen der Polizei und dahinter einen Feuerwehrwagen.
Ein großer, breitschultriger Mann kam auf Jennings zugerannt. Es war Chuck Porter, einer der Nachtwächter. Als er seinen Boss erreichte, schnappte er erst einmal nach Luft.
"Was ist, Porter?"
"Alles unter Kontrolle", schnaufte der Mann.
"Am Telefon hörte sich das aber ziemlich dramatisch an!"
Porter nickte. "Es hätte auch ziemlich dramatisch werden können, Boss! Aber es ist noch einmal gutgegangen! Hauptsächlich, weil die Schweinerei früh genug entdeckt wurde!"
Jennings nickte. "Ist schon gut, Porter...", murmelte er.
"Dort drüben hat ein Wagen gewartet. Es ging alles sehr schnell."
"Sie haben nicht zufällig noch etwas erkennen können?"
Porter schüttelte den Kopf. "Nein."
"Nummernschild?"
"War nicht beleuchtet."
"Verdammt!"
"Der Kerl hat sich mit einer Zange ein Loch durch den Zaun gekniffen. Die Zange hat er zurückgelassen, aber ob die uns weiterbringt, wage ich zu bezweifeln."
Jennings hob die Arme. "Na, das ist doch wenigstens etwas!" Porter schien weniger zuversichtlich. Er machte eine wegwerfende Handbewegung und meinte: "Allerweltsware, Boss. Bekommen Sie in jedem Heimwerkermarkt."
Ja, dachte Jennings. Und nach Fingerabdrücken brauchte die Polizei wohl gar nicht erst zu suchen. Wenn dieser verdammte Brandstifter nur einen Funken Verstand im Hirn hatte, dann hatte er Handschuhe getragen.
"Tut mir leid, Boss!", meinte Chuck Porter in einem Tonfall, als hätte er den Brand persönlich gelegt. Jennings trat zu ihm heran und klopfte ihm fast freundschaftlich auf die Schulter.
"Sie können ja nichts dafür", meinte er und ging an ihm vorbei.
Er sah einen weiteren Bekannten, der sich gerade in den Streifenwagen gesetzt hatte, um zu telefonieren. Es war ein Lieutenant von der Polizei in Paterson, New Jersey. Ein langer, schlaksiger Kerl, dessen Rückgrat eine bogenförmige Linie bildete, wenn er bequem stand.
Er hieß Blanfield und Jennings hatte ihn noch in unangenehmer Erinnerung, als er mit dem ersten Drohbrief bei ihm im Präsidium aufgetaucht war. Blanfield war total unfähig, jedenfalls war das Jennings' Meinung. Ein paar zusätzliche Streifenfahrten um die Fabrik und vor seinem Wohnhaus, das war alles, was dieser Lieutenant in die Wege geleitet hatte. Jennings baute sich breitbeinig vor der offenen Tür des Streifenwagens auf, aus der Blanfields lange, dünne Beine herausragten.
"Ich hoffe, Sie finden endlich die Leute, die mich fertig machen wollen!", schimpfte er. "Bis jetzt haben Ihre Ermittlungen ja nicht besonders weit geführt!"
Blanfield kam aus dem Wagen heraus und blickte auf Jennings herab. Der Lieutenant verzog das Gesicht, als er erwiderte: "Ich mag Leute nicht, die davon ausgehen, dass sie allein auf der Welt sind! Meine Männer fahren verstärkt vor Ihrem Haus und Ihrer Fabrik Streife. Was wollen Sie noch?" Er schüttelte verständnislos den Kopf. "Ich mag Leute nicht, die nur, weil sie Geld haben, glauben, dass man sie überall so behandeln müsste, als wären sie allein auf der Welt!"
Anthony Jennings wirkte sehr ärgerlich. In seinen Augen blitzte es angriffslustig und die Ader an seinem Hals schwoll dick an. "Und ich mag Leute nicht, die von meinen Steuern bezahlt werden und nichts dafür leisten!", knurrte er dann zurück.
Blanfield schien einen Augenblick zu überlegen, ob er in gleicher Münze zurückzahlen sollte, entschied sich dann aber dagegen. "Ich verstehe Ihren Ärger, aber lassen Sie ihn gefälligst an jemand anderem aus! Überlegen Sie besser mal, wer aus Ihrem ach so feinen Bekanntenkreis vielleicht seine guten Umgangsformen vergessen hat!"
In Jennings' Augen blitzte es.
"Pah!", machte er, aber im Grunde wusste er natürlich, dass sein Gegenüber recht hatte. Hundertmal hatte Jennings sich schon den Kopf darüber zerbrochen, wer hinter den Drohungen, Einschüchterungen und Anschlägen stecken mochte.
Irgendjemand hatte es auf ihn abgesehen.
Jennings ließ den Lieutenant stehen und ging in Richtung des Fabrikgeländes, um sich den Schaden mit eigenen Augen anzusehen. Allzu schlimm schien es ja nicht zu sein. Aber wer konnte schon garantieren, dass es nicht beim nächsten Mal wirklich ernst sein würde?
3
Bount Reiniger, der bekannte Privatdetektiv, ließ die Türen zur Seite fliegen, als er seine Residenz in der 7th Avenue betrat. June March, seine blondmähnige Assistentin schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln zur Begrüßung.
"Na, wie war's bei Gericht?"
Bount warf seinen Mantel in irgendeine Ecke und zuckte dann mit den Schultern. "Abwarten", meinte er. "Ich habe meine Aussage heute gemacht, doch am Ende wird wohl alles davon abhängen, wie die psychiatrischen Gutachten aussehen. Aber das ist nicht mehr unser Job, June!" Es war schon fast ein halbes Jahr her, das Bount in einer Sache ermittelt hatte, die einen besonders grausigen Frauenmord betraf. Das Opfer war zerstückelt und in einem Gefrierschrank aufbewahrt worden und nun stritt man sich vor Gericht darüber, inwieweit der Täter geisteskrank war.
"Ehe ich es vergesse: Es hat jemand für dich angerufen, Bount!"
"Wer?"
"Ein Mister Jennings aus Paterson, New Jersey. Es klang sehr dringend..."
"Hat er gesagt, worum es ging?"
"Nein. Er wollte nur mit dir persönlich reden. Ich habe gesagt, du rufst zurück."
June trippelte auf ihren hochhackigen Schuhen davon und kam mit einem Zettel wieder, den sie Bount reichte. "Das ist die Nummer. Ich habe mich inzwischen etwas kundig gemacht, mit wem wir es da zu tun haben. Ich meine, falls er unser Klient wird!"
"Du bist einmalig, June!"
"Ich weiß das, Bount", gab sie zurück. "Aber es ist schön, dass mein Boss das auch langsam erkennt!"
Bount lächelte. "Na, dann schieß mal los!"
"Es ist der Papier-Jennings. Er hat mehrere Fabriken und Zulieferbetriebe in New Jersey und Pennsylvania. Die Keimzelle seines Unternehmens liegt aber in Paterson." Sie blinzelte Bount mit ihren unwahrscheinlich blauen Augen an.
"Könnte ein lukrativer Auftrag sein."
Bount grinste. "Ich wusste gar nicht, dass du so materialistisch denkst!"
"Man lernt eben nie aus, Bount!"
"Ja, scheint so", gab Bount zurück und ging zum Telefon.
"Ich werde diesen Jennings mal anrufen..."
4
Das Haus hatte etwas unverhohlen Protziges an sich und sollte jedem Betrachter schon von Ferne klarmachen, dass es nicht von armen Leuten bewohnt wurde.
Bount Reiniger parkte seinen champagnerfarbenen Mercedes 500 SL neben einem Ferrari und stieg aus. Bis zum Portal waren es nur wenige Meter und wie es schien, wurde Bount bereits erwartet.
Ein Mann im dunklen Anzug stand dort. Eine Mischung aus Majordomus und Bodyguard, so schätzte Bount ihn ein. Der Privatdetektiv bewegte sich auf das Portal zu, stieg die Treppen hinauf und gab den Mann im dunklen Anzug dann seine Karte. "Hier", sagte er dabei. "Ich möchte zu Mister Anthony Jennings."
Der Dunkelgekleidete warf einen kurzen Blick auf die Karte und nickte.
"Ich weiß, Mister Reiniger. Mister Jennings erwartet Sie bereits. Wenn Sie mir bitte folgen würden."
Der Mann war hochgewachsen und fast so groß wie Bount. Und er wirkte sehr steif und förmlich, obwohl er sicher nicht älter als dreißig war. Er drehte sich um und ging, während Bount hinter ihm her lief und dabei den Blick etwas schweifen ließ. Sie gingen durch einen exquisit eingerichteten Empfangsraum. Die Bilder an den Wänden waren vermutlich Originale und hatte allem Anschein nach dieselbe Funktion, wie das gesamte Anwesen: Zu zeigen, dass man zu jenen gehörte, die es zu etwas gebracht hatten.
Nun, dachte Bount. Anthony Jennings hat es ja auch schließlich zu etwas gebracht. Und wenn jemand Geld genug hatte, sich ein solches Anwesen in die Landschaft zu stellen, dann saß ja vielleicht auch ein großzügig bemessenes Honorar für den Privatdetektiv drin.
Plötzlich drehte sich der Mann im dunklen Anzug herum.
"Tragen Sie eine Waffe, Mister Reiniger?"
"Ja."
"Dann geben Sie sie mir bitte."
"Weshalb?"
"Anordnung von Mister Jennings. Bitte haben Sie Verständnis dafür, aber Mister Jennings hat in letzter Zeit einiges durchmachen müssen und ist sehr misstrauisch geworden."
Die Jacke des Mannes saß knapp und umspannte den muskulösen Oberkörper. Die Ausbuchtung unter der linken Schulter verriet, dass der Kerl ebenfalls bewaffnet war. Bount zuckte die Achseln, holte seine Automatic hervor und händigte sie seinem Gegenüber aus. Dann ging es durch einen Flur und schließlich in einen hellen Wintergarten, in dem es ziemlich heiß war. Bount lockerte sich die Krawatte und löste den obersten Hemdknopf.
Ein untersetzter Mann um die sechzig begutachtete einige edle Zimmerpflanzen und schien darin ganz versunken zu sein. Das musste Anthony Jennings sein. In der Rechten hielt er eine Messingkanne, die er abstellte, als er Bount bemerkte.
"Mister Reiniger?"
"Der bin ich", nickte Bount und sah sich ein wenig um. Es sah hier fast aus, wie in einem Gewächshaus. Die hohe Luftfeuchtigkeit war schon nach wenigen Augenblicken ziemlich schweißtreibend. Aber Anthony Jennings schien sich in diesem Klima wohlzufühlen.
Der untersetzte Mann schwieg einen Augenblick und unterzog Bount einer Art Musterung. Wahrscheinlich gehörte er zu den Leuten, die glaubten, jemandem ansehen zu können, ob man ihm trauen konnte. Schließlich hatte er sich offenbar entschieden, trat auf Bount zu und reichte dem Privatdetektiv die Hand.
"Ich bin Anthony Jennings. Wir haben miteinander telefoniert." Jennings wandte sich an den Mann im dunklen Anzug. "Lassen Sie uns bitte allein, Warren." Der Mann nickte und verließ den Raum.
Jennings wandte sich indessen wieder an seinen Gast: "Mein Sohn hat Sie mir empfohlen! Sie sollen der Beste sein und genau deswegen will ich, dass Sie die Sache in die Hand nehmen."
Bount hob die Augenbrauen. "Um welche Sache handelt es sich denn? Am Telefon waren Sie ja recht zugeknöpft!"
Jennings zuckte die Achseln. "Tut mir leid, Sir, aber ich wollte mir erst einen persönlichen Eindruck verschaffen, bevor ich mich dafür entscheide, Ihnen zu vertrauen."
"Das verstehe ich."
"Nun, um es kurz zu machen: Irgendjemand scheint es auf mich abgesehen zu haben. Es ist erst wenige Tage her, da hat mal wieder jemand versucht, meine Papierfabrik anzuzünden..."
Bount runzelte die Stirn. "Mal wieder?", echote er.
"Ja, es war der zweite Versuch. Gott sei Dank ist der Schaden nicht weiter erwähnenswert. Aber das ist nicht alles. Ein Wagen von mir wurde demoliert und ich bekomme seltsame Anrufe."
"Haben Sie einen dieser Anrufe aufgenommen?"
Jennings lächelte matt. "Das ist es ja eben. Wenn ich den Hörer abnehme höre ich, wie jemand atmet. Mehr nicht. Keine Antwort. Nichts. Und dann legt er - oder sie - wieder auf." Er hob die Arme zu einer fast beschwörend wirkenden Geste. "Jemand ist darauf aus, mich zu terrorisieren und zu quälen, wenn Sie mich fragen!" Jennings griff in die Hosentasche und holte einen Briefumschlag heraus, den er Bount reichte. "Und dann ist da noch das hier!"
Bount nahm das Kuvert und holte den Inhalt heraus. Es war ein Brief, der aus Zeitungsschnipseln zusammengeklebt war. Und der Inhalt war alles andere als freundlich. Dich kriegen wir kurz und klein, Jennings! stand da zu lesen. Denk daran, wie gut Papier brennt...
"Dieser hier ist noch nicht einmal der Schlimmste", erklärte Jennings mit belegter Stimme.
Es klingt auf jeden Fall sehr persönlich, dachte Bount. Wie die Zeilen von jemandem, dem es nicht in erster Linie darum ging, eine Fabrik anzuzünden, sondern darum, ihren Besitzer zu treffen. Blieb die Frage, wie weit der Unbekannte dabei gehen würde!
"Haben Sie das der Polizei gezeigt?", erkundigte sich der Privatdetektiv.
"Die ersten, die ich bekam, ja. Diesen hier nicht."
"Das sollten Sie aber!"
"Ich bekomme jetzt fast regelmäßig ein- bis zweimal die Woche so etwas mit der Post. Mittlerweile habe ich eine ganze Sammlung davon. Meinetwegen können Sie das da behalten."
"Und was erwarten Sie jetzt von mir?"
"Dass Sie herausfinden, wer dahintersteckt!" Bount steckte den Brief ein und holte seine Zigaretten hervor. Er hob die Schachtel und fragte: "Sie haben nichts dagegen, oder?"
"Nein, nur zu!"
Bount zündete sich einen Glimmstängel an und zog daran und fragte, während er den Rauch hinaus blies: "Haben Sie einen Verdacht?"
"Nein."
"Keine Feinde, die Ihnen ans Leder wollen?"
"Mein Mann hat an jedem Finger zehn Feinde!", durchschnitt eine helle Frauenstimme die etwas stickige Luft des Wintergartens. Bount drehte sich herum und blickte in die ebenmäßigen Züge einer hochgewachsenen, gertenschlanken Frau, die mindestens zehn Jahre jünger als Jennings war. Ihre Augen wirkten wach und intelligent, ihre Bewegungen waren grazil und vorsichtig wie bei einer Katze.
Sie kam auf Bount zu und gab ihm die Hand. Ihr Lächeln war kühl und eher geschäftsmäßig.
"Du bist schon zurück, Liz?", fragte Jennings.
"Ja. Wer ist der Gentleman, Anthony? Der Mann, den Arthur dir empfohlen hat vielleicht? Dieser Privatdetektiv?" Jennings nickte.
"So ist es."
Sie musterte Bount abschätzig von oben bis unten. Dann meinte sie: "Ich hoffe, dass Sie dem Terror ein Ende machen, Mister..."
"Reiniger."
"Wissen Sie, mein Mann würde es nie zugeben, aber er ist mit den Nerven schon völlig am Ende!" Sie trat neben Jennings und legte ihm die Hand auf die Schulter. Sie trug hohe Absätze und war daher im Augenblick fast einen halben Kopf größer als ihr Mann.
"Sie sprachen von Feinden", meinte Bount. "Was hat Ihr Mann denn für Feinde?"
"Na, zum Beispiel diese fanatischen Umweltschützer, denen ein paar Fische mehr wert sind, als die Leute, denen mein Mann Arbeit gibt!"
"Aber deshalb versucht doch niemand, gleich die Fabrik anzuzünden!" Jennings schüttelte energisch den Kopf, als er das sagte.
"Warum denn nicht?" Liz zuckte mit den Schultern.
"Die Sache wird vor Gericht ausgefochten. Die würden sich doch nur selbst schaden, wenn sie jetzt zu solchen Mitteln greifen würden!"
"Na, irgendeinen Anhaltspunkt musst du Mister Reiniger ja wohl schon geben!" Sie seufzte und sah Bount offen an. "Mein Mann war nie sehr zimperlich im Umgang mit anderen Menschen, müssen Sie wissen." Sie sagte das mit einem Unterton, der nachklingen ließ, dass das auch für Anthony Jennings' Verhältnis zu seiner Frau galt... "Es gibt einfach zu viele, die ihm den Ruin oder Schlimmeres wünschen könnten." Ein kurzer Blick ging zu ihrem Mann. Liz Jennings zeigte zwei Reihen makelloser Zähne, als sie ihm zumurmelte: "Du verzeihst mir doch sicher meine Offenheit, nicht wahr, Darling? Aber wenn du unserem Gast hier die Karten nicht offen auf den Tisch legst, dann ist sein sicher gesalzenes Honorar herausgeschmissenes Geld. Doch wahrscheinlich ist es das ohnehin."
"Sie scheinen kein sehr großes Zutrauen zu meinen Fähigkeiten zu haben, Mrs. Jennings", warf Bount ein.
"So ist es!"
"Ich zwinge niemanden mit vorgehaltener Pistole, mich zu engagieren, Ma'am!"
Liz Jennings hob die Augenbrauen und setzte ein Gesicht auf, das eine deutliche Spur von Geringschätzung ausdrückte.
"Das geht nicht gegen Sie persönlich, Mister Reiniger. Aber was soll einer wie Sie schon zu Wege bringen, was die Polizei mit ihrem ganzen Apparat nicht schafft?"
Bount zuckte mit den Schultern.
"Vielleicht ist es das Beste, wenn ich jetzt einfach wieder in meinen Wagen steige und mich auf den Weg zurück nach Midtown Manhattan mache", meinte er.
"Nein, bleiben Sie, Reiniger!" Das war Anthony Jennings. Er hatte einen Schritt nach vorne gemacht und Bount, der sich schon halb herumgedreht hatte, beim Arm gepackt.
"Hören Sie, Mister Jennings! Am Telefon klang das, als wäre es sehr dringend. Aber es ist nun wirklich nicht so, dass ich nichts zu tun hätte, wenn ich nicht für Sie arbeite."
"Das war nur die Meinung meiner Frau, nicht meine."
"Okay", nickte Bount.
In diesem Moment betrat Warren, der Majordomus den Raum. Jennings war ärgerlich. "Was gibt's denn?"
"Telefon."
Jennings atmete tief durch und wandte sich kurz an Bount.
"Entschuldigen Sie mich eine Sekunde. Wir unterhalten uns gleich weiter." Während er sich aus dem Zimmer herausbewegte, wandte Liz Jennings sich von Bount ab und sah hinaus in die weiträumigen Gartenanlagen, die das Anwesen umgaben.
"Vielleicht können Sie mir etwas weiterhelfen", meinte Bount. "Sie scheinen die Feinde Ihres Mannes ja besser zu kennen, als er selbst!"
Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Blick war nach innen gekehrt, als sie ihn über den Millimeter genau geschnittene Rasenfläche gleiten ließ. "Sehen, Sie, Mister Reiniger, das Unternehmen, das mein Mann besitzt ist sein Lebenswerk. Er hat es aus kleinsten Anfängen heraus aufgebaut. Aber wenn man von soweit unten nach soweit oben kommen will, dann geht das selten ohne den Gebrauch der Ellbogen. Verstehen sie, was ich meine, Mister Reiniger?"
"Ich kann es mir vorstellen."
"Da bleibt so mancher auf der Stecke, dessen Wege man kreuzt."
"Nennen Sie mir ein paar, die auf der Strecke geblieben sind!"
Sie wandte sich zu ihm herum. Ihr Blick war prüfend. Sie machte auf Bount den Eindruck einer klugen und sehr beherrschten Frau, die in jeder Sekunde ganz genau zu wissen schien, was sie tat. "Sie sind ziemlich neugierig", stellte sie fest.
Bount lächelte. "Das ist mein Job", meinte er. Sie zuckte mit den Schultern und verzog ein wenig den Mund. Eine Prise Spott lag in ihren Zügen, als sie sagte: "Eben, Mister Reiniger. Es ist Ihr Job, nicht meiner."
5
Als Bount das Jennings-Haus verließ und die Stufen des protzigen Portals hinabstieg, konnte er sich eines unguten Gefühls nicht erwehren. Jedenfalls hatte Anthony Jennings ihm nichts mehr gesagt, das ihn sehr viel weiter brachte. Ein paar Flugblätter bekam Bount noch zugesteckt, die von den angeblich so fanatischen Umweltschützern verfasst waren, mit denen sich Jennings angelegt hatte.
Bount warf einen kurzen Blick auf die Armbanduhr. Es war noch Zeit genug, um bei der Fabrik vorbeizuschauen und sich dort etwas umzusehen. Vielleicht gab es ja dort irgendwelche Anhaltspunkte, denen nachzugehen sich lohnte.
Ein Motorengeräusch ließ Bount aufblicken.
Es war ein Cabriolet, das herangebraust kam und mit quietschenden Bremsen zum Stillstand kam. Das Verdeck war offen, am Steuer saß eine gutaussehende junge Frau, deren brünettes Haar mit einer unnachahmlichen Mischung aus Eleganz und Lässigkeit hochgesteckt war. Sie stieg aus und erwiderte Bounts Lächeln selbstbewusst.
"Starren Sie alle Leute so an, Mister?", fragte sie kokett. Ihre Augen waren meergrün und wirkten sehr wach und aufmerksam. Die Figur glich einer sanft geschwungene Linie und nahm Bount ganz unwillkürlich in ihren Bann.
"Eine Lieblingsbeschäftigung von mir, Miss!", gab Bount schließlich grinsend zurück. "Ich hoffe, es stört Sie nicht allzu sehr." Aber das schien nicht der Fall zu sein.
"Tun Sie, was Sie nicht lassen können!", erklärte sie, kam die Stufen und ging an Bount vorbei.
"Wohnen Sie hier, Miss?", fragte der Privatdetektiv. Sie drehte sich herum. Um ihren sinnlich wirkenden Mund mit den vollen Lippen spielte ein unnachahmlicher Zug.
"Wie kommen Sie darauf?"
"Sie hätten Ihren Wagen dort sonst kaum mitten vor dem Portal stehen gelassen. Das macht nur jemand, der hier zu Hause ist!"
Sie hoben die Augenbrauen und Bount wusste in dieser Sekunde, dass er in Schwarze getroffen hatte. Dann kam Sie zwei Stufen zurück und reichte dem Privatdetektiv die Hand.
"Ich bin Kathleen Jennings und bin tatsächlich hier zu Hause. Sind Sie der Detektiv, den mein Dad anheuern wollte?"
"Ja."
Ihre Blicke trafen sich einen Augenblick lang.
"Dann werden wir uns ja wohl in nächster Zeit des öfteren über den Weg laufen, nehme ich an, Mister..."
"Reiniger. Bount Reiniger." Er lächelte. "Sie könnten schon recht haben mit Ihrer Vermutung."
Kathleen Jennings zwinkerte ihm zu. "Nichts dagegen", meinte sie.
Einen Augenblick lang noch ruhte ihr Blick auf ihm, dann wandte sie sich ab und ging ins Haus.
Bount setzte sich ans Steuer seines champagnerfarbenen Mercedes und machte sich auf den Weg zu Jennings' Papierfabrik, die auf einem etwas abseits der Stadt Paterson, New Jersey, gelegenen Gelände errichtet war. Jennings hatte Bount den Weg kurz beschrieben und auch gleich seinen Sohn Arthur vorgewarnt, der dort die technische Leitung hatte. Bount war das nur recht. Dann würde man ihn jedenfalls nicht als unerwünschten Hausierer von der Pforte jagen. Als Bount dem Pförtner seinen Namen sagte, öffnete sich gleich die Schranke für ihn. Der Mann deutete mit dem Arm quer über das Gelände. "Sehen Sie das Gebäude dort?"
"Ja."
"Da ist das Büro von Mister Jennings junior. Er erwartet Sie bereits."
Bount stellte den Mercedes vor dem schmucklosen Zweistock ab, in dem sich die Büros untergebracht waren. Etwas später hatte er sich dann bis zu Arthur Jennings' Zimmer vorgearbeitet. Arthur war ein hochgewachsener, scheu wirkender Mann. Das markanteste Merkmal seines Gesichtes war die dicke Hornbrille, die ziemlich schwer sein musste. Jedenfalls rieb er sich alle paar Minuten an den Druckstellen auf der Nase.
"Mein Vater hat mir gesagt, dass Sie kommen würden. Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mister Reiniger. Sie haben in Ihrer Branche ja einen exzellenten Ruf, wie man so hört!"
"Vielen Dank für die Blumen. Weiß außer Ihnen noch jemand in der Firma, wer ich bin und was ich hier soll?"
"Nein."
"Das ist gut so."
"Sie wollen sicher wissen, wie das heute Nacht passiert ist! Dazu ist nicht viel zu sagen: Ein Maskierter, ein Benzinkanister und ein Wagen, dessen Nummernschild nicht beleuchtet war. Der Rest ist eine Mischung aus Glück und der Aufmerksamkeit unserer Nachtwächter." Er atmete tief durch. "Wissen Sie, wir stellen hier Papier her und keine Juwelen oder andere Kostbarkeiten. In umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen ist deshalb nie investiert worden. Seit dem ersten Versuch dieser Art haben wir einen Zaun errichtet."
"Was denken Sie, wer dahintersteckt?"
Ein flüchtiges Lächeln ging über Arthurs Gesicht. "Sie kommen gleich auf den Kern Sache, was? Das gefällt mir." Er zuckte mit den Schultern, während Bount sich eine Zigarette anzündete. Arthur Jennings musterte Bount ein paar Augenblicke lang nachdenklich und Bount hatte fast das Gefühl, dass sein Gegenüber abzutaxieren versuchte, was er dem Privatdetektiv erzählen und was besser für sich behalten sollte.
"Mein Vater ist ein erstaunlicher Mann, Mister Reiniger. Er hat eine unglaubliche Energie und wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann führt er es auch irgendwann aus. Allerdings geht er dabei manchmal über Leichen."
"Das meinen Sie sicher nicht ganz wörtlich", meinte Bount. Er lachte mit einem sauren Unterton.
"Wie man's nimmt, Reiniger", knirschte er. Dann beugte er sich ein wenig vor und fuhr fort: "Sie haben mich nach einem Verdacht gefragt und es ist wahr: Ich habe einen. Ziemlich konkret sogar und mit Namen und Adresse. Leider wahrscheinlich nicht beweisbar."
Bount zog die Augenbrauen in die Höhe. "Lassen Sie hören!"
"Der Kerl heißt Jeffrey Kramer und war früher einmal Dads Teilhaber. Mein Vater hat ihn auf irgendeine unfeine Art und Weise aus der Firma herausgedrängt."
"Wie unfein?", hakte Bount nach, aber Arthur zuckte mit den Achseln.
"Keine Ahnung. Genau weiß ich das nicht. Da fragen Sie ihn am besten selbst. Aber jedenfalls hätte der Mann ein Motiv, um sich an Dad rächen zu wollen. Und er ist seit einiger Zeit wieder in Paterson."
Bount nickte. "Ich werde dem nachgehen. Und dann hätte ich gerne noch die Namen und Adressen der Nachtwächter. Ich möchte mich mit ihnen unterhalten. Kann ja sein, dass ihnen doch irgendetwas aufgefallen ist!"
Für den Bruchteil einer Sekunde stand ein Zug in Arthurs Gesicht, der deutlich machte, dass ihm Bounts Anliegen aus irgendeinem Grund nicht behagte. Aber dann nickte er. "Warum nicht?", meinte er in entspannterer Stimmung, die allerdings seltsam künstlich wirkte.
Die Gegensprechanlage auf Arthur Jennings' Schreibtisch piepte. Arthur drückte etwas ärgerlich einen Knopf und zischte: "Ich habe Ihnen doch gesagt, Miss Hancock, dass ich jetzt nicht gestört werden möchte!"
"Es ist sehr dringend, Mister Jennings! Ihr Bruder Ray..."
"Stellen Sie durch."
Er schluckte und gab Bount flüchtig die Hand. "Ich denke, wir haben alles besprochen. Die Namen der Nachtwächter gibt Ihnen Miss Hancock! Ansonsten stehe ich Ihnen natürlich jederzeit zur Verfügung!"
6
Bount Reiniger versuchte noch, Jeffrey Kramer aufzutreiben. Aber in dem Supermarkt, in dem er eine Anstellung als Buchhalter gefunden hatte, hatte er sich zwei Tage frei genommen. In seiner Wohnung war ebenfalls niemand.
Bount hatte einen Augenblick lang überlegt, dass eigentlich eine hervorragende Gelegenheit war, um sich dort einmal ungestört umsehen zu können, aber er hatte noch nicht einmal damit angefangen, an dem Schloss herumzufummeln, da tauchte eine ziemlich dralle Frau in den mittleren Jahren auf. Ihrem herrischen Auftreten nach musste sie die Vermieterin sein.
"Wollen Sie zu Mister Kramer?", fragte sie neugierig.
"Ja."
"Der ist nicht da!"
"Habe ich gemerkt. Wo steckt er?"
"Ich habe nicht die geringste Ahnung, Mister..."
"Reiniger. Mein Name ist Reiniger!"
Ihr Gesicht entspannte sich ein bisschen. "Die Kerle, die sonst noch ihm fragen, haben sich nicht vorgestellt!"
Eins zu null!, dachte Bount. Er hatte bei ihr einen Punkt gut.
"Was waren das für Leute?"
"Gesindel, wenn Sie mich fragen. Finstere Typen. Einem fehlte das linke Auge. Sagen Sie mir, was Mister Kramer ausgefressen, dass alle Welt hinter ihm her ist!"
"Das würde ich auch gerne wissen! Glauben Sie, dass Kramer noch einmal wieder hier auftaucht?"
"Na, das will ich hoffen! Er ist mit seiner Miete einen Monat im Rückstand. Aber da seine Sachen noch hier sind, gehe ich davon aus, dass dieser komische Vogel noch nicht ganz ausgeflogen ist! Soll ich ihm vielleicht etwas ausrichten, wenn er wieder auftaucht?"
"Nein, nicht nötig."
Bount konnte sich schon denken, was passierte, wenn sie Kramer das nächste Mal sah. Sie würde ihm brühwarm auf die Nase binden, dass jemand nach ihm gefragt hatte.
7
Anschließend stattete Bount Reiniger einer gewissen Charlene Smith einen Besuch ab, die zu den Umweltschützern gehörte, mit denen Jennings im gerichtlichen Clinch lag. Ihre Adresse stand auch auf einigen Flugblättern, die Jennings dem Privatdetektiv gegeben hatte.
Sie war alles andere als begeistert, als Bount vor seiner Wohnungstür auftauchte. Charlene war eine hochgewachsene, schlanke Frau, deren Mannequin-Figur unter dem sackartigen Kleid, das sie trug, nur zu erahnen war.
"Wer sind Sie, einer von Jennings' Gorillas, die mich einschüchtern sollen?" Nachdem sie den Privatdetektiv einer kurzen Musterung unterzogen hatte, schüttelte sie energisch den Kopf. "Nein, Ihrem Outfit nach sehen Sie wie einer seiner Rechtsverdreher aus. Immerhin sehen Sie besser aus, als Ihre Vorgänger!"
Bount lächelte dünn.
"Danke für die Blumen!"
"Hören Sie zu: Ihr Vorgänger war sicher ein guter und raffinierter Anwalt und Sie sind wahrscheinlich auch kein Stümper! Ich schätze mal, dass der alte Jennings Ihren Vorgänger wegen Erfolglosigkeit vor die Tür gesetzt hat, aber ich sage Ihnen gleich, dass Sie es auch nicht besser machen werden!"
"Und warum?"
"Weil die Fakten dagegen stehen! Lesen Sie unsere Flugblätter!"
"Das habe ich. Sie werfen Jennings illegale Gewässereinleitungen vor!"
"So ist es! Und es geht nicht nur um ein paar Frösche, deren Lebensraum nun vielleicht beeinträchtigt ist, sondern auch um Menschen, die jetzt Mühe hätten, ihren Grund und Boden zu verkaufen, wenn sie wollten!"
"Wie viele Menschen betrifft das?"
"Ein paar Dutzend."
"Gehören Sie auch zu den Geschädigten?"
"Nein."
"Warum engagieren Sie sich dann so stark?"
"Weil ich etwas dagegen habe, wenn jemand wie Jennings so etwas tun kann und am Ende vielleicht sogar noch damit durchkommt! Deshalb! Und Sie? Ich habe mich geirrt, nicht wahr? Sie sind kein Anwalt!"
"Nein, Privatdetektiv."
"Ich mag keine Schnüffler", meinte sie daraufhin. "Und schon gar nicht, wenn Anthony Jennings sie geschickt hat."
"Hören Sie, wenn die Sache so ist, wie Sie behaupten, dann sehe ich das genau wie Sie. Aber ich nicht wegen des Prozesses hier, sondern weil ich denjenigen suche, der versucht hat, die Papierfabrik anzuzünden!"
Sie verzog das Gesicht. "Daher weht also der Wind. Also ich war es jedenfalls nicht und auch sicher keiner von unseren Leuten. Das ganze läuft auf einen Gutachter-Streit hinaus, und zur Zeit sieht es gar nicht schlecht aus. Wir führen sozusagen nach Punkten. Glauben Sie, ich hätte Lust, das aufs Spiel zu setzen?"
"Sie persönlich vielleicht nicht!"
"Und auch niemand, der sich bei uns engagiert! Ich lege da für jeden meine Hand ins Feuer!"
Sie drehten sich noch ein bisschen im Kreis, aber es kam nichts mehr dabei heraus, das greifbar war.
8
Am nächsten Morgen wurde Bount schon gegen vier Uhr morgens durch das Telefon aus dem Schlaf gerissen. Er hatte vergessen, den Anrufbeantworter einzuschalten und wollte sich erst weigern, überhaupt abzunehmen. Schließlich gab es ja so etwas wie Bürostunden - auch für Privatdetektive. Aber der Anrufer ließ nicht locker. Es musste wirklich dringend sein und so nahm Bount schließlich doch ab. "Ja? Hier Reiniger..."
Auf der anderen Seite war eine Frauenstimme, an die er sich flüchtig erinnerte, die er aber im Moment nicht so recht einzuordnen wusste. Und dann wusste er auch, weshalb das so war. Als er diese Stimme das letzte Mal gehört hatte, hatte sie kokett und selbstbewusst gewirkt. Jetzt war sie am Rand einer Panik.
Es war Kathleen Jennings.
"Mister Reiniger? Es ist etwas Furchtbares passiert... Die Fabrik... sie brennt!" Bount hörte sie schlucken und da wusste er instinktiv, dass das nicht alles sein konnte. "Und Dad... Er ist in den Flammen umgekommen!"
Bount war hellwach.
"Beruhigen Sie sich ein wenig. Ist die Polizei schon dort?"
"Ja. Werden Sie kommen?"
"Ich bin schon unterwegs!"
In Windeseile zog der Privatdetektiv sich an, hinterließ eine kurze Nachricht für June March, seine Assistentin, und setzte sich dann ans Steuer seines 500 SL, um die Strecke, die zwischen seiner Residenz in der New Yorker 7th Avenue und Paterson, New Jersey, lag so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
Bount fuhr wie der Teufel und hatte Glück, nicht zufällig einer Polizeistreife in die Arme zu laufen.
Als er die Papierfabrik in Paterson erreichte, war schon von weitem die dunkle Rauchsäule zu sehen, die vor dem Hintergrund der aufgehenden Morgensonne gen Himmel stieg. Es herrschte ziemlich viel Betrieb. Bount sah die Löschfahrzeuge der Feuerwehr, zwei Streifenwagen der Polizei und noch einige andere Fahrzeuge. Als Bount ausstieg sah er auch jemanden mit einem Fotoapparat herumlaufen und Bilder machen, die man wahrscheinlich in der nächsten Ausgabe der Lokalzeitung zu sehen bekommen würde. Ein Polizist in Uniform versuchte, Bount daran zu hindern, das Firmengelände zu betreten. "Wir haben hier verdammt nochmal genug Neugierige herumstehen, die nur unsere Arbeit hier behindern!" Bount hielt ihm seine Privat-Eye-Lizenz unter die Nase.
"Ich ermittle in dieser Sache", meinte er. Der Polizist sah sich die Lizenz an und runzelte die Stirn. Dann bewegte er den Kopf zur Seite und ließ Bount passieren.
Allem Anschein nach hatten die Löschkräfte das Feuer unter Kontrolle. Aber es würde wohl noch eine ganze Weile dauern, bis die Flammen wirklich gelöscht waren. Und wie viel dann noch von der Fabrik übrig sein würde, das musste man abwarten.
Wenig später lief ihm Kathleen über den Weg. Sie wirkte völlig aufgelöst und befand sich in Begleitung ihres Bruders Arthur.
"Was ist passiert?", fragte Bount.
"Die Fabrik hat gebrannt und sie haben Dads Leiche gefunden", berichtete Kathleen und schlug die Hände vors Gesicht. "Es war ein schrecklicher Anblick, mitansehen zu müssen, wie sie ihn in diesen Blechsarg gelegt und weggefahren haben..." Sie schluckte und ihre Stimme hatte dich belegt. Tränen glitzerten in ihren Augen. Ein paar Sekunden, dann hatte sie sich wieder einigermaßen unter Kontrolle.
"Komm, ich bring dich nach Hause", sagte Arthur Jennings und wollte seine Schwester mit sich führen. Aber sie wollte nicht und schüttelte den Kopf. "Nein, sagte sie. "Ich bleibe hier."
"Aber wir können hier jetzt doch nichts tun."
"Trotzdem."
"Wann ist das Feuer entdeckt worden?", fragte Bount.
"Viel zu spät", knurrte Arthur. "Ich habe es um vier erfahren, aber da war hier schon der Teufel los."
"Und was hat Mister Jennings um diese Zeit hier zu suchen?" Arthur nahm die Brille ab und rieb sich die Druckstellen. Dabei schloss er die Augen und zuckte mit den Schultern. "Was weiß ich!", murmelte er vor sich hin.
Bount wandte sich an Kathleen. "Haben Sie einen Schimmer?"
Sie schüttelte energisch den Kopf. "Nein."
"Aber Sie sagten mir gestern, dass Sie im Haus Ihres Vaters wohnen. Haben Sie nicht bemerkt, wie er davongefahren ist? Er wird ja wohl nicht zu Fuß gegangen sein..."
"Nein, ist er auch nicht. Sein Ferrari steht dort hinten", mischte sich Arthur ein, während er jetzt auf einem Brillenbügel herumkaute. Sein Blick ging kurz zu den Flammen hin. Dann wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Die Hitze war deutlich spürbar.
Kathleen blickte Bount offen an. "Ich habe Ihnen gestern nicht die ganze die Wahrheit gesagt", meinte sie. "Sehen Sie, ich habe zwar mein Zimmer in dem Haus, aber eigentlich wohne ich in einem Apartment in der Stadt."
"Sie waren also nicht zu Haus?"
"Nein."
Arthur Jennings runzelte die Stirn und meinte dann: "Was sind das für Gedanken, die Ihnen da im Kopf herumspuken, Mister Reiniger?"
Bount wandte den Kopf halb zu ihm herum.
"Nichts Bestimmtes..."
"Jemand wollte meinen Vater ruinieren und jetzt ist er tot. Ich bin kein Jurist, aber für mich ist derjenige, der dahintersteckt ein Mörder!"
Bount nickte. "Ich verstehe, was Sie meinen." Jetzt mischte sich Kathleen wieder ein. Sie sah Bount an und dabei spiegelte sich der Schein des Feuers in ihren Augen.
"Mein Vater wollte, dass Sie herausfinden, wer ihn fertigmachen wollte. Ich hoffe, dass Sie Ihren Auftrag zu Ende führen, Mister Reiniger!"
"Ich werde tun, was ich kann."
9
Bount sprach noch kurz mit einem Feuerwehr-Hauptmann, aber der konnte zur Brandursache noch nicht allzu viel sagen. Außerdem war er ohnehin nicht besonders auskunftsfreudig, da er noch alle Hände voll zu tun hatte. Bount entschied, dass es unter den augenblicklichen Umständen nicht viel Sinn machte, auf dem Fabrikgelände nach Spuren zu suchen. Wenn der Brand gelöscht war, würde sich Bount alles noch einmal vornehmen.
Aber da stand noch der Ferrari, mit dem Jennings offenbar hier her gekommen war. Im Augenblick kümmerte sich niemand um das Fahrzeug und so nutzte Bount die Möglichkeit, öffnete mit dem Taschentuch um die Hand die Tür und setzte sich hinein.
Er sah sich um und schaltete die Innenbeleuchtung ein. Auf dem Boden vor dem Beifahrersitz lag ein vergoldeter Füllfederhalter, der ziemlich kostbar wirkte. Er hatte Initialen A.J. eingraviert. A.J. wie Anthony Jennings. Im Handschuhfach war eine Kleinkaliber-Pistole.
"Heh, was fällt Ihnen ein!", hörte Bount eine Stimme, die ihn herumfahren ließ. Er blickte auf einen Mann, dessen Körperhaltung einem Fragezeichen ähnelte und in dessen Gesicht es ziemlich giftig blitzte. An seiner Jacke hing eine Polizeimarke. "Ich weiß zufällig, dass das nicht Ihr Wagen ist, Mister!", sagte er. "Steigen Sie aus!"
"Ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, einmal hinter einem solchen Steuer zu sitzen!", feixte Bount.
"Ach, hören Sie auf! Sind Sie von der Presse? So aufdringlich sind normalerweise nur Presseleute. Oder die von den kleinen Kabelfernsehsendern, die sich mit aller Macht ihren Platz zwischen den großen erkämpfen müssen."
"Ich bin Privatdetektiv."
"Auch das noch!"
Bount stieg aus und der Kerl regte sich noch bisschen auf. Als er sich schließlich beruhigte, nannte er Bount sogar seinen Namen. Er hieß Blanfield und war Lieutenant.
"Dies ist doch der Wagen, mit dem Mister Jennings hier gekommen ist, nicht wahr?"
"Ja, richtig."
"Aber sehen Sie sich mal an, wie der Fahrersitz und die Rückspiegel eingestellt sind! Da muss jemand am Steuer gesessen haben, der mindestens meine Größe hat. Und Mister Jennings kommt da bestimmt nicht in die engere Auswahl!"
"Worauf wollen Sie hinaus?"
"Auf gar nichts. Noch nicht. Aber finden Sie das nicht merkwürdig?"
Blanfield verzog das Gesicht.
"Dann ist Jennings eben nicht allein gefahren..."
"...und hat seinen kräftig gebauten Beifahrer ans Steuer gelassen? Würde mich nur interessieren, wer das gewesen sein könnte..."
"Machen Sie sich ruhig Gedanken über solche Dinge, Mister. Aber glauben Sie mir, dies ist eine ganz einfache, brutale Geschichte. Jennings starb wahrscheinlich durch Rauchvergiftung. Mich interessiert nur, wer den Brand gelegt haben könnte..."
"Und ich frage mich, wieso Jennings ausgerechnet in dem Moment hier war, in dem so etwas passiert! Das sieht mir nicht nach Zufall aus!"
"Schickt sie eine Versicherung?"
"Ist das wichtig?" Blanfield musterte Bount abschätzig von oben bis unten und brummte dann: "Wer auch immer, Mister...Soll mir egal sein." Er zuckte die Achseln. "Dann ermitteln Sie mal schön, wenn es Ihnen Spaß macht."
"Was dagegen?"
"Nein. Aber Sie sollten mir nicht in die Quere kommen! Dann kann ich verdammt ungemütlich werden! Haben wir uns verstanden?"
"War ja ziemlich deutlich!"
Blanfield lachte heiser und murmelte dann: "Ihr Versicherungsleute seid doch immer die ersten Aasgeier, die bei so einer Sache auftauchen. Ihre Branche kann ich fünf Meter gegen den Wind riechen, Mister!"
Bount ließ Blanfield erst einmal in dem Glauben, dass irgendeine Versicherung ihn geschickt hatte. Vielleicht war der Lieutenant ja auskunftsfreudiger, wenn er glaubte, dass hinter seinem Gegenüber eine finanzstarke Organisation stand.
"Was wissen Sie darüber, wie das hier passiert ist?"
"Sie wollen darauf hinaus, dass Jennings seine Fabrik selbst angezündet hat, was?" Er lachte heiser.
"Solche Dinge kommen doch vor, oder?"
"Ja, aber gewöhnlich stellt man das dann so an, dass man nicht selbst dabei draufgeht!"
"Jennings wurde bedroht und von Unbekannten terrorisiert", stellte Bount fest, während Blanfield den Mund verzog.
"Ja, und er hat mich mit dieser Sache terrorisiert. Er konnte einfach nicht einsehen, dass die Polizei keine Wunder vollbringen kann und dass es verdammt nochmal auch noch ein paar andere Verbrechen in Paterson gibt, um die wir uns ebenfalls kümmern müssen!" Blanfield warf einen kurzen Blick zu Kathleen und Arthur hin, die etwas abseits standen und sich unterhielten. Es schien recht heftig dabei zuzugehen. Arthur packte seine Schwester am Arm. Sie riss sich los und gestikulierte mit den Armen. "Jetzt, da die Jennings-Kinder uns nicht hören können, kann ich es ja so offen sagen: Anthony Jennings war kein sehr sympathischer Mann!"
"Das gibt niemandem das Recht, ihn umzubringen!" Blanfield stutzte, sah Bount einen Augenblick lang nachdenklich an und nickte dann. "Sind Sie in Ihren Schlüssen nicht etwas voreilig, Mister..."
"Reiniger."
"Also die Sache stellt sich für mich so dar: Derjenige, der schon einmal versucht hat, hier alles anzuzünden, hat es heute noch einmal versucht und auch geschafft. Mister Jennings war unglücklicherweise hier, vielleicht weil er noch etwas zu tun hatte, und ist von den Flammen überrascht worden." Er zuckte mit den Schultern. "Natürlich müssen wir abwarten, was die Brandexperten sagen..."
"...und der Gerichtsmediziner."
Blanfield verzog säuerlich das Gesicht.
"Ja, der auch."
"Wo hat man Jennings gefunden?"
"Im Bürogebäude."
Bount machte eine Geste mit der Rechten und deutete dabei über das Gelände. "Wenn man hier einen solchen Brand legen will, muss das gut vorbereitet sein. Warum hat niemand etwas bemerkt? Gibt es keine Nachtwächter?"
Blanfield machte wegwerfende Handbewegung.
"Zwei waren besoffen", meinte er. "Und der Dritte erinnert sich nur noch daran, eins über den Schädel gekriegt zu haben. Als er aufwachte, war es viel zu spät, da konnte er nur noch sehen, dass er sein Leben rettete."
"Verstehe... Sagt Ihnen der Name Jeffrey Kramer etwas?"
"Sie sprechen von Jennings' Ex-Partner? Wir suchen nach ihm."
Bount lächelte dünn. "Viel Erfolg dabei!"
"Wenn Sie uns unsere Arbeit tun lassen und uns nicht dazwischenfunken, sehe ich nicht die geringsten Schwierigkeiten!", war Blanfields gallige Erwiderung. Das kann ja heiter werden!, dachte Bount. Der Kerl mochte ihn nicht, das war deutlich zu spüren. Ob er Privatdetektive im Allgemeinen nicht ausstehen konnte oder sich seine Abneigung speziell gegen Bount richtete, war nicht so ganz klar. Bount wandte sich ab und ging auf Kathleen zu, die nun allein dastand. Ihr Bruder Arthur war verschwunden. Bount ließ den Blick schweifen und sah ihn einen Moment später in eine Limousine steigen und davonfahren. Die junge Frau machte ein nachdenkliches Gesicht.
Als sie Bount bemerkte, versuchte sie zu lächeln und fragte: "Was werden Sie jetzt unternehmen?"
"Ich schlage vor, wir fahren zum Haus Ihres Vaters. Es muss einen Grund gehabt haben, dass er mitten in der Nacht auf dem Gelände war."
Kathleen nickte.
"Ja", sagte sie. "Merkwürdig ist das schon..." Sie sagte das auf eine Art und Weise, die vermuten ließ, dass es da noch etwas gab, dass sie Bount bisher noch nicht gesagt hatte.
"Sie können mit mir mitfahren!", bot Bount an.
"Nein, danke. Ich bin selbst mit dem Wagen hier. Sie können hinter mir herfahren!"
10
Arthur Jennings hatte seiner Mutter die schlimme Nachricht wohl schon überbracht, als Bount und Kathleen dort eintrafen.
"Wer hat Sie denn gerufen?", fragte Liz Jennings ziemlich gereizt, als sie Bount sah. Sie schien nicht besonders begeistert zu sein, ihn hier zu sehen. "Ich dachte, Sie sind auf der Jagd nach diesen Brandstiftern."
"Ich habe ihn angerufen", stellte Kathleen selbstbewusst fest. Bount ging gleich in die Offensive. "Haben Sie eine Ahnung, was Ihr Mann mitten in der Nacht auf dem Fabrikgelände gesucht hat?"
"Nein. Ich kümmere mich nicht um geschäftliche Dinge, Mister Reiniger. Und ich verstehe auch gar nichts davon." Sie zuckte mit den Achseln. "Ich war am Abend im Theater. Als ich zurückkam, war Anthonys Ferrari nicht vor der Tür. Ich dachte, er hätte ihn vielleicht in die Garage gefahren und bin ins Bett gegangen."
"Hat er das öfter gemacht? Ich meine, die Nächte in der Firma verbracht?"
"Die Firma war Anthonys Leben."
"Verstehe...", murmelte Bount.
"Nein, das glaube ich nicht." Sie seufzte. "Das hat außer ihm wohl niemand wirklich verstanden", setzte sie dann noch mit einem merkwürdigen Unterton hinzu. "Es war eine Art Besessenheit. Die Firma war wichtiger als alles andere. Und jeder, der in Anthonys Leben eine Rolle spielte, musste sich damit abfinden, dass der Part der ersten Geige schon besetzt war." Sie holte tief Luft. "Aber ich habe ihn dennoch geliebt!" Als Bount Liz Jennings so da stehen sah, stellte er fest, dass ihr Gesicht fast unbewegt geblieben war. Man konnte ihr nicht ansehen, wie es in ihr aussah. Aber so war sie eben. Eine Frau, die sich nicht in die Karten blicken ließ.
"Wo ist Warren?", fragte Bount. "War er die ganze Nacht hier?"
"Er wohnt hier im Haus. Vielleicht hat er etwas bemerkt. Soll ich ihn rufen?"
"Ja, bitte. Und wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mir gerne seinen Schreibtisch anschauen. Sein Telefonregister, na eben seine Privatsachen."
"Finden Sie das nicht etwas übertrieben, Mister Reiniger?"
"Sie sollten meiner Mutter erst etwas Zeit lassen, um mit der Situation fertig zu werden", meinte Arthur, der sich neben Liz Jennings gestellt hatte.
Bount runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern.
"Wenn man einer Spur nicht gleich nachgeht, besteht die Gefahr, dass sie kalt wird", meinte er. "Ich weiß, dass Sie alle jetzt anderes im Kopf haben. Aber ich glaube nicht, dass jemand von Ihnen möchte, dass derjenige ungeschoren davonkommt, der den Brand gelegt hat..."
Arthur Jennings verzog das Gesicht. "Natürlich nicht", beeilte er sich, rieb sich die Nase und wandte sich dann an seine Mutter. "Lass ihn doch nachschauen, wenn er will. Vielleicht kommt ja etwas dabei heraus."
"Na gut...", nickte Liz schließlich. "Sie werden mich jetzt bitte entschuldigen. Ich kann einfach nicht mehr..." Kathleen brachte Bount in das Arbeitszimmer des toten Anthony Jennings. Der Schreibtisch war vom Feinsten, aber fast begraben unter einem Berg von Zetteln und Mappen. "Er hat gerne zu Hause gearbeitet", meinte Kathleen dazu. "Und er hat nie irgendjemandem gestattet, Ordnung zu machen. Da war er sehr eigen."
Bount nahm sich das Telefonregister und blätterte darin herum. Indessen betrat Warren, der Majordomus den Raum.
"Mrs. Jennings sagte, Sie wollten mich sprechen", murmelte er auf seine steife Art und Weise.
"Ja, das ist richtig. Wann ist Mister Jennings zur Fabrik gefahren?"
"Gegen halb zwölf."
"Sind Sie sicher?"
"Ich nehme es an, weil ich den Ferrari-Motor gehört habe. Und mit dem Ferrari ist er immer nur selbst gefahren, also nehme ich an, dass er es war."
"Gesehen haben Sie ihn nicht?"
"Nein, das wäre von meinem Fenster aus auch schlecht möglich gewesen." Er hob ein wenig die Schultern und schien einen Moment lang nachzudenken. "Merkwürdig", überlegte er. Bount zog die Augenbrauen in die Höhe und horchte auf.
"Was ist merkwürdig?"
"Wahrscheinlich hat es keine Bedeutung, aber es ist mir aufgefallen. Mister Jennings hat den Wagen gestartet und dann den Motor abgewürgt. Wie ein Anfänger beim Fahrunterricht. Das hat mich schon etwas gewundert. Schließlich ist ihm das sonst nie passiert..."
"Könnte es sein, dass jemand anderes gefahren ist?"
"Wer sollte das gewesen sein? Mister Jennings hätte nie jemanden ans Steuer gelassen! Der Wagen gehörte zu den Dingen, die ihm gewissermaßen heilig waren."
"Mochten Sie ihn?"
"Er war ein komplizierter Mensch, wenn Sie verstehen, was ich meine! Wollen Sie noch irgendetwas wissen?" Der Privatdetektiv schüttelte den Kopf und legte das Telefonregister zur Seite. "Nein, im Augenblick nicht... Bount sah den misstrauischen Blick in Warrens Gesicht. Es schien ihm nicht zu passen, dass hier ein Fremder herumwühlte. Etwas zögernd verließ er dann den Raum.
"Wenn Ihr Vater die Firma von hier aus geleitet hat - hatte er dann nicht auch so etwas wie einen Privatsekretär?", erkundigte sich Bount.
Kathleen nickte.
"Natürlich hatte er das! Mich!"
Bount hob die Augenbrauen. "Die ganze Familie steckt also in der Firma drin."
"Ja. Mit Ausnahme meiner Mutter. Arthur ist für die technische Seite zuständig, ich habe dafür gesorgt, dass Dad nicht in seinem eigenen Chaos versank und Ray hat für das Marketing unserer Produkte die Verantwortung getragen."
"Ray?"
"Mein zweiter Bruder. Er ist zur Zeit auf Geschäftsreise." Kathleen seufzte. "Ich habe keine Ahnung, ob man ihn die furchtbare Nachricht schon erreicht hat."
Bount wühlte noch etwas auf dem Schreibtisch herum. Notizen oder ähnliches fand er nicht, jedenfalls nichts, was irgendwie aufschlussreich gewesen wäre. Dafür aber etwas anderes. Die Hülle eines vergoldeten Füllfederhalters mit dem Monogramm A.J.
Bount hob die Hülle hoch und hielt sie Kathleen hin.
"Kennen Sie das?"
"Ja, sicher. Es war irgendein Geburtsgeschenk. Ich glaube von Ray."
"Wissen Sie, wo der passende Füller ist?"
"Er muss hier irgendwo liegen..." Sie wollte schon anfangen zu suchen, aber Bount schüttelte den Kopf. "Lassen Sie es sein, er ist hier nicht."
Sie stutzte.
"Woher wollen Sie das wissen?"
"Ich habe ihn im Ferrari Ihres Vaters gesehen. Vorne, vor dem Beifahrersitz. Seltsam, nicht wahr? Wenn jemand einen Füller mitnimmt, dann doch wohl kaum ohne Hülle - schon um sich die Jacke nicht zu beschmieren."
Sie nickte. "Sie haben recht, Mister Reiniger. Haben Sie eine Erklärung?"
"Die muss noch etwas warten."
Bount wandte sich dann dem Telefon zu, nahm den Hörer ab und drückte die Wiederholungstaste, mit deren Hilfe die zuletzt angewählte Nummer noch einmal gewählt wurde.
Das Ergebnis war eine Überraschung. Nachdem Bount schon fast den Hörer auflegen wollte, meldete sich eine genervt klingende Stimme.
"Hallo?"
"Mit wem spreche ich?"
"Mit Jeffrey Kramer. Was wollen Sie?"
"Ich habe mich verwählt", murmelte Bount und legte auf. Er wandte sich an Kathleen. "Was kann Ihr Vater von Kramer gewollt haben?"
"Dads Ex-Partner? Keine Ahnung."
"Aber er war unzweifelhaft der Mann, mit dem er zuletzt telefoniert hat. Oder benutzt noch jemand diesen Apparat?"
"Nein."
Bount zuckte mit den Schultern. "Naja, wenigstens weiß ich nun, dass er heute mit Sicherheit zu Hause ist."
11
Bount schlug die Gelegenheit aus, sich von Warren ein Frühstück servieren zu lassen und nahm statt dessen nur eine Tasse Kaffee, um sich dann so schnell, wie möglich hinter das Steuer seines champagnerfarbenen 500 SL zu klemmen. Er wollte auf keinen Fall, dass ihm Jeffrey Kramer diesmal durch die Lappen ging.
Kathleen wollte ihn gerne begleiten, aber Bount brachte ihr so schonend wie möglich bei, dass er diesmal lieber allein unterwegs war. Ihre Gesellschaft war ihm angenehm und er mochte diese attraktive, selbstbewusste junge Frau, die genau zu wissen schien, was sie wollte. Aber bei dem was er vorhatte, war es vielleicht besser, wenn sie ihm nicht über die Schulter sah.
Jeffrey Kramer bewohnte ein Apartment in Paterson, dass sich wahrscheinlich vor allem dadurch auszeichnete, dass es nicht allzu teuer war.
Bount klopfte, aber es kam keine Reaktion.
"Mister Kramer? Ich weiß, dass Sie zu Hause sind! Machen sie bitte auf!"
Auf der anderen Seite der Tür tat sich noch immer nichts. Bount wartete kurz ab, versuchte es dann noch einmal und griff schließlich zu anderen Mitteln. Er holte ein Stück Draht aus seinem Zigarettenetui und öffnete damit die Tür. Es war ein preiswertes Schloss, ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen. Dutzendware, also. Für Bount kein besonderes Hindernis. Als er die Tür vorsichtig öffnete, blickte er in ein leeres, unaufgeräumtes Zimmer. Zwei Koffer lagen auf der Couch. Einer war geöffnet und enthielt Kleidung, die nicht gerade schonend zusammengelegt war. Bount schloss die Tür hinter sich. Sein Blick ging zu den beiden Türen, von denen eine vermutlich ins Schlafzimmer, die andere ins Bad führte. Neben dem schon ziemlich angejahrten Fernseher stand ein Aschenbecher. Die Zigarette, die dort in der Kerbe steckte, rauchte noch und das hieß, dass jemand hier war. Bount wandte den Blick herum und blickte direkt in die Mündung eines kurzläufigen Revolvers.
Vor ihm stand ein Mann von schwer zu schätzendem Alter. Irgendetwas zwischen 45 und 55 schätzte Bount. Er war hager und schmalbrüstig. Sein Gesicht hatte die ungesunde Farbe eines Kettenrauchers und seine mattblauen Augen mit den schweren Tränensäcken verrieten Angst.
"Ich würde Ihnen nicht empfehlen, auch nur die geringste Bewegung zu machen!", zischte er drohend.
Bount blieb gelassen.
"Legen Sie das Ding weg! Ich will nur mit Ihnen reden, Kramer!"
Jeffrey Kramer verzog das Gesicht zu einer bitteren Grimasse.
"Ja, das kann ich mir denken, wie dieses reden bei euch Schweinehunden aussieht! Nach der letzten Unterhaltung lag ich zwei Wochen im Krankenhaus!"
"Sie verwechseln mich, Kramer. Mein Name ist Bount Reiniger und ich habe Sie noch nie zuvor gesehen!"
"Ja, sie schicken immer wieder andere Gorillas..."
"Ich bin Privatdetektiv. Wollen Sie meine New Yorker Lizenz sehen?"
Bount wollte in die Manteltasche greifen, aber da spannte sein Gegenüber den Hahn des Revolvers und fuchtelte in bedenklicher Weise damit herum. Bount erstarrte mitten in der Bewegung und meinte: "Passen Sie auf, dass Ihr Ding da nicht losgeht. Sie machen mir einen ziemlich nervösen Eindruck..." Kramer kam etwas näher heran und atmete tief durch. "Sie täuschen sich", meinte er. "Ich bin ganz ruhig. Jedenfalls solange Sie tun, was ich Ihnen sage." Er streckte die offene Linke aus, während seine Augen Bount fixierten. "Zuerst geben Sie mir mal Ihr Schießeisen. Ihr Brüder habt doch alle eins unter der Jacke! Also los! Und keine Tricks, verstanden? Sonst blase ich Ihnen den Kopf weg!"
Bount tat, als hätte er die Aufforderung nicht zur Kenntnis genommen und meinte ungerührt: "Wussten Sie schon, dass Anthony Jennings' Papierfabrik heute Nacht ausgebrannt ist? Man wird sehen, wie viel am Ende noch davon übriggeblieben ist."
"Ihre Waffe, verdammt noch mal!"
"Jennings selbst hat es auch erwischt. Ich nehme an, dass Ihnen das nicht allzu sehr leid tut, schließlich soll er Sie in grauer Vorzeit mal übel über den Tisch gezogen haben!" Für eine Sekunde schien er baff zu sein. Bounts Worte hatten wie ein Schlag vor den Kopf gewirkt und schienen Kramer für den Bruchteil einer Sekunde zu lähmen. Das nutzte Bount, packte den Revolverarm seines Kontrahenten mit der Rechten und bog ihn nach oben, während die Linke als wuchtiger Haken kam, der Kramer rückwärts gegen die Wand taumeln ließ. Bevor er wieder beieinander war und seinen Revolver hochreißen konnte, hatte Bount längst die Automatic aus dem Schulterholster geholt und sie auf den am Boden Liegenden gerichtet. Jeffrey Kramer ließ sofort seine Waffe fallen. Bount trat hinzu und hob sie auf. Mit der Linken öffnete er die Trommel und ließ die Patronen auf den Boden klackern.
"Und was geschieht jetzt?", fragte Kramer matt. Bount zuckte mit den Schultern und steckte als Zeichen des guten Willens erst einmal seine Pistole weg. "Wer ist hinter Ihnen her? Die Schuldeneintreiber eines Buchmachers oder mit wem haben Sie sich angelegt?"
"Erraten."
"Ich bin an Ihrem Geld nicht interessiert", meinte Bount.
"Ich habe auch keines. Das ist mein Problem, wissen Sie!" Kramer seufzte und kam dann ächzend wieder auf die Beine.
"Was wollen Sie also dann, wenn Sie nicht hinter meinem Geld her sind?"
"Ich bin wegen dem Tod von Anthony Jennings hier."
Er zuckte mit den Schultern. "Soll ich Trauer heucheln?"
"Nein, es genügt mir schon, wenn Sie mir ein Alibi liefern können, das ich Ihnen abnehmen kann!"
In seinen Augen blitzte es. Bount sah, wie die große Ader an Kramers Hals pulsierte. "Einen Dreck werde ich! Was geht Sie das an, wann ich wo gewesen bin! Was wollen Sie tun? Mich über den Haufen schießen, wenn ich nicht mit Ihnen reden will!"
Bount zuckte mit den Schultern.
"Vielleicht können Sie sich bei mir noch auf die sture Art herauswinden, Mister Kramer. Wie gesagt, ich bin nur Privatermittler. Aber es wird nicht lange dauern, dann wird auch die Polizei Ihnen die Türen einrennen und spätestens dann werden Sie sich ein Alibi ausgedacht haben müssen." Bount ging ein paar Schritte und postierte sich so, dass Kramer das Apartment nicht verlassen konnte, ohne an ihm vorbei zu müssen.
"Wieso sollte die Polizei denken, dass ich die verdammte Fabrik angezündet habe?"
"Grund eins: die alte Geschichte."
Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und zeugte dabei zwei Reihen gelber Zähne. Dann suchten seine nervösen Finger nach irgendetwas in seinen Jackentaschen und fanden es schließlich auch. Eine Packung Zigaretten. Er nahm sich eine, zündete sie sich an und sog daran, als hinge sein Leben davon ab.
"Eine miese Geschichte war das", murmelte er. "Die halbe Stadt weiß es! Jennings hat mich zu einer Spekulation verleitet, die in die Hose gegangen ist. Er hat von Anfang an gewusst, dass die Sache faul war. Wahrscheinlich hat er sie mir auch nur deswegen schmackhaft gemacht und so getan, als würde er selbst auch in diese todsichere Sache investieren!" Er zuckte die Achseln. "Ich war immer schon ein Spieler, Mister..."
"Reiniger."
"Hören Sie, diese Sache ist lange her..."
"Sie haben sie aber immer noch nicht verwunden. Das wäre ein Motiv. Warum hat Jennings Sie eigentlich kurz vor seinem Tod noch angerufen?"
"Was?"
"Ihre Nummer war in der Wiederholungstaste gespeichert."
"Na und? Was besagt das schon!"
"Ich frage mich, welche Veranlassung Jennings hatte, Sie anzurufen. Gute Freunde waren Sie beide seit damals ja wohl kaum noch!"
Jeffrey Kramer lachte heiser.
"Das ist absurd", meinte er. "Ich war die letzten zwei Tage gar nicht in Paterson!"
Bount hob die Augenbrauen. "Sie haben sich bei Ihrem Arbeitgeber zwei Tage freigenommen, ich weiß..." Kramer hob seufzend die Arme. "Ich bin zwei Tage lang untergetaucht, weil mich Freunde aus Baltimore gewarnt haben."
"Kommen daher die Leute, die Ihnen auf den Fersen sind?"
"Ja. Deswegen bin ich auch von dort weggezogen und habe versucht, hier wieder fußzufassen."
"Trotzdem: Wo waren Sie?"
"Lassen wir das", erwiderte Kramer. "Jedenfalls habe ich dafür gesorgt, dass mich niemand gesehen hat. Also kein Alibi! Aber das heißt nicht, dass ich die Fabrik angezündet habe!"
"Was kann Jennings von Ihnen gewollt haben?"
"Keine Ahnung. Er hat mich doch offensichtlich nicht erreicht!"
"Aus heiterem Himmel ruft er Sie aber auch nicht an!"
"Also gut. Reiniger. Ich wollte Geld."
"Von Jennings?"
"Von seiner Frau."
"Das müssen Sie mir schon erklären, Kramer!" Seine Nasenflügel bebten ein wenig. Er streckte sich die Zigarette in den Mund, ließ sie kurz aufglimmen und brummte dann unwirsch: "So, muss ich das?"
"Sie sitzen ganz schön drin, Kramer. Lieutenant Blanfield bearbeitet den Fall und ich hatte bereits das zweifelhafte Vergnügen, mit ihm zusammenzustoßen. Er scheint mir nicht besonders kreativ zu sein und ist außerdem wohl noch hoffnungslos mit Arbeit überlastet."
"Was wollen Sie mir damit sagen?"
"Ganz einfach, Mister Kramer: Blanfield wird sich an den ersten besten halten, der sich als Verdächtiger anbietet. Und das sind Sie! Vielleicht ist es also besser, wenn Sie mir sagen, was Sie wissen und mit mir zusammenarbeiten!"
"Glauben Sie mir denn, dass ich unschuldig bin?"
Bount zuckte mit den Achseln. "Ich glaube noch gar nichts." Kramer überlegte einen Moment. In seinem Kopf schien es zu arbeiten. Schließlich hatte er sich entschieden und meinte:
"Okay, Reiniger. Ich gebe zu, dass ich ein Motiv gehabt hätte, Jennings' Fabrik anzuzünden..."
"...und ihn vielleicht auch umzubringen!"
"Wieso das? Ich dachte wir sprechen über einen Brand, bei dem jemand ums Leben gekommen ist!"
"Ja, das ist die eine Möglichkeit. Es könnte aber auch sein, dass Jennings zur Fabrik gelockt wurde oder dass er nicht freiwillig dorthin gefahren ist. Und dann könnte das ganze auch ein Mord sein!"
Kramer pfiff erstaunt. Das war ein Schlag, der gesessen hatte. Er ging zum Aschenbecher und drückte seine Zigarette aus.
"Sehen Sie, ich habe Mrs. Jennings erpresst. Oder besser: Ich habe es versucht."
"Womit?"
"Ich kann es ihnen ja jetzt, da Anthony tot ist, ruhig sagen. Sie hat einen Liebhaber. Ich bin in einer fürchterlichen finanziellen Klemme und wollte mich an Anthony Jennings wenden. Es war ein Akt der Verzweiflung, aber ich hatte praktisch keine Wahl. Es war ein Strohhalm - doch dann fand ich heraus, dass Liz Jennings einen Liebhaber hat... Es war Zufall, ich sah die beiden im Wagen sitzen, bin der Sache nachgegangen und machte ein paar Fotos. Sie sehen also, Reiniger: Wenn das Mord war, dann hat auch Mrs. Jennings ein Motiv."
Bount lächelte nachsichtig.
"Wenn Sie der Tote wären, ja. Aber es geht um Liz Jennings' Mann!"
"Reiniger, ich war damals Trauzeuge bei den beiden. Und ich weiß auch, mit welchen juristischen Tricks Anthony immer versucht hat, sich gegen alles nur Denkbare abzusichern. Zum Beispiel dagegen, dass seine Frau sich scheiden lässt und die Hälfte seines Vermögens einfordern kann!"
"Ein Ehevertrag also", schloss Bount.
Kramer nickte. "Richtig. Bei einer Scheidung bekommt sie so gut wie nichts. Wenn Anthony stirbt, gehört ihr ein Vermögen."
"Aber sie würde dann doch wohl kaum die Fabrik in Brand stecken, die sie nachher erben möchte, oder?"
"Was weiß ich! Jedenfalls bin ich nun wirklich nicht der Einzige, der etwas gegen ihn hatte."
"Wie ist denn Ihr Erpressungsversuch ausgelaufen?"
"Es war noch alles drin. Dachte ich jedenfalls, denn Liz musste auf jeden Fall verhindern, dass ihr Mann davon erfuhr. Aber wenn Anthony versucht hat, mich zu erreichen, dann hat er vielleicht von der Sache Wind bekommen."
"Was wieder für Sie als Brandstifter - und vielleicht auch Mörder - sprechen würde, Mister Kramer!"
"Herrgott nochmal!" Er feuerte wütend den Aschenbecher zu Boden, der aber ziemlich robust war und diese Behandlung schadlos überstand. "Was wollen Sie eigentlich? Mir mit aller Gewalt einen Strick um den Hals legen?"
"Nur, wenn Sie es auch verdient haben, Kramer! Nur dann! Hat Liz Jennings' Verhältnis auch Name und Adresse?"
"An seiner Tür steht Colin Rigg", murmelte er und nannte dann die Adresse. "Er ist Tierarzt."
Bount wandte sich Gehen. Er hatte den Eindruck, hier nichts mehr erfahren zu können, was ihn in dieser Sache weiterbrachte. Vielleicht war Kramer wirklich unschuldig, aber der Privatdetektiv konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sein Gegenüber ihm noch nicht alles gesagt hatte.
12
Chuck Porter wohnte in der dritten Etage eines Mietshauses und war einer der Nachtwächter, die für Jennings arbeiteten. Er war groß und blond und hatte ein kantiges Gesicht, dessen scharfe Konturen nur durch den ungepflegt wirkenden Oberlippenbart etwas gemildert wurden.
Porter stand im Morgenmantel da und schien gerade aus dem Bett zu kommen. Er musterte Bount misstrauisch, nachdem er die Tür halb geöffnet hatte. Und auch nachdem Bount sich vorgestellt hatte, blieb er reserviert.
"Was wollen Sie von mir, Reiniger?"
"Ich möchte gerne wissen, wie das heute Nacht passiert ist."
"Ich muss Ihnen nicht antworten, oder?" Er rülpste ungeniert.
"Ich finde, die Sache ist bei der Polizei in guten Händen."
"Das fand Ihr Boss nicht und deshalb hatte er mich engagiert."
Er grinste. "Schlecht für's Image, was? Ich meine, wenn der Klient einem so wegstirbt und..."
"Ja, Sie haben schon recht, Porter. Aber für das Image eines Nachtwächters ist es doch auch nicht gerade toll, wenn jemand die Fabrik anzündet, die er bewachen soll, oder?"
"Sie wollen mir sicher was anhängen, oder? Pflichtverletzung oder so etwas."
"Nein, ich möchte nur wissen, wie's passiert ist."
"Wer schickt Sie wirklich?"
"Ihr Boss, Mister Jennings, wie ich gesagt habe. Und jetzt suche ich den, der ihn auf dem Gewissen hat."
"Kommen Sie herein."
Bount wurde in einen Raum mit zusammengewürfelt wirkenden Möbeln geführt. Wäscheteile und benutztes Geschirr lagen herum. Und jede Menge Flaschen. Bier, Whiskey und alles was sonst noch gut, teuer und hochprozentig war. Porter räumte ein paar Sachen bei Seite und ließ sich auf die Couch fallen.
"Fassen Sie sich kurz, Reiniger. Es war keine schöne Nacht und mir brummt noch der Schädel. Ich habe nämlich einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen!"
"Wann war das?"
"Als ich mit meiner Runde dran war. Plötzlich kriege ich eins übergebraten und dann erinnere mich an nichts mehr. Das war's schon."
"Was war mit den anderen Nachtwächtern? Ich habe gehört, dass sie betrunken waren."
"Garry hatte Geburtstag, da haben wir einen gehoben. Der Boss hat uns ein paar Flaschen spendiert."
"Hat Mister Jennings das öfter gemacht?"
Porter zuckte mit den Achseln. "Hin und wieder."
"Und warum sind Sie nicht besoffen gewesen?"
"Weil ich mich beherrschen kann."
Bount grinste und deutete auf die leeren Flaschen. "Sieht hier nicht gerade aus wie bei einem Abstinenzler! Wer weiß, wovon Ihre Kopfschmerzen wirklich herrühren!" Chuck Porter beugte sich etwas vor, fasste sich an den Kopf und verzog das Gesicht. Er stöhnte leise. "Sie können denken, was Sie wollen. Aber im Dienst bin ich immer nüchtern." Bount ging zum Fenster und blickte hinab. Auf der anderen Straßenseite saß jemand in einem verbeulten Chrysler und schien zu warten. Er trug eine Schirmmütze und Sonnenbrille mit Spiegelgläsern, so dass von seinem Gesicht nicht viel zu sehen war. Bount schob die Gardinen ein wenig zur Seite. Der Mann blickte zu ihm hinauf.
"Kennen Sie den Kerl da unten?" fragte Bount an Porter gerichtet, ohne sich umzudrehen. Porter stand auf und trat neben Bount und sah aus dem Fenster. Er schüttelte den Kopf.
"Nein", meinte er. "Aber diesen verbeulten Chrysler habe ich schon einmal gesehen."
"Wo?"
"Tut mir leid, das fällt mir im Moment nicht ein. Kommen Sie wieder, wenn meine Kopfschmerzen weg sind!"
"Na, kommen Sie, strengen Sie sich ein bisschen an!" Porter atmete tief durch und blickte Bount müde an. "Ich glaube, er stand schon einmal hier in der Straße... Aber ich habe ihn auch schon in der Nähe der Fabrik gesehen!"
"Sind Sie sicher?"
Porter machte eine wegwerfende Geste. "Was weiß ich! Und was interessiert mich dieser Wagen, verdammt nochmal!"
13
Als Bount Porters Wohnung verlassen hatte und wieder ins Freie trat, schien der verbeulte Chrysler plötzlich leer zu sein. Von dem Kerl mit Sonnenbrille war nicht mehr zu sehen. Wenn er dort wirklich auf Beobachtungsposten stand, hatte er sich wahrscheinlich einfach nur geduckt.
Vielleicht sehe ich ja auch schon Gespenster!, dachte Bount, als er die Straße überquerte und sich von hinten an den Wagen heranmachte. Sein Blick fiel auf das Nummernschild dessen Beleuchtung augenscheinlich zerstört war.
Ein kurzer Blick ins Innere des Chryslers, dann riss er die Tür auf.
Der Kerl mit der Spiegelbrille erhob sich langsam aus seiner unbequemen Haltung und grinste schwach. Bount erkannte den Mann, noch bevor dieser die Brille abgenommen hatte. Es war niemand anderes als Jeffrey Kramer.
"So ein Zufall, was? Da macht man irgendein beliebiges Auto auf und trifft einen Bekannten!", feixte Bount.
"Ja, so ist das eben, Mister Reiniger!", zischte Kramer zurück.
"Was machen Sie hier?", fragte Bount.
"Ich wüsste nicht, was Sie das angeht! Ich tue nichts Verbotenes."
"Nein, aber etwas, dass mich nachdenklich werden lässt!"
"Ihr Problem, Reiniger!"
"Hinter wem sind Sie her? Hinter mir? Wissen Sie was, dann setzen Sie sich doch gleich bei mir auf den Beifahrersitz, dann können Sie auch sicher sein, dass Sie mich nicht verlieren!"
"Verzichte!"
"Was ist eigentlich mit den Leuchten an Ihrem Nummernschild passiert?"
"Mir ist jemand hinten hineingefahren, warum?"
"Weil die Nummernschildbeleuchtung des Brandstifters vermutlich auch nicht funktionierte."
Kramer schluckte. Sein sonst ziemlich farbloses Gesicht bekam plötzlich welche. Es dauerte zwei volle Sekunden, bis er sich wieder gefasst hatte. "Sie können mich mal, Reiniger!", knurrte er und startete den Chrysler.
14
Als Bount später noch beim zuständigen Polizei-Revier vorbeischaute, ließ Blanfield sich verleugnen. Vielleicht war er wirklich nicht da, aber es war genauso gut möglich, dass er nur einfach keine Lust hatte, sich mit einem Privatdetektiv unterhalten zu müssen.
Bount hätte gerne gewusst, ob es gerichtsmedizinisch schon irgendetwas Neues gab, das die Sache weiterbrachte. Aber selbst wenn es so gewesen wäre - wahrscheinlich hätte Blanfield freiwillig davon sowieso nichts verraten. Bount Reiniger hatte dann aber doch noch Glück im Unglück, als er an einen äußerst charmanten weiblichen Detective mit dunklen Locken und kurvenreicher Silhouette geriet.
"Sie scheinen nicht so starke Vorurteile gegen Privatdetektive zu haben, wie Ihr Boss!", meinte Bount zu der jungen Frau, die das mit einem reizenden Lächeln quittierte.
"Wer weiß, seien Sie sich da nur nicht zu sicher!", erwiderte sie dann. "Weiterhelfen kann ich Ihnen im übrigen auch nicht. Oder erwarten Sie vielleicht, dass ich Sie einfach an Blanfield Unterlagen lasse?"
Bount zuckte mit den Achseln.
"Warum nicht? Das wäre genau das, was ich jetzt brauchen könnte. Sie wissen nicht zufällig, ob im Fall Jennings schon was von der Gerichtsmedizin das ist?"
"Nein. Ich weiß kaum, was das für ein Fall ist, ich arbeite nämlich an einer anderen Sache. Am besten Sie warten, bis Blanfield zurückkommt!"
"Er mag mich nicht besonders."
Sie lächelte charmant und zeigte dabei zwei Reihen makelloser Zähne.
"Das ist Ihr Pech, Mister! Dann sollten Sie sich eben besser mit ihm stellen. Blanfield ist übrigens unterwegs zu den Jennings. Wenn Sie ihm nachfahren wollen."
Wenn Blanfield jetzt bei den Jennings war, dann konnte das nur heißen, dass es etwas Neues gab.
Bount grinste über das ganze Gesicht. "Vielen Dank", meinte er. "Sie haben mir sehr geholfen!"
Sie stemmte unterdessen die Hände in Hüften und warnte Bount: "Schauen Sie nicht so begehrlich zum Büro des Lieutenants! Was immer Sie sich da im Moment auch ausdenken mögen: Lassen Sie's lieber, sonst bekommen Sie eine Menge Ärger!"
"Und das Sie Ihre hübschen Augen einfach mal in eine andere Richtung blicken lassen, dass ist völlig ausgeschlossen?"
"Völlig! Ich bin eine loyale Polizistin und völlig immun gegen jede Art von Bestechung. Selbst gegen Ihren Charme, Mister!"
"Wie schade!"
Bount zuckte mit den Achseln, wandte sich zum Gehen und blickte geradewegs in Blanfields entsetztes Gesicht. Der Lieutenant hatte gerade das Büro betreten und dabei zuviel Schwung gehabt. Jetzt konnte er sich nicht mehr an Bount vorbeidrücken.
Mit missmutigem Gesicht zog er sich den Mantel aus, während Bount direkt auf ihn zuhielt.
"Das trifft sich ja gut, Blanfield."
"Nicht schon wieder Sie, Reiniger!"
Bount folgte Blanfield bis in dessen Büro. Der Lieutenant warf ärgerlich seinen Mantel in eine Ecke und knurrte: "Was wollen Sie?"
"Ihnen einen Vorschlag machen."
"Bitte! Ich gebe Ihnen zehn Sekunden!"
"Wie wär's, wenn wir aufhören gegeneinander zu arbeiten, Blanfield."
Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. "War das alles? Von Ihren zehn Sekunden sind mindestens fünf schon um."
"Sagen Sie mir, was Sie wissen und ich sage Ihnen, was ich herausgefunden habe."
Blanfield lachte heiser. "Ein Deal? Vergessen Sie's!"
"Darf ich mal raten? Jennings Tod hat sich als eiskalter Mord herausgestellt?"
Blanfield war ziemlich perplex. Das Kinn fiel ihm herunter und sein Mund blieb ein paar Sekunden lang offen.
"Woher wissen Sie das?"
"Instinkt."
"Reden Sie keinen Unfug." Er trat nahe an Bount heran, musterte ihn einen Augenblick lang in einer Art und Weise, die eine Art Eingeständnis war, dass er den Privatdetektiv unterschätzt hatte und meinte dann: "Jennings starb nicht am Rauch, wie wir erst vermutet hatten. Schon heute Nacht meinte der Arzt, dass da ein paar Ungereimtheiten seien. Anthony Jenning wurde vergiftet. Er bekam eine Injektion."
"Fachmännisch?"
"Ja, ziemlich, sonst hätte der Arzt es auch eher gemerkt. Das ist das Erstaunliche! Kein Bluterguss oder so etwas."
"Und das Gift?"
"...wird häufig von Tierärzten verwendet. Zum Einschläfern. Es wirkt sehr schnell. Hier ist der Bericht, da steht die Zusammensetzung genau erläutert." Er verengte ein wenig die Augen und fuhr dann nach kurzer Pause fort: "So, Reiniger und jetzt sind Sie dran!"
"Jennings wurde vermutlich schon umgebracht, bevor er zur Fabrik aufbrach!"
Blanfield runzelte die Stirn. "Und woher wollen Sie das wissen? Auch Instinkt?"
"Dieser Warren hat mir gesagt, dass Jennings den Motor seines Ferrari abgewürgt hätte, als er losfuhr. Ich vermute, dass Jennings gar nicht mehr selbst gefahren ist. Sein Sportwagen hat ein Schaltgetriebe, derjenige, der Jennings' Leiche zur Fabrik gebracht hat, war vermutlich nur Automatikwagen gewohnt und hatte daher seine Schwierigkeiten. Haben Sie den Ferrari übrigens sichergestellt?"
"Ja. Ich komme gerade von den Jennings. Ein paar von meinen Leuten sehen sich gerade im Haus um."
"Der Tatort dürfte Jennings' Arbeitszimmer sein", behauptete Bount im Brustton der Überzeugung. Er holte die goldene Füller-Hülle aus der Tasche. "Das lag auf dem Schreibtisch. Der dazugehörige Stift befand sich vorne im Wagen, als Sie mich dort erwischt haben! Jennings saß am Schreibtisch, als er die Injektion bekam. Den Stift muss er gerade in der Hand gehalten haben, als er die Spritze bekam. Es muss sehr überraschend geschehen sein. Entweder hat er den Mörder so gut gekannt, dass er ihm nicht misstraute, oder er hat ihn nicht bemerkt."
"Als meine Leute den Wagen heute untersucht haben, war nichts darin, dass zu dieser Hülle passen würde. Das wäre mir aufgefallen."
"Dann hat ihn jemand an sich genommen. Dutzende hatten Gelegenheit dazu. Ich konnte mich ja schließlich auch unbehelligt ans Steuer setzen."
Bount legte Blanfield die Hülle auf den Tisch und dieser betrachtete sie nachdenklich.
Bount nickte. "Ja, Jennings saß vermutlich am Schreibtisch und hatte den Füller in der Hand, als er getötet wurde. Dann wurde die Leiche in den Wagen gebracht und zur Fabrik gefahren. Wahrscheinlich wusste der Mörder, dass die Fabrik in dieser Nacht brennen würde und wollte das ausnutzen. Haben Ihre Leute übrigens Spuren eines Einbruchs gefunden?"
"Wird noch untersucht", knirschte Blanfield.
15
Colin Rigg war in seiner Tierarztpraxis nicht aufzutreiben, aber die hübsche Dunkelhaarige, die derweil seine Praxis bewachte, war so freundlich, Bount zu sagen, wo der Doktor sich gegenwärtig befand.
Dr. Rigg spritzte gerade ein paar Pferde in einem nahegelegenen Rennstall und Bount hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun, als in seinen Mercedes zu steigen und sich dorthin aufzumachen. Nach der Wegbeschreibung der Dunkelhaarigen, war es auch nicht schwer zu finden. Bount brauchte kaum zwanzig Minuten, ehe er die etwas außerhalb gelegene, kleine Trainingsrennbahn mit den dazugehörigen Stallungen und Gebäuden auftauchen sah.
Ein paar teure Schlitten waren davor geparkt worden und Bount stellte seinen dazu. Der 500 SL passte ganz gut in die Reihe, fand er.
Das Gelände war nur notdürftig abgesperrt. Die Pforte stand offen und Bount ging einfach hindurch. In der Nähe der Stallungen sah er dann einen Pulk von Leuten in Schlips und Kragen stehen, die eine pechschwarze Stute umringten. Die meisten von ihnen machten von ihrem Outfit her nicht den Eindruck als wären sie Reiter oder Tierpfleger. Sie stierten alle auf den breitschultrigen Mann mit der Halbglatze, der sich an der Hinterhand des edlen Tieres zu schaffen machte. Das musste Dr. Colin Rigg sein.
Bount trat zu der Gruppe heran, wurde aber von der Gruppe kaum zur Kenntnis genommen. Diese Leute schienen Wichtigeres im Kopf zu haben und sich untereinander offenbar auch nicht besonders gut zu kennen, so dass ein Fremder hier nicht weiter auffiel.
"Wie ist das, Doc? Werden Sie ihn hinbekommen bis zum Rennen?", nörgelte ein ziemlich dicker Mann mit dunklem Schnauzbart.
Rigg blickte auf und erwiderte ärgerlich: "Ich habe getan, was ich konnte. Vielleicht klappt es, vielleicht auch nicht."
"Wir haben eine Menge Geld investiert", meinte jemand anders. "Wenn der Gaul nicht läuft, geht ein Teil davon verloren!"
Colin Rigg ließ die Hinterhand der schwarzen Stute los und erhob sich. "Was erwarten Sie? Dass ich Wunder vollbringe?" Ein Pfleger nahm das Pferd mit sich und führte zu seiner Box, während sich der Haufen der gut angezogenen Männer langsam aber sicher aufzulösen begann.
Dr. Rigg ordnete seine Sachen und wollte ebenfalls gehen. Dann fiel sein Blick auf Bount. "Stimmt etwas nicht?"
"Ich hätte Sie gerne einen Moment gesprochen, Dr. Rigg", eröffnete der Privatdetektiv und trat zu Rigg heran. Dieser zuckte mit den Schultern.
"Für den Gaul habe ich alles getan, was ich konnte. Und wie gesagt: Hexen kann ich nicht! In den nächsten fünf Tagen ist Training für das Tier absolut tabu. Ob er dann beim Rennen fit genug sein wird, um eine Chance zu haben, das liegt nicht in meiner Hand!"
"Ich komme nicht wegen der schwarzen Stute!"
"Aber..."
"Sagen Sie, kommt es auch schon mal vor, da Sie so ein Tier einschläfern müssen?"
Der Tierarzt runzelte kurz die Stirn. "Natürlich, das gehört auch zu meinem Job!"
"Was spritzen Sie dann?"
Seine Augen verengten sich ein wenig. Ein Muskel zuckte in seinem Gesicht, während er sei Gegenüber mit einer Mischung aus Verwunderung und Unbehagen anstarrte. "Ich habe verschiedene Präparate in meiner Praxis, aber was soll diese Fragerei eigentlich?"
"Wo waren Sie heute Nacht?"
Jetzt riss Colin Rigg aber endgültig der Geduldsfaden. "Hören Sie, Mister, sind Sie von der Polizei oder was gibt Ihnen das Recht zu diesem Verhör?"
Bount lächelte. "Ich hatte eigentlich gedacht, dass wir es dabei belassen, dass ich die Fragen stelle und Sie antworten..." Rigg seufzte. Er verzog das Gesicht und musterte Bount einmal von oben bis unten und meinte dann: "Ich werde keinen einzigen Ton mehr sagen, ohne dass ein Anwalt dabei ist! Haben Sie mich verstanden?"
"War ja laut genug!"
"Und wenn Sie wirklich von der Polizei wären und etwas gegen mich vorläge, hätten Sie mir längst Ihre Marke unter die Nase gehalten und mir irgendeinen Wisch gezeigt, auf dem zu lesen ist, was Sie alles dürfen!"
"Mein Name ist Reiniger und ich bin Privatdetektiv."
Rigg ruderte mit den Armen. "Das wird ja immer besser! Wer schickt Sie? Wer will mir da wieder etwas anhängen? Vielleicht diese verdammten Tierschützer, die behaupten, ich würde Pferde zu Tode spritzen? Dann bestellen Sie denen mal, dass Sie sich langsam mal einen anderen suchen könnten, auf den sie sich bei ihrer Kampagne einschießen! Ich bin es leid!" Er nahm seine Tasche und ging, aber Bount folgte ihm. Seine Schritte waren eilig und so hatte er nur Augenblicke später seinen Wagen erreicht, einen viertürigen BMW.
Er hatte gerade den Schlüssel im Schloss herumgedreht, um die Fahrer-Tür zu öffnen, da sagte Bount: "Ich arbeite im Auftrag von jemandem, der Ihnen ein Begriff sein dürfte, Mister Rigg."
Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
"Wer sollte das sein? Ich glaube kaum, dass wir in denselben Kreisen verkehren. Ihre Rotznäsigkeit wäre mir sonst sicher schon aufgefallen!"
"Der Name Anthony Jennings sagt Ihnen also gar nichts?" Jetzt hob der Tierarzt die Augenbrauen und wandte sich zu Bount herum.
"In der Morgenzeitung stand, dass er bei dem Großbrand in seiner Fabrik umgekommen ist! Wie können Sie für einen Toten arbeiten und was habe ich mit Jennings zu tun?"
"Als er mich beauftragte, lebte er noch", erwiderte Bount kühl. "Und außerdem sind die Morgenzeitungen auch nicht immer auf dem neuesten Stand. Jennings starb nämlich nicht durch den Brand, sondern durch ein Gift, mit dem normalerweise Tiere eingeschläfert werden. Na, klingelt es jetzt bei Ihnen?"
Es klingelte, das konnte Bount ihm deutlich ansehen. Trotzdem versuchte er weiterhin, so zu tun, als würde ihn die ganze Sache gar nichts angehen. Er zuckte mit den Schultern.
"Warum kommen Sie da zu mir? Ich schätze, es gibt noch ein paar andere Tierärzte in Paterson und Umgebung. Aber auch für andere Leute ist es keine besondere Schwierigkeit, an diese Sachen heranzukommen, wenn sie es wirklich wollen! Da gibt es tausend Wege!"
Bount nickte. "Mag sein, aber Ihrer ist besonders kurz! Der geht nämlich nur bis zum Medikamentenschrank in Ihrer Praxis! Zudem kennen Sie ja Mrs. Jennings ziemlich gut, wie ich gehört habe. Womit wir bei Ihrem Motiv wären!" Riggs' Gesicht wurde zu einer eisigen Maske.
"Sie nehmen sich eine Menge heraus, Reiniger!" Die Art, wie er den Namen aussprach, war schon so etwas wie eine Art Drohung, aber Bount zeigte sich wenig beeindruckt. Er zuckte mit den Schultern.
"Ich mache nur meinen Job. Und das so gut wie möglich." Riggs lachte heiser. "Es ist nicht zu fassen!", zischte er. "Wie auch immer, ich habe keine Lust, mich länger mit Ihnen zu unterhalten!"
Ein zäher Brocken, dachte Bount.
Dann hörte er in seinem Rücken Schritte, wandte sich herum und sah zwei Männer, die ihrer Kleidung nach zu den Tierpflegern gehörten. Beide waren und kräftig und standen mit vor der Brust verschränkten Armen und misstrauischen Gesichtern da. "Schwierigkeiten, Dr. Riggs?" Die beiden traten näher und standen schließlich kaum einen Meter hinter Bount.
Riggs blickte kurz zu ihnen hinüber und dann wieder zu Bount. Etwas begann in seinen Augen zu leuchten. "Dieser Kerl wollte mich für ein paar Riesen kaufen, damit ich dafür sorge, dass die edle Stute da im Stall nie wieder bei einem Rennen startet....", log er frech und setzte dann noch grinsend hinzu: "Das dürfte euren Boss sicher interessieren." Ehe Bount etwas unternehmen konnte, spürte der Privatdetektiv, wie er roh von zwei Seiten gepackt wurde, während Dr. Riggs sich in aller Ruhe ans Steuer setzte, den BMW zurücksetzte und dann davonbrauste.
Bount fluchte und versuchte, sich loszureißen, aber die beiden Kerle hielten ihn mit eisernem Griff.
Der eine von ihnen grinste und zeigte dabei eine Zahnlücke oben links. Er trug einen Bürstenhaarschnitt, was ihm zusammen mit seinem kompakten Körperbau etwas Grobschlächtiges gab. "Ich hab' mir gleich gedacht, was das wohl für ein komischer Vogel ist!", knurrte er. "Steht nur herum und glotzt."
Der andere hatte lockiges Haar und einen sehr dunklen Teint. Er griff Bount mit der freien Hand unter die Achsel und zog ihm dann die Automatic aus dem Schulterholster. Während er die Waffe in der Hand wog, verzog er triumphierend das Gesicht und setzte sie Bount dann an die Schläfe.
"Wer schickt Sie?", fragte der dunkle Lockenkopf. Bount verfluchte den Tierarzt innerlich. Jedenfalls war der Kerl nicht auf den Kopf gefallen und hatte seine Chance im richtigen Moment eiskalt ausgenutzt. Und jetzt Bount erst einmal sehen, wie er da wieder herauskam.
"Riggs hat Ihnen ein Bären aufgebunden!", sagte Bount, obwohl er im Grunde wusste, dass es sinnlos war.
"Natürlich!", meinte der mit der Zahnlücke. "Sie sind Rotkäppchen - und ich der Kaiser von China!" Er drehte Bount den Arm so brutal herum, dass der Privatdetektiv unwillkürlich aufstöhnte. "Du bist nicht der erste, der so etwas versucht, Kleiner!"
"Aber der erste, den wir erwischt haben!", ergänzte der Lockenkopf.
"Der Doc wollte mich einfach nur loswerden", erklärte Bount. "Und da hat er sich gedacht, dass ihr ihm den Gefallen bestimmt tun werdet!"
"Lassen wir den Boss die Sache entscheiden!", meinte der mit der Zahnlücke.
"Der ist doch gerade weg!"
"Dann bleibt unser Freund eben so lange hier! Ganz einfach!"
Mit der Automatic in der Hand schien sich der Lockenkopf sehr sicher zu fühlen. Außerdem, schien zu glauben, dass Bounts Widerstandsgeist längst erlahmt war. Aber dem war nicht so. Die beiden führten Bount ab Und dabei lockerten sich ihre Griffe.
Das war Bounts Chance. Er riss sich los und ließ die Fäuste blitzschnell zur Seite fliegen. Der mit der Zahnlücke klappte ächzend zusammen, nachdem er Bounts Ellbogen in den Magen bekommen hatte. Bount bog dem Lockenkopf den Arm mit der Automatic nach oben, während sich ein Schuss löste. Ein Faustschlag ließ die Hand erschlaffen, die sich noch immer um den Pistolengriff krallte und Bount konnte sie ihm abnahmen. Da war der andere allerdings schon wieder auf den Beinen und hatte sich halbwegs von Bounts Schlag erholt. Der Kerl war blitzschnell und versuchte Bount, von hinten in den Würgegriff zu nehmen.
Bount hebelte ihn kurzerhand aus und ehe sich der Kerls versah, lag er mit dem Rücken auf dem Schotter und blickte direkt in Bounts Pistolenmündung.
"Schön ruhig bleiben, Leute!"
Sie schienen beide wie erstarrt. Der Arzt war Bount durch die Lappen gegangen, da war nichts mehr zu machen.
Wahrscheinlich hatte er nichts Eiligeres zu tun, als sich mit seiner Freundin Liz Jennings zu besprechen, was Bount zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht so recht war. Schließlich wusste Bount ja noch nicht, welche Rolle die Witwe in diesem mörderischen Spiel übernommen hatte.
Der Privatdetektiv ging zu seinem Wagen und stieg ein, während die beiden Kerle sich wieder aufrappelten. Bount sah sie wenig später im Rückspiegel wütend gestikulieren.
16
Als Bount am nächsten Tag beim Haus der Jennings eintraf, schien sich allerdings niemand besonders über sein Auftauchen zu freuen. Warren, der Majordomus nicht, der ihn erst gar nicht hereinlassen wollte und den Bount einfach stehen ließ, Liz Jennings nicht, die ihn mit einem misstrauischen Blick musterte, als er in das Empfangszimmer platzte und auch Arthur nicht, der sich wieder an den Druckstellen seiner schweren Brille kratzte. Und dann war da noch jemand: Ein kräftig gebauter Mann im grauen Zweireiher. Er stand neben Liz Jennings, die Bount mit einem kühlen, unbestimmten Blick musterte. Vom Alter schätzte Bount, dass es sich bei dem Grauen um den zweiten Jennings-Sohn Ray handelte.
Einzig und allein Kathleen schenkte ihm einen freundlichen Blick, aber auch ihr Lächeln war nur kurz und sehr verhalten. Es schien eine Art Zusammenkunft zu sein, in die Bount da unvermittelt hineingeplatzt war. Und sie blickten ihn an wie die Mitglieder einer Geschworenen-Jury, die gerade jemanden zu fünfmal lebenslänglich verurteilt hatte.
Der Mann im grauen Zweireiher wollte als erster etwas sagen, aber Liz fasste ihn am Arm und hielt ihn zurück. "Lass nur, Ray. Das mache ich schon", meinte sie, trat etwas näher an Bount heran und meinte dann: "Ich will es so kurz wie möglich machen: Ihr Auftrag ist hiermit beendet, Mister Reiniger." Bount pfiff durch die Zähne.
"Wollen Sie gar nicht wissen, was ich inzwischen herausgefunden habe?"
"Nein. Sie wissen, dass ich von Anfang an nichts davon gehalten habe, jemanden wie Sie hinzuzuziehen. Und die Aufklärung des Mordes an meinem Mann ist bei Lieutenant Blanfield in besten Händen. Anthony mochte ihn nicht, ich weiß. Aber er mochte viele Leute nicht und hat sich in seiner Einschätzung oft geirrt..." Sie wandte ein wenig den Kopf.
"Schreib ihm den Scheck aus, Ray."
Ray Jennings' Gesicht blieb kühl. Er gehorchte seiner Mutter, aber Bount glaubte ihm anmerken zu können, dass die ganze Sache vorher mit ihm abgesprochen worden war.
Einen Augenblick später hatte Bount sein Honorar in der Hand. Es fiel großzügig aus. Zu großzügig, wenn man mit einrechnete, dass der Fall noch lange nicht abgeschlossen war und Bount auch noch nicht besonders lange daran arbeitete. Bount hatte das untrügliche Gefühl, dass ihn die Summe in erster Linie dazu bringen sollte, die Geschichte abzuhaken. Aber sie bewirkte das Gegenteil. Sie machte ihn noch misstrauischer.
"Ich habe den Auftrag nicht von Ihnen, Mrs. Jennings, sondern von Ihrem Mann. Außerdem bezog er sich ursprünglich auf die Brandstifter."
"Mein Mann ist tot", erklärte Liz Jennings ziemlich ungerührt. "Und jetzt bestimme ich! Ihr Auftrag ist zu Ende und über Ihr Honorar können Sie sich nicht beklagen. Was das Feuer angeht, habe ich mich inzwischen auch ein bisschen kundig gemacht, Mister Reiniger..."
Bount hob die Augenbrauen.
"Ach, ja?"
"Es ist gar nicht ausgemacht, dass es sich wirklich um Brandstiftung gehandelt hat. Ebenso gut wäre möglich, dass irgendein Elektroaggregat durchgeschmort ist... Jedenfalls sagten das die Brandexperten der Feuerwehr."
"Ist das vielleicht für Ihre Feuerversicherung von Bedeutung?", fragte Bount.
Liz warf den Kopf in den Nacken und erwiderte pikiert: "Nein, ist es nicht, wenn Sie es unbedingt genau wissen wollen."
"Ihr plötzlicher Entschluss hat nichts damit zu tun, dass vielleicht ein Tierarzt namens Colin Rigg sich bei Ihnen beschwert hat?"
Sie schluckte. Liz verlor für den Bruchteil eines Augenblicks die kühle Selbstbeherrschung, die sie sonst so auszeichnete. Bount schien da den wunden Punkt erwischt zu haben. "Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Mister Reiniger..."
"Ich rede von dem Mann, der Ihr Liebhaber ist und aus dessen Giftschrank die tödliche Injektion kommen könnte..." Jetzt mischte sich Ray Jennings ein. Irgendwie schien ihm die Gefahr zu groß zu sein, dass seiner Mutter die Situation entglitt.
"Sie sind draußen, Reiniger. Akzeptieren Sie das! Mein Vater hat Sie engagiert, meine Mutter Sie ausgezahlt. Die Sache ist damit für Sie zu Ende. Sie sollten zufrieden sein! Das ist 'ne Menge Geld für wenig Arbeit. Selbst für Sie! Warum nehmen Sie nicht einfach Ihren Scheck und machen sich ein paar schöne Tage davon?"
Bount zuckte mit den Schultern. Da war nichts zu machen. Er steckte den Scheck ein und wandte sich zum Gehen.
"Wie auch immer, die Sache stinkt zum Himmel", murmelte er.
"Was meinen Sie damit?"
Es war Rays Stimme. Sie klang jetzt sehr scharf und durchschnitt die Stille wie ein Messer. Bount wandte sich noch einmal herum.
"Genau das, was ich gesagt habe", gab er zurück. Rays Augen wurden zu schmalen Schlitzen. "Ich gebe Ihnen den guten Rat, nicht in Sachen herumzubohren, die sich nicht mehr angehen, Reiniger! Haben wir uns verstanden?"
"Ich verstehe sehr gut, Mister Jennings!" Und damit war Bount auf und davon. Warren wollte ihn hinausbegleiten, aber Bount wehrte ab. "Bemühen Sie sich nicht, ich finde selbst den Weg!"
Als Bount dann hinaus ins Freie trat und die Stufen des protzigen Portals hinabstieg, hatte er das ungute Gefühl, für irgendetwas benutzt worden zu sein. Wie ein Papiertuch. Jetzt hatte er ausgedient und konnte gehen. Und der Scheck sollte ihm dabei den Mund stopfen. Bount stoppte einen Moment, um sich eine Zigarette anzuzünden.
Er hasste dieses Gefühl.
Dann bemerkte er, dass ihm jemand gefolgt war. Es war Kathleen. Sie rieb die Hände unsicher aneinander, als sie auf Bount zutrat. Dann blickte sie sich kurz um.
"Was wollen Sie noch?", fragte Bount.
Sie sprach sehr leise, als sie ihm antwortete. "Wir müssen unbedingt miteinander sprechen, Mister Reiniger!"
"Bitte! Meinetwegen! Schießen Sie ruhig los!"
"Nein, nicht hier. Ich kann nicht vor fünf Uhr heute Nachmittag. Kommen Sie dann zu meiner Wohnung!" Sie nannte ihm eine Adresse in Paterson, aber Bount winkte ab.
"Sie haben doch gehört, ich bin aus der Sache heraus!"
"Für die da ja!" Sie deutete mit der Hand hinter sich. "Aber ich möchte, dass Sie weitermachen und herausfinden, wer meinen Vater umgebracht hat. Diesmal in meinem Auftrag!"
"Ich habe langsam das Gefühl, von Ihrer ehrenwerten Familie für dumm verkauft zu werden, Lady. Und so etwas mag nicht."
"Bitte!" Sie wollte noch etwas sagen, verstummte dann aber abrupt, als Warren hinter ihr auftauchte. "Leben Sie wohl, Mister Reiniger!", sagte sie dann so laut, dass Warren es auf jeden Fall hören musste. Sie wandte sich um und ging zurück ins Haus, während Bount von dem Majordomus mit einem finsteren Blick bedacht wurde.
17
Jeffrey Kramer stellte seinen verbeulten Chrysler am Straßenrand ab und ging dann zu der Snack Bar, um etwas zu essen. Ihm knurrte schon eine geraume Weile der Magen, aber er hatte einfach keine Zeit gehabt, etwas zu sich zu nehmen. Jetzt schlug er ordentlich zu. Drei Hamburger stellte er vor sich auf einen der schmuddeligen Tische, an den er sich dann setzte. Dazu noch eine Tasse Kaffee und einen Milchshake. Eine etwas eigenwillige Zusammenstellung, aber sie entsprach eben seinem Geschmack.
Aber Kramer sollte nicht allzuviel Freude an diesem Menü haben. Er hat gerade den ersten Bissen genommen, da sah er einen kräftig gebauten Mann mit Baseballmütze zur Tür hereinkommen, dessen Anblick Kramer unwillkürlich frösteln ließ.
Der Eingetretene fixierte Kramer mit seinem Blick und grinste zynisch. Während er näher kam, stieg in Kramer die Panik hoch. Der Puls schlug ihm bis zum Hals. Er legte den Hamburger aus der Hand und wusste doch insgeheim, dass es zu spät war.
Er versuchte es trotzdem, denn er hatte nicht die geringste Lust, die nächsten Tage im Krankenhaus zu verbringen. Etwa eine Sekunde lang hatte Kramer wie erstarrt an seinem Platz gesessen, aber jetzt war er endlich aufgewacht und sprang auf, um zu fliehen. Aber da war etwas, das ihn roh niederdrückte. Zwei mächtige, behaarte Pranken stießen ihn unsanft zurück. Kramer wandte halb den Kopf und blickte in das von gleichmäßiger Solarien-Bräune überzogene Gesicht eines Dunkelhaarigen, dessen rechtes Auge Kramer triumphierend ansah. Das Linke war aus Glas.
"Schön ruhig bleiben, Kramer!", murmelte die Reibeisenstimme des Einäugigen.
"Du hast uns doch wohl noch nicht vergessen, was?", röhrte der Kerl mit der Baseballmütze. "So lange ist es doch noch gar nicht her, dass wir in Baltimore ein nettes Zusammentreffen hatten!" Er lachte hässlich und Kramer saß ein Kloß im Hals.
"Dich hat jemand gewarnt, was? Scheint, als hättest du doch noch Freunde in Baltimore, was mich eigentlich wundert", meinte dann der Einäugige, während sein vorschnellender Ellbogen den Pappbecher mit dem Kaffee kippte. Die heiße, braune Brühe lief über den Tisch und dann Kramer über die Beine. "Wer will schon der Freund von einer Kanalratte wie dir sein?", meinte der Einäugige dann kalt. Er setzte sich neben Kramer.
"Hören Sie!", keuchte dieser, während er sich hilfesuchend umsah. "Ich bringe Ihnen das Geld!"
"Wann! Jetzt?"
"Morgen!"
Der flache Handrücken des Einäugigen kam blitzschnell und fuhr Kramer mitten ins Gesicht, so dass das Blut aus der Nase schoss.
"Du willst uns für dumm verkaufen, Kramer. Und das mögen wir nicht!"
"Es ist die Wahrheit!"
Wahrscheinlich hätte Kramer gleich den nächsten Schlag bekommen, aber eine junge Frau, die eine Schürze mit dem Emblem der Snack Bar trug, kam in bedenkliche Nähe. Sie war gerade dabei, einen Tisch abzuwischen und das Plastikgeschirr eines vorhergehenden Gastes abzuräumen und starrte nun auf das merkwürdige Trio.
"Was glotzen Sie so!", rief ihr der Einäugige zu.
"Nichts!", sagte sie, während ihr Blick bei Kramers blutender Nase hängen blieb. Ihr Stirnrunzeln sagte alles.
"Bring unserem Freund hier mal eine Serviette. Er hat etwas Nasenbluten!", wies sie der Kerl mit der Baseballmütze grinsend an und sie gehorchte. "Nichts Ernstes. Das hat er manchmal." Sie reichte eine Serviette.
Und dann nahmen sie Kramer in die Mitte und führten ihn durch den hinteren Eingang der Snack Bar in einen tristen Hinterhof. Kramer wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich zu wehren. Er presste sich die Serviette gegen die Nase. Ein rostiger Lieferwagen stand da und der Kerl mit der Baseballmütze schleuderte Kramer mit einer kräftigen Bewegung dagegen. Kramer schnappte nach Luft.
"Das mit dem Geld stimmt wirklich!", behauptete er dann japsend, ohne damit bei den beiden anderen besonders viel Eindruck schinden zu können. "Ehrlich! Ich will euch nicht reinlegen!"
"So wie das letzte mal, ja?", höhnte der Einäugige. "Da bist du bei Nacht und Nebel einfach verschwunden und wir hatten hinterher eine Menge Arbeit damit, dich wieder aufzuspüren!"
"Diesmal nicht!"
Der Kerl mit der Baseballmütze trat einen Schritt vor und verabreichte Kramer einen Schlag in die Magengrube. Kramers Gesicht wurde aschfahl und er rutschte an der Blechwand des Lieferwagens entlang zu Boden. In diesem Moment verfluchte er sich dafür, seine Waffe im Handschuhfach des Chryslers gelassen zu haben.
"Du siehst doch sicher ein, dass wir dich diesmal nicht so davon kommen lassen können, oder?", kommentierte der Einäugige zynisch. Ihm war anzusehen, dass ihm sein schmutziger Job Spaß machte.
Es dauerte einen Augenblick bis Kramer wieder in der Lage war, etwas zu sagen. Schließlich presste er hervor: "Wenn ihr mich jetzt krankenhausreif schlagt, dann werde ich nicht an das Geld kommen! Und das ist es doch, was ihr wollt, oder?", Der Einäugige verzog das Gesicht. "Hör' auf mit deinen Geschichten! Um uns übers Ohr zu hauen, musst du schon ein bisschen früher aufstehen, kapiert!"
"Was ich sage, stimmt!" Der Einäugige lachte. "Woher willst du Wunderknabe denn bis morgen eine so große Summe auftreiben? Du erzählst uns doch nur wieder ein Märchen, um uns zu vertrösten!"
"Ich bin an einer großen Sache dran!"
"Worauf hast du gesetzt, Kramer? Auf dein Glück beim Kartenspiel oder ein Pferd?" Der Einäugige schüttelte den Kopf. "Es ist doch immer dasselbe...", murmelte er und versetzte Kramer noch einen Tritt. "Wir kommen wieder, Kramer! Und denk daran, du hast keine Chance! Wenn wir dich nicht kriegen, kriegt dich jemand anderes!"
"Ich werde meine Schulden zurückzahlen!"
"Und ich hoffe, dass du auf das richtige Pferd gesetzt hast!" Der am Boden Liegende bekam noch einen letzten Tritt, dann zogen die beiden ab. Kramer wandt sich unterdessen mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden. Als er eine halbe Minute später wieder einigermaßen beieinander war und sich hochgerappelt hatte, kam ihm der Gedanke, dass es auch noch weit schlimmer hätte kommen können.
Morgen früh!, dachte er. Es hing für ihn eine Menge davon ab, dass die Sache glatt ging.
18
Kathleen Jennings bewohnte ein luxuriöses Apartment in der City von Paterson. Bount Reiniger war etwas zu früh dort und daher musste er ein paar Minuten auf sie warten. Aber dann kam sie. Sie schloß die Tür auf und dann gingen sie beide zusammen in das Apartment.
"Ich bin froh, dass Sie gekommen sind", meinte sie, während Bounts Blick über ihre Einrichtung glitt. Alles ultramodern, kühl und sachlich - klare Linien ohne Schnörkel.
Bount ließ sich ungefragt in einen der Sessel fallen und beobachtete, wie Kathleen im Nebenraum verschwand und einen Augenblick später mit zwei Gläsern zurück kam, die sie auf den niedrigen Tisch stellte.
"Möchten Sie etwas trinken, Mister Reiniger?"
"Wie wär's, wenn Sie mir langsam reinen Wein einschenken würden?", erwiderte Bount eine Spur schroffer, als er eigentlich gewollt hatte.
"Was wollen Sie wissen?", fragte Kathleen.
"Zum Beispiel, welche Rolle Sie in dieser Sache eigentlich spielen!"
Sie sah ihn an und ihr Blick hatte dabei etwas Trauriges.
"Keine besonders Rühmliche, das gebe ich gerne zu. Ich hoffe, Sie helfen mir trotzdem!"
"Mal sehen."
Sie ging zum Fenster und blickte nachdenklich hinaus.
"Sehen Sie, Mister Reiniger, mein Vater ist - war - ein Selfmademan-Man, wie er im Buche steht. Aber in den letzten Jahren ging es abwärts - sowohl mit ihm wie auch mit der Firma. Es gab eine Reihe von Fehlentscheidungen, eins kam da zum anderen. Schließlich stand uns das Wasser bis zum Hals. Unser Maschinenpark zum Beispiel war jetzt schon veraltet. Aber zu Investitionen fehlte das Geld. Es war nur eine Frage der Zeit, wann wir der Konkurrenz hoffnungslos hinterherhinken würden. Ja, und dann kamen diese wirklich dilettantischen Versuche, unsere Fabrik anzuzünden. Ich habe keine Ahnung, wer dahinter steckte, Mister Reiniger, wirklich nicht. Jedenfalls beschlossen wir alle gemeinsam, die Gelegenheit zu nutzen und uns dort anzuhängen. Die Versicherungssumme wäre eine Möglichkeit gewesen, etwas zu retten! Das Werk in Paterson war die Keimzelle des ganzen Unternehmens. Hier hat es angefangen. Aber es war auch dasjenige, das am meisten veraltet war."
Bount hob die Augenbrauen. "Und was war meine Rolle? Ich vermute mal, dass ich für die Glaubwürdigkeit ihrer ehrenwerten Familie sorgen sollte!"
"So ist es. Sehen Sie, mein Bruder Arthur hat sich kundig gemacht, Sie haben einen guten Namen in der Branche und der dürfte auch bis in die Versicherungsbranche vorgedrungen sein!"
Bount lachte heiser. "Davon können Sie ausgehen, ja!"
"Wir wussten, dass Sie selbst im Auftrag von Versicherungen tätig waren und deren Vertrauen genießen, Mister Reiniger. Und da dachten wir uns, es ist besser wir engagieren selbst jemanden, dem auch die andere Seite vertraut, behalten dadurch aber die Kontrolle." Sie zuckte mit den Schultern.
"Wahrscheinlich werden die trotzdem noch jemanden von ihren eigenen Leuten schicken, aber vermutlich ohne dass dabei etwas herauskommt."
Sie machte eine kurze Pause und Bount fragte: "Was ist eigentlich schiefgelaufen?"
Kathleen zuckte mit den Schultern und als sie den Kopf ein wenig zur Seite wandte, sah Bount Tränen in ihren Augen glitzern. "Ich weiß es nicht", sagte sie. "Dads Tod war jedenfalls nicht Teil des Plans. Nicht, soweit ich eingeweiht war!"
Bount erhob sich und trat zu ihr. Er legte ihr den Arm um die Schulter und versuchte, sie ein wenig zu trösten. "Es geht um den Mord an Dad", erklärte sie dann plötzlich wieder überraschend gefasst. "Um sonst nichts. Alles andere ist mir jetzt egal. Ich will wissen, wer ihn ermordet hat!"
"Was ist mit dem Rest der Familie? Ihre Mutter, Ihre Brüder... Glauben Sie, dass die wenige daran interessiert sind, die Wahrheit herauszubekommen? Schließlich hat Ihre Mutter mir sozusagen den Stuhl vor die Tür gesetzt."
"Ich weiß es nicht. Meine Brüder haben einfach nur Angst, dass Sie früher oder später das herausbekommen, was ich Ihnen jetzt auf dem Silbertablett serviert habe. Ich habe mit Ihnen gesprochen."
"Wissen die beiden von unserem Tête-à-Tête?"
"Nein. Und ich möchte auch nicht, dass sie davon erfahren. Jedenfalls, wenn es sich vermeiden lässt. Sie sind dagegen, in der Sache herumzurühren, weil der Versicherungsbetrug sonst auffliegen könnte. Und unserem toten Dad würde es auch nichts mehr nützen, wenn jetzt noch einmal das Unterste zu oberst gekehrt wird. Irgendwie haben sie damit ja auch recht, aber..." Sie stockte. Es fiel ihr offensichtlich nicht leicht weiterzusprechen.
"Aber Sie denken anders darüber!", stellte Bount fest.
"Ja."
"Und Ihre Mutter...?"
Sie schluckte. Dann sah sie Bount offen an. Ihre grünen Augen waren dabei völlig ruhig. "Ich will ehrlich sein: Es ist schrecklich, so etwas von der eigenen Mutter sagen zu müssen, aber ich habe sie in Verdacht!"
"Wegen des Ehevertrags?"
"Davon wissen Sie auch schon? Naja, um so besser! Es kommt noch etwas hinzu. Sie hat angegeben in der Mordnacht im Theater gewesen zu sein und erst zurückgekommen und erst zurückgekommen zu sein, nachdem der Ferrari nicht mehr vor dem Haus stand."
"Richtig."
"Aber ihr Alibi stimmt nicht. Die Vorstellung ist kurz vor Beginn abgesetzt worden, weil der Star des Abends auf dem Weg nach Paterson einen Verkehrsunfall hatte."
Bount nickte. "Wussten Sie, dass sie einen Geliebten hat? Sie könnte auch bei ihm gewesen sein."
"Nein, das wusste ich nicht." Sie zuckte mit den Schultern.
"Aber es wundert mich nicht. Mum und Dad haben sich ziemlich auseinandergelebt. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum keines ihrer Kinder in dem großen Haus da draußen wohnen wollte, obwohl Platz genug wäre. Es war einfach eine schlechte Stimmung in der Luft, wenn beide zusammen waren."
"Verstehe..."
"Dad hatte auch Freundinnen, aber umgekehrt gestand er Mum nicht dasselbe Recht zu. Er hätte sich sofort von ihr scheiden lassen, wenn er davon erfahren hätte."
"Was bedeutet hätte, dass sie leer ausgegangen wäre!"
"Ja, so ziemlich." Und nach einer kurzen Pause fragte sie dann noch: "Wer ist es? Es würde mich interessieren!"
"Ein Tierarzt namens Colin Rigg. Und vermutlich stammt das Gift aus seiner Praxis."
Sie nickte und auf ihrem hübschen, feingeschnittenen Gesicht spiegelte sich deutlich wider, wie all ihre Befürchtungen sich bestätigten. "Sie glauben auch, dass es Mum war, nicht?"
"Hat Ihre Mutter gelernt, wie man eine Spritze setzt? Der Mörder konnte das - und wenn Sie im Krankenhaus jemals von einer Lernschwester gepiekt worden sind, dann wissen Sie, dass das eine Kunst für sich ist!"
Sie überlegte eine Sekunde und schüttelte dann energisch den Kopf. "Nein, nicht das ich wüsste. Ein Punkt, der für diesen Rigg sprechen würde, nicht wahr?"
"So ist es."
"Dann haben Mum und er zusammengearbeitet!"
"Wer hat den Brand gelegt? Ich nehme nicht an, dass Sie und ihre Brüder selbst das Streichholz angerissen haben."
"Ich habe keine Ahnung!"
Bount fasste sie jetzt etwas fester bei den Schultern. Sie musste jetzt Farbe bekennen und sich entscheiden. Kopf oder Zahl. Die Zeit um herumzulavieren war jetzt vorbei.
"Wenn ich ihnen helfen soll, Miss, dann packen Sie besser alles aus, was Sie wissen. Oder Sie müssen sich jemand anderen suchen! Und glauben Sie nicht, dass ich bluffe! Das ist mein verdammter Ernst!"
Sie schüttelte den Kopf.
"Es ist die Wahrheit! Mit den Einzelheiten hatte ich nichts zu tun. Ich schätze, Ray hat das erledigt. Es ist doch nun wirklich keine Schwierigkeit, jemanden zu finden, der so etwas für ein paar Dollar macht, oder?"
"Leider war."
Ihre Verzweiflung schien echt zu sein und Bount hatte das Gefühl, dass sie die Wahrheit sagte. "Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?", fragte sie dann plötzlich.
"Ganz einfach: Wer wusste von dem Brand? Außer den Mitgliedern Ihrer Familie und Dr. Rigg, meine ich."
"Ich nehme an, die Nachtwächter, aber da müssten Sie Ray fragen."
"Jedenfalls ist anzunehmen, dass Ihr Vater von jemandem vergiftet wurde, der einerseits von dem bevorstehenden Brand wusste und den er andererseits gut kannte."
"Weshalb?"
"Hat die Polizei Spuren eines Einbruchs gefunden? Oder hat die Alarmanlage angeschlagen?"
"Nein."
"Dann hat Ihr Vater den Täter hereingelassen!"
"Oder meine Mutter, denn ihr Alibi stimmt nicht."
"Wie ist das mit Ihren beiden Brüdern? Haben die auch einen Vorteil durch den Tod Ihres Vaters?"
"Nun, wir alle bekommen sicher einen Anteil an einer Firma, mit der es bergab geht. Wahrscheinlich würde Ray die Geschäftsleitung übernehmen. Aber er hat ein Alibi, für das es mehr als hundert Zeugen gibt. Er war auf einem Bankett, das ein Kunde von uns gegeben hat, und das erst weit nach Mitternacht endete."
Bount lächelte. "Haben Sie das etwa schon überprüft?"
"Das war nur ein Anruf für mich."
"Und Arthur?"
"Er hatte ein gutes Dutzend Bekannte bei sich zu Hause eingeladen, als man ihn wegen der brennenden Fabrik anrief." Die leeren Gläser wurden schließlich doch noch gefüllt. Mit Rotwein.
Bount sah in ihre dunkelgrünen Augen, spürte die
Anwesenheit ihres aufregenden Körpers und den Geruch des leichten Parfums. Sie war eine verdammt attraktive Frau. Und sie war eine, die das auch genau wusste.
Die Gläser wurden nicht mehr leer, bevor sie hinüber zum Schlafzimmer gingen. Bount sah ihr zu, wie sie mit einer gekonnten Bewegung das Kleid abstreifte. Das gedämpfte Licht ließ ihre Haut warm erscheinen, während in ihren Augen ein Feuer brannte, das Bount unwillkürlich schlucken ließ.
"Was haben Sie eigentlich für ein Alibi, Kathleen?"
"Ich? Ganz einfach: Ich habe keins."
19
Der Tag, an dem Anthony Jennings beerdigt wurde, war so scheußlich, wie schon seit langem keiner mehr. Bount hatte sich den Mantelkragen hochgeschlagen, obwohl er wusste, dass das auf die Dauer auch nutzen würde.
Den schlimmsten Schauer wartete er ab, dann stieg er aus. Er hatte den 500 SL auf dem Parkplatz neben dem Friedhof abgestellt und ging dann mit schnellen Schritten auf dem nassen Schotterweg daher. Schließlich blieb er stehen, als er die Trauergemeinde vor dem offenen Grab sah.
Bount war natürlich nicht eingeladen, aber bei der Aufklärung eines Mordes konnte manchmal ganz interessant sein, zusehen, wer zur Beerdigung ging.
Es waren nicht viele. Nur der engste Familienkreis und ein paar Leute die Bount nicht kannte. Den Autokennzeichen auf dem Parkplatz nach waren manche von ziemlich weit angereist. Bount verfluchte das schlechte Wetter, während der Regen wieder zunahm. Das Wasser lief ihm das Gesicht herunter, die Haare waren klatschnass. Aber Opfer hatte sich gelohnt. Hinter einem Gebüsch bemerkte Bount ein Gesicht.
Es war eine Frau und Bount erkannte sie sofort. Es war Miss Hancock, die er im Büro von Arthur Jennings getroffen hatte. Das ganze dauerte nicht sehr lange, nur ein paar Sekunden, dann hatte sie Bount auch gesehen. Man konnte nicht sagen, ob es Regenwasser oder Tränen waren, was ihr da über die Wangen lief. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Einen Augenblick lang begegneten sich ihre Blicke, dann verschwand sie hinter den Büschen. Bount setzte ihr mit schnellen, entschlossenen Schritten nach. Von den Trauernden am Grab achtete niemand auf ihn. Es dauerte nicht lange, dann hatte er sie eingeholt.
"Miss Hancock..."
Sie drehte sich kurz um und lief weiter, wobei sie noch etwas beschleunigte. Ganz offensichtlich war es ihr sehr unangenehm, dass sie jemand bemerkt hatte.
"Was wollen Sie von mir, Reiniger?"
"Können wir uns nicht an einem Ort unterhalten, der nicht ganz so ungemütlich ist?"
Jetzt blieb sie stehen. "Okay", meinte sie. "Mein Wagen steht da drüben."
In ihrem Ford war es tatsächlich angenehmer. Sie setzte sich ans Steuer und Bount auf den Beifahrersitz, während der Regen gegen die Scheiben platschte.
"Also, was gibt es, Mister Reiniger?"
"Was macht jemand wie Sie hier draußen bei diesem Wetter."
"Ich habe Abschied genommen."
"Sie wollten nicht, dass man Sie sieht!" Sie hob die Augenbrauen. "Wirklich? Woher wollen Sie das wissen?"
"Na, kommen Sie..."
Dann flüsterte sie: "Ich wollte Anthonys Familie nicht begegnen. Ich..." Sie sprach nicht weiter und machte eine kurze Pause. Dann sagte sie schließlich: "Ich hoffe, dass man den Mörder fasst! Bei Gott, ich hoffe es!" Und als sie das sagte, hatte ihre Stimme einen ganz veränderten, hasserfüllten Klang.
"Bitte gehen Sie jetzt", sagte sie schließlich.
20
"Sollten wir nicht etwas vorsichtiger sein?", fragte Colin Rigg, während er gemeinsam mit Liz Jennings das Feinschmecker-Lokal verließ und ins Freie trat. Es war der teuerste Gourmet-Tempel am Ort. Draußen war es bereits fast dunkel. Sie waren mit Riggs BMW gekommen, den der Tierarzt in einer Seitenstraße abgestellt hatte.
Liz lachte und dabei löste sich die steife Maske auf, die sonst ihr Gesicht beherrschte. "Warum so ängstlich, Colin? Mein Gott, was soll schon passieren!"
"Man könnte uns zusammen sehen, Liz."
"Na, und?"
"Im Augenblick wäre das wirklich nicht gut!"
"Ein Beinbruch wäre das auch nicht! Colin, die Zeiten, in denen ich kuschen musste, sind endgültig vorbei, verstehst du? Ich bin diese Heimlichtuerei und dieses Versteckspiel gründlich leid! Anthony ist tot und damit ist das alles für mich zu Ende!" Liz Jennings hatte ungewohnt heftig gesprochen. Es schien ihr sehr ernst zu sein.
Colin Rigg stand jedoch der Zweifel im Gesicht geschrieben.
"Dieser Reiniger..."
"Der ist abserviert, Colin! Ein für allemal."
"Bist du dir da sicher? Auf mich machte der Kerl einen ziemlich entschlossenen Eindruck."
"Er hat einen großzügigen Scheck bekommen. Damit kann er zufrieden sein. Ich glaube nicht, dass wir noch etwas von ihm hören." Sie lächelte. "Er hat seinen Part hervorragend gespielt fast sogar ein bisschen zu perfekt. Und dieser Blanfield..." Sie macht eine wegwerfende Handbewegung.
"Trotzdem", beharrte Colin. "Es ist vielleicht nicht gerade klug, dass wir uns jetzt zusammen in der Öffentlichkeit zeigen!"
"Ach, was!"
Sie hakte sich bei ihm unter und dann gingen sie zusammen die Straße entlang. Leichter Nieselregen setzte ein und sie beschleunigten ihre Schritte etwas. Dann bogen sie um eine Ecke in eine Einbahnstraße, deren Bordsteine mit parkenden Wagen zugestellt waren.
"Die Zeit der Heimlichkeiten ist jetzt vorbei, Colin. Endgültig. Anthony ist tot, verstehst du?"
"Ja."
"Er kann mich nicht mehr einfach jederzeit wie eine streunende Katze wieder vor die Tür setzen. Diese Zeiten sind vorbei. Jetzt bestimme ich selbst über mein Leben!" Sie hatten den Riggs BMW schon fast erreicht, da fragte der Tierarzt: "Fahren wir noch zu mir?"
"Nein, zu mir, Colin. Das große Haus ist so furchtbar leer."
Er verzog das Gesicht. "Das ist nun wirklich noch etwas zu früh", meinte er. Dr. Rigg suchte in seinen Jackentaschen nach dem Autoschlüssel. Er hatte ihn gerade gefunden und steckte ihn ins Türschloss, da geschah es.
Ein Knall, wie von einer Schusswaffe.
Rigg stand wie erstarrt da und fragte sich, was los war. Ein zweiter Knall folgte und ein dritter und vierter. Rigg fuhr herum und sah, wie Liz Jennings taumelte. Es kam rot von ihrem Hals herunter. Mit starren, toten Augen klappte sie zu Boden, während immer noch geschossen wurde. Ein Ruck erfasste Rigg und riss ihn brutal aus seiner Agonie heraus. Es hatte ihn erwischt, das war ihm im Bruchteil einer Sekunde klar. Er fühlte plötzlich einen Schmerz an der linken Seite, griff mit der Rechten dorthin. Das Blut sickerte zwischen seinen Fingern hindurch, während er sich endlich duckte und sich hinter dem BMW in Deckung brachte.
Er taumelte dabei. Schwindel erfasste ihn und er kam einen Augenblick später hart auf dem Boden auf.
Mein Gott!, dachte er, als sein Blick auf Liz Jennings' toten Körper fiel, der in seltsam verrenkter Stellung auf dem Pflaster lag. Warum nur?, hämmerte es in seinem Kopf. Er wandte den Kopf schnell zur Seite. Seine Seite schmerzte und er musste die Zähne aufeinanderbeißen, um nicht laut loszuschreien. Rigg ächzte und hörte dann einen startenden Wagen, der offenbar auf der anderen Straßenseite geparkt hatte, und nun mit aufheulendem Motor davonraste.
Dann kroch er zu Liz Jennings herüber. Aber da war nichts mehr zu machen. Er schloss ihr noch die Augen, bevor er selbst niedersank und reglos auf dem Pflaster liegenblieb.
21
Wenig später war in der engen Seitenstraße der Teufel los. Polizei, Notarzt und jede Menge Schaulustige, die einmal ein richtiges Mordopfer betrachten wollten.
Lieutenant Blanfield runzelte die Stirn, als er Bount Reiniger in Begleitung von Kathleen Jennings auftauchen sah. Blanfield war anzusehen, dass ihm eine bissige Bemerkung auf der Zunge lag, aber in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei der Toten um Kathleens Mutter handelte, verkniff er sich seinen Kommentar.
Der Metallsarg war bereits geschlossen worden. Für Kathleen wurde er noch einmal geöffnet. Bount ging mit ihr. Sie blickte nur ganz kurz hin und das war auch nur zu verständlich. Es war alles andere als ein schöner Anblick, jemanden zu sehen, der von mindestens drei großkalibrigen Kugeln durchlöchert worden war.
Nachdem sie das hinter sich gebracht hatte, wandte sie sich an Bount.
"Du hast sicher Verständnis dafür, wenn ich jetzt etwas allein sein möchte, nicht wahr, Bount?"
"Sicher."
"Ich muss das erst einmal verdauen!"
"Ich melde mich."
"Gut."
Bount blickte ihr nach, während sie davonging und in ihren Wagen stieg. Dann wandte er sich an Blanfield und meinte: "Den BMW dort kenne ich. Der gehört Dr. Rigg, nicht wahr?"
"Ja."
"Waren Liz Jennings und der Doktor zusammen, als es passierte?"
"Ja. Er hat auch etwas abbekommen und ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus."
"Scheint, als hätte hier jemand ein ganzes Magazin leergeschossen. Die Leiche sieht auch danach aus." Blanfield verzog das Gesicht. "Gut beobachtet", brummte er ironisch.
"Sieht nach einer Tat aus Leidenschaft oder Hass aus", meinte Bount.
"Oder es handelt sich um einen schlechten Schützen."
"Oder beides. Warum haben Sie Dr. Rigg nicht vernommen? Er hat das Gift in seinem Schrank stehen, dass Anthony Jennings getötet hat! Und er weiß, wie man eine Spritze ansetzt, ohne dass es gleich handgroße Blutergüsse gibt!" Blanfield verdrehte die Augen.
"Ja, bei den Pferden, da kennt er sich aus!" Bount musterte den Lieutenant und erkannte, dass sein Gegenüber noch irgendeinen Trumpf um Ärmel hatte, den er partout nicht ausspielen wollte. In seinen Augen blitzte es, als er sagte: "Ich habe Rigg nicht vernommen, weil er im Augenblick nicht vernehmungsfähig ist. Vielleicht wird er überhaupt nichts mehr sagen können. Er kämpft mit dem Tod, Mister Reiniger!"
Bount zündete sich eine Zigarette an, verengte ein wenig die Augen und meinte dann: "Sie verfolgen ohnehin eine andere Spur, stimmt's, Lieutenant?"
"Erraten."
"Und?"
"Der Mord an Mister Jennings ist so gut wie aufgeklärt", meinte er und Bount hob die erstaunt die Augenbrauen. Das war wirklich eine Überraschung. Einen Augenblick noch schien Blanfield mit sich zu ringen, ob er es sich behalten sollte, aber dann siegte seine Eitelkeit. Er konnte es einfach nicht lassen, seinen Triumph gegenüber Bount voll auszukosten. "Wir haben einen Mann aufgegriffen, der schon gestanden hat, dass er zweimal versucht hat, Jennings' Fabrik anzuzünden. Beim dritten Mal und bei dem Mord, da ziert er sich noch Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Die Beweise sprechen so sehr gegen ihn. Er heißt Mike McPherson und war einmal bei Jennings angestellt. Bis er einen wilden Streik organisierte und rausflog. Er hat nirgends mehr richtig ein Bein an den Boden gekriegt. Und er ist Diabetiker, was bedeutet, dass er sich täglich selbst Insulin spritzen muss. Er war also in allerbester Übung, was das Setzen von Spritzen angeht!"
"Und das Gift? Woher sollte er das haben?"
"McPherson hält sich mit Aushilfsjobs über Wasser. Und einer davon besteht darin, dass er in einem pharmazeutischen Großhandel Kisten stapeln muss."
Bount klopfte ihm auf die Schulter. "Eins zu null für Sie, Blanfield. Scheint, als wären Sie doch ein guter Polizist."
"Danke." Blanfield verzog säuerlich das Gesicht.
"Ich glaube trotzdem, dass Sie sich irren", setzte Bount dann im Brustton der Überzeugung hinzu. "Oder haben Sie eine Ahnung, weshalb Anthony Jennings diesen Mann am Abend ins Haus gelassen haben könnte!"
Er hob die Arme. "Was weiß ich! Wir können Jennings leider nicht mehr fragen!"
"Wie wahr!"
"Jedenfalls kannten die beiden sich. Es wäre also möglich! Außerdem kann man Schlösser und Alarmanlagen auch ausschalten, oder?"
Bount deutete auf den Metallsarg. "Und wie hängt das hier damit zusammen?"
"Überhaupt nicht!", war Blanfields Meinung.
"Ich würde mich gerne mal mit diesem McPherson unterhalten!"
"Kann ich mir denken, Reiniger. Aber das kommt nicht in Frage. Erst wenn ich mit ihm fertig bin."
"Wann ist das?"
"Vergessen Sie's einfach, ja?" Blanfield grinste. "Sie können mir dabei nur etwas verderben!"
22
Jeffrey Kramer hatte sich den Mantelkragen hochgeschlagen, aber es war so nass und windig, dass ihm trotzdem die Zigarette ausgegangen war.
Es war ein furchtbarer, kalter Morgen. Der Tag dämmerte grau herauf und verhieß nichts Gutes. Kramer schaute ungeduldig auf die Uhr, dann ließ er den Blick die enge Straße entlang gleiten.
Es war ein Sanierungsgebiet. Ehemals eine Straße mit wohlhabender Mittelschicht, jetzt ein heruntergekommener Slum. Alte Leute, die sich von der Gegend nicht trennen konnten und sozial Unterprivilegierte lebten hier - oder überhaupt niemand mehr. Die meisten Häuser standen seit Jahren leer, ein paar hatte man schon abgerissen. Aber um diese frühe Uhrzeit hätte man fast jeden Ort als Treffpunkt nehmen können. Es wäre überall nicht besonders viel los gewesen.
Kramer blickte erneut an sein Handgelenk und dachte: Wenn er jetzt nicht kommt, dann bin ich weg!
Aber er kam. Eine Limousine mit getönten Scheiben kam um die Ecke. Sie fuhr sehr langsam und der Motor war kaum zu hören. Das war er.
Kramer näherte sich, als die Limousine stehen blieb. Er wollte die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Nicht nur wegen des scheußlichen Wetters. Die undurchsichtige Scheibe auf der Beifahrerseite wurde etwas heruntergelassen.
"Ich dachte schon, das wird nichts mehr."
"Ich halte mein Wort."
"Ja, ich weiß."
"Also?"
"Wo ist das Geld?"
"Dir steht das Wasser wirklich bis zum Hals, was? Sonst wärst du wohl nicht auf so eine verrückte Idee gekommen!"
"Wohl kaum, das stimmt."
Kramer nahm seine Zigarette mit Daumen und Zeigefinger und schleuderte sie ärgerlich in Rinnstein. Es war ein Spiel, das der andere da mit ihm trieb. Ein hässliches, sadistisches Spiel. Aber er musste es ertragen und deshalb verkniff er sich die bissige Erwiderung, die ihm noch auf der Zunge lag. Warum, die Sache komplizieren?
"Das Geld liegt im Kofferraum", kam es eisig aus der Limousine heraus. "Er ist offen. Du kannst es dir nehmen!" Kramer nickte und ging hinten an die Limousine heran. Mit zitternden Händen öffnete er den großzügigen Kofferraum. Da lag ein kleines Köfferchen. Kramer öffnete es. Kleine Scheine, wie er verlangt hatte.
Ein schwaches Lächeln ging über sein hageres Gesicht. Ein schöner Anblick, so ein Haufen Scheine, dachte er. Es war das letzte, was er sah.
Ein harter Schlag ließ ihn nach vorne sacken, direkt in den Kofferraum hinein. Der zweite Schlag machte es endgültig. Zwei behandschuhte Hände hoben die Beine hoch und machten die Klappe zu.
23
Bount hatte nach wie vor das Gefühl, dass Jeffrey Kramer viel mehr wusste, als er dem Privatdetektiv gegenüber bisher zugegeben hatte. Jemanden ein paar Krümel hinwerfen und dann hoffen, dass derjenige sich damit zufrieden gibt, war allem Anschein nach eine ziemlich erfolgreiche Taktik. Erfolgreicher jedenfalls, als einfach auf stur zu stellen.
Aber diesmal wollte Bount sich nicht abspeisen lassen. Als er vor Jeffrey Kramers Wohnungstür stand, fiel ihm auf, dass die Tür einen kleinen Spalt offen war.
Bount ließ das sofort stutzig werden.
Kramer war vermutlich gar nicht zu Hause, denn sonst hätte sein verbeulter Chrysler irgendwo in der Straße herumgestanden.
Jemand anderes war in der Wohnung!
Vielleicht die Kerle, vor denen er davonrennt!, ging Bount durch den Kopf. Er hörte ein Geräusch, das aber augenblicklich erstarb, als Bount den Türspalt vergrößerte. Es knarrte dabei. Ein Instinkt ließ Bount die Automatic unter dem Jackett hervorholen und in die Manteltasche stecken, wo er sie mit der Rechten umklammert hielt. Sicher war eben sicher. Einen Augenblick später sah Bount, dass hier ein Berserker gewütet haben musste, um etwas zu suchen. Schubladen waren herausgerissen und ihr Inhalt auf dem Boden ausgestreut worden und es schien nicht ein einziges Polster zu geben, das nicht mehrfach aufgeschlitzt worden war.
Hier war jemand sehr gründlich gewesen.
Die Tür zum Nebenraum stand offen und ein kühler Luftzug fegte quer durch die Wohnung. Derjenige, der hier gewütet hatte, war vermutlich schon über Balkon und Feuerleiter geflüchtet, als er Bount gehört hatte.
Bount holte die Pistole hervor und ging vorsichtig an die Tür zum Nebenzimmer heran und trat dann mit der Waffe im Anschlag ein.
Hier sah es nicht besser aus, als in dem anderen Raum. Bount durchquerte mit weiten Schritten das Zimmer und passierte die offene Balkontür, die vom Wind hin und her bewegt wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er die freie Aussicht auf einen öden Hinterhof, in dem sich allerdings niemand befand. Als Bount die Gefahr mit den Augenwinkeln heranschnellen sah, war es zu spät, um noch zu reagieren. Ein furchtbarer, harter Schlag traf ihn an der Schläfe. Er taumelte, alles begann sich vor seinen Augen zu drehen und er spürte noch das Metallgeländer des Balkons, um das sich seine Hand klammerte, bevor der zweite Hieb ihn ausknockte und zusammenklappen ließ. Der schemenhafte Umriss einer Gestalt war das letzte was er sah...
Dann wurde es schwarz vor seinen Augen.
24
"Wachen Sie auf, Reiniger!"
Er bekam eine Ohrfeige und dann gleich eine zweite, ehe er langsam wieder an die Oberfläche des Bewusstseins trieb. Bount blinzelte mit den Augen. Sein Schädel brummte. "Na, los, Reiniger! Sie haben verdammt nochmal lange genug geschlafen! Jetzt könnten Sie mir vielleicht mal einiges erklären!"
Bount blickte in das Gesicht von Lieutenant Blanfield und war sofort wieder hellwach. Er wischte sich mit der flachen Hand über das Gesicht.
Indessen fragte Blanfield: "Was haben Sie hier zu suchen? Bekanntlich ist das hier nicht Ihre Wohnung!"
"Sie stand offen..."
"Ja, ja, das übliche Geschwätz..."
Bount schüttelte den Kopf. "Sie stand wirklich offen und jemand war hier damit beschäftigt, das Unterste nach oben zu kehren!"
Blanfield grinste. "Das waren nicht zufällig Sie, Reiniger?"
"Nein. Ich habe den Kerl überrascht und eins über den Schädel bekommen."
"Wie sah er aus?"
"Er war groß, glaube ich. Mehr weiß ich nicht." Blanfield nickte und reichte Bount seine Automatic. "Ist das Ihre?"
"Ja. Und jetzt verraten Sie mir mal, was Sie hier her geführt hat! Ich dachte, für Sie wäre der Fall schon gelöst." Der Lieutenant machte eine wegwerfende Geste.
"Wir haben Jeffrey Kramer gefunden. Er wurde mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen und dann auf einem nahegelegenen Highway-Parkplatz abgeladen. Da hat ihn schließlich heute Mittag ein Trucker entdeckt." Blanfield zuckte beiläufig mit den Schultern und setzte dann noch hinzu: "Vermutlich sind Sie seinem Mörder über den Weg gelaufen, Reiniger!"
Bount erhob sich. Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste ihn, aber es ging einigermaßen. Er schwankte ein bisschen, aber hoffte aber, dass sich das noch geben würde. Der Kerl hatte ganz schön zugeschlagen.
Bount versuchte verzweifelt, sich an irgendetwas zu erinnern, das ihn auf die Spur desjenigen bringen würde, der ihm eins über den Schädel gegeben hatte. Aber da war nichts. Nur ein dunkler Schemen, ansonsten war sein Kopf in dieser Beziehung völlig leer.
"Jeffrey Kramer hatte ein Motiv, um Anthony Jennings zu töten", meinte Bount. "Aber ich weiß nicht, ob er mit der Nadel umgehen konnte..."
"Er konnte", meinte Blanfield. "Drüben in Baltimore ist er zweimal wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden und hat zumindest eine Zeitlang an der Nadel gehangen. Haben Sie eine Ahnung, was man hier bei ihm gesucht haben könnte?"
"Ein paar Schuldeneintreiber waren ihm auf den Fersen."
"In der Regel schlagen die ihre säumigen Zahler aber nicht tot, sondern verpassen ihnen eine Abreibung. Von einer Leiche bekommt man schließlich keinen Cent mehr!"
Bount ging mit nachdenklichem Gesicht durch Kramers Wohnung und ließ den Blick schweifen. Und Blanfield folgte ihm. Als Bount ihm einen Augenblick lang ins Gesicht sah, war ihm klar, dass der andere völlig ratlos war.
"Jeffrey Kramer hatte noch eine andere Profession", eröffnete Bount ihm dann. "Er war Erpresser. Bei Liz Jennings hat er sein Glück versucht. Das hat er mir selbst erzählt." Bount zuckte die Achseln. "Ich schätze er hat mir einen wertlosen Brocken hingeworfen und gehofft, dass ich ihn gierig aufschnappe und damit zufrieden bin."
"Wen könnte Kramer denn noch erpresst haben?"
"Er hat im Dunstkreis der Jennings-Familie herumgeschnüffelt. Wer weiß, worauf er da gestoßen sein kann."
"Wahrscheinlich werden wir hier nichts mehr finden, was uns weiterbringen könnte. Der Mörder wird alles weggeräumt haben, was ihn irgendwie verraten könnte."
Sie sahen sich trotzdem ein bisschen um, aber es war, wie Bount vermutet hatte. Keine Spur, die weiterführte. Bount wandte sich zum Gehen in Richtung Tür.
"Wo wollen Sie hin, Reiniger?"
Bount grinste. "Jemandem einen Besuch abstatten, vor dessen Haus ich Kramer mal in Beobachtungsposition erwischt habe."
Blanfield runzelte die Stirn. "Von wem sprechen Sie, verdammt nochmal!"
"Chuck Porter."
"Das ist doch einer der Nachtwächter!"
"Richtig. Ich konnte mir von Anfang an nicht vorstellen, dass der Brand gelegt werden konnte, ohne dass von den Nachtwächtern jemand mitgespielt hat! Vielleicht hat er irgendetwas über Porter herausgefunden, was damit zusammenhängt."
"Und musste deshalb sterben? Ist mir zu weit hergeholt!"
"Ich habe ja nicht verlangt, dass Sie mit mir kommen!" Blanfield atmete tief durch.
"Warten Sie eine Minute, bis ich die Wohnung hier versiegelt habe!"
"Meinetwegen."
Bounts Blick fiel dann zufällig auf einen kleinen Notizblock, den der Mörder bei seiner Wühlerei achtlos weggeworfen hatte, weil er ihn wohl für wertlos hielt. Bount hob den Block auf.
"Was haben Sie?", fragte Blanfield, nahm Bount den Block aus der Hand, blätterte darin herum "Kritzeleien...", murmelte er und gab ihn Bount zurück.
Bount lachte kurz. "Das dachte der Mörder wohl auch..." Blanfield runzelte die Stirn und stierte Bount ungläubig an.
"Was ist es denn Ihrer Meinung nach?"
"Notizen in Kurzschrift, die der Mörder offensichtlich nicht beherrscht!" Bount blätterte in dem dünnen Block etwas herum. Was da zu lesen war, war wirklich interessant...
25
Als Bount Reiniger und Blanfield eine Viertelstunde später vor Chuck Porters Wohnungstür standen, meldete sich dort niemand. Aber sie hatten Glück. Er kam gerade die Treppe hinauf und hatte eine Tüte mit Fast Food unter dem Arm. Als Porter die beiden Männer sah, die offensichtlich zu ihm wollten, wurde er langsamer und blieb schließlich stehen.
"Was gibt's?", fragte er.
"Nur ein paar Fragen", meinte Bount.
Porter blickte von einem zum anderen. "Ich habe Ihnen beiden alle Fragen beantwortet. Ich wüsste, nicht, was es da noch zu besprechen gäbe", knurrte er.
"Können wir das nicht drinnen besprechen?", meckerte Blanfield.
Porter zuckte mit den Schultern, ging an den beiden ungebetenen Gästen vorbei und öffnete die Tür.
"Bitte!", sagte er. "Wenn es sich nicht vermeiden lässt!"
"Leider nicht", meinte Blanfield.
In Porters Kopf schien irgendetwas vorzugehen. Er zögerte bevor er schließlich die Wohnungstür öffnete.
Sie gingen gemeinsam hinein. Porter fläzte sich in einen Sessel und holte einen Hot Dog aus der Tüte, den er dann gierig zu verschlingen begann. "Leider kann ich Ihnen nichts anbieten, Gentlemen! Aber dazu hätten Sie sich vorher anmelden müssen!" Er grinste und fand die Bemerkung offenbar witzig. Blanfield schien diesen Humor allerdings nicht zu teilen. Er grunzte etwas Unverständliches.
Indessen fragte Bount: "Erinnern Sie sich an den Mann im verbeulten Chrysler, den ich Ihnen gezeigt habe, Porter?" Porter blickte auf und kaute dann ungerührt weiter. Er zuckte mit den Schultern und wischte sich dann mit dem Ärmel den Mund ab "Kann schon sein!", knirschte er. "Der Mann hieß Jeffrey Kramer und ist jetzt ein tot!"
"Tut mir ehrlich Leid, aber was hat das mit mir zu tun! Ich kenne keinen Kramer!"
"Aber er kannte Sie. Das steht fest!"
"Zufall", murmelte er mit vollem Mund.
"Auch, dass in seinem Notizbuch ein halber Lebenslauf von Ihnen stand?"
Er legte den Rest vom Hot Dog bei Seite. Der Appetit schien ihm gründlich vergangen zu sein. "Hören Sie, was soll das?", knurrte er. "Warum fragen sie mir Löcher in den Bauch über einen Mann, den..." Er sprach nicht weiter, während sein Blick zwischen Bount und dem Lieutenant hin und her schwankte.
"Sie tragen bei Ihrem Nachtwächterdienst eine Waffe, nicht wahr?", meinte Bount.
Chuck Porter stand auf nickte.
"Ja. Revolver Kaliber 45."
"Und Schlagstöcke? Totschläger, Gummiknüppel... etwas in der Art?", mischte sich Blanfield jetzt ein. "Wie steht es damit!" Porter schluckte. Mit gesenktem Kopf ging er quer durch den Raum und blieb schließlich an einer Kommode stehen, auf der eine Schale mit Crackern stand. Er nahm ein paar und kaute lustlos auf ihnen herum. "Nein", sagte er dann. "So etwas haben wir nicht! Nur Revolver." Er grinste und versuchte damit seine offensichtliche Nervosität zu überspielen. "Schätze, dieser Kramer - so war doch der Name oder? - wurde mit einer solchen Waffe erschlagen. Habe ich recht?"
Bount ging nicht darauf ein. "Was haben Sie getan, bevor Sie bei Jennings als Nachtwächter waren?"
"Wen interessiert das?"
"Sie waren bei der Army, nicht wahr?"
"Na und?"
"Sanitäter?"
"Ja."
"Das heißt, Sie wussten, wie man mit einer Spritze umgeht." Chuck Porter war völlig bleich geworden. In seinen Augen blitzte es wild. Er stand da, wie ein gehetztes, in die Enge getriebenes Tier. Kalter Schweiß brach ihm aus und es war Bount sofort klar, dass er da ins Schwarze getroffen hatte.
"Woher... Woher wissen Sie das alles?"
Bount holte den Notizblock heraus, den er in Kramers Wohnung gefunden hatte. "Hier", sagte er. "Sie haben das für wertlose Kritzeleien gehalten, als Sie Kramers Wohnung durchwühlt haben, und nur die Fotos und sonstiges Beweismaterial mitgenommen, das Kramer bei sich gehortet hatte. In Wahrheit sind dies hier aber Notizen in Kurzschrift." Bount lächelte dünn. "Er war auf seine Art ein ausgezeichneter Detektiv, dass muss man ihm lassen. Was glauben Sie, was hier noch alles über Sie drinsteht?"
"Ich habe diesen Kramer nicht umgebracht! Und ich habe auch nicht seine Wohnung durchwühlt!", beharrte Porter tonlos.
"Und was ist mit Anthony Jennings?", fragte Bount dann. Eine unheilvolle, gespannte Stille erfüllte auf einmal den Raum.
In Porters Kopf schien es fieberhaft zu arbeiten. Verzweiflung stand ihm im Gesicht geschrieben. Sein Gesicht lief puterrot an und schien kurz vor dem Platzen zu stehen. Dann ging es blitzschnell.
Er riss eine Schublade der Kommode heraus und zog den 45er hervor, den er ansonsten bei seinen Bewachungsaufgaben trug. Chuck Porter war völlig durchgedreht und feuerte sofort wild drauflos.
Bount warf sich zur Seite und riss Blanfield dabei mit sich, während die Kugeln haarscharf über sie beide hinwegpfiffen und auf der anderen Seite des Raumes die Fensterscheiben in Scherben gehen ließen.
Auf dem Boden rollte sich Bount herum, während Porter zur Tür hinaus rannte. Der Privatdetektiv rappelte sich so schnell es ging hoch und setzte ihm mit der Automatic im Anschlag nach. Porter hatte den Aufzug benutzt und das hieß, dass Bount nur seine gut durchtrainierten Beine und die Treppe blieben. Das hieß aber auch, dass Porter aller Wahrscheinlichkeit nach schneller unten sein würde.
Trotzdem, Bount gab sein Bestes. Irgendwo weit abgeschlagen hörte er hinter sich den Lieutenant ächzen. Bount war schnell, aber nicht schnell genug.
Er sah Porter gerade noch durch die Tür ins Freie rennen. Der Kerl schien völlig den Verstand verloren zu haben. Die Haustür fiel ins Schloss. Bount das Motorengeräusch eines Wagens, dann einen kurzen, abrupt abgewürgten Schrei und noch ein anderes, sehr hässliches Geräusch...
Bount riss die Tür auf und stürmte hinaus, während eine dunkle Limousine mit quietschenden Reifen um die nächste Ecke bog.
Bount rannte zur Straße und blieb dann auf einmal stehen. Es war ein furchtbarer Anblick, der sich ihm da bot. Der Wagen musste Chuck Porter voll erfasst und dann meterweit durch die Luft geschleudert haben. Jetzt lag der Nachtwächter in unnatürlich verrenkter Haltung auf dem Asphalt. Das Schlimmste von allem war der Schädel. Er wirkte wie eine aufgeplatzte Melone.
Es dauerte nur Augenblicke bis sich die erste kleine Menschentraube gebildet hatte.
"Unglaublich!", meinte einer der Passanten, die stehen geblieben waren. "Der Kerl ist einfach davongefahren! So ein Schweinehund!"
"Er ist direkt auf den Mann zugefahren und sogar noch beschleunigt!", meinte jemand anderes. "Fast, als hätte er auf den armen Kerl hier gewartet!"
Bount fluchte leise vor sich hin und steckte seine Automatic ein. Einen Moment lang hatte er erwogen, sich in seinen 500 SLzu setzten und dem Todesfahrer hinterherzujagen, aber der war sicher längst irgendwo im Verkehrsgewühl untergetaucht. Hinter sich hörte Bount den Lieutenant, der offenbar erst einmal einen Moment brauchte, um die Szene zu verdauen.
"Ich habe mir die Nummer von dem Schuft gemerkt!", knurrte plötzlich jemand. Bount wandte sich herum und sah einen Rentner, der seinen Hund ausgeführt hatte.
"Wie ist die Nummer? Sagen Sie schon!"
"Sind Sie vom Police Department?"
"Wollen Sie lange diskutieren oder finden Sie nicht auch, dass der Kerl es verdient hat, dass man ihn kriegt!"