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Erstes Kommando - Chronik der Sternenkrieger Extra

Sternenkrieger Extra 1

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2018 120 Seiten
Reihe: Sternenkrieger Extra, Band 1

Zusammenfassung

Alfred Bekker
Erstes Kommando
Extra-Roman aus der Serie
“Chronik der Sternenkrieger”

Im Jahr 2242 - acht Jahre bevor Rena Sunfrost Captain des Raumschiffs STERNENKRIEGER wird - bekommt sie als junger Lieutenant ihr erstes Kommando: Sie befehligt ein bewaffnetes Raumboot im Kuiper-Gürtel. Als dort unerwarteterweise der extraterrestrische Feind der Menschheit auftaucht, droht ihre erste Mission in einer Katastrophe zu enden...

Alfred Bekker schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Zuletzt erschien DER BEFREIER DER HALBLINGE bei Blanvalet.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Alfred Bekker

Erstes Kommando

Extra-Roman aus der Serie

“Chronik der Sternenkrieger”

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Im Jahr 2242 - acht Jahre bevor Rena Sunfrost Captain des Raumschiffs STERNENKRIEGER wird - bekommt sie als junger Lieutenant ihr erstes Kommando: Sie befehligt ein bewaffnetes Raumboot im Kuiper-Gürtel. Als dort unerwarteterweise der extraterrestrische Feind der Menschheit auftaucht, droht ihre erste Mission in einer Katastrophe zu enden...

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ALFRED BEKKER schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Zuletzt erschien DER BEFREIER DER HALBLINGE bei Blanvalet.

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DIE HAUPTPERSONEN :

Rena Sunfrost - wurde gerade zum Lieutenant befördert und kommandiert das bewaffnete Raumboot DEFIANT-29.

Fähnrich Brent Tahano - Rudergänger der DEFIANT-29

Crewwoman Leka Gao - Triebwerkstechnikerin

Crewman Seku Delan - Kommunikations- und Ortungstechniker der DEFIANT-29

Crewman Fu Davis - Waffentechniker der DEFIANT-29, bedient die fünf Geschütze im Bug des Raumboots.

Admiral Raimondo - hält große Stücke auf Sunfrost und ist dennoch sehr enttäuscht von ihr.

Steven Van Doren - der später zum Ersten Offizier der STERNENKRIEGER degradierte Van Doren ist im Jahr 2242 noch Kommandant des Leichten Kreuzers PLUTO im Rang eines Commanders. Er steht kurz vor der Beförderung zum Captain und der Kommandoübernahme eines Zerstörers.

Commander Sörensen - Kommandant von Raumfort Matthews

Anmerkung: Der Begriff Captain bezeichnet einerseits einen militärischen Rang (zwischen Commander und Commodore), andererseits aber auch die Funktion an Bord eines Schiffs: Jeder Kommandant eines Schiffs wird mit Captain angeredet, ungeachtet des Ranges. So kann ein Lieutenant der “Captain” eines Raumbootes sein und ein Commodore oder Admiral der “Captain” eines großen Schlachtschiffs. Manchmal ist natürlich ein Captain auch tatsächlich ein “Captain”...

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Orbitales Spacedock, Erde, Sol-System...

Jahr 2242

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“Kommen Sie herein und stehen Sie bequem”, sagte Admiral Raimondo.

Rena Sunfrost, gerade zum Lieutenant des Space Army Corps befördert, hatte immer noch das Gefühl, dass die neuen Rangabzeichen an ihrer dunkelblauen Uniformkombination optische Fremdkörper waren. Das wird sich wohl noch ändern, war die junge Frau überzeugt.

“Sie gestatten, dass ich eben noch ein paar Sätze diktiere”, sagte Raimondo. “Aufzeichnung fortfahren”, wies er dann das Rechnersystem an. “In den Jahren 2236-39 stand der Bund der Humanen Welten von Sol vor seiner bisher größten Herausforderung. Die Menschheit war einem übermächtigen Gegner nahezu ausgeliefert. Die Qriid waren ihr sowohl organisatorisch als auch von ihren technologischen und militärischen Ressourcen her um ein Vielfaches überlegen. Dazu kam, dass sich der Aufbau des Space Army Corps zum Schutz der von Menschen besiedelten Planeten immer wieder verzögerte. Ich persönlich will nicht verhehlen, dass ich zeitweilig die Möglichkeit, dass unser Staatswesen diese Aggression überstehen könnte, kaum noch als realistisch angesehen habe. Und weshalb unser Feind seinen bis dahin erschreckend erfolgreichen Feldzug gegen die Humanen Welten einstellte, ist bisher noch immer ein Rätsel. Fest steht nur eins: Hätten die Qriid ihre Angriffe fortgesetzt, würde jetzt vielleicht schon gar keine Raumstreitmacht mehr existieren, die ihnen einen wenn auch noch so schwachen Widerstand entgegen setzen könnte. Wir haben also eine Verschnaufpause gewonnen - aus welchen Gründen auch immer. Und die sollten wir nutzen, denn es ist für mich keine Frage, dass der Konflikt mit dem Heiligen Imperium, wie unsere Feinde ihr Sternenreich nennen, noch nicht beendet ist. Irgendwann in naher oder fernerer Zukunft werden sie die Kampfhandlungen wieder aufnehmen - und dann Gnade uns Gott!  Absatz, Aufzeichnung vorläufig beendet. Speichern und mit meiner persönlichen Kennung codieren wie in die Routine eingegeben.”

Raimondo atmete tief durch und straffte seine Körperhaltung. Gleichzeitig strich er die knapp sitzende Uniformjacke glatt.

Sunfrost hatte keine Ahnung, weshalb Raimondo sie sprechen wollte. Schließlich war der Admiral keineswegs ihr direkter Vorgesetzter. Und ihre Ernennung zum Lieutenant war nun wirklich kein Ereignis, das unbedingt eine persönliche Unterredung mit einem Admiral des Space Army Corps der Humanen Welten nach sich ziehen musste. Schon gar nicht, wenn dieser Admiral Gregor Raimondo hieß und sich ohnehin kaum noch irgendwelchen militärischen Aufgaben, sondern stattdessen vor allem sicherheitspolitischen Fragen im Humanen Rat widmete.

“Sie haben gerade etwas von den Aufzeichnungen mitbekommen, die Grundlage für eine Abhandlung über meine Sicht des Qriid-Krieges werden”, erklärte Raimondo, während er auf das große Panoramafenster zuging. Man konnte die Erde als gewaltigen Halbkreis sehen. Sie befanden sich auf dem orbitalen Spacedock, auf dem Sunfrosts Ernennung zum Lieutenant stattgefunden hatte. Und hier lag auch die DEFIANT-29, ein unterlichtschnelles bewaffnetes Raumboot, dessen Kommando Sunfrost jetzt für die nächste Zeit übernehmen würde. Operationsgebiet: Äußeres Solarsystem. Genauer gesagt: Kuiper-Gürtel.

Raimondo wandte Sunfrost den Rücken zu.

Er hatte den Daumen der rechten mit dem kleinen Finger der linken miteinander verhakt und wirkte gedankenverloren, als er ins All blickte. Ein gewaltiges Schlachtschiff der Dreadnought-Klasse entfernte sich gerade vom Spacedock. Mit majestätischer Langsamkeit glitt der mächtige Schiffskörper mit seinen zahllosen Geschützen durch das All. Das Sonnenlicht wurde durch die Spezialbeschichtung der Außenhülle reflektiert. Es war die NEW CALIFORNIA, auf der Sunfrost als junger Fähnrich des Space Army Corps gedient hatte - wobei sie kein Teil der eigentlichen Besatzung gewesen war, sondern dem Stab von Admiral Kevin Rodrigo Carlos Müller angehört hatte. Müller stammte von New Paraguay, einer Siedlerwelt im Mondahar-System und hatte ein paar Eigenarten, die jedem Bewohner der Erde oder des Sol-Systems eigenartig vorkommen mussten. Extreme Bedingungen bringen extremes menschliches Verhalten hervor, hatte Sunfrost in ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie auf Ganymed in Erinnerung. Und nach allem, was sie über New Paraguay wusste, waren die Bedingungen dort tatsächlich extrem...

"Ich habe Ihren Weg seit Ihrem Abschluss auf der Space Army Corps Akademie aufmerksam verfolgt", erklärte Raimondo, ohne sich dabei zu Sunfrost umzudrehen. “Ihre bisherigen Leistungen waren sehr vielversprechend und berechtigten zu einigen Hoffnungen."

"Sir, ich weiß nicht, was..."

Raimondo hob eine Hand. Wieder, ohne sich umzudrehen.

Ein Zeichen dafür, dass ich schweigen soll, erkannte Sunfrost schluckend. Raimondos mitunter ziemlich selbstherrliche Art im persönlichen Umgang war gewöhnungsbedürftig - und Sunfrost war keineswegs die einzige, die diese Empfindung teilte.

"Eigentlich hatte ich erwartet, dass Sie sich für die Stelle eines Brückenoffiziers auf einem Flottenschiff bewerben würden", sagte Raimondo gedehnt. Noch immer wandte er ihr den Rücken zu. "Was hat Sie daran gehindert, Sunfrost?"

"Ich bin von keinem Kommandanten angefordert worden ", gab Sunfrost zurück und der Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte sie dabei. Sie klang nämlich entsetzlich schwach. Ungewöhnlich schwach und unsicher. Normalerweise entsprach das überhaupt nicht ihrer Art.

Aber anscheinend reichte schon allein Raimondos Anwesenheit aus, um sie zu verunsichern. Vielleicht wollte er das auch. Vielleicht zielte sein ganzes Gehabe letztlich nur darauf ab, das Gegenüber zu verunsichern. Es ist sein Informationsvorsprung, ging es Sunfrost durch den Kopf. Er weiß alles über jeden und niemand kann sich so richtig vorstellen, woher er das eigentlich hat. Raimondo durfte wohl einer der am besten informierten Menschen im gesamten Gebiet der Humanen Welten sein!

Jetzt endlich drehte Raimondo sich um. Langsam, sehr langsam geschah das. Auch das eine Demonstration purer Macht. Er bestimmt, was wann geschieht - und in welcher Geschwindigkeit.

Sunfrost rätselte noch immer darüber, was sein eigentliches Anliegen war. Aber sie begann es zu ahnen...

"Wenn Sie sich beworben hätten, hätte ich dafür sorgen können, dass Sie untergebracht werden. Waffenoffizier auf einem Leichten Kreuzer zum Beispiel - wäre das nichts für Sie gewesen? Oder noch besser auf einem Zerstörer, wobei das sicher für Ihre Vita von Vorteil gewesen wäre. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob man Ihnen das aufgrund Ihrer naturgemäß noch etwas bescheidenen Erfahrung zugetraut hätte." Raimondo lächelte. “Wahrscheinlich hätte man Sie dann auf den Posten eines Kommunikationsoffiziers abgeschoben oder als zweiten Rudergänger eingesetzt. Also doch besser ein Leichter Kreuzer wie die STERNENKRIEGER von Commander Reilly. Aber nein, Sie ziehen der großen Aufgabe offensichtlich ein Kommando im heimischen Sonnensystem vor - anstatt an der Grenze des Niemandslandes darauf zu achten, dass wir nicht plötzlich von den Qriid überrannt werden.”

Die Vorstellung, dass vogelartige Qriid durch den Weltraum rannten, amüsierte Sunfrost insgeheim so sehr, dass sie ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken konnte.

Raimondo bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick.

"Es würde mich wirklich interessieren, was Sie dazu zu sagen haben, Lieutenant Sunfrost", erklärte der Space Army Corps Admiral mit all dem Nachdruck, den er in seine Worte zu legen vermochte.

"Sir, darf ich offen sprechen?"

"Ich bitte sogar darum, Sunfrost."

"Das ist eine persönliche Entscheidung, wenn Sie verstehen, was ich meine."

Raimondos Blick war jetzt geradezu durchdringend. Aber Sunfrost begegnete ihm furchtlos. Sie war fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Nicht einmal von jemandem, der es ganz offensichtlich gut mit ihr meinte und sich als ihr Förderer verstand.

Wenn auch ein etwas enttäuschter Förderer, wie es bei Admiral Raimondo der Fall zu sein schien.

Die Augen des des Admirals wurden schmal, während er Sunfrost noch immer fixierte.

“Wissen Sie eigentlich, was da draußen los ist, Lieutenant? Sie glauben, Sie kennen den Krieg und die Situation an der Grenze des Niemandslandes zu den Qriid, nur weil Sie eine Zeitlang in einem Stab auf einem Dreadnought gedient haben. Aber wenn ich richtig informiert bin, haben Sie die entscheidende Schlacht gegen die Qriid verpasst.”

“Ich wurde abberufen, Sir.”

“Sie sprechen von privaten Entscheidungen - aber die Qriid scheißen auf private Entscheidungen. Die wollen das Universum erobern und ihren Glauben verbreiten und wer sich ihnen dabei in den Weg stellt, der wird gnadenlos ausgelöscht. Das ist nichts Privates, Lieutenant Sunfrost! Das ist eine Gefahr für die gesamte Menschheit und es ist reine Glücksache, dass wir ihr nicht bereits alle zum Opfer gefallen sind!”

Mag ja sein, aber was hat nun alles damit zu tun, dass ich mein erstes eigenes Kommando auf einem unterlichtschnellen Raumboot antrete?, ging es Sunfrost durch den Kopf. Sie war über Raimondos Ausbruch gelinde gesagt etwas irritiert. Aber bei Raimondo konnte man nie wissen, ob er nicht das, was eintrat, in Wahrheit tatsächlich von Anfang an beabsichtigt hatte.

Eine Pause des Schweigens entstand und Sunfrost hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen.

“Sir, ich...”

“Wir sind darauf angewiesen, dass sich die Besten den Qriid entgegenstellen und all ihre Intelligenz, all ihr Können, ihre Kraft und notfalls auch ihr Leben dafür einsetzen, dass diese Gefahr die Menschheit zumindest nicht vernichtet. Von Verschonen will ich gar nicht erst reden! Das wäre angesichts dessen, was sich in den drei Jahren des Krieges gegen die Geierköpfe ereignet hat, auch wohl zuviel erwartet.” Raimondo deutete mit dem Zeigefinger auf eine Weise auf Sunfrost, die sie an den Lauf einer Projektilwaffe oder eines Nadlers erinnerte. “Was wir nicht brauchen, sind Begabte, die glauben, aus privaten Gründen einen ruhigen Dienst im Hinterhof des Sonnensystems schieben zu können. Männer und Frauen, die eigentlich Erfahrungen in der Weite des Raums sammeln müssten und sich stattdessen zurückziehen, weil sie glauben, dass andere die Kastanien für sie aus dem Feuer holen werden. Aber so wird das nicht funktionieren, Lieutenant. Das werden Sie eines Tages, so hoffe ich, auch noch begreifen.”

Es gibt eine Grenze. Und die hat er jetzt überschritten, dachte Sunfrost. Du musst jetzt dagegenhalten! Es bleibt dir gar keine andere Wahl. Wenn du es nicht tust, wird er vermutlich den letzten Rest an Achtung vor dir verlieren.

“Sir, ich denke, Sie interpretieren etwas zuviel in meine Entscheidung hinein.”

“Ach, tue ich das?”

“Ja, Sir, das tun Sie.”

“Ich dachte, es wäre vielleicht ganz sinnvoll, Ihnen etwas Stoff zum Nachdenken zu geben, Sunfrost.”

“Und Sie sollten darüber nachdenken, dass meine Entscheidung, das Kommando auf einem unterlichtschnellen Raumboot anzunehmen, anstatt auf einer größeren Flotteneinheit zu dienen, vielleicht auch etwas damit zu tun haben könnte, dass ich mir so eine Aufgabe einfach noch nicht zutraue!”

“Nein, wenn Sie ehrlich sind, dann hat es mit einer etwas komplizierten Beziehung zu tun, die Sie mit einem Mann verbindet, der für den Far Galaxy Konzern auf Sedna im Kuiper-Gürtel arbeitet und Sie auf diese Weise in seiner Nähe bleiben können.”

Das weiß er auch? Sunfrost gab sich große Mühe, sich den Ärger darüber nicht anmerken zu lassen, dass Raimondo offenbar selbst über diese nun wirklich sehr persönlichen Details ihres Lebens anscheinend bestens informiert war. 

"Es tut mir leid, wenn meine Entscheidung Ihre Missbilligung findet, Sir", sagte Sunfrost. "Nichtsdestotrotz muss ich meine Entscheidungen alleine verantworten."

"Sie setzen die falschen Prioritäten, Sunfrost."

"Das wird sich herausstellen, Sir."

Raimondo nickte.

"Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass Sie Ihren Weg machen werden."

Ja, es ist nur die Frage, ob das in jedem Detail der Weg sein muss, den Sie für mich anscheinend vorgezeichnet haben, Sir, erwiderte Sunfrost in Gedanken. Tatsächlich blieb sie jedoch stumm. Nicht alle Wahrheiten durften von jedem auch ausgesprochen werden. "Alles, was ich Ihnen versichern kann ist, dass ich meinen Dienst so gewissenhaft wie möglich versehen werde."

"Das reicht nicht, Sunfrost. Für die Herausforderungen, die vor uns liegen, reicht das bei weitem nicht aus. Ich wünsche Ihnen trotzdem viel Glück. Vielleicht brauchen Sie diese Auszeit einfach und alles, was ich dagegen sagen könnte, ginge sowieso ins Leere. Die andere Möglichkeit wäre..."

...dass Sie sich in mir getäuscht und mich schlicht und ergreifend überschätzt haben, vollendete Sunfrost in Gedanken den Satz des Admirals. Er braucht es nicht einmal auszusprechen.

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ALS SUNFROST DEN RAUM von Admiral Raimondo verlassen hatte, wusste sie nicht so recht, was sie von dieser Begegnung eigentlich halten sollte. Sie ging den breiten Korridor des Spacedocks entlang, begegnete ein paar Technikern in den Overalls mit dem Emblem des Space Army Corps, die auf dem Spacedock im Erdorbit ihren Dienst taten.

Sie alberten herum, bis sie Sunfrost bemerkten. Daraufhin nahmen sie zwar nicht gleich Haltung an, verstummten aber augenblicklich.

Das liegt daran, dass die Uniformen eines Lieutenants und eines Admirals sich zur Zeit vom Schnitt her ziemlich ähnlich sind und man sie auf den ersten oberflächlichen Blick leicht verwechseln kann, wenn man nicht auf die Abzeichen und Streifen achtet, dachte Sunfrost. Vermutlich würde man das ziemlich bald ändern. Rang hatte seine Privilegien und diejenigen, die an der Spitze standen, würden schon darauf achten, dass diese Privilegien nicht auf die unteren Ränge übergingen.

In Sunfrosts Gedanken klangen die Worte des Admirals noch nach.

Irgendwie hatte man nach einem Zusammentreffen mit Raimondo stets das Gefühl sich falsch verhalten und die Karriere ein für allemal ruiniert zu haben.

Und diesmal traf das ganz besonders zu.

Es sollte mir gleichgültig sein, was dieser selbstherrliche Kerl denkt, dachte Sunfrost. Einfach tun, was man für richtig hält, mehr dem Bauch folgen, als dem Verstand und dann abwarten, was dabei herauskommt.

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EINSCHLIEßLICH DER Kommandantin bestand die Besatzung der DEFIANT-29 aus fünf Personen. Fähnrich Brent Tahano war der Rudergänger des bewaffneten Raumbootes. Ein Absolvent der Space Army Corps Akademie auf Ganymed, genau wie Sunfrost selbst. Nur mit dem Unterschied, dass sie gerade Lieutenant geworden war, während der ein paar Jahre jüngere Tahano vor kurzem die Akademie beendet hatte. Trotz seiner geringen Erfahrung war Tahano ihr Stellvertreter, was einfach daran lag, dass er als Fähnrich die Offizierslaufbahn eingeschlagen hatte, während es sich bei den anderen Besatzungsmitgliedern lediglich um einfache Crewmen handelte.

Während des Qriid-Krieges von 2236-39 hatte es hohe Verluste unter den Besatzungen der Space Army Corps Schiffe gegeben. Daher waren zahlreiche Männer und Frauen im Schnellverfahren ausgebildet und angeheuert worden. Zumeist kamen sie aus technischen Berufen der zivilen Raumfahrt oder waren aus den lokalen Verteidigungsflotten hervorgegangen, die einige Mitgliedssysteme der Humanen Welten bereits vor Gründung der gemeinsamen Raumstreitmacht aufgestellt hatten.

“Captain, es ist alles bereit zum Aufbruch”, meldete Tahano.

Captain. Hört sich gut an, dachte Sunfrost. Ein Captain bezeichnete innerhalb des Space Army Corps der Humanen Welten immer den Kommandanten eines Schiffs, ganz gleich wie groß die Einheit war, wie viel Mann Besatzung sie hatte oder welchen militärischen Rang der Kommandant innehatte. Dass es dabei auch einen militärischen Rang mit der Bezeichnung Captain gab, gehörte zu den vielen Absurditäten, die es traditionellerweise in derartigen Hierarchien gab und mit denen man sich wohl am besten frühzeitig abfand.

“Danke, Fähnrich Tahano.”

“Es sind alle Besatzungsmitglieder an Bord. Crewwoman Gao hat die Maschinen schonmal heiß laufen lassen, wenn Sie verstehen, was ich meine.”

Sie gingen durch den Korridor, der von der Schiffsschleuse zur Brücke führte. Rechts und links befanden sich die Kabinen. Einzelkabinen. Und so klein wie komfortable Särge. Dracula’s Home nannte man sie deswegen auch. Sunfrost war aus ihrer Akademiezeit bestens mit den Verhältnissen auf bewaffneten Raumbooten vertraut. Für taktische Übungen hatten nämlich so gut wie nie große Kampfschiffe zur Verfügung gestanden. Man hatte schon froh sein können, genügend Raumboote für die Ausbildung zur Verfügung zu haben und nicht etwa lediglich auf den Simulator angewiesen zu sein. Denn für die Realität gab es letztlich keinen Ersatz - und wenn man die zum ersten Mal in einer Gefechtssituation kennenlernen musste, war das mit Sicherheit etwas spät.

“Um ehrlich zu sein, weiß ich keineswegs, was Sie damit meinen, dass Crewwoman Gao die Maschinen hat heiß laufen lassen”, sagte Sunfrost. “Ich kann mir jedenfalls schwer vorstellen, dass die Maschinen bereits gestartet wurden, während wir noch angedockt sind. Davon abgesehen, würde man die Vibrationen spüren.”

“Sie kennen sich anscheinend mit den Raumbooten des DEFIANT-Typs aus, Captain.”

“Ich bin oft genug mit einer DEFIANT geflogen.” 

“Entschuldigen Sie, Captain. Damit ist gemeint, dass sie die Startroutine des Antriebs in der Simulation hat durchlaufen lassen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit für einen reibungslosen Start höher.”

“Ah, ja.”

Tahano war ihr, was der Jargon der Raumboot-Crewmen anging, um ein paar Monate voraus. Ein paar Monate Erfahrung, die sich in diesem Moment bemerkbar gemacht hatten.

Tahano blieb stehen und deutete auf eine Schiebetür. “Der Sarg des Captains.” Tahano deutete auf die kleine Tasche, die Sunfrost mit sich führte. In der war gerade mal Platz für eine Ersatzuniform und die nötigsten persönlichen Dinge.

“Sie sollten Ihre Sachen dort lassen.”

“Sie haben recht, Fähnrich.”

“Legen Sie Ihre Hand neben die Markierung, damit sich die Tür öffnet."

"Warum neben die Markierung?,", wunderte sich Sunfrost.

"Ist ein Produktionsfehler. Der sensitive Bereich liegt rechts neben der Markierung, anstatt genau dort, wo sie eigentlich hätte sein sollen." Tahano zuckte mit den Achseln. "Kriegsproduktion. Da musste manches ziemlich schnell gehen, wie mir scheint."

"Müssen nicht erst meine telemetrischen Daten und mein Handabdruck aus der zentralen Datenbank des Space Army Corps abgerufen werden?", fragte Sunfrost, die ihre Hand im ersten Moment zurückzog, ohne den sensitiven Bereich berührt zu haben. "Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass dies automatisch und vor allem ohne Bestätigung des Dateninhabers geschieht."

Tahano grinste.

"Geschieht auch nicht, Captain."

"Aber..."

"Funktioniert aber trotzdem. Wir haben die individualisierenden Funktionen der Sensorfelder abgeschaltet. Die haben ohnehin nicht zuverlässig funktioniert und immer wieder für Ärger gesorgt.”

"Das bedeutet, jedes Besatzungsmitglied hat freien Zugang zu jedem..." Sunfrost zögerte, ehe sie dem Slang-Ausdruck für die Kabinen eines Raumbootes benutzte. "...Sarg?"

"Captain, es befinden sich nie mehr als fünf Besatzungsmitglieder an Bord der DEFIANT-29. Wenn wir uns nicht vertrauen, dann sollten wir gar nicht erst in einen Einsatz fliegen, finden Sie nicht auch?"

Etwas irritiert hob Sunfrost die Augenbrauen.

"Hat mein Vorgänger das so gesehen?"

"Ja, Captain. Das hat er. Hören Sie, ich weiß, dass man beim Stabsdienst auf einem Dreadnought einen etwas anderen Standard gewohnt ist. Und ich muss ehrlich gestehen, dass ich auch erst eine Weile gebraucht habe, um mich an manche Dinge zu gewöhnen, die ich von der Space Army Corps Akademie irgendwie etwas anders kannte."

"Ehrlich gesagt, hatte ich immer die Vorstellung, dass Vorschriften dazu da sind, eingehalten zu werden."

"Ehrlich gesagt, habe ich meine ersten Monate hier an Bord im Wesentlichen dazu verwandt, mich von diesen Vorstellungen so weit wie möglich zu lösen, Captain. "

Das kann ja heiter werden, dachte Sunfrost.

Bis zur Brücke waren es nur ein paar Schritte. Von einer Brücke im klassischen Sinn zu sprechen, war ohnehin auf einem so kleinen Raumschiff vollkommen übertrieben. Die Brücke war abgesehen vom Maschinentrakt der größte Raum. Und eigentlich auch der einzige, der sich zum Aufenthalt eignete, es sei denn man wollte schlafen und begab sich in seinen Sarg.

Dracula’s Home, so hatte es auf der Akademie geheißen, sei ursprünglich dafür vorgesehen gewesen, als Rettungskapsel im Fall einer Havarie abgesprengt zu werden. Aber dazu war es aus Kostengründen nie gekommen. Schnell, billig, effektiv - das waren die Maximen gewesen, die in den Jahren des Qriid-Krieges maßgeblich gewesen waren.

Tahano stellte den Rest der Besatzung vor. Sunfrost kannte die Gesichter allerdings bereits aus den Personaldaten, die sie sich natürlich vor Antritt ihres Kommandos angesehen hatte.

Neben der Triebwerkstechnikerin Leka Gao war Crewman Seku Delan der Kommunikationstechniker an Bord der DEFIANT-29. Die Waffensysteme bediente Crewman Fu Davis.

Keiner von ihnen hatte einen Offiziersrang oder befand sich in einer Ausbildung, die mit einem Offizierspatent der Space Army Corps Akademie abgeschlossen wurde. Daher wurde auch nicht vom Waffenoffizier oder Funkoffizier gesprochen, wie es an Bord größerer Einheiten und selbst auf Zivilschiffen gang und gäbe gewesen wäre, sondern von Technikern und Crewmen. 

Sunfrost begrüßte die Crew knapp.

"Wir haben Order, umgehend in unser zukünftiges Haupteinsatzgebiet aufzubrechen. Unser Ziel ist der Matthews-Sektor im Kuiper-Gürtel. Es gibt dort anscheinend Schwierigkeiten mit Erzpiraten und deshalb will das Space Army Corps dort verstärkt Präsenz zeigen", erklärte Sunfrost. "Nähere Instruktionen werden wir wohl vor Ort bekommen."

"Also das Übliche", gestattete sich Waffentechniker Fu Davis eine Bemerkung.

"Ich glaube, niemand von uns würde es vorziehen, gegen Qriid zu kämpfen", gab Sunfrost zurück.

"Ich habe den Krieg auf so einem lausigen Unterlichtraumboot mitgemacht”, sagte Davis.

"Dann wissen Sie ja, wovon ich spreche, Crewman Davis."

"Mit einer unterlichtschnellen Einheit gegen Angreifer zu kämpfen, die urplötzlich aus dem Zwischenraum auftauchen und auch dorthin wieder verschwinden, wenn sie genug von einem haben, ist generell alles andere als eine erfreuliche Angelegenheit, Captain. Gegen die Piraten, die es hin und wieder im Kuiper-Gürtel gibt, haben wir zumindest eine reelle Chance, sie auch zu kriegen, weil sie in der Regel nicht so gut ausgerüstet sind wie die Qriid."

"Das wird sich vermutlich bald ändern", glaubte Kommunikationstechniker Seku Delan. "Überlichtantriebe werden immer preiswerter. Eines Tages wird jedes Beiboot ein Sandström-Aggregat haben. Und nur das Space Army Corps wird noch mit alten Kisten durch das All gurken, weil der Humane Rat mal wieder irgendwelche Sparmaßnahmen beschließt, die wir alle eines Tages teuer bezahlen werden."

Eine Befürchtung, die Sunfrost durchaus teilte. Sie ging allerdings auf diese Bemerkung jetzt nicht weiter ein. Die Politik des Humanen Rates zu kommentieren, sah sie nicht als ihre Aufgabe an. Eigentlich sollten die Angehörigen des Space Army Corps darauf vertrauen können, dass man dort vernünftige Entscheidungen traf, die auch die Tatsache in Betracht zogen, dass das All kein friedlicher Ort und vor allem die Qriid kein friedlicher Nachbar waren und dass sich an der generellen Aggressivität dieses Sternenreiches auch durch die eingetretene Waffenruhe im Grundsatz nicht das Geringste geändert hatte.

“Ruder! Starten Sie!”, befahl Sunfrost.

“Aye, aye, Captain”, bestätigte Brent Tahano. Er nahm ein paar Schaltungen an der Konsole des Rudergängers vor.

Im Notfall musste jeder an Bord die Funktion eines jeden anderen übernehmen können. So waren die Besatzungen ausgebildet worden und auch Sunfrost hatte während ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie auf Ganymed jede der Funktionen ausgefüllt. Selbst die des Triebwerktechnikers, auch wenn sie nicht gerade sagen konnte, dass ihr dieser Part besondere Freude gemacht hatte. Auf größeren Schiffen hatte diese Position üblicherweise ein Ingenieur inne, sodass es nahezu ausgeschlossen war, dass man mit einer gewöhnlichen Standard-Offiziersausbildung des Space Army Corps auf so einen Posten abkommandiert wurde.

Nachdem Brent Tahano die DEFIANT-29 gestartet hatte, ging ein dumpfes Rumoren durch das Raumboot. Der Boden zitterte leicht. Auch daran muss ich mich wohl erst wieder gewöhnen, dachte Sunfrost. An Bord der Dreadnought NEW CALIFORNIA hatte man davon jedenfalls nichts gemerkt.

Das Raumboot löste sich vom orbitalen Spacedock.

Sunfrost verfolgte auf einem Drei-D-Display mit, welche Position die DEFIANT-29 gerade hatte.

Tahano war ein gute Pilot. Das konnte sie jetzt schon sagen.

“Triebwerksstatus: zufriedenstellend”, meldete Gao unterdessen, nach ein paar angestrengten Blicken auf ihre Displays.

“Nur zufriedenstellend?”, wunderte sich Sunfrost.

Gao drehte sich kurz um. Ihre schräg gestellten Mandelaugen waren sehr dunkel. Das blauschwarze Haar hatte die Triebwerkstechnikerin zu einem strengen Knoten gebunden. “Mehr als zufriedenstellende Werte haben wir schon lange nicht mehr erreicht”, sagte sie.

“Ach, nein?”

“Das ist genau genommen so, seit dieses Raumboot bei einem Qriid-Gefecht einen Traser-Treffer abbekommen hat. Über ‘zufriedenstellend’ sind wir seitdem nicht mehr hinausgekommen, meistens liegen die Anzeigen in Bereichen, die sich laut Vorschrift nur als ausreichend zusammenfassen lassen.”

“Was für ein Gefecht war das?”, fragte Sunfrost.

“Nicht gerade die Schlacht von Tridor”, sagte Gao. “Niemand an Bord der DEFIANT-29 hatte bisher die Gelegenheit, Geschichte zu schreiben, so wie Sie, Sunfrost.”

“Lieutenant Sunfrost”, stellte die frisch gebackene Kommandantin klar. Der Umgangston war hier ziemlich locker. Lockerer jedenfalls, als sie es auf der NEW CALIFORNIA oder irgendeinem anderen Schiff des Space Army Corps kennengelernt hatte. Aber angesichts der Tatsache, dass die meisten Besatzungsmitglieder der bewaffneten Raumboote nicht die reguläre Ausbildung auf Ganymed durchlaufen hatten, war das nur zu verständlich. Trotzdem - Sunfrost hatte instinktiv das Gefühl, jetzt eine deutliche Grenze ziehen zu müssen. Und das hatte sie nun getan. Ob dieses Bestehen auf der Autorität ihres Ranges wirklich ein kluger Zug gewesen war, musste sich allerdings noch herausstellen. Sunfrost war sich in diesem Punkt selbst nicht so ganz sicher. In einer Crew von fünf Mann gelten wohl immer ein bisschen andere Gesetze, als wenn es um tausend Mann Besatzung an Bord eines Dreadnought geht, dachte sie. Laut sagte Sunfrost: “Ich habe die Schlacht von Tridor nicht mitgemacht.”

“Ich dachte, Sie wären auf der NEW CALIFORNIA gewesen?”, wunderte sich Gao.

Ihr Gesicht blieb dabei vollkommen unbewegt.

“Ich habe im Stab von Admiral Müller gedient und wurde abberufen, kurz bevor die NEW CALIFORNIA den Befehl bekam, ins Tridor-System zu fliegen.”

“Ich verstehe.”

Das glaube ich kaum, dachte Sunfrost. Der Unterton in Gaos Stimme war es, der Sunfrost von Anfang an nicht gefallen hatte. Ich scheine ihr offensichtlich nicht sympathisch zu sein, dachte Sunfrost. Vielleicht mag sie es einfach auch nicht, dass jemand von der Ganymed Akademie daherkommt, und ihr Befehle erteilt. Jemand ohne die geringste Ahnung von der Praxis, wie sie vielleicht glaubt... In gewisser Weise verständlich, aber Rücksicht werde ich darauf nicht nehmen können.

Gao wandte sich an Seku Delan, den Kommunikationstechniker.

“Doch keine Kriegsheldin, Seku! Man hat dir offenbar nicht die vollständige Story erzählt!”

“Anscheinend”, wiederholte Delan, ohne dabei von der Kontrolle seiner Displays aufzublicken. Er war kahlköpfig und schwarz.

Schon im Sitzen wirkte er riesig. Wenn er sich erhob, fragte man sich, wie ein so großer und breitschultriger Mann in einem der Kabinensärge überhaupt Platz finden konnte.

Offensichtlich ging es.

Seku Delan diente schließlich schon ein paar Jahre auf der DEFIANT-29 und es war wohl kaum anzunehmen, dass er diese Zeit schlaflos verbracht hatte.

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ZWEI WOCHEN DAUERTE der Flug ins Zielgebiet im Kuiper-Gürtel. Die DEFIANT-29 verfügte zwar über ähnliche Beschleunigungswerte wie die überlichtschnellen Schiffe des Space Army Corps. Innerhalb von zehn Stunden war es möglich auf vierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen. Ein Leichter Kreuzer brauchte dafür acht Stunden. Und gerade, was die Beschleunigung von Null auf zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit anging, war ein Raumboot wie die DEFIANT-29 sogar schneller, was an der geringeren Masse im Verhältnis zur Leistungsstärke der Triebwerke lag.

Selbst die Qriid-Schiffe konnten von einem bewaffneten Raumboot eingeholt und gestellt werden. Zumindest mit etwas Glück.

Im Gegensatz zu den überlichtschnellen Einheiten trat die DEFIANT-29 allerdings nicht bei einem Wert von vierzig Prozent LG in den Sandström-Raum ein, um in diesem Zwischenkontinuum eine Geschwindigkeit zu erreichen, die relativ zum Normalraum höher als die Lichtgeschwindigkeit war.

Die Eintrittsgeschwindigkeit, die den Übertritt in den Sandström-Raum ermöglichte, wurde nur für überschaubare Zeitspannen gehalten.

Und das war auch gut so, denn andernfalls hätten sich Zeitdilatation und erhöhte Strahlung auch bei diesen Werten bereits auf Dauer bemerkbar gemacht. Die Geschwindigkeit stauchte den Raum. Sie verkürzte Entfernungen - aber sie macht auch aus harmloser, langwelliger Infrarotstrahlung im Extremfall kurzwellige Gamma-Strahlung.

Auf Dauer schneller als mit 40 Prozent LG zu fliegen wäre tödlich gewesen.

Zwei Wochen Unterlichtflug... Sunfrost hatte nicht geahnt, wie groß die Langeweile sein konnte, wenn man in einer Nussschale gefangen war, die von einem leistungsstarken Triebwerk durch das All geschossen wurde.

Eine Nussschale? Ein erweiterter Sarg, dachte Sunfrost, während sie sich dort zum ersten Mal mehr oder minder häuslich einrichtete, was im Wesentlichen hieß, seine Sache so zu ordnen, dass sie einen nicht störten, wenn man sich ausstreckte. Aufrecht stehen konnte man im Kabinensarg ohnehin nicht. Und Sunfrost konnte sich durchaus vorstellen, dass man darin auf die Dauer Platzangst bekam.

Immerhin war die Decke mit Datenfolie ausgekleidet.

Man konnte sich entweder die Bilder der Außenkameras darauf projizieren lassen oder eines der Bildprogramme aus der Datenbank des Bordcomputers nutzen. Einen schlichten blauen Himmel nach Erdnorm zum Beispiel. Oder wahlweise auch eine Zimmerdecke. Ganz wie man wollte.

Sunfrost streckte sich aus.

Zwei Wochen, dachte sie. Mit einem Überlichtraumschiff ist man in dieser Zeit 50 Lichtjahre entfernt, zum Beispiel im New Hope-System an der Grenze zum Niemandsland zum Imperium der Qriid...

Sie hingegen würde in kosmischen Maßstäben gemessen, diese zwei Wochen mit einer Reise zubringen, bei der die zurückgelegte Distanz gegenüber der Entfernung Sol - New Hope kaum darstellbar war.

Hatte Admiral Raimondo recht? Habe ich einen Fehler gemacht, als ich mich dafür entschied, im nahegelegenen Hinterhof des Sol-Systems herumzufliegen, anstatt an den Grenzen der menschlichen Besiedlung des Weltalls?

Über ihren Armbandkommunikator steuerte sie das Programm der Datenfolie an und stellte eine Verbindung zur Sandström-Funkanlage her. Da derzeit kein Alarm herrschte, war der überlichtschnelle Funk für private Verbindungen der Besatzungsmitglieder frei verfügbar. Und im Gegensatz zum herkömmlichen Funk musste man wenigstens nicht Stunden oder Tage auf eine Antwort warten.

Auf der Datenfolie über Sunfrosts Kopf erschien ein Bild-Fenster. Ansonsten hatte sich Sunfrost dafür entschieden, die Aufnahmen der Bordkameras an die Decke ihres Sargs zu projizieren, sodass man die Illusion haben konnte, frei ins All sehen zu können. Schließlich bin ich Raumfahrerin, ging es ihr durch den Kopf. Und besser als Platzangst durch die sargähnliche Innenoptik dieser Mini-Kabine zu bekommen war es allemal.

Das gerade geöffnete Bild-Fenster schien mitten im Nichts des Alls zu schweben. Es zeigte zunächst nur das Emblem des Kommunikationsservice des Space Army Corps.

"Ihre Verbindung nach Sedna", sagte die Kunststimme des Systems.

"Freischalten", sagte Sunfrost.

Wenig später wurde das Space Army Corps Emblem gegen das Markensymbol des Far Galaxy Konzerns ausgetauscht. Far Galaxy betrieb die Akademie auf dem Zwergplaneten Sedna, wobei diese Ausdrucksweise den Sachverhalt nicht so ganz traf. In Sedna hätte es eigentlich heißen müssen, nicht auf Sedna. Die Forschungsanlagen der konzerneigenen Forschungseinrichtung und Universität befanden sich nämlich zum Großteil unter der Oberfläche des gut 1200 km durchmessenden Zwergplaneten, der jenseits der Bahn des Pluto seine exzentrische Bahn zog, die ihn vermutlich alle zehntausend Jahre einmal die Sonne umrunden ließ. Vermutlich deshalb, weil das so genau bisher niemand sagen konnte. Die menschliche Wissenschaft beschäftigte sich einfach noch nicht lange genug mit der Erforschung der Umlaufbahnen von so weit entfernten Objekten, als dass es möglich gewesen wäre, einen kompletten Sonnenumlauf von Sedna zu verfolgen. Und während einer so langen kosmischen Reise konnte alles mögliche geschehen, was die Umlaufgeschwindigkeit zeitweise erhöhte oder abbremste. Und auch, wenn der Kuiper-Gürtel quasi der kosmische Hinterhof des Sol-Systems war und die Menschheit der Humanen Welten inzwischen zahlreiche weitere Systeme besiedelt und erforscht hatte, waren noch immer nicht alle Objekte bekannt, die in diesem entlegenen Gebiet umherflogen. Es gab tausend von Zwergplaneten darunter. Die größten übertrafen Pluto an Volumen und Masse, so wie beispielsweise Eris, auf dem es immerhin einen florierenden Raumhafen für Prospektorenschiffe gab und sich in den letzten fünfzig Jahren eine ganz ansehnliche Werftindustrie entwickelt hatte.

Ungefähr 800 km Durchmesser brauchte ein Körper, um sich zu einer mehr oder minder gleichmäßigen Kugelform zusammenzuballen, was eine der Voraussetzungen zur Klassifizierung als Zwergplanet war. Wie viele Objekte dieser Klasse es letztlich im Sonnensystem gab, war nicht bekannt. Es wurden immer wieder neue entdeckt, klassifiziert, kartographiert - und gegebenenfalls auch besiedelt und wirtschaftlich ausgebeutet, wenn es interessante Rohstoffe gab.

Darüber hinaus gab es natürlich noch jede Menge unregelmäßig geformter Brocken jeder nur denkbaren Größe zwischen der Neptun-Bahn und der äußersten Systemgrenze, von der eigentlich niemand genau wusste, wo man sie ansetzen sollte. Irgendwo zwischen Sol und Proxima Centauri überwog dann einfach die Gravitation eines anderen Gestirns.

In dem Bildfenster erschien ein bekanntes Gesicht.

"Tony", entfuhr es ihr.

Tony Morton, geniales Wissenschaftler-Talent in den Bereichen Genetik und Terraforming und allem, was diese beiden Gebiete miteinander verband, war ihr Ehemann. Eine Beziehung auf Distanz - notgedrungen und durch die Umstände erzwungen. Sie hatten sich kennengelernt, als sie noch auf die Ganymed-Akademie gegangen war, ineinander verliebt und ziemlich schnell geheiratet. Vielleicht deshalb, weil sie beide gedacht hatten, dass dieser offizielle Bund eine Art Schutz gegen die Entfremdung war, die sich bei einer Fernbeziehung einstellen konnte.

"Hallo Rena", begrüßte Tony Morton sie. Sein Lächeln wirkte angestrengt. "Wie läuft es mit deinem ersten Kommando?"

"Ganz gut, denke ich."

"Na, dann."

"Man könnte auch sagen, ich halte mich über Wasser."

"Dann würde ich sagen, es ist alles in Ordnung. Mehr kann man doch nicht verlangen, finde ich."

"Ja."

"Wohin geht's?"

"Raumfort Matthews."

"Ist ja quasi um die Ecke", meinte Tony Morton.

Das war natürlich reichlich geschönt ausgedrückt. Die Entfernungen da draußen im Kuiper-Gürtel hatten einen ganz anderen Maßstab als im Inneren des Sol-System. Erde und Pluto waren in ihren gegenwärtigen Positionen ungefähr genauso weit voneinander entfernt wie Sedna und das Raumfort Matthews.

"Ich habe nicht viel Zeit", sagte Tony Morton dann.

“Natürlich.”

“Es findet gleich ein Meeting statt, bei dem sich das finanzielle Schicksal unseres neuesten und geheimsten Forschungsprojektes entscheidet. Du kennst das ja. Es ist immer dasselbe. Ich hoffe, dass meine Präsentation gegenüber den Verantwortlichen des Konzerns da etwas herausholen kann.”

Sunfrost lächelte. “Dann drücke ich dir alle Daumen, Tony.”

“Ich dir auch.”

“Ein Raumboot zum Raumfort Matthews zu fliegen ist nun wirklich nicht gerade eine anspruchsvolle Mission, Tony.”

“Jeder fängt mal klein, würde ich sagen.”

Rena lächelte verhalten.

“Ja, so muss man das wohl sehen.”

“Hör mal, ich muss jetzt wirklich Schluss machen.”

“Schon gut, Tony.”

“Bis demnächst!”

Die Verbindung wurde unterbrochen. Das Emblem des Space Army Corps füllte wieder das Bildfeld aus.

Raumfort Matthews. Was für ein interessanter Ort, dachte Rena voller Ironie. Ein Stück freischwebendes Blech, irgendwo im Kuiper-Gürtel. Selbst Sirius und die Wega sind der Erde verkehrstechnisch näher als diese Station in der Wüste aus Gesteins- und Eisbrocken, die unser Sonnensystem wie eine Kugel umgibt...

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AN DIE NÄCHTE IN DRACULA’S Home begann Sunfrost sich langsam zu gewöhnen - wobei Nächte wohl nur eine Analogie für ein normaleres Leben sein konnte.

Schließlich herrschte so weit von der Sonne entfernt immer Nacht.

Zeitweilig musste Sunfrost die DEFIANT-29 auch vollkommen allein steuern. Das wurde von jedem Crewmitglied erwartet. Und tatsächlich stellte das an eine Absolventin der Space Army Corps keine besondere Anforderung dar.

Tahano zeigte ihr die Feinheiten, die es bei der Bedienung der Steuerung zu beachten galt. “Unser Gerät ist halt nicht unbedingt A-Ware”, meinte der Rudergänger. “Aber wenn man die Mucken unserer guten DEFIANT-29 etwas beachtet, dann lässt sich mit ihr eigentlich ganz gut umgehen.”

“Sie sprechen schon von unserem Raumboot wie von einer Person”, stellte Sunfrost amüsiert fest.

“So muss man sie nehmen, Lieutenant. Ein paar Macken, aber sonst ganz liebenswürdig. Die Alternative wäre doch nur, diesen Blechkasten möglichst schnell auf den Schrottplatz zu bringen.”

“Manchmal frage ich mich, wie das Space Army Corps den Krieg gegen die Qriid überhaupt überstehen konnte”, seufzte Sunfrost.

Überstehen”, wiederholte Tahano.

“Was?”

“Naja, auf diesem Wort sollte die Betonung liegen: Überstehen - nicht etwa siegen oder sowas. Und ich finde, das sagt doch schon alles aus. Eines Tages, Lieutenant, kommen die Qriid zurück und dann machen sie uns fertig. Glauben Sie es mir!”

“Mit Ihrer Befürchtung sind Sie keineswegs allein”, gab Sunfrost zurück.

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EINE ASTRONOMISCHE Einheit (AE) entspricht acht Lichtminuten oder dem Abstand zwischen Erde und Sonne.

Bei etwa vierzig Astronomischen Einheiten Entfernung von der Sonne beginnt der Kuiper-Gürtel.

Das ist knapp hinter der Neptun-Bahn. Und er erstreckt sich dann bis zu einer Entfernung von 500 AE.

Pluto, Eris, Sedna, Quuor, Makemake... Tausende von Zwergplaneten und anderen Objekten aus Eis oder Gestein waren dort zu finden. Niemand wusste, wie viele es waren. Und auch jetzt, im Jahr 2242, waren entfernte Sonnensysteme wie Wega, Sirius oder New Hope teilweise besser erforscht als diese unendliche kosmische Geröllwüste.

Such dir einen Zwergplaneten und du findest ihn, dachte Sunfrost, als sie wieder mal eine Soloschicht hatte und die DEFIANT-29 in Eigenregie durch die ewige Nacht des Alls lenkte.

Tahano und Gao spielten im hinteren Bereich des Raumboots Schach. Delan und Davis lagen in ihren Särgen und ruhten sich aus.

Tatsächlich wanderten alle möglichen Sektierer und Leute, die sich einen interstellaren Flug für ihre Auswanderung nicht leisten konnten, in den Kuiper-Gürtel aus. Manche der Zwergplaneten hatten sogar Monde. Pluto mit seinen sechs Trabanten war ein gute Beispiel dafür. Hin und wieder bildeten mehrere der Zwerge auch bizarre Systeme oder traten in gravitätische Wechselwirkung - entweder mit anderen Zwergen oder mit Neptun und Uranus. Wer es auf einer Welt aus verschmutztem Eis aushalten konnte und wem es nichts ausmachte, dass die Sonne von dort aus gesehen kaum größer als ein heller Stern war, bekam dort einen Ort, wo er ungestört leben konnte.

Zumindest so lange ungestört, bis nicht irgendwelche Konzerne Besitzansprüche stellten. Denn die Rohstoffgewinnung war ein zweiter Grund dafür, dass die kosmische Geröllwüste nicht mehr ganz so einsam war, wie in der Vergangenheit.

Es gab alles Mögliche, was man hier fördern konnte. Seltene Mineralien oder schwerer Wasserstoff oder gefrorene Kohlenwasserstoffe - bei genauerer Betrachtung war die Geröllwüste in Wahrheit eine Schatzkammer. Man musste nur einige Anstrengungen unternehmen, um die Schätze auch zu heben.

Und natürlich gab es auch einige, die es sich in diesem Punkt etwas leichter machten. Piraten, die einfach abwarteten, bis irgendein ungeschützter Frachter mit Deuterium daherkam und ihn sich schlicht und ergreifend kaperten.

Zur Bekämpfung der Piraterie war das Space Army Corps zwar nie gegründet worden. Aber andererseits gab es wohl innerhalb der Humane Welten keine andere Macht, die der Piraterie auf Dauer Einhalt gebieten konnte.

Wenn überhaupt...

Die Neptun-Bahn lag längst hinter ihnen und es lagen noch viele Tage eintönigen Fluges vor ihnen.

“Seien Sie ehrlich, Lieutenant, so haben Sie sich das nicht vorgestellt, oder?”, sprach Crewwoman Gao sie beim Frühstück an. Das Frühstück nahmen sie im hinteren Teil des Raumbootes ein, während Tahano die DEFIANT-29 im Alleingang steuerte. Wenn dessen Schicht zu Ende war, war Sunfrost wieder dran und und Gao hatte sich um einen routinemäßige Überprüfung der Triebwerke zu kümmern.

Alles ging seinen Gang.

“Ich gebe zu, dass unsere Mission bis jetzt nicht gerade aufregend war”, sagte Sunfrost. “Allerdings muss das ja nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein.”

“Haben Sie auch wieder recht. Aber ich bin ganz ehrlich”, sagte Gao.

“Wie meinen Sie das?”

“Wenn ich ein gutes Angebot für irgendeinen Frachter kriege, bin ich raus aus dem Space Army Corps.”

“Das wäre schade.”

“Wenn man sich schon zu Tode langweilt, kann man das auch zu den besseren Bedingungen der Privatwirtschaft, finde ich.”

“So kann man das natürlich auch sehen.”

“Ich sehe es so.” Gao zuckte mit den Schultern. “Leider war noch nicht das Passendes dabei. Aber ich verfolge die Ausschreibungen, wann immer wir Netzkontakt haben.”

“Nun, danke, dass Sie mich darüber unterrichten”, sagte Sunfrost.

“Ich schenke Menschen, mit denen ich zu tun habe, immer gerne reinen Wein ein.”

“Ich schätze Ihre Arbeit, Gao. Und es hätte mich eigentlich gefreut, wenn wir länger zusammen auf einem Schiff gedient hätten.”

Gao lächelte verhalten, wie es ihre Art war. Ein hintergründiges Lächeln, das nie zu hundert Prozent zu deuten war. Sie strich sich eine Strähne ihres blauschwarzen Haars hinter die Ohren, während sie den letzten Schluck aus ihrem Becher nahm.

“Ich bin ja noch nicht weg”, sagte sie. “Und mich so einfach davonmachen, das geht hier draußen ja wohl schlecht.”

“Allerdings!”

Sunfrost musste schmunzeln.

“Sehen Sie!”

“Was trinken Sie da übrigens?”, fragte Sunfrost.

“Kaffee. Kennen Sie das nicht?”

“Ich habe davon gehört.”

“Ist auf jeden Fall sehr viel besser als diese Synthodrinks, die fast jeder trinkt. Ich lass dieses Gift nicht mehr in mich hineinlaufen und mach mir dafür lieber die Mühe, mir richtigen Kaffee zu machen, auch wenn das ziemlich aus der Mode gekommen ist. Wollen Sie ihn bei Gelegenheit mal probieren?”

“Warum nicht!”, sagte Sunfrost. “Der Geruch gefällt mir jedenfalls!”

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120 ASTRONOMISCHE EINHEITEN von Zuhause, dachte Sunfrost, während einer ihrer Soloschichten. 120 mal der Abstand Erde-Sonne...

Bis Raumfort Matthews war es jetzt nicht mehr weit.

Sunfrosts Aufmerksamkeit wurde durch einen Himmelskörper abgelenkt, dem man den Namen ‘Tempel’ gegeben hatte.

Die fünfstellige Nummer, unter der dieses Objekt offiziell zu finden war, konnte sich ohnehin niemand merken. Die Götternamen selbst der entlegensten irdischen Kulturen hatten im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert als Namensgeber der immer zahlreicher werdenden Zwergplanet-Entdeckungen herhalten müssen. Makemake zum Beispiel war nach dem Schöpfergott der Osterinsel benannt.

Aber irgendwann waren keine Götter mehr übrig geblieben. Inzwischen - fast zweieinhalb Jahrhunderte später, verkaufte die Weltraumagentur der Humanen Welten an Privatpersonen das Namensrecht an den unzähligen Objekten des Kuiper-Gürtels. Gegen eine Gebühr konnte man einem Planeten den eigenen Namen geben.

Auch wenn es nur ein Zwergplanet war. Man hatte einen Platz im Universum. Wer allerdings einen sehr häufig vorkommenden  Namen trug, hatte Pech gehabt, denn Doppelbenennungen waren  nicht zulässig.

Eine beträchtliche Anzahl der Kuiper Belt Objects (KBO) war daneben aber auch inoffiziell von Prospektoren und Frachterbesatzungen benannt worden. Meistens nach der äußeren Erscheinung oder irgendwelchen markanten Merkmalen.

So war es wohl auch beim Tempel gewesen. Und ganz gleich, ob irgendeine Weltraumagentur der Humanen Welten entschied, dass dieses Objekt nun nach einem zahlenden Erdenbürger oder einer noch ungeehrten Gottheit irgendeiner Südseeinselkultur benannt werden sollte - der Tempel würde seinen Namen wohl zumindest inoffiziell für immer behalten.

Sein Äußeres war einfach zu markant.

Er war 1000 km breit und 500 km hoch. Seine Form glich der eines griechischen Tempels. Es waren säulenartige Strukturen zu erkennen und dazwischen tiefe Höhlen. Niemand wusste, welche Kräfte diese Formen geschaffen hatten. Für die Tendenz der Natur zu harmonischen Formen gab es viele Beispiele: die regelmäßigen Formen von Schneeflocken, die wiederkehrenden Muster von Wellen oder Gesteinsformationen, die aussahen, als wären sie künstlichen Ursprungs und doch nur durch Wind und Wetter geformt worden waren.

Inzwischen gab es eine Unmenge an obskuren Theorien über die Entstehung des Tempels. Es schien ähnlich wie mit den berühmten Mars-Gesichtern zu sein, die auch nichts anderes als völlig willkürlich entstandene geologische Formationen waren: Der Mensch konnte sich anscheinend nicht damit abfinden, dass etwas ohne Sinn und aus dem zufälligen Zusammenwirken natürlicher Kräfte entstanden war.

So war es auch mit dem Tempel.

Es gab die Theorie, dass eine außerirdische Rasse ihn geformt hätte. Aber alle wissenschaftlichen Untersuchungen  sprachen eigentlich dagegen.

Schon während ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie hatte Sunfrost die These gehört, dass die Qriid dieses Objekt geschaffen hätten - durch Einwirkung ihrer Traser-Strahlenwaffen auf eines der unzähligen Gebilde des Kuiper-Gürtels. Danach hatten die Qriid den Tempel quasi aus einem kugelförmigen Zwergplaneten herausgefräst - was die Formabweichung zu erklären vermochte, die doch ganz erheblich war. Schließlich hatte der Tempel eigentlich genug Masse, um im Lauf seiner Geschichte eine zumindest annähernde Kugelform auszubilden.

Sinn dieser Aktion der Qriid sei es gewesen, ein Zeichen ihres Glaubens zu setzen. Noch wusste man nur vage über die religiösen Vorstellungen der Qriid Bescheid, aber es stand fest, dass ihr Rückzug in der Entscheidungsschlacht des Krieges und der danach folgende unerklärte Waffenstillstand mit dem Tod ihres religiösen Oberhauptes zu tun hatte. Und es war wohl auch gesichert, dass die Qriid sich als ein auserwähltes Volk sahen, das von Gott dazu auserkoren war, dem Universum eine Ordnung zu geben. Ihre Soldaten verstanden sich als Gotteskrieger. In so fern machte die Errichtung eines heiligen Tempels mitten im ‘Feindesland’ durchaus Sinn...

Dass der Tempel inzwischen auf den Aufnahmen einiger Observatorien entdeckt worden war, die aus dem mittleren 21. Jahrhundert stammten - also lange bevor es überhaupt den ersten Kontakt zwischen Menschen und Qriid gegeben hatte, ließ die Anhänger dieser Theorie keineswegs verstummen.

Die Gotteskrieger des Heiligen Imperiums der Qriid hätten bereits in der Prä-Weltraum-Ära das Sol-System besucht und diesen Tempel hinterlassen, so ihre Argumentation.

Sunfrost hatte solchen Thesen immer sehr skeptisch gegenübergestanden.

Sie war eigentlich grundsätzlich der Ansicht, dass man zunächst nach der naheliegendsten Erklärung suchen sollte. Und in diesem Fall waren das die zahllosen Kollisionen im Zusammenwirken mit den Gravitationskräften benachbarter Zwergplaneten, in Verbindung mit dem offenbar sehr porösen und nicht besonders dichten Material, aus dem der Tempel zum größten Teil bestand. Es handelte sich vermutlich um das Bruchstück eines größeren Himmelskörpers, dessen andere Bestandteile inzwischen vielleicht schon zu feinerem Geröll und sogar zu Staub zerfallen waren.

Als Sunfrost während dieser einsamen Solo-Schicht an den  Steuerkontrollen der DEFIANT-29 saß und auf die Anzeigen starrte, glaubte sie daher im ersten Moment, einer Täuschung aufgesessen zu sein, als sie etwas sah, das ihr bekannt vorkam.

Etwas, das sie so oft schon gesehen hatte, dass es ihr in Fleisch und Blut übergegangen war, die entsprechenden Muster selbst aus einem unübersichtlichen Datenwust heraus zu identifizieren.

Sie nahm noch ein paar Modifikationen an den Einstellungen vor, um sicher zu gehen.

Aber es war kein Zweifel mehr möglich.

Eine Qriid-Signatur, ging es ihr durch den Kopf. Einwandfrei! Da gibt es kein Vertun!

Schon auf der Akademie hatte man den angehenden Raumfahrern des Space Army Corps beigebracht, worauf sie zu achten hatten. Und hier trafen nun gleich eine ganze Reihe von Merkmalen zu.

Die geringe Emission von Traser-Strahlen zum Beispiel. Sie waren in dieser Dosierung weder für die Besatzung des Qriid-Schiffes, noch für sonst irgendwen gefährlich, aber es war kaum möglich, ein Traser-Geschütz an Bord zu haben, ohne dass diese Emissionen angemessen werden konnten.

Sunfrost erinnerte sich daran, dass die Qriid sich im Verlauf des Krieges immer größere Mühe gegeben hatten, diese Signaturen zu unterdrücken. Aber völlig ohne Abstrahlungen, Emissionen, Wärmemuster und so weiter flog kein Raumschiff durch das All. Es ging letztlich immer darum, die typischen Muster zu identifizieren.

Eigentlich müsste ich jetzt unverzüglich Feindalarm geben, ging es Sunfrost durch den Kopf. Aber für einen Moment war sie wie erstarrt.

Ihre Gedanken gingen zurück.

Ein Gefecht gegen die Qriid, während ihres Stabsdienstes an Bord der NEW CALIFORNIA. Mehrere Traser-Treffer in einen Bereich des Schiffes, in dem ich mich gerade aufhielt. Die Arbeit an einer Großsimulation der Flottenstrategie wurde unterbrochen. Wer hatte schon Lust, an einem optimalen Operationsplan für ein koordiniertes Vorgehen der Space Army Corps-Kräfte in mehreren Grenzsystemen nachzudenken. Eine Operation über fünf Lichtjahre hinweg.

So lang war jener imaginäre Frontabschnitt im All, für den Admiral zuständig gewesen war.

Fünf Lichtjahre Grenze zum Niemandsland, dem Raumgebiet aus dem der Feind immer wieder vorstieß.

Und dann sah ich ihn.

Unmittelbar und ohne jede ortungstechnische Unterstützung durch eines der Sichtfenster!

So nahe war der Kreuzer der Vogelwesen herangekommen!

Eine Nussschale im All, wenn man ihn mit dem riesigen Schlachtschiff der Dreadnought-Klasse verglich.

Aber auch ein kleiner Skorpion kann zum tödlichen Stich ansetzen. Größe ist nicht immer Kampfkraft. Und schon gar nicht bei den Qriid, die darüber hinaus in dem Glauben angreifen, dass Gott sie ausgesandt hat und die darum weniger Rücksicht auf ihren eigenen Überlebensinstinkt zu nehmen gewohnt sind.

Im Schleichflug hatte sich der Kreuzer genähert, hatte alle Maschinen abgestellt, alles vermieden, was als Signatur erfasst werden konnte und nur den Schwung seiner vorherigen Beschleunigung genutzt.

Und jetzt war er herangekommen.

So nahe, wie es eigentlich niemals hätte passieren dürfen.

Und doch war es geschehen, allen Sicherheitsmaßnahmen und den modernsten Ortungstechnologien der Humanen Welten zum Trotz...

Ich hätte sofort sagen müssen, was ich sah, ging es Sunfrost durch den Kopf. Doch ich habe gezögert. Und eine Sekunde später kam der Angriff mit mehreren schweren Treffern.

Die Geschützbatterien der NEW CALIFORNIA hatten den Angreifer buchstäblich zerfetzt. Mindestens ein Dutzend schwere Projektile hatten die Außenhülle des Qriid-Raumers durchschlagen. Er platzte daraufhin regelrecht auseinander und verwandelte sich in einen Feuerball.

Aber davon hatten die Mitglieder der Stabsgruppe, der ein gewisser junger Fähnrich namens Sunfrost angehörte, nichts mitbekommen. Denn dort musste man ums nackte Überleben kämpfen. Es gab einen Hüllenbruch. Menschen wurden ins All geschleudert, wo augenblicklich ihr Blut zu kochen begann. Siebzig Prozent des menschlichen Körpers bestehen aus Wasser. Die Siedetemperatur für Wasser liegt auf der Erde bei 100 Grad Celsius. Aber nur dort, unter dem irdischen Druck und im Rahmen der irdischen Temperaturskala. Aber schon ein paar Kilometer höher, in der Stratosphäre liegt der Siedepunkt bei 37 Grad und im freien All noch niedriger. Manche hielten den Weltraum für einen kalten Ort, aber Sunfrost wusste, dass das nicht stimmte. Man wurde gekocht, wenn man ohne Druckanzug ins All geriet. Und dass Sunfrost das nicht am eigenen Leib zugestoßen war und sie nur anderen dabei hatte zusehen müssen, wie sie dahinschwebten und innerhalb von Augenblicken überall aufplatzten, weil ihre Flüssigkeit zu sieden begann. Genau wie bei Kometen, wenn sie das Sonnenlicht traf und ihr Eis ohne das flüssige Aggregat zu erreichen gleich zu Wasserdampf wurde.

Allerdings gab es keinen schönen Schweif dabei.

Und das Vakuum verschluckte jeden Schrei.

Sunfrost hatte sich irgendwo festhalten können, während eine Notfallschaltung aktiviert wurde. Sie regelte die künstliche Schwerkraft hoch. So hoch, dass Sunfrost an den Boden gepresst wurde. Und mit ihr der noch nicht entwichene Teil der Atemluft.

Das hatte sie gerettet.

Dass sie von keinem der glühenden Metallteile getroffen worden war, war pures Glück gewesen - denn auch vagabundierende Trümmer waren natürlich von diesem erhöhten Gravitationsniveau angezogen worden.

Sie hatte in jenen Momenten geglaubt, dass ihre Rippen unter den mörderischen Gravitationskräften brechen müssten. In einer Schicht, die kaum einen halben Meter dick war, herrschte darüber hinaus ein Luftdruck, der so hoch war, als wäre sie von einer Sekunde zur anderen zwanzig Meter tief getaucht.

Die Lungen schmerzten. Und manchmal, wenn sie daran dachte, spürte Sunfrost diesen Schmerz wieder.

So wie in diesem Moment. Sie starrte auf den Tempel. Auf die dunklen Höhlen und säulenähnlichen Gebilde, die wie von einem kosmischen Bildhauer dahingemeißelt aussahen.

Irgendwo da drin, in diesen Höhlen muss ein Qriid-Schiff sein, dachte Sunfrost. Ein kleines vielleicht. Möglicherweise eine Art Jäger, obwohl wir bisher nichts davon wissen, dass sie so etwas entwickelt hätten...

Sie nahm ein paar weitere Einstellungen und Modifikationen vor, versuchte alles aus den Ortungssystemen herauszuholen, was möglich war, um wirklich auch die letzte Möglichkeit eines Irrtums auszuschließen.

Und gleichzeitig löste sie den Feindalarm aus und leitete ein Bremsmanöver ein.

Es war so stark, dass es jeder an Bord der DEFIANT-29 zu spüren bekam.

Auch die Schläfer, die zur Zeit in Dracula’s Home ein bisschen Ruhe fanden.

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ES DAUERTE NUR AUGENBLICKE bis die gesamte Besatzung der DEFIANT-29 nicht nur auf den Beinen, sondern auch auf dem Posten war.

“Waffensysteme klar”, meldete Fu Davis.

Sunfrost zögerte einen Moment, als sie für Fähnrich Brent Tahano die Steuerkonsole freigeben sollte.

“Captain?”, fragte Tahano etwas irritiert.

“Übernehmen Sie, Tahano.”

“Wie lauten die Befehle?”

“Bremsmanöver fortsetzen.”

“Bleiben wir hier?”

“Sind Sie eine Fragemaschine oder ein Rudergänger?”

Sunfrost gelangte zum Sitz des Captains. Sie taumelte dabei etwas. Die Andruckabsorber taugten wirklich nichts. Ein derartiges Bremsmanöver brachte die ungeschminkte Wahrheit einfach an den Tag. Jene Wahrheit, die wahrscheinlich kein Verantwortlicher des Space Army Corps und schon gar kein Politiker des Humanen Rates gerne hören wollte. Und diese Wahrheit hieß: Die Ausrüstung des Corps ließ erheblich zu wünschen übrig. Zumindest, wenn man nicht gerade auf einer Hochglanz-Dreadnought seinen Dienst tat, auf der zudem auch noch der Befehlshaber eines ganzen Abschnitts seinen Stab unterhielt.

Ein Zittern durchlief jetzt das Raumboot. “Ich muss den Kurs modifizieren. Wir geraten auf Grund der starken Abbremsung ins Schlingern - und ich habe ehrlich gesagt keine Lust mit dem Tempel aneinander zu geraten”, meldete Tahano.

“Versuchen Sie die Resonanz-Phänomene zu eliminieren, Crewwoman Gao”, wandte sich Sunfrost an die Technikerin der DEFIANT-29.

Gao sah angestrengt auf ihre Konsole. Sie selbst wurde von dem Zittern ebenso erfasst wie alle anderen Besatzungsmitglieder. Das machte es nicht unbedingt leichter, das Menue des Displays zu bedienen.

“Ich tue mein Bestes, Madam!”, rief Gao.

Und die Art und Weise, wie die Technikerin das Wort Madam aussprach, hatte schon einen sehr speziellen Unterton.

Sie sagte es im Tonfall einer trotzigen Beleidigung.

Sunfrost überhörte das.

Im Augenblick kam es auf etwas anderes an. Die Signatur des Qriid-Raumfahrzeug.

Sunfrost schaltete sich die Ortung auf das Armlehnendisplay des Kommandantensitzes.

“Captain, Sie haben den Qriid-Alarm ausgelöst, aber ich sehe nirgends eine Signatur...”

Crewman Seku Delan, der inzwischen seinen Platz an der Konsole für Ortung und Kommunikation eingenommen hatte, wurde von Sunfrost unterbrochen.

“Schauen Sie richtig hin, Crewman!”

“Nein, schauen Sie richtig hin. Da ist nichts. Buchstäblich gar nichts.”

Sunfrost überprüfte die eingehenden Daten mit Hilfe ihres eigenen Zugangs zum Ortungssystem über ihr Armlehnendisplay. Verdammt, er hat Recht, wurde es ihr schlagartig klar. Die Signatur wurde nicht mehr identifiziert.

“Ich sehe gerade, Sie haben die Alarmmeldung bereits an Raumfort Matthews übermittelt”, stellte Seku Delan fest.

Sunfrost nahm noch ein paar Einstellungen an ihrem Display vor, checkte die Daten und versuchte irgendeine Erklärung dafür zu finden, dass die Signatur plötzlich nicht mehr identifiziert wurde.

“Macht ja nichts”, meinte Crewwoman Gao. “Blinder Alarm ist besser als zu später Alarm.”

“Das war kein blinder Alarm!”, beharrte Sunfrost. Sie schaltete den Hauptschirm ein. Auf Grund des großen Frontalsichtfensters war dieser Hauptschirm erstens viel kleiner als Sunfrost es von überlichtschnellen Kriegsschiffen gewöhnt war und zweitens war er kaum in Gebrauch. So gut wie nie, um genau zu sein. In einem Raumboot der DEFIANT-Klasse flog man meistens auf Sichtweite. Die meisten Raumbootmannschaften waren sich in dem Punkt einig: Der Hauptschirm war eigentlich eine überflüssige Einrichtung auf einem Raumer wie der DEFIANT-29.

Sunfrost ließ in der schematischen Darstellung die Position markieren, an der die Signatur identifiziert worden war. 

"Das Signal hat es tatsächlich gegeben“, stellte Seku Delan nach kurzer Überprüfung fest.

“Haben Sie eine Erklärung dafür, dass es verschwunden ist?”, fragte Sunfrost.

“Es gibt nur die eine: Das Qriid-Schiff ist tatsächlich so selbstmörderisch gewesen in die Höhlen des Tempels hineinzufliegen.”

“Niemand, der bei Verstand ist, würde so etwas tun”, mischte sich Tahano ein. “Ich bin ein guter Pilot und ich traue mir viel zu, aber wenn das jemand von mir verlangen würde, würde ich streiken.”

Gut zu wissen, dachte Sunfrost.

“Wer sagt denn, dass die Qriid bei Verstand sind?”, meinte Fu Davis. Der Waffentechniker der DEFIANT-29 verdrehte dabei der Augen. “Das soll jetzt nicht wie ein Vorurteil gegen Aliens klingen, aber eine Rasse, die dem Universum Gottes Ordnung aufzwingen will - oder das, was sie dafür hält - kann ja wohl nur aus Verrückten bestehen.”

“Solche Verrückten gab es in der Geschichte der Menschheit auch schon”, meinte Sunfrost. “Und wenn man es genau nimmt, sind wir erst vor relativ kurzer Zeit von solchen Ideen mehr und mehr abgekommen...”

Zumindest vorläufig, dachte Sunfrost. Denn wenn sie daran dachte, was Mitglieder von radikalen politischen Bewegungen wie zum Beispiel der immer einflussreicher werdenden HUMANITY FIRST so an Zielen propagierten, dann kamen ihr die kaum aufgeschlossener vor als qriidische Glaubenskrieger, die einfach den Geboten ihrer Religion und ihres Heiligen Imperiums folgten.

“Als es gibt zwei Möglichkeiten: Ein Analysefehler unseres Systems, das vielleicht zu schnell auf Qriid-Schiffe schließt oder es ist wirklich so ein Vogel hier und versteckt sich im Tempel”, stellte Tahano fest. Er drehte sich in seinem Stuhl zu Sunfrost um. “Die Frage ist, ob wir tatsächlich den Bremsvorgang fortsetzen und die Fahrt quasi unterbrechen sollten, um hier auszuharren und darauf zu warten, dass jemand aus den dunklen Löchern des Tempels herausfliegt.”

“Was würden Sie vorschlagen?”

“Die Meldung an Raumfort Matthews ist doch draußen?”

“Ja.”

“Dann liegt der schwarze Peter nicht mehr bei uns, Captain. Jetzt kann Commander Sörensen entscheiden, ob er Unterstützung durch einen Kreuzer oder irgendein anderes Schiff des Space Army Corps anfordert. Wir brauchen uns darüber keine Gedanken mehr zu machen.”

Ja, das ist natürlich auch eine Art und Weise mit Problemen fertig zu werden, dachte Sunfrost. Man muss sich wundern, dass die Menschheit den Krieg gegen die Qriid mit dieser Einstellung überhaupt drei Jahre lang führen konnte!

“Wir werden etwas anderes tun”, bestimmte Sunfrost. Und dabei gab sie sich große Mühe, den Ärger über Tahanos Vorschlag nicht nach außen dringen zu lassen. “Wir werden hier bleiben. Crewman Delan?”

“Ja, Captain?”

“Senden Sie eine Nachricht an Raumfort Matthews, dass es sich bei der georteten Qriid-Signatur um einen Messfehler des Systems gehandelt hat.”

“Aber...”

“Verzichten Sie auf jegliche Verschlüsselung bei der Nachricht. Ein einfacher Überlichtfunkspruch im Sandström-Spektrum.”

“Dann wird ihn jeder mithören können.”

“Genau das ist der Sinn der Sache, Delan. Crewman Tahano, schalten Sie die Maschinen aus und fliegen Sie im Schleichflug weiter.” Sunfrost wandte sich an Gao und fuhr fort: “Sie sorgen dafür, dass alle, wirklich alle nicht unbedingt notwendigen Systeme abgeschaltet werden.”

“Ja, Captain”, murmelte sie.

Ihr schien es nicht sonderlich zu behagen, was Sunfrost da angeordnet hatte. Auch wenn sie sich bisher nicht dazu äußerte, so schien sie doch insgeheim Tahanos Ansicht zu sein, die schlicht zusammengefasst lautete: Wir sollten tun, als hätten wir nichts gesehen und andere den Job machen lassen.

Aber Sunfrost war entschlossen, dieser Sache auf den Grund zu gehen.

“Die DEFIANT-29 ist hier und wir werden dieser Sache auf den Grund gehen”, stellte sie anschließend noch einmal klar.

“Ich hoffe nur, dass Sie diesen Entschluss nicht noch bereuen, Captain”, gab Tahano zurück.

“Ich verstehe, was Sie vorhaben, Captain”, meldete sich jetzt Fu Davis zu Wort. Der Waffentechniker grinste schief. “Sie wollen den Qriid - falls es ihn gibt - aus seinem Versteck locken.”

“So ist es”, nickte Sunfrost. “Vielleicht werden wir etwas Geduld brauchen.”

“Und vielleicht auch sehr viel Glück”, meinte Davis.

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738917048
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Mai)
Schlagworte
erstes kommando chronik sternenkrieger extra

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Erstes Kommando - Chronik der Sternenkrieger Extra