Zusammenfassung
Vor vielen Jahren geriet der jüngste Sohn des Bachsteiner-Bauern bei einem schweren Unwetter in Bergnot. Jakob Riedlinger, damals ein junger Bergführer, führte die Suchmannschaft an, brach die Suche aber schließlich auf Grund der schlechten Witterung ab. Später wurde der junge Mann tot geborgen. Seitdem herrscht Zwist zwischen den Bachsteinern und dem Riedlinger, der seit dem frühen Tod seiner Frau einsam und verbittert auf einem kleinem Einsiedlerhof lebt.
Als Franziska Riedlinger, die Tochter des ehemaligen Bergführers, sich nun ausgerechnet in Toni Bachsteiner , den Neffen des damals in den Bergen zu Tode gekommenen, verliebt, steht das junge Glück unter keinem guten Stern.
Titelbild: Steve Mayer
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Zwei Alfred Bekker Heimat-Romane: Die schöne Erbin / Die Tochter des Einsiedlers
Vor vielen Jahren geriet der jüngste Sohn des Bachsteiner-Bauern bei einem schweren Unwetter in Bergnot. Jakob Riedlinger, damals ein junger Bergführer, führte die Suchmannschaft an, brach die Suche aber schließlich auf Grund der schlechten Witterung ab. Später wurde der junge Mann tot geborgen. Seitdem herrscht Zwist zwischen den Bachsteinern und dem Riedlinger, der seit dem frühen Tod seiner Frau einsam und verbittert auf einem kleinem Einsiedlerhof lebt.
Als Franziska Riedlinger, die Tochter des ehemaligen Bergführers, sich nun ausgerechnet in Toni Bachsteiner , den Neffen des damals in den Bergen zu Tode gekommenen, verliebt, steht das junge Glück unter keinem guten Stern.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Authors
© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die schöne Erbin
von Alfred Bekker
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Ein CassiopeiaPress Buch
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© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
1
"Mei, da kommt ja eine ganze Gruppe von Bergtouristen!", stieß Maria Hinzberg, die bereits etwas in die Jahre gekommene Wirtin des HINZBERGER HOFS aus. Sie stand am Fenster und blickte hinaus, direkt auf das imposante Panorama der schneebedeckten Berggipfel.
Ihre junge Gehilfin Claudia trat hinzu und warf ebenfalls einen Blick hinaus.
Das junge Madl machte eilig seine Frisur zurecht.
Maria Hinzberg bemerkte dies mit einem Lächeln - und das, obwohl ihr im Moment eigentlich gar nicht zum Lächeln zu Mute war. Mit Schrecken dachte sie daran, dass all die hungrigen Bergtouristen versorgt werden wollten, die auf den HINZBERGER HOF zusteuerten.
"Das wird der Rieder-Markus mit seiner Gruppe sein", sagte Maria. "Kein anderer Bergführer in der Gegend hat so viel Zulauf wie der Markus..." Und während sie dies sagte, blickte die Wirtin auf das junge, fesche Madl an ihrer Seite. Mit sanftem Tonfall fügte sie dann hinzu: "...und wie's scheint, gilt das net allein für Bergtouristen..."
Claudias himmelblaue Augen sahen verträumt in Richtung der Ankömmlinge. Jetzt rissen die Worte der Wirtin sie aus ihren Gedanken. "Geh, Tante Maria, was red'st denn da!" stieß sie hervor.
"Vielleicht kannst deinen Eltern etwas vormachen, Claudia - mir aber net!", erwiderte die Wirtin wohlwollend. "Meinst, ich hätte net bemerkt, wie du den Rieder-Markus angesehen hast?"
"Ja, ist er denn net auch ein fescher Bursche, der junge Rieder?", fragte Claudia zurück.
Die Wirtin nickte. "Freilich ist er das! Und wenn ich selbst das passende Alter hätte..." Maria Hinzberg seufzte.
"Der Markus erinnert mich immer an meinen verstorbenen Franzl." Einen Augenblick lang wirkte die Wirtin etwas in sich gekehrt.
Ihre Gedanken schienen zurück in die Vergangenheit zu wandern. Dann ging ein Ruck durch Maria Hinzberg. Sie atmete tief durch. "Mei, wie soll ich das nur schaffen!" Nicht, dass die Wirtin etwas dagegen hatte, wenn der HINZBERGER HOF gut frequentiert wurde, aber gerade heute hatte sie Claudia den Rest des Tages frei gegeben.
Und das Madl hatte sich den freien Abend mehr als redlich verdient. Schon seit Wochen war sie kaum noch aus der Gaststätte herausgekommen. Im Moment war Hochsaison und Vertretungen waren schwer zu bekommen.
Außerdem spürte Maria Hinzberg in letzter Zeit mehr als deutlich, dass sie nicht mehr ganz so leistungsfähig war wie in früheren Jahren. Wenn sie den HINZBERGER HOF auch immer noch gerne und voller Elan führte, so ermüdete sie doch schneller und hatte eher das Gefühl, dass die Dinge ihr über den Kopf wuchsen.
"Keine Sorge", sagte Claudia. "Ich bleibe hier - und zusammen werden wir ja wohl mit den Bergtouristen fertig werden!"
"Ist das dein Ernst, Madl?"
"Ja, freilich." Über Claudias Gesicht glitt ein Lächeln.
"Oder glaubst vielleicht, dass ich dich im Stich lassen tät, wenn's eng wird?"
Maria war sehr erleichtert, hatte aber auch schlechtes Gewissen ihrer Nichte gegenüber.
"Mei, du hast bei mir schon so viel Extra-Stunden gemacht, dass..."
"Ist schon gut, Tante Maria. Ich hätte heute Abend sowieso nix besonderes vor..." Sie sah in Richtung der Bergtouristen-Gruppe, die sich in der Zwischenzeit ein ganzes Stück genähert hatte.
Ihr Blick suchte den Rieder-Markus.
Und tatsächlich!
Sie fand ihn ganz am Anfang der Gruppe. Auf diese Entfernung war er bereits deutlich zu erkennen.
Keine Viertelstunde mehr und sie sind hier!, ging es dem Madl durch den Kopf. Ihr Herz klopfte wie wild.
"Ohne dich wüsst ich gar net, was ich machen sollte", bekannte indessen die Wirtin. "Ich glaub, hier würd' buchstäblich alles drunter und drüber gehen!"
Das war keineswegs übertrieben.
Selbst die Buchhaltung hatte Claudia zuletzt schon übernommen und endlich Ordnung in die Finanzen des HINZBERGER HOFS gebracht. Das war auch dringend nötig gewesen, denn das Rechnen war nicht unbedingt die Stärke der Wirtin.
"Gelernt ist halt gelernt", meinte die Claudia etwas geistesabwesend. Schließlich war sie mit ihren Gedanken bei dem feschen Markus.
"Ja", gestand Maria zu, "es hat sich schon gelohnt, dass dein Vater dich auf die Hotelfachschule geschickt hat! Mir ist das leider nie vergönnt gewesen - und so habe ich mir alles selbst beibringen müssen. Vor allem nach dem Tod vom Franzl war das net einfach..."
"Geh, Tante Maria, jetzt lass uns net davon zu reden anfangen", sagte Claudia. "Lass uns lieber alles zurechtmachen, bis die Bergtouristen hier sind. Du weißt ja... Dann muss immer alles auf einmal passieren - und wer vorher stundenlang im Schweiße seines Angesichts auf einen Gipfel hinaufgekraxelt ist, der wird auch net mehr so ganz die rechte Geduld aufbringen!"
Claudia wandte sich in Richtung Küche herum.
Aber Maria Hinzberg hielt ihre Nichte beim Arm.
"Warte einen Moment", forderte sie.
Claudia blieb stehen und blickte ihre Tante etwas verwundert an. "Tante Maria, die Zeit rennt uns davon! Du hast selbst immer gesagt, dass..."
"Hör mir einen Augenblick zu!", schnitt ihr die Hinzbergerin etwas schroffer das Wort ab, als sie es eigentlch beabsichtigt hatte. Ihr Gesicht wurde ernst und Claudia begriff sogleich, dass Tante Maria ihr etwas wirklich wichtiges zu sagen hatte. "Niemand lebt ewig", sagte die Wirtin dann. "Das ist eine Binsenweisheit und mir wird es da net anders ergehen, als allen anderen."
"Tante Maria, bist net doch noch etwas zu jung, um dir derart trübe Gedanken zu machen?"
"Es sind keine trüben Gedanken", korrigierte die Wirtin.
"Jetzt net mehr. Denn zum Herrn Jesus gehen müssen wir alle mal - aber es hat mir lange keine Ruhe gelassen, dass mein Haus net bestellt war. Und das habe ich letzte Woche geändert. Du weißt, als ich einen Nachmittag in die Stadt, zum Notar war..."
"Ja, ich erinnere mich", nickte Claudia.
"Ich habe an jenem Nachmittag meine letzten Angelegenheiten geregelt. Du weißt, dass dem Franzl und mir leider keine Kinder vergönnt waren. Also möchte ich, dass du den HINZBERGER HOF dereinst weiterführst."
"Ich?", fragte Claudia etwas überrascht. Sie hatte nie darüber nachgedacht.
Sie war froh gewesen, nach dem Ende der Hotelfachschule, gleich eine gute Anstellung gefunden zu haben. Und das noch in der Nähe des elterlichen Hofs - und nicht irgendwo in der Stadt. Denn in den Jahren, in denen sie das Hotelfach gelernt hatte, hatte sie auch festgestellt, wie wichtig ihr die vertraute Umgebung der Bergwelt war.
"Ja , du!", bekräftigte Maria Hinzberg. "Ich weiß, dass das Wirtshaus, das der Franzl und ich so viele Jahre lang durch gute und weniger gute Zeiten geführt haben, bei dir in den besten Händen wäre."
Das Madl atmete tief durch.
"Mei, ich weiß wirklich net, was ich dazu sagen soll", bekannte Claudia.
"Sag bloß net, dass du das Erbe ausschlagen würdest! Dann wüsst' ich nämlich net, was ich tun soll." Die Wirtin machte eine kurze Pause, ehe sie dann fortfuhr: "Es wäre nämlich auch der größte Wunsch vom Franzl gewesen, dass es für den HINZBERGER HOF eine Zukunft gibt. Du würdest den HOF doch weiterführen, gell?"
Claudia nickte.
"Natürlich!", versprach sie. "Aber eigentlich gehe ich davon aus, dass wir noch viele Jahre zusammen den HINZBERGER HOF betreiben..."
Die Wirtin lächelte mild.
"Wenn ich eine Tochter gehabt hätte - dann hätte sie so sein sollen wie du, Claudia!", meinte sie dann mit belegter Stimme.
Wenig später traf die Touristengruppe ein und machten sich an den rustikalen Holztischen der zünftig eingerichteten Gastwirtschaft breit. Sie waren guter Laune, wenn auch von der anstrengenden Bergtour etwas erschöpft.
"Grüß dich, Claudia!", sagte der junge Bergführer Markus Rieder freundlich an das Madl gewandt.
"Servus, Markus", flüsterte sie.
"Ich denk, die Leut werden recht hungrig sein!", vermutete der Bergführer. "Und ich bin's auch..."
Ihrer beider Blicke begegneten sich.
Claudia wurde es dabei ganz warm ums Herz. Wie er mich ansieht!, dachte Claudia. Sympathisch waren sie sich immer schon gewesen. Und Claudia hoffte nun, dass Markus vielleicht sogar mehr als nur Sympathie empfand.
Bis über beide Ohren hast dich verliebt!, sagte eine Stimme in ihrem Inneren. Net einmal einen einzigen klaren Gedanken kannst noch fassen, wenn diese Augen dich so ansehen!
Der Markus sah an Claudia hinunter und meinte dann anerkennend. "Gut steht dir das neue Dirndl!"
"Mei, dass du das bemerkt hast!"
"Das ist mir sofort aufgefallen."
Einer der Touristen rief jetzt ungeduldig nach der Bedienung.
Es fiel Claudia schwer, sich von Markus loszureißen. Aber spätestens der zweite, noch ungeduldigere Ruf holte sie aus der Traumwelt ihrer Verliebtheit in die Wirklichkeit zurück.
"Ich komm ja schon!", rief das Madl an den Gast gewandt zurück. Dann sah sie Markus an. "Tut mir leid, aber du siehst ja, was hier los ist!"
"Freilich..."
Claudia hatte bereits einen Schritt gemacht, da hielt Markus sie am Arm. "Warte einen Moment noch!", forderte er.
"Ich möchte dich noch etwas fragen..."
"Später!", antwortete Claudia und schenkte dem jungen Mann ein bezauberndes Lächeln.
2
In den nächsten anderthalb Stunden kam Claudia kaum zum Durchatmen. Die Bergtouristen hatten einen wahren Bärenhunger und plünderten die Vorräte des HINZBERGER HOFS regelrecht aus.
Immer wieder bestellten sie aufs Neue und die Bierkrüge fanden auf den rustikalen Tischen kaum noch Platz.
Die Laune unter den Gästen war gut. Und die meisten von ihnen schienen selbst die Anstrengungen der Bergtour nach kurzer Zeit vergessen zu haben. Jedenfalls konnte man ihnen keinerlei Müdigkeit anmerken.
Nach und nach verließen sie dann das Lokal. Vor dem Haus hatten sie ihre Wagen geparkt. Von hier aus fuhren sie dann hinab in das noch einige Kilometer weiter unten im Tal gelegene Dorf Bergeich. Dort hatten die meisten von ihnen Fremdenzimmer gemietet.
Im HINZBERGER HOF selbst gab es nur einige wenige zu vermietende Zimmer. Und die verfügten nicht gerade über den größten Komfort.
Aber wer bei Maria Hinzberg übernachtete, der tat dies ohnehin nicht deshalb, weil er den Sercvice eines Vier Sterne Hotels erwartete, sondern um der traumhaften Landschaft willen. Morgens wurde man von den Strahlen der Sonne geweckt, die hinter den imposanten Berggipfeln hervorschauten. Das Schauspiel der Sonnenauf- und untergänge war einzigartig und mit nichts anderem zu vergleichen. Ein Farbenspiel der Natur, dass einen selbst dann beeindrucken konnte, wenn man in der Gegend aufgewachsen war und diesen Anblick jeden Tag hatte genießen können.
Schließlich befanden sich nur noch wenige Gäste in der Gastwirtschaft.
"Ich glaube, jetzt komme ich wohl allein zurecht", meinte Maria Hinzberg an ihre Nichte gewandt. "Aber der Abend ist jetzt ohnehin so gut wie vorbei..."
Das Madl zuckte die Achseln.
"Ja mei, das ist net so schlimm", erwiderte Claudia leichthin. "Ich hatte ohnehin nix Wichtiges vor..."
Die Wirtin seufzte hörbar.
"Ich wüsste wirklich net, was ich ohne dich tun sollte...
wenn man dich braucht, ist immer auf dich Verlass." Sie musterte das Madl einige Augenblicke lang und fügte dann noch hinzu: "Ich glaub schon, dass du eine gute Wirtin abgeben würdest!"
"Geh, Tante Maria!"
"Lass nur! Ich denke, dass ich in dem Punkt Recht habe! Bis morgen, Claudia!"
Claudia nickte. "Bis morgen, Tante Maria."
Während sich das Madl in Richtung Tür wandte, blickte sie noch einmal kurz durch den Schankraum. Vom Rieder-Markus hatte sie schon eine ganze Weile nichts mehr gesehen. Aber schließlich konnte sie auch nicht von ihm erwarten, dass er bis in den späten Abend hinein im Wirtshaus saß, nur um auf sie zu warten.
Der junge Mann hatte sie etwas fragen wollen, erinnerte sich Claudia. Seitdem hatte das Madl die ganze Zeit darüber nachgegrübelt, worum es da wohl gehen mochte.
Sicher nur irgendeine Belanglosigkeit, überlegte Claudia.
Und du machst dir jetzt Hoffnungen darauf, dass es sich um etwas wirklich Wichtiges handelt...
Andererseits waren da die Komplimnte, die er ihr gemacht hatte.
Alles nur Süßholzraspelei! Mach dir keine übertriebenen Hoffnungen!, hörte Claudia die skeptische Stimme in ihrem Inneren.
Sie trat hinaus ins Freie.
Die letzten Sonnenstrahlen schienen gerade noch über die Berggipfel hinweg. Das Farbenspiel, das dabei entstand, nahm sie für einige Momente gefangen. Die ansonsten schneeweißen Berghänge schimmerten jetzt in den verschiedensten Rottönen.
Nur für einige Augenblicke würde dieses einzigartige Schauspiel zu sehen sein.
Einige wenige Fahrzeuge standen noch auf dem kleinen Vorplatz, der dem HINZBERGER HOF als Parkmöglichkeit diente.
Darunter auch ein Geländewagen, den Claudia nur zu gut kannte.
Es war der Wagen des Rieders.
Markus lehnte gegen den Wagen und blickte auf die Berge hinaus. Ganz versunken war er und genoss den Anblick dieses gewaltigen Panoramas.
Mei, so ist er doch noch hier!, ging es Claudia durch den Kopf. Doch net etwa meinetwegen?
Ihr Herz machte einen Satz.
Sie trat an den jungen Mann heran.
Obwohl ihre Schritte kaum einen Laut auf dem Boden verursachten, bemerkte er sie und drehte sich zu ihr um.
"Na, ist der schlimmste Ansturm vorbei?", erkundigte sich Markus lächelnd.
Claudia nickte.
"Mei, manchmal ist es halt besonders schlimm. Dann fällt so viel Arbeit zur selben Zeit an, dass es fast unmöglich ist, alles zu bewältigen..."
Markus zuckte die Achseln. "Die Gäste, die ich den HINZBERGER HOF habe verlassen sehen, machten mir allerdings dennoch allesamt einen recht zufriedenen Eindruck."
"Man tut eben, was man kann." Claudia strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrer Frisur herausgestohlen hatte. Ein leichter Wind wehte jetzt kühl von den Berggipfeln herab. Von der Sonne war nun nichts weiter, als ein schwaches Schimmern zu sehen.
Markus sah das Madl an.
Ihrer beider Blicke verschmolzen für einen kurzen Moment miteinander.
"Du wolltest mich etwas fragen", begann schließlich Claudia zögernd. "Aber leider hab ich dich net so recht zu Wort kommen lassen. Ich hoffe, du nimmst mir das jetzt net übel..."
Markus lächelte.
Und ehe Claudia so richtig begriffen hatte, was geschah, nahm er sanft ihre Hand.
"Wie könnte ich dir irgend etwas übel nehmen, Claudia?"
Eine leichte Röte überzog Claudias Gesicht. "Na, wenn du etwas länger drüber nachdenkst, würde dir da bestimmt auch noch etwas einfallen", erwiderte sie dann schnell und etwas verlegen.
Noch immer hielt er ihre Hand und sie zog sie nicht weg.
"Mei, was ich dich eigentlich fragen wollt... in der nächsten Woche, da ist doch beim Kornhuber Dorftanz."
"Ja, freilich!"
"Vielleicht hättest du Lust, mit mir zusammen dorthin zu gehen!"
Claudia nickte heftig. "Gerne", flüsterte sie. Ihre Freude war unbeschreiblich. Sie war ganz erfüllt von einem unbändigen Glücksgefühl und glaubte fast, jeden Moment schier zerspringen zu müssen.
"Gut", nickte Markus Rieder. "Ich freue mich schon sehr."
"Ich mich auch", flüsterte Claudia.
Dann sahen sie sich einige Augenblicke lang schweigend an.
Schließlich sagte Claudia: "Es ist schon sehr spät."
Markus nickte. "Ja, ich muss morgen auch wieder in aller Herrgottsfrühe 'raus..."
"Gute Nacht, Markus", sagte das Madl dann nach einer kurzen Pause. Dann drückte sie dem jungen Bergführer blitzschnell einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich von ihm entfernte.
Sie ging zu ihrem Wagen, winkte ihm noch einmal zu, während der junge Bursche noch etwas verdutzt dastand.
Claudia wunderte sich selbst über den Mut, den sie gehabt hatte. Aber sie dachte sich: Wenn er mich nun gar net leiden könnte, dann hätte er mich ja wohl kaum gebeten, mit ihm zum Dorftanz zu gehen!
Sie stieg in den Wagen, einen schon ziemlich angejahrten Zweitürer. Sie versuchte, den Motor zu starten, aber außer ein paar kläglichen Lauten war nichts zu hören.
Sie versuchte es erneut.
Dann ging gar nichts mehr.
Claudia stieg aus.
Markus war unterdessen hinzugetreten. "Mei, will der Wagen net wie du willst?", erkundigte er sich.
"Wie du siehst!", nickte das Madl. Claudia wohnte auf dem heimatlichen Sennreicher-Hof. Sie hatte dort ihr altes Zimmer wieder bezogen, nachdem sie die Hotelfachschule beendet hatte und in die Berge zurückgekehrt war. Aber bis zum Hof ihrer Eltern war es zu Fuß ziemlich weit. Ein Marsch von mindestens anderthalb Stunden hätte vor ihr gelegen - und das bei einsetzender Dunkelheit.
"Irgendwann hat es ja soweit kommen müssen", meinte Claudia seufzend. "Der Wagen ist auch net mehr das allerneueste Modell! Aber dass er mich gerade jetzt im Stich lassen muss..."
"Man soll die Hoffnung nie aufgeben", erwiderte Markus.
"Lass mich die Sache einmal anschauen."
"Nix dagegen. Aber ich fürchte, zaubern kannst auch du net!"
"Abwarten!", lächelte er. "Vielleicht ja doch..."
"Ha, ha!"
"Naja, ein ganz bisserl!"
Markus öffnete die Motorhaube, sah sich das Innenleben des altersschwachen Gefährts an und forderte Claudia dann auf, den Motor zu starten. Der Versuch endete ebenso kläglich wie zuvor.
Markus klappte die Motorhaube wieder zu.
Sein Gesichtsausdruck wirkte nicht gerade optimistisch.
Claudia lächelte kokett. "Na, was ist nun? Hat die Zauberkraft doch nix ausrichten können?"
"Mei, da hab ich wohl ein bisserl Schmarrn geredet. Der Anlasser ist hin. Da kann man im Moment nix machen..."
"Oh je!", seufzte Claudia. "Wahrscheinlich ist die Reparatur teurer als ein neuer Wagen!"
"Geh, Claudia! Ganz so schlimm wird schon net kommen, wenn man das Ersatzteil preisgünstig beschafft!"
Claudia zuckte die Achseln. "Ich versteh net viel davon!"
"Ich kann dir ja helfen! Du weißt ja, dass mein Bruder eine Reparaturwerkstatt hat." Der junge Bergführer deutete auf seinen Geländewagen. "Was meinst, soll ich dich jetzt net nach Hause bringen? Du wirst den ganzen Weg bis zu eurem Hof ja wohl net zu Fuß gehen wollen!"
Claudia lächelte. "Das Angebot nehme ich gerne an!", erklärte sie.
"Dann komm!"
Er nahm sie bei der Hand, und sie liefen zu dem Geländewagen hinüber.
Markus machte ihr die Tür auf.
Claudia raffte den langen Rock ihres Dirndel zusammen und setzte sich in den Wagen.
3
Für Claudias Geschmack ging die Fahrt viel zu schnell zu Ende. Der geländegängige Wagen des jungen Bergführers hatte mit den schmalen Straßen, die sich in Serpentinen hinauf zum Sennreicher Hof wanden, keinerlei Schwierigkeiten.
Der Mond stand als helles Oval am dunklen Nachthimmel. Die Straße war schlecht beleuchtet, aber Markus war in dieser Gegend aufgewachsen. Er kannte hier jeden Stein und jeden Strauch.
Schließlich tauchte der Sennreicher-Hof vor ihnen auf.
Das Haupthaus war beleuchtet. Die Nebengebäude und Heustadeln waren hingegen nur als dunkle Umrisse sichtbar.
Markus stoppte den Wagen.
"Nochmals vielen Dank", sagte Claudia.
Markus lächelte. "Ich freue mich schon auf den Dorftanz."
"Ich mich auch", flüsterte sie.
Dann stieg sie aus.
Markus setzte den Geländewagen zurück, drehte und fuhr davon. Claudia sah ihm nach, winkte ihm noch einmal.
Dann hörte sie Schritte.
Sie wandte sich um und blickte in das sorgenvolle Gesicht ihres Vaters. Peter Sennreicher war ein großgewachsener, hagerer Mann. Sein Haar war zwar schon ergraut, aber immer noch voll.
"Spät bist heut dran", stellte der Bauer fest. "Deine Mutter und ich - wir haben uns schon Sorgen gemacht!"
"Geh, Papa, jetzt übertreibst aber! So spät ist es doch noch gar net!"
"Hattest du heute Abend net frei?"
"Das ist wohl wahr", nickte das Madl. "Aber dann kam der Rieder Markus mit einer Gruppe Bergtouristen. Ja, sollte ich da die Tante Maria einfach allein lassen?"
Der Sennreicher deutete in Richtung des davonfahrenden Geländewagens. "Und wer war das, wenn ich mal fragen darf?"
Claudia lächelte versonnen. "Geh, Papa, sei net so neugierig!"
"Mei, es interessiert mich halt, wer meine Tochter am Abend nach Hause bringt! Das wird dir net anders gehen, wenn du einmal Kinder hast, die in dem Alter sind..."
Claudia atmete tief durch und erklärte dann: "Der Rieder-Markus war's!"
"Der Bergführer? Mei, ich weiß net..."
"Papa! Er hat mich doch nur nach Hause gefahren, nachdem mein Wagen nix mehr von sich gegeben hat!"
"Langsam könntest du dir aber schon ein paar ernsthaftere Gedanken machen...", fand der Bauer.
Claudia runzelte die Stirn. "Ernsthaftere Gedanken?", fragte sie skeptisch zurück. "Du sprichst doch net übers heiraten, oder?"
Der Sennreicher nickte bekräftigend. "Genau darüber red' ich", bekannte er. "Schließlich hast deine Ausbildung jetzt hinter dir - und ewig sollte man damit auch net warten!"
"Geh, Papa! Ich denke, damit hat es noch ein bisserl Zeit. Und was den Markus Rieder angeht..."
"Ja?", hakte der Sennreicher stirnrunzelnd nach.
"Ganz so weit ist es mit uns zweien nun wirklich noch net. Zum Dorftanz gehen wir demnächst zusammen. Aber das ist auch schon alles..."
Der Bauer strich sich mit einer nachdenklichen Geste das Haar zurück. "Ich weiß auch net, ob der Rieder nun ausgerechnet der Richtige wäre..."
Claudia sah ihren Vater überrascht an. "Meinst net, dass das in allererster Linie mal ich selbst beurteilen müsste?"
"Ja, freilich. Und der Markus ist auch sicher ein feiner Kerl. Ich kenne ihn ja schon, seit er ein kleiner Junge war."
Claudia hob die Augenbrauen.
"Dann versteh ich net, was du gegen ihn einzuwenden hättest!"
"Mei, du weißt doch, was für ein unstetes Leben so ein Bergführer führt!"
"Unstetes Leben?", echote das Madl. "Papa, das ist doch nun wirklich Schmarrn! Der Markus hat sein gutes Auskommen!" Der Sennreicher zuckte die Schultern. "Ich mache mir halt nur so meine Gedanken. Aber jetzt komm erst einmal ins Haus. Die Mama wird froh sein, dass dir nix passiert ist!"
4
Die Tage bis zum Dorftanz vergingen für Claudia Sennreicher wie im Flug, was natürlich vor allem auch daran lag, dass sie sehr viel zu tun hatte.
Ihr Vater mutmaßte schon, dass Maria Hinzberg ihre Nichte mehr oder weniger ausnutzen würde, aber derartige Vorwürfe wehrte Claudia immer vehement ab. Zunächst wollte sie es für sich behalten, aber dann berichtete sie ihren Eltern von der Absicht der Wirtin, ihr Anwesen einst der jungen Hotelfachschulabsolventin zu vererben.
Das ließ den Bauern etwas anders darüber denken.
Dann kam der Dorftanzabend.
Er fand beim Kornhuber statt, der ein Wirtshaus direkt im Dorf betrieb. Der Tanzsaal des Kornhubers hatte viel größere Ausmaße als der Schankraum des vergleichsweise kleinen HINZBERGER HOFS. In regelmäßigen Abständen ließ der Kornhuber Musikkapellen aufspielen und dann traf sich alles was Beine hatte unter seinem Dach.
Erfahrungsgemäß war dann im HINZBERGER HOF so gut wie überhaupt nichts los und so hatte Maria Hinzberg beschlossen, an diesem Abend ihren Schankraum nicht zu öffnen.
Die Wirtin sah das ganz ohne Bitterkeit.
"Warum soll net auch der Kornhuber seinen Schnitt machen?", meinte sie dazu Claudia gegenüber. "Schließlich läuft der HOF ja an allen anderen Tagen sehr gut. Und die gute Aussicht, direkt auf die Berge, werden wir allen anderen immer voraus haben!"
Und so fuhr Maria Hinzberg schon am Nachmittag zu einer Bekannten, die sie lange nicht besucht hatte, in der Stadt.
Erst am Vormittag des folgenden Tages wollte sie zurückkehren.
Am frühen Abend tauchte der Geländewagen des Rieder-Markus auf dem Sennreicher-Hof auf.
Als Claudia ihm entgegenlief, bemerkte sie, dass der junge Bergführer seinen besten Janker angezogen hatte. Fesch sah er damit aus, fand sie. Normalerweise bevorzugte Markus als Bergführer ja eher praktische Kleidung.
Aber so herausgeputzt gefiel Claudia der junge Mann natürlich mindestens ebenso gut.
Das Madl hatte sich allerdings auch fein zurecht gemacht.
Natürlich musste sie bei ihrer Arbeit im HINZBERGER HOF stets auf ein gepflegtes Äußeres achten. Aber an diesem Abend trug sie ein ganz besonders kostbares Dirndl.
Der Markus war einen Augenblick lang sprachlos.
"Mei...!", stieß er hervor.
"Gefall ich dir?"
"Das ist gar kein Ausdruck!"
"Dann lass uns keine Zeit mehr verlieren!"
"Ja, freilich!", meinte Markus dann nach kurzer Pause.
Er half Claudia auf den Beifahrersitz des Geländewagens.
Mit dem langen Rock war das gar nicht so einfach.
Wenig später fuhren sie los.
Das Wirtshaus des Kornhubers lag mitten im Dorf, das ein Stück weiter im Tal gelegen war.
Als Markus Rieder zusammen mit der Sennreicher Claudia dort eintraf, herrschte schon reger Betrieb.
Die Musikkapelle spielte sich gerade ein und einige Paare drehten sich auf der Tanzfläche.
Darunter auch Andreas Sennreicher, Claudias älterer Bruder.
Er würde einst den Hof erben und die Landwirtschaft weiterführen. Schon jetzt hatte der Vater viele Aufgaben an ihn deligiert. Andreas war ein fescher Junggeselle, der in dem Ruf stand, nichts anbrennen zu lassen. Immer wieder sah man ihn mit einem anderen Madl zusammen, während sich seine Eltern nichts sehnlicher wünschten, als dass der Hallodri endlich heiratete.
Andreas winkte seiner Schwester kurz zu.
Aber für eine längere Unterhaltung war er viel zu beschäftigt. Schließlich hielt er Lisa, die Tochter des Kornhubers in den Armen.
Mei, die Eltern haben's schon net leicht mit uns, ging es Claudia durch den Kopf. Der Andreas kann sich net entscheiden und wird in den nächsten Jahren vermutlich auch net vor den Altar treten - geschweige denn dafür sorgen, dass es auch in der übernächsten Generation noch einen Hoferben gibt. Und ich?, setzte Claudia ihren Gedankengang fort. Ich trete am Ende noch mit einem Bergführer vor den Altar, der doch angeblich ein ach so 'unstetes Leben' führt.
Aber da mussten ihre Eltern durch, fand das Madl. Sie mussten akzeptieren, dass nicht alles nach ihrem Willen gehen konnte und ihre Kinder inzwischen erwachsen geworden waren.
Claudia bemerkte die Blicke der anderen Dirndln aus dem Dorf. Neidische Blicke, so glaubte Claudia.
Schließlich war der junge Bergführer an ihrer Seite auch bei den anderen Madln der Umgebung beliebt. Und so manche von ihnen träumte mit Sicherheit davon, sich jetzt mit ihm auf dem Tanzboden herumzudrehen.
Sollen sie nur grün werden vor Neid, ging es Claudia gutgelaunt durch den Kopf.
Den ganzen Abend über tanzten Markus und Claudia zusammen, bis sie schließlich ziemlich außer Atem waren.
Es war schon sehr spät, als Markus Rieder das Madl schließlich nach Hause brachte.
Ein paar Hühner gackerten, als der Geländewagen des jungen Bergführers auf den Hof fuhr. Das Motorengeräusch hatte sie aus dem Schlaf geholt.
Die beiden jungen Leute stiegen aus.
Markus nahm Claudias Hände und legte dann den Arm um ihre Schulter. Sie schmiegte sich an ihn.
"Mei, es war ein wunderbarer Abend!", stieß sie hervor.
"Ja, das fand ich auch", nickte Markus.
"Leider ist er wie im Flug vergangen..."
"Ich will net hoffen, das dies der letzte gemeinsame Abend war...", gab Markus seiner Hoffnung Ausdruck.
"Na, bestimmt net", flüsterte Claudia.
Sie sahen sich an. Ihre Blicke verschmolzen miteinander.
Claudia bemerkte, wie sich das Mondlicht in Markus Rieders Augen spiegelte. Ein wohliges Gefühl durchflutete sie. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor so glücklich gewesen zu sein, wie in diesem Moment.
Einige Augenblicke lang geschah nichts. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Der Wind strich mit einem sanften Rauschen über die ausgedehnten Wiesen, die den Sennreicher Hof umgaben.
Dann fanden sich ihrer beider Lippen zu einem zärtlichen Kuss.
Markus strich Claudia sanft über das Haar.
"Ich werde morgen beim HINZBERGER HOF vorbeischauen", versprach der junge Mann dann.
"Ich werde ungeduldig darauf warten", versprach sie. Dann blickte sie kurz zum Haupthaus des Sennreicher-Hofs hinüber. Dort war ein Licht angegangen - genau dort, wo sich das Küchenfenster befand.
"Ich hoffe, du bekommst jetzt keinen Ärger!", sagte Markus.
Claudia schüttelte den Kopf. "Geh Markus! Ich bin zwar ein bisserl später als sonst - aber meine Eltern werden sich wohl daran gewöhnen müssen, dass ich net mehr das kleine Madl bin, dass sie auf die Hotelfachschule in die große Stadt geschickt haben! Ich kann sehr wohl auf mich aufpassen!"
"Wenn's ihnen ganz gleichgültig wäre, was du so treibst, wär's dir gewiss auch net recht, gell?"
Claudia lächelte. "Gute Nacht, Markus."
"Gute Nacht."
5
Als Claudia das Haus betrat, traf sie ihre Mutter in der Diele.
Josepha Sennreicher sah ihre Tochter mit sorgenvollem Gesicht an.
"Claudia!", stieß sie hervor. "Gut, dass du wieder da bist!"
"Geh, Mama! Das ist doch ein Schmarrn, dass du so lange aufbleibst, bis ich vom Dorftanz zurückkomme!", meinte Claudia.
Aber die Bäuerin schüttelte den Kopf. "Na, darum geht es net, Claudia." Ihr Gesicht wurde noch ernster. Die Bäuerin schien mit den Tränen zu kämpfen.
"Um Himmels willen, was ist denn los?", fragte Claudia.
"Komm erst einmal mit in die Küche", forderte sie ihre Tochter auf. Dabei rieb sie unruhig die Handflächen aneinander.
Claudia folgte der Bäuerin in die Küche. Da saß ihr Vater mit einem ebenso ernstem Gesicht wie die Mutter.
Die beiden wechselten einen kurzen Blick miteinander.
"Nun aber heraus mit der Sprache!", forderte das Madl.
"Was ist denn so schlimmes geschehen, dass ihr so herumdruckst!"
Die Bäuerin stieß ihren Mann an und dieser begann schließlich zu sprechen. "Mei, es geht halt um deine Tante..."
"Tante Maria?"
"Genau!", nickte der Bauer.
"So red' doch schon! Was ist mit ihr?"
"Heute am Abend kam ein Anruf. Die Maria ist heute Abend ja zu einer Bekannten in die Stadt gefahren..."
"Freilich! Das hat sie mir erzählt!"
"Auf dem Weg wurde sie in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt...."
Claudia schluckte und starrte ihren Vater fassungslos an.
Sie hatte ein Gefühl, als ob ihr die Luft zum Atmen genommen worden wäre.
"Ist Tante Maria...verletzt?", fragte das Madl dann zögernd und mit belegter Stimme.
"Maria ist tot", erklärte jetzt die Bäuerin statt ihres Mannes. "Sie starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus..." Die letzten Worte der Bäuerin erstickten in einem Schluchzen. Sie barg das Gesicht in den Händen. Franzl Sennreicher legte indessen seinen Arm um die Schulter seiner Frau und versuchte, sie zu trösten.
Claudia ließ sich auf einem der Küchenstühle niedersinken.
Das darf net wahr sein!, durchzuckte es sie, dies muss ein schlechter Traum sein...
Tränen rannen Claudia über die Wangen.
Es war nur wenige Augenblicke her, da hatte sie sich wie im siebten Himmel gefühlt. Und nun der jähe Absturz.
Was soll ich nur tun ohne Tante Maria?, ging es ihr voller Verzweiflung durch den Kopf. Wie eine dunkle Woge schlugen die Gefühle der Trauer über ihr zusammen. Maria Hinzberg - ihre Tante Maria - war für sie von Jugend auf eine wichtige Bezugsperson gewesen. Dass sie nun nicht mehr unter den Lebenden sein sollte, konnte Claudia noch immer nicht so recht fassen.
"Es tut mir leid", sagte der Sennreicher-Bauer indessen mit heiser klingender Stimme. "Die Maria wurde mitten aus dem Leben gerissen... Wir können jetzt nix anderes tun, als für sie zu beten!"
Claudia blickte auf.
Ihre Augen waren tränenrot. "Warum gerade sie?", fragte sie mit fast erstickter Stimme. Sie wollte noch etwas hinzufügen, brachte dann aber kein einziges Wort mehr über die Lippen.
6
Die nächsten Tage und Wochen waren für Claudia nicht leicht.
Zunächst blieb der HINZBERGER HOF einige Tage lang geschlossen.
So lange, bis Maria Hinzberg auf dem kleinen Friedhof im Dorf neben ihrem Mann beigesetzt neben worden war. Das halbe Dorf kam zur Beerdigung, und erwies der allseits beliebten Wirtin die letzte Ehre.
Die Testamentseröffnung machte schließlich das amtlich, was die Wirtin ihrer Nichte zuvor bereits offenbart hatte.
Dass nämlich sie die Erbin des HINZBERGER HOFS war.
Einen Berg von Arbeit galt es in der nächsten Zeit abzutragen. Claudia stürzte sich regelrecht hinein. Sie hätte sich sehr gewünscht, noch länger mit ihrer Tante gemeinsam den HINZBERGER HOF betreiben zu können. Aber nun, da sie auf sich allein gestellt war, stellte sie sich der Herausforderung.
Zunächst stellte sie noch eine Aushilfe ein, denn es war nach Tante Marias Tod absolut undenkbar, dass sie den Gasthof allein betreiben konnte.
Für den Rieder-Markus hatte sie in den folgenden Wochen wenig Zeit. Dem jungen Bergführer ging es allerdings umgekehrt nicht anders. Auch er hatte alle Hände voll zu tun.
Eine Bergtour nach der anderen wollte organisiert und durchgeführt werden. Und Markus wusste natürlich ganz genau, dass er die besten Wochen des Jahres nutzen musste. Wenn erst die Herbststürme begannen, dann nahm die Kletterlust der Touristen ganz schnell ab.
Trotzdem kam Markus natürlich beinahe jeden Tag zum HINZBERGER HOF. Und ganz gleich, wie voll der Gasthof dann auch sein mochte - ein paar Minuten machte sie sich dann immer frei. Mochte da auch der eine oder andere Tourist vor sich hin fluchen, wenn er ausnahmsweise etwas länger auf seine Maß Bier warten musste.
"Mei, ich hoffe, es kommen auch mal wieder ruhigere Zeiten!", sagte sie bei einem der wenigen längeren Treffen, die sie sich gönnten.
Markus lächelte sie an.
"Sei doch froh, dass dein Gasthaus so richtig gut läuft..."
Claudia seufzte hörbar. "Ja, das schon, aber..." Sie zögerte und sprach zunächst nicht weiter.
"Aber was?", hakte Markus nach.
"Mei, es ist halt schon noch etwas ganz anderes, wenn man plötzlich für alles ganz allein verantwortlich ist."
Markus nickte. "Ja, das kann ich schon verstehen..."
Hand in Hand gingen sie ein Stück spazieren. Ein schmaler Weg begann unweit des HINZBERGER HOFS und führte ein Stück talwärts bis zu einem kleinen Waldstück.
Dort gingen sie auch diesmal hin.
Am Waldrand lagen drei große Findlinge, die vor vielen Jahrtausenden die Gletscher der Eiszeit hier zurückgelassen hatten. Diese Steine waren etwas besonderes. Die Oberfläche war vollkommen glatt, die Form oval.
"Unser Platz", sagte Markus, als sie an diesem Abend dort anlangten.
Claudia lächelte. "Ja", sagte sie leise. So empfand sie das inzwischen auch. Sie atmete tief durch und meinte dann: "Ich weiß gar net mehr, wo mir der Kopf steht. Jetzt merke ich erst, wie viel ich noch lernen muss."
"Du schaffst das schon", war Markus zuversichtlich. "Und so lange genug Leute in den HINZBERGER HOF kommen, kann doch eigentlich auch gar nix passieren!"
Claudia zuckte die Achseln. "Ich hoffe, du hast recht. Mei, das wäre eine rechte Katastrophe, wenn ich das Gasthaus in den Ruin bringen würd'... Tante Maria würde sich im Grab umdrehen."
"Geh, Claudia, nun red' keinen Schmarrn!"
"Das ist kein Schmarrn, Markus! So etwas kann im Handumdrehen passieren!"
"Aber net, wenn man seine Arbeit so gewissenhaft macht wie du!"
Claudia lächelte.
"Es ist nett, dass du mir Mut machen willst. Und ich glaube, das habe ich im Moment auch nötig!" Sie sah ihn einen Augenblick lang an, dann fuhr sie fort: "Mei, ich red' hier schon die ganze Zeit ohne Unterlass und du kommst gar net zu Wort! Du hast sicher auch deine Probleme, die dich beschäftigen..."
"Naja..."
"Nun sag schon", forderte Claudia. "Was geht dir im Moment so im Kopf herum?"
"Ich woaß net, ob das jetzt der rechte Moment ist, um damit anzufangen...."
"Nur immer raus damit, Markus!"
Markus trat nun an sie heran, nahm ihre Hände. "Claudia, du woaßt, dass ich dich sehr gern hab..."
"Ich dich doch auch, Markus!"
"Ich würde gerne mit dir zusammen vor den Altar treten, Claudia."
Claudia war völlig perplex. Damit hatte sie im Moment nun wirklich am allerwenigsten gerechnet. Sicher, sie mochte den Rieder-Markus. Richtig verliebt war sie in ihn. Aber ob man sich ein Leben lang an jemanden band, das wollte wohl überlegt sein.
Claudia war verwirrt.
Was sollte sie ihm sagen? Die eine Hälfte von ihr riet ihr vehement dazu, einfach laut und deutlich ja zu sagen. Aber da waren auch Zweifel. In der letzten Zeit waren ihre Gedanken von den Dingen gefangengenommen gewesen, die irgendwie mit der Führung des HINZBERGER HOFS zu tun hatten. Sie hatte einfach nicht die nötige Ruhe gefunden, um näher darüber nachzudenken, wie sie sich ihre persönliche Zukunft vorstellte.
'Aber der Markus ist doch ein Mannsbild, wie du es dir immer erträumt hast!',wandte die andere Stimme in ihrem Inneren ein. 'Warum zögerst du da noch? Bist vielleicht schon irgendwann einmal so heftig verliebt gewesen, wie im Moment? Was gibt es da noch zu bedenken?'
Doch bei Claudia gewann das Gefühl die Oberhand, dass sie nichts überstürzen wollte. Sie wollte ganz sicher sein, das Richtige zu tun.
Und dazu brauchte sie noch etwas mehr Zeit...
"Markus, hör mal...", begann sie. An Markus' skeptischen Blick sah sie schon, dass das kein guter Anfang gewesen war.
Aber es half alles nichts. Sie musste mit der Wahrheit heraus. Und wenn er sie wirklich liebte, dann würde er das auch akzeptieren und noch eine Weile auf sie warten. "Ich liebe dich von ganzem Herzen, aber ich brauche einfach noch ein bisserl mehr Zeit. Weißt, in den letzten Wochen hat sich derart viel in meinem Leben verändert, dass ich erst wieder etwas Tritt gefasst haben muss, bevor ich über so etwas wie eine Hochzeit nachdenken kann. Das verstehst doch, gell?"
Markus gab sich zwar alle Mühe - aber die Enttäuschung konnte er dennoch nicht verbergen. Sie stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Sein Lächeln wirkte verkrampft.
"Mei, sicher versteh ich das", murmelte er.
"Lass mir einfach ein bisserl Zeit."
"Ja, freilich lass' ich dir die!"
"Weißt, wenn wir zwei einmal vor den Altar treten und die Ringe aufstecken, dann soll's doch für immer sein, oder?"
"Geh, Claudia! Was red'st denn da! Natürlich soll's das!"
"Na siehst du! Was machen da ein paar Wochen..."
Markus nickte. "Du hast sicher recht", meinte er. Aber Claudia war sich nicht so recht im klaren darüber, ob er das wirklich so meinte.
7
An einem der nächsten Abende traf sich Markus Rieder mit dem Zellerer-Wiggerl beim Kornhuber. Den Wiggerl kannte Markus schon seit der Grundschule. Seit damals waren sie befreundet. Wiggerl hatte die Sägemühle seines Vaters übernommen, nachdem dieser sich zur Ruhe gesetzt hatte. Und vor kurzem war er auch im Hafen der Ehe gelandet.
"Wann wird es denn mit dir und der Sennreicher-Claudia etwas?", erkundigte sich der Wiggerl mit unverhohlener Neugier. "Nachdem man euch beim Dorftanz zusammen gesehen hat, kamen ja die wildesten Gerüchte auf..."
"Das ist es ja eben", meinte der junge Bergführer und hob dabei die Schultern.
Der Wiggerl sah seinen alten Schulfreund verwirrt an.
"Mei, jetzt kapier ich aber nix mehr!", bekannte er. "Was ist denn nun was?"
Markus ließ den Blick kurz schweifen. Die Wirtschaft des Kornhubers war an diesem Abend stark frequentiert.
"Lass uns das net hier am Schanktisch besprechen", meinte Markus dann. Er wollte schließlich nicht, dass am nächsten Tag das halbe Dorf über seine Angelegenheiten tratschte.
Wiggerl zuckte die Achseln.
"Was schlägst du vor?", fragte er.
Markus deutete zu einem freien Tisch. "Lass uns unsere Maß dort trinken!"
"Dort, in der Ecke?"
"Freilich."
So nahmen sie an dem Tisch in der Ecke Platz. Der Wiggerl platzte beinahe vor Neugier. "Du macht es aber auch richtig spannend", meinte er mit erwartungsfrohem Gesicht.
"So lustig ist die Sache für mich leider gar net", bekannte Markus.
Wiggerl hob die Augenbraue. "Sag bloß, ihr zwei habt schon Probleme miteinander! Nach der kurzen Zeit!"
"Mei, wie man's nimmt." Und dann erzählte Markus seinem Schulfreund von dem letzen Zusammentreffen mit seiner geliebten Claudia sowie dem mehr oder weniger missglückten Heiratsantrag. "Ich wollte jetzt einfach mal die Meinung einer unabhängigen Instanz dazu wissen", schloss er.
"Und die soll ich sein?"
"Genau, Wiggerl. Was soll ich davon halten, dass das Madl jetzt auf einmal noch Zeit braucht?"
Wiggerl machte ein nachdenkliches Gesicht. Bevor er antwortete, nahm er zunächst einmal einen kräftigen Schluck aus seiner Maß. "Tja, normalerweise würde ich sagen, dass du vielleicht tatsächlich ein bisserl übereilt gehandelt hast, Markus. Schließlich muss man ja wirklich nix übers Knie brechen. Aber in diesem speziellen Fall..."
"Ja?", hakte Markus voller Ungeduld nach.
"Mei, da scheint mir die Sachlage etwas anders zu sein."
"Sag mir ehrlich, was du denkst, Wiggerl! Mir ist net damit gedient, wenn du um den heißen Brei herumred'st!"
Wiggerl holte tief Luft. "Meinetwegen - aber auf deine Verantwortung!"
"Du weißt doch, dass ich hart im nehmen bin, Wiggerl!"
"Wie du meinst. Also, ich denke, bei deiner Claudia hat sich durch die Erbschaft, die sie vor kurzem gemacht hat, alles geändert."
"Ja, das ist mir schon klar. Aber das hat doch nix mit unserer Liebe zu tun."
"Wirklich net?", fragte Wiggerl. "Denk doch mal nach! Das Madl ist jetzt eine vermögende Partie! Und was bist du? Ein Bergführer, der mehr oder minder von der Hand in den Mund lebt und gerade so über die Runden kommt. Aber die Claudia, die ist jetzt Besitzerin einer gutgehenden Wirtschaft."
"Ich weiß net, worauf du hinaus willst!", brummte Markus düster.
"Geh, Markus, tu doch net so! Ganz genau weißt du das! Und ich wette, du hast auch schon darüber nachgedacht, wie das denn zusammenpassen soll mit euch zweien!"
"Du meinst, ich bin ihr net mehr gut genug!"
"Für mich liegt das glasklar auf der Hand, Markus!"
Der Rieder-Markus machte eine wegwerfende Geste.
"Schmarrn!", stieß er hervor.
"Wenn es sich jetzt net um dich und die Claudia, sondern um zwei andere junge Leute handeln würde - wäre es net auch dein erster Gedanke?"
"Ich weiß net."
"Und du solltest dich auch mal in Claudias Lage versetzen. Würdest du net auch misstrauisch werden, wenn du kurz nach einer beachtlichen Erbschaft einen Heiratsantag bekämst? Mal ehrlich..."
"Das Geld und die Wirtschaft interessieren mich doch überhaupt net!"
"Das sagt sich so leicht!"
"Ja, glaubst mir vielleicht net?", brauste Markus Rieder dann auf.
Einige Augenblicke herschte dann Schweigen.
Schließlich nahm Wiggerl den Gesprächsfaden wieder auf.
"Denk ein bisserl darüber nach und du wirst feststellen, dass ich recht habe", war der Wiggerl überzeugt. Und nach einer kurzen Pause betretenen Schweigens setzte er dann noch hinzu: "Geh, Markus, die Claudia ist doch net das einzige fesche Dirndl auf der Welt! Am besten ist, du findest dich mit der Lage ab und siehst dich anderweitig um! Glaub mir! Ich hab da auch so meine Erfahrungen!"
8
Es war schon sehr spät. Die letzten Gäste des HINZBERGER HOFS waren gerade dabei, ihre kaum noch halbvollen Gläser auszutrinken und Claudia war gerade damit fertig, die Tageseinnahmen zu zählen.
Da hörte die junge Frau draußen vor der Tür ein Motorengeräusch.
Ein Wagen fuhr vor.
Zenzi Gärtner, ein braunhaariges Madl in Claudias Alter, das die neue Wirtin als Gehilfin eingestellt hatte, stand in der Nähe des Fensters. Zenzi strich sich eine Strähne ihrer dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht und blickte angestrengt hinaus in die Nacht.
"Mei, da ist ein Taxi vorgefahren!", stieß sie dann überrascht hervor. "Und das um diese Zeit... Wer das wohl sein kann?"
Augenblicke später öffnete sich die Tür.
Eine Frau trat mit elegantem Schritt ein. Sie war kaum älter als Claudia. Ihre Jeanshosen saßen sehr knapp, das Gleiche galt für ihr T-Shirt. Die rotblonden Haare hatte sie zu einer Hochfrisur aufgesteckt.
Die wenigen noch anwesenden Gäste stierten sie an wie ein Wesen von einem anderen Stern.
Die junge Frau ließ abschätzig den Blick schweifen. Sie strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Die Blicke der anwesenden Mannsbilder beachtete sie nicht weiter. Sie schien daran gewöhnt zu sein, in jedem Raum, den sie betrat, sogleich der Mittelpunkt zu sein.
Noch jemand betrat den Schankraum es HINZBERGER HOFS.
Es war der Taxifahrer, der sich mit den Koffern abquälte und sie sorgfältig in der Nähe des Tresens abstellte.
Die junge Frau bezahlte ihn, gab ihm dabei ein großzügiges Trinkgeld und meinte dann sehr von oben herab: "Sie können jetzt gehen!"
"Nix für ungut!", meinte der Taxifahrer, bedankte sich dann noch einmal für das Trinkgeld und verschwand.
"He, Sie müssen ihn zurückrufen", meinte Claudia, die einen Augenblick lang wie erstarrt dagestanden hatte.
Die fremde junge Frau lächelte kühl und trat dann gemessenen Schrittes an Claudia Sennreicher heran.
"Ich muss gar nichts", sagte sie dann.
"Aber wir schließen gleich!", wandte Claudia ein.
"Ich beabsichtige, hier zu übernachten!"
"Das ist unmöglich!"
Von draußen her war zu hören, wie das Taxi davonfuhr.
Claudias Puls ging spürbar schneller. Schon im ersten Moment hatte sie gespürt, dass sie diese Frau nicht mochte. Woran das genau lag, konnte sie nicht sagen. Sie hatte etwas an sich, dass sämtliche Alarmglocken in der frisch gebackenen Wirtin klingeln ließ.
Nimm dich vor dieser Person in Acht!, ging es Claudia durch den Kopf.
Das Lächeln der Rotblonden wirkte kalt und geschäftsmäßig.
"Für mich ist hier nichts unmöglich!", erklärte sie dann.
"Tut mir leid, aber die wenigen Fremdenzimmer, die wir haben, sind belegt. Sie können es höchstens im Dorf beim Kornhuber versuchen... Außerdem gibt es noch jede Menge private Unterkünfte hier in der Ge..."
"Es scheint, dass Sie mich nicht richtig verstanden haben!", schnitt die junge Frau Claudia dann das Wort ziemlich rüde ab. "Für mich ist alles möglich, was den HINZBERGER HOF betrifft. Denn ich bin die rechtmäßige Besitzerin..."
"Da muss ein Missverständnis vorliegen", stieß Claudia verwundert hervor.
"Ihrerseits vielleicht", lautete die eisige Erwiderung.
"Mein Name ist Patricia Hinzberg. Ich gebe zu, nur sehr weitläufig mit der verstorbenen Maria Hinzberg verwandt gewesen zu sein. Aber dafür hat sie mich als ihre Universalerbin eingesetzt!"
Claudia wechselte einen kurzen Blick mit Zenzi, die natürlich alles mit angehört hatte.
"Das kann net sein!", erklärte die junge Wirtin dann so gelassen, wie ihr das in dieser Lage nur irgend möglich war.
"Das ist völlig unmöglich!"
Patricia lächelte geringschätzig.
"Ich nehme an, Sie sind hier angestellt. Es wäre nett, wenn Sie mir meinen Besitz zeigen würden!"
"Ich bin hier keinesfalls 'angestellt', sondern die neue Wirtin", erklärte Claudia dann und versuchte dabei so selbstsicher wie nur möglich zu wirken.
Innerlich kochte sie.
Was bildete sich diese Person eigentlich ein? Führte sich hier wie die Hausherrin auf, ohne bislang irgendeinen Beweis dafür vorzulegen, dass sie das Recht dazu hatte!
"Das kann alles nur ein Missverständnis sein", meinte Claudia dann und versuchte dabei, einen versöhnlichen Ton zu treffen. Schließlich war ihr keineswegs an irgendeinem Streit gelegen. Ganz im Gegenteil. In sachlichem Tonfall berichtete sie dann von der Testamentseröffnung und dem letzten Willen von Maria Hinzberg, den diese bei einem Notar hinterlegt gehabt hatte. "Es ist alles den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend vor sich gegangen", erläuterte Claudia. "Und wenn Sie jetzt irgendwelche Ansprüche haben, so fürchte ich, kommen Sie damit zu spät."
Patricia Hinzbergs Gesicht veränderte sich. Es wurde starr und maskenhaft. "Zu spät?", echote sie. "Keineswegs! Man kann ein Testament auch anfechten! Und genau das werde ich tun!"
"Daran werde ich Sie wohl nicht hindern können!"
"Ganz recht!" Patricia beuge sich etwas vor. Ihre dunklen Augen funkelten wütend. "Ich weiß nicht, wer Sie sind und wie Sie es geschafft haben Tante Maria dazu zu überreden, ein Testament zu Ihren Gunsten aufzusetzen, aber..." Sie sprach nicht weiter.
"Mein Name ist Claudia Sennreicher - und wenn Sie wollen, können Sie das Testament gerne einsehen!"
"Darauf werde ich gewiss zurückkommen!"
"Aber ganz gleich, wer Sie auch sein mögen -—eine Übernachtung im HINZBERGER HOF ist völlig ausgeschlossen. Selbst ich wohne zur Zeit nicht hier, sondern bei meinen Eltern."
Patricia verzog leicht spöttisch den Mund. "Was Sie nicht sagen!" Sie warf den Kopf in den Nacken. "Und wo soll ich jetzt hin?"
"Wenn Sie wollen, rufe ich für Sie beim Kornhuber an, ob dort noch etwas frei ist."
"Zu gütig!", meinte Patricia hochnäsig. Dann zuckte sie die Schultern. "Es scheint so, als ließen Sie mir keine andere Wahl..."
Claudia wandte sich an Zenzi. "Erledigst du das eben?"
"Ja, freilich", beeilte sich die noch immer völlig konsternierte Gehilfin zu sagen. Sie lief hinter den Tresen und nahm den Telefonhörer ab.
Claudia musterte Patricia unterdessen kritisch. "Meine Mutter war die Schwester der Maria Hinzberg", sagte sie dann.
"Darf ich fragen, in welchem Verwandtschaftsverhältnis Sie nun eigentlich genau zur Verstorbenen standen?"
Patricia wich aus. Mit nervös wirkenden Bewegungen zupfte sie sich ihre Frisur zurecht und meinte: "Vom Verwandtschaftsgrad her haben sicherlich Sie die besseren Karten..."
"Dann weiß ich ehrlich gesagt net, was der Schmarrn soll! Von wegen Testament anfechten und dergleichen!"
Patricia hob den Kopf und sah Claudia dann direkt in die Augen. Ein bohrender, unangenehmer Blick, dessen finstere Entschlossenheit Claudia regelrecht zusammenzucken ließ.
"Tante Maria hat mich die ganzen Jahre über immer sehr unterstützt. Auch wenn wir fast nur brieflichen Kontakt hatten, so hat sie doch regen Anteil an meinem Leben genommen. Tante Maria hatte keine eigenen Kinder - vielleicht hat sie in mir so etwas wie eine Art Tochter gesehen - auch wenn es mir leider nicht vergönnt war, sie in den letzten Jahren persönlich zu sehen. Aber das liegt daran, dass meine Eltern lange im Ausland lebten..." Sie atmete tief durch.
"Ich will Ihnen diese lange Geschichte ersparen."
"Wie kommt es, dass Tante Maria nie eine Patricia erwähnte?" fragte Claudia. "Tante Maria und ich haben in den letzten Jahren sehr eng zusammengearbeitet und uns gegenseitig alles erzählt, was im Leben der jeweils anderen eine Bedeutung hatte. Aber der Name Patricia Hinzberg ist dabei bestimmt net gefallen! Daran hätte ich mich sonst erinnert!"
Patricias Erwiderung war schneidend.
"Vielleicht haben Sie einfach nicht richtig hingehört, Claudia! Manchmal hört man ja auch nur das, was man hören will!"
Claudia wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, da kam ihr Zenzi zuvor.
"Beim Kornhuber ist noch ein Kammerl frei!", meldete sie.
Sie hatte den Hörer noch in der Hand. "Was soll ich dem Kornhuber sagen? Kann er heute Abend noch mit einem Gast rechnen?"
"Was bleibt mir anderes übrig!", zischte Patricia Hinzberg.
"Wenn einem das rechtmäßige Eigentum einfach vorenthalten wird..."
"Wenn Sie wollen, dann bringe ich Sie sogar noch ins Dorf", versprach Claudia. "Allerdings müssten Sie dann noch ein kleines bisserl warten - solange, bis ich hier aufgeräumt habe. Aber ein Taxi, dass Sie aus der Stadt rufen müssten, wäre auch net schneller hier und würde Sie obendrein ein halbes Vermögen kosten!"
"Das lassen Sie mal meine Sorge sein!", zischte Patricia.
"Wie Sie wollen!"
Dann schien sie sich eines Besseren zu besinnen und fügte etwas versöhnlicher hinzu: "Ich nehme Ihr Angebot an."
9
Claudia brachte Patricia Hinzberg ins Dorf. Beim Kornhuber brannte noch Licht. Offenbar hatten einige der Gäste an diesem Abend Schwierigkeiten, den Weg nach Hause zu finden.
Während der Fahrt ins Dorf hatten die beiden Frauen geschwiegen.
Claudia fühlte Wut und Ärger, aber sie versuchte, diese Empfindungen unter Kontrolle zu halten.
Bleib ganz ruhig!, versuchte sie sich selbst einzureden.
Dir kann doch nix passieren. Dich hat Tante Maria als Erbin eingesetzt, niemand anderen. Du hast es ja schließlich schwarz auf weiß. Und das muss auch dieses Stadt-Dirndl akzeptieren!
"Die Sache ist keineswegs erledigt!", sagte Patricia, als Claudia ihren Wagen vor dem Gasthaus des Kornhubers anhielt.
"Ich werde mit allen Mitteln um mein Recht kämpfen. Davon müssen Sie ausgehen."
Claudia sah ihr Gegenüber einige Augenblicke lang nachdenklich an.
Dann nickte sie.
"Ja, das glaube ich Ihnen gerne. Aber ich denke, wenn Sie erst Einsicht in das Testament genommen haben, werden Sie Ihren Widerstand aufgeben."
"Nein!", war die harte Erwiderung Patricia Hinzbergs.
"Nein, niemals!", bekräftigte sie. "Und die Art und Weise, auf die Sie mich gerade aus meinem Eigentum hinausexpediert haben, wird Sie noch teuer zu stehen kommen!"
"Sollte ich vielleicht einen der Feriengäste aus dem HINZBERGER HOF hinauswerfen, der dort für gutes Geld ein Zimmer gemietet hat?", fragte Claudia zurück.
"Ich habe keine Lust, mich weiter mit Ihnen darüber zu unterhalten", entgegnete Patricia Hinzberg und hob dabei ihr Kinn. "Eine gute Nacht wünsche ich Ihnen", fügte sie dann noch mit spitzem Unterton hinzu, was in dieser Situation wie blanker Hohn klang.
Patricia stieg aus.
Claudia wollte ihr dabei helfen, das Gepäck aus dem Kofferraum herauszuheben. Aber Patricia lehnte jegliche Hilfe von Claudias Seite ab. Einen Augenblick lang blickte Claudia ihr noch nach, wie sie sich mit den schweren Taschen auf den Eingang des Kornhuber Gasthauses zubewegte. Dann fuhr sie nach Hause. Die Gedanke rasten in ihrem Kopf.
Konnte es wirklich sein, dass diese Patricia Hinzberg hier derart selbstbewusst auftrat, ohne einen triftigen Grund dafür zu haben? Mei, wie überzeugt sie von ihrer Meinung gewesen ist, ging es Claudia nachdenklich durch den Kopf.
Könnte es nicht doch sein, dass ich am Ende etwas net bedacht habe?
Schmarrn!, versuchte sie diese Gedanken hinwegzuscheuchen.
Tante Maria war gerade einmal sechzig Jahre alt gewesen und sicherlich weit davon entfernt, altersverwirrt zu sein.
Es war also völlig auszuschließen, dass sie möglicherweise noch anderen Versprechungen - ihr Erbe betreffend - gemacht hatte.
Claudia war so in Gedanken, dass sie mit ihrem Wagen beinahe von der Straße abkam, als sie den schmalen, gewundenen Weg hinauf zum Sennreicher-Hof fuhr.
Der Bruder vom Rieder Markus hatte ihr Gefährt noch einmal gründlich überholt. Und das zu einem ausnehmend günstigen Preis.
Jetzt kam ihr der Wagen fast wieder wie neu vor.
Für einige Augenblicke blieben ihre Gedanken bei Markus.
Ich glaube, er fühlt sich ein bisserl vor den Kopf gestoßen, überlegte sie.
Immer wieder war ihr das Gespräch durch den Kopf gegangen, dass sie am Rand des kleinen Wäldchens geführt hatten.
Was war in jenem Moment nur in sie gefahren, überlegte sie. Der Markus hatte nichts weniger versucht, als um ihre Hand anzuhalten, und war damit nicht genau das geschehen, was sie sich zuvor insgeheim immer gewünscht hatte?
Und doch hatte sie gezögert.
Aber warum muss der Bursche auch so ungeduldig sein?, fragte sie sich. Und im Moment wuchs dem Madl sowieso alles über den Kopf. Wie konnte man da über einer so wichtige Frage gescheit nachdenken?
Im Augenblick schien alles wie verhext zu sein.
Die Dinge mussten sich regelrecht gegen Claudia verschworen haben. Jedenfalls empfand sie das so.
Ziemlich deprimiert erreichte sie den Sennreicher-Hof.
Ihre Eltern waren längst zu Bett gegangen.
Und obwohl es schon spät war und Claudia am nächsten Tag wieder in aller Herrgottsfrühe aus den Federn musste, empfand das Madl den Gedanken an Schlaf in diesem Augenblick als völlig abwegig.
Unmöglich jetzt Ruhe zu finden - nach alledem, was geschehen war.
Mit einem Glas Milch setzte sich Claudia in die Stube und brütete dann über ihren düsteren Gedanken.
Sie hatte das Gefühl, als ob sich zur Zeit ein regelrechtes Unwetter über ihrem Kopf zusammenbraute.
Einige Zeit verging, dann hörte sie draußen einen Wagen vorfahren.
Claudia ging zum Fenster und blickte hinaus.
Offenbar kam da jemand noch später als sie selbst nach Hause.
Es war Peter Sennreicher, ihr Bruder.
Einige Augenblicke später betrat er das Haus und kam dann in die Stube.
Leise summte er ein Liedchen vor sich hin.
Dann stutzte er, als er seine Schwester sah.
"Mei, du bist noch auf?", fragte er verwundert. Ein freundliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Glaubst vielleicht jetzt, da du freie Unternehmerin bist, brauchst net mehr ausgeschlafen sein?"
Normalerweise hatte Claudia über die Scherze ihres Bruders immer herzhaft lachen können.
Aber im Augenblick hatte sie dafür einfach keinen Sinn.
Und als Peter das traurige Gesicht seiner Schwester sah, begriff er das auch recht schnell.
"Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen, Schwesterherz?"
Claudia seufzte hörbar. Und dann brach es aus ihr heraus.
Sie erzählte alles, was sich am Abend zugetragen hatte und der Peter hörte aufmerksam zu.
Seine Stirn legte sich immer mehr in Falten.
Schließlich fragte er: "Diese Patricia Hinzberg - ist das so eine Rotblonde aus der Stadt?"
"Ja, genau", nickte Claudia, "mei, die trägt das Kinn schon höher als die Turmfrisur! So arrogant kommt die daher!"
"Wenn das die ist, dann ist sie mir bereits begegnet", erklärte Peter Sennreicher.
"Wie bitte?", fuhr Claudia auf.
"Mei, ich war doch bis gerade beim Kornhuber... Ja mei, was soll ich sagen? Da tauchte plötzlich so ein bildhübsches Frauenzimmer auf, das hättest du mal miterleben sollen!"
"Ich kann mir ihren Auftritt lebhaft vorstellen!", erwiderte Claudia.
"Sämtliche Mannsbilder im Schankraum haben erst einmal vergessen den Mund wieder zu schließen, als sie eintrat", berichtete Peter. "So hin und weg waren die."
"Das ist eine Schlange!", meinte Claudia im Brustton der Überzeugung.
Der Peter machte eine unbestimmte Geste.
"Ja, jetzt, wo du's so sagst...", gab Claudias Bruder dann zögernd zurück.
Claudia betrachtete ihn stirnrunzelnd.
"Geh, Peter! Was soll das denn heißen?"
"Ja nix für ungut, Schwesterherz! Aber im Grunde genommen wirkte sie auf mich ganz sympathisch..."
Claudia stemmte die Arme in die Hüften. Sie war empört.
Offenbar hatte sich ihr Bruder von den verführerischen optischen Reizen dieser Städterin den klaren Blick vernebeln lassen!
"Soll das heißen, du bist etwa net auf meiner Seite?"
Aber der Peter schüttelte den Kopf.
"Geh, Claudia, red' doch keinen Schmarrn! Davon kann doch überhaupt keine Rede sein. Wann immer du meine Hilfe brauchst, bin ich für dich da."
"Na, da bin ich aber froh", sagte Claudia mit belegter Stimme.
Peter versuchte seine Schwester zu trösten, so gut es ging.
"Warte erstmal ab, was der morgige Tag bringt. Wenn jemand dein Testament anzweifelt und anfechten will, dann muss er dafür Beweise vorlegen - und das ist gar net so einfach."
"Meinst wirklich?"
Peter nickte. "Da reicht es net, wenn man mir nix dir nix daherkommt und wilde, unbewiesene Behauptungen aufstellt."
Claudia zuckte die Achseln.
"Vielleicht mache ich mir ja unnütz Gedanken."
"Bestimmt", war Peter Sennreicher überzeugt. "Und am besten du versuchst jetzt, etwas zu schlafen. Sonst verwechselst morgen im HINZBERGER HOF beim Ausschank noch den Roten und den Weißen!"
Claudia lächelte matt.
"Vielleicht hast ja recht!", gestand sie zu, nickte und erhob sich dann.
Aber tief in ihrem Inneren ahnte sie, dass die Sache mit Patricia Hinzberg noch lange nicht ausgestanden war.
Da half auch alles Schönreden nichts.
10
Markus Rieder fuhr am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe beim Kornhuber im Dorf vor.
Er hielt den Geländewagen auf dem Parkplatz und stieg aus.
Markus sog die kühle Luft in sich auf und blickte in Richtung des Hochwaldes, der eine Art Kranz um die noch höher gelegenen Gipfelregionen bildete.
Dorthin würde er heute mit einer Touristengruppe gehen, die sich beim Kornhuber eingemietet hatte.
"Alles Stadtleute", hatte der Kornhuber am Telefon zu ihm gesagt. "Musst ein bisserl behutsam mit ihnen sein und sie net zu sehr herumkraxeln lassen. Sonst haben die heute Abend net einmal mehr Kraft genug, um noch ihre Maß Bier zu heben. Und das wäre dann geschäftsschädigend für mich!"
Es würde nicht mehr allzulang dauern und die Hauptsaison wäre vorbei. Erst im Winter konnte der junge Bergführer dann mit Skitouren seinen Schnitt machen. Aber an all diese Dinge verschwendete Markus in diesem Moment nicht einen einzigen Gedanken.
Statt dessen sah er dauernd das Bild seiner geliebten Claudia vor sich.
Mei, im Moment ist einfach der Wurm drin bei uns!, dachte er.
Er hoffte von ganzem Herzen, dass zwischen ihm und Claudia wieder alles in Ordnung kommen würde. Er seufzte hörbar.
Vielleicht, dachte er, ist das aber wie mit einer zersprungenen Schüssel. Sie wird nie wieder so, wie sie mal gewesen ist.
Markus versuchte, diesen Gedanken so schnell wie möglich wieder zu verscheuchen.
Aber das war nicht so einfach.
Und es war ihm wohl bewusst, dass er ihn noch eine ganze Weile wie ein dunkler Schatten verfolgen würde.
Das Geld!, dachte er. Das steht jetzt zwischen uns...
Aber sollte das wirklich wahr sein?
Hatten sie sich denn beide so verändert, seit die Claudia eine große Erbschaft gemacht hatte. Eigentlich, so überlegte Markus, sollte das net ausschlaggebend sein...
Er betrat nun den Schankraum des Kornhubers.
Sepp Kornhuber war ein großer, rundlicher Mann mit freundlichem Gesicht und einem buschigen Schnauzbart. Als Markus Rieder eintrat, kam der Wirt gerade hinter seinem Tresen hervor und balancierte ein Tablett mit den Händen.
"Grüß dich, Markus", sagte er. Ein verschmitztes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Warte einen Moment. Ich muss eben noch einem Gast das Frühstück servieren. Dann können wir ein paar Wörtl miteinander reden!"
Damit ging er am Rieder Markus vorbei.
Der Kornhuber trug sein Tablett zu einem Tisch nahe dem Fenster.
Dort saß eine junge Frau.
Das rotblonde Haar hatte sie geschickt aufgesteckt.
Ihre Kleidung war sehr figurbetont.
Elegant hatte sie die Beine übereinandergeschlagen und las in einer Illustrierten.
Markus Rieder sah ihr eine Weile zu. Dann kehrte der Kornhuber schließlich zu ihm zurück.
"Mei, wer um alles in der Welt ist die denn?", raunte er dem Kornhuber zu.
"Patricia Hinzberg", flüsterte der Schankwirt. "Ist aus der Stadt."
"Mit der Maria Hinzberg war sie net zufällig verwandt?", fragte Markus.
Der Kornhuber zuckte die Achseln.
"Noch müssen die Verwandtschaftsverhältnisse net ins Gästebuch eingetragen werden", erklärte er lächelnd.
"Andererseits, wenn die Hinzberg-Maria noch irgendwo Verwandtschaft gehabt hätt', dann hätte ich das mit Sicherheit gewusst!"
"Ist auch wieder wahr", musste Markus zugestehen.
Der junge Bergführer blickte sich suchend um.
"Mei, hast irgend etwas verloren, als du das letzte Mal hier bei mir in der Wirtschaft warst?", erkundigte sich der Kornhuber.
Natürlich wusste dieser genau, was der Markus vermisste.
"Geh, Kornhuber, red' doch keinen Schmarrn! Du weißt ganz genau Bescheid! Meine Bergwandergruppe suche ich. Ich sollte doch extra früh hier her kommen!"
Der Kornhuber lachte schallend.
Sein Gelächter war derart laut, dass Patricia Hinzberg von ihrer Illustrierten aufsah. Dabei fiel ihr Blick auch auf Markus. Einen Augenblick lang sahen sich der Bergführer und die junge Frau aus der Stadt an.
Dann allerdings riss Markus sich von ihrem Anblick los.
"Nun sag schon, Kornhuber. Was ist los?"
"Mei, was soll schon los sein? Deine Bergwanderer - wenn sie denn diesen Namen überhaupt verdienen - haben den Mund wohl ein bisserl voll genommen. Gestern abend groß dem Rotwein zusprechen und dann am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe in die Berge kraxeln. Das kann unmöglich gutgehen, wie sich jeder denken kann!"
Markus stemmte die Arme in die Hüften.
"Geh, Kornhuber! Soll das bedeuten, dass die noch alle in den Federn liegen?"
"Keine Sorge!", versuchte der Kornhuber zu beschwichtigen.
"Ich habe sie schon geweckt! Aber es kann noch ein bisserl dauern, bis sie abmarschbereit sind. Und frühstücken müssen sie schließlich auch noch. Schließlich können sie net auf nüchternen Magen die Tour machen."
Der Kornhuber legte dem jungen Bergführer eine Hand auf die Schulter.
"Reg dich net auf!"
"Mei, du hast auch gut reden, Kornhuber!", ereiferte Markus sich.
Der Kornhuber zuckte die Achseln. "Kannst hier bei mir ein paar Semmeln und Kaffee bekommen, wenn du willst! Wird dir wohl nix anderes übrig bleiben, als hier abzuwarten, bis deine Gäste so weit sind!"
Damit wandte er sich um und ging auf die Tür zu, die zur Küche führte
Markus Rieder konnte der Versuchung nicht widerstehen und blickte noch einmal zu Partricia hinüber. Sie erwiderte diesen Blick und winkte ihm zu. Er trat näher an sie heran und zögerte etwas dabei.
"Entschuldigen Sie, aber Ihr Gespräch, dass Sie gerade mit dem Wirt geführt haben, war teilweise so laut, dass ich es mit anhören konnte", erklärte sie dann.
"Oh", machte Markus dann. "Mei, Sie müssen net jedes Wort so auf die Goldwaage legen, was hier im Dorf so gesprochen wird!"
"Das tue ich auch net", versicherte Patricia. Ihr Lächeln war bezaubernd. Markus war einige Augenblicke lang ganz gefangen davon.
Patricia deutete auf einen der rustikalen Stühle am Tisch.
"So setzen Sie sich doch", forderte sie ihn mit einem gekonnten Augenaufschlag auf.
"Ja, sicher", nickte Markus und nahm auf einem der Stühle Platz.
"Ich habe eben mitbekommen, dass Sie offenbar ein richtiger Bergführer sind!", sagte Patricia.
"Freilich bin ich das", bestätigte Markus.
"Das finde ich ja hoch interresant! Ist das net eine große Verantwortung, wenn man eine Touristengruppe hinauf zu den Gipfeln führt..."
Markus hob etwas die Schultern. "Mei, net alle führe ich bis zu den Gipfeln... Schließlich ist es auch net ganz so einfach da hinzugelangen! Aber hoch hinaus geht's schon."
"Sie verdienen Ihren Lebensunterhalt damit?", erkundigte sich Patricia.
"Reich werden kann man damit net", gab der Markus zu.
"Aber es langt, um sein Auskommen zu haben."
"Würden Sie denn eventuell auch eine Anfängerin einmal mit in die Berge nehmen?"
Markus lächelte mild. "Sie sprechen doch net etwa von sich sich selbst!"
"Doch schon", nickte Patricia. "So, wie's im Moment ausschaut, werde ich nämlich etwas länger hier in der Gegend bleiben. Und da täte mir so eine Abwechslung sicher ganz gut."
"Ich richte mich, was den bergsteigerischen Anspruch der Tour angeht, immer nach der Kundschaft."
"Das ist gut. Und wie kann ich Sie erreichen?"
Markus Rieder holte etwas umständlich eine Visitenkarte aus der Jacke hervor. "Hier", meinte er, "da steht alles drauf - inklusive meiner Handynummer."
"Ah - schau her! Wenn ich Sie dann anrufe, könnt's also sein, dass Sie gerade in einer Steilwand hängen!" Der Gedanke schien sie zu belustigen. Aber Markus musste ebenfalls lachen.
Dann sagte er: "Ich würde mich freuen, Sie einmal bei einer meiner Touren begrüßen zu dürfen, Frau..."
"Ach, sagen Sie doch Patricia zu mir", unterbrach sie ihn.
"Ich bin das eh so gewohnt und außerdem sind wir schätzungsweise etwa im selben Alter. Was soll da das umständliche 'Sie'?"
"Mei - mir soll's recht sein", erwiderte Markus etwas verwundert.
"Dann darf ich 'Markus' sagen?"
"Nix dagegen."
Unterdessen kam der Kornhuber mit Semmeln und Kaffee. Sein Blick irrte suchend umher, bis er den Rieder-Markus schließlich entdeckte.
"Ah, hier bist du, alter Spezi!" Er kam herbei und stellte dann das Frühstück vor Markus auf dem Tisch. Es war gar nicht so einfach, dort noch Platz zu finden, denn Patricia Hinzberg hatte ziemlich ausführlich getafelt.
"Mei", sagte der Kornhuber dann etwas verlegen. "Dann will ich euch net weiter bei eurer Unterhaltung stören!"
"Du störst doch net, Kornhuber!", widersprach Markus.
Aber der Wirt hatte sich bereits herumgewandt.
"Erstens hab ich noch viel zu tun und zweitens freut mich nix mehr, als wenn die Gäste in meiner Wirtschaft sich verstehen!"
Dabei grinste der Kornhuber ziemlich unverschämt und zwinkerte Markus zu.
"Kennst ihn gut, den Wirt?", fragte Patricia, als er gegangen war.
"Mei, wie man sich hier im Dorf halt kennt."
"Also von frühester Jugend an!"
"So ist es", bestätigte Markus. "Was treibt denn eigentlich eine Dame wie dich hier her? Wie eine typische Bergtouristin siehst mir nämlich net aus..."
"Ach nein?", fragte sie verwundert.
Markus deutete auf ihre zierlichen Pumps. "Meistens tragen die jedenfalls anderes Schuhwerk!"
"Das mag wohl sein!" Sie atmete tief durch und beugte sich etwas vor. Ihre dunklem Augen musterten ihn. "Was ich hier tue ist net besonders interessant... Sprechen wir ein anderes mal darüber. Ich gehe doch davon aus, dass wir uns wiedersehen?"
"Mei..."
"Erzähl mir von dir, Markus. Von dir und deiner aufregenden Arbeit..."
Das ließ Markus sich nicht zweimal sagen.
Und so berichtete er ihr von aufregenden Erlebnissen, dramatischen Rettungsaktionen, an denen er beteiligt gewesen war und von der unglaublichen Schönheit der Natur, die man oben in den Bergen ganz besonders genießen konnte. Seine Augen begannen dabei zu glänzen. "Weißt, das wird nie Routine. Selbst, wenn du eine Tour schon Dutzendfach absolviert hast, so ist es doch nie dasselbe. Das Wetter ändert sich, die Wolkenformationen, die ganze Natur..."
"Du machst deinen Beruf mit Leib und Seele, net wahr?"
"Ja, das kann man wohl sagen."
In diesem Moment kamen die ersten Bergtouristen die Treppe hinab. Einige gähnten noch. Andere blickten verdutzt zum Rieder Markus hinüber. Offenbar wurde ihnen jetzt erst klar, das sie in ihrem eigenen Zeitplan ganz schön hinterherhinkten.
"Ein bisserl Zeit zum Plaudern bleibt uns ja noch...", meinte Patricia zuversichtlich. "Wenn die so langsam frühstücken, wie sie aus den Federn gekrochen sind, dann wird das wohl eher eine Nachtwanderung!"
11
Zwei Tage lang hörte Claudia Sennreicher nichts mehr von Patricia Hinzberg - wenn man einmal von allerlei Gerüchten absah, die inzwischen über die junge Frau in Umlauf waren.
Darunter auch die Nachricht, dass Patricia zusammen mit Markus Rieder in der Wirtschaft des Kornhubers gesehen worden war und die beiden sich offenbar ganz prächtig verstanden hatten.
Wahrscheinlich alles nur dummes Gerede, wie es schnell aufkam, wenn jemand wie Patricia auftauchte und sich jemand länger als ein paar Minuten mit ihr unterhielt. So dachte Claudia zunächst.
Sie selbst hatte vom Markus allerdings in diesen zwei Tagen nichts gesehen. Das war an und für sich nicht verwunderlich, denn er hatte im Augenblick alle Hände voll zu tun. Am Abend hatte Markus kurz beim HINZBERGER HOF vorbeigeschaut, aber da war Claudia gerade nicht dort gewesen.
Sie hatte nämlich in der nahen Stadt den Rechtsanwalt und Notar Dr. Wiedner aufgesucht, der auch das Testament eröffnet hatte.
Die Sache mit dem Testament hatte ihr nämlich keine Ruhe gelassen. Sie hatte sich vergewissern wollen, dass wirklich alles in Ordnung sei und sie nichts zu befürchten hätte.
"Das haben Sie auch net", hatte Dr. Wiedner ihr versichert. "Es sei denn, es würde ein gültiges Testament auftauchen, dass später datiert ist als jenes, dass Sie zur Alleinerbin bestimmt hat."
Sehr erleichtert war Claudia heim gefahren.
Dass sie den Rieder-Markus 'verpasst' hatte, erfuhr sie bei ihrer Rückkehr von Zenzi Gärtner, ihrer unermüdlichen Gehilfin.
"Mei, sonderlich zufrieden wirkte er net, der Rieder-Markus", gestand Zenzi. "Ich weiß auch net, was mit ihm los war."
Claudia atmete tief durch.
"Wir hatten einen kleinen Disput und seitdem ist zwischen uns ein bisserl Sand im Getriebe."
Zenzi machte eine wegwerfende Handbewegung. "Der wird sich schon wieder beruhigen", war sie überzeugt.
"Ich weiß net..." Claudia war da etwas skeptischer. "Es wär schon gut gewesen, wenn wir uns hätten aussprechen können."
Es war am frühen Nachmittag des folgenden Tages, als dann ein sportliches Coupe auf dem knappen Parkplatz vor dem HINZBERGER HOF vorfuhr. Ein Leihwagen, den sich jemand in der Stadt gemietet hatte, wie man sofort an der Firmenaufschrift erkennen konnte.
Claudia sah den Wagen durch das Fenster des kleinen Büros, dass sie sich in einem abgetrennten, winzigen Erker eingerichtet hatte. Die junge Wirtin war nämlich gerade damit beschäftigt gewesen, die Bücher des HINZBERGER HOFS auf dem laufenden zu halten.
Sie staunte nicht schlecht, als sie niemand anderen als Patricia Hinzberg aus dem Coupe steigen sah.
Sie trug heute das Haar offen.
Der kräftige Wind, der von den Bergen herab wehte, wirbelte es regelrecht durcheinander.
Claudias Herz klopfte bis zum Hals.
Mei, was will die denn jetzt hier!, durchzuckte es sie.
Andererseits - hatte der Anwalt nicht klipp und klar gesagt, dass überhaupt kein Anlass dafür bestand, sich irgend welche Sorgen zu machen?
Claudia atmete tief durch und versuchte sich selbst zu beruhigen.
Erstmal abwarten, was diese Schlange jetzt für Gift verspritzen will!, überlegte sie dann.
Wenige Augenblicke später kam dann die Zenzi zu ihr in das kleine Büro hereingerannt.
"Die Patricia Hinzberg!", entfuhr es ihr ganz atemlos. "Sie sitzt im Schankraum und will unbedingt mit dir sprechen! Und sie macht den Eindruck, als würde sie sich in keinem Fall abweisen lassen wollen..."
"Sag ihr, dass ich gleich komme", erklärte Claudia dann, nach einer kurzen Pause des Nachdenkens.
"Gut." Zenzi wandte sich zum gehen, blieb dann aber noch einmal kurz stehen und drehte sich herum. "Lass dich net unterkriegen, Claudia!"
"Keine Angst." Über Claudias Gesicht glitt ein mattes Lächeln. Doch in ihrem Inneren tobte das Chaos.
Sie wartete noch einige Augenblicke lang ab.
Soll diese Frau sich ruhig ein bisserl gedulden, überlegte Claudia. Dann wagte sie sich schließlich in den Schankraum hinaus. Sie rief sich noch einmal die Worte ins Gedächtnis, die der Rechtsanwalt Dr. Wiedner zu ihr gesagt hatte.
Es kann dir nix passieren!, versuchte sie sich zu beruhigen.
Als Claudia den Schankraum betrat, stolzierte Patricia darin herum, als wäre sie die Besitzerin. Mit kritischem Blick begutachtete sie die Wandvertäfelung und die Qualität des Mobiliars.
Der Gesichtsausdruck, den sie dabei aufgesetzt hatte, war reichlich geringschätzig.
"Guten Tag, Frau Hinzberg", sagte Claudia dann betont förmlich.
Patricia drehte sich herum.
"Ah, schön dass Sie da sind. Es wird sie nicht freuen, was ich Ihnen zu sagen habe - darum werde ich es kurz und schmerzlos machen. Allerdings lasse ich mich diesmal nicht so einfach hinauswerfen wie beim letzten Mal..."
Claudia nickte. "Ist mir recht, wenn's net lang und breit um den heißen Brei herumred'n wollen", stimmte sie ihrer Kontrahentin zu. "Also dann heraus mit der Sprach! Was gibt's zwischen uns zweien zu besprechen?"
"Es geht darum, dass Sie net die rechtmäßige Erbin des HINZBERGER HOFS sind und ich das auch beweisen kann..." Die Stimme Patricia Hinzbergs klang wie klirrendes Gletschereis.
Claudia starrte ihr Gegenüber fassungslos an.
"Mei, und was sind das nun für Beweise?", verlangte sie dann zu wissen.
"Es existiert ein Testament, das ganz bestimmt nach jenem datiert ist, dass Sie - vorläufig! - zur Alleinerbin machte."
"Das ist unmöglich!", stieß Claudia hervor. "Vollkommen unmöglich!"
Patricia machte eine weit ausholende Bewegung. "Es muss hier hier irgendwo sein, denn wie die Testamentseröffnung ja beweist, ist es net mehr zum Notar gelangt..."
"Mei, was rede'n Sie denn da..."
"Ich erhielt einen Brief von Tante Maria. Sie schickte ihn am Tag ihres Todes ab. Darin schrieb sie, dass sie gerade ihren letzten Willen noch einmal geändert habe..."
"Zu Ihren Gunsten natürlich!", sagte Claudia.
Patricia nickte. "Ja, genau!"
"Aber warum sollte Tante Maria das getan haben? Schließlich war sie doch erst kurz zuvor beim Notar gewesen, um mich als ihre Erbin einzusetzen!"
Patricia musterte ihr Gegenüber abschätzig.
Schließlich sagte sie nach einer quälend langen Pause in gedämpftem Tonfall: "Ich dachte, Sie könnten mir das sagen... In dem Brief gibt es lediglich ein paar Andeutungen."
"Kann ich den Brief einmal sehen?"
"Bitte..." Patricia öffnete ihre Handtasche und holte ein Kuvert hervor. Dies reichte sie Claudia. Mit zitternden Händen nahm Claudia den Brief heraus.
Er war tatsächlich in Tante Marias Handschrift geschrieben.
Daran konnte kein Zweifel bestehen.
Genau so wenig wie daran, dass in dem Schriftstück von einem neuen Testament die Rede war.
Claudia hatte den Brief gerade überflogen, da nahm Patricia ihn ihr wieder aus der Hand. "Dies ist ein wichtiges Beweisstück. Sie werden verstehen, dass ich es ungern länger als unbedingt notwendig aus der Hand gebe..."
Claudia war ganz verstört.
Eine Welt brach in ihr zusammen.
Warum?, dachte sie. Warum hatte die Hinzberger Maria das getan? Welchen Grund konnte sie dazu nur gehabt haben?
"Es hat niemals ein Zerwürfnis zwischen mir und Tante Maria gegeben", flüsterte Claudia. "Ich verstehe das net... Im Gegenteil, sie vertraute mir, ich machte die Bücher des Wirtshauses und wie oft hat sie gesagt, dass sie den HINZBERGER HOF gar net ohne meine Hilfe hätt' führen können. Die Arbeit war ihr doch längst und lange über den Kopf gewachsen..."
"Vielleicht erinnerte sich Tante Maria einfach an ein altes Versprechen, dass Sie mir mal gegeben hat..."
"Davon glaube ich kein Wort", erwiderte Claudia sofort.
Gleich darauf schalt sie sich selbst eine Närrin. Siehst du net die Beweise? Es passt doch alles zusammen! Wie kannst du da so etwas sagen?
"Warum haben Sie mir den Brief net schon vor zwei Tagen gezeigt?", fragte Claudia dann, denn dieser Umstand kam ihr doch reichlich eigenartig vor.
Patricia hob die Augenbrauen.
"Wie hätte ich das denn tun sollen?"
"Naja..."
"Sie haben mich doch gleich hinausexpediert und mir bedeutet, dass Sie von der ganzen Angelegenheit nix wissen wollen."
"Trotzdem - Sie hätten mir den Brief zeigen sollen, dann hätte ich Ihre Aussagen auch ernster nehmen können."
Patricia lachte hell auf.
"Das wollen Sie mir doch net im Ernst weismachen!" Sie hob das Kinn, strich sich mit einer eleganten Bewegung ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht.
"Sie haben ganze zwei Tage damit gewartet!", gab Claudia zu bedenken.
"Ja", nickte Patricia. "Ich habe einen Anwalt aufgesucht, um mich beraten zu lassen. Der Klageweg wäre für alle Beteiligten natürlich die teuerste Variante. Es wäre besser, wenn wir das so klären könnten. Ich denke, Sie sollten mir jetzt das Testament herausgeben..."
"Wie bitte?"
Claudia glaubte im ersten Moment, sich verhört zu haben.
"Ganz recht. Es muss sich hier im HINZBERGER HOF befinden. Wo sonst sollte Tante Maria es aufbewahrt haben? Bei den Sachen, die man nach ihrem Unfall bei ihr fand, war es net..."
c"Woher..?"
"Ich habe mich erkundigt!" Patricia Hinzberg streckte ihre geöffnete Hand aus. "Geben Sie es heraus. Es muss sich unter Tante Marias Sachen befunden haben... Oder sollte es etwa der Fall sein, dass Sie den letzten Willen unserer gemeinsamen Tante vernichtet haben?"
Dieser Vorwurf traf Clasudia wie ein Schlag vor den Kopf.
Wie konnte jemand nur so etwas von ihr denken? Ihr unterstellen, dass sie den letzten Willen ihrer geliebten Tante nicht respektiert hätte?
Hatte sie sich denn jemals um dieses Erbe gerissen?
War es nicht vielmehr so, dass es zu Anfang eher eine Bürde gewesen war?
"Ich habe dieses mysteriöse Testament nicht", erklärte Claudia, während ihr Herz wie wild klopfte. "Und ich hatte auch net die geringste Ahnung von seiner Existenz..."
"...die Sie ja jetzt wohl net mehr bestreiten werden!"
Details
- Seiten
- Erscheinungsjahr
- 2018
- ISBN (ePUB)
- 9783738916539
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (Mai)
- Schlagworte
- zwei alfred bekker heimat-romane erbin tochter einsiedlers