Zusammenfassung
Drama und Schicksal vor dem Hintergrund der alpinen Bergwelt. Hass, Neid und Missgunst regieren auch in den Tälern und an den Berghängen, aber am Ende siegt die Liebe.
Dieses Buch enthält folgende vier Romane:
Alfred Bekker: Die Brüder vom Krainacher Hof
Anna Martach: Alpendoktor Daniel Ingold – Band 4 Expedition ins Glück
Anna Martach: Alpendoktor Daniel Ingold – Band 5 Manege frei fürs große Glück
Anna Martach: Alpendoktor Daniel Ingold – Band 6 Musik des Herzens
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Schicksale der Bergwelt: Vier Bergromane
Alfred Bekker & Anna Martach
Der Umfang dieses Buchs entspricht 392 Taschenbuchseiten.
Drama und Schicksal vor dem Hintergrund der alpinen Bergwelt. Hass, Neid und Missgunst regieren auch in den Tälern und an den Berghängen, aber am Ende siegt die Liebe.
Dieses Buch enthält folgende vier Romane:
Alfred Bekker: Die Brüder vom Krainacher Hof
Anna Martach: Alpendoktor Daniel Ingold – Band 4 Expedition ins Glück
Anna Martach: Alpendoktor Daniel Ingold – Band 5 Manege frei fürs große Glück
Anna Martach: Alpendoktor Daniel Ingold – Band 6 Musik des Herzens
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Authors
© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die Brüder vom Krainacher Hof
von Alfred Bekker
Max Krainacher ist ein junger Jäger, dem in letzter Zeit ein ziemlich dreister Wilderer viel zu schaffen macht. Sein älterer Bruder Toni wird dereinst den Hof des Vaters erben.
Früher waren die Krainacher-Söhne ein Herz und eine Seele, aber seit sie beide ein Auge auf Marianne, die Tochter des Bernmayer-Bauern, geworfen haben, sind aus ihnen erbitterte Feinde geworden, was besonders ihren Vater, den Krainacher-Bauern, sehr schmerzt.
Die Bauern hoffen, dass Marianne und Toni ein Paar werden, damit beide Höfe einst zusammengelegt werden können - aber die junge Frau hat ihrerseits nur Augen für Max. Im Frühjahr soll geheiratet werden. Toni ist allerdings nicht gewillt, sich so einfach damit abzufinden.
Durch ein paar dumme Zufälle und die Intrige der Bernmayer-Bäuerin kommt Misstrauen und Eifersucht zwischen die Liebenden.Es kommt zu einigen Verwicklungen und Toni gerät in den Verdacht, der Wilderer zu sein.
Im Angesicht der Berge treffen die feindlichen Brüder aufeinander...
1
Ein Schuss donnerte durch den Hochwald und hallte an den steilen Berghängen mehrfach wider.
Max zuckte unwillkürlich zusammen, nahm die eigene Flinte vom Rücken und fragte sich, aus welcher Richtung der Schuss wohl gekommen sein mochte.
Bei dem lauten Widerhall war das nämlich gar nicht so einfach zu bestimmen.
Der Krainacher-Max war ein schneidiger Jägersmann von gerade einmal 25 Lenzen. Er war dunkelblond und hatte strahlend blaue Augen, deren Blick er in diesem Augenblick wachsam über die Hänge streifen ließ.
Er war schon eine ganze Weile hinter einem Wildschütz her, der hier oben im Hochwald und an den Hängen seit einiger Zeit sein Unwesen trieb. Aber bis jetzt fehlte dem jungen Jäger leider jede Spur.
Innerlich kochte er, wusste aber, dass er jetzt versuchen musste, kühlen Kopf zu bewahren.
Dann sah Max den Wilderer auf einer Lichtung an einem der Hänge. Der Wildschütz schien gerade dabei zu sein, sich und seine Beute in Sicherheit zu bringen.
Der Mann hatte sich ein Stück Wild über die Schultern gelegt. Max konnte auf die Entfernung nicht genau erkennen, was es war.
In der Rechten hielt der Wildschütz sein Gewehr und auf dem Kopf einen dunkelroten Hut, das war deutlich zu sehen. Aber vom Gesicht des Mannes konnte der Krainacher-Max nichts erkennen.
Zu dumm!
Und dann verschwand der Wildschütz im nächsten Moment mitsamt seiner Beute im Wald.
Mei, jetzt oder nie!, ging es dem Jäger durch den Kopf, der überhaupt nicht daran dachte, schon aufzugeben.
Mit etwas Glück konnte er den Kerl noch erwischen! Schließlich hatte der Wilderer eine schwere Last zu tragen und war dementsprechend langsam.
Max zögerte nicht lange und spurtete los, um zu jenem Hang zu erreichen, an dem er den Wildschütz gesehen hatte.
Max Krainacher war ein guter Läufer und vor allem kannte er sich hier oben im Hochwald aus. Sein Revier war ihm so vertraut, wie seine Westentasche; in diesem Punkt konnte niemand an ihn heranreichen.
Erst, als Max wenig später die Lichtung erreicht hatte, auf der der Wildschütz sich unvorsichtigerweise hatte sehen lassen, gönnte der Jäger sich eine kurze Verschnaufpause.
Er sah sich nach Spuren um, fand etwas Tierblut und eine Stelle, an der das Gras niedergedrückt war. Aber er fand auch noch etwas anderes. Ein Taschenmesser mit einem kunstvoll bemalten Perlmuttgriff, auf dem ein röhrender Hirsch zu sehen war.
Der Jäger bückte sich und hob das Messer auf, um es einzustecken. Vielleicht würde es ihm ja helfen, den Übeltäter zu überführen!
Dann lief Max in jene Richtung, in die er den Wildschütz hatte entschwinden sehen. Auf dem feuchten Waldboden fand er nun sogar Fußspuren, die gut und gerne von dem Kerl stammen konnten.
Sie führten weiter hinauf und je weiter Max ihnen folgte, desto härter wurde der Boden, so dass es schließlich keine Spuren mehr gab.
Weit kann er net sein mit seiner schweren Last!, dachte der Jäger zuversichtlich.
Ganz gewiss war er dem Wildschütz dicht auf den Fersen!
Max suchte das ganze Gebiet gründlich ab. Jeden Unterschlupf, den er kannte und auch der alten Berghütte, in der seit dem Tod des alten Greindl niemand mehr wohnte, stattete er einen Besuch ab.
Ohne Erfolg.
Er stieg auch hinauf zu den Felsen, obwohl es recht unwahrscheinlich war, dass der Wilddieb mitsamt seiner Beute hier hinauf gestiegen war.
Zwar gab es hier oben genügend gute Verstecke, aber es hätte schon ein ausnehmend guter Kletterer sein müssen, der es geschafft hätte, mit einem Stück Wild auf dem Rücken hier hinaufzukommen.
Langsam wurde die Sonne milchig und der Jäger wusste, dass er auch diesmal den Kampf gegen seinen Widersacher verloren geben musste, wollte er den Abstieg nicht in der Dunkelheit hinter sich bringen müssen.
Aber irgendwann, das schwor er sich grimmig, würde er denjenigen schon fassen, der hier unerlaubterweise im Hochwald auf Jagd ging!
Es war nur eine Frage der Zeit.
2
Auf seinem Heimweg schaute Max noch kurz beim Bernmayer-Hof vorbei.
Vor der Haustür saß der Sepp, der hier seit ein paar Jahren Großknecht war. Er hockte auf der Bank und streckte die Beine von sich. Nach einem anstrengenden Tag gönnte er sich jetzt offenbar die wohlverdiente Ruhe. In seinem Mundwinkel hatte er ein Pfeifchen, das er jetzt herausnahm, als er den Jäger herankommen sah.
"Servus, Sepp!", grüßte Max freundlich und blies dabei ein paar Rauchschwaden aus dem Mund
"Servus, Grünrock!", gab der Sepp mit einem schalkhaften Lächeln zurück. "Na, warst wieder auf der Jagd nach deinem Wildschütz, dem vermaledeiten?"
Max nahm die Flinte vom Rücken, stützte sie auf dem Boden ab und nickte dann. Er hatte dem Sepp von den Schwierigkeiten erzählt, die er im Moment mit einem Wilderer hatte.
"Ganz nah bin ich ihm heut' gewesen, dem Hund!", berichtete er aufgebracht.
"Aber er ist dir dennoch wieder entwischt, net wahr?", stellte der Großknecht fest.
Max hob mit einer hilflosen Geste die Schultern und seufzte dann hörbar.
"Mei, einmal werd' ich ihn schon erwischen, den Kerl!", kündigte er an. "Darauf kannst du Gift nehmen!" Dann beugte sich der Jäger etwas vor und erkundigte sich in gedämpfterem Tonfall: "Ist die Marianne zu Hause? Ich würd' gern ein Wörtl mit ihr reden!"
Der Sepp lachte heiser.
"Hab mir schon gedacht, dass du net nur herkommst, um mir was von deinem Wildschütz zu erzählen - so sehr er dich auch immer ärgern mag!"
Max wurde ungeduldig.
"Nun sag schon, Sepp!", forderte er. "Ist sie da, die Marianne?"
"Ja, sie ist im Haus." Der Sepp machte ein recht nachdenkliches Gesicht und Max Krainacher wusste nur zu gut, was dem Großknecht so im Kopf herumspuken mochte. Der Sepp erhob sich von seiner Bank und raunte dann: "Du hast Glück! Der Bauer und die Bäuerin sind ins Dorf gefahren!"
Max zuckte die Achseln.
"Du weißt, ich hab mit dem Bauer und Bäuerin keinen Hader, Sepp!"
"Das net...", meinte der Sepp gedehnt. "Aber dir ist doch auch schon aufgefallen, dass der Bauer es net so gern sieht, wenn du dich mit seiner Marianne triffst. Neulich hattet ihr zwei deswegen doch noch einen regelrechten Streit miteinander! Wirst dich sicher noch daran erinnern!"
Max seufzte.
"Ja, ich weiß... Aber das ist ja schon eine ganze Weile her."
"Net mehr als eine Woche, denk ich", gab der Sepp da schmunzelnd zurück.
Max zuckte die Schultern. "Brauchst dem Bauern ja net gerad' zu sagen, dass ich hier war!"
"Natürlich net", versicherte der Sepp. "Kannst dich auf mich verlassen, Max! Das ist doch eine Selbstverständlichkeit! Schließlich waren wir ja schon in Schule gute Freunde, net wahr?"
Max gab dem Sepp einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter.
"Ich dank' dir, Sepp!"
"Nix zu danken!"
"Bist ein echter Freund, Sepp!"
Der Großknecht nickte und wirkte jetzt etwas nachdenklich.
"Schon recht, Max. Aber versuch auch mal den Bauern zu verstehen! Der würd's halt lieber sehen, wenn dein Bruder, der Toni, die Marianne heiraten tät! Das ist doch auch net so schwer zu begreifen, oder? Die Marianne erbt dereinst den Bernmayer-Hof und euren Hof, den bekommt dein älterer Bruder, net du!"
Max seufzte.
"Ja, ich weiß wohl, Sepp!"
"Einen schön großen Hof wird das geben, wenn es wirklich dazu kommt", meinte der Großknecht fast schwärmerisch. "Da wäre ich gerne Bauer, das kannst du mir glauben! Der größte Hof im ganzen Hochtal wär das - und noch weit darüber hinaus!"
Max wusste, dass er schlechte Karten hatte, wenn es darum ging, den Bernmayer-Bauern davon überzeugen, dass er der richtige Mann für die Marianne war. Er war nun mal nur einfacher Jäger und kein Hoferbe. Damit musste er sich abfinden.
Aber sollte er deswegen vielleicht aufgeben, was die Marianne anging?
Nein, dazu war er nicht bereit! Dazu hatte er sie einfach zu gern.
Plötzlich ging dann die Tür auf und ein blitzsauberes Dirndl trat heraus; das war die Marianne. Das Haar fiel ihr lang über die Schultern und ihr Kleid passte ihr, als hätte es jemand für sie maßgeschneidert. Gertenschlank war sie, und in ihrem feingeschnittenen Gesicht hatte sie zwei warme, dunkle Augen.
"Max!", rief sie und ein strahlendes Lächeln ging über ihr Gesicht.
"Ja", meinte der Sepp augenzwinkernd. "Ich glaub', ich hab' auch noch das eine oder andere zu tun."
Und damit erhob sich der Großknecht und ging davon. Er spürte ganz genau, wann er er fehl am Platz war. Und so ein Augenblick war jetzt.
"Ich dachte, ich schau auf dem Rückweg vom Hochwald nochmal bei dir vorbei, Marianne!"
"Mei, das ist eine schöne Überraschung", freute sich das Dirndl.
Max verlor nicht viel Worte, sondern kam gleich zu seinem Anliegen.
"Hast schon mit deinem Vater gesprochen?", fragte er. "Darüber, das wir vielleicht im nächsten Frühjahr heiraten wollen?"
"Hör mal, Max...", begann sie zögernd.
Marianne seufzte schwer und Max Krainacher ahnte die Antwort bereits, noch bevor das Dirndl endlich seinen Mund aufmachte.
Marianne fasste ihn sacht am Arm und wollte, dass Max sich mit ihr zusammen auf die Bank setzte, aber Max wollte sich nicht setzen.
Erst wollte der junge Grünrock nämlich wissen, wie die Dinge nun standen. Lange genug hatte er jetzt gewartet, so fand er. Ungeduld stieg in ihm hoch und er fühlte, wie sich alles in ihm zusammenkrampfte.
"Du hast ihm noch nix gesagt, net wahr?", murmelte der Max dann und Marianne senkte den Kopf. "Was ist? Willst mich net mehr oder hast es gar net ernst gemeint, als wir zusammen den Entschluss gefasst haben? Weißt noch? Droben beim Heustadel war's!"
"Natürlich weiß ich es noch", gab die Marianne seufzend zurück. Wie hätte sie das auch vergessen können!
"Na, und?", fragte Max.
"Und es ist auch net so, dass ich dich net mehr will!", versicherte Marianne.
"Und warum hast du dann noch net mit deinem Vater gesprochen? Hättest es doch längst tun können! Außerdem bist du doch großjährig und auf seine Zustimmung gar net mehr angewiesen..."
"Das net... Aber ich will mich auch net mit ihm deswegen entzweien!"
Nun setzte sich Max doch zu Marianne auf die Bank. Er nahm ihre Hand sie legte den Kopf an seine Schulter.
"Ich hab halt noch net den nötigen Mut gehabt, um es zur Sprache zu bringen, Max."
"Das ist alles?"
"Ich schwör's dir, Max! Das ist einzige Grund!"
"Und wann wirst den nötigen Mut haben?"
"Bald. Heute Abend, wenn der Vater aus dem Dorf zurückkommt könnte eine günstige Gelegenheit sein!"
Der junge Jäger nickte leicht. "Aber lass mich net mehr zu lang warten, hörst du?"
Marianne verschloss dem Jäger mit einem Busserl den Mund und daraufhin war er auch sichtlich besänftigt.
"Mei", murmelte er. "Ich weiß ja, dass die Sach' nicht zum besten steht mit uns! Ich bin halt nur ein einfacher Jäger, aber du..."
"Was bin ich?"
"Eine Hoferbin! Genau wie mein Bruder, der Tony! Und ein Hof kommt halt gern zum anderen, net wahr? Jedenfalls sehen das die Alten so! Und der Toni wohl auch, sonst tät er sich net so um dich bemühen, Marianne!"
Marianne stemmte ihre schlanken Arme in die Hüften und schüttelte ganz energisch den Kopf.
"Ich hab' ihn immer abblitzen lassen, den feinen Toni! Auch wenn es mein Vater lieber gesehen hätt', wenn ich mich deinem Bruder netter gezeigt hätte!"
"Ja, ich weiß", nickte der Max. "Bis auf einmal, net wahr?"
"Und das ist doch schon arg lang her, findest du net? Wenn ich mich recht besinn', war das bevor wir zwei uns näher gekommen sind...", stellte die Marianne klar.
"Ja, das schon...", gab der Jäger kleinlaut zu.
"Und deshalb bist immer noch eifersüchtig auf den Toni?"
Auf ihrem hübschen Gesicht erschien ein liebenswürdiges Lächeln, dass dem Krainacher-Max durch und durch ging. "Zu deiner Eifersucht gibt es net den geringsten Grund, Max! Net den geringsten, hörst?"
"Wirklich?"
"Wirklich", bestätigte sie. "Der Toni hat bei mir keine Chance, da kann er sich bemühen, wie er will! Ich mag halt nur dich und daran wird sich auch nix ändern!"
"Mei, ich könnt' mir keine bessere Frau denken, als dich, Marianne!"
"Und ich mir keinen besseren Mann!"
3
"Bist heute aber recht spät, Max", sagte die Krainacher-Bäuerin, als ihr jüngerer Sohn an diesem Abend heimkehrte. "Draußen ist es doch schon recht dunkel!"
"Ist offenbar viel zu tun, droben im Hochwald!", versetzte der Toni schneidend, noch bevor Max selbst etwas dazu hätte sagen können.
Er saß zusammen mit dem Vater am Tisch. Beide waren mit dem Abendbrot schon fast fertig.
"Genau so ist es!", erwiderte Max, nicht weniger schneidend als sein Bruder.
Indessen stellte die Krainacher-Bäuerin Max einen Teller hin und füllte ihm auf.
"Wirst großen Hunger haben, nehme ich an!"
"Sicher!", nickte Max, tat seine Flinte und seine Jagdtasche bei Seite und setzte sich zu den anderen an den Tisch.
"Was macht dein Wildschütz, Max?", hörte er den Krainacher-Bauern indessen fragen.
"Mei, ich war ihm heut' so nah auf den Fersen wie noch nie! Auf frischer Tat hab ich ihn ertappen können, aber er ist mir dennoch am Ende durch die Lappen gegangen!"
"So ein Pech", meinte der Bauer. "Und dabei bist doch schon so lange hinter ihm her!"
"Eines Tages krieg ich ihn schon noch! Kannst dich drauf verlassen!"
Jetzt mischte sich auch der Toni ein. "Vielleicht liegt's ja auch daran, wo du den Kerl suchst, dass du ihn net findest!", versetzte er spitz.
Max wandte sich zu ihm herum und fragte gereizt: "Was meinst damit, Toni?"
Toni zuckte die Schultern.
"Net mehr, als ich gesagt hab'!"
"Heraus damit! Was unterstellst du mir!", rief der Jäger erregt.
Der Toni hob bedeutungsvoll die Schultern.
"Nun, Max! Auf dem Bernmayer-Hof tät ich den Wildschütz net zuerst suchen!"
Die beiden Brüder funkelten sich böse an, aber der Krainacher-Bauer schritt jetzt ein und schlug mit der geballten Faust ärgerlich auf den Tisch.
"Schluss jetzt!", rief er.
"Es ist doch wahr", erwiderte Toni.
Aber der Krainacher ließ sich nicht beirren. "Mag es sein, wie es will!", meinte er. "Ich will net, dass ihr die Luft in diesem Haus mit eurem unseligen Streit verpestet!"
Kein Wort fiel mehr.
Auch die Bäuerin sagte nichts, aber ihrem Gesicht war deutlich anzusehen, dass sie in dieser Sache haargenau so dachte, wie ihr Mann.
Nach einer gewissen Pause sagte dann der Krainacher-Bauer: "Ihr seid wie Katz und Hund zueinander! Und das net erst seit heute! Und dabei habt ihr euch früher so gut verstanden, wie man es sonst nur suchen konnte!"
Jetzt wurde auch der Toni wütend und ließ die flache Hand auf den Tisch herniedersausen, dass es nur so krachte und die Krainacherin empört den Kopf schütteln musste.
"Ich sag' doch nur, wie's ist!", behauptete der Toni aufgebracht. Dann wandte er den Kopf und sah zu Max hinüber.
Sein Blick war dabei ganz grimmig geworden. "Es ist doch wahr, oder etwa net? Frag ihn doch mal, Vater, warum er wirklich so spät heimkommt! Ich wette, er war noch auf einem Umweg zum Bernmayer-Hof!"
"Und wenn's so wär!", erwiderte Max schroff.
Indessen ballte Toni die Hände zu Fäusten, stand auf und ging dann wutschnaubend zur Tür, die er nur einen Augenblick später wuchtig hinter sich zuschlug. Draußen hörte man ihn lauthals fluchen.
Max atmete tief durch und der Krainacher-Bauer tauschte inzwischen einen etwas längeren Blick mit seiner Frau, die ihm wohl bedeutet hatte, noch etwas energischer einzuschreiten.
Nach einer längeren Pause sagte der Krainacher-Bauer schließlich zu seinem Sohn: "Hör zu, Bub. Wir müssen miteinander reden. So geht das mit euch Zweien net weiter!"
Max versuchte, sich zu rechtfertigen. "Ich hab versucht, Frieden zu halten, aber..."
"Nun red ich, Max!", fuhr der Bauer dazwischen. "Ich weiß genau, wann der Händel zwischen euch beiden angefangen hat und du weißt es auch!"
"Ich?" Max schüttelte den Kopf. "Ich weiß net, was du meinst, Vater!"
"Es hat angefangen, seit du versuchst, dem Toni sein Madel auszuspannen?"
Jetzt war der Max wie vor den Kopf gestoßen und schaute ziemlich ungläubig drein.
"Was tu ich? Dem Toni sein Madel abspenstig machen?"
Der Krainacher-Bauer sah ziemlich ernst drein.
"So ist es!", erklärte er.
"Sprichst vielleicht von der Bernmayer-Marianne?"
Der Bauer nickte.
"Ganz recht, das tu ich! Der Toni bemüht sich schon lange um das Madel, falls du das net gewusst haben solltest - was ich kaum glauben kann! Und nun versuchst du ihm dazwischenzufunken. Geht man so um zwischen Brüdern?"
Max schüttelte entschieden den Kopf.
"Vater, die Sach' ist ganz anders!"
"Ach!", machte der Vater.
"Die Marianne ist keinesfalls das Madel vom Toni!", erklärte Max aufgebracht. "Sie will von ihm gar nix wissen, nur der Toni glaubt ihr das net!"
"Weil du ihr den Kopf verdreht hast, vielleicht!"
Max schon den Teller von sich. Ihm war nun gründlich der Appetit vergangen.
Er hob verzweifelt die Schultern und erwiderte: "Glaubst du vielleicht, die Marianne ist so leicht zu beeinflussen, dass sie durch ein Augenzwinkern gleich zu einem willenlosen Geschöpf wird?"
"Bloß durch ein Augenzwinkern vielleicht net..."
"Verlass dich drauf, Vater! Die Marianne weiß schon recht genau, was sie will - und natürlich auch, was sie net will, hörst du?"
Max war schon drauf und dran, ebenso wie sein Bruder einfach aufzustehen und hinauszulaufen, aber der Krainacher-Bauer hielt seinen Sohn am Arm.
"Wart noch einen Moment, Max!", forderte er in versöhnlicherem Tonfall.
"Was gibt's noch?", murrte der Max.
"Ich will dir doch nix Böses, Max! Das musst du mir schon abnehmen!"
"Aber du glaubst mir net!", versetzte der junge Grünrock etwas schroffer, als er es eigentlich gewollt hatte. Er schüttelte leicht den Kopf dabei.
Doch der Vater widersprach.
"Nein, so ist das net, Max", erklärte er. "Mag ja sein, das es stimmt, was du gesagt hast, und die Marianne im Moment nix vom Toni wissen will, weil du ihr im Kopf herumspukst! Aber man muss doch auch mit den Füßen auf der Erde bleiben, oder net?"
Max runzelte die Stirn.
"Was meinst du damit, Vater?"
"Na, überleg' halt einmal! Die Marianne ist die Erbin des Bernmayer-Hofs!"
Max nickte schwer und seufzte hörbar dabei.
"Das ist mir nur allzu sehr bewusst", erklärte er und setzte dann hinzu: "Leider! Denn wenn die Marianne keinen Hof erben tät, wäre vieles einfacher! Dann hätten ihre Eltern nix dagegen, dass sie einen Grünen zum Mann nimmt - und du hättest wahrscheinlich auch nix an der Sach auszusetzen!"
Der Krainacher atmete tief durch.
"So, heiraten wollt Ihr also", murmelte er gedehnt.
"Ja", bestätigte Max entschieden."Nächstes Jahr im Frühjahr."
"Und? Willst dann dein Grünröckl an den Nagel hängen und Bauer auf dem Bernmayer-Hof werden? Haben wir dich dafür vielleicht auf die Schule geschickt? Außerdem war's doch immer dein Herzenswunsch, einmal als Grüner im Hochwald herumzustreifen! Das willst du einfach so aufgeben? Oder soll die Marianne vielleicht auf ihren Hof verzichten deinetwegen! Du weißt, der Bernmayer-Hof hat außer ihr keinen Erben, der ihn zusammenhalten würde!"
Max blickte seinen Vater entgeistert an.
"Darüber haben wir noch gar net gesprochen, die Marianne und ich."
Der Krainacher-Bauer nickte leicht und lächelte dabei nachsichtig.
"Das hab ich mir halb gedacht", bekannte er. "Aber so etwas will überlegt sein! Das Herz ist schnell bereit, sich in irgendetwas Hals über Kopf hineinzustürzen, aber der Verstand will ab und zu auch ein bisserl gefragt sein. Lass dir das mal durch den Kopf gehen, Bub!"
Max saß einen Augenblick nachdenklich da, dann zuckte er mit den Schultern und meinte: "Warum sollte ich net der Marianne zu liebe Bauer werden können? Ich glaub, das Opfer würde ich schon bringen!"
"Den geliebten Beruf aufgeben?", vergewisserte sich der Krainacher-Bauer und schüttelte ungläubig den Kopf. Das konnte doch unmöglich wahr sein!
"Ja, freilich!", bestätigte Max.
"Das kann das Madel net von dir verlangen!", empörte sich der Bauer sofort.
Max blieb ruhig und schien sehr genau zu wissen, was er sagte.
"Das verlangt ja auch niemand von mir", berichtigte der Jäger dann seinen Vater. "Aber wenn's nötig wäre, würde ich's tun! Soll ich vielleicht von der Marianne erwarten, den Hof aufzugeben?" Max schüttelte den Kopf und fuhr dann entschlossen fort: "Nein, Vater, das ist für uns zwei, die Marianne und mich, kein Hinderungsgrund!"
Jetzt erhob der Krainacher-Bauer sich und legte seine Hand auf die Schulter seines Jüngeren.
"Bis zum Frühjahr ist es ja noch ein ganzes Stück hin", meinte er. "Und bis dahin seid ihr euch beide vielleicht auch ein bisserl mehr im Klaren, wie es werden soll."
"Du willst es mir mit aller Macht ausreden, net wahr, Vater?"
"Nein, Max", versuchte der Bauer seinen Sohn wieder etwas zu beruhigen.
"Das wird dir auch net gelingen!", erwiderte dieser in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er zu allem entschlossen war.
Der Bauer spürte das. Und so gab er dann zur Antwort: "Für's erste reicht es mir, wenn du mit deinem Bruder Frieden hältst, solang ihr beide hier unter einem Dach lebt. Hast mich verstanden?"
Max nickte.
"Ich will mich bemühen. Aber das mit der Marianne lass ich mir net ausreden, selbst wenn alle Welt darauf spekuliert, dass zwei große Höfe zu einem ganz großen zusammengelegt werden!"
"Ich geb ja gerne zu, dass das net schlecht wär, würden wir aus dem Krainacher- und dem Bernmayer-Hof dereinst einen einzigen machen. Und wenn es so käme, hätte weder ich noch die Bäuerin etwas dagegen. Das Wirtschaften ist auch für die Großen net einfacher geworden..."
"Wusst ich's doch!", rief Max.
"Aber es ist net die Hauptsach! Und wenn es sich anders ergibt, dann ist es auch gut und ich tät mich net dagegenstemmen!"
Max erhob sich nun auch und blickte seinem Vater direkt in die Augen.
"Ist das ein Wort?", fragte er dann nach kurzer Pause.
Der Krainacher nickte.
"Das ist mein Wort!"
Nun meldete sich die Bäuerin zu Wort und meinte: "Aber mit deinem Bruder solltest du dich trotzdem net entzweien. Ganz gleich, wie es auch kommt!"
"Wenn die Marianne sich wirklich entschieden hat, muss der Toni das wohl oder übel akzeptieren", meinte der Krainacher dann. "Aber falls sie sich doch noch anders entscheidet, gilt dasselbe für dich, Max! Bis zum Frühjahr ist noch eine lange Zeit. Da kann viel passieren."
Max atmete tief durch.
Ja, da hatte der Vater recht. Bis zum Frühjahr konnte noch alles Mögliche geschehen...
4
Der Bernmayer-Bauer und seine Frau kamen erst aus dem Dorf zurück, als es schon lange dunkel war. Der Bauer war noch auf ein Glas ins Wirtshaus gegangen und die Bäuerin hatte auf einen Sprung bei ihrer Schwester vorbeigeschaut, die die Frau des örtlichen Lehrers war.
Die Marianne hatte immer wieder aus dem Fenster geschaut, um nachzuschauen, ob ihre Eltern denn nicht endlich heim kämen.
Sie fieberte dem geradezu entgegen, denn sie hatte sich fest vorgenommen, ihnen heute von den Heiratsplänen zu erzählen, die sie und der Krainacher-Max hegten.
Sie hatte sich auch schon in ihrem Innern zurechtgelegt, wie sie am günstigsten beginnen könnte, denn ihr war klar, dass weder der Bauer noch die Bäuerin sonderlich begeistert von dem sein würden, was sie vorhatte.
Aber sie hatte es sich nun mal in den Kopf gesetzt und dickköpfig war sie schon als kleines Mädchen gewesen. Daran hatte sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert. Wenn sie etwas wirklich wollte, dann wusste sie es am Ende auch durchzusetzen.
Am heutigen Abend sollte die Sache über die Bühne gehen.
Noch länger konnte sie es nicht aufschieben, das konnte sie dem Max einfach nicht antun.
Marianne saß gedankenverloren in der Stube und in ihrem Innern sah sie den Max vor sich.
Ein fescher Bursche war er. Und gut sah er aus, in seinem grünen Rock, den er so voller Stolz trug. Er war wirklich mit ganzer Seele Jäger. Für ihn war der Beruf nicht nur Broterwerb, sondern Berufung - und das gab es ja nicht allzu oft.
Wahrscheinlich werd' ich ihn net dazu überreden können, hier dereinst auf dem Bernmayer-Hof Bauer zu sein!, überlegte sie. Und selbst wenn sie es schaffte, was bei ihrer Beharrlichkeit so abwegig nun auch wieder nicht war, so würde der Krainacher-Max doch vermutlich nicht glücklich dabei werden.
Vielleicht würde er das Opfer ja sogar bringen!, dachte die Marianne bei sich. Aber es wär' gar net gut, wenn ich's annehmen tät!
Sie zuckte mit den Schultern.
Ich werde auch als Jägersfrau mit ihm glücklich werden!, war sie überzeugt. Hauptsach', wir zwei haben einander! Das ist das Wichtigste!
In diesem Augenblick hörte Marianne etwas an der Tür. Die Eltern kamen heim!
Sie sprang auf, aber da war der Vater schon in die Stube gekommen und begrüßte sie.
"Servus, Marianne! Bist denn noch net müd?", fragte der Vater. Aber sie schüttelte den Kopf.
"Nein, bin ich noch net."
Jetzt meldete sich entschuldigend die Mutter zu Wort. "Es hat heute halt etwas länger gedauert, weil ich deinen Vater net hab aus dem Wirtshaus loseisen können!", meinte sie mit leichtem Vorwurf in der Stimme.
Der Bernmayer lächelte und schien insgesamt recht gut gelaunt zu sein. Die rote Nase verriet, dass er wohl dem Wein recht fleißig zugesprochen haben musste.
"Mei, stell dir vor, Marianne, wen ich im Wirtshaus getroffen hab!"
Marianne blickte auf.
"Wen?", erkundigte sich das Dirndl und überlegte gleichzeitig dabei, wie sie am günstigsten ihre eigene Sache voranbringen konnte.
"Den jungen Krainacher! Den Toni, meine ich, der manchmal schon auftritt, als er wär' er der Bauer, und net sein Vater!"
"Ach den!"
"Ein feiner Bursche ist das!", fuhr der Bernmayer fort und auch seine Frau war dieser Ansicht.
"Ja, der Toni das ist ein tüchtiger Bauer!", bestätigte die Bernmayerin lauthals.
"Er bemüht sich ja schon länger um dich", begann der Vater dann. "Ich will dich ja net bereden, aber willst dir net mal durch den Kopf gehen lassen, ob das net der rechte Mann für dich sein könnt?"
"Vater!", seufzte die Marianne. Nun waren sie also auf die Sache zu sprechen gekommen, aber auf ganz andere Art, als es in ihrem Sinne gewesen wäre. "Der Toni soll sich keine Hoffnung machen." Sie zuckte die Schultern und fuhr dann fort: "Er ist ein netter Kerl, aber nicht nett genug, um mit ihm was Ernsthaftes anzufangen, gell?"
Jetzt meldete sich die Bernmayerin zu Wort und gab zu Bedenken: "Auch die großen Höfe haben es heut' zu Tage net leicht, ihr Auskommen zu finden. Und wenn aus den zweien mal einer würd... Mei, das wär ein schöner Besitz, denkst net? Man muss auch an die Zukunft denken, Madel!"
"Aber wenn ich ihn doch net lieb!", rief die Marianne. "Doch da wir schon einmal so am reden sind..."
"Ja?" Die Mutter sah die Marianne fragend an, als diese nun zögerte. Und der Vater runzelte die Stirn.
"Einen Krainacher tät ich schon gern heiraten. Aber net den Toni, sondern den Max!"
"Den Jäger?", fragte der Vater. Er sagte es nicht gerade abfällig, aber begeistert war er auch nicht, das konnte man ihm wohl anmerken.
Die Marianne nickte entschieden.
"So ist's!", bestätigte sie. "Den Jäger!"
"Hab ich ihm net erst vor einiger Zeit klarzumachen versucht, das er sich von dir fernhalten soll?", brummte der Vater. "Ich dachte, das wäre längst vorbei mit euch beiden. So eine zwischenzeitliche Schwärmerei, sozusagen, aber doch nix Ernsthaftes!"
"Nein, das ist mehr", behauptete Marianne im Brustton der Überzeugung. "Wir lieben uns und sind uns einig. Im Frühjahr soll's soweit sein."
Der Bauer war überrascht.
"Du meinst, im Frühjahr soll's schon vor den Altar gehen, Marianne?"
"Ja, so ist es! Und das lass ich mir auch net ausreden! Net von dir und net von der Mutter!"
Die Bernmayer-Bäuerin schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
"Mei, ich hoffe, du weißt, was du da tust und hast es dir auch gründlich überlegt, Madel!", meinte sie, nachdem sie die erste Bestürzung überwunden und sich wieder ein wenig gefasst hatte.
"Aber freilich", nickte die Marianne.
"Soll der Max vielleicht sein Grünröckl ausziehen und seine Flinte für immer an den Nagel hängen, nur um hier als Bauer zu arbeiten?", erkundigte sich die Bäuerin ziemlich aufgebracht. "Das kannst doch net verlangen? Wozu ist er denn so lange auf der Schule gewesen?"
Aber die Marianne schüttelte energisch den Kopf.
"Nein, das soll er net!", erklärte sie fest, woraufhin sich auf der Stirn ihrer Mutter unwillkürlich ein paar Falten bildeten.
"Net?", vergewisserte sich die Bäuerin, so als glaubte sie, sich vielleicht verhört zu haben. "Aber wie denkst du dir denn dann euer Leben?"
"Ich werd' Jägersfrau."
"Und verzichtest auf den Hof?", rief jetzt der Bauer und schüttelte dabei ungläubig den Kopf.
Die Marianne schien wirklich zu allem entschlossen. Sie nickte entschieden.
"Wenn's net anders geht, wär' ich dazu bereit!", erklärte sie in einem fast feierlichen Tonfall. "Obwohl es mir schwerfallen tät. Aber das wäre doch net die wahre Liebe, wenn man net auch zu einem Opfer bereit ist!"
Indessen stieß die Bäuerin ihren Mann in die Seite und raunte: "Nun sag doch was, Loisl! Das Madel ist ja voller Flausen im Kopf! Es muss doch einen Weg geben, dass sie wieder zu Verstand kommt!"
Aber als der Loisl Bernmayer nun seine Tochter ansah, da ahnte er, dass es wohl kein Kraut gab, das dagegen gewachsen war.
"Mei, du siehst, die Marianne ist halt deine Tochter!", meinte er zur Bäuerin gewandt. "Weißt noch, wie wenig dein Vater davon hielt, dass du hier Bäuerin wurdest? Einen aus der Stadt hättest heiraten sollen, wenn's nach ihm gegangen wär'!"
Die Bernmayerin stemmte ärgerlich die Arme in die Hüften.
"Freilich weiß ich das noch!", rief sie. "Aber dies hier ist doch was ganz anders!"
"So?", lächelte der Bauer.
"Mei, Loisl, auf welcher Seite stehst du denn eigentlich?"
Der Loisl Bernmayer seufzte hörbar und zuckte dann die breiten Schultern. "Ich überleg halt nur so!"
"Das überlässt du besser den Pferden! Die haben allemal einen größeren Kopf dazu, Loisl!", rief die Bäuerin ziemlich ärgerlich.
Und die Marianne wusste jetzt, dass sie schon halb gewonnen hatte.
Ein bisschen würden sich die beiden noch sträuben, aber schließlich mussten sie sich doch an den Gedanken gewöhnen, dass ihre Tochter und Hoferbin im Frühjahr den Grünrock Max Krainacher heiraten würde.
"Ich wusst', dass wir uns wegen dieser Sache net entzweien würden!", meinte die Marianne nun erleichtert.
5
Dem Toni Krainacher hatte es den ganzen Abend keine Ruhe gelassen, dass ausgerechnet sein Bruder ihm die Bernmayer-Marianne vor der Nase wegschnappen sollte.
Jetzt schlenderte er missmutig um den Hof herum. Eine laue Spätsommernacht war es, und der Wind strich sanft über die Gräser. Aber dem Toni war einfach nicht danach zumute, sich über solche Dinge zu freuen.
Er haderte mit sich und der Welt.
Das darf doch einfach net wahr sein!, fluchte er in seinem Innern und ballte dabei unwillkürlich die Hände zu Fäusten.
Was musste sich auch der Grünrock unbedingt dazwischendrängen!
Ich hätte die Marianne schon soweit gebracht, dass sie eines Tages eingewilligt hätte!, ging es dem Toni bitter durch den Kopf und kalter Grimm erfasste sein Herz.
Nur etwas mehr Zeit wäre dabei von Nöten gewesen, um die Marianne für sich zu erwärmen!
Der Toni hatte da so seine Erfahrungen. Er hatte am Ende noch von jedem Madel bekommen, was er wollte, wenn er nur hartnäckig genug gewesen war.
Viele der Dirndl aus dem Dorf hatten ein Auge auf den Jungbauern geworfen und die Zahl seiner flüchtigen Liebschaften war groß.
Doch diesmal war es ihm Ernst.
Und warum sollte er gerade jetzt nicht schaffen, was sonst doch ein Leichtes für ihn war?
Aber die Zeit lief ihm jetzt davon, denn Max, sein Bruder, wollte im Frühjahr vollendete Tatsachen schaffen.
Und dann war es aus mit dem Traum, einmal Bauer auf dem größten Hof weit und breit zu sein!
Und dabei hatte er sich diesem Traum doch schon so nahe gewähnt!
Ein paar Jahre noch, und der Krainacher-Bauer würde sich zur Ruhe setzen. Und auch der Bernmayer wäre sicher froh gewesen, die Führung des Hofes bald in jüngere Hände legen zu können und selbst nur noch ab und an, wenn Not am Mann herrschte, mit Hand anzulegen.
Aber nun war alles aus.
Oder doch nicht?
Ich werd' zur Marianne gehen und sie zur Rede stellen!, sagte er sich. Und zwar heut' Abend noch! Soll sie mir ins Gesicht sagen, dass sie mich net will, wo ich ihr doch alles bieten kann und mich bereits so um sie bemüht habe!
Als Toni dann später beim Bernmayer-Hof auftauchte, stellte er erleichtert fest, dass offenbar noch jemand wach war. Auf jeden Fall brannte noch Licht, oben in der Kammer der Marianne.
Toni klopfte also an der Tür. Er musste es allerdings mehrmals versuchen, ehe ihm endlich jemand öffnete. Es war die Bernmayerin und sie legte mahnend den Zeigefinger der Rechten an ihre Lippen.
"Net so laut! Du weckst ja alle Welt auf, Toni!", versuchte die Bäuerin zu beruhigen.
Aber Toni war ziemlich aufgebracht und sein Kopf hochrot angelaufen.
"Bernmayerin! Ich muss mit deiner Tochter reden!", forderte er polternd.
Die Bernmayerin seufzte.
"Jetzt?", wunderte sie sich und runzelte dabei die Stirn.
"Mitten in der Nacht?"
"Es hat keinen Aufschub!", behauptete Toni und wollte schon an der Bernmayer-Bäuerin vorbei ins Haus, doch diese hielt ihn am Arm.
"So wart doch einen Moment, Toni! Worum geht es denn?"
Der Toni atmete tief durch und brachte dann heraus: "Darüber muss ich mit deiner Tochter schon selbst sprechen!"
"Geht es um deinen Bruder? Den Max?"
Toni nickte.
"Um den auch!", bestätigte er.
"Er will die Marianne im nächsten Frühjahr heiraten. Sie hat es uns heute Abend gesagt. Bist deshalb so aufgebracht, Toni?"
"Ja, freilich!"
Die Bäuerin hob die Schultern. "Ich hätte mir auch eher gewünscht,dass ihr zwei euch endlich einig geworden wärt! Aber dein Bruder hat dem Dirndl ja völlig den Kopf verdreht! Denk mal, sogar auf ihr Hoferbe will sie notfalls verzichten, die Marianne!"
Der Toni war außer sich.
"Ich muss mit ihr reden! Sie soll es mir selber sagen!", meinte er knurrend.
Der Bernmayrerin hob bedauernd die Hände und versuchte dann den jungen Mann etwas zu beschwichtigen.
"Ich glaub ja eher, dass es nur eine Schwärmerei ist, die auch wieder vorüber gehen kann. Und bis zum Frühjahr ist es noch lang, Toni!"
Aber der Toni konnte da nur heiser lachen.
"So, meinst? Mei, bis zum Frühjahr ist sie ihm doch vollkommen hörig, die Marianne!
"Toni, du übertreibst!"
"Was sagt denn der Bauer dazu?"
Die Bernmayerin machte eine hilflose Geste. "Der lässt ihr mehr oder minder freien Lauf und meint, dass man nix dagegen unternehmen soll, wenn das Herz spricht!"
"Pah! Das Herz!", machte der Toni und raufte sich die Haare.
Nach einer kurzen Pause fragte er dann in etwas gedämpfterem Tonfall: "Was ist? Ist die Marianne noch wach? Ich hab' bei ihr noch Licht gesehen?"
"Warte eben!", sagte die Bernmayerin. "Ich sage ihr, sie soll herunterkommen!"
"Tu das!"
Aber die Marianne hatte Stimmen gehört und kam bereits die Treppe herunter.
"Toni!", rief sie.
"Ist es wahr? Du und der Max..." Toni stockte, während Marianne leicht nickte.
"Ja, es ist wahr", bestätigte sie.
"Vielleicht überlegst es dir ja noch einmal, Madel!", seufzte er dann.
Aber die Marianne schüttelte den Kopf.
"Da gibst's nix mehr zu überlegen, Toni! Schau, du bist ein netter Kerl und ich hab dich auch gern. Aber mit dem Max, das ist halt die richtige Liebe, verstehst?"
Toni schüttelte den Kopf.
"Nein", murmelte er. "Das versteh ich net!"
"Ach, Toni!"
"Was hat mein Bruder denn, was ich net zu bieten hab! Du wärst dereinst Bäuerin auf dem größten Hof weit und breit! Ist das nix, frag ich dich?"
Die Marianne lächelte nachsichtig.
"Das ist schon etwas. Aber net das, worauf es mir ankommt, Toni! So ist es nun mal. Und daran kannst du nix ändern! Bestimmt net!"
Der Toni fuhr sich mit einer fahrigen Geste durch das Haar und strich es nach hinten.
"Das werden wir ja sehen!", knurrte er. "Bis zum Frühjahr ist's noch lang! Und vielleicht kommst bis dahin ja wieder zu Verstand, Madel!"
Er wandte sich zum Gehen. Zuvor nickte er noch kurz der Bernmayerin zu und meinte: "Vielen Dank, dass du mir so spät noch aufgemacht hast, Bernmayerin."
"Nix zu danken, Toni!"
"Grüß deinen Mann schön mir!"
"Das werd' ich!", erwiderte sie und dachte daran, dass der Loisl jetzt schon eine geraume Weile im Bett lag und schnarchte. Der Wein hatte dafür gesorgt, dass er so tief und fest schlief, dass es gar keinen Sinn gehabt hätte, ihn zu wecken.
Und das gerade jetzt!. dachte, die Bernmayerin. Jetzt, wo ich seine Unterstützung doch so nötig gehabt hätt'!
"Wart, ich bring dich noch hinaus, Toni!", kündigte die Bernmayerin an.
Zusammen traten sie hinaus in die Dunkelheit. Die Nachtluft war kühl.
Toni Krainacher zog wortlos von dannen, während die Bernmayerin noch einen Blick über den Hof streifen ließ.
Dort, wo Sepp, der Großknecht wohnte, war noch Licht. Sie sah ihn am geöffneten Fenster stehen. Vielleicht konnte er nicht schlafen oder war durch die polternde Art des Krainacher-Toni geweckt worden.
Jedenfalls stand er da und sah dem Davonziehenden verwundert nach.
Die Marianne war indessen auch herausgetreten.
"Ich wollt' ihn nicht verletzen, den Toni", hörte die Bernmayerin ihre Tochter sagen. "Aber anders ging es doch net! Ich musste ihm doch deutlich sagen, was ich denke, oder net?"
"Sicher, Madel! Aber ich glaub, dass du dich irrst!"
"Du wirst sehen, ich irre mich net!", beharrte Marianne und ihre Mutter wusste, dass es keinen Sinn hatte, darüber zu streiten. Die Marianne würde doch nicht nachgeben, ganz gleich, was man ihr sagte.
"Ist schon gut, Madel!", sagte die Bernmayerin also.
"Trotzdem - ich mach mir Sorgen um meine Tochter. Das ist doch net ungewöhnlich, dass sich eine Mutter Sorgen macht, wenn ihre Tochter net sieht, wo ihr Glück ist!"
"Ach Mutter!"
"Ist schon gut, Marianne! Geh schon ins Haus, ich komm gleich nach!"
Als Marianne ins Haus gegangen war ging die Bernmayerin noch ein Stück in Richtung von Sepps Fenster.
"Schläfst noch net, Sepp?", fragte die Bäuerin. "Morgen wird's sicher wieder ein anstrengender Tag!"
"Mei, den werd' ich auch hinter mich bringen!", gab der Sepp leichthin zurück. "Jedenfalls kann mir der Bauer net nachsagen, dass ich schon je bei der Arbeit eingeschlafen wäre!"
"Sagt ja auch niemand, Sepp!", beschwichtigte die Bernmayerin eilig.
Jetzt beugte sich der Großknecht etwas aus dem Fenster heraus.
"Sag einmal, Bäuerin, war das net der Toni, der da gerade gegangen ist?"
Die Bernmayerin nickte.
"Freilich war es der Toni!", bestätigte sie.
"So spät noch?", fragte da der Großknecht mit gerunzelter Stirn.
Die Bäuerin zuckte mit den Schultern.
"Mei, warum denn net? Es hat ihn halt zur Marianne hingezogen. Auch spät noch!"
Der Sepp schüttelte den Kopf.
"Der Depp scheint's net begreifen zu wollen, dass das Madel ihn net will", murmelte er. "Die Marianne wird ihm sicher wieder einen Korb gegeben haben, was?"
Die Bernmayerin überlegte einen Moment und dann kam ihr plötzlich ein Gedanke.
Vielleicht war die Sache ja doch noch nicht so hoffnungslos, wie sie schon geglaubt hatte!
"Aber, nix da!", verneinte sie. "Das Madel war sehr freundlich zu ihm!", und dachte bei sich: Vielleicht muss ich dem Glück ein bisserl nachhelfen, was den Toni und die Marianne angeht!
"Und ich dachte, das Madel ginge mit dem Max!"
"Ich weiß net", sagte die Bernmayerin dann vieldeutig und sah genau, was im Kopf des Großknechts vor sich ging. Der würde zwei und zwei zusammenzählen und zu seinem alten Schulfreund, dem Krainacher Max, gehen, um ihm brühwarm aufzutischen, was er gehört und gesehen hatte. "Ich weiß ja net, was sich der Max dabei denkt, aber wie ich die Sach sehe, hat sich das Madel noch net entschieden, welchen von den beiden Krainacher-Buben es nehmen soll!"
Der Sepp nickte.
"Mei, wenn man so verliebt ist, dann kann man schonmal den Blick für die Wirklichkeit verlieren, net wahr?"
Die Bernmayerin hob die Hände.
"Ich will nix gesagt haben! Die Marianne muss selbst wissen, was sie tut!"
"Freilich", nickte der Sepp und kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr. "Aber vielleicht sagst deiner Tochter, dass sie das doppelte Spiel net mehr allzulang treiben sollte. Die beiden Krainacher-Brüder sind jetzt schon wie Katz und Hund zueinander - und sicher liegt das zu einem Gutteil daran, dass sie sich für dasselbe Madel interessieren!"
Die Bäuerin nickte und wandte sich dann zum Gehen. "Ich werd tun, was ich kann, Sepp. Aber du weißt doch auch, wie die Marianne so ist, und was für einen Dickkopf sie hat! Glaubst du, sie ließe sich von mir da viel sagen?"
6
Es war am folgenden Abend, als Max Krainacher ins Wirtshaus unten im Dorf ging. Die Stimmung war schon recht ausgelassen, als er eintraf.
Sein Blick ging kurz die Reihe der anwesenden Männer entlang. Einige von grüßte er. Dann bestellte er sich beim Wirt ein Glas Rotwein.
"Na, was führt dich denn nach so langer Zeit mal wieder in die gute Stube?", fragte der Wirt, nachdem er den Jäger bedient hatte. "Hast dich ja wochenlang net mehr hier blicken lassen!"
"Ist halt immer viel zu tun", entschuldigte sich der Krainacher-Max. "Jedenfalls steht eins fest: An deinem Wein hat's bestimmt net gelegen! Der ist nämlich ganz vorzüglich!"
"So wie immer, hoffe ich", gab der Wirt zurück.
Max lächelte.
"Mei, da hast du recht, Wirt." Dann beugte sich der Grünrock etwas vor und raunte: "Um ganz ehrlich zu sein, ich bin net nur zum reinen Vergnügen gekommen!"
Der Wirt lachte.
"Das ist mir wirklich neu, dass einer net um des Vergnügens willen kommt, Max! Und ein Kompliment für mein Wirtshaus ist es auch net gerad'!"
"Ich mein's ganz ernst", erwiderte der Jäger und legte dann das Taschenmesser mit dem Perlmuttgriff auf den Tresen.
Der Wirt runzelte die Stirn und meinte dann: "Ein schönes Stück. Woher hast du das?"
"Oben im Hochwald auf einer Lichtung gefunden. Und denk mal an, wenige Augenblicke zuvor hatte sich dort noch der Wildschütz befunden, hinter dem ich jetzt schon so lange her bin!"
"Und nun willst du von mir wissen, ob ich net jemanden kenne, der so ein Messer vermisst, net wahr?", erriet der Wirt die Absicht des Jägers.
Max nickte.
"So ist es", bestätigte er, während der Wirt das Messer nahm und genau betrachtete. Schließlich murmelte er: "Ich habe so ein Messer schon einmal gesehen. Ist noch gar net lang her!"
"Bei wem!", forderte der Jäger. "Ich muss es wissen!"
"Net so schnell, Max!", versuchte der Wirt ihn zu beruhigen, während er ihm das Messer wieder zuschob. "Das Messer, dass ich gesehen hab, lag beim alten Surbacher im Laden. Und es zeigte auf dem Griff auch keinen Hirsch sondern eine Berglandschaft. Aber von derselben Art war's. Vielleicht schaust mal bei ihm vorbei und fragst ihn, ob er noch mehr Messer von der Sorte hatte!"
Max nickte.
"Das tu ich!", meinte er. "Und ansonsten - falls einer so ein Messer vermisst, sagst mir Bescheid, net wahr?"
"Ehrenwort, Grünrock! Kannst dich auf mich verlassen!"
Indessen wurde der Wirt von ein paar anderen Gästen herbeigerufen. Die Tür ging auf und als Max sich umdrehte, sah er, dass sein Freund, der Sepp eingetreten war.
Der Sepp winkte dem Jäger gleich zu und gesellte sich einen Augenblick später zu ihm.
"Grüß dich, Max!"
"Grüß dich! Komm, ich lad dich zu einem Glasl ein!", meinte der Jäger freundlich.
Aber der Großknecht vom Bernmayer-Hof blieb ernst.
"Max, ich halte es für meine Pflicht, dir etwas mitzuteilen."
Max runzelte die Stirn.
"Mei, warum so feierlich?", fragte er und schüttelte verständnislos den Kopf. "Was gibt's denn so besonderes?"
Sepp druckste ein bisschen herum.
Er schien irgendwie nicht so recht zu wissen, wie er anfangen sollte.
"Es geht um die Marianne", brachte der Großknecht schließlich heraus.
Max' Gesicht veränderte sich ein wenig.
"Um mein Madel?", fragte er ahnungslos. "Was soll mit der Marianne denn sein, Sepp?"
"Ich will mich net in deine Sachen mischen, Max, aber bist du dir auch sicher, dass es sich net längst entschieden hat, das Dirndl?"
"Natürlich hat das Madel sich entschieden! Für mich! Im Frühjahr gehts vor den Altar!"
"Und dein Bruder?"
Max machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Der Toni ist aus dem Spiel!", erklärte der Jäger dann vollmundig. Dann musterte er den Freund misstrauisch. "Nun komm schon, heraus mit der Sprache! Willst mir net endlich sagen, was los ist?"
"Wenn der Toni wirklich aus dem Spiel ist, dann frage ich mich doch, was er dann mitten in der Nacht bei der Marianne will?"
"Hinausgeworfen haben wird sie ihn!", meinte der Max, der noch keinerlei Grund sah, der Marianne irgendwie zu misstrauen.
Doch der Sepp schüttelte den Kopf.
"Nix da!", erklärte er. "Sie war sehr freundlich zu ihm und die Bernmayerin machte einen zufriedenen Eindruck!" Der Großknecht zuckte die Achseln und fuhr dann fort: "Glaubst net, die Marianne könnt sich die Sach' vielleicht doch überlegt haben?"
"Das ist net wahr!", erwiderte der Jäger.
Der Sepp legte seinem Freund indessen eine Hand auf die Schulter und sagte: "Ich habe ihn doch schließlich selbst gesehen, den Toni!"
"Narrisch bist, Sepp!"
"Meine Augen sind so gut wie deine, Max! Das wirst doch wohl kaum abstreiten, oder?"
"Das net..."
"Na, also! Du musst dich wohl oder übel mit der Realität abfinden, Max! Die Marianne mag dich vielleicht für den besseren Mann halten, aber sie scheint sich noch ein Hintertürchen offenhalten zu wollen..."
Der Krainacher-Max runzelte die Stirn. "Ein Hintertürchen?
Wozu?"
"Mei, begreifst du es wirklich net? Um vielleicht doch noch Bäuerin auf dem größten Hof in der Gegend werden zu können, das meine ich!"
Max trank sein Glas aus und schüttelte energisch den Kopf.
"Ich will so etwas net glauben", sagte er. Aber der Zweifel nagte bereits in seinem Herzen.
"Ich tät dem Madel ein bisserl mehr auf die Finger sehen", meinte der Sepp.
"Ich werd' mit ihr reden müssen!", kündigte der Jäger indessen an.
Sepp nickte.
"Tu das nur. Aber allzu blind solltest du ihr net trauen, hörst du?"
Max nickte.
Bevor er sich dann zum Gehen wandte, meinte er noch: "Bist ein echter Freund, Sepp!"
"Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich's dir sagen soll", erklärte der Großknecht. "Schließlich liegt es net in meiner Absicht, zwischen der Marianne und dir Zwietracht zu säen."
"Ist schon, recht, Sepp!"
Und damit ging der Krainacher-Max hinaus in die Dunkelheit.
Er atmete tief durch und sog die kühle Nachtluft in sich auf. Ein leichter Wind wehte von den Berggipfeln her, die sich wie drohende Schatten gegen den Nachthimmel abhoben.
Und dann sah er sah er seinen Bruder daherkommen.
Toni hatte die Hände in den Hosentaschen und hielt den Blick gesenkt, während er ein Lied pfiff.
Max war ihm heute noch nicht begegnet. Als der Jäger am Morgen losgegangen war, war sein Bruder schon mit dem Vater bei den Tieren gewesen und als der Jäger zum Krainacher-Hof am Abend zurückgekehrt war, da hatte er seinen Bruder ebenfalls nicht angetroffen.
Jetzt wollte der Toni offenbar nach einem anstrengenden Tag noch auf ein Glas ins Wirtshaus gehen.
Toni blickte blickte plötzlich auf und war wie erstarrt, als er seinen Bruder sah.
Er nickte dem Max nur leicht zu. Aber sein Gesicht wirkte finster.
"Du kannst es net lassen, was?", zischte Max und schüttelte dabei fassungslos den Kopf.
"Ich weiß net, wovon du sprichst, Max!", erwiderte Toni schulterzuckend.
Max fühlte, wie das Blut in seinen Adern pochte.
"Ich glaub, du weißt ganz genau, worum es geht! Oder willst vielleicht bestreiten, dich letzte Nacht auf den Bernmayer-Hof geschlichen zu haben?"
Der Toni sah seinen Bruder giftig an. "Ich bestreite gar nix!", schimpfte er. "Und von schleichen kann gar keine Rede sein, hörst?"
"Jedenfalls gratuliere ich dir. Scheinst ja jetzt endlich am Ziel zu sein, was die Marianne angeht!"
"Wovon redest du, Max!"
"Tu net so! Du weißt es und ich weiß es!"
Toni stemmte die Hände in die Hüften.
"Das Madel wird schon noch zur Vernunft kommen und erkennen, das es mit mir die weitaus bessere Partie macht!", meinte er dann. "Kann sein, dass du dich kurzfristig vor ihr wichtigtun kannst! Aber glaub' mir, Max, das wird keinen Bestand haben!"
"Was weißt du schon!"
So gab ein Wort das andere und einen Augenblick später wälzten sie sich schon raufend auf der Straße. Der Sepp und ein paar andere Männer kamen aus dem Wirtshaus heraus, weil sie den Krach gehört hatten. Sie packten die beiden Brüder und zerrten sie schließlich nach einigem Hin und Her auseinander.
"Mei, schämen sollt's euch!", meinte einer. "Gehen zwei Brüder so miteinander um?"
Indessen riss sich der Max aus der Umklammerung, in der er gehalten wurde und zog sich den grünen Rock wieder glatt.
"Fragt doch den Toni, wie es dazu gekommen ist!", murrte er und atmete tief durch.
"Pah!", machte der Toni, riss sich ebenfalls los und ging dann stampfend zur Wirtshaustür hinein.
Die spontane Versammlung löste sich danach ziemlich rasch wieder auf und Max hörte noch, wie einer zum anderen sagte: "Jesus, hat man so etwas schon gesehen? Und dabei haben sie sich doch früher immer so gut verstanden, die Söhne vom Krainacher-Bauern!"
Insgeheim wusste Max, dass er - genau wie sein Bruder - im Unrecht war.
So hätte ich mich net ihm gegenüber verhalten dürfen!, gestand er sich ein.
Aber er war halt so aufgebracht gewesen, durch das, was ihm der Sepp erzählt hatte, dass es einfach mit ihm durchgegangen war. Und dem Toni war es offenbar ähnlich gegangen.
Am nächsten Tag war der Krainacher Bauer sehr aufgebracht, als er von dem Vorfall hörte.
"Nun habt ihr's schon weit gebracht, ihr zwei!", schimpfte er. "Dorfgespräch seid ihr geworden mit eurem Händel!"
Aber von seinen Söhnen sagte dazu keiner ein Wort. Sie saßen da und schwiegen.
"Ich möcht', dass ihr euch hier und jetzt wieder versöhnt, sonst will ich ich keinen von euch mehr unter meinem Dach sehen!"
Die beiden sahen sich an, und schließlich gaben sie sich widerwillig die Hand.
"Na also!", meinte die Krainacherin erleichtert. "Es geht doch!"
"Das will ich meinen!", sagte der Bauer.
Aber in den Gesichtern seiner Söhne stand etwas anderes.
Bis zu einer wirklichen Versöhnung würde es wohl noch einige Zeit brauchen. Mindesten so lange, bis sich die Sache mit der Bernmayer-Marianne geklärt hatte.
7
Seine Arbeit konnte der Jäger Max Krainacher sich weitgehend selbst einteilen.
Und so ging er am Nachmittag zum Bernmayer-Hof, um die Marianne zur Rede zu stellen.
Zwar saß der Ärger tief in seinem Herzen, aber er wollte sie wenigstens anhören. Andererseits erschien es ihm unwahrscheinlich, dass sein alter Freund, der Sepp, sich nur etwas eingebildet hatte.
Aber als er beim Hof anlangte, traf er dort nur die Bäuerin an.
"Grüß dich, Bernmayerin!"
"Grüß dich, Max!"
Die Bäuerin musterte den Jäger von oben bis unten. Ihren Gesichtszügen war dabei mehr als deutlich anzusehen, dass es sie nicht gerade besonders freute, den jungen Krainacher zu treffen.
"Ist die Marianne net daheim?", erkundigte sich Max.
Die Bernmayerin schüttelte den Kopf.
"Nein, ist sie net..." Sie stemmte ihre kräftigen Arme in die Hüften und fuhr dann nach einer kurzen Pause fort: "Was willst du denn von dem Madel?"
"Das muss ich ihr schon selbst sagen!", knirschte der Jäger hervor.
"Hat der Bauer dir net neulich erst deutlich gesagt, was er von deinen Bemühungen um die Marianne hält?", meinte die Bäuerin nun, fast schon barsch.
Max atmete tief durch.
Er musste sich schon sehr zusammennehmen, um nicht aus der Haut zu fahren.
Der junge Jäger atmete tief durch und meinte dann: "Es ist mir egal, was der Bauer sagt! Nur was die Marianne sagt, das zählt für mich!"
Die Bäuerin nickte. "Ist schon recht, Max. Aber das Madel ist net hier. Du kannst es mir ruhig glauben. Ich belüg' dich net!"
"Und finde ich sie?"
"Sie ist für den Bauern zur Sägemühle vom Pflügler-Ferdl gegangen."
Max blickte auf seine Uhr. Dann fragte er: "Wann ist das Madel los?"
"Das ist schon eine ganze Weile her", erwiderte die Bernmayerin. "Ich glaub net, dass du sie dort noch antreffen kannst!"
"Wenn ich mich beeile vielleicht schon noch!"
Max wollte sich schon zum Gehen wenden, da zögerte er plötzlich.
Auf der Stirn der Bernmayerin bildeten sich ein paar Falten, als sie fragte: "Was gibt's noch, Max?"
"War mein Bruder des nachts hier bei euch auf dem Hof? Bei der Marianne?", brachte der Jäger schließlich heraus.
"Was ist?", fragte die Bäuerin zurück. "Warum fragst du mich das? Warum fragst net deinen Bruder, der müsst' es doch wohl wissen, wo er gewesen ist!"
"Also war er hier!", bohrte der Jäger. Er wollte es jetzt genau wissen.
Aber die Bernmayerin wich aus.
"Ich will mich net in euren Streit einmischen!", behauptete sie und wandte sich halb herum. "Das müsst ihr schon untereinander abmachen. Nur vielleicht net so, wie gestern Abend..."
Das Gesicht vom Krainacher-Max wurde leicht rot. So war die Geschichte also auch schon bis zum Bernmayer-Hof vorgedrungen - was eigentlich nicht verwundern konnte, denn das Tal hatte gute Ohren.
Max wollte etwas erwidern, aber das Wort blieb ihm buchstäblich im Hals stecken.
Statt dessen kam die Bernmayerin einen Schritt auf ihn zu und sagte: "Ich weiß net, was du von der Marianne willst, aber eins ist gewiss: Wenn sich das Madel net so entscheiden will, wie du es willst, dann wirst das wohl hinnehmen müssen!"
Da hatte sie natürlich recht.
Und Max hatte auch gar nicht die Absicht, das in Frage zu stellen. Er blickte die Bernmayerin einen Augenblick lang nachdenklich an, bevor er sich dann knapp von ihr verabschiedete.
Als der Jäger schließlich davonzog, dachte die Bäuerin bei sich: Mei, einen schönen Hof wird das dereinst geben! Der vom Krainacher und der unsere zusammen!
8
Mei, die Tage werden langsam schon kürzer!, ging es der Marianne durch den Kopf, als sie auf dem Rückweg von der Sägemühle des alten Ferdl Pflügler war und die Sonne bereits in Richtung der fernen, schneebedeckten Gipfel sinken sah.
Nicht mehr lange und es würde Herbst werden.
Marianne nahm den kürzesten Weg von der Sägemühle zum Bernmayer-Hof und der führte an einem Heustadel vorbei, der den Krainachern gehörte.
Als das Madel sich näherte, hörte sie ein Hämmern und Klopfen und erstarrte für einen Augenblick. Dann kam hinter dem Stadel niemand anderes als der Krainacher-Toni hervor. In der Hand hielt er einen Hammer. Offenbar war er damit beschäftigt, den Heustadel auszubessern.
Die Marianne seufzte.
Mei, der hat mir gerad' noch gefehlt!, schoss es ihr durch den Kopf.
Aber nun war es zu spät, um einen anderen Weg zu gehen.
Toni hatte sie bereits gesehen und ihr sogar zugewinkt.
Also setzte die Marianne ihren Weg ganz selbstverständlich fort.
Schließlich hab' ich ihm ja mehr als deutlich gesagt, wie die Dinge zwischen uns stehen!, sagte sie sich. Er hat also keinen Grund, sich irgendetwas einzubilden!
Doch als die Marianne am Heustadel vorbeikam, stellte der Toni sich ihr in den Weg. Er schien etwas verlegen zu sein.
Den Hammer hatte er aus der Hand gelegt und jetzt stand er da wie ein reuiger Sünder.
"Grüß dich, Marianne", begann er und kratzte sich dabei hinterm linken Ohr.
Die Erwiderung des Madels blieb recht kühl. "Grüß dich, Toni", sagte sie und wollte schon weitergehen. Schließlich war ihrer Ansicht nach alles zwischen ihnen beiden gesagt worden. Aber so einfach wollte der Toni das Madel nicht davonziehen lassen.
"Wart noch!", rief er und sie hörte auf ihn."Wir müssen miteinander reden!"
Aber das Madel schüttelte energisch den Kopf.
"Es gibt nix mehr zu reden zwischen uns, Toni! Sieh endlich ein, dass ich dich net lieb'!"
"Ich bin vielleicht etwas heftig gewesen, als ich da des nachts zu euch auf den Hof gekommen bin...", knirschte der Toni dann zwischen den Lippen hindurch.
"Ich trag dir nix nach!", versicherte die Marianne.
"Ich könnt mir das gut vorstellen: Wir zwei als Bauern auf dem größten Hof weit und breit...", murmelte er dann versonnen. "Naja, bis zum Frühjahr hast ja noch Zeit, dir die Sache endgültig zu überlegen, net wahr?"
"Ach, Toni...", seufzte die Marianne. "Mach's mir doch net so schwer! Du bist sicher ein netter Kerl und wirst auch mal ein vorzüglicher Bauer - aber die wahre Liebe ist es eben net. Und auch du solltest dich mal ehrlich fragen, ob du eigentlich in erster Linie hinter mir her bist, oder hinter der Erbin des Bernmayer-Hofs!"
Der Toni hob die Arme.
"Madel, wie kannst du so etwas nur denken!", meinte er dann fast empört.
Aber die Marianne blieb dabei. "So abwegig find ich den Gedanken gar net, Toni", meinte sie.
"Wie auch immer", meinte der Toni. "Ich wollte mich bei dir entschuldigen für ein lautes Auftreten. Und ansonsten weißt ja, wie ich zu dir stehe..."
Er reichte ihr die Hand.
Und die Marianne nahm sie nach kurzem Zögern. Immerhin klang der Toni heute schon viel vernünftiger, als bei ihrem letzten Zusammentreffen.
9
Eine Gestalt näherte sich in schnellem Schritt und die Marianne zog augenblicklich ihre Hand zurück.
Es war ihr geliebter Max, der da des Weges kam. Sie sah es schon an seinem grünen Jägerzeug. Flinte und Jagdtasche trug er über den Rücken gegürtet.
Er kam schnell näher.
"Max!", rief die Marianne, aber sie sah seinem Gesicht bereits an, dass er die Situation vollkommen missdeutete.
"Du und der Toni...", murmelte er. "Ich hab's erst net glauben wollen, Marianne!"
Sie schüttelte den Kopf. "Es ist auch net so, wie du denkst, Max!"
"Ich hab doch Augen im Kopf!", meinte er. "Net genug, dass du den Toni des nachts freundlich empfängst, auch noch zum Stelldichein beim Heustadel lässt du es kommen!"
"Nein, Max!"
Die Marianne war verzweifelt. Wie sollte sie ihrem geliebten Jäger nur klarmachen, das das Ganze doch nichts weiter als ein dummer Zufall war und sie mit dem Toni gar nichts im Sinn hatte?
"Vielleicht sollte ich mich jetzt dafür entschuldigen, dass ich euch hier in eurer Zweisamkeit gestört hab!"
"Es war Zufall!", beteuert die Marianne. "Ich war bei der Sägemühle vom Pflügler und auf dem Rückweg..."
"Spar dir deine Entschuldigungen!", schimpfte Max ziemlich ungehalten.
Das Madel wandte sich in ihrer Verzweiflung an den Toni und forderte: "Erkläre du ihm doch, wie die Sach' wirklich ist, Toni!"
Der Toni verzog das Gesicht.
"Ich?", fragte er scheinheilig.
"Ja, du!", rief Marianne. "Dir muss er doch glauben!"
Jetzt funkelte es in den Augen vom Toni böse. "Ich sag' nix", erklärte er.
"Aber Toni!", rief die Marianne.
"In euren Streit misch' ich mich net ein!", brummte er und wandte sich um.
Während Toni dann zurück zum Heustadel ging, sagte der Max bitter: "Er braucht auch gar nix mehr zu sagen! Für mich ist jetzt alles klar!"
"Max!", rief die Marianne. "Hast denn gar kein Vertrauen zu mir?"
"Ha!", machte der Jäger. "Vertrauen! Fang du auch gerade an, von Vertrauen zu reden!" Er atmete tief durch und sah sie traurig an. "Aber ehrlich hättest du wenigstens zu mir sein können!", setzte er dann noch hinzu. "Und ich hab' geglaubt, wir wär'n uns einig!"
"Aber, Max!"
"Vielleicht hat aber auch alles sein Gutes! So weiß ich jetzt wenigstens, woran ich mit dir bin, Madel!"
Und damit drehte der junge Jäger sich um und ging davon.
Er lief ziemlich schnell, fast noch eiliger, als er gekommen war.
"Max, so wart' doch!", rief ihm die Marianne hinterher. Sie wollte ihm zunächst folgen, aber dann wurde ihr klar, dass sie wohl im Moment nichts bei ihm ausrichten konnte.
Wie ein Stier läuft er dahin!, dachte sie wütend und traurig zugleich, während ihr ein paar Tränen über die Wangen rannen.
"Warum hast du denn nix gesagt, du Lump!", rief sie dann zum Toni hinüber.
Der zuckte nur die Schultern.
"Was hätt' ich denn schon sagen sollen?", meinte er.
"Das weißt du ganz genau!", behauptete sie.
"So wie mein Bruder und ich im Moment zueinander stehen, hätte er mir sowieso net ein einziges Wort geglaubt!", gab der Toni zurück. "Außerdem - wenn er dich wirklich lieben würde, der Max, dann hätte auch net solche Zweifel an dir? Oder habe ich da net recht?"
"Schmarrn!", schimpfte die Marianne.
Aber in Wahrheit war ihr bereits derselbe Gedanke gekommen.
Schließlich kann das ja auch net die wahre Liebe sein, wenn man einander net wenigstes ein bisserl vertraut!, ging es ihr traurig durch den Kopf.
10
Als Max Krainacher später noch ins Dorf ging und beim Laden des alten Surbacher vorbeischaute, wollte der gerade schon für heute zumachen.
"Grüß dich, Max! Ist lang her, dass du mal bei mir was zu besorgen gehabt hättest!", meinte der Surbacher und lächelte dabei. Er war schon weit in den Siebzigern, machte aber noch immer einen unverwüstlichen Eindruck, auch wenn sein Bart inzwischen schlohweiß geworden war.
Ein anderer hätte sicher daran gedacht, sich aufs Altenteil zurückzuziehen.
Nicht so der Surbacher.
Der kleine Laden war sein Lebensinhalt - und seitdem seine Frau vor zwei Jahren gestorben war mehr denn je. Er führte das Geschäft jetzt zusammen mit seiner Großnichte Anne, die der Surbacher als halbwüchsiges Madel bei sich aufgenommen hatte, nachdem ihre Eltern bei einem Erdrutsch ums Leben gekommen waren.
Inzwischen war aus dem Madel eine hübsche, gutaussehende junge Frau geworden, die aber ein sehr zurückhaltendes Wesen auszeichnete.
Max hörte von drinnen ihre Stimme. Sie summte leise vor sich hin.
Der Jäger blickte durch das Fenster hinein und sah das Dirndl, wie es drinnen mit dem Besen über den glatten Holzboden ging.
"Ja, ohne das Madel wüsst' ich gar net, wie ich das Geschäft noch weiterführen sollte", sagte der Surbacher und zuckte die Schultern. "Man wird ja auch net jünger mit den Jahren!"
Der Max hörte nur halb hin.
So vieles ging ihm durch den Kopf. Die Marianne wollte ihm einfach nicht aus dem Sinn gehen.
Als Anne zu dem Jäger hinsah, grüßte er sie freundlich, aber kurz. Dann wandte er sich an den Alten und kam auch gleich zur Sache.
"Ich bin net hier, um etwas zu kaufen oder ein wenig mit dir zu plaudern, Surbacher!", sagte er ernst.
Der Surbacher hob leicht die buschigen Augenbrauen und strich sich den Bart glatt.
"Net?", fragte er. "Das ist aber schad'!"
Max holte das Messer hervor, dass er droben auf der Lichtung im Hochwald gefunden hatte.
"Kommt das aus deinem Laden, Surbacher? Sag' schon! Es ist sehr wichtig für mich!"
"Ja, ja, net so eilig!", erwiderte der andere.
Der Alte nahm das Messer, hob es etwas ins Licht und betrachtete es genau.
Dann nickte er entschieden. "Ja, das kann gut sein. Ich habe noch einige von der Sorte, allerdings net mit dem gleichen Bildmotiv..."
"Wem hast du dieses Messer verkauft, Surbacher?", forderte Max ungeduldig.
Aber Surbacher hob nur etwas hilflos die Hände.
"Mei, wie soll ich mich daran noch so genau erinnern?
Sieben von diesen Messern hab ich im Laden gehabt, fünf sind verkauft. Jedes dieser Messer ist ein Unikat, aber wer nun welches gekriegt hat?" Er schüttelte bedauernd den Kopf.
"Also, dem Franz vom Riedler-Hof hab' ich eins verkauft, aber das hatte keinen Hirschen auf dem Griff!" Er wandte sich herum. "Anne!", rief er seine Nichte.
Das Madel war gerade mit dem Fegen fertig und kam nun herbei.
"Was gibt's Onkel?", fragte sie zurückhaltend.
Der Surbacher zeigte dem Madel das Messer. "Hier", sagte er. "Das hat der Krainacher-Max irgendwo gefunden. Weißt du, wem wir das verkauft haben!"
Ein stilles Lächeln ging über das feingeschnittene, von nussbraunem Haar umrahmte Gesicht.
"Freilich weiß ich das!" Sie wandte sich an den Jäger und fuhr dann fort: "An deinen Bruder hab ich's verkauft!"
"Das weißt du bestimmt?"
"Ja, wenn ich's doch sag'! Frag' ihn doch selbst, er wird sich ja wohl erinnern, wie sein Messer aussieht! Aber ich bin mir ganz sicher. Er hat mich noch gefragt, welches Motiv er nehmen soll und ich hab ihm zu dem Hirschen geraten..." Sie gab dem Max das Messer zurück und meinte: "Der Toni wird sich sicher freuen, dass du sein Messer gefunden hast!" Dann wich die Anne unwillkürlich einen Schritt zurück. "Mei, Max, was machst für ein Gesicht?"
Und der Surbacher fragte: "Vielleicht sagst uns mal, was es denn mit diesem Messer eigentlich auf sich hat!"
Max deutete mit dem Arm in Richtung der Berge.
"Droben, auf einer Lichtung im Hochwald hab ich es gefunden", berichtete er düster. "An einem Ort, an dem sich kurz zuvor der Wilddieb befunden hat, hinter dem ich schon so lang her bin!"
"Was!", entfuhr es der Anne fassungslos. Sie war sonst so ein stilles Wesen, aber das, was sie jetzt gehört hatte ließ sie einfach nicht mehr an sich halten. "Der Toni ein Wilddieb! Denkst du das von deinem eigenen Bruder!"
Max sah sie erstaunt an.
Dieses sonst so zurückhaltende und unauffällige Madel hatte er noch nie so heftig erlebt.
"Es scheint aber eine Tatsache zu sein", murmelte Max.
Anne schien die Angelegenheit sehr zu Herzen zu gehen.
"Du hast noch keinen Beweis!", rief sie. "Dem Toni kann das Messer auch abhanden gekommen sein, und danach hat es vielleicht jemand genommen..."
"Ein Beweis ist es noch net", nickte Max. "Aber ein Anhaltspunkt schon! Jedenfalls dank ich euch schön für die Auskunft!"
"Gern geschehen!", meinte der Surbacher.
Aber Anne stemmte die schlanken Arme in die schmale Taille und sagte: "Wenn ich gewusst hätt', dass ich mit meiner Auskunft nur neue Zwietracht zwischen euch Krainacher-Brüder säe, so hätte ich sie dir net gegeben, Max!" Sie schüttelte traurig den Kopf und stieß schließlich hervor: "Besser ich hätt' nix gesagt!"
"Es wird sich sicher alles aufklären!", gab sich der Surbacher zuversichtlich.
In seinem Alter hatte er die nötige Gelassenheit, um zu wissen, dass Stürme kommen und gehen und das selten so heiß gegessen wird, wie zuvor gekocht wurde.
"Ja", nickte Max. "Dafür werde ich sorgen!"
Und damit ging der Jäger dann davon.
Als er schon ein Stück weg war, wandte sich der alte Surbacher mit deutlicher Verwunderung an die Anne. Ihm war das Engagement des Dirndls für den Toni Krainacher nicht entgangen.
Und so nahm er das Madel dann lächelnd in den Arm und meinte: "Hast dich ja ganz schön ins Zeug gelegt für den Toni!"
"Mei, wenn er doch unschuldig beschuldigt wird!", erwiderte sie - und die Erregung war ihrer Stimme noch immer ein wenig anzuhören.
"Schon recht", versuchte der Surbacher sie zu beruhigen.
"Aber weißt du denn bestimmt, dass der Toni das auch wert ist?"
"Wie kannst das nur bezweifeln?", gab Anne zurück. "Nie und nimmer ist er ein Wilddieb. Das glaub ich einfach net!" Sie seufzte. "Ein rechtschaffener Bauer ist er! Und gut sieht er aus, wenn er so daherkommt... Leider hat er ja nur Augen für Tochter vom Bernmayer und net für mich!"
Ja, die Anne hatte schon lange insgeheim für den Toni Krainacher geschwärmt, sich aber nie getraut, das auch erkennen zu lassen. Und ihre zurückhaltende, vorsichtige Art hatte sie daran gehindert, die Aufmerksamkeit des jungen Bauern gezielt auf sich zu lenken.
So hatte er sie kaum wahrgenommen, wenn er mal ins Geschäft kam, um etwas zu besorgen.
"Ja, die Liebe kann man net erzwingen, Madel", sagte der Surbacher.
"Ich weiß, Onkel", seufzte Anne.
11
Als der Max Krainacher zum heimatlichen Hof zurückkehrte, war der Vater gerade mit der täglichen Arbeit fertig und begrüßte seinen Sohn.
"Max!", rief der Krainacher-Bauer. "Ich hab dich aus der Richtung vom Dorf kommen sehen. Gehst gar net mehr in den Wald?"
"Ich war zwar im Dorf", bestätigte der junge Jäger. "Aber net zum Vergnügen. Und Wilderer kann man auch dort jagen! Wo ist der Toni?"
"Der Toni?", fragte der Vater stirnrunzelnd zurück. "Willst dich vielleicht wieder mit ihm aussöhnen? Das ist gut. Aber dein Bruder ist leider net hier. Er wollte heute etwas früher Schluss machen und ich hab's ihm net abgeschlagen. Schließlich hat er in der letzten Zeit hart ran müssen. Es war viel zu tun auf dem Hof!"
"Wo ist er hin?", drängte Max.
"Ich weiß es net, Max. Und ich hab ihn auch net gefragt. Er ist auch kein kleiner Bub, auf den man ständig aufpassen müsst', oder?"
"Wer weiß...", murmelte der junge Jäger kaum hörbar.
Der Vater runzelte die Stirn und musterte seinen jüngeren Sohn dann kopfschüttelnd.
"Zwei Heißsporne seid's! Euer Hader ist noch net vorbei, habe ich recht?" Der Krainacher-Bauer wartete eine Antwort gar nicht erst ab, sondern sprach sofort weiter. "Aber schämen solltet ihr euch für das Theater, das ihr da aufführt! Und vor allem du, Max!"
Jetzt war aber da Maß voll, fand der Max, der sich doch für den bei weitem Unschuldigeren der beiden Krainacher-Buben hielt.
"Ich?", rief er empört.
"Ja, du!", bestätigte der Vater.
Max schüttelte den Kopf.
"Ich glaub', ich versteh' die Welt net mehr!", gab er völlig fassungslos zurück.
Der Vater kam etwas näher heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn ein wenig zu beschwichtigen.
"Ist das denn net zu begreifen, Bub? Schau, der Toni bemüht sich zwar um die Marianne, aber ihr Herz gehört doch nur dir.
Da könntest doch vielleicht etwas nachsichtiger mit deinem Bruder sein. Irgendwann wird ihm ein anderes Dirndl über den Weg laufen, das ihn die Marianne vergessen lässt." Er hob die Schultern und setzte dann noch hinzu: "Mei, es wär zwar net schlecht, die beiden Höfe zusammenzulegen, aber was net sein soll, soll net sein..."
Max seufzte.
"Ach, Vater..."
"Was machst denn für ein saures Gesicht, Bub?", fragte er erstaunt. "Die Marianne war übrigens heut' hier auf dem Hof..."
"Was?", entfuhr es dem Jäger sehr erstaunt. Was konnte sie noch von ihm gewollt haben?
Mich vielleicht wieder einwickeln?, dachte Max. Aber daraus wird nix werden!
"Ja, sie wollt' unbedingt mir dir reden, Bub. Über etwas Wichtiges, sagte sie. Und etwas, das sie auch von niemandem ausrichten lassen könnte!"
"Ich kann mir schon denken, worum es geht!", erwiderte Max und setzte dann bitter hinzu: "Aber sie kann mir gestohlen bleiben mit ihren Ausflüchten!"
"Was?", fragte der Vater. "Wovon redest du?"
Und dann schüttete der Jäger sein Herz aus.
"Sie hat nur mit mir gespielt, die Marianne. Sie hat es lange hinausgezögert, ihren Eltern von unseren gemeinsamen Plänen zu erzählen. Darüber hab' ich mich schon gewundert. Und dann hat mir mein Freund, Sepp so einiges erzählt... Ich wollt's ja erst net so recht glauben, bis ich die zwei droben bei unserem Heustadel erwischt hab, den Toni und die Marianne."
Der Bauer machte ein ungläubiges Gesicht. "Ist das dein Ernst?", fragte er.
"Wenn ich's doch sag!", bestätigte Max. "Hand in Hand hab' ich sie gesehen! Und gute Augen hab ich, das weißt du nur zu gut!"
Der Bauer versuchte, seinen Jüngsten wieder etwas zu beruhigen und meinte: "Vielleicht gibt's ja eine Erklärung, die ganz harmlos ist, Bub!"
"Nix als Ausflüchte hatte die Marianne vorbringen können!", ereiferte sich der junge Jäger. Und dabei fühlte er einen Stich im Herzen. Ja, er hatte schon sehr an dem Madel gehangen und tat es wahrscheinlich immer noch - viel mehr, als er sich jetzt eingestehen wollte. Aber was zuviel war, war zuviel, fand er.
"Und was sagt dein Bruder dazu?", erkundigte sich der Vater nach kurzer Pause.
"Der hat wenigstens gar net erst versucht, irgendetwas abzustreiten." Max schüttelte den Kopf. "Nein, mit der Marianne, das ist wohl aus! Aber mit dem Toni hab ich dennoch ein Hühnchen zu rupfen, wenn er heimkommt!"
Da hörte Max hinter sich Schritte.
Und im nächsten Moment hörte der Jäger die Stimme seines Bruders.
"Dann fang schon mal an zu rupfen, Max!", rief der Toni herausfordernd. "Hier bin ich!"
Max wirbelte herum, während der Toni die Arme vor der breiten Brust verschränkte.
"Ich will keinen Streit hier auf dem Hof!", rief der Vater, aber die beiden Streithähne hörten gar nicht richtig hin.
Max holte das Taschenmesser aus der grünen Jacken heraus und hielt es seinem Bruder hin.
"Dieser Streit wird sich net vermeiden lassen, Vater", murmelte er dabei. Und dann, an den Toni gewandt: "Du kannst net abstreiten, dass es dein Messer ist, net wahr? Die Anne vom Laden des alten Surbachers hat bestätigt, es dir verkauft zu haben!"
"Freilich", nickte der Toni. "Das ist mein Messer. Wo hast du es her?"
"Gefunden. Und zwar droben Hochwald auf einer Lichtung, auf der ich kurz zuvor einen Wildschütz bei seinem Geschäft hab' beobachten können!"
Max trat einen Schritt näher. Sein Bruder runzelte die Stirn und zuckte verwirrt mit den Schultern. "Ja, und?", meinte er dann.
"Du gibst es also zu!"
"Ich weiß net, was du meinst!"
"Das Wildern natürlich!"
Der Toni war fassungslos. "Ich denk, du hast ihn gesehen, den Wildschütz!"
"Freilich", nickte Max.
"Wie kannst du mich dann verdächtigen!"
"Ich habe einen Mann gesehen, der deine Statur gehabt haben könnt' und einen rötlichen Hut auf dem Kopf gehabt hat! Vom Gesicht konnt ich natürlich nix erkennen! Er hat ja auch net zu mir hingesehen!"
"Du verdächtigst mich also - ohne Beweis!"
Max warf das Messer zu Boden.
"Du hast recht! Ein Beweis ist das net! Aber es ist Grund genug, eine deutliche Warnung an dich auszusprechen! Wenn ich dich da droben erwischen sollt', dann wird's keine Nachsicht geben! Dann werd' ich dich so behandeln, wie jeden anderen Wildschütz auch, hast gehört?"
Der Toni ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten.
"Ja," versetzte er ärgerlich, "ich hab dir sehr genau zugehört, Bruder!"
"Bleib' also weg aus dem Revier! Es ist besser für dich!"
Und damit ging der Jäger an Toni vorbei zum Haus hin.
Die Mutter kam gerade aus dem Haus, aber Max grüßte sie nur sehr knapp und war dann wenig später durch die Tür verschwunden.
"Ich glaub, der Max ist jetzt völlig durchgedreht!", meinte Toni und wollte sich ebenfalls zum Gehen wenden. Aber der Vater hielt ihn am Arm.
"Warte, Toni!", forderte der Krainacher-Bauer.
Der Toni sah seinen Vater an.
"Was ist?", fragte er. "Glaubst du vielleicht den Anschuldigungen, die der Grünrock vorgebracht hat? Ich bin kein Wildschütz, auch wenn ich früher gern mit der Flinte vom Großvater geschossen hab!"
Aber das war dem Vater noch nicht genug.
"Was hat es mit dem Messer auf sich, Bub?", fragte er. "Sag' mir die Wahrheit! Schau, ich bin dein Vater. Mit mir kannst du offen sein, meinst net?"
Der Toni atmete tief durch, dann fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und meinte dann: "Es ist mein Messer, das ist schon wahr..."
"Ich habe es nie bei dir gesehen, Bub!", stellte der Vater indessen fest.
"Kein Wunder! Noch am selben Tag, an dem ich es beim Annerl gekauft hab, hab ich es auch verloren."
"Droben beim Hochwald?", fragte der Vater.
Aber Toni schüttelte energisch den Kopf. "Ich weiß net wo. Aber da droben bin ich schon lange net mehr gewesen. Da kann es gar net sein!"
"Du hättest das deinem Bruder sagen können."
"Hätte er mir geglaubt? Eine Ausrede hätte er's genannt!"
Toni machte eine wegwerfende Geste. "Es ist wie verhext zwischen uns!"
"Das glaub' ich auch schon fast", nickte der Krainacher-Bauer. "Aber ich will, dass das aufhört. Auf meinem Hof ist kein Platz für euren unseligen Händel!"
Der Toni sagte nichts dazu.
Und der Krainacher-Bauer wusste nur zu gut, dass man Frieden zwar predigen aber nicht befehlen kann.
12
"Wo ist denn die Marianne?", fragte der der Bernmayer-Bauer einen Tag später an seine Frau gewandt, als er mit dem Sepp zur Tür herein kam.
"Mei, sie hat sich droben in ihrer Kammer verkrochen. Schon den ganzen Tag ist mit ihr kein Auskommen. Ich weiß auch net, was sie hat, Loisl." Die Bäuerin zuckte mit den Schultern und setzte dann hinzu: "Vielleicht kannst du ihr ja mal gut zureden, dass sie wieder zu Verstand kommt!"
Der Bauer seufzte.
"Aber irgendeinen Grund wird es doch haben!", meinte er.
"Hat sie vielleicht Kummer?"
"Ja, gewiss! Aber mir hat sie net gesagt welchen!", gab seine Frau zurück. "Wie ist es, Loisl? Willst jetzt deine Brotzeit nehmen?"
Aber der Bernmayer schüttelte den Kopf.
"Gib du ruhig dem Sepp schonmal etwas auf. Ich geh erst noch zur Marianne hinauf. Das Madel kann sich doch net den ganzen Tag verkriechen und Trübsal blasen!"
Die Bäuerin war damit voll und ganz einverstanden und bestärkte ihren Mann auch noch.
"Tu das nur, Loisl. Auf dich hört das Madel seit je her schon mehr, als auf mich!"
Loisl Bernmayer lächelte mild und sagte dann: "Weil ihr zwei denselben Dickkopf habt, wenn's etwas durchzusetzen gilt, net wahr?"
Dann ging er die Stufen hinauf, um zu Mariannes Kammer zu gelangen.
Er klopfte an der Tür und als niemand antwortete, öffnete er sie vorsichtig und trat ein.
Die Marianne lag auf ihrem Bett und setzte sich nun auf.
Ihre Augen waren rot. Sie hatte offenbar geweint.
"Madel, was machst für Geschichten!", meinte der Bernmayer-Loisl besorgt.
"Ach, Vater!", begann sie. "Es ist so schrecklich... Der Max..." Sie brach ab und fing an zu schluchzen.
Ihr Vater nahm sie in den Arm und fragte: "Was ist mit dem Max? Ich dacht', ihr zwei seid euch einig."
"Nix mehr wissen will er von mir!"
Und dann erzählte sie schluchzend, was sich zugetragen hatte.
"Aber wenn es doch nur ein Missverständnis ist, wird es sich doch aufklären lassen", erklärte der Bernmayer-Bauer ruhig und mit viel Zuversicht in der Stimme.
"Ich hab's schon versucht", erwiderte die Marianne. "Aber der Max war net zu Hause. Vielleicht ließ er sich aber auch nur verleugnen, denn eigentlich hätte er von seinem Dienst zurück sein müssen."
"Vielleicht war er noch im Dorf oder..."
Sie sah ihren Vater erstaunt an.
"Ich weiß gar net, warum du versuchst, ihn zu entschuldigen, Vater! Dir und der Mutter kann es doch nur recht sein, wenn das mit uns Zweien nix wird!"
"Aber, nein, Madel, so ist das net! Gut, ich geb' zu, dass ich es dir gewünscht hätte, dereinst Bäuerin auf dem größten Hof der Umgebung zu sein... Aber wenn du den Toni doch net liebst, kann ich dir doch net in dein Leben pfuschen, oder? Außerdem ist es doch das Wichtigste, dass man glücklich wird. Wichtiger noch, als ein großer Hof!"
"Recht hast, Vater!", nickte die Tochter erleichtert. "Ich hab dem Toni doch klar gesagt, was ich von ihm denk und das er bei mir nix zu melden hat! Wenn er nur seinem Bruder die Wahrheit sagen könnt'! Dann wäre schon viel gewonnen! Aber die zwei Krainacher sind wie Hund und Katze! Droben beim Heustadel hat sich der Toni geradezu geweigert, die Sach' klarzustellen!"
"Er denkt vielleicht, dass er dich doch noch gewinnen kann", glaubte der Bernmayer.
"Nie und nimmer! Jetzt erst recht net!"
"Du kannst ja mal mit dem Toni reden und ihn bitten, seinem Bruder die Wahrheit zu sagen. Dann muss der Grünrock doch einsehen, dass er sich geirrt hat!"
"Und wenn mich dann wieder jemand mit dem Toni zusammen sieht?" Die Marianne schüttelte energisch den Kopf. "Nein, dann wird alles noch viel schlimmer! Dann denkt der Max doch erst recht, dass alles so ist, wie er es sich eingebildet hat!"
"Ja", nickte der Bauer. "Das ist natürlich wahr."
"Aber irgendetwas muss ich tun!", stieß die Marianne geradezu leidenschaftlich hervor.
"Uns wird schon etwas einfallen, Madel!", meinte der Bernmayer-Bauer. "Ganz gewiss!"
Er drückte seine Tochter an sich.
"Meinst wirklich?", fragte die Marianne."
"Sicher. Alles wird gut. Vielleicht red' ich mal mit dem Max und dem Toni."
Sie sah ihn erstaunt an.
"Mit dem Max? Wo du ihn doch neulich erst wie einen räudigen Hund davongejagt hast?"
"Mei, da wusst' ich doch noch net, wie ernst es mit euch Zweien ist, Madel!"
"Ist ja schon gut."
"Aber du hast schon recht, Marianne", meinte der Bernmayer dann recht nachdenklich. "Mit offenen Ohren wird der Max mich sicher net empfangen. Das kann ich gar net von ihm erwarten!" Dann schaute er auf die Uhr. "So", meinte er. "Die Arbeit tut sich net von allein! Der Sepp ist sicher schon fast fertig mit seiner Brotzeit! Und ich hab jetzt auch großen Hunger."
Über das Gesicht der Marianne huschte sogar schon wieder ein verhaltenes Lächeln.
"Geh nur, Vater! Ich komme auch hinunter.
Wenig später saßen sie alle am Tisch und der Sepp fragte: "Wie steht's, Bauer? Kann ich heute ein wenig früher Schluss machen?"
Der Bauer blickte von seinem Essen auf.
"Wenn wir schnell vorankommen, meinetwegen!"
"Ich will meinen Teil dazu tun!"
"Was ist Sepp?", fragte da plötzlich die Bäuerin. "In letzter Zeit gehst recht oft früher vom Hof!"
Sepp zuckte mit den Schultern. "Mei..."
"Hast vielleicht ein Madel, drunten im Dorf?"
"Und wenn's so wär?", gab er Sepp zurück.
"Lass nur", meinte Loisl Bernmayer. "Er wird es uns schon sagen, wenn es was Ernsthaftes wird, net wahr? Und da wollen wir auch net weiter in ihn dringen!"
13
Der Krainacher-Toni wirkte recht in sich gekehrt, als er beim Laden des alten Surbacher vorbeikam.
Er wollte vor dem Abend noch ein paar Dinge einkaufen, um sich dann vielleicht anschließend im Wirtshaus sehen zu lassen.
Er trat also ein, sah sich um und rief: "Surbacher? Hast schon zugemacht?"
"Mein Onkel ist heut net hier!", sagte ein zartes, aber sehr entschlossen wirkendes Stimmchen.
Hinter einem der Regale kam die Anne hervor.
"Mei, du bist's, Anne", murmelte Toni. "Einen Sack mit Nägeln brauch ich! Du weißt es bestimmt noch! Es sind die langen, mit denen ich den Heustadel repariere..."
Toni Hand glitt über das Gesicht. Er wirkte müde und abgeschlagen.
Wie durch einen Nebel drang Annes Stimme an seine Ohren.
"Toni! Gut, das du da bist!", stieß sie hervor und der Jungbauer runzelte die Stirn dabei.
Er hob die Augenbrauen und fragte: "Was ist los?"
"Ich hab dir etwas Wichtiges zu sagen, Toni!", begann sie und atmete dann tief durch.
Mei, dachte der Toni. So hab' ich die Anne ja noch nie gesehen!
Er blickte ihr in die braunen Rehaugen und stellte fest, dass er sie überhaupt noch nie so richtig angesehen hatte. Ein hübsches Dirndl war aus ihr geworden, auch wenn ihm das bisher noch kaum aufgefallen war.
Sie ist eben zu zurückhaltend und stellt ihr Licht dadurch immer ein bisserl unter den Scheffel, ging es dem Toni Krainacher durch den Kopf.
"Hast du schon mit deinem Bruder gesprochen?", fragte Anne und der Toni nickte düster.
"Ja, freilich. Warum fragst du, Anne? Es ist doch schon Dorfgespräch, wie wir zwei Krainacher zur Zeit zueinander stehen..."
Anne seufzte.
"Er hat dich verdächtigt, der Wildschütz zu sein, hinter dem er schon so lang her ist, net wahr?"
Das Gesicht des Jungbauern lief leicht rot ab. Die Sache war ihm sichtlich unangenehm.
"Mei, ist das auch schon überall bekannt?" Er schüttelte den Kopf und setzte dann mit grimmigem Unterton hinzu: "Ich weiß, dass das Dorf gute Ohren hat, aber, dass sie so gut sind, das hat mich doch überrascht!" Er sah das Madel an und fragte etwas unwirsch: "Na, und? Willst jetzt wissen, ob ich es auch wirklich war? Bis wild drauf, die erste zu sein, die ganz genau Bescheid weiß?
"Nein, Toni!" Sie rang mit den Armen. "Ich weiß, dass du so etwas net tun würdest."
"So?", machte der Toni und sah sie dann recht erstaunt an.
"Du weißt das? Und woher? Wegen meiner blauen Augen vielleicht?"
Ihr Blick drückte jetzt Festigkeit und Entschlossenheit aus, als sie sagte: "Nein, Toni! Mit deinen blauen Augen hat das nix zu tun, sondern damit, dass ich mir einfach net vorstellen kann, das einer wie du so etwas tun würde."
Er sah sie nachdenklich an und nickte dann.
"Es ist nett, dass du das sagst, Anne", meinte er schließlich mit deutlich sanfterer Stimme, während die Ahnung eines Lächelns über sein Gesicht ging. "Aber bald wirst du wohl die einzige sein, die mir noch glaubt! Mein Bruder glaubt sichere Beweise gegen mich zu haben!"
"Ich muss dich um Entschuldigung bitten, Toni", sagte da die Anne.
Toni runzelte die Stirn.
"Du mich?", fragte er ungläubig. Umgekehrt wäre es seiner Ansicht nach schon sinnvoller gewesen, schließlich hatte er sie ziemlich angefahren für etwas, dass sie nun wirklich nicht zu verantworten hatte.
"Dein Bruder war hier, Toni. Er hast gefragt, wem wir das Messer verkauft haben, dass er droben im Hochwald gefunden hat. Und da habe ich ihm gesagt, dass..."
"Aber das macht doch nix, Madel!"
"Ich wusste net, worum es ging! Erst hinterher hab' ich es erfahren, Toni! Das musst du mir schon abnehmen. Wenn ich gewusst hätte, dass meine Antwort neue Zwietracht zwischen euch bringt, hätte ich bestimmt nix gesagt!"
Der Toni atmete tief durch.
"So ist das also...", murmelte er. "Aber ich nehme dir nix übel, Anne. Dazu gibt's keinen Grund!" Er hob die Hände. "Ich hab das Messer verloren. Noch am selben Tag, an dem ich es hier bei dir gekauft habe. Aber mein Bruder glaubt mir natürlich net - und wenn ich ehrlich bin, dann kann ich es ihm net einmal übelnehmen. Es klingt ja auch reichlich weit hergeholt - und an seiner Stelle würde ich wohl nix anderes denken."
Die Anne schenkte dem Toni ein sanftes Lächeln. "Glaub mir", sagte sie. "Die Wahrheit wird schon an den Tag kommen. Und wenn du dir nix vorzuwerfen hast, kannst du darauf auch vertrauen!"
"Meinst wirklich?", erwiderte Toni zweifelnd.
"Natürlich! Wer nix Unrechtes tut, dem kann auch nix geschehen!"
Der Toni machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. In diesem Augenblick wirkte er regelrecht verzweifelt. "Mein eigener Vater glaubt mir net mal hundertprozentig!", knirschte er hervor.
"Hat er das gesagt?", fragte Anne.
"Mei, das würde er mir net so offen sagen! Aber ich hab's in seinen Blick gesehen, dass er zweifelt!" Er ballte die Hand zu Faust und meinte dann. "Erst wenn der richtige Wildschütz gefasst ist, wird es wieder Klarheit geben, fürchte ich. Aber ist zu geschickt! So einfach lässt der sich net kriegen - und jetzt, wo der der Verdacht sich auf mich konzentriert, hat der um so leichteres Spiel!"
"Ich würde dir gerne helfen, Toni!"
"Das ist nett, Anne. Aber das kannst du net. Ich wüsst' jedenfalls net wie." Dann lächelte er. "Aber meine Nägel, die könntest du mir trotz allem geben, sofern ihr sie vorrätig habt!"
"Natürlich."
Sie ging hinter den Tresen, suchte die Nägel heraus und gab sie Toni in einer Schachtel.
"Ich schreib's für euch an, wenn du willst", meinte Anne dann und der Toni nickte.
"Der Bauer wird Ende der Woche vorbeikommen und alles begleichen, was noch aussteht!", versprach er.
"Gewiss doch!", erwiderte Anne.
Dann verabschiedete sich der Toni knapp und ging zur Tür.
Der Anne brannte noch eine Frage auf den Lippen, aber sie zögerte damit, sie auch zu stellen.
Aber ich kann ihn net so ziehen lassen!, ging es ihr durch den Kopf. Net, ohne ihm die Frage gestellt zu haben!
Toni wollte gerade zur Tür hinaus, da fasste sich das Madel doch noch ein Herz.
"Toni!", rief sie und spürte, wie ihre Stimme dabei vibrierte. Ihr Mut überraschte sie selbst am meisten. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt, so machte sie sich klar.
Der Jungbauer blieb stehen und drehte sich noch einmal zu dem Madel herum.
"Was ist noch?", erkundigte er sich.
Sie wurde etwas rot im Gesicht und rieb verlegen die Hände aneinander. "Ich wollte nur fragen, was denn die Marianne zu der Sache zu sagen hat...", murmelte sie dann ganz leise und bereute es im nächsten Moment auch schon fast wieder.
Toni sah sie einen Augenblick lang fragend an.
"Die Marianne?", fragte er dann. Seine Stimme klang bitter dabei und er schüttelte schließlich den Kopf. "Sie weiß davon wahrscheinlich noch gar nix", murmelte er düster. Er zuckte leicht die Schulter. "Wahrscheinlich interessiert es sie auch gar net. Ich weiß auch net, aber irgendetwas muss ich wohl falsch gemacht haben, sonst könnt' es doch net sein, dass sie nix von mir wissen will!"
Er sagte das scheinbar mehr zu sich selbst, als zur Surbacher-Anne.
Dann ging er ohne noch ein Wort zu sagen hinaus.
14
Der Krainacher-Max war an einem der folgenden Tage wieder einmal auf der Pirsch. Es gab immer genug zu tun im Hochwald, aber insgeheim hoffte er natürlich, den Wilderer stellen zu können.
Selbst wenn mein Bruder etwas damit zu schaffen hat! Ich kann keine Nachsicht üben!, ging es ihm durch den Kopf.
Aber der Toni war ja nun gewarnt. Und wenn er klug war, dann hatte er zum letzten Mal gewildert und ließ er es von nun an bleiben!
Max stieg hinauf zum Hochwald.
Zwischendurch ging sein Blick immer wieder zum Himmel, an dem jetzt Wolken aufgezogen waren. Max hoffte nur, dass das Wetter nicht umschlagen würde.
Schließlich hatte er die Lichtung erreicht, auf der er den Wildschütz zum letzten Mal gesehen hatte.
Er kann sich damals doch net in Luft aufgelöst haben!, ging es dem jungen Jägersmann durch den Kopf. Aber offenbar war genau das geschehen! Auch wenn es unglaublich schien!
Max sah sich noch ein wenig um und folgte noch einmal dem Weg, von dem er glaubte, dass der Wildschütz ihn genommen hatte.
Er durchquerte den Wald, stieg immer steilere Hänge empor und war am Ende dort, wo der Wald aufhörte. Schroffe Felsen erhoben sich hier und schmale Pfade führten weiter hinauf.
Wer hier umherkletterte, musste schon die Geschicklichkeit und den sicheren Tritt einer Berggemse mitbringen, wollte er sich nicht ernsthaft in Gefahr begeben.
Früher waren sie oft hier oben in den Felsen gewesen, die beiden Krainacher-Buben.
Mit sicherem Instinkt hatten sie immer ihren Weg gefunden und so manche schöne Stunde im Angesicht der fernen, schneebedeckten Gipfel verbracht.
Aber die Zeiten hatten sich geändert.
Der Beruf ließ Max, dem Jäger, kaum noch Zeit, um einfach nur so zum Vergnügen zu herumzuklettern. Und seinem Bruder ging es nicht anders, seit er beim Vater auf dem Hof voll eingestiegen war.
Und was, wenn der Kerl doch seine Beute hier oben versteckt, und dann irgendwann später abgeholt hat?, ging es Max durch den Kopf.
Er hatte das ursprünglich nicht für möglich gehalten, aber jetzt, da er den Toni in Verdacht hatte, begann er umzudenken.
Der Toni war - genau wie er selbst - ein hervorragender Kletterer. Und wenn es einem zuzutrauen war, mitsamt seiner Jagdbeute hier her, in diese zerklüftete Felslandschaft zu flüchten, dann dem Toni!
Etwas umsehen kann ich mich hier ja mal!, sagte sich der Jäger, hängte sich das Gewehr auf den Rücken und machte sie sich daran, die steilen Hänge zu erklimmen.
Über einen schmalen Grat ging es dann weiter, vorbei an engen Felsspalten.
Ein Versteck besser als das andere!, dachte der Max grimmig.
Aber all diese Spalten zu durchsuchen, das war kaum möglich, es sei denn, der junge Jäger würde eine ganze Woche hier oben verbringen.
Es ist aussichtslos!, sagte eine Stimme in ihm, aber eine andere Stimme hielt ihn an, nicht aufzugeben und trotz allem weiterzusuchen.
Vielleicht fand er ja doch etwas, das ihn weiterbrachte.
Und wenn es am Ende auch nur der pure Zufall war, der ihm jetzt weiterhelfen musste!
Ein Geräusch ließ den Jäger dann auf einmal zusammenfahren.
Irgendwo stürzten ein paar Brocken in die Tiefe. Im nächsten Moment schrie jemand laut auf und es gab einen schauerlichen Widerhall.
Als ob jemand gestürzt ist!, durchzuckte es den Jäger wie ein Blitz.
Max ließ den Blick umherschweifen, konnte aber niemanden sehen. Mit schnellen Bewegungen kletterte er dann in die Richtung, aus der er den Schrei gehört hatte. Das Gewehr und die Jagdtasche ließ der junge Mann zurück, um schneller voran zu kommen.
Wenn hier wirklich jemand abgestürzt war, dann ging es um jeden Augenblick.
Vielleicht kam auch schon jede Hilfe zu spät, aber daran mochte Max nicht denken.
"Hallo!", rief er laut, als er auf ein Felsplateau kam und ein paar Mal tief durchgeatmet hatte. "Ist da jemand?"
"Hier!", ächzte eine Männerstimme.
Und dann hörte Max erneut, wie irgendwo Geröll und Steine in die Tiefe gingen.
Jetzt gab es für den jungen Grünrock kein Halten mehr.
Das Plateau mündete in einen Schmalen Steig. Auf der einen Seite befand sich eine steil aufragende Felswand, auf der anderen ein Abgrund.
Einen Augenaufschlag später verschlug es Max schier den Atem.
"Mein Gott, Toni", murmelte er fassungslos.
Mochte der Himmel wissen, was der Jungbauer hier zu suchen hatte!
Der Krainacher-Toni war offenbar von dem schmalen Steig abgerutscht. Glatt genug war das Gestein ja. Und nun hing Toni über dem Abgrund. Nur ein zäher Strauch gab ihm noch Halt, aber es war lediglich eine Frage der Zeit, wann dessen Wurzelwerk das Gewicht eines erwachsenen Mannes nicht mehr halten konnte.
"Hilfe!", ächzte Toni.
Max verlor keine Zeit und kam zu so schnell wie möglich zu dem schmalen Steig. Und dabei musste er sehr aufpassen. Das Gestein war wirklich sehr glatt. Manche Brocken waren einfach herausgebrochen und in die Tiefe gestürzt.
"Toni!", rief der Jäger. "Halte durch! Es dauert net mehr lang!"
"Mei, dich schickt der Himmel, Bruder!", kam es von unten herauf.
Max war inzwischen an der Unglücksstelle angelangt. Die Aufgabe, die vor ihm lag, war alles andere, als einfach. Er musste selbst sicheren Halt haben, sonst konnte seinen Bruder nicht heraufziehen.
Am Ende würden sie noch beide in der Tiefe landen. Und wer diesen Abgrund hinabgestürzt war, der hatte keine Überlebenschance.
Der Genickbruch war einem da fast sicher.
Max versuchte, sich gut festzuhalten und gleichzeitig mit dem rechten Arm, hinab zu seinem Bruder zu reichen. Zu kurz!
Es reichte nicht.
"Max!", rief indessen der Toni. "Ich kann net mehr!"
"Halte durch!", wies der Jäger seinen Bruder an. Ihre Blicke begegneten sich und Max sah in Tonis Augen nichts als blanke Verzweiflung. "Net aufgeben, Toni!", versuchte er ihn zu ermutigen.
Was sollte der Krainacher-Max tun?
Er hatte kein Kletterseil dabei, das er zu dem Bruder hätte hinablassen können. Und außerdem rann ihm die Zeit davon.
So nahm er kurzentschlossen den ledernen Gürtel ab, den er um seine grüne Jacke trug und ließ das eine Ende hinab zu seinem Bruder gleiten.
"Hier Toni! Ich ziehe dich hinauf!", rief er. Aber der Toni zögerte. Erst als der Strauch, an dem er hing, erneut nachzugeben begann, wagte er es und klammerte sich an den Gürtel.
Max musste sich gut festhalten, nicht zusammen mit seinem Bruder in die Tiefe gerissen zu werden. Stück um Stück ging es vorwärts, bis der Toni endlich auf dem Steig war. Er atmete erleichtert auf und auch Max war froh, als es endlich geschafft war.
Ein paar kleinere Steinbrocken rieselten noch in die Tiefe.
Erst nach einigen Augenblicken konnte man sie unten aufschlagen hören.
"Mei, das war knapp", stellte der Toni fest "Net einen Augenblick später hättest kommen dürfen, Bruder! Sonst läg' ich jetzt da unten!"
"Schon gut", murmelte der junge Jäger, dem ein einziger Gedanke nicht aus dem Kopf ging: Was hatte sein Bruder hier oben zu suchen? War er etwa wieder unerlaubterweise auf die Pirsch gegangen?
Ein Gewehr oder anderes Jagdzeug hatte der Toni nicht dabei. Aber das musste nichts heißen. Entweder es war ihm in die Tiefe gefallen, als er auf dem Steig abgerutscht war, oder aber er hatte seine Sachen ohnehin hier oben, in einer sicheren Felsspalte versteckt!
Toni setzte sich indessen auf, ächzte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
"Es ist net zu fassen!", war die Stimme des Jägers zu hören.
"Ich hab' dich eindringlich gewarnt! Ich hab' dir das Messer gezeigt, dass ich auf der Lichtung gefunden hatte - aber das alles konnte dich net abhalten, doch wieder loszuziehen..." Max schüttelte fassungslos den Kopf. "Ich versteh dich net, Bruder!"
"Max!", rief der Toni und hob hilflos die Arme.
Aber der Bruder wollte ihm kein Gehör schenken. Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Zapperment! Spar dir deine dummen Ausflüchte! An die glaubst doch selbst net mehr wirklich!", schimpfte Max. "Ich habe gehofft, dass es net wahr ist. Aber nun scheint es ja wohl klar auf der Hand zu liegen! Es tut mir weh, das sagen zu müssen, Toni: Du bist ein Wildschütz! Aber glaub ja net, dass du jetzt glimpflicher davonkommst, als jeder andere, den ich hier oben hätte erwischen können, hörst du? Ein Verfahren werd' ich dir net ersparen können!"
"Nein!", rief der Toni. "Du irrst dich!"
"Das glaub' ich net! Aus welchem Grund solltest du wohl sonst hier oben sein!"
"Jedenfalls net, um zu wildern! Oder siehst du vielleicht ein Gewehr in der Nähe! Ich hab' keine Flinte dabei! Und auch sonst nix, was man zur Jagd so braucht!"
Max deutete in die Tiefe.
"Vielleicht finden wir deine Sachen dort unten", murmelte er düster.
"Das ist net wahr! Du kannst gerne nachschauen!"
"Dann hast die Sachen hier irgendwo versteckt! Hier oben gibt's ja mehr als genug Orte, an denen man so etwas sicher ablegen kann!"
Toni machte ein verzweifeltes Gesicht. Alles sprach gegen ihn und es schien keine Möglichkeit zu geben, den Bruder zu überzeugen.
"Du irrst dich, Max!"
"Und das Messer?"
"Ich hab's verloren!", behauptete der Toni. "Am selben Tag, an dem ich es kaufte! Das ist die reine Wahrheit, bei allem was mir heilig ist!"
Max machte eine verächtliche Geste.
"Was ist dir denn noch heilig, Bruder!" Er seufzte. "Es gab mal eine Zeit, da haben wir zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Nix und niemand konnt' uns auseinanderbringen. Weißt noch, wie wir oben auf Bergtour waren?"
"Freilich!", bestätigte der Toni.
"Aber das ist lang her...", murmelte Max traurig. "Ich weiß auch net, welcher Dämon zwischen uns gefahren ist..."
Toni versuchte sich zu erheben, stöhnte dann aber plötzlich auf.
Und da sah Max auf das Bein seines Bruders.
"Das sieht net gut aus!", meinte der Jäger. "Hast dir ganz schön was abgeschürft!"
"Ich fürchte, es ist doch mehr, so wie das wehtut!", gab der Toni zurück.
Toni versuchte, sich hinzustellen, brach aber gleich wieder ein.
"Sei vorsichtig, Toni!", forderte Max. "Sonst landest du doch noch da unten in der Tiefe!"
"Um einen Wilderer wär's doch net schad - oder irre ich mich?", knirschte der Toni zwischen den Lippen hervor. Er schien Schmerzen zu haben.
Max sah seinen Bruder seinen Bruder entsetzt an.
"Schmarrn!", entfuhr es ihm dann. "Wie kannst so etwas nur denken!"
Dann kümmerte sich der Jäger um das Bein, um es zu untersuchen. Der Toni schrie laut auf. "Willst mich umbringen?", rief er. "Ich wusst net, dass die Strafen für Wilderei so hart sind!", Er streckte den Arm aus. "Komm, Max, hilf mir auf!"
Aber der Jäger schüttelte den Kopf.
"Na", meinte er ernst. "Das Bein ist gebrochen!"
"Soll das ein Witz sein?"
"Ich bin kein Arzt, aber ein bisserl versteh' ich schon davon!"
Max erhob sich.
"Was hast du vor?", fragte der Toni da.
"Das Bein muss geschient werden. Aber hier oben ist nix vorhanden, was sich dazu eignet. Ich werde also ein Stück hinabsteigen. Ich Hochwald gibt's genug Holz. Und außerdem muss ich meine Jagdtasche holen, die ich zurückgelassen hab, denn da ist auch Verbandszeug drin! Rühr dich net vom Fleck, hast gehört?"
Über Tonis Gesicht ging ein mattes Lächeln.
"Mei, wie denn! Da brauchst wirklich keine Sorge zu haben!"
Die beiden Männer blickten sich einen Augenblick an.
Vielleicht war der erste Schritt zwischen ihnen schon getan.
Der Toni deutete indessen zum Himmel, an dem die Wolken sich zu immer bedrohlicheren Haufen aufgetürmt hatten.
Richtig düster war es geworden.
"Das Wetter macht mir zur Zeit am meisten Sorgen", meinte der Jungbauer und deutete mit dem Finger nach droben.
Max blickte ebenfalls kurz hinauf und nickte.
"Ein schönes Unwetter könnt das werden. Da braut sich ganz schön was zusammen... Ich hoffe nur, dass wir net mehr hier oben sind, wenn es losgeht!"
"Mei, das kannst du laut sagen", murmelte der Toni. Und auf einmal schien es so, als wäre wieder etwas von der alten Verbundenheit da, die die beiden Krainacher-Buben von früher her so innig miteinander verbunden hatte.
"Ich werde mich beeilen!", versprach Max und wandte sich dann zum Gehen.
15
Max ging den Weg zurück, den er gekommen war.
Mit schnellen, geschickten Bewegungen ging es über die schmalen Steige und die steilen Hänge hinab. Schließlich hatte er endlich die Stelle erreicht, an der er Gewehr und Jagdtasche zurückgelassen hatte. Er nahm die Sachen schnell an sich und blickte hinauf zum Himmel.
Täuschte er sich oder war das bereits ein fernes Grummeln, was da an sein Ohr drang?
Max hatte keine Zeit zu verlieren.
Er stieg also weiter hinab, bis er die ersten Bäume erreichte.
Aber als er das geschafft hatte, kamen bereits die ersten Tropfen vom Himmel, die nichts weiter als Vorboten des eigentlichen Unwetters waren. Erneut grollte es hinter den Wolken.
Bald würden Blitze über den Himmel zucken und wenn die düsteren Wolken erst einmal ihre Schleusen öffneten, dann wurde es oben bei den Felsen nass und schlüpfrig.
Max holte das lange Jagdmesser hervor und schnitzte damit von einen Ast zurecht, von dem er glaubte, dass er geeignet war, Tonis Bein zu schienen. Dann schnitzte er noch einen, der lang genug war, um als Krücke zu dienen.
Damit machte er sich auf den Rückweg zu seinem Bruder.
Indessen begann es am Horizont zu blitzen. Der Regen wurde stärker und der junge Jäger hatte alle Mühe, die glatten Hänge hinaufzukommen.
Immer weiter öffneten sich die Schleusen des Himmels und es dauerte nicht lang, da war der Krainacher-Max bereits völlig durchnässt.
Blitz und Donner wechselten sich in immer kürzer werdenden Abständen ab. Das Unwetter kam bedrohlich näher. Einmal rutschte Max um ein Haar ab, aber es gelang ihm im letzten Moment, sich an einem Strauch festzuhalten.
Dann erreichte er seinen Bruder, der inzwischen mühsam bis auf das Felsplateau gekrochen war.
"Mei, ich dacht' schon, du hast es dir anders überlegt und kommst gar net mehr!", meinte er. Aber seinem Gesicht stand ein verhaltenes Lächeln.
"Schmarrn!", meinte Max und machte sich gleich daran, das Bein seines Bruders zu versorgen.
"Das Wetter scheint sich geradezu gegen uns verschworen zu haben!", sagte Toni, während ihm der Bruder am Bein herumhantierte.
Beide waren sie schon bis auf die Haut nass.
Aber das war noch geringste Problem, mit dem sie zu kämpfen hatten.
"Ich muss dir jetzt leider etwas wehtun!", kündigte Max unterdessen an. "Lässt sich net vermeiden!"
Der Toni nickte entschieden.
"Mach nur!", meinte er. "Du weißt schon, was du tust - und ich werd's schon aushalten!"
Wenig später war Max mit dem verletzten Bein fertig. Er gab seinem Bruder die Krücke in die Rechte und dann versuchte er, ihm aufzuhelfen.
Es war nicht leicht, aber schließlich stand er, auf der einen Seite auf die Krücke, auf der anderen Seite auf den Max gestützt.
Der Abstieg war mühsam.
Schritt um Schritt ging es vorwärts und einmal rutschten sie an einem der steilen Hänge ein Stück hinab. Aber keiner von beiden verletzte sich dabei.
Wind kam auf und pfiff ihnen um die Ohren.
Sie erreichten gerade den Hochwald, als das Unwetter sie eingeholt hatte. Der Donner folgte jetzt unmittelbar auf die Blitze.
Immer wieder mussten sie anhalten und eine kurze Verschnaufpause einlegen, weil der Toni mit seinem schlimmen Bein nicht mehr weiter konnte.
"Es geht net mehr!", seufzte Toni. "Lass uns irgendwo einen Unterschlupf suchen, bis dieses Wetter vorbei ist, Max!"
"Einen Unterschlupf? Mei, ich wüsst net wohin, Toni!"
"Du kannst mich ja ier oben zurücklassen und dann ins Tal gehen, um Hilfe zu holen!"
"Net bei diesem Wetter! Dann ist es nämlich ganz und gar net ungefährlich hier oben! Du erinnerst dich sicher noch an den gewaltigen Erdrutsch, den wir im vorigen Jahr hatten, und der den Siedler-Luis das Leben gekostet hat!"
Der Toni rang verzweifelt mit den Armen.
"Ja, freilich erinnere ich mich! Aber was sollen wir denn tun?"
Max überlegte einen Moment.
Im nächsten Moment blitzte es und dann gab einen furchtbaren Donner. Die beiden Männer fuhren zusammen, als sie das Geräusch von splitterndem, berstendem Holz vernahmen.
"Mein Gott! Der Blitz muss in einen Baum hineingefahren sein", murmelte der Toni. "Und zwar ganz in der Nähe!" Er wandte sich an seinen Bruder. "Ich schaffe es nicht mehr, Max!"
"Hier oben ist doch auch die Hütte vom alten Greindl", murmelte Max. "Seit er tot ist, ist sie unbewohnt. "Glaubst du, du schaffst es bis dorthin?"
Toni zuckte die Schultern.
"Versuchen wir's."
16
Sie brauchten lange, bis sie die Hütte des alten Greindl endlich erreichten. Aber dort würden sie wenigstens ein Dach über dem Kopf haben. Das Gewitter hatte inzwischen ein wenig nachgelassen, doch dafür war der Regen um so heftiger geworden.
"Mei, wir wollen nur hoffen, dass es dieses Jahr keinen Erdrutsch gibt!", meinte der Jäger. "Bei solchen Wassermassen, da kommt der Berg schnell in Bewegung und dann kann ihn nix mehr aufhalten."
Max stützte seinen Bruder und gemeinsam gingen sie dann in die Hütte. Die Tür war nicht verschlossen. Innen war alles noch so, wie damals, als der alte Greindl gestorben war, der hier oben so lange Jahre fast wie ein Einsiedler gelebt hatte.
Es gab einen Tisch und einen Stuhl, beide aus Holz. Einen zweiten Stuhl gab es nicht. Der alte Greindl hatte den offenbar auch nicht nötig gehabt, da er so gut wie nie Besuch empfangen hatte.
Nur die Spinnweben und der Staub verrieten, dass hier seit langem niemand mehr gewohnt hatte. Ansonsten hätte man denken können, der alte Greindl müsse jeden Moment von draußen hereinkommen.
Als Buben hatten die beiden Krainacher-Jungen den alten Mann ab und zu besucht. Greindl war immer etwas wunderlich gewesen und hatte stets den Eindruck gemacht, als ob ihn ein Geheimnis umgäbe.
Aber das alles war nun schon viele Jahre her.
"Komm, leg dich auf das Bett!", wies Max seinen Bruder an, der dem auch widerspruchslos folgte. Max half ihm dabei nach Kräften.
"Mei, an dir ist ein Krankenpfleger oder Arzt verloren gegangen!", meinte der Toni.
Unterdessen prasselte der Regen auf das Dach hernieder.
Max stellte sich an eines der Fenster und blickte nachdenklich hinaus.
Dann murmelte er auf einmal: "Ich verstehe es noch immer net!"
"Wovon sprichst du?"erkundigte sich der Toni mit gerunzelter Stirn.
Max drehte sich nicht herum, als er fortfuhr.
"Hättest du dich beherrschen können und net versucht, nochmal auf Pirsch zu gehen, säßen wir jetzt net in diesem Schlamassel!"
"Mei, wie kann dich nur überzeugen, Max?", rief der Krainacher-Toni verzweifelt aus.
"Vielleicht indem du mir endlich wahrheitsgemäß zugibst, weshalb du wirklich hier oben warst!", gab Max zurück. "Ich glaub' nämlich net, dass du einfach nur so auf Bergtour gegangen bist!"
Der Toni atmete tief durch.
Dann setzte er sich auf und erklärte: "Also gut. Ich werd's dir sagen - obwohl du mir mit Sicherheit auch das net glauben wirst!"
Max wandte sich herum, musterte seinen Bruder einen Augenblick lang und setzte sich dann auf den Stuhl. "Nun sag schon!", forderte er dann. "Brauchst mich net so lang auf die Folter zu spannen, Toni!"
"Ich war hier oben wegen dem Wilderer!", erklärte er dann und Max glaubte, sich verhört zu haben.
"Der Wilderer? Das bist doch du! Bist jetzt völlig narrisch geworden?"
Doch Toni schüttelte den Kopf.
Er wirkte ganz ruhig und schien auch sehr genau zu wissen, was er da sagte.
"Vielleicht hörst du mir einfach mal zu, Max! Könnt' ja sein, dass es ganz aufschlussreich für dich ist, was ich zu sagen habe! Einen Lügner schimpfen kannst du mich auch hinterher noch, meinst net auch?"
Max seufzte und nickte dann.
Er wusste, dass sein Bruder in diesem Punkt recht hatte, also sagte er: "Na, gut! Dann lass mal hören!"
"Ich habe das Messer verloren, das hab' ich dir ja schon gesagt!"
"Ja", kam es etwas ungeduldig aus dem Mund des Jägers, der sich nach wie vor fragte, worauf das ganze wohl hinauslaufen sollte.
"Ich habe nochmal darüber nachgedacht. Vom Laden des Surbachers bin ich an jenem Tag direkt zum Bernmayer-Hof gegangen..."
"Der Marianne wegen, was!", unterbrach ihn Max.
"Ja, das ist wahr! Aber das tut im Moment doch nix zur Sach', oder meinst net?"
"Weiter, Toni!", forderte der Jäger.
"Ich glaube, dass ich das Messer mit dem röhrenden Hirschen auf dem Perlmuttgriff dort verloren hab. Jedenfalls war es net mehr in meiner Tasche, als ich von dort aufgebrochen war!"
Max schüttelte den Kopf.
"Du bist wirklich narrisch geworden! Und zwar komplett! Glaubst vielleicht, die Marianne ist der Wilderer? Also soviel konnte ich von dem Unhold noch sehen, dass ich weiß, ob es ein Mann oder eine Frau war, der da auf der Lichtung mit seiner Beute davonzog!"
"Net die Marianne. Und auch net der Bernmayer-Bauer, Max! Aber ein guter Kletterer muss es doch gewesen sein, oder etwa net?"
Max nickte.
"Ja, das hab ich auch angenommen", bestätigte er. "Anders kann ich mir jedenfalls net erklären, wie er so schnell hat verschwinden können!"
"Ich spreche von deinem Freund Sepp. Der ist ein guter Kletterer", sagte Toni so ruhig er konnte.
Max sah seinen Bruder ganz entgeistert an.
"Was? Das ist doch net dein Ernst?"
"Deshalb bin ich hier oben, Max! Ich wusste, das alles gegen mich sprach und mir auch der Vater net wirklich geglaubt hat! Die einzige Möglichkeit für mich, mich reinzuwaschen war, den wirklichen Wildschütz zu finden..."
"Und da bist einfach so zum Hochwald aufgebrochen?", hakte der Jäger nach.
Doch Toni schüttelte energisch den Kopf, als er mit seiner Erzählung fortfuhr.
"Nein. Nachdem ich den Sepp in Verdacht hatte, bin ich zum Bernmayer-Hof, um den Sepp zur Rede zu stellen. Aber der Sepp war net da. Er hatte den Bauern um einen freien Tag gebeten. Und der Bauer sagte mir, dass er das in letzter Zeit recht oft getan hätte... Deshalb bin ich hier hinauf gekommen! Weil ich sicher war, ihn hier irgendwo zu finden! Glaub' mir, Max! Er hat das Messer gefunden und es behalten - und später hier oben auf der Lichtung verloren!"
Der junge Jäger stand auf und ging zum Fenster. Er blickte nachdenklich hinaus in den Regen.
"Ich kann es net glauben", murmelte er schließlich völlig fassungslos.
"Ich weiß, das dir das schwerfällt, Max!", hörte er Toni aus dem Hintergrund heraus mit belegter Stimme sagen. "Der Sepp ist ein alter Freund von dir und ich hab mich auch immer gut mit ihm gestanden! Aber was ich sage ist nun einmal die Wahrheit, Max! Auch wenn es schmerzt!" Er zuckte die Achseln und setzte dann hinzu: "Der Sepp muss ja deshalb auch kein schlechter Mensch geworden sein. Vielleicht ist er da nur so hineingeraten. Du weißt doch am besten, was für ein Geweih gezahlt wird! Vielleicht hatte er Geldsorgen und hat es deshalb getan!"
Aber der Max war noch nicht überzeugt.
"Ich weiß noch net, was ich von deiner Geschichte halten soll, Toni!", bekannte er.
"Leider bin ich dort droben auf dem schmalen Steig verunglückt, sonst hätte ich dir beweisen können, dass ich die Wahrheit sprech'! Aber jetzt..." Er sprach nicht weiter.
Nach kurzer Pause fuhr er dann fort: "Der Sepp wird genau wie wir irgendwo untergekrochen sein, sofern ihm nix passiert ist!"
"Sei still!", fuhr ihn da plötzlich der Max an.
Der Toni schaute ratlos drein.
"Was ist los? Hab' ich was Falsches gesagt, dass dich ärgerlich gemacht hat!"
"Schmarrn! Ein Geräusch hab ich gehört!", erwiderte der junge Jäger, dessen Rechte die Flinte nahm.
17
Max blickte kurz aus dem Fenster, aber da war nichts zu sehen.
Jetzt waren die Schritte deutlicher zu hören. Die beiden Brüder waren wie erstarrt und warteten ab. Jemand machte sich nun an der Tür zu schaffen und einen Moment später wurde sie aufgestoßen.
Ein hochgewachsener Mann stand zwischen den Pfosten. Auf dem Kopf trug er einen völlig durchnässten, dunkelroten Hut, von dem das Wasser tropfte.
Über der Schulter hingen ein Jagdgewehr und eine Jagdtasche.
Nein, da konnte es keinerlei Zweifel mehr über den Grund geben, aus dem dieser Mann hier oben im Hochwald unterwegs war!
Der Mann blickte auf und erstarrte dann mitten in der Bewegung.
"Mei...", murmelte er nur und blickte die beiden Krainacher-Brüder an, als hätte er zwei leibhaftige Berggeister vor sich.
"Sepp!", entfuhr es Max, wobei er fassungslos den Kopf schüttelte.
So hatte sein Bruder also recht gehabt und er hatte ihm mit seinem Verdacht Unrecht getan.
Sepp ließ die Schultern hängen.
"Komm rein", wies Max ihn an und so trat der Großknecht ein und schloss die Tür hinter sich.
Sepp ließ Flinte und Jagdtasche zu Boden gleiten und nahm dann den nassen Hut vom Kopf.
Er zuckte mit den Schultern.
"Ich glaub', ich brauch da nix mehr zu sagen", murmelte er und machte ein Gesicht, als wollte er am liebsten im Boden versinken.
"Nein", murmelte der junge Jäger. "Das brauchst wirklich net mehr! Jetzt ist mir alles klar." Er wandte sich an seinen Bruder. "Tut mir leid, dass ich dich in Verdacht hatte, aber..."
"Ist schon gut, Max! Ich hätte an deiner Stelle net anders gedacht!"
Der Sepp machte eine ärgerliche Geste und warf wütend den dunkelroten Hut in die Ecke.
"So hast du mich also erwischt, Max!", murmelte er. "Zu dumm! Ich hätt' hier in der Hütte vom alten Greindl keinen Unterschlupf suchen sollen!"
Max hatte noch immer nicht so recht verdaut, dass es sein Jugendfreund war, hinter dem, er die ganze Zeit über vergeblich hergejagt war.
"Der Toni hat mir gesagt, dass er dich verdächtigt", murmelte er kleinlaut. "Aber ich hab's einfach net glauben wollen!"
Der Großknecht vom Bernmayer-Hof sah ziemlich geknickt aus.
"Du musst net zu schlecht von mir denken, Max!", versuchte Sepp seine Handlungsweise zu erklären. "Ich weiß, das ich im Unrecht bin, aber..."
Er schluckte.
"Ja?", fragte Max.
"Du kennst doch sicher die Vroni, die Tochter vom Riedlinger..."
"Freilich kenne ich die!", bestätigte Max. "Wir wollen heiraten und für den Anfang, da braucht man schon etwas Geld. Verstehst mich?"
Max nickte.
"Aber doch net auf die Art!"
"Das ist mir jetzt auch klar. Aber wenn man einmal angefangen hat und es dann immer wieder glatt über die Bühne geht, ohne dass man erwischt wird... Vielleicht verstehst mich wenigstens ein bisserl, Max!"
Max brummte etwas Unverständliches vor sich hin, dann tat er die Flinte zur Seite und drehte sich wieder um Fenster. Er schien nachzudenken.
Als er sich dann wieder halb herumdrehte, fragte er: "Was glaubst du, wie es jetzt weitergehen soll, Sepp?"
Der Sepp zuckte die Schultern, kam etwas näher und setzte sich dann auf den Stuhl.
Er seufzte schwer und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
"Wir sind Freunde, Max. Seit frühester Jugend. Und deshalb kann ich net von dir verlangen, dass du einfach die Augen zumachst und so tust, als wär' nix gewesen! Wenn das dann herauskommen sollte, bist du dran! Wahrscheinlich müsstest du sogar deinen geliebten Beruf aufgeben - und das wär' die Sach' nun wirklich net wert." Einen Moment noch schien der Großknecht vom Bernmayer-Hof mit sich zu ringen, bevor er seinen Entschluss schließlich herausbrachte: "Ich werd' mich selber stellen", erklärte er. "Du kannst dich da auf mich verlassen, Grünrock!"
Max nickte.
"Gut, dann tu das", sagte er.
"Was wird mich erwarten?", fragte der Sepp.
"Ein Verfahren wegen Wilderei wird man dir net ersparen können. Aber wenn du dich selber stellst, wirst wohl glimpflich davonkommen", erwiderte der Jäger.
"Wirst ein Wörtl für mich einlegen, Max?"
"Sicher doch!", nickte der Max. "Aber jetzt musst mir erst noch helfen! Der Toni ist schwer verletzt und mit deiner Hilfe wird's sicher leichter, ihn ins Tal zu schaffen!"
Ein mattes Lächeln ging über das Gesicht des Großknechts.
"Gewiss", murmelte er.
"Was habt ihr vor?", fragte indessen der Toni vom Bett aus.
"Wir werden uns in der Hütte ein wenig umsehen. Vielleicht finden wir ja etwas, woraus wir eine Art Trage machen können!"
18
"Endlich scheint das Unwetter nachzulassen", sagte die Marianne, während sie am Fenster stand hinaus zu den drohenden Wolken blickte.
"Mei, so ein Wetter hatten wir schon lang net mehr!", hörte sie die Stimme des Vaters. "Wie gut dass wir kein Heu mehr draußen hatten!"
"Ja", bestätigte die Mutter. "Das hätt' was gegeben."
"Was meinst? Ob der Max jetzt wohl da oben im Hochwald ist?", fragte die Marianne laut an den Vater gewandt.
"Ich weiß net", meinte dieser und zuckte die Schultern. "Es ist sein Beruf."
Jetzt mischte sich die Bäuerin ein.
"Mei, ich weiß gar net, warum sich das Madel noch so große Gedanken um den Max macht, wo er doch ganz augenscheinlich mit ihr gebrochen hat und nix mehr mit ihr zu tun haben will! Verstehst du das, Loisl?"
"Gedanken machen darf sich das Madel doch um wen sie will", meinte der Vater augenzwinkernd. "Außerdem ist's doch mit den Gefühlen net so, dass man sie an und ausschalten kann wie einen Lichtschalter!" Der Bernmayer-Bauer wandte sich an seine Tochter und versuchte sie ein wenig zu beruhigen. "Ich würd' mir keine Sorgen um den Max machen, Madel! Der weiß schon auf sich aufzupassen, der junge Grünrock! Ich glaub net, dass dem so schnell etwas zustoßen kann! Da bin ich mir ganz sicher!"
"Meinst du wirklich, Vater?", fragte Marianne.
"Aber gewiss doch!", bestätigte der Bernmayer und steckte sich dabei die Pfeife in den Mund.
"Bei so einem Wetter ist es da droben net ungefährlich!", gab die Marianne unterdessen zu bedenken.
"Madel, wenn er wirklich da oben ist, wird er sich schon einen geeigneten Unterschlupf gesucht haben. Die Hütte vom alten Greindl zum Beispiel. Die steht doch schon seit Jahren leer."
Einen Moment später klopfte es an der Tür.
"Wer kann das sein?", fragte die Mutter.
Der Bauer erhob sich und zuckte die Schultern. "Vielleicht ist es der Sepp! Kann ja sein, dass er früher zurückgekommen ist, weil er sich mit dem Madel zerstritten hat, hinter dem er seit einiger Zeit her ist!"
Aber die Marianne schüttelte den Kopf.
"Ich glaube net, dass es der Sepp ist", meinte sie. "Der würde bei uns doch net klopfen!"
Der Bauer ging zur Tür und öffnete.
Inzwischen hatte der Regen fast ganz aufgehört. Der düstere Himmel war aufgerissen und die ersten Sonnenstrahlen kamen hervor.
Sicher würde man bald einen wunderschönen Regenbogen bewundern können.
Draußen vor der Tür stand ein kleiner, hagerer Mann mit struppigem Bart.
Der Bauer kannte ihn nur zu gut. Es war der Franz vom Riedlinger-Hof.
"Grüß dich, Bernmayer!", sagte dieser.
"Grüß dich, Franz!", gab der Bernmayer-Loisl zurück. "Was führt dich bei diesem Sauwetter zu mir auf den Hof?"
"Ich komme gerad' vom Kreuztal her. Es hat einen Erdrutsch gegeben."
"Was?", entfuhr es dem Bernmayer-Loisl.
"Du kennst sicher den Westhang, an dem die Hütte vom alten Greindl liegt!"
"Freilich kenne ich die!", bestätigte der Bernmayer.
Franz nickte. "Dort ist das Erdreich mit aller Gewalt herabgekommen und hat alles mit sich gerissen. Die Bahngleise, die durch das Tal führen, sind net mehr passierbar."
"Mei, weiß man schon, ob jemand zu Schaden gekommen ist?", fragte der Bauer.
Der Franz schüttelte den Kopf.
"Nein, das wird sich wohl erst noch herausstellen müssen. In der Gegend wohnt ja niemand mehr, seit der alte Greindl von uns gegangen ist. Und wer dort unterwegs war, das kann man net so einfach feststellen."
"Ich hoffe nur, dass der Max net gerad' da auf die Pirsch gegangen ist", murmelte indessen die Marianne, deren sonst so rosiges Gesicht jegliche Farbe verloren zu haben schien.
"Wird er schon net!", meinte die Mutter nervös. "Wirst schon sehen!"
Inzwischen fragte der Bernmayer-Loisl den Franz: "Willst hereinkommen und dich ein bisschen aufwärmen? Bist ja ganz durchnässt!"
Aber de Franz schüttelte den Kopf.
"Nein, ich muss noch weiter! Aber schönen dank für das Angebot! Aber sollte sich herausstellen, dass doch jemand in Not gekommen ist und Hilfe gebraucht wird, kann ich doch sicher auch auf dich zählen, net wahr?"
"Freilich!", nickte der Bernmayer.
Und damit war der Franz dann auch schon wieder weg.
Der Bauer schloß die Tür und seine Frau meinte: "Wir sollten Gott danken, dass es das Kreuztal getroffen hat, wo niemand wohnt!"
Der Bauer nickte.
"Du hast schon recht. Es hätte weitaus schlimmer kommen können."
19
Die Stunden vergingen und es wurde langsam Abend. Als es dunkel geworden war, kam ein weiterer Besucher zum Bernmayer-Hof.
Es war niemand anderes, als der Krainacher-Bauer, der sich Sorgen um seinen Max machte.
"Der Bub müsste längst zurück sein!", berichtete er. "Ich dachte, dass er vielleicht hier bei euch ist! Schließlich wär's ja net das erste Mal!"
"Gewiss net", erwiderte der Bernmayer. "Aber hier ist er net!"
"Dann muss er noch da oben sein!", murmelte der Krainacher und deutete dabei in Richtung der Berge, die sich schwarz gegen den dunklen Himmel abhoben.
"Vielleicht braucht er Hilfe!", mischte sich die Marianne ein. "Wir sollten aufbrechen, um ihn zu suchen!"
"Wo sollten wir da anfangen?", meinte der Bernmayer-Bauer.
"Sein Revier dort droben ist groß. Und wer sagt, dass er gerade dort war, wo der Erdrutsch stattgefunden hat?"
"Das Madel hat recht!", meinte der Krainacher entschieden.
"Ich kann jedenfalls net mehr einfach untätig dasitzen. Das schaff ich net!"
"Wir könnten ein paar Leut zusammenrufen und mit Hunden eine Suche beginnen", schlug das junge Madel vor.
Der Bernmayer zuckte die Schultern.
"Mei, ich will mich gern beteiligen! Warum hast deinen zweiten Sohn net mitgebracht, Krainacher? Dann wären wir schon ein Mann mehr!"
"Er ist net daheim", berichtete der Krainacher.
"Und du weißt net, wo er ist?"
"Na, er hat net mit mir darüber gesprochen! Ich hoffe nur, dass er net auch aus unerfindlichen Gründen auf die Idee gekommen ist, dort droben hin zu wandern!"
"Naja", meinte der Bernmayer. "Herbeizaubern können wir ihn net. Genau dasselbe gilt für meinen Großknecht, den Sepp. Der ist auch net hier."
"Wir werden es auch so schaffen!", meinte die Marianne voller Zuversicht. "Jedenfalls sollten wir net noch länger herumreden, sondern endlich etwas tun!"
"Vielleicht brauchen wir gar nix mehr zu tun!", meinte unterdessen die Bäuerin, die am Fenster stand und hinaus in die Ferne blickte. "Seht mal, da scheint jemand zu kommen!", setzte sie dann noch hinzu.
20
"Mei, bin ich froh!", meinte der Krainacher-Toni, der von Max und Sepp auf einer behelfsmäßigen Trage transportiert wurde. "Das da drüben muss der Bernmayer-Hof sein, wenn mich net alles täuscht!"
Auf das Drängen vom Max hin waren sie ziemlich bald von der Hütte des alten Greindl aus aufgebrochen - obwohl es da noch kräftig geregnet hatte.
Doch jetzt war es ihr Glück, denn sonst hätte der Erdrutsch sie ohne Zweifel erfasst.
"Ja, freilich ist das der Hof vom Bernmayer-Bauern", murmelte der junge Jäger und dabei musste er unwillkürlich an die Marianne denken, jenes Madel, das er so liebt und dass ihn doch so enttäuscht hatte.
Jetzt würde er dem Madel unweigerlich wieder gegenübertreten müssen.
Sein Herz wurde schwer bei dem Gedanken, denn nach wie vor hing er an ihr, auch wenn er es sich selbst nicht so recht eingestehen mochte.
Und da sah er auch schon vier Gestalten auf sie zukommen.
Und eine davon hatte es besonders eilig. Max erkannte sie gleich an ihren wehenden Haaren.
"Max, ich muss dir noch was sagen, bevor das Madel uns erreicht!", hörte der Jäger die Stimme seines Bruders. "Zwischen der Marianne und mir, da war nix. Ich hätt's dir gleich droben, beim Heustadel sagen sollen, aber ich war so wütend auf sie, weil nur Augen für dich gehabt hat! Ich habe ihr die Hand gehalten, weil ich mich bei ihr für mein heftiges Auftreten entschuldigen wollte... Du weißt, in der Nacht zuvor war ich auf dem Bernmayer-Hof und war etwas ausfallend..."
"Ich hab dich an jenem Abend gesehen", meldete sich der Sepp zu Wort. "Und kurz hinterher habe ich mit der Bernmayerin ein Wörtl gewechselt - aber sie hat mir die Sach' ganz anders geschildert!"
"So?", fragte der Max. "Wie denn? Da bin ich ja mal gespannt!"
"Sie hat halt so Andeutungen über die Marianne und den Toni gemacht! Und das hab ich natürlich auch dir gleich weitererzählt, Max!"
Jetzt verstand der Max.
Eine schöne kleine Intrige war das gewesen! Die Bernmayerin schien den Gedanken an die Zusammenlegung der beiden Höfe nicht so schnell aufgegeben zu haben!
"Mei, so hab ich dem armen Madel Unrecht getan! Sie hatte recht, es war nur ein Missverständnis!"
"Also wenn's mein Fall wär', ich würd' mit der zukünftigen Schwiegermutter noch Hühnchen rupfen, bevor's zum Altar geht!", meinte der Sepp.
Aber Max schüttelte den Kopf.
"Nein, ich will net nachtragend sein", meinte er dazu und lächelte nun, denn in diesem Moment kam ihm die Marianne entgegen gestürmt.
Sie blieb kurz vor ihm stehen.
"Max", murmelte sie. "Ich möchte dir erklären..."
"Es gibt nix zu erklären, Madel! Ich hätte dir von Anfang an mehr Vertrauen schenken sollen!"
Weiter kam der junge Jäger nicht mehr, denn dann schlag die Marianne ihre schlanken Arme um den Nacken ihres geliebten Max, der ganz schön aufpassen musste, das Gleichgewicht zu behalten und die Trage mit seinem Verletzten Bruder nicht fallenzulassen.
"Ich bin ja so froh, dass dir nix passiert ist, Max!", stieß das Madel dann hervor.
Wenig später kamen dann auch die anderen.
"Mei, was macht ihr für Geschichten!", rief der Krainacher-Bauer erstaunt, als er seine beiden Söhne sah. "Was ist passiert?", wollte er wissen. "Ihr habt euch doch wohl net etwa was angetan?"
"Aber nein!", antwortete der Toni. "Der Max hat mir das Leben gerettet als ich droben bei den Felsen von einem Steig abgerutscht bin..."
"Aber das ist eine lange Geschichte", ergänzte der Max augenzwinkernd. "Und die werden wir net erzählen, bevor wir net in der Stube sitzen. Außerdem muss der Toni ins Spital. Sein Bein ist gebrochen!"
Der Krainacher-Bauer seufzte und meinte dann: "Na, wenigstens scheint euer Hader jetzt ein Ende zu haben."
"Das ist wahr!", bestätigte Max und Toni nickte.
21
Der Toni kam ins Spital und genas bald wieder. So oft es ihr die Arbeit im Laden des alten Surbacher erlaubte - kam die Anne, um ihn während dieser Zeit zu besuchen.
Die Monate gingen dahin, der Winter kam mit klirrender Kälte und verwandelte die Bergwelt in eine weiße Schneelandschaft.
Die Krainacher-Brüder verstanden sich wieder genauso gut wie in alten Zeiten. Und bald trauerte der Toni auch der Bernmayer-Marianne nicht mehr hinterher, denn ihm war längst klar geworden, dass das Herz des Madels ihm zu keiner Zeit gehört und er deshalb in Wahrheit auch nichts verloren hatte.
Stattdessen sponnen sich zwischen ihm und der Anne Surbacher nach und nach zarte Bande, so dass im Frühjahr auf dem Krainacher-Hof eine Doppelhochzeit gefeiert werden konnte.
Der Max nahm seine Marianne zu Frau und der Toni führte die Anne vor den Altar.
In der Kirche glitzerten dann sogar in den Augen der Bernmayer-Bäuerin ein paar Tränen der Rührung, obwohl sie doch eigentlich versucht hatte, zu verhindern, dass ihre Tochter einen Jäger zum Mann nahm, anstatt den Erben vom Krainacher-Hof.
Aber auch sie hatte inzwischen erkannt, dass es Dinge gibt, die man nicht nach Belieben steuern kann und so hatte sie sich mit dem Schicksal versöhnt.
Der Pfarrer gab den jungen Paaren seinen Segen und danach wurde ein zünftiges Fest gefeiert, mit Musik und Tanz und viel Wein.
"Die Anne wird mir im Laden sehr fehlen!", meinte der alte Surbacher, der mit dem Krainacher-Bauern und dem Loisl Bernmayer an einem Tisch saß. "Will mir noch gar net in den Kopf, dass das Madel jetzt Bäuerin werden soll!" Er zuckte die Schultern trank sein Weinglas leer. "Aber so geht der Lauf der Zeit. Ich werde es schon schaffen. Und das Wichtigste ist doch, dass das Madel glücklich wird."
"So ist es!", bestätigte der Krainacher.
Der Surbacher lächelte. "Bist sicher froh, dass deine Söhne sich wieder vertragen, was?"
"Das kann wohl sagen!", nickte der Krainacher. "Es ist net gut, wenn zwei Streithähne unter einem Dach leben! Aber das ist ja nun Gott sei Dank alles vorbei!"
Der Surbacher blickte dann von einem der beiden Bauern zum anderen und fragte dann an den Bernmayer gewandt: "Wie ist das denn nun, Bernmayer? Gibt dein Schwiegersohn die Jägerei auf und wird dereinst dein Nachfolger?"
Der Bernmayer seufzte.
"Zunächst sind wir ja noch da, meine Frau und ich. Und was geschieht, wenn das einmal net mehr so ist, das wird die Zukunft zeigen, Surbacher!"
Und dann blickten die drei Männer zu den Tanzenden hin und sahen die beiden jungen Paare sich im Kreise drehen.
"Mei, so hat sich doch noch alles zum Guten gewendet", meinte die Marianne zum Max und legte den Kopf an dessen breite Schulter. "Weißt noch, wie das war, als ich schon glaubte, du wärst verloren für mich?"
"Ja", nickte der Jäger. "Aber so soll es net wieder sein zwischen uns."
"Versprichst du mir das, Max?"
"Das verspreche ich dir!"
ENDE
Expedition ins Glück
Alpendoktor Daniel Ingold – Band 4
von Anna Martach
Diesmal bekommt es Alpendoktor Daniel Ingold mit geradezu „unterirdischen“ Problemen zu tun. Gefühle geraten ins Rutschen, und so manche gute Absicht scheint verschüttet unter vergangenen Traumata. Wird die Erde im alpinen Hindelfingen am Ende wieder Ruhe geben?
1
Jemand schrie. Bremsen kreischten, dann gab es einen Knall, und schließlich herrschte für einen Moment totale Stille. Danach setzte allerdings eine Art Inferno ein, Geräusche, die sich überlagerten, Stimmengewirr, laute Rufe – und dazwischen der gequälte Schrei eines verletzten Tieres.
„Einen Arzt, so hol’ doch jemand einen Tierarzt“, brüllte eine verzweifelte Männerstimme.
Aus dem Auto, das gerade den Unfall verursacht hatte und jetzt mit dem Kühler gegen ein Straßenschild gefahren war, stieg ein Mann aus. Er sah ausgesprochen zornig aus, und sein Blick richtete sich anklagend auf den anderen Mann, der am Boden neben einem großen Bernhardiner hockte und in einer verzweifelten Geste über das Fell des Hundes strich.
„Sind S’ eigentlich verrückt geworden?“, brüllte der Fahrer. „Wie können S’ mit Ihrem Köter einfach über die Straße laufen? Haben S’ mich denn net gesehen?“
Nur langsam hob der andere Mann den Kopf. „Jemand wie Sie sorgt schon dafür, dass man ihn net übersieht. Aber die Ampel war rot für Sie. Und nun haben S’ meinen Othello angefahren.“ Er brach ab und kämpfte mit den Tränen.
„Die Ampel stand net auf Rot, das hätt’ ich doch gesehen. Ich hab’ noch nie eine rote Ampel überfahren“, behauptete der Fahrer.
Doch die Menschenmenge, die sich hier bereits in kurzer Zeit gebildet hatte, starrte ihn feindselig an. Offenbar war seine Behauptung wohl doch nicht so ganz richtig, denn eine Stimme aus der Menge meldete sich zu Wort. „Ich hab’s auch gesehen, das Auto ist einfach weitergefahren.“
„Lügen tät’ Ihnen auch nix nutzen. Hier sind Zeugen, die alles gesehen haben.“ Der Mann mit dem Hund blieb ruhig bei seinem Tier sitzen.
„Schmarrn.“
„Lassen S’ mich durch, ich bin Tierärztin“, erklang eine helle Stimme. Bernie Brunnsteiner hatte gerade ein paar Besorgungen gemacht und kam jetzt zufällig richtig, um zu helfen. Sie warf dem Fahrer des Autos einen niederschmetternden Blick zu. Ihr war der ganze Vorgang klar, weil sie das laut geführte Gespräch gehört hatte.
„Leut’ wie Ihnen sollt’ man den Führerschein abnehmen. Erst Fehler machen, Mensch und Tier verletzen, und dann auch noch anderen die Schuld in die Schuhe schieben – pfui!“
„Was tät’ Ihnen denn einfallen?“ Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte der Mann sich auf Bernie stürzen, aber da hatte er nicht mit den Bewohnern von Hindelfingen gerechnet. Er hatte kaum eine Bewegung auf die Tierärztin zu gemacht, als auch schon drei Männer gegen ihn standen, die Fäuste erhoben und mit einem ausgesprochen unfreundlichen Ausguck in den Augen dafür sorgten, dass er zwei Schritte zurückwich.
„Lasst’s ihn, Burschen, macht’s euch net die Händ’ schmutzig. Der Obermayr Schorsch kann sich drum kümmern, ist ja schließlich seine Aufgabe als Polizist.“
Wie auf ein Stichwort hin kam der Streifenwagen auch schon angefahren. Bernie, die sonst immer nett und freundlich war, ärgerte sich maßlos über diesen rücksichtslosen Kerl. Der hatte doch tatsächlich jetzt auch noch die Stirn, auf die Uhr zu schauen, als wenn er damit sagen wollte, diese Angelegenheit stehle ihm die Zeit.
Na, der Obermayr würde ihn schon belehren, dass er jetzt Zeit haben musste.
Die junge Frau beugte sich über den großen Hund, der instinktiv zu wissen schien, dass jemand ihm helfen wollte.
„Gehen S’ bitte etwas an die Seite“, bat Bernie und schaute den Besitzer des Tieres erst einmal richtig an. Bestimmt war das einer der Touristen aus dem Feriendorf, denn dieses Gesicht kannte sie nicht, das war kein Einheimischer. Aber fesch schaute er aus, mit dunklen Augen und schwarzen Haaren, einem Grübchen am Kinn und kräftigen Händen.
„Ich tät’ aber gern bei ihm bleiben“, entgegnete er leise und strich seinem Hund wieder durch das Fell, als könnte er allein dadurch schon helfen.
„Lassen S’ mich erst mal schauen. Vielleicht ist ja alles gar net so schlimm. Wie heißt denn dieser prächtige Bursche eigentlich?“ Es handelte sich bei dem Bernhardiner wirklich um ein besonders schönes Tier, gut gepflegt und auch wohlerzogen, soweit man das jetzt schon sagen konnte. Er machte jedenfalls keine Anstalten, in Gegenwart seines Herrn die helfenden Hände der Tierärztin abzuwehren. Allerdings konnte Bernie sich auch gut vorstellen, dass dieses Tier mit aller Kraft zum Beispiel das Haus bewachen würde, wenn es allein war.
Allerdings war der Besitzer offensichtlich mehr aufgeregt als das verletzte Tier. Bernie wusste, dass oft genug die Halter der Tiere körperlich mit krank wurden, wenn ihrem Liebling etwas zugestoßen war. Eigentlich schaute dieser Mann nicht so aus, als hinge er mit einer derart übertriebenen Liebe an dem Bernhardiner, aber man konnte ja nie wissen.
„Othello Maximilian Reinhardt von der Gröben zu Drachenstein.“
Bernie lachte leise auf. „Da tät’ der Stammbaum ja länger sein als der Schwanz. Aber einen berühmten Namen hat er schon. Ist eine besonders gute Zucht. Othello also.“
Sie horchte gewissenhaft mit dem Stethoskop alles ab, bewegte die Glieder und lächelte den Besitzer dann aufmunternd an. „Ich glaub’, Ihr Othello hat eine Menge Glück gehabt. Da scheint’s eine ordentliche Prellung an den Rippen zu haben; und da an der Schulter, wo ihn wohl das Auto getroffen hat, ist eine hässliche Fleischwunde, die ich wohl besser nähen sollt’. Aber davon abgesehen macht der Hund einen guten Eindruck. Liegt natürlich auch daran, dass er selbst für einen Bernhardiner ein kräftiger Kerl ist.“
„Da dank ich Ihnen auch, Frau Doktor. Aber – ich mein – da werden S’ doch den Othello net hier draußen auf der Straße versorgen wollen ...?“
Verwirrt hielt der Mann inne, als Bernie lachte. „Das hatte ich eigentlich nicht vorgehabt. Wir bringen ihn in meine Praxis. Allerdings fürcht’ ich, da werden wir Hilfe brauchen, denn zwei Mannsleut’ sollten ihn schon tragen, wenn er net allein laufen kann.“
Der Bursche machte dem Tier ein Zeichen, es sprang auf und stand mit bebenden Flanken da. Bernie lächelte anerkennend.
„Na, kannst ja doch aufstehen. Und ich hatt’ mich schon ein bisserl gewundert. Bist ein feiner Kerl.“ Sie kraulte den Hund, dann aber richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Obermayr Schorsch, der es mit dem Unfallfahrer nicht so ganz einfach hatte. Der Polizeibeamte wurde von einem neuen Kollegen begleitet, frisch von der Polizeischule. Der stand nun ein wenig ratlos da, als der Fremde laut wurde und darauf bestand, dass er einen dringenden Termin habe. Davon ließ sich Schorsch allerdings nicht beeindrucken. Er war schon viele Jahre im Dienst und kannte alle Ausreden und Einwände, die es geben konnte.
„Wer es eilig hat, muss halt fünf Minuten früher fahren“, erklärte der Polizist gemütlich. „Jetzt nehmen wir erst mal einen Unfallbericht auf, vermessen die Unfallstelle und machen ein Protokoll. Zeugen haben wir auch, die täten wir dann auch noch fragen müssen. Und einen Verletzten tät’s auch geben.“
„Einen Hund.“ Das kam dermaßen abfällig, dass der Obermayr unwillig aufschaute.
„Und wenn’s eine Katz, ein Wellensittich oder was auch immer gewesen wär’, da haben S’ ein Lebewesen verletzt, und so was haben wir hier gar net gern. Aber nun wollen wir erst mal sehen, dass wir hier ein bisserl Ordnung auf die Straßen bekommen. Hier schaut’s ja schrecklich aus. Bernie, tätst den Hund und seinen Besitzer mitnehmen? Dann komm ich gleich in der Praxis noch vorbei.“
Die Tierärztin nickte bestätigend und machte sich mit den beiden auf den Weg.
Böse, schon fast hasserfüllte Blicke vom Unfallfahrer folgten ihnen. Nur Obermayr ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er wehrte die Aufforderung, sich nun doch endlich mehr zu beeilen, mit einem Knurren ab.
„Hier tät’ ich bestimmen, wie’s voran geht, junger Mann. Schließlich muss alles seine Ordnung haben. Auch ein Unfall.“
Resigniert ließ der Mann seinen Kopf sinken und schaute erneut ungeduldig auf die Uhr.
2
In den letzten Tagen hatte sich das heiße Wetter verabschiedet. In den Nächten wurde es schon ausgesprochen frisch, Tau legte sich frühmorgens auf die Landschaft und verzauberte alles mit einem geheimnisvollen Schleier aus Feuchtigkeit und dem ersten Bodennebel. Doch tagsüber besaß die Sonne noch eine Menge Kraft, wenn sie es denn schaffte, die Wolken zu durchdringen.
Hier unten im Tal spielte das Wetter allerdings keine Rolle. In der Waldbrunnschlucht befand sich der Eingang zu einem ausgedehnten Höhlenlabyrinth, dessen wirkliche Größe erst vor gar nicht langer Zeit entdeckt worden war.
In Hindelfingen gab es viele Touristen. Um zu verhindern, dass die sich womöglich in unbekannten Wegen und Höhlen verirrten, war es wichtig, dass von erfahrenen Leuten genaue Karten angelegt wurden, damit dieses Neuland in den Bergen nicht zu einer tödlichen Falle wurde.
Die Obere Landschaftsbehörde wie auch Bürgermeister und Stadtverwaltung von Hindelfingen hatten deswegen Spezialisten angefordert, die sich näher damit beschäftigen sollten. Ein Geograph, ein Kartograph und eine erfahrene Höhlenforscherin waren engagiert worden, sie machten sich an die reizvolle Aufgabe, dieses unbekannte Gelände zu erforschen.
In der Haupthöhle, direkt an der Schlucht, hatten sie ihr Lager aufgeschlagen, hier würde auch stets der Ausgangspunkt sein, um Entfernungen festzulegen. Im Gegensatz zu früheren Zeiten besaßen die heutigen Forscher eine Reihe von elektronischen Hilfsmitteln, um die Arbeit zügig und schnell voranzubringen.
Sepp Leitner kam von der Universität in München, er war dort der Assistent von Professor Hackl und besaß eine Menge Wissen über die Naturgeschichte und die Entstehung der Erdschichten. Das konnte sich als äußerst wichtig erweisen, um auch Zeiträume festzulegen, in denen Ereignisse stattgefunden hatten.
Der Bursche überprüfte ein letztes Mal seine Ausrüstung, wie es auch die beiden anderen taten.
Sandra Egli, die fast alle Höhlen in den Alpen, aber auch in anderen Teilen der Erde, gut kannte und die meisten von ihnen schon begangen hatte, und Roland Berger, dessen Beruf es war, Karten zu erstellen, nickten einander zu. Sie waren bereit.
Roland hatte bisher meist vom Schreibtisch aus gearbeitet, er war Theoretiker. Dies war sein erster Einsatz direkt vor Ort, und er war entsprechend aufgeregt. In der Theorie beherrschte er alles, doch was die Praxis bringen würde, davon musste er sich noch überraschen lassen. Er hatte sonst genaue Beschreibungen, Maßangaben, Fotos und elektronische Auswertungen, mit denen er arbeitete. Aber hier und jetzt wollte er vor Ort arbeiten und beweisen, dass er auch hier sein Handwerk verstand. Er freute sich jedenfalls auf die Begleitung der beiden anderen und war sicher, dass sie gemeinsam recht bald Ergebnisse vorweisen konnten. Sie wollten auf jeden Fall im wahrsten Sinn des Wortes die Welt erforschen.
„Alles fertig?“ Sandra fragte mehr der Form halber, sie war sicher, dass die beiden anderen ebenfalls gut vorbereitet waren. Nun, sie und Sepp würden ein Auge auf den Kollegen haben, doch der war lernfähig und begierig, es sollte alles gut gehen.
„Also los. Die ersten sechs Höhlen sind bereits genau erforscht, die Karten zeigen das auch bis in die letzte Ecke an. Warum man den Durchgang vorher nicht auch schon bemerkt hat, kann ich net verstehen“, meinte das Madl, das über eine beachtliche Erfahrung verfügte, obwohl es erst 26 Jahre alt war.
Sepp grinste und zeigte ein strahlend weißes Gebiss. Seine Augen versuchten den Blick von Sandra zu halten, er fand sie ausgesprochen anziehend und hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn sie beide sich näher kamen. „Da haben die halt net genau hingeschaut“, meinte er.
„Dann sollten wir das jetzt um so besser tun“, setzte Roland hinzu und ging energisch los.
„Halt, wart’ mal. Kannst doch net als Anfänger den Weg übernehmen. Wirst schön in der Mitte bleiben“, mahnte Sandra und zog den Burschen ein Stück zurück.
Ein paar Minuten später stießen sie in die erste unbekannte Höhle vor, die allerdings mehr ein langer, sehr enger Gang in die Felsen war. Bisher war hier nicht davon auszugehen, dass sie durch einige Löcher in die Höhe oder Tiefe klettern mussten, die Höhlen besaßen den Vorteil, sich fast auf ebener Erde zu befinden.
Roland beobachtete seine Instrumente genau, die jeden Zentimeter der Strecke vermaßen. Nach knapp zehn Metern hielt Sepp an und leuchtete nach oben. Nur schwach war die Decke zu erkennen. Der Fels war trocken, es gab also hier keine Öffnung nach draußen, wo zum Beispiel Wasser hereinsickern konnte. Auch Moose oder Flechten hatten sich hier nicht angesiedelt, es gab nicht einmal die geringsten Nährstoffe für diese Magerpflanzen.
„Hier ist nix weiter“, stellte Roland fest. „Die genaue Strecke ist nun aufgezeichnet. Hast was Besonderes gefunden in den Felsen?“ Die Frage galt dem Sepp, der als Geograph die Erdschichten und die Bodenbeschaffenheit überprüfte und daran die Entstehung der Höhlen erkennen konnte. Der schüttelte den Kopf.
„Hab ich auch gar net mit gerechnet. Net gleich zu Anfang. Wenn wir viel Glück haben, tät’ uns die Höhle im weiteren Verlauf den Weg nach unten weisen, dort gäb’s vielleicht was Interessantes.“ Er setzte sich wieder in Bewegung.
Details
- Seiten
- Erscheinungsjahr
- 2018
- ISBN (ePUB)
- 9783738916195
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2018 (April)
- Schlagworte
- vier bergromane schicksale bergwelt