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Terra 5500 #4 - Entscheidungsschlacht

©2018 120 Seiten

Zusammenfassung

Die Menschheit im 55.Jahrhundert nach Christus: Die Milchstraße ist besiedelt und es herrschen eiserne Gesetze. Doch Widerstand regt sich.
Den Rebellen der Galaxis bleibt nur die FLUCHT INS ALL.

Ein Roman aus JO ZYBELLs spektakulärem Science Fiction-Zyklus, mit dem er sich einen eigenen, vielschichtigen Serienkosmos erschuf. Eine Vision der Zukunft des Menschen im All, die den Vergleich mit großen Vorbildern nicht zu scheuen braucht!

JO ZYBELL prägte die Serien MADDRAX und RHEN DHARK über Jahre hinweg durch eine Vielzahl von Romanen mit. Seine epischen Fantasy-Romane brachten ihm die Anerkennung der Kritik. Doch mit Terra 5500 hat er gezeigt, was wirklich in ihm steckt
Cover: STEVE MAYER

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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TERRA 5500

Rebellen der Galaxis

Band 4

von Jo Zybell

Entscheidungsschlacht

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EIN CASSIOPEIAPRESS E-Book

© by Author

© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress

www.AlfredBekker.de

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PROLOG

Jemand berührte sie am Hals. Sie riss die Augen auf und fuhr hoch. Der Mann am Bettrand wich einen Schritt zurück. Er trug eine blütenweiße Bordkombi – einer ihrer beiden Mediziner. „Bitte ruhen Sie noch ein paar Stunden, meine Generälin.“ Er hielt einen Venendrucksensor zwischen den Fingern seiner Rechten. „Ihr Kreislauf braucht Schonung...“

Sie fasste an ihre rechte Halsseite und zuckte sofort zurück – eine Schwellung, Schmerzen. Und sofort waren die Bilder gegenwärtig: Der Roboter im Schutzanzug, wie er sie aus dem Liftschacht riss; sie selbst, wie sie auf dem Boden aufprallte; Bergen, wie er über ihr stand und mit seinem Strahler auf sie zielte; und wieder der Roboter, wie er Bergen die Waffe aus der Hand schlug und nach ihrem Hals trat.

Sie sah sich um. Ihr Bett stand in der kleinen Klinikabteilung des Laborbereichs. Hinter irgendwelchen Schotten heulte ein akustischer Alarm.

„Reflektorischer Kreislaufzusammenbruch nach massivem Vagusreiz“, sagte der Arzt. Silverstone stand in schwarzer Schrift auf einem blauen Namensschild über seiner Brusttasche. Ein Suboberst. „Wir haben Ihnen ein Depotdopamin gespritzt, aber Sie brauchen noch viel...“

„Haben wir sie gekriegt?“, fuhr sie ihm ins Wort. Nur einen Atemzug lang drohten Wehmut, Sehnsucht und Trauer sie zu überschwemmen. Sofort bekam sie sich in den Griff; als würde ein Gewässer in einem einzigen Augenblick gefrieren, so durchdrang etwas Kaltes ihr Hirn, und ihr Verstand übernahm wieder das Regiment. „Ich habe Sie etwas gefragt, Silverstone!“ Ein paar Schritte abseits standen sein Assistent und ein Sanitäter.

Der Angesprochene neigte den Kopf ein wenig auf die Schultern, zog die grauen Brauen hoch und setzte einen bedauernden Blick auf. „Ich habe keine exakten Informationen aus der Zentrale, aber...“

„Verdammt, Silverstone! Ob wir sie gekriegt haben, will ich wissen! Ja oder nein?“

Der Sanitäter machte sich an einem Behandlungstisch zu schaffen, der Assistenzarzt senkte den Kopf. „Leider nein, glaube ich, meine Generälin“, sagte Dr. Silverstone.

Anna-Luna Ferròn zog die Decke von ihren Beinen, schwang sich aus dem Bett und schob den Arzt zur Seite. Ihre Knie wurden weich, doch sie schaffte es quer durch den kleinen Raum bis zum Schottrahmen. Dort musste sie sich einen Augenblick festhalten. Sie atmete ein paarmal tief durch. Der Schwindel legte sich, die schwarze Wolke vor ihren Augen zog weiter.

„Sie sollten das Labor auf keinen Fall ohne Waffe verlassen, meine Generälin“, sagte der Sanitäter; ein Hauptmann namens Koboromajew. Er war sehr groß, von wuchtigem Körperbau, und sein breites Gesicht und seine Glatze glänzten, als würde er sie dreimal am Tag einölen.

„Warum nicht?“

„Der dritte Mann hat nicht nur unser Bordhirn mit Piratendateien versaut, sondern auch die meisten INGA 12 und ein paar Kampfmaschinen.“

Der dritte Mann war kein dritter Mann gewesen, sondern Bergens Roboter. Sollte sie die einzige sein, die das kapiert hatte? „Dann beschaffen Sie mir eine Waffe, Koboromajew! Und begleiten Sie mich!“ Wortlos verschwand der Sanitäter im Geräteraum. Genauso wortlos kehrte er Sekunden später mit zwei LK-Gewehren zurück und öffnete die Luke zum Hauptgang.

Draußen schwollen Sirenentöne auf und ab: Feueralarm, Temperaturalarm, Maschinenalarm. Tatsächlich war es ziemlich heiß im Schiff. Koboromajew, bewaffnet mit einem schweren Gravitongewehr, schritt ihr voran. Er sicherte Abzweigungen, Liftausstiege, offene Luken und Schotte. An den Wänden entlang tastete sie sich hinter ihm her. Hin und wieder lehnte sie sich an die Wand und verschnaufte ein für ein paar Augenblicke. Ihre Hände wollten kaum den Laserkaskadenstrahler halten.

Sie kamen an einem toten Primhauptmann vorbei. Eine Ebene tiefer lagen ein zerstörter Kampfkegler und zwei deaktivierte INGA 12 Wartungsroboter vor einem Lifteinstieg. Aus dem Bordfunk tönten erregte Männerstimmen: Von Brandherden, Triebwerksschaden und Kämpfen an Bord war die Rede. Und pausenlos die Alarmsirenen.

Nach neun Minuten erreichten sie die Zentrale. Schwerbewaffnete und Kampfmaschinen bewachten die Eingangsschotte. Sie traten ein.

„Du bist wieder bei Bewusstsein, Anna-Luna?!“ Waller Roschen schwebte vor dem Kommandostand. Die blaue ISK-Kappe saß wie ein zu kleiner Deckel auf seinem helmartigen Haarschopf. „Welch ein Glück! Wir haben eine Menge Probleme!“

„Wo sind wir!“ Sie stürmte zum Navigationsstand, wo ihr Erster Offizier neben dem Navigator saß. Koboromajew blieb am Schott zurück.

„Irgendwo an der zentrumsfernen Nordpolgrenze der Republik“, sagte Taiman Korvac, Primoberst der Geheimen Galaktischen Sicherheitsgarden und Erster Offizier der Laurin.

„Wir haben die Koordinaten noch nicht präzise errechnen können“, sagte der Navigator, ein strohblonder Leutnant namens Beller. „Das Bordhirn verweigert noch den Zugriff. Aber wir arbeiten daran.“

„Davon gehe ich aus, Leutnant Beller!“ Anna-Lunas Stimme klirrte vor Kälte. „Was ist passiert, Waller?“ Sie fuhr zum Kommandostand herum. „Konnten sie etwa fliehen?!“ Tief unter ihrer Eisschicht brodelte eine ungeheure Wut. „Wie lange war ich bewusstlos?“

„Sieben Stunden. Es war, wie ich vermutet hatte – der dritte Mann hat ein paar Langfinger mit Piratenprogrammen infiziert, die INGA 12 haben die Kampfkegler der Wachabteilung infiziert, und zusammen haben sie Bergen befreit. Der dritte Mann hatte sich in einem Wartungsschacht in der Nähe des linken Triebwerks versteckt. Dort muss es ihm irgendwie gelungen sein, sich in das Bordhirn einzuloggen. Jedenfalls hat sein Piratenprogramm unseren Zentralrechner fest im Griff. Die Maschinen gehorchen nicht. Die Kommunikation, die Navigation – nichts gehorcht uns mehr. Unsere Kybernetiker arbeiten seit sechs Stunden daran...!“

„Ungeheuerlich...“ Sie wurde blass, die Stimme versagte ihr, es kam ihr vor, als würden ihre Beine schlackern wie totes Fleisch. Koboromajew eilte herbei und stützte sie. Sie ließ es zu, hielt sich fest an dem Großen. Er half ihr, sich auf die Stufen des Kommandosandes zu setzen. „Kann es denn wahr sein...?“ Die Zentrale drehte sich plötzlich.

„Dem dritte Mann ist es irgendwie gelungen Koordinaten ins System zu schmuggeln, die uns über zwölftausend Lichtjahre weit durch die Galaktische Republik Terra geschleudert haben.“ Roschen klang kleinlaut für seine Verhältnisse. „Die Maschinen sind vollkommen überlastet, die Triebwerke glühen noch immer, dabei haben wir das Hyperuniversum schon vor mehr als sechs Stunden verlassen. Ich bin nicht sicher, ob wir sie jemals wieder hochfahren können. Vermutlich hatte der dritte Mann genau das einkalkuliert...“

Der dritte Mann... „Verflucht, verflucht, verflucht...!“ Anna-Luna stöhnte in sich hinein. War es selbst Waller Roschen nicht aufgefallen, dass der dritte Mann ein Roboter gewesen war?

„Verdammt schlauer Bursche, Bergens dritter Mann“, sagte Leutnant Beller, der Navigator. Sie fand seine Sommersprossen zum Kotzen. „Und Bergen auch. Verdammt schlaue...“

Anna-Luna stieß einen Schrei aus und sprang auf. „Weg da!“ Sie riss die Waffe hoch. Koboromajew trat einen Schritt zurück, Korvac warf sich flach auf den Boden. Über ihn hinweg zischte eine Energiekaskade und traf Beller an der Brust. Er stöhnte auf, krümmte sich und rutschte sterbend aus dem Sessel.

„Bergen, dieser Scheißkerl!“ Die Eisdecke über ihrem Hirn war aufgeplatzt. „Warum habt ihr ihn laufen lassen!“ Sie brüllte wie von Sinnen. „Ihr elenden Versager! Wie kann uns einer durch die Lappen gehen, den wir bereits in Handschellen hatten! Einer, den unsere Kampfkeglern bewachten! Wie! Wie! Sagt mir das!“

Sie funkelte Korvac an. Der wich ihrem Blick aus und stand wieder vom Boden auf. Sie spähte nach Canter und Cybcziensky. Beide hockten an einer Schnittstellenkonsole und taten, als konzentrierten sie sich einzig und allein auf die Arbeit am blockierten Bordhirn. Der kahlköpfige Sanitäter blieb von ihren giftsprühenden Blicken verschont. Schließlich sah sie sich nach Waller Roschen um. Seine Miene war ausdruckslos wie immer, doch aus seinen Augen sprach unverhohlene Missbilligung.

Sie tat, als sähe sie es nicht und wandte sich an den Sanitäter. „Schaffen Sie ihn mir aus den Augen, Koboromajew!“ Sie deutete auf den toten Navigator. Und dann wieder an Waller Roschens Adresse: „Dafür wird Bergen büßen, das schwöre ich! Und wenn ich bis ans Ende der Milchstraße fliege – ich werde ihn kriegen!“

„Du bist dazu verdammt, ihn zu kriegen“, sagte Roschen leise.

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AQUALUNG IM TARKUSSYSTEM, 54-02-14, 17:02:09 TPZ

Beide Männer arbeiteten im Kommandostand der Rheingold, beider Namen prangte in goldenen Schriftzügen auf blauen Namensschildern – Nigeryan und Braun – beide bekleideten also den Rang eines Primoberst, den vierthöchsten immerhin, den die Republik zu vergeben hatte, und beide hatten dasselbe Problem.

Auf dem Hauptvisuquantenfeld unter der Frontkuppel der Rheingold wirkte ihr Problem nicht besonders groß, dafür weit gestreut, sehr weit sogar: Es füllte bereits große Teile der Hochebene aus, die der Rheingold als Landeplatz diente, bedeckte die Hänge rings um die kleine Hügelkette, und ergoss sich in schier unerschöpflichen Strömen aus dem Wald, der die Hügelkette umgab. Kalosaren. Hunderttausende, Millionen.

Damit hörten die Gemeinsamkeiten zwischen Nigeryan und Braun auch schon auf.

„Aufklärung an Kommandozentrale“, tönte eine Frauenstimme aus dem Bordfunk. „Es werden immer mehr. Der größte Teil ist zu Fuß unterwegs. Das Bordhirn zählt darüber hinaus etwa zehntausend Gespanne, sie scheinen Brennmaterial zu transportieren. Etwa zweihunderttausend mal Felix reitet auf Tieren heran.“

Kalosaren nannten sich die Völker des Planeten Aqualung, und zwar ausnahmslos alle – die sehnigen Jäger und Sammler der Wälder, genau wie die Handel treibenden zierlichen, meist schwarzen Küstenbewohner und die hünenhaften, überwiegend gefleckten oder weißen Bewohner der prachtvollen Königsstädte an den großen Flüssen. Kalosaren ließ sich in der Sprache der Republik, in Terrangelis, etwa mit Herren der Lebendigen wiedergeben. Die Besatzung des Landungsschiffes Rheingold nannten die Kalosaren etwas abfällig Felix. Vermutlich, weil sie auf den ersten, oberflächlichen Blick ein wenig an Katzen erinnerten.

„Felix macht Ernst“, sagte Primoberst Nigeryan. „Es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, als zu starten.“

„Felix begeht eine große Dummheit“, sagte Primoberst Braun. „Wir sollten sie ausnutzen und das Feuer eröffnen.“

So ähnlich begannen sie häufig, die Differenzen zwischen dem schwarzen, ziemlich beleibten Schiffskommandanten Joseph Nigeryan und dem kleinwüchsigen, aber ansonsten unauffälligen GGS-Offizier Dolph Braun.

„Reden Sie keinen Mist, verehrter Kollege Braun!“, brauste Nigeryan auf. „Unter diesen Kriegern da draußen befinden sich mindestens fünfzig unserer Leute!“ Mit seinem schwarzen fleischigen Zeigefinger stach er in Richtung VQ-Feld. Die erste Sturmreihe der Kalosaren war darin zu sehen. Höchstens neunhundert Meter trennte sie noch von dem Omegaraumer. Nach Auskunft der Aufklärung bestand sie aus etwa zehntausend berittenen Elitekriegern der knapp sechzig Stadtkönige, die sich unten in den Wäldern rings um die Hügelkette versammelt hatten.

Ihre Reittiere nannten die Kalosaren Baxrauler. Die Landungsspezialisten der Rheingold hatten sie Rizerosse getauft, weil sie angeblich an ein ausgestorbenes Tier ähnlichen Namens erinnerten, das einer der Pioniere mal in einem naturkundlichen Museum gesehen haben wollte.

„Wahrscheinlich sind es sogar sechsundsechzig unserer Männer und Frauen, die diese verdammten Killer als lebendige Schutzschilde mit sich schleppen!“ Nigeryan redete sich in Rage. „Ich soll auf meine eigenen Leute schießen lassen?“

„Erstens handelt es sich in überwiegend um meine Leute“, entgegnete Braun in seiner schon legendären Gelassenheit. „Vielleicht erinnern Sie sich dunkel, dass die Pioniereinheiten ausschließlich meinem Kommando unterstehen, verehrter Kollege Nigeryan.“ Auch auf der Miene des kleinen, blassen Brauns spiegelte sich keinerlei Emotion, geschweige denn Erregung. „Zweitens scheint es mir das Opfer wert zu sein. Bedenken Sie bitte, wie viele Menschen diese Heerscharen dort potentiell noch ermorden könnten, wenn wir jetzt nicht bereit sind, fünfzig unserer Leute zu opfern.“

„Was für eine perverse Rechnung!“ Nun platzte dem guten Nigeryan endgültig der Kragen. „Ich soll also präventiv morden? Haben Sie die Idee aus antiken Geschichtsbüchern geklaut?“ Er drehte sich ein paar Mal um sich selbst wie ein unförmiger Kreisel, stürzte an das nächstbeste Mikrophon, und rief: „Kommandant an Kommunikator! Protokollieren Sie diese Besprechung Wort für Wort!“ Wieder eine Drehung und dann dicht zum Gesicht seines Kontrahenten hinuntergebeugt: „Ich soll also nicht nur fünfzig bis sechzig loyale und treue Angehörige der Flotte mit der besten und teuersten Ausbildung, die man sich vorstellen kann, töten lassen, sondern darüber hinaus auch noch Hunderttausende Angehörige eines Fremdvolkes vernichten?! Ganz zu schweigen von den Wäldern und Bodenschätzen im Umkreis von fünfzig oder hundert Kilometern?! Habe ich Ihren Vorschlag so richtig verstanden und wiedergegeben, Primoberst Braun!?“

„Sie müssen sich doch nicht immer gleich so aufregen, verehrter Nigeryan!“ Braun verzog seine untere Gesichtshälfte zu einer Art Lächeln. „Es ist ja eine ganz einfache Rechnung. Jetzt haben wir Felix millionenfach konzentriert vor den Geschützen, später verteilt er sich wieder über ganz Aqualung. Jetzt zahlen wir mit fünfzig Kräften, später und auf lange Sicht werden wir mit fünftausend oder mehr Kräften bezahlen. Das kann doch nun wirklich nicht so schwer zu verstehen sein!“

„‘Kräfte‘! ‚Bezahlen‘!“ Nigeryan schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Sie sind ja komplett wahnsinnig!“

„Ich vertrete lediglich die Interessen des politischen Arms der Geheimen Galaktischen Sicherheitsgarden auf diesem neu nutzbar zu machenden Planeten, und ich verlange den Beschuss der Mörderhorden, verehrter Nigeryan!“

„Und ich bin der Kommandant dieses Schiffes und sage nein!“

Die Männer und Frauen in der Zentrale sahen sich an. Etliche verdrehten die Augen. Dazu bekamen sie viel zu oft Gelegenheit – noch nie allerdings während einer roten Alarmstufe. Seit drei Wochen hatten sie täglich neue Hiobsbotschaften zu verkraften – die Kalosaren töteten Personal des Bohrungsterminals, nahmen Stoßtrupps gefangen, zerstörten Bodenstationen, lockten Strafexpeditionen in Fallen, und so weiter. Und noch immer konnten Joseph Nigeryan und Dolph Braun sich nicht dazu durchringen, an einem Strang zu ziehen. Noch immer zerrten die beiden Expeditionsleiter an der Macht wie an einem Tischtuch aus brüchigem Stoff. Wäre zwei Wochen zuvor nicht der resolute Erste Offizier in Gefangenschaft geraten, hätte es längst eine Meuterei gegeben. Und jedes Militärgericht hätte die Meuterer freigesprochen.

„Maschinenleitstand an Zentrale – gibt es neue Befehle?“

„Aufklärung an Zentrale – Felix‘ erste Angriffswelle ist nur noch sechshundert Meter entfernt. Nach der letzten Zählung des Bordhirns handelt es sich um elftausenddreihundertachtzig Reiter auf Rizerossen. Ihre Bewaffnung besteht aus Säbeln, Äxten, Wurflanzen und Tauen mit Widerhaken. Die zweite Angriffswelle ist tausend Meter entfernt; Fußvolk und Gespanne mit Brennmaterial.“

„Lächerlich.“ Nigeryan schüttelte den Kopf und seufzte. „Sei es drum – Kommandant an Maschinenleitstand, hoch mit der Schwarzen Jane!“ Er zog ein weißes Tuch aus seiner Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn und aus dem Nacken. Der Primoberst liebte seinen Omegaraumer, verabscheute jedoch dessen Namen; deswegen nannte er ihn häufig Schwarze Jane.

„Verstanden!“

„Noch einmal, verehrter Nigeryan. Ich vertrete hier die Interessen der GGS und ich verlange...!“

„Sie können mich mal, Braun!“

„Aufklärung an Kommandanten – Sparklancer im Landeanflug.“

„Kommunikator an Kommandanten - ID-Code empfangen. Es ist Oberst Carvallos Gerät!“

„Nigeryan an Aufklärung – wie weit ist Felix?“

„Dreihundertfünfzig Meter.“

„Kommandant an Maschinenleitstand! Warten Sie noch mit dem Start, bis Carvallo an Bord ist. Kommandant an Beiboothangars – auf mit der Klappe, raus mit dem Controgravstrahl!“ Nigeryan verschränkte die Arme auf dem Rücken und drehte eine Runde um den Kommandostand. Das tat er gern, wenn er nervös war.

„Kommunikator an Zentrale – wir haben da einen Funkruf empfangen. Ein Subgeneral ist im Anflug, ein gewisser Bergen. Er sucht Kontakt zu...“

„Später!“ Nigeryan winkte ab. „Senden Sie ihm eine Empfangsbestätigung. Wir melden uns später.“

„Was sagen Sie da?“ Braun stürzte zum Mikro. „Wie heißt der...?“

„Beiboothangars an Zentrale!“ Der Bordfunk fuhr ihm dazwischen. „Rheingold 07 mit Oberst Carvallo an Bord.“

Nigeryan nahm beide Stufen des Kommandostandes mit einem Schritt. Er wollte zu seinem Sessel und zum Hauptmikro. Der zierliche Braun jedoch stellte sich zwischen ihn und die Instrumentenkonsole. „Moment, verehrter Nigeryan.“ Sein blasses Gesicht blieb ausdruckslos, sein schwarzes Haar war akkurat gescheitelt wie immer, seine Hand umschloss etwas Hartes, das er dem schwarzen Kommandanten in den gut gepolsterten Bauch drückte. Schwer zu sagen, ob die anderen Offiziere in der Zentrale diese Geste wahrgenommen hatten.

„Maschinenleitstand an Zentrale – was ist jetzt mit dem Start?“

„Als Primoberst der GGS bin ich im Notfall befugt, Ihnen Befehle zu erteilen, Nigeryan.“ Braun sprach so leise, dass nur Nigeryan ihn verstehen konnte. „Dies ist ein Notfall, und ich befehle Ihnen den Start abzublasen und den Beschuss anzuordnen.“

Primoberst Joseph Nigeryan trat einen Schritt zurück und senkte den Blick – er blinzelte ein paar Mal, weil er nicht sicher war, ob er seinen Augen trauen konnte. Doch, er konnte ihnen trauen: Es war wirklich ein Fauststrahler, was Dolph Braun ihm da in den Bauch drückte...

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SUBGENERAL MERICAN Bergen an Yakuba Tellim und die Rebellen von Genna – bitte antworten Sie, wenn Sie diese Nachricht empfangen können...!“

Was von fern wie ein kleines Gebirge gewirkt hatte, war nicht viel mehr als eine Hügelkette inmitten der Wälder. Auf der erhöhten Ebene zwischen West- und Ostrand stand das Landungsschiff. Zwei Angriffswellen der Kalosarenheere jagten über die Ebene. Braune Reittiere galoppierten dem Omegaraumer in einem Tempo entgegen, das Plutejo diesen Kolossen niemals zugetraut hätte. Er steuerte den Sparklancer dicht über die Staubwolke hinweg, die sie hinter sich herzogen.

„Subgeneral Bergen an Yakubar Tellim und die Kinder von Uran Tigern – ich bin über die Ereignisse auf Genna im Bilde. Sie haben nichts von mir zu befürchten! Bitte nennen Sie mir Ihre Position auf dem Planeten Aqualung...“

Die Kalosarenreiter in den breiten Sätteln trugen leichte, schwarze Harnische und schwarze Helme, die mit bunten Federn geschmückt waren. Sie blickten zum Sparklancer herauf, doch statt sich zu fürchten, schwangen sie Beile und Schwerter, und soweit Plutejo das im Sichtfeld erkennen konnte, stießen sie Kampfschreie aus. Und täuschte er sich, oder trieben sie ihre Tiere zu noch größerer Eile an? Auch über sie flog er hinweg.

Der Neunzehnjährige musste die Maschine manuell steuern; auf verbale Befehle reagierte das Bordhirn nicht, und eine Steuerungskappe für mentale Befehle hatte er nicht gefunden. Vermutlich hätte sie ihm auch nichts genützt, denn diese hochkomplizierten Steuerungsaggregate waren in der Regel auf ein bestimmtes Individuum geeicht; auf den armen Carvallo wohl in diesem Fall.

„Bergen an Tellim und Tigern – wir sind mit dem Beiboot Johann Sebastian Bach 01 im Anflug auf Aqualung. Unsere Situation unterscheidet sich kaum von Ihrer – die Flotte verfolgt uns. Bitte antworten Sie, wenn Sie diese...“

Mit einem gezielten Faustschlag auf die Instrumentenkonsole schaltete Plutejo Tigern den Bordfunk ab. Auch er begann nun zu jubeln, denn er sah, wie sich am Unterboden des Landungsschiffes ein Paar Außenschottklappen des Hangars öffnete. Gehörte der geraubte Sparklancer in diesen Hangar? Natürlich gehörte er in diesen Hangar! Plutejo nahm Kurs auf die Öffnung. „Sie lassen uns rein!“, rief er. „Diese Hohlköpfe lassen uns tatsächlich freiwillig in ihren Megakahn!“

„Du musst Bergen antworten!“ Von hinten schimpfte Yakubar Tellim. „Verdammter Grünschnabel – er braucht ein Signal von uns!“ Sein Rabe krächzte als wollte er ihn bestätigen. Venus, im Sitz neben ihm, kühlte dem Weißhaarigen Nacken und Schädel mit Eis. „Funke ihn an, sag ich! Mach schon!“

Für einen, dem eine Gehirnerschütterung bis vor ein paar Minuten die Lichter gelöscht hatte, schrie der alte Reeder von Doxa IV schon wieder ziemlich laut. „Still, alter Mann!“ Plutejo blieb bei seiner Linie: Yakus Proteste ignorieren und die Aktion durchziehen. Entweder sie erreichten das Innere des Landungsschiffes, oder sie hatten das Spiel sowieso verloren.

Ein Controgravstahl aus der Rheingold erfasste das Beiboot. Plutejo deaktivierte das Triebwerk – das schlanke, zwölf Meter lange Ellipsoid schwebte unter die Unterseite des Landungsschiffes und stieg dann durch die offenen Hangarklappen ins Hangar hinein.

„Weißt du, was in meinem alten Buch steht?“ Hinten klopfte Yaku Tellim jetzt auf seinen Koffer, in dem er neben Wäsche, Fotos und inzwischen leerer Whiskyflasche auch diesen zerfledderten Schmöker verstaut hatte, aus dem er manchmal vorlas. „Ich bin der HERR, dein Gott, steht da, und: du sollst nicht töten! Was du vorhast Junge, ist Beihilfe zum Massenmord!“

Die erste Angriffswelle der Kalosarenreiterei war nur noch etwa dreihundert Meter entfernt. Hinter der Staubwolke konnte man schon die zweite Sturmreihe erkennen. Magnetklammern griffen nach dem Beiboot und hielten es fest, die Schottklappen unter ihm schlossen sich.

„Wir sind drin!“, schrie der junge Tigern. Er riß die geballten Fäuste über den Kopf und drehte sich zum Passagierraum um. „Wir sind drin! Es ging so einfach!“ Yakubars rechtes Auge funkelte ihn böse an, selbst das schwarze Kunstauge in der linken Höhle schien vor Zorn zu glühen.

Die fünf Kolosaren in den drei Doppelsitzen hinter Plutejo sprangen auf und verdeckten Yakus Gesicht mit ihren Körpern. Die beiden Krieger trommelten sich mit den Fäusten auf die Pelzbrust. Einer zog sein Blasrohr aus dem Gurt und einen kleinen Pfeil aus dem Hüftköcher, der andere packte seine Axt mit beiden Händen. Bis auf den dichten, sandfarbenen Pelz auf dem Schädel, an Schultern, Brust und den Außenseiten von Armen und Beinen, und den Waffengurt an den Hüften waren beide nackt. Genau wie der Weltläufer hinter ihnen. Allerdings trug der einen üppigen Federschmuck.

Neben dem Weltläufer stand ihr Anführer, der Erste Töter der Waldkalosaren an den blauen Wassern der Wälder von Lungur, wie er sich nannte. Der hünenhafte Caryxzar hatte schon sein langes Messer gezückt. „Dann öffne jetzt die Pforten des Himmelsspeers, Plutejo Tigern von Genna!“ Er raffte seinen laubgrünen Umhang um seinen Körper zusammen. „Die Krieger des Heiligen Königs des Erztöters wollen die Götterburg in Besitz nehmen!“

„Sie sei unser!“, brüllte der Kalosare hinter ihm, ein graupelziger Schamane mit Lederharnisch und braunem Umhang namens Eli’zarlunga. „Wir werden sie vernichten, wie es geschrieben steht! In den Abgrund hinauf wird sie fahren, wie es geschrieben steht...!“ Er zuckte, schüttelte sich und schrie wie in Ekstase.

„Ihr mit euren Heiligen Büchern!“, rief Plutejo. „Mir vollkommen egal, was wo geschrieben steht, und wen ihr in welche Hölle fahren lasst!“ Er löste seine Gurte. „Nur eines vergesst nicht: Die Ungötterburg gehört mir, wenn ihr hier fertig seid! Mir! Ist das klar?!“

„Unser Wort gilt!“, fauchte Caryxzar. „Die Schwarze Festung sei dein, wenn das Große Töten vorbei ist! Und jetzt raus!“

Plutejo öffnete erst die Beibootluke und gab dann den Code für das Außenhangar der Rheingold über eine manuelle Tastatur ein. Die Kalosaren hatten ihn aus dem gefangenen Piloten des Beibootes gepresst, einem gewissen Oberst Grishan Carvallo. Plutejo dachte lieber nicht daran, wie Caryxzar es angestellt hatte, den armen Mann zu einem derart schwerwiegenden Verrat zu bewegen. Welche Mittel auch immer er angewandt haben mochte – sie waren erfolgreich gewesen: Im VQ-Feld unter dem Frontfenster sah der Neunzehnjährige, wie die Hangarklappen sich wieder öffneten. Caryxzar kletterte aus der Luke, die beiden Krieger folgten ihm.

„Rotzärmel, verdammter!“, schimpfte Yaku vom letzten Sitz aus. „Glaubst du wirklich, sie warten jetzt, bis die Killerhorden ihre Klingen da unten an den Landungsstützen schärfen?“ Yakus Überlebenssystem hing über der Sitzlehne vor ihm, so dass kein Lingusimultaner sein Gezeter übersetzte. „Sie werden einfach starten, und Punkt!“ Sein Rabe hockte auf Venus Schulter und gackerte vorwitzig.

„Und warum haust du mir dann die Worte deines alten Buches um die Ohren, wenn du da so sicher bist?“ Plutejo schaltete den Lingusimultaner seines eigenen Schutzanzugs aus. Die Kalosarenenelite an Bord brauchte nicht jedes Wort zu verstehen. „Klar werden sie starten, Mann! Was glaubst du, warum ich diesen Job angenommen habe, du Klugscheißer!“

Der Weltläufer zerrte zu schweren Bündeln zusammengerollte Taue aus dem Fußraum zwischen den Doppelsitzen. Einen nach dem anderen warf er zu Caryxzar und den beiden Kriegern hinunter. Die drei Kalosaren lauerten bereits an den Rändern des offenen Hangarschotts. Fünfzehn Meter darunter bog sich hohes Gras im Wind. Plutejo hörte den Hufschlag der heranpreschenden Reittiere.

Eli’zarlunga begleitete jeden Handgriff des Weltläufers mit seiner religiös-fanatischen Salbaderei, die nun glücklicherweise kein Lingusimultaner mehr übersetzte.

„Ich bin stolz auf dich, Brüderchen!“ Ihren schweren, altertümlichen Strahler im Anschlag zwängte Venus sich an den Sitzen vorbei. „Man darf diesen pelzigen Gesellen nicht trauen!“ Sie kletterte aus der Luke in den Hangar hinunter. Das war nicht ganz ungefährlich, denn die Magnetklammer hielten das Beiboot direkt über der fünfzehn Meter langen und vier Meter breiten Öffnung fest. Man musste zuerst ein paar Schritte über einen schmalen und nur einseitig gesicherten Laufsteg gehen, und dann über eine in die Hangarwand eingelassene Stiege zum Rand der Öffnung hinunterklettern. Zehntausendfacher Hufschlag rückte näher und näher. Plutejo hörte bereits das Kriegsgeschrei der Kolosarenreiter.

„Du hast einkalkuliert, dass die Rheingold startet, bevor die Kriegshorden es erreichen?“, fragte Yaku ungläubig.

„Ich bin nicht blöde, alter Mann!“, zischte Plutejo. „Was soll ich mit einem Schiff voller Wilder anfangen? Wir warten bis die Fünf da unten für Unruhe an Bord sorgen, dann versuchen Venus und ich die Zentrale zu kapern. Inzwischen haben wir Übung in sowas. Du bleibst hier, machst die Hangarklappen zu und hältst das Beiboot besetzt. So bleibt uns ein Fluchtweg, falls es schief läuft!“ Der Weißhaarige schwieg verblüfft.

„Beiboothangar an Oberst Carvallo – das Bordhirn hat Elektroimpulse fremder Nervensysteme in Ihrem Spacelander angepeilt. Was ist los bei Ihnen?“

„Wir haben ein paar Gefangene gemacht“, entgegnete Plutejo seelenruhig, während er sein LK-Gewehr aktivierte. Der Weltläufer kletterte aus dem Beiboot; und endlich auch der vor Verzückung rasende Schamane.

„Suboberst Oshyan an Rheingold 07 – Sie wissen, dass nur der Kommandant entscheidet, was mit Gefangenen zu geschehen hat. Keinesfalls sind sie an Bord zu bringen, Oberst!“

„Jeder macht mal einen Fehler, ist doch so, Oshyan, oder?“

„Sind Sie erkältet, Oberst Carvallo? Ihre Stimme klingt eigenartig.“

„Ich bin über Sturmreihen der Angreifer geflogen und musste Rotz und Wasser heulen vor Angst. Das sind ja Millionen, die uns da besuchen wollen! Warum starten wir eigentlich nicht?“

„Keine Ahnung. Was ist los mit Ihnen? Wie reden Sie plötzlich? Sie melden sich sofort persönlich in der Zentrale!“

„Sowieso, Oshyan! Aber wir müssen starten, unbedingt!“

„Kommandant des Beiboothangars an Rheingold 07! Warum haben Sie das Hangar geöffnet? Suboberst Oshyan an Oberst Carvallo – schließen Sie sofort Hangar 07...! Was ist los mit Ihnen, Carallo, verdammt noch mal...!“

„Rheingold 07 an Zentrale! Warum starten Sie nicht?!“ Plutejo wurde nervös. Da lief etwas aus dem Ruder. „Sie müssen starten, Mann! Sofort!“ Er schwang sich aus dem Sitz, blickte zur Bugluke hinaus: Vier Seile hingen auf den Grasboden hinunter, den Widerhaken des fünften befestigte Caryxzar gerade im Teleskopscharnier der rechten Hangarklappe. Von unten kletterten schon die ersten Krieger der Kalosraren-Reiterei herauf...

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AN BORD DER WYOMING, 14. Februar 2554 nGG

Ist es denn wahr, dass wir erst vor acht Tagen gestartet sind? Mir will es scheinen, als seien wir bereits acht Wochen unterwegs. Fat Wyoming kommt mir in diesen Stunden des Triumphes wie eine blasse Erinnerung vor. Wie ein Träumender fühle ich mich hier als Ehrengast auf der Wyoming und als Mittelpunkt einer Flotte aus inzwischen sicher dreihundert Raumschiffen..

Der Reisekreuzer, den mir die Verwaltungsdirektion von Fat Wyoming zur Verfügung gestellt hat, bietet allen Luxus den man sich wünschen kann: Festbankette mit auserlesenen Köstlichkeiten von allen Planeten der Republik; Theater- und Konzertabende; festliche Bälle mit eigens eingeflogenen Orchestern; Schaukämpfe, Sportveranstaltungen, virtuelle Abenteuerreisen, und so weiter, und so weiter. Gestern verbrachte ich zwölf Stunden in der Heilbäderabteilung des Schiffes. Morgen werde ich mich den ganzen Tag im eigens für mich eingerichteten Labor meinen Forschungen widmen. Herz, was willst du mehr?

Und all das ist erst der Anfang! Was für ein Paradies an Kultur, Vergnügen und Arbeitsmöglichkeiten wird mich erst auf Terra Prima erwarten? Welche Wonnen und welche Lebensqualität wird erst der verbotene Planet mir und meiner Sippe bieten, da er uns nun nicht länger verboten ist, sondern seine Pforten weit geöffnet hat?

Ja, ich bin glücklich! Ja, aus vollem Herzen bekenne ich es! Aber welcher Sterbliche wäre nicht glücklich, wenn jener Traum sich ihm erfüllt, den 99,9999 Prozent aller Bürger ihr Leben lang vergeblich träumen?

Die Flotte wächst täglich. Aus allen Sternengegenden der Republik fliegen die Menschen herbei, um mich zu beglückwünschen. Meist Privatleute. Aber auch Abgeordnete von Verwaltungsdirektionen in der Nähe gelegener republikanischer Planeten, Kommandanten von Wachpatrouillen oder Kampfverbänden und Rektoren berühmter Akademien und Forschungsinstitute kommen an Bord der Wyoming, um mir zur Höchsten Ehrung zu gratulieren. Ich bin ganz offen: Es fällt mir nicht schwer dieses Übermaß an Ruhm und Anerkennung in vollen Zügen zu genießen.

Allerdings: Ich muss achtgeben – die vielen Imbisse und Umtrünke bekommen mir auf die Dauer nicht. Nach acht Tagen an Bord der Wyoming habe ich bereits die magische 212-Kilo-Marke hinter mir gelassen.

Und dann: Die tragischen Ereignisse um den famosen Subgeneral Bergen und Lady Josefina, diese verführerische Malerin, trüben die Feststimmung an Bord noch immer. Ja, doch – der Wermutstropfen war schon ungewöhnlich bitter. Das Festmahl vorgestern, am Abend jenes furchtbaren Tages, konnte ihn nicht wirklich mildern. Erst diese kurze aber heftige Raumschlacht, dann die Vernichtung der Johann Sebastian Bach, und als wäre das nicht schon ungeheuerlich genug, springt die Pegasus samt Subgeneral Bergen und Lady Josefina ins Hyperuniversum! Ohne sich von mir zu verabschieden! So etwas gehört sich doch nun wirklich nicht!

Nun gut, ich versuche, die schlimme Angelegenheit zu vergessen. Was nicht leicht ist, denn täglich findet sich jemand, der einen daran erinnert. Heute Morgen zum Beispiel, bei unserer täglichen Besprechung, behauptete Oberst Pierreluigi Kühn von der Cheyenne, die Besatzung der Johann Sebastian Bach habe aus lauter Verrätern bestanden und Subgeneral Bergen sei ihr Anführer gewesen.

Man muss sich eine solche Behauptung einmal im Ohr zergehen lassen – ein Flaggschiff mit lauter Verrätern an Bord; einer der angesehensten Offiziere der Flotte ein Verräter. Wundert es einen angesichts solch übler Verleumdungen noch, wenn zwei Omegaraumer der Flotte plötzlich das Feuer aufeinander eröffnen?

Ich jedenfalls kann es nicht glauben. Bergen ein Verräter - ich will es nicht glauben. Ich will meinen Triumphzug durch die Milchstraße genießen.

Noch 17.456 Lichtjahre bis zur äußersten Grenze des Solsystems. Wenn die Zahl der Gratulanten nicht deutlich geringer werde, seien wir noch mindestens drei Wochen unterwegs, sagt Oberst Kühn. Von mir aus kann die Zahl der Gratulanten ruhig noch ansteigen. Auf diese Weise lerne ich interessante Bürger der Republik kennen. Und die Menschen bringen zum Teil durchaus putzige, ja sogar wertvolle Geschenke mit.

Rüsselheimer, mein kleiner Dwingolangowarjunge, macht übrigens gute Fortschritte, was Lesen und Schreiben betrifft. Heute hat er mir fließend folgenden Satz vorgelesen, den ihm sein Lehrroboter aufgeschrieben hat: „Ich bin stolz darauf mit einen Höchstgeehrten zum Mutterplaneten der Menschheit fliegen zu dürfen...“

Aus Dr. Gender DuBonheurs Reisetagebuch

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AQUALUNG IM TARKUSSYSTEM, 54-02-14, 17:13:46 TPZ

Joseph Nigeryan trat einen Schritt zurück. Er brauchte nur einen Atemzug lang, bis er seine Fassung zurückgewonnen hatte. „Nigeryan an Kommunikator!“, sagte er ruhig aber sehr laut. „Protokollieren Sie jedes Wort, das hier oben gesprochen wird! Und protokollieren Sie vor allem folgendes: Der verehrte Herr Dolph Braun, Primoberst der GGS, richtete soeben einen Fauststrahler auf mich, und teilte mir mit, dass er eine Notsituation gegeben sieht, die ihn als Geheimdienstoffizier berechtigt, das Kommando zu übernehmen!“ Er stemmte seine Fäuste in die Hüften, blickte von Braun zu seinen Offizieren, und wieder zu Braun. „Kommandant an Maschinenleitstand!“, rief er trotzig. „Und jetzt starten wir!“

„Primoberst Braun an Maschinenleitstand: Wir starten nicht!“ Braun gab den Befehl mit der gleichen unbewegten Miene, mit der er Nigeryan die Waffe in den Bauch gedrückt hatte. „Primoberst Braun an Gefechtsleitstand – Feuer aus sämtlichen Laserkaskadengeschützen auf sämtliche von der Aufklärung erfasste Felix-Truppen!“

Es folgte keine Bestätigung. Weder auf Nigeryans noch auf Brauns Befehl. Die sechs Männer und Frauen auf Ebene I der Kommandozentrale waren längst von ihren Arbeitsplätzen aufgesprungen. Fassungslos beobachteten sie die beiden leitenden Offiziere im Kommandostand.

„Aufklärung an Zentrale: Die erste Angriffswelle erreicht soeben die Landungsstützen der Rheingold.“

„Was wird das jetzt bei euch da vorne?“ Der Chef des Waffenleitstandes verlor die Geduld. „Wir brauchen eine Entscheidung!“

„Primoberst Braun an alle. Ich bin Primoberst der Geheimen Galaktischen Sicherheitsgarde.“ Der kleinwüchsige, blasse Mann hob die Stimme. Ungewöhnlich kräftig klang sie plötzlich. „Wer von Ihnen die Durchführungsbestimmungen der Flotte gelesen hat, insbesondere im Anhang unter Sonderverordnungen römisch drei Paragraph sieben Absatz achtundzwanzig die Bestimmungen für die Zusammenarbeit zwischen regulären Truppen und GGS-Einheiten, der weiß, dass in Situationen, die einen Omegaraumer und seine Besatzung unmittelbar bedrohen, ein anwesender Geheimdienstoffizier...“

„Beiboothangars an Zentrale – mit Oberst Carvallo ist irgend etwas nicht in Ordnung! Er hat Gefangene mit an Bord gebracht! Ich hab ihm befohlen, sich sofort in der Zentrale zu melden!“

„...gegenüber einem anwesenden gleichrangigem Offizier der regulären Truppen weisungsbefugt ist.“ Während Nigeryan mit gerunzelter Stirn das akustische Modul des Bordfunks anstarrte, reagierte Braun gar nicht auf die Meldung aus der Hangarabteilung. „Da nun eine solche Notsituation eingetreten ist, übernehme ich vorübergehend das Kommando...“

„Oshyan an Zentrale! Noch einmal: Mit Carvallo stimmt was nicht! Er hat ohne Meldung das Außenschott von Hangar nullsieben geöffnet!“

„...und wiederhole folgende Befehle: Erstens – wir starten keinesfalls. Zweitens – wir schießen auf Felix. So viele der gemeingefährlichen Wilden auf einmal neutralisieren wir nie wieder! Ich warte auf Ihre Bestätigung, meine Damen und Herren!“

„Und was wird aus den Geiseln?“ Nigeryan wandte sich an seine Offiziere. „Was wird aus unseren Leuten?“

„Hangars an Zentrale: Kalosaren! Sie klettern an Seilen zu Hangar nullsieben hinauf! Kalosaren an Bord!“

Alle Gesichter in der Zentrale, außer Nigeryans, wurden bleich. Alle Augen richteten sich auf den neuen Ersten Offizier der Rheingold, einen dürrer Oberst namens Wangler. „Wangler an alle“, rief der mit heiserer Stimme. „Primoberst Braun hat recht! Wir müssen ihn vorübergehend als Schiffskommandanten akzeptieren!“

„Wahnsinn!“ Nigeryans breites Gesicht hatte die Farbe nasser Kohleasche, in die jemand ein Fass Tinte gekippt hatte. „Ihr seid ja wahnsinnig!“ Er stürmte vom Kommandostand auf die Galerie und an deren Balustrade entlang zur Luke, die zu seiner Privatsuite führten. Hinter ihr verschwand er fluchend.

„Maschinenleitstand an Zentrale – Triebwerke heruntergefahren!“

„Verstanden. Braun an Infanterie – zwei Kampfformationen zu Hangar nullsieben! Braun an Kommunikator – was ist das für ein Funkspruch, den Sie da aufgefangen haben?“

„Gefechtsleitstand an Zentrale – wir eröffnen das Feuer aus Laserkaskaden-Geschützen...!“

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VERGEBLICH BEFAHL DER Mann von Doxa IV dem Bordhirn des Sparklancers das Außenschott von Hangar 07 wieder zu schließen. Der Rechner reagierte zwar auf den Code, das Schott aber rührte sich nicht. Yaku lehnte sich zur offenen Luke hinaus. Ein paar Meter unter ihm versuchte Plutejo die Klappen manuell zu schließen. Doch die Kalosaren drückten ihn von der Handkurbel weg. Sie hatten Äxte, Wurflanzen und Schwerter als Keile in den nur noch einen Meter breiten Spalt zwischen die Klappen gesteckt. In erster Linie aber blockierten die Widerhaken in den Teleskopscharnieren das Außenschott.

An die vierzig Kalosaren der Reiterei hatten sich inzwischen im Hangar versammelt. Und immer weitere kletterten durch den Spalt zwischen den Schottflügeln. „Schlagt euch zur Kommandozentrale durch!“, brüllte Yaku an die Adresse der Geschwister Tigern. „Raus aus dem Hangar! Dann kann ich sie unter Feuer nehmen!“

Plutejo nickte. Schulter an Schulter mit Venus stürmte er der Innenschleuse entgegen. Ein paar Kalosarenkrieger folgten ihnen. Die Katzenartigen stimmten ein markerschütterndes Geschrei an. Moses flatterte krächzend und scheinbar orientierungslos im Hangar herum. „Her zu mir!“, rief Yaku. Er stieß einen Pfiff aus, doch gleichzeitig sirrte eine Lanze zu ihm herauf. Gerade noch rechtzeitig zog er den Kopf ein. Die Lanze bohrte sich schräg in die Lehne des Copilotensessels. Yaku warf sich auf den Pilotensitz und schlug mit der flachen Hand auf den Teil der Instrumentenkonsole, auf dem sich die Schaltfläche für die Luken befinden mussten. Die Bugluke schloss sich.

Im Viquafeld sah er Plutejo und Venus durch das Innenschleusenschott auf den Gang dahinter springen und verschwinden. Zwei Dutzend Kalosaren folgten ihnen inzwischen. Ein schwarzer Schatten schoss durch das Bild – der Rabe.

„Ich werde ein Auge auf den Jungen haben müssen“, murmelte der Weißhaarige. Sein Schädel und sein Nacken schmerzten. Er war ziemlich sicher, dass Plutejo ihn draußen am Seeufer niedergeschlagen hatte. Oder sogar Venus? Gleichgültig. Wenn das Schicksal oder ein gnädiger Gott ihnen noch ein wenig Lebenszeit gönnen sollte, würde er sich revanchieren. „Ich muss den jungen Tigern im Auge behalten“, wiederholte er. „Der Bursche entwickelt sich allmählich zu einer Art Freibeuter...“

Etwa dreißig Kalosaren stürmten jetzt die Innenschleuse. Weitere zwanzig sammelten sich rund um die schrägstehenden Außenschottflügel. Wer sich oben festhalten konnte, half den von unten Herankletternden aus dem Trichter. Dreißig, fünfzig oder hundert Barbaren – den Kampfmaschinen und Infanteristen der Rheingold konnten sie nicht wirklich gefährlich werden. Aber wenn ihre Zahl noch wesentlich steigen würde...?

„Ich muss was tun“, murmelte Yaku. „Ich muss sie aufhalten...“ Er schielte auf das kleine Konsolenfragment mit den Kommunikatorinstrumenten. „Erst Bergen!“ Er aktivierte das Funkgerät, griff nach dem Mikro und schaltete auf die Außenfrequenz um, die der Subgeneral ein paar Minuten zuvor benutzt hatte. „Tellim an Johann Sebastian Bach 01! Können Sie mich verstehen, Bergen? Tellim an Johann Sebastian Bach 01! Wir haben Ihre Nachricht empfangen! Können Sie uns anpeilen? Doch Vorsicht...!“

Grelles Licht aus dem VQ-Feld blendete ihn. Er verstummte, schloss die Augen, kauerte sich in den Sitz. Irgendwo heulte ein akustischer Alarm. Das Beiboot vibrierte, dumpfe Schläge ertönten wie fernes Donnergrollen, die Kalosaren unter dem Sparklancer kreischten und schrien.

Yaku riss sein rechtes Auge auf. Noch immer merkwürdiges Licht im Sichtfeld, doch lange nicht mehr so grell. Rauchschwaden stiegen zur Hangardecke hinauf. Dutzende Kalosaren rannten wie in panischer Flucht durch die offene Innenschleuse nach rechts und links in den Hauptgang hinaus.

„Allmächtiger Gott!“ Yaku stöhnte auf, als er begriff. „Heilige Scheiße...!“ Statt zu starten, hatte die Rheingold das Feuer auf die Armeen der Aqualungbewohner eröffnet...

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ELI’ZARLUNGA, DER SCHAMANE, überholte Plutejo und Venus und setzte sich an die Spitze der inzwischen fast dreißigköpfigen Gruppe. Er sprang in die Luft, drehte sich um sich selbst, raufte sich die langen Haare seines Graupelzes und redete, redete und redete. Schaumiger Schleim trielte aus seinen Mundwinkeln.

„Was machen wir?“, zischte Plutejo seiner Schwester zu. Die vielen Kalosaren rechts und links von ihm und hinter ihnen verwirrten ihn. So hatte er sich seinen Weg zur Zentrale des fremden Schiffes nicht vorgestellt. „Warum starten sie nicht, diese Hohlköpfe?“ Er blickte nach links, er blickte nach rechts, er blickte zurück – immer mehr Kalosaren schlossen sich ihnen an. „Wie gehen wir vor, Schwester? Sollen wir sie in die Zentrale führen? Sollen wir sie einfach die Drecksarbeit für uns erledigen lassen?“

Sie nickte, blieb an einem Lifteinstieg stehen und aktivierte ihren Lingusimultaner. „Rein hier, ihr müsst hier rein!“

Caryxzar lehnte sich in den Controgravschacht, blickte erst nach oben, dann nach unten. Er zuckte zurück. „Willst du, dass wir abstürzen, verfluchtes Nackthautweib?“

„Der Erztöter ist mit uns! Die schwarze Festung ist unser...!“ Jetzt waren auch wieder die schrillen Absonderungen des Schamanen zu verstehen. „Weiter! Der Sieg ist unser! Ich spüre die Nähe des Heiligen Königs...!“ Gar keine Frage – der Alte war außer sich, er schwelgte in ekstatischen Verzückungen.

„Ihr werdet nach oben schweben, Erster Töter der Waldkalosaren am blauen Wasser von Lungur!“, rief Venus. „Vertraut mir!“ Sie spuckte in den Schacht, und als ihr Speichel nach oben trieb, wichen die Kalosaren erst erschrocken zurück, stiegen dann aber nacheinander in den Controgravschacht. Manche stießen Schreie der Begeisterung aus, als sie, plötzlich schwerelos geworden, den Schacht hinauf schwebten.

Plutejo hielt Caryxzar an seinem grünen Umhang fest. „Sagt dem Kerl, er soll Ruhe geben!“ Er deutete auf den salbadernden Alten.

„Du weißt nicht, was du redest, Plutejo Tigern von Genna!“ Der Kalosarenführer schlug die Menschenhand von seinem Gewand. „Eli’zarlungas Geist umschlingt den Erztöter und seinen Heiligen König! Eli’zarlunga ist unsere stärkste Waffe, solange er den Gott beschwört!“ Er stieg in den Schacht, hielt sich noch einen Augenblick fest und sah zu Plutejo zurück. „Gelangen wir auf diesem Weg ins Herz der Ungötterfestung?“

„Oh ja, beim dreckigen Eis von Genna, das tun wir!“ Er und Venus schwangen sich zuletzt in den Schacht. Ohne viel zu reden waren sie sich einig, die blutgierigen Kalosaren als Puffer zwischen sich und den unvermeidlichen Kampfeinheiten der Rheingold auszunutzen.

Unter Plutejo krächzte und flatterte es. Er sah nach unten – Tellims Rabe hing hilflos im Controgravstrahl, riss den Schnabel auf, gackerte kläglich und zuckte mit Schwingen und Beinen. Die relative Schwerelosigkeit schien Moses zu überfordern. Plutejo hielt sich fest, wartete und griff schließlich nach dem heraufschwebenden Vogel. „Scheiß dir nicht in die Federhosen, du vorwitziger Geier!“ Er setzte sich das Tier auf die Schulter.

Die Frontkuppel eines Landungsschiffes war dreißig Meter hoch. Rechts und links der Zentralkuppel maß der Schiffsrumpf fünfundzwanzig Meter und hatte sieben Ebenen. Sie schwebten an den Ausstiegen zu den Ebenen II und III vorbei. „Raus!“, rief Venus kurz vor dem Ausstieg zu Ebene IV. Die Kalosaren stellten sich linkisch an, doch nach und nach schafften sie den Ausstieg aus dem Liftschacht; der Schamane als erster. Sekunden später hörte Plutejo Kampfgeschrei und Lärm. Licht blitzte hinter dem Liftausstieg auf.

Die Kalosarenkrieger schreckte das nicht: Auch die letzten schlüpften aus dem Schacht. Plutejo und Venus hielten sich an den Wandbügeln fest und spähten zuerst vorsichtig auf den Gang hinaus. Sieben oder acht tote Kalosaren lagen dort auf dem Boden. Die anderen zwei Dutzend stürmten einem Verband aus zwei Kampfformationen entgegen – sechs Kampfmaschinen und zwei schwerbewaffneten Infanteristen. Ein Krieger nach dem anderen ging von Energiekaskaden tödlich getroffen zu Boden. Aber auch die beiden Infanteristen taumelten plötzlich. Plutejo erkannte kleine Pfeile in ihren Hälsen.

Auf einmal vibrierten Schachtwand und Griffbügel. Plutejo und Venus spürten es beide. Wie von fern ertönte dumpfes Grollen. „Was ist das? Starten sie endlich...?“ Plutejo hob ratlos die Schulter, er spähte wieder aus dem Schacht.

Neun überlebende Kalosaren überrannten die Roboter einfach. Ein paar von ihnen hieben mit Schwertern und Äxten auf die Gehäuse der Kampfkegler ein. Die anderen sieben oder acht folgten ihrem Anführer und ihrem Schamanen. Plutejo wunderte sich, weil der Ekstatiker noch lebte, obwohl er doch als erster ins Feuer der Kampfformationen gelaufen sein musste.

Venus sprang aus dem Schacht, Plutejo hinterher. Sie zerstörten die umgerissenen und zerbeulten Kampfmaschinen mit Hochenergiekaskaden aus ihren Strahlern und rannten in die Richtung, in der die arg geschrumpfte Kalosarentruppe verschwunden war.

Sekunden später hörten sie Metall gegen Metall hämmern. Sie spurteten über den Hauptgang, erreichten die letzte Biegung und sahen Caryxzar und seine Krieger vor einem der beiden Hauptschotte der Kommandozentrale, dem linken. Mit Beilen und Schwertklingen und angefeuert von ihrem Schamanen hieben die Krieger auf das Quotarbon-Schott ein.

„Liegt dahinter das Herz der Ungott-Festung?“, schrie Caryxzar. „Sag es mir, Plutejo Tigern von Genna! Wohnt dahinter der Anderstöter?“ Moses erhob sich von Plutejos Schultern und flatterte zu den Katzenartigen.

„Woher soll ich das wissen...?“, rief Plutejo. Im selben Moment schoben sich die Schottflügel auseinander. An der Spitze ihrer überlebenden Krieger stürmten Caryxzar und Eli’zarlunga in die Zentrale. Der Rabe rauschte über ihre Pelzköpfe hinweg. Plutejo und Venus drückten sich an die Gangwand.

Laserkaskaden fuhren unter die Kalosaren. Ein kleiner, blasser Mann war es, der da vom Kommandostand aus schoss. Venus warf sich auf den Boden und rollte aus dem Schottbereich. Plutejo drückte sich dicht an die Gangwand und richtete seinen alten Strahler auf den kleinen Mann im Kommandostand. Doch statt zu schießen, blinzelte er wie geblendet, denn gleißendes Licht strahlte außerhalb der Frontkuppel. Und im Viqua-Feld brannte eine Welt...

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34.560 KILOMETER ÜBER Aqualung, 54-02-14, 17:20:06 TPZ

Zwischen der Umlaufbahn des neunten und des zehnten Planeten tauchten sie aus dem Hyperuniversum im Tarkus-Systems auf. Dreizehn Stunden später erreichten sie Aqualung, den vierten Planeten der Sonne. Sie schliefen abwechselnd. Das Bordhirn steuerte die Johann Sebastian Bach 01 in eine Umlaufbahn um Aqualung.

Über eine Geheimfrequenz setzte Bergen ein paar Funksprüche an die Adresse Tellims und seiner Begleiter ab. Die reagierten nicht. „Was wissen wir schon?“, sagte Cludwich mürrisch. „Vielleicht sind sie ja gar nicht da unten gelandet!“ Seit er sein Schiff, die Troja, verloren hatte, war der untersetzte, kräftig gebaute Mann mit dem grauen Stoppelschädel noch wortkarger geworden. Vielleicht missfiel ihm auch Bergens Plan, mit einem Gesetzesbrecher und zwei Sträflingen zusammenarbeiten zu wollen. Primoberst Sibyrian Cludwich genoss einen Ruf als äußerst gewissenhafter Kommandant.

„Vielleicht sind sie längst tot.“ Sarah Calbury, ehemalige Zweite Offizierin der Brüssel, teilte seinen Pessimismus.

„Letzteres kann ich nicht ausschließen“, sagte Heinrich, in der freundlichen Art, die für Kunsthirne so bezeichnend war. „Gegen ersteres jedoch sprechen alle Wahrscheinlichkeitsrechnungen.“

Und ein paar Minuten später geschah es: Eine Männerstimme meldete sich auf der Geheimfrequenz. Tellim an Johann Sebastian Bach 01! Wir haben Ihre Nachricht empfangen! Können Sie uns anpeilen? Doch Vorsicht...!

Und damit endete der Funkspruch schon. Dennoch gelang es dem Bordhirn die Quelle anzupeilen. Merican Bergen – er trug die ISK-Kappe und saß im Pilotensitz des Sparklancers – ging bis auf eine Flughöhe von dreihundert Kilometern herunter. Auf der Konsole blinkten plötzlich ein paar Leuchten, fast alle im Fragment des Aufklärungsmoduls.

„Das Bordhirn meldet schlagartige Energieentfaltung irgendwo hinter dem Horizont“, sagte Bergen. „Dazu extrem hohe Temperaturen. Irgend jemand feuert da mit hochkonzentrierter Energie.“ Er drückte das Fluggerät nach unten.

„Sie wollen trotzdem runter, mein Subgeneral?“, fragte Cludwich. „Ist das nicht zu gefährlich?“ Bergen reagierte nicht.

Sie flogen über die Nachtseite des Planeten. Der Sparklancer erreichte die Ausläufer der Atmosphäre. Der Planetenhorizont in Flugrichtung leuchtete, als stünde er in Flammen. Bald sahen sie den Strahlenkranz des Tarkuslichts. Sie erreichten die Tagseite. Eine dichte Wolkendecke glitt tief unter ihnen dahin.

Eine Zeitlang sprach keiner ein Wort. Alle versuchten an den Vordersitzen vorbei oder durch die Lücke zwischen den Doppelsitzschalen hindurch das VQ-Feld, die Instrumentenkonsole oder wenigstens das Sichtfenster am Bug im Auge zu behalten. Die Wolkendecke bekam Lücken, wurde lichter und lichter, riß endlich ganz ab. Eine zum Teil rötliche Planetenoberfläche glitzerte unter ihnen.

„Gewässer“, kommentierte Bergen. „Ein Ozean. Stark eisenhaltig, wie es aussieht.“ Bis auf achtzig Kilometer war die Flughöhe inzwischen geschrumpft. In flachem Winkel steuerte Bergen den Boden an. Am Horizont löste eine nuancenreiches Grün das Rot des Meeres ab. Und wenige Minuten später, inmitten des Grüns, wieder ein Lichtschein. „Alle Instrumente behaupten, das seien Flammen“, sagte Bergen.

„Ein Omegaraumer.“ Heinrichs synthetische Augen richteten sich auf das kleine Aufklärungssichtfeld. „ISD 240 Meter. Ein Frachter der Klasse I oder ein Landungsschiff.“

„Dem Feuerwerk nach, das es in den Wäldern veranstaltet, ist es wohl ein Landungsschiff“, kam Homer Goltz’ Stimme aus dem Heckbereich.

„Und seinem Energieniveau nach ebenfalls.“ Merican Bergen sprach leise. Seine Miene war die eines hochkonzentrierten Mannes.

„Streckt unsere ruhmreiche Republik ihre gierigen Finger also schon wieder nach einem Planeten außerhalb ihrer Grenzen aus“, sagte Sarah Calbury, mit einem sarkastischen Unterton, den Bergen noch nie an ihr bemerkt hatte.

Details

Seiten
Jahr
2018
ISBN (ePUB)
9783738916041
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Januar)
Schlagworte
terra entscheidungsschlacht
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Titel: Terra 5500 #4 - Entscheidungsschlacht