Zusammenfassung
von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 140 Taschenbuchseiten.
Kambodscha hatte unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer zu leiden, die ein Viertel der Bevölkerung umbrachten. Seitdem hat sich das Land noch nicht von den Nachwirkungen dieser Zeit erholt.
Am Oberlauf des Stoeng Sen, eines Nebenflusses des Mekong, beginnt eine Guerilla-Gruppierung zu operieren, die sich als Neue „Khmer Rouge“ bezeichnen. Weite Gebiete stehen schon unter Kontrolle dieser Guerilla, bei der völlig unklar ist, wer dahinter steckt. Zwar sind unter gefallenen KR-Kämpfern auch ehemalige und bekannte Khmer Rouge-Aktivisten dabei, aber andererseits scheint kein politisches Konzept oder Ziel hinter den Aktionen dieser Gruppe zu stehen. Die Bewaffnung ist ultramodern, was bedeutet, dass jemand sehr Mächtiges diese Terroristen ausstattet.
Die bekannten Tempelanlagen von Angkor Wat und Angkor Thom werden von angeblichen Touristen als Übergabeplätze für Bargeld und Drogen benutzt. Es liegt die Vermutung nahe, dass die neuen Roten Khmer nichts anders als eine Söldnertruppe eines Drogensyndikats sind.
Colonel Vanderikke und seine Einheit von Elite-Kämpfern begeben sich mit Zustimmung der kambodschanischen Regierung ins Krisengebiet (denn die Regierung wird der Lage schon längst nicht mehr Herr), um den Hintermännern das Handwerk zu legen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Kommandounternehmen Angkor
von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 140 Taschenbuchseiten.
Kambodscha hatte unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer zu leiden, die ein Viertel der Bevölkerung umbrachten. Seitdem hat sich das Land noch nicht von den Nachwirkungen dieser Zeit erholt.
Am Oberlauf des Stoeng Sen, eines Nebenflusses des Mekong, beginnt eine Guerilla-Gruppierung zu operieren, die sich als Neue „Khmer Rouge“ bezeichnen. Weite Gebiete stehen schon unter Kontrolle dieser Guerilla, bei der völlig unklar ist, wer dahinter steckt. Zwar sind unter gefallenen KR-Kämpfern auch ehemalige und bekannte Khmer Rouge-Aktivisten dabei, aber andererseits scheint kein politisches Konzept oder Ziel hinter den Aktionen dieser Gruppe zu stehen. Die Bewaffnung ist ultramodern, was bedeutet, dass jemand sehr Mächtiges diese Terroristen ausstattet.
Die bekannten Tempelanlagen von Angkor Wat und Angkor Thom werden von angeblichen Touristen als Übergabeplätze für Bargeld und Drogen benutzt. Es liegt die Vermutung nahe, dass die neuen Roten Khmer nichts anders als eine Söldnertruppe eines Drogensyndikats sind.
Colonel Vanderikke und seine Einheit von Elite-Kämpfern begeben sich mit Zustimmung der kambodschanischen Regierung ins Krisengebiet (denn die Regierung wird der Lage schon längst nicht mehr Herr), um den Hintermännern das Handwerk zu legen.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch
© by Author
© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
1
Roy McConnery trat aus dem Schatten des uralten Tempelgemäuers hervor. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Seine Hand griff unter das verschwitzte, fleckige Hemd und riss eine automatische Pistole vom Typ Sig Sauer P226 hervor.
Es war Nacht. Der Mond stand als großes, leuchtendes Oval über den Baumwipfeln und tauchte die Ruinen von Angkor Wat in ein fahles Licht.
Ein vielstimmiges Konzert tierischer Laute erfüllte den dichten Regenwald, der die verfallenden Gemäuer an manchen Stellen regelrecht überwucherte. Irgendwo da draußen in dem Labyrinth der verfallenden Mauern lauerten seine Verfolger. McConnery wusste, dass ihn Schlimmeres als der Tod erwartete, wenn er lebend in ihre Hände fiel...
2
Ein Geräusch ließ McConnery herumfahren. Schattenhaft tauchte eine Gestalt hinter einer Mauerecke hervor. Für Sekundenbruchteile fiel das Mondlicht auf einen maskierten Mann in olivgrünem Kampfanzug. Er hielt eine MP7 im Anschlag, richtete den Lauf in McConnerys Richtung und feuerte. Blutrot leckte das Mündungsfeuer aus der kurzen Mündung der Maschinenpistole heraus.
McConnery warf sich zur Seite. Eine MPi-Salve von mindestens dreißig Schuss knatterte größtenteils dicht an ihm vorbei. Nur zwei Projektile erwischten ihn am linken Arm.
McConnery feuerte noch während er fiel. Die P226 wummerte zweimal kurz hintereinander los, bevor McConnery mit einem dumpfen Geräusch auf dem weichen, von Moosen und Schlingpflanzen überwucherten Waldboden aufschlug.
McConnery war ein ausgezeichneter Schütze.
Ein Schuss hatte den Maskierten in der Bauchgegend erwischt, war aber von der Kevlarweste abgefangen worden. Für den getroffenen glich die Wirkung einem sehr kräftigen Tritt. Aber das Projektil konnte durch die dicht gewebten Schichten des kugelsicheren Materials nicht in den Körper eindringen.
Der zweite Schuss war allerdings tödlich. Die Kugel durchschlug den Hals. Röchelnd und blutüberströmt sank der Maskierte zu Boden.
McConnery rappelte sich auf.
Sein Arm schmerzte höllisch. Das Hemd war blutdurchtränkt. Er hörte Äste knacken. Eine Bewegung. Ein weiterer Schatten hinter einem Mauervorsprung. MPi-Feuer blitzte auf. Eine Garbe von zwanzig Schüssen kratzte über das uralte Tempelgemäuer, sprengte Stücke aus den vor tausend Jahren in den Stein gehauenen Reliefs. Die fratzenhaften Göttergesichter wurden reihenweise entstellt. Was der Zahn der Zeitalter in Jahrhunderten nicht vermocht hatte, das schafften diese relativ kleinkalibrigen Projektile innerhalb von Sekunden.
McConnery tauchte hinter einen Mauervorsprung. Die Tempelstädte des alten Khmer-Reichs, dessen Blüte schon über tausend Jahre zurück lag, glichen gewaltigen Labyrinthen aus Steinbauten, die im Lauf der Zeit mehr oder minder vom Dschungel überwuchert worden waren.
Eigentlich ideale Bedingungen also, um Deckung zu finden und sich zu verstecken.
McConnery riss den Lauf der Pistole empor und feuerte in die Dunkelheit hinein. Er orientierte sich am Mündungsfeuer seines Gegners. Ein Schrei gellte.
Das dumpfe Geräusch eines menschlichen Körpers, der auf dem Boden aufschlug folgte.
Nur einen Sekundenbruchteil später zuckte McConnerys Körper wie unter elektrischen Schlägen. Hinter ihm blitzten die Mündungsfeuer mehrerer MPis auf. Dutzende von Treffern zerfetzten seinen Rücken. McConnery drehte sich noch halb herum, kam aber nicht mehr dazu, auch nur einen einzigen Schuss aus seiner Waffe abzufeuern.
Schwer schlug er auf dem Boden auf und blieb regungslos liegen.
Maskierte Bewaffnete in olivgrünen Kampfanzügen traten aus der Dunkelheit hervor.
Einer von ihnen drehte den am Boden liegenden Toten mit der Stiefelspitze herum.
„Ein dreckiger CIA-Agent!“, knurrte er voller Verachtung. „Soll er ein Fraß für Maden und Flussratten werden!“
Einer der anderen Männer lachte.
„Gut, dass er tot ist“, sagte er. „Gut für ihn!“
3
UNO-Hauptquartier, New York, Büro des Generalsekretärs, Mittwoch, 1106 OZ
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen musterte kurz die Anwesenden. Es handelte sich um die UNO-Botschafter einiger Mitglieder des Sicherheitsrates.
„Gentlemen, ich möchte vorab betonen, dass dies ein informelles Treffen ist. Es dient einfach dazu, gegenseitig die Standpunkte des anderen in einer bestimmen Frage kennen zu lernen und die Chancen für die Vereinten Nationen und ihren Sicherheitsrat auszuloten, in dieser Sache tätig zu werden.“
Ein Mann mit kantigem Gesicht und grauem, aber noch sehr dichtem Haar schlug die Beine übereinander.
Er griff in die Westentasche seines dreiteiligen, sehr konservativ wirkenden Anzugs und warf einen Blick auf eine Taschenuhr. „Meine Zeit ist knapp, ich schlage daher vor, dass wir rasch zur Sache kommen!“
„Das ist ganz in meinem Sinn“, erwiderte der Generalsekretär mit einem leicht säuerlichen Lächeln. „Es geht um die Lage in Kambodscha. Nach allem, was uns an Erkenntnissen zur Verfügung steht, braut sich da etwas zusammen, das uns mittelfristig um die Ohren fliegen könnte.“
„Ist das nicht etwas übertrieben?“, meldete sich ein Mann mit Halbglatze und sehr markantem Profil zu Wort. „Zur Zeit der roten Khmer wurde fast ein Viertel der Bevölkerung umgebracht und eine Bande von wahnhaften Utopisten haben versucht, ein ganzes Land zurück in die Steinzeit zu zwingen. Und natürlich kann es da niemandem gefallen, wenn eine Organisation von sich reden macht, die sich als die Neuen Roten Khmer bezeichnet! Aber unseres Erachtens nach ist das ein lokal begrenztes Problem.“
„Es existiert ein offizielle Hilfeersuchen der kambodschanischen Regierung an die Vereinten Nationen“, gab der Generalsekretär zu bedenken. „Darin ist davon die Rede, dass bereits ein großer Teil des Landes nicht mehr unter der Kontrolle der Regierung steht.“
„Wäre das etwas Neues?“, fragte ein dritter Botschafter. Das Auffälligste an seinem Gesicht war der markante Oberlippenbart. „Wann hatte den denn die Regierung in Phnom Pen im Verlauf der letzten dreißig Jahre schon einmal das Land vollkommen unter Kontrolle? Jedenfalls sehe ich keinen Grund für ein Eingreifen der UNO. Mein Land wird hier sicherlich keine Initiative im Sicherheitsrat einleiten.“
Der Generalsekretär hob die Augenbrauen.
„Würde Ihr Land denn einen Beschluss des Sicherheitsrates blockieren?“
Der Mann mit dem Oberlippenbart lächelte.
„Nun, möglicherweise wäre meine Regierung zu einer Stimmenthaltung bereit.“
In den Augen des Generalsekretärs blitzte es. Ein verhaltenes Lächeln spielte um seine Lippen. „Na, das ist doch immerhin schon einmal ein Wort.“ Er lehnte sich etwas in seinem Sessel zurück und fuhr fort: „Die so genannten Neuen Roten Khmer verfolgen den Erkenntnissen mehrerer Geheimdienste nach keinerlei politische Ziele und sie haben mit den Nachfolgern der kommunistischen Guerilla, die nach dem Sturz ihres Schreckensregimes wieder in den Untergrund gingen, nur wenig gemeinsam. Außerdem sind sie hervorragend ausgerüstet. So gut, dass sie es an Kampfkraft mit jeder Armee der Welt aufnehmen können. Die regulären kambodschanischen Truppen haben sich an ihnen die Zähne ausgebissen!“
„Und da sollen ausgerechnet Blauhelme dafür sorgen, dass sie in die Schranken gewiesen werden“, fragte der Mann mit den grauen Haaren mit deutlich erkennbarem Spott. „Das hat doch schon Anfang der Neunziger nicht geklappt, als die UN-Truppen die Wahlen überwachen sollten. Die Roten Khmer wussten damals ganz genau, dass sie auf Zeit spielen konnten. Schließlich war das UNO-Mandat auf achtzehn Monate begrenzt und nach Abzug de Blauhelme konnten sie dann wieder aktiv werde und ihren schmutzigen Guerilla-Krieg weiter führen.“ Er schüttelte entschieden den Kopf. „Das ist ein Fass ohne Boden. Meine Regierung hat kein Interesse, sich da zu engagieren.“
„An einen Einsatz von UNO-Truppen denkt derzeit wirklich niemand.“
„Und woran wird derzeit gedacht?“
Der Generalsekretär hob die Augenbrauen. „Ich meine, dass dies ein Fall für die International Security Force One wäre.“
4
Mark Fellmer rollte sich über den Boden ab. Er riss danach augenblicklich den Lauf der MP7 empor und feuerte als wie aus dem Nichts ein Bewaffneter auftauchte.
Die MP7 in Fellmers Händen ratterte los.
Mündungsfeuer leckte aus dem Lauf heraus.
Ein gutes Dutzend Kugeln schalteten den Gegner aus, bevor dieser seinerseits das Feuer eröffnen konnte. So schnell er konnte, rappelte sich Fellmer auf und hechtete sich hinter die nächste Deckung.
Irgendwo vor ihm im Halbdunkel zwischen den Hauseingängen blitzte Mündungsfeuer auf. Eine MP ratterte und gab Dauerfeuer.
Fellmer wartete ab bis der Geschosshagel etwas nachgelassen hatte. Die roten Laserstrahlen von Zielerfassungsgeräten tanzten durch die Luft.
Der Lieutenant tauchte hinter seiner Deckung hervor, die MP7 im Anschlag. Urplötzlich erschien eine Gestalt: Ein breitschultriger Mann im olivgrünen Kampfanzug mit Splitterweste und einer Kalaschnikow im Anschlag. Fellmer feuerte. Der Mann auf der anderen Seite konnte gerade noch den Lauf seiner Waffe empor reißen, aber es war zu spät für ihn. Mindestens drei Kugeln fetzten ihm in den ungeschützten Kopfbereich hinein und schalteten ihn aus.
Ein zweiter Gegner kam hinter einem Mauervorsprung hervor, auch er im olivgrünen Kampfanzug und mit einer Kalaschnikow bewaffnet.
Fellmer zögerte. Das Gesicht, er kannte es nur zu gut. Es gehörte Colonel John Vanderikke, seinem Kommandanten beim Alpha-Team der UNO Spezialeinheit International Security Force One.
Für den Bruchteil einer Sekunde gerieten Fellmers sorgfältig geschulte Reflexe ins Stocken.
Ein Zögern, das den Tod bedeutete.
Vanderikke feuerte.
„Sie sind tot, Fellmer“, hörte er die Stimme seines Kommandanten noch sagen.
5
„Sie wären jetzt tot, Fellmer“, wiederholte Vanderikkes Stimme diese Feststellung aus einer anderen Richtung.
Die Schritte des Colonels hallten durch den Simulatorraum während sein projiziertes Ebenbild erstarrte. Vanderikke hatte die Simulation offenbar abgebrochen.
Fellmer fluchte.
„Sir, das war nicht fair“, protestierte er.
Vanderikke grinste.
„Sagen Sie bloß, in Ihrer Zeit bei den Krisenreaktionskräften der Bundeswehr hat man Ihnen beigebracht, dass es im Krieg fair zugeht, Lieutenant!“
„Zumindest sieht man nicht unbedingt das Gesicht seines eigenen Kommandanten vor sich, wenn man einen Gegner erwartet!“
Vanderikke deutete auf die erstarrte Projektion seines Ebenbildes.
„Dieser Mann dort ist Ihr erwarteter Gegner – auch wenn Sie es vielleicht gewohnt sind, in anderen Situationen Befehle von ihm entgegenzunehmen!“, versetzte Vanderikke.
„Ob Sie es nun glauben wollen oder nicht - in unserem Job geht es darum, mit ungewohnten, völlig unvorhergesehenen Situationen klar zu kommen. Routine reicht bei einer Einheit wie der International Security Force One nicht.“
„Und nachdem ich inzwischen stellvertretender Kommandant dieser Einheit bin, wollen Sie mir damit klar machen, dass ich eigentlich nicht hier hin gehöre - oder wie soll ich das verstehen?“, fragte Fellmer, wobei er sich kaum Mühe gab, den galligen Unterton zu unterdrücken.
Hatte er, der ehrgeizige Vorzeigesoldat der UNO-Sondereinheit nicht wirklich alles getan, um Vanderikkes Respekt zu gewinnen?
Hatte er nicht immer einen mindestens hundertprozentigen Einsatz gezeigt und war oft sogar darüber hinaus gegangen? Bis ans absolute Limit?
Wer sonst hätte das schon von sich guten Gewissens behaupten können, wenn nicht Fellmer! Und das selbst in einer Elitetruppe wie dem Alpha-Team der von den Vereinten Nationen aufgestellten multinationalen International Security Force One.
Ich habe alles eingesetzt, um seine Anerkennung zu gewinnen – aber es war wohl genauso vergeblich, wie bei meinem Vater!, ging es Fellmer bitter durch den Kopf. Ein Gedanke, der ihn wütend machte.
Innerlich kochte er, auch wenn er versuchte, sich äußerlich davon nichts anmerken zu lassen.
Eigentlich hatte er gedacht, - nach anfänglichen Ressentiments von Seiten des Colonels – es geschafft zu haben, den Colonel von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Seine recht schnelle Beförderung zum Lieutenant als äußeres Zeichen dafür angesehen.
Sollte ich mich da so getäuscht haben?, fragte er sich. War offenbar alles ein Irrtum.
Vanderikkes Gesichtsausdruck entspannte sich jetzt erkennbar.
„Nicht sauer sein, Lieutenant“, versuchte der Amerikaner seinen Stellvertreter zu beruhigen. „Sie haben bei den Simulationstests im Nahkampf-Schießtraining regelmäßig die besten Punktwertungen und hängen sich jedes Mal mit vollem Einsatz rein. Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen und dachte, dass ich diesen Test für Sie etwas anspruchsvoller gestalte.“
Fellmer atmete tief durch.
Es hatte wohl mit der mangelnden Anerkennung durch seinen Vater zu tun, dass Fellmer in vergleichbaren Situationen immer das Negative erwartete.
Das solltest du dir langsam abgewöhnen!, ging es ihm durch den Kopf.
Sein Verstand wusste das, sein Gefühl weigerte sich jedoch beharrlich gegen diese Erkenntnis und ignorierte sie schlicht.
Fellmer hob die Schultern.
„Ich muss gestehen, dass ich für eine Sekunde wie gelähmt war, als ich Ihr Gesicht sah, Colonel!“
„Eine Sekunde, die im Ernstfall Ihren Tod bedeutet hätte“, gab Vanderikke zu bedenken.
Der Lieutenant nickte.
„Ich weiß“, gestand Mark ein.
Vanderikke grinste. „Wie ich schon sagte, nehmen Sie es mir nicht krumm - und ich missgönne Ihnen auch keineswegs den Spitzendurchschnitt bei den Testergebnissen. Ich wollte Sie einfach nur vor zu großer Selbstgewissheit bewahren - denn die kann im Ernstfall genauso tödlich sein, wie Ihr kurzes Zögern.“
„Ich werde es mir hinter die Ohren schreiben“, versprach Fellmer.
In Vanderikkes Augen blitzte es.
„War übrigens gar nicht so einfach, mein Foto in die Projektion hineinzuschmuggeln!“
„Sagen Sie bloß, DeLarouac steckt dahinter.“
„Ich traue mir viel zu, Lieutenant – aber so etwas überlasse ich lieber jemandem, der etwas davon versteht.“
Vanderikkes Handy schrillte.
Der Colonel sagte zweimal kurz hintereinander ein knappes: „Jawohl, Sir!“
Anschließend steckte Vanderikke das Gerät wieder weg.
Sein Gesicht wirkte noch etwas ernster, als ohnehin schon.
„Schluss mit der Übung, Lieutenant. Das war gerade General Elamini.“
Fellmer seufzte.
„Lassen Sie mich raten: Ein neuer Job wartet auf uns.“
Vanderikke nickte. „So ist es.“
Fellmer machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist mir fast egal, wohin es geht! Hauptsache, es handelt sich nicht um irgendeine tiefgefrorene Region unseres Planeten.“ Die letzte Antarktis-Mission der International Security Force One, als das Team damit beauftragt worden war, illegale Atomtests in einem verborgenen See unter dem Eis zu unterbinden, saß sowohl Fellmer als auch den anderen Soldaten des Alpha-Teams in den Knochen.
6
Nacheinander betraten die Mitglieder des ISFO-Teams den Briefingraum 2 im Stabsgebäude von Fort Conroy.
Der französische Kommunikationsspezialist Pierre DeLarouac erschien in Begleitung von Miroslav Harabok, dem eher lakonischen, russischen Techniker der Truppe.
Wortreich erklärte DeLarouac dem Russen, wie man es schaffen könnte, ein PC-Spiel auf dem einen Computer zu installieren, dessen Betriebssystem eigentlich nicht den Anforderungen entsprach.
Haraboks Beitrag zu dem Gespräch beschränkte sich auf ein kurzes „Ja“.
Dr. Ina Karels trug zivil.
Die junge Niederländerin war die Psychologin des Teams und hätte normalerweise heute ihren Urlaub angetreten, aber leider nahmen die weltpolitischen Ereignisse auf Urlaubspläne von Soldaten keinerlei Rücksicht und so hatte sie ihren Heimflug in die Niederlande kurzerhand stornieren lassen. Natürlich auf Kosten der Vereinten Nationen.
Karels nahm Platz und verdrehte die Augen, nachdem sie DeLarouacs ungebremstem Redefluss einige Augenblicke lang gelauscht hatte.
Anschließend betraten die Argentinierin Marisa „Mara“ Gomez und der italienische Nahkampfspezialist Roberto Mancuso den Raum.
Sie trugen Kampfanzüge.
Vanderikke und Fellmer komplettierten das Team.
Als General Elamini den Raum betrat, erhoben sich alle von ihren Plätzen und standen stramm. Der südafrikanische Gründer und kommandierende General der International Security Force One ging mit weiten, entschlossen wirkenden Schritten durch den Raum – dorthin wo bereits sein Laptop mit angeschlossenen Beamer platziert waren.
Er drehte sich zu den Mitgliedern des Alpha-Teams der International Security Force One um, grüßte knapp und sagte: „Setzen Sie sich!“
General Elamini ließ den Blick durch den Raum schweifen. Er musterte die Anwesenden kurz. Der General aktivierte den zu seinem Laptop gehörenden Beamer und projizierte einen Kartenausschnitt von Süd-Ost-Asien an die Wand.
„Sie sehen hier das so genannte goldene Dreieck: Kambodscha, Laos, Thailand. Es handelt sich um einen der größten Drogenumschlagsplätze der Welt und das seit vielen Jahrzehnten“, erklärte General Elamini. „Ein beträchtlicher Anteil des weltweit gehandelten Heroins stammt letztlich aus dieser Region. Instabile politische Verhältnisse und korrupte lokale Regierungen haben dies natürlich über Jahrzehnte hinweg begünstigt. Das ist nichts Neues, und es steht leider außerhalb unserer Macht, etwas daran zu ändern. Im Verlauf der letzten ein bis zwei Jahre hat in diesem Gebiet allerdings eine Entwicklung eingesetzt, die völlig unbeachtet von der Welt nicht nur im Hauptquartier der Vereinten Nationen große Sorgen ausgelöst hat, sondern auch die kambodschanische Regierung zu einem offiziellen Hilfeersuchen an die Vereinten Nationen veranlasste.“
Mit dem Strahl eines Laserpointers umkreiste General Elamini jenes Gebiet, in dem der Mekong die Grenze zwischen Kambodscha und Laos überschritt.
„Sie sehen hier das Rantanakiri Plateau und die drei Nebenflüsse des Mekong in dieser Region: den Kông, den San und den Srepog“, erläuterte Elamini. „Das gesamte Gebiet und einige andere Regionen stehen faktisch nicht mehr unter Kontrolle der Regierung in Phnom Pen. Es hat hier immer Mohnanbau und Drogenhandel gegeben, aber jetzt versucht offenbar jemand, diesen Handel unter seine Kontrolle zu bringen und damit Milliardengewinne zu machen. Wer dieses Gebiet und die angrenzenden Gebiete in Laos und Thailand beherrscht, kann die Heroin Preise in der South Bronx oder Harlem diktieren. Nach Erkenntnissen der kambodschanischen Regierung, sowie verschiedener Nachrichtenagenturen operiert hier eine Guerillabewegung, die unter dem Namen „Neue Rote Khmer“ firmiert. Das Überraschendste ist jedoch, dass diese Kämpfer besser ausgebildet sind und auch besser bewaffnet sind als die reguläre Armee. Sie verfügen über hochmoderne Raketenwerfer, über Stinger-Raketen zur Abwehr von Hubschraubern oder Flugzeugen und haben ganze Teile des Landes praktisch vom Rest der Region abgeriegelt. Das Ganze ging einher mit einer brutalen Säuberungswelle unter den lokalen Drogenfürsten. Offenbar ist jeder liquidiert worden, der nicht bereit war mit dieser neuen Macht zu kooperieren.“
„Haben diese Leute tatsächlich etwas mit jenen Roten Khmer zu tun, die in den 70er Jahren eine Schreckensherrschaft über Kambodscha ausübten?“, fragte Colonel John Vanderikke.
„In den Wirren des Vietnam-Krieges war es damals den kommunistischen Roten Khmer gelungen, die amerikafreundliche Regierung des Diktators Lon Nol zu stürzen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung fiel in den nachfolgenden Jahren der Schreckensherrschaft unter Pol Pot zum Opfer. Eine Schreckensherrschaft, die erst durch eine Invasion der Vietnamesen beendet worden war. Noch Jahre danach hatten die Roten Khmer in den unzugänglichen Dschungelgebieten Kambodschas operiert. Eine Gruppe unverbesserlicher Steinzeitkommunisten, die jedoch eine zunehmend geringere Bedeutung gespielt hatten. Aber selbst nach ihrer Vertreibung führten sie noch einen jahrelangen Bürgerkrieg.“
General Elamini fuhr fort: „Nach ihrer Entmachtung lieferten sich die ursprünglichen Roten Khmer jahrelang blutige Gefechte mit der Regierung und sie beherrschen bis heute einige Gebiete im Westen und Nordwesten des Landes. Daran hat selbst eine UNO-Friedensmission nichts geändert, die Anfang der 90er Jahre zur Sicherung der allgemeinen Wahlen stattfand. Die Roten Khmer spielten damals einfach auf Zeit. Sie wussten, dass das UNO-Mandat auf 18 Monate begrenzt war.“
Elamini deutete erneut auf das im Nordosten gelegene Rantanakiri Plateau.
„Diejenigen Verbände, die in diesem Gebiet operieren und sich als Neue Rote Khmer bezeichnen, haben unseren Erkenntnissen nach mit den alten Steinzeitkommunisten überhaupt nichts zu tun. Sie benutzen nur ihren Namen und ihre Taktik, um ihre eigenen Ziele zu verschleiern. Einem CIA-Agenten namens Roy McConnery gelang es, zu ihnen vorzudringen. Über einen verschlüsselten Satellitenkanal konnte er noch einige wichtige Informationen übersenden bevor er schließlich bei den Ruinen von Angkor Wat umgebracht wurde. Dankenswerterweise hat uns die US-Regierung diese Informationen zugänglich gemacht. Danach ist es einer unbekannten Macht gelungen große Teile der alten Roten Khmer als Söldner anzuheuern. Die Ziele dieser Macht haben nichts mit politischer Ideologie zu tun. Es geht um die Kontrolle des Drogenhandels. Wir sind uns inzwischen sicher, dass diese Macht Teil eines größeren Netzwerkes ist.“
„Sprechen Sie von einem Syndikat?“, fragte Vanderikke.
„Wir sollten hoffen, dass es sich nur um ein Syndikat handelt“, erklärte Elamini. „Wenn dem so ist, verfügt es über exzellente Verbindungen, denn anders sind die hochmodernen militärischen Möglichkeiten nicht zu erklären über die die Neuen Roten Khmer plötzlich verfügen.“
„Es scheint mir, als würde Ihnen noch eine andere Hypothese im Kopf herumschwirren“, stellte Vanderikke fest.
Der General lächelte mild.
„Sie haben Recht, Colonel. Die Kontrolle des Drogenhandels im goldenen Dreieck stellt eine politische Macht dar. Allein schon wegen der ungeheuren Summen, die dadurch umgesetzt werden. Die Geheimdienste vieler Länder haben uns vorexerziert wie man mit Hilfe von aus dem Drogenhandel stammenden Geldern ganze Regierungen stürzen kann. Ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte auch mancher demokratischer Länder.“
Elamini tickte mit dem Finger auf das Rantanakiri Plateau. „Es könnte auch ein interessierter Staat dahinter stecken“, fuhr er anschließend fort. „Die Kontrolle des Heroinhandels ist eine Trumpfkarte, die man bei außenpolitischen Differenzen mit den Vereinigten Staaten oder Europa hervorziehen könnte.“
Vanderikke nickte.
„Nordkorea ist zu arm, um eine solche Truppe auszurüsten. Doch wer steckt dann dahinter? Der Iran?“
Elamini zuckte die Achseln. „Vielleicht auch China. Sie waren immer schon die traditionellen Unterstützer der Roten Khmer.“
„Und was ist mit einer kriminellen Organisation wie SHADOW?“, fragte Fellmer.
„Auch das wäre möglich“, erwiderte Elamini und fuhr fort: „Wie auch immer. Ihre Aufgabe ist es, die Zentrale der Neuen Roten Khmer auszuschalten und nach Möglichkeit Hinweise darüber zu sammeln, wer dahinter steckt. Roy McConnery hat es leider nicht geschafft bis zu der Zentrale vorzudringen, aber er konnte in Erfahrung bringen, dass es eine unterirdische Bunkeranlage gibt, von der aus die Vorgänge in den von den Neuen Roten Khmer kontrollierten Gebieten gesteuert werden. Von hier aus müssen auch sehr gute Kommunikationswege ins Ausland existieren.“ Elamini machte eine kurze Pause. Sein Gesicht wirkte sehr ernst. In gedämpftem Tonfall fuhr er schließlich fort: „Sie werden bei diesem Einsatz völlig auf sich allein gestellt sein, faktisch jedenfalls. Die kambodschanische und auch die laotische Regierung unterstützen uns zwar, aber wir müssen damit rechnen, dass diese Unterstützung mehr moralischer Natur ist. Über das Einsatzgebiet selbst hat die Regierung in Phnom Penh nicht mehr die Kontrolle. Darüber hinaus müssen Sie damit rechnen, dass Vertreter der Behörden, Soldaten, aber auch die Polizei mehr oder weniger leicht korrumpierbar ist. Das erklärt sich schon aus den bescheidenen Lebensverhältnissen. Seit es dieses offizielle Hilfeersuchen Kambodschas gibt, sind unsere Gegner gewarnt. Es ist daher vielleicht viel versprechender, wenn Sie von laotischem Gebiet aus ins Einsatzgebiet vordringen. Ein anderer Ansatzpunkt wäre es, sich zu den Ruinen von Angkor Wat zu begeben. Diese Ruinen sind bei Forschern und Touristen gleichermaßen beliebt. Für die Neuen Roten Khmer dienen sie vor allen Dingen als Drogenumschlagplatz. Die Drogen und das entsprechende Geld werden einfach irgendwo abgelegt und dann von so genannten Touristen weitertransportiert. Im Gegensatz zu den Einheimischen werden die nämlich kaum kontrolliert.“
„Worin besteht das genaue Ziel dieser Mission?“, fragte Vanderikke.
„Ausfindigmachen und gegebenenfalls Zerstören der Kommunikationszentrale und Sicherung von so viel Datenmaterial über die weltweite Vernetzung der Neuen Roten Khmer wie möglich. Sobald Sie Ihren Job erledigt haben, kann zugeschlagen werden – und zwar weltweit zur selben Zeit.“
„Und da machen über unter Umstände über 190 UNO-Mitglieder auf der Welt mit?“, wunderte sich Lieutenant Fellmer.
General Elamini lächelte dünn. „Sagen wir so: Ein Land, das die Hintermänner dieses Drogenkartells deckt, wird einiges zu erklären haben und vielleicht in den Verdacht geraten, selbst die Kontrolle über die Opiate aus dem goldenen Dreieck anzustreben. Auch das ist ja nicht auszuschließen.“
General Elaminis Haltung straffte sich.
„Ich komme jetzt zu den Einzelheiten... Das Codewort der Operation lautet Unternehmen Khmer.“
7
Phnom Penh, Boulevard Confederation de la Russie, zwei Tage später, 1210 OZ
Es war drückend heiß in dem Taxi, obwohl die Seitenscheiben heruntergedreht waren und der Fahrtwind Fellmer und Karels durch das Haar fuhr. Die Luftfeuchtigkeit musste nahe bei hundert Prozent sein. Schon als sie aus dem Flieger gestiegen waren, hatte Fellmer beim ersten Atemzug geglaubt, einen Schlag vor den Kopf zu bekommen.
Ein Taxi brachte die beiden ISFO-Soldaten vom außerhalb der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh gelegenen Pochentong Airport aus zum Hotel Wat Phnom.
Der Weg führte quer durch die Stadt. Der Boulevard Confederacion de la Russie war eine der wichtigsten Verkehrsadern der Hauptstadt – und meistens verstopft. Zur hohen Luftfeuchtigkeit kam noch ein Schadstoffgehalt, den man wahrscheinlich in keiner europäischen oder amerikanischen Großstadt antreffen konnte.
Fellmer fragte sich, wie Fahrer der überladenen Fahrradrikschas das auszuhalten vermochten.
Dagegen war selbst ein Höhentraining für Gebirgsjäger der reinste Erholungsurlaub.
Ina Karels erging es nicht anders.
Sie wirkte matt und abgeschlagen, saß in sich zusammengesunken auf der Rückbank des Taxis und strich sich eine schweißnasse Strähne aus dem Gesicht.
„Jetzt wünsche ich mir den antarktischen Sommer“, murmelte sie nur. „Oder eine frische Brise an der Nordsee. Kannst du dir das jetzt vorstellen, Mark?“
„Kann ich – aber ich tue es nicht.“
„Wieso?“
„Wäre doch Folter.“
Karels atmete tief durch und sagte schließlich nach einer kurzen Pause: „Ich hoffe, wir gewöhnen uns möglichst schnell an die Bedingungen hier.“
Fellmer und Karels trugen zivil. Sie mimten Touristen, die zu den Bauten von Angkor reisen wollten. Die Ruinen der alten Dschungelstädte aus der Blütezeit des Khmerreichs wurden von den Neuen Roten Khmer als Übergabeorte für Geld und Drogen genutzt. Die Durchführung war extrem einfach. Man heuerte Amerikaner oder Europäer an, für ein gutes Honorar ein Paket an einem bestimmten Punkt in dem Steinlabyrinth der vom Dschungel überwucherten Ruinen zu hinterlegen und ein anderes Paket dafür abzuholen und außer Landes zu bringen. Kambodscha war auf jeden Touristen-Dollar dringend angewiesen. Entsprechend wenig gründlich wurden die Kontrollen durchgeführt. Wenn dann noch bestimmte Grenzübergänge nach Thailand oder Laos benutzt wurden, an denen die Grenzer geschmiert waren, dann bestand so gut wie keinerlei Risiko – es sei denn, es bestand die Absicht, jemanden in die Falle gehen zu lassen.
Dann plötzlich bekam dieser Drogenkurier die volle Härte der Gesetze Asiens zu spüren und ihm drohte womöglich die Todesstrafe.
Die kambodschanische Regierung hatte den Einsatz der UNO gegen die Neuen Roten Khmer gefordert und hätte daher auch den Männern und Frauen der Spezial Force One jede nur denkbare Unterstützung gewährt.
General Elamini hatte aber in diesem Stadium des Unternehmens Khmer darauf verzichtet, da er annehmen musste, dass ein großer Teil der Sicherheitskräfte und Beamten leicht zu korrumpieren waren. Schon deshalb, weil sie große Familien zu ernähren hatten und dies von ihren offiziellen Gehältern kaum möglich war. Sie waren zur Annahme von Schmiergeldern quasi gezwungen. Die grassierende Korruption war wohl auch der Grund dafür, weshalb es den nationalen Sicherheitskräften der kambodschanischen Regierung nicht gelungen war, die Neuen Roten Khmer auch nur ansatzweise in Bedrängnis zu bringen.
Aber ein unbestechliches Kommandounternehmen von außerhalb hatte vielleicht eine Chance.
Erst in der Schlussphase der Operation war für die Armee des Landes eine Rolle vorgesehen...
Fellmer und Karels sollten sich nach Angkor aufmachen, sich dort umsehen und den Mittelsmännern der Neuen Roten Khmer folgen. Wenn es sich ergab, sollten sie sich als Drogen- und Geldkuriere anheuern lassen – natürlich in der Hoffnung, mehr über die Hintermänner dieser offenbar hoch effektiv arbeitenden Organisation zu erfahren.
Aber zuvor gab es für Dr. Ina Karels in Phnom Penh noch eine besondere Aufgabe.
Sie sollte eine Obduktion durchführen.
Der Leichnam des CIA-Agenten Roy McConnery, der bei den Ruinen von Angkor aufgefunden worden war, wurde mehr und mehr zu einem politischen Streitobjekt. Der kambodschanischen Regierung war bekannt, dass er für die CIA arbeitete, aber die amerikanische Regierung war nicht bereit dies zuzugeben, geschweige denn, die Erkenntnisse, die McConnery über die Neuen Roten Khmer gesammelt hatte, mit der Regierung in Phnom Penh zu teilen, da man den Sicherheitsapparat des Landes als nicht vertrauenswürdig einstufte. Das Drogenkartell, das man als Financier hinter der Guerilla vermutete, sollte nicht den taktischen Vorteil bekommen, zu wissen, wie viel in Washington über diese Khmer Connection bekannt war.
Aber die Mitglieder des ISFO-Teams unterstanden der UNO und galten daher als neutral.
Wenn man den Vereinten Nationen die Leiche untersuchen ließ, ohne dass die Amerikaner Informationen liefern mussten, konnten alle Beteiligten ihr Gesicht waren.
Vanderikke und der Rest des Teams würde sich von entgegen gesetzter Seite der im Hochland des Rantanakiri Plateaus vermuteten Kommandozentrale nähern. Sie mussten von Laos aus die Grenze überschreiten. Während der gesamten Operation sollten alle Mitglieder des Teams über eine geheime, codierte Satellitenverbindung in Kontakt bleiben und koordiniert vorgehen.
Die Divisionen der kambodschanischen Armee hatten es nicht geschafft, in das von den Neuen Roten Khmer besetzte Gebiet überhaupt nur einzudringen. Ein kleines Team, bei dem im Prinzip jedes Mitglied notfalls in der Lage war, den Auftrag allein auszuführen, hatte da vielleicht mehr Erfolg.
Karels und Fellmer hatten natürlich keinerlei Ausrüstung mitnehmen können, da sie ganz regulär als Touristen ins Land gereist waren.
Nicht einmal eine Pistole hätten sie im Gepäck mitführen können.
Aber für dieses Problem hatte Elaminis Plan eine Lösung parat.
Fellmer und Karels sollten in Phnom Penh einen CIA-Agenten treffen, der dafür sorgen würde, dass sie alles bekamen, was sie brauchten.
Wieder blieb das Taxi im Stau stehen. Es wurde vergeblich gehupt.
Rechts vom Boulevard Conféderation de la Russie befand sich ein Schienenstrang, dahinter das Ufer des mitten in Phnom Penh gelegenen Boeng Kar-Sees, an dessen Ostufer sich das ehemalige Franzosenviertel der Stadt befand. Hunderte kleiner Boote waren auf dem Boeng Kar zu sehen. Die Sicht war klar, sodass selbst die Leuchtreklamen des Boeng Kak Amusement Parks erkennbar waren, die den Blick auf die in einem prächtigen Kolonialbau untergebrachte französische Botschaft verstellten.
„Tut mir leid, aber um diese Zeit ist immer viel Verkehr in der Stadt“, entschuldigte sich der Taxifahrer, ein kleiner, zierlicher Mann mit blauschwarzen Haaren, dessen Gesichtszüge chinesische und malaiische Elemente miteinander vereinten. „Aber seien Sie froh, dass wir noch nicht Regenzeit haben“, fuhr der Kambodschaner in seinem akzentschweren Englisch fort.
„Wieso?“, fragte Fellmer ahnungslos.
„Weil in der Regenzeit viele Straßen unter Wasser stehen. Die Flüsse und Seen treten über ihre Ufer und wenn man kein Boot besitzt, ist man schlecht dran.“
„Verstehe.“
Endlich bewegte sich die Schlange unterschiedlichster Fahrzeuge fort.
Der Boulevard Confederation de la Russie stieß nun auf den Monivong Boulevard, die von Norden nach Süden verlaufende Hauptverkehrsader der Stadt.
Das Taxi fuhr geradeaus, auf den alten Markt zu. Aber das dortige Gewimmel aus fliegenden Händlern, Moped-Karren, Rikschas und halbverrosteten Autos mied er und bog links in eine Seitenstraße ein. Dann ging es nach rechts, wieder nach links und innerhalb von wenigen Augenblicken hatte Fellmer vollkommen die Orientierung verloren. „Diese Stadt ist wie ein Labyrinth“, meinte er und blickte aus dem Fenster. Auf engstem Raum waren hier kleine Werkstädten und Wohnungen zu finden. Die Familien lebten auf wenigen Quadratmetern zusammengedrängt.
Aber der Taxifahrer kannte sich aus. Mit traumwandlerischer Sicherheit fand er seinen Weg durch das Labyrinth der winzigen Straßen und Gassen. Schließlich erreichte er den breiten Sisowath Quai, der am Flussufer entlang führte. Etwa einen Kilometer weiter südlich teilte sich der Tonle Sab vom Mekong.
Die Flüsse und Seen Kambodschas waren traditionell die wichtigsten Verkehradern des Landes. Wichtiger noch als das Straßennetz, von dem in der Regenzeit immer ein beträchtlicher Teil nicht passierbar war. Unzählige Boote und Flussschiffe jeder möglichen Größe und Antriebsart waren auf dem fast fünfhundert Meter breiten Tonle Sab zu sehen, der in seinem weiteren Verlauf in einen gewaltigen See gleichen Namens mündete.
Der Mekong hingegen zweigte nach Norden in Richtung der laotischen Grenze ab.
Dorthin, wo das Land der Neuen Roten Khmer war.
Das Taxi hielt vor dem Hotel Wat Phnom. In unmittelbarer Nähe war unübersehbar das Wahrzeichen der Stadt. Wat Phnom Penh, eine Tempelanlage auf einem dreißig Meter hohen, mit Bäumen bewachsenen Hügel.
Eine Treppe führte hinauf, die von stilisierten Löwen aus Stein bewacht wurde.
„Ist nur ein kleiner Tempel“, sagte der Taxifahrer, als er Ina Karels’ Blick bemerkte. Die junge Niederländerin war offensichtlich beeindruckt. „Eine kleine Kopie von Angkor Wat – mehr nicht. Die Roten Khmer haben die Ruinen als Steinbruch verwendet. Vielleicht hat dieser Frevel an den Göttern ihnen den Untergang gebracht.“
„Soweit ich gehört habe, gibt es sie doch noch“, meinte Fellmer. „Da draußen im Dschungel.“
„Ja. Unverbesserliche und Mörder, an deren Händen so viel Blut klebt, dass niemand ihnen je wieder die Hand geben würde. Jedenfalls werden sie nie wieder die Macht übernehmen.“
„Sie haben es schon einmal geschafft“, gab Fellmer zu bedenken. Und in Gedanken setzte er noch hinzu: Damals war ihre Bewaffnung schlechter, während die Regierung, die sie bekämpften, massive Unterstützung durch die USA genoss.
„Das Volk hat die Machtergreifung der Roten Khmer begrüßt“, sagte der Taxifahrer. „In den Straßen von Phnom Penh herrschte Freude – bis die neuen Herren die gesamte Bevölkerung aus der Stadt trieben, damit die dekadenten Stadtmenschen auf den Reisfeldern dem Volk dienten. Die Roten Khmer haben damals ein Viertel ihres eigenen Volkes umgebracht. Weitere Millionen starben an Unterernährung. Das vergisst man nicht. In jeder Familie gibt es Opfer. Nein, diesmal würde es das Volk ihnen nicht gestatten, die Macht zu übernehmen.“
„Ich hoffe, Sie haben recht“, sagte Fellmer.
Karels bezahlte das Taxi. Wenig später stiegen sie aus. Sie hatten nur leichtes Gepäck bei sich.
Die beiden ISFO-Soldaten betraten die Hotelhalle und genossen die Kühle, die hier herrschte. Das Hotel war klimatisiert.
Nachdem sie eingecheckt hatten, sprach sie ein Mann mit buntem Hawaii-Hemd an.
„Sie sind Fellmer und Karels?“, fragte er.
„Ja“, bestätigte Fellmer.
„Ich bin Clive Berenger.“
Das war der Name der CIA-Manns, den sie in Phnom Penh treffen sollten. Dass er sie bereits im Foyer des Hotels abpasste, damit hatte Fellmer allerdings nicht gerechnet.
Berenger war ein breitschultriger Man mit Bauchansatz, Mitte fünfzig, grauhaarig und mit einem spöttischen Lächeln um die dünnen Lippen. Er hatte von seiner Zentrale den Auftrag, dafür zu sorgen, dass die beiden ISFO-Kämpfer ihre als diplomatisches Gepäck der US-Botschaft eingeschleuste Ausrüstung bekamen.
Das war alles.
Über die Mission an sich wusste er nichts, geschweige denn, dass er über irgendwelche Einzelheiten informiert gewesen wäre.
„Gehen wir in die Hotelbar auf einen Drink?“
Fellmer wechselte einen kurzen Blick mit Ina Karels und meinte dann: „Nichts dagegen. Meine Kehle ist staubtrocken.“
„Ich kann Ihnen nur eine Empfehlung geben, solange sie sich in diesem Land aufhalten: Trinken Sie genug. Sie schwitzen bei diesen klimatischen Verhältnissen literweise, da dehydriert man schnell.“
„Wir werden es uns merken“, meinte Karels und verdrehte die Augen, ohne dass Berenger davon etwas mitbekam.
Dessen besserwisserische Art gefiel ihr nicht.
Ihr wäre es am liebsten gewesen, der CIA-Mann wäre gleich zur Sache gekommen.
In der Bar bekamen sie alle drei Erfrischungs-Drinks. Berenger winkte sie an einen Tisch in der Ecke, wo sie ungestört reden konnten.
„Na, wie gefällt Ihnen diese alte Stadt?“, fragte er und trank das halbe Glas leer. Er wartete eine Antwort seiner Gesprächspartner gar nicht erst ab, sondern fuhr fort: „Wenn Sie mich fragen, dann ist das alte Phnom Penh 1975 gestorben, als man die Bevölkerung auf die Felder trieb. Vier Jahre war das hier eine Geisterstadt – und hätte dieser Zustand noch ein paar Jahre länger angedauert, wäre aus einer Millionenstadt eine Dschungelruine ähnlich der von Angkor geworden. Nur nicht so pittoresk!“ Er lachte, trank den Rest des Glases aus und stellte es geräuschvoll auf den Tisch. „Ist lange her... Ich gehörte zu den letzten amerikanischen Soldaten, die den Job hatten, die Botschaft zu evakuieren. Und weshalb Sind Sie beide hier?“
„Geheim“, sagte Karels.
„Hätte ich mir ja denken können.“ Er musterte zuerst Fellmer, dann Karels und meinte schließlich: „Ich weiß nur, dass Sie beide nicht für unsere Firma arbeiten. Wer hat Sie angeheuert?“ Er grinste Karels an. „Skandinavische Geheimdienste haben in Südostasien soweit ich weiß keinerlei Interessen.“
Ina strich sich das blonde Haar zurück.
„Kommen wir doch einfach zur Sache, Mister Berenger.“
Berenger griff in seine Hemdtasche und holte zwei Schlüssel hervor und schob sie über den Tisch.
„Die passen zu zwei Schließfächern hier im Hotel. Da ist alles drin.“ Er grinste. „Viel Glück - wobei auch immer!“
„Danke“, sagte Fellmer.
„Wir sollten auch einen Wagen bekommen“, mischte sich Ina ein.
„Steht bereit. Fragen Sie an der Rezeption. Es ist zwar nicht gerade ein Hummer – der würde zu sehr auffallen – aber geländegängig ist er. Außerdem führt der Weg nach Angkor über eine recht komfortable Straße, vorausgesetzt Sie nehmen die Nationalstraße 5 Richtung Bangkok und der kleine Umweg über Phumi Robal macht Ihnen nichts aus...“
Woher weiß er, dass wir nach Angkor wollen?, durchzuckte es Fellmer. War das einfach nur ein Schuss aus der Hüfte? Oder wusste dieser Mann mehr, als er zugab?
Berenger erhob sich, verabschiedete sich knapp und verließ den Raum.
„Mir gefällt der Typ nicht“, meinte Ina.
„Wieso?“
„Ich weiß nicht. Es ist einfach nur ein Bauchgefühl, dass mir sagt: Trau ihm besser nicht über den Weg.“
Fellmer zuckte die Achseln.
„Wahrscheinlich sehen wir ihn nie wieder“, war er überzeugt.
8
Kambodschanisch-laotisches Grenzgebiet, Quellgebiet des Kông, 1330 OZ
Der Transporthelikopter der laotischen Armee trug an der Außenseite seiner Schiebetür noch die Aufschrift ‚Eigentum der Nationalen Volksarmee der DDR’. Aber was diese Worte bedeuteten, wussten weder Pilot noch Copilot.
Der Copilot war Unteroffizier in der laotischen Armee, während es sich bei dem Piloten um einen Russen namens Sergej handelte.
In Vientiane, der Hauptstadt von Laos, waren Vanderikke und sein Team an Bord des Helikopters gegangen, der sie ins Grenzgebiet bringen sollte.
Die ganze Zeit über hatte Sergej versucht, mit Miro Harabok, dem russischen Techniker der Gruppe, ein Gespräch anzufangen.
Sergej war offensichtlich sehr froh darüber gewesen, nach langer Zeit mal wieder auf jemanden zu treffen, der Russisch sprach. Und so hatte er wortreich davon berichtet, dass es in der laotischen Armee nicht genügend Piloten gäbe, dieses Land viel ärmer als Russland sei, er aber trotzdem immer sein Gehalt bekommen hätte.
„Die Kameraden in Russland können das leider nicht behaupten“, meinte er. „Da versickert das Geld bei irgendwelchen Bürokraten!“
Harabok hatte kaum etwas dazu gesagt.
Er schien erleichtert zu sein, als der Helikopter endlich das Einsatzgebiet erreichte.
Dichter Dschungel überwucherte das Quellgebiet des Kông, der nach wenigen Kilometern die Grenze nach Kambodscha überschritt und etwa fünfzig Kilometer südlich der Grenze in den Mekong einmündete.
In der Ferne waren die Anhöhen des Rantanakiri Plateaus zu sehen, wo die Rückzugsbasis und die Kommandozentrale der Neuen Roten Khmer vermutet wurden.
Ein Gebiet, das hervorragend für einen Verteidigungskrieg geeignet war, wie Colonel Vanderikke sofort auffiel.
Von den Anhöhen aus konnte man die umliegenden Gebiete hervorragend kontrollieren.
Es wird ein harter Job werden, dort einzudringen!, war es dem Kommandanten der Truppe klar.
Sergej suchte eine Lichtung.
Die Männer und Frauen des ISFO-Teams seilten sich einer nach dem anderen mitsamt ihrer Ausrüstung ab.
Von hier an waren sie auf sich allein gestellt.
9
Knatternd flog der laotische Helikopter davon und verschwand schließlich hinter dem Horizont. Die Geräusche der Maschine wurden immer leiser und verloren sich schließlich im Konzert der Dschungelstimmen.
Pierre DeLarouac, der Spezialist für Computer und Kommunikation im Team der International Security Force One, führte mit Hilfe eines GPS-Navigationssystems eine exakte Positionsbestimmung durch und deutete Richtung Süden. „Etwa zwanzig Kilometer noch, dann müssten wir die kambodschanische Grenze überschreiten“, meinte er.
Vanderikke grinste.
„Danke, Lieutenant. Aber das hätte ich Ihnen auch ohne diesen technischen Firlefanz sagen können.“
„Mit Verlaub, mon colonel, was solche Dinge angeht, bin ich für Genauigkeit. Übrigens werden es diese paar Kilometer ganz schön in sich haben. Il y a quelques difficultés!“
Vanderikke runzelte die Stirn.
„Wovon sprechen Sie, DeLarouac? Vom Gelände?“
DeLarouac nickte.
„Wir haben nicht einfach nur Dschungel vor uns, sondern einen Dschungel kurz nach Ende der Regenzeit.“
„Und wo liegt der Unterschied?“, fragte Vanderikke leicht gereizt.
„Der Wasserstand ist hoch. Kleine Nebenflüsse sind unter Umständen breit wie ein Strom und nicht so einfach zu durchqueren. Der Boden dürfte mit Wasser voll gesogen sein, sodass nur wenig versickern kann. Ausgedehnte Schlamm- und Sumpfgebiete bilden sich, ehe die Trockenzeit schließlich dafür sorgt, dass sie wieder verschwinden.“
„Wir werden uns dem Zeitplan trotzdem einhalten müssen“, meinte Vanderikke.
Der Colonel ging voran. Die MP7 trug er über der Schulter, das geringe Marschgepäck auf dem Rücken.
Die ISFO-Kämpfer trugen nur das Nötigste an Kampfsausrüstung mit sich. Gerade in einer so feuchtheißen Umgebung wie sie in dieser Region vorzufinden war, musste man darauf achten, den Körper vor jeder unnötigen Belastung zu bewahren.
Die Männer und Frauen des Alpha-Teams trugen leichte Kampfanzüge, Splitterwesten, Schutzhelm sowie jeweils eine MP7 sowie eine automatische Pistole vom Typ SIG Sauer P226 zur Selbstverteidigung.
Der Vorrat an Nahrungskonzentraten, die jedes Teammitglied bei sich führte, war sehr begrenzt. Jedes Gramm Marschgepäck, das eingespart werden konnte, bedeutete einen Vorteil an Ausdauer und Kampfkraft.
Außerdem waren alle Teammitglieder im Verlauf ihres Dienstlebens mehrfach einem Survival-Training unterzogen worden, so dass sie im Notfall auch völlig auf sich gestellt und ohne Waffen oder technische Hilfsmittel in der Lage gewesen wären, zu überleben.
Lediglich Pierre DeLarouacs Marschgepäck war etwas umfangreicher als das seiner Kameraden, denn er trug sein Speziallaptop mit sich.
Die erste Zeit über gingen sie schweigend durch den dichter werdenden Urwald. Zahllose Vogelstimmen bildeten einen Klangteppich, der ebenso wie die sehr intensiven Gerüche die Sinne zu betäuben drohte.
Der Abstieg an morastigen Hängen war ausgesprochen anstrengend. Oft sanken die Mitglieder des ISFO-Teams bis zu den Knöcheln in den Schlamm ein. Der Boden war durch die monatelangen, wolkenbruchartigen Regengüsse extrem aufgeweicht.
Das Wasser konnte nur nicht mehr abfließen.
Das Klima der Region wurde durch den Monsun in zwei deutlich voneinander unterscheidbare Jahreszeiten geteilt. Eine Hälfte des Jahres fegten trockene Winde über das Land die zuvor die dürren Gebiete Westchinas und Tibets überquert hatten. Bei der Passage dieser gewaltigen Landmasse hatte sie nur wenig Feuchtigkeit hatten aufnehmen können. Das Gegenteil galt in der anderen Jahreshälfte, in der tropische Luftströme über den Golf von Thailand getrieben wurden, wo sie Unmengen von Feuchtigkeit absorbierten, die dann über den Dschungeln Südostasiens nieder regneten.
Kleinere Bäche flossen durch das dichte Unterholz dem Kông entgegen. Um diese Jahrszeit war so mancher dieser Wasserläufe zu einem reißenden Gewässer geworden, die nicht selten fünfzig oder hundert Meter breit anschwollen.
Es kostete viel Zeit, eine geeignete Stelle zur Überquerung zu finden.
Bis zum Hals sanken die Mitglieder des Teams dann mitunter in das schlammige Wasser und konnten gerade noch ihr Gewehr über die Oberfläche ragen lassen.
Die Nässe war allgegenwärtig. Die Kleidung trocknete schlecht. Auf ein Feuer mussten sie aus Sicherheitsgründen verzichten, denn die Neuen Roten Khmer hatten mit ihren Vorgängen gemeinsam, dass sie sich wenig um Landesgrenzen kümmerten. Die Regierung von Laos beklagte seit Monaten, dass es immer wieder zu Übergriffen auf ihr Hoheitsgebiet kam.
Man musste also zumindest mit Patrouillen der anderen Seite rechnen.
Am Abend erreichten Vanderikke und seine Gruppe endlich den Kông, der sich einige Kilometer südlich bei Stoeng Treng mit dem Mekong vereinigte.
Vor Einbruch der Dunkelheit schlugen sie ihr primitives Lager auf.
Mara Gomez lehnte mit dem Rücken gegen einen knorrigen Baumstamm und schloss für einige Augenblicke die Augen. Ein seltener Anblick bei der durchtrainierten Argentinierin, die normalerweise immer darauf bedacht war, keine schwäche erkennbar werden zu lassen.
Besonders mit Nahkampfspezialist Roberto Mancuso hatte sie sich in der Vergangenheit regelrechte Wettbewerbe geliefert.
Mancuso hatte darauf zumeist spöttisch reagiert oder einen seiner von vorn herein aussichtslosen Versuche gestartet, mit seinem Italocharme bei Marisa zu landen.
Als der Italiener die junge Argentinierin jetzt so dasitzen sah, konnte er einfach nicht widerstehen.
„Soll das etwa heißen, dass du müde bist, Mara? Und dabei hat unsere Mission praktisch gerade erst begonnen.“
Gomez’ Augen öffneten sich.
Sie blitzten ärgerlich.
„Untersteh dich!“, fauchte sie und merkte viel zu spät, dass sie Mancuso auf den Leim gegangen war. Der Italiener hatte nichts anders beabsichtigt, als Mara zu reizen und sie war darauf hereingefallen.
„Du siehst entzückend aus, wenn du dich aufregst. Ich mag Frauen mit Temperament.“
„Dann bin ich anscheinend die Ausnahme, Roberto.“
„Zu schade, Mara...“
„Tut mir leid, aber nach Schlammcatchen mit Schwächlingen ist mir nicht zumute!“
Gomez erhob sich und nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Wasserflasche.
Mancuso grinste nur.
„Schade eigentlich. Könnte ich mir als angenehme Abwechslung vorstellen.“
Gomez’ Blick wurde plötzlich starr.
Ein harter, entschlossener Zug trat in das fein geschnittene, hübsche Gesicht der jungen Frau. Sie riss mit der Rechten die MP7 hoch, die ihr an einem Riemen über der Schulter hing und vollführte eine schnelle Vorwärtsbewegung.
„Heh, so war das nicht gemeint!“, rief Mancuso, während die MP7 in Maras Hand bereits Blei spuckte. Eine Garbe von 12 Schüssen feuerte aus dem Lauf heraus, auf den ein Schalldämpfer aufgeschraubt war, sodass die Geräuschentwicklung erheblich gedämpft wurde. Im matten Dämmerlicht war das Mündungsfeuer deutlich zu sehen.
In der Vorwärtsbewegung versetzte Gomez Mancuso einen heftigen Stoß, sodass der Italiener im nächsten Moment im Schlamm lag.
Dort, wo Roberto gerade noch gestanden hatte, zischten Dutzende von Projektilen durch die Luft und schlugen in die Rinde der dahinter liegenden Bäume.
Gomez lag neben dem Italiener und feuerte weiter in Richtung des gegenüberliegenden Flussufers.
Die anderen hatten inzwischen ebenfalls bemerkt, was sich dort abspielte. An verschiedenen Stellen blitzte Mündungsfeuer im dichten Unterholz an dem flachen, morastigen Ufer des Kông auf.
Vanderikke rollte sich am Boden um die eigene Achse und feuerte im nächsten Moment ebenfalls in Richtung der unbekannten Angreifer von der anderen Flussseite.
DeLarouac schob sein Speziallaptop, mit dem er über eine Satellitenverbindung Zugang zu sämtlichen der International Security Force One und den Vereinten Nationen zugänglichen Informationssystemen hatte, zurück in den eigens dafür vorgesehenen stoßsicheren Behälter, der normalerweise in seinem Rucksack platz fand.
Miroslav Harabok kniete in seiner Nähe und gab ihm Feuerschutz, ehe schließlich beide Männer in Deckung sprangen.
Plötzlich war auf der anderen Seite zwischen den Bäumen eine ohrenbetäubende Detonation zu hören.
Anschließend ein heulender Laut.
„Granatwerfer!“, knurrte Vanderikke und riss das leer geschossene Magazin seiner MP7 aus der Waffe heraus und ersetzte es gegen ein Neues.
Eine weitere Granate schoss von der anderen Seite herüber. Sie erreichte Überschallgeschwindigkeit, deswegen war das Geräusch ihres Einschlags vor dem Abschuss zu hören.
Eine Reihe weiterer Granatschüsse pfiff über die ISFO-Kämpfer hinweg, schlug zwischen ihnen ein oder zerfetzte Baumstämme. Fontänen aus Schlamm und Geröll wurden empor geschleudert.
„Nichts wie weg hier!“, rief Vanderikke heiser.
Seine Stimme ging im dröhnen des Gefechtslärms unter. In immer dichterer Folge kamen die Einschläge.
Die ISFO-Kämpfer robbten durch den Schlamm davon, versuchten ein Stück am Flussufer entlang zu kommen, um dann den Hang hinauf zu kriechen und hinter der Böschung Deckung zu finden. Das dichte Grün des Dschungels bot zumindest etwas Sichtschutz. Aber die andere Seite schien einfach nach der Devise vorzugehen, dass schon etwas getroffen wurde, wenn man nur genug Munition in möglichst kurzer Zeit verbrauchte.
Für Vanderikke und seine Leute ging es jetzt um Leben und Tod. So schnell sie konnten robbten sie weiter, während rechts und links die Einschläge immer neue Dreckfontänen verursachten. Krater von ein bis zwei Metern Durchmesser wurden in das Erdreich hineingerissen.
Harabok war der erste, der den Kamm der Böschung erreichte. Die anderen folgten.
Nacheinander erreichten sie die sichere Deckung.
Aber für eine lange Verschnaufpause blieb keine Zeit.
Der Beschuss von der anderen Seite des Kông hielt noch eine Weile. Der Lärm war ohrenbetäubend.
Mancuso drängte es, das Feuer zu erwidern, aber Vanderikke hielt ihn zurück.
Es hatte keinen Sinn, Munition zu verschwenden. Fehlende Vorräte konnte man durch den Verzehr von Regenwürmern und Heuschrecken ausgleichen – Munition war unter den Bedingungen dieses Einsatzes jedoch nicht ersetzbar.
Die Soldaten nutzten die Gelegenheit um die Waffen nachzuladen.
Der Beschuss des Gegners verebbte.
Augenblicke lang herrschte eine fast unheimliche Stille. Auch die Fauna des Dschungels war verstummt und erwachte erst im Laufe von mehreren Minuten wieder zum Leben.
„Scheint fast so, als hätten die uns erwartet“, meinte Gomez ärgerlich.
„Und um ein Haar hätten Sie uns sogar erwischt“, stellte Mancuso fest. Er wandte sich Gomez zu. „Danke für die Runde Schlammcatchen“, sagte er. „Du hast mir das Leben gerettet.“
„Siehst du, so bin ich zu dir!“
„Wir sollten hier schleunigst weg“, riss Vanderikke die Initiative an sich. Er deutete in Richtung der Gegner. „Ich schätze, die werden bald den Fluss überqueren.“
DeLarouac widersprach.
„Zweifellos werden sie den Fluss überqueren – aber auf keinen Fall hier!“
Der Kommunikationsspezialist hatte sein Laptop hervorgeholt. Auf dem LCD-Schirm war ein Kartenausschnitt zu sehen, der den Verlauf des Kông im laotisch-kambodschanischen Grenzgebiet zeigte. Das besondere an der Karte war, dass sie mit einem aktuellen Satellitenbild überblendet worden war. Ein spezielles Programm berechnete die aktuellen Flusstiefen. „Der Wasserstand ist viel zu tief“, stellte DeLarouac fest.
„Wie aktuell sind Ihre Informationen?“, frage Vanderikke.
Schließlich sank der Wasserstand in der beginnenden Trockenzeit ständig.
„Vor sechs Stunden wurde das Satellitenbild geschossen, Sir.“
Vanderikke kratzte sich am Kinn. Dann robbte er zu DeLarouac hinüber und warf selbst einen Blick auf den Schirm. „Zeugen Sie mir die Stellen im Flusslauf, die derzeit für eine Überquerung geeignet sind.“
„Kein Problem.“
Ein Tastendruck und mehrere Markierungen zeigten die Positionen an, an denen eine Überquerung des Kông derzeit möglich war.
„Okay“, murmelte Vanderikke. „Dann werden wir versuchen, ihnen so gut es geht aus dem Weg zu gehen.“
DeLarouac deutete auf den Schirm. „Das alles wird nur unter der Voraussetzung nützen, dass der Gegner weder über Boote verfügt, noch es schafft, mit anderen Hilfsmitteln über das Wasser zu kommen.“
„Um eine Seilbrücke auf diese große Distanz spannen zu können, ist das Gefälle zu gering. Und dass sie hier irgendwo Boote haben, glaube ich nicht. Hier, auf dieser Seite der Grenze, sind sie schließlich nicht zu Hause.“
Der Colonel fasste seine MP7 mit beiden Händen.
Sein Gesichtsausdruck wirkte entschlossen.
„Auf geht’s“, befahl er.
10
Phnom Penh, Heng Tong Hospital, Ecke Preah Paem Tasak/361. Straße, Donnerstag 0801 OZ
„Dr. Ina Karels, Ärztin in den Diensten der Vereinten Nationen“, murmelte der Vertreter des kambodschanischen Innenministeriums, der Karels gebeten hatte, in einem der Verwaltungsbüros Platz zu nehmen. Alle Angestellten waren hinausgeschickt worden.
Der Kambodschaner sah sich den Dienstausweis an, der für Dr. Karels eigens für diesen Zweck ausgestellt worden war. Schließlich war niemandem in Phnom Penh bekannt, dass sie nicht einfach nur eine UNO-Ärztin, sondern gleichzeitig Mitglied in einer Kommandoeinheit war, die in das Gebiet der Neuen Roten Khmer vordringen sollte.
„Es ist mir zugesagt worden, dass ich Roy McConnery obduzieren darf“, erklärte die blonde Niederländerin und legte dabei so viel Überzeugungskraft in ihre Worte, wie nur möglich.
„Ja, das ist richtig. Ich hatte mir nur vorgestellt, dass die Vereinten Nationen jemanden schicken würden, der...“
„Einen Mann?“, fragte Ina.
Der Kambodschaner schüttelte den Kopf. „Nein. Jemanden mit mehr Berufserfahrung.“
Ina lächelte säuerlich.
Die Geringschätzung war aus den Worten ihres Gegenübers deutlich herauszuhören.
„Ich sehe jünger aus, als ich bin“, erwiderte sie spitz. Aber dieser Unterton schien ihrem Gegenüber völlig zu entgehen.
„In meinen Augen ist es obszön, die Arbeitskraft von Ärzten dazu zu verwenden, Tote zu untersuchen“, erklärte er. „Aber das werden Sie nicht verstehen. Ich weiß, dass dies in den Ländern des Westens anders ist. Wir haben schließlich Satellitenfernsehen.“ Der Vertreter des Innenministeriums erhob sich. Sein Gesicht bekam einen Ausdruck, den Ina Karels nur schwer zu deuten vermochte. Eine Wandlung geschah mit ihm.
Etwas scheint ihn sehr stark zu bewegen!, dachte sie. Anders war es nicht zu erklären, dass sich seine Gefühle derart stark in seinem Gesicht widerspiegelten, wo es doch allgemein in Asien üblich war, dies zu vermeiden. „Mein Vater war Arzt“, sagte er tonlos in seinem fast akzentfreien Englisch. „Als die Roten Khmer die Stadt eroberten, trieben sie die Bevölkerung aufs Land...“
„Davon haben ich gehört.“