Zusammenfassung
Band 2: Im Dschungel der Zeiten
von Ansgar Back
Der Umfang dieses Buchs entspricht 151 Taschenbuchseiten.
Die doxanischen Magier-Rebellen befinden sich auf der Flucht vor ihren Verfolgern. Doch ohne ihr wichtigstes Hilfsmittel, einen Stringformer, können sie kein weiteres Hypertor erschaffen. Die Einzelteile ihres Stringformers sind als kleine Röhrchen durch Raum und Zeit geschleudert worden. Auf der Suche nach den Röhrchen müssen die Magier vom Mittelalter über das London des 19. Jahrhhunderts bis ins Jahr 2015 springen, und kein Zeitalter ist ungefährlich. Aber die Doxaner schlafen nicht und sind in der Verfolgung der Rebellen nicht zimperlich den Menschen gegenüber.
Cover: René Weyer
Serienkonzept: Jo Zybell
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Arkanum – Das siebte Tor
Band 2: Im Dschungel der Zeiten
von Ansgar Back
Der Umfang dieses Buchs entspricht 151 Taschenbuchseiten.
Die doxanischen Magier-Rebellen befinden sich auf der Flucht vor ihren Verfolgern. Doch ohne ihr wichtigstes Hilfsmittel, einen Stringformer, können sie kein weiteres Hypertor erschaffen. Die Einzelteile ihres Stringformers sind als kleine Röhrchen durch Raum und Zeit geschleudert worden. Auf der Suche nach den Röhrchen müssen die Magier vom Mittelalter über das London des 19. Jahrhhunderts bis ins Jahr 2015 springen, und kein Zeitalter ist ungefährlich. Aber die Doxaner schlafen nicht und sind in der Verfolgung der Rebellen nicht zimperlich den Menschen gegenüber.
Cover: René Weyer
Serienkonzept: Jo Zybell
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
Prolog
London
Sommer 1838, Ankerraumzeit
Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht.
Elias wusste nicht mehr, wo er die Worte dieses Niedermenschlichen namens Epikur aufgeschnappt hatte. Mit ihnen anfreunden konnte er sich jedenfalls nicht.
Nicht bei diesem Anblick.
Ein Kloß schwoll in seinem Hals. Louise und Frederick drängten sich neben ihn. Sie spürten seine Aufregung, seinen Zorn und seine Trauer über den Verlust seines Gefährten. Doch sie hielten sich zurück, warfen ihm verstohlene Blicke zu.
Starrten auf dieses Ding, das einmal ein Magier gewesen war.
Sie waren in das Labor von Sir Abraham Fox eingedrungen. Eine Stätte tödlicher Kämpfe inzwischen. Wie viele Leichen hatte er gezählt auf dem Weg hier herunter in den Gewölbekeller? Irgendwann hatte Elias aufgehört zu zählen. Ihm war übel.
Durch das vergitterte Fenster sickerte diesiges Tageslicht, die Luft roch nach verbranntem Laub und verkohltem Fleisch. Direkt vor ihren Augen stand ein Kupfergebilde, groß wie ein Schrank, glänzend, und von ovalem Grundriss. Die Tür dieses Behälters stand offen, und ein Netz aus Tentakeln spannte sich darin aus. Schwarzen, verschimmelten Tauen gleich bildeten sie einen Kokon, in dessen Innern etwas eingewoben war, das wie ein gigantisches Insekt anmutete.
Tenjas.
Einer seiner Gefährten.
Anhand der Überreste des Symbionten hatte Elias ihn einwandfrei identifiziert. Tenjas war einem magischen Brand zum Opfer gefallen, als er das Tor hatte durchschreiten wollen. Es gab keinen Zweifel. Und Zarah?
Frederick, der junge Taschendieb, groß, blond und dünn, trat neben den Kupferschrank. „Das soll ein magisches Tor sein?“, fragte er, immer noch tief erschrocken über den Anblick von Tenjas’ sterblichen Überresten. Und wirklich: Wie eine verrottete Spinne in ihrem verrußten Netz sahen sie aus. Fredericks Wolfsartiger schnupperte daran, zog den Schwanz ein und winselte ängstlich.
Elias hatte Mühe, seinen Zorn zu unterdrücken. „Es ist Tenjas.“
Louise schien sein Zustand inzwischen zu gefallen, wie er bemerkte. In ihren Augen lag ein Glanz, der spöttisch und gereizt zugleich war. „Du hast von einem Raumzeitbeben gesprochen“, sagte sie. „Davon, dass dieses Beben den Stringformer und eine Gruppe von Flüchtlingen auseinandergerissen hat.“
„In alle Winde verstreut“, korrigierte Elias. „Das trifft es besser. In alle Zeiten zerstreut.“
„Wie auch immer. Du sagtest, ihr sucht nach Teilen dieses bescheuerten Stringformers und nach den verschollenen Gefährten. Und dann hast du noch etwas gesagt ...“
„Du sprachst von den anderen“, unterbrach Frederick und nickte zaghaft. „Ja, und du sagtest ...“
„Sie sind hier.“ Elias räusperte sich. „Ich sagte, sie sind hier.“
„Was, zur Hölle, hat das zu bedeuten?“, brauste Louise auf. „Rede endlich, verdammt nochmal! Sag uns die Wahrheit! Warum sind sie hier? Und warum sind wir hier, zum Teufel?!“
„Und wer sind sie überhaupt?“, schob Frederick mit ängstlicher Stimme hinterher.
Elias’ Zorn schwand. Die Wahrheit lag auf der Hand: Tenjas war tot und Zarah verschwunden. Lord Fox ebenfalls. Die Kampfspuren oben im Erdgeschoss sprachen dafür, dass die Doxaner ihn als Geisel gefangen genommen hatten.
Resignation machte sich in ihm breit. „Ich spreche von Magiern. Genau wie ich stammen sie aus Doxa“, sagte er. „Sie jagen mich und meinesgleichen.“
„Warum?“ Frederick stand eindeutig unter Schock.
„Weil sie uns vernichten wollen.“
„Warum? Warum? Warum?“
„Weil wir nicht mehr dulden, dass sie andere Welten und andere Wesen zu Spielbällen ihrer Wettleidenschaft und ihrer Lust an Gewalt und Zerstörung machen.“ Elias presste die Fäuste gegen die Schläfen. „Wahrscheinlich konnten sie das Siebte Tor erneuern.“
Louise durchbohrte ihn mit einem finsteren Blick. „Das hast du schon angedeutet“, sagte sie spitz. „Aber was be-deu-tet das, verflucht noch eins?“
„Es bedeutet, dass sie uns uns alle vernichten wollen. Hört ihr nicht zu? Ihr Ziel ist es, Arkanum Sieben auf Erden zu errichten.“
„Arkanum Sieben?“ Frederick konnte nur noch flüstern.
„Die siebte Welt in diesem Universum, die sie umpflügen und mit Brandrodung in eine Kampfarena verwandeln wollen. Um ihrem grausamen Spiel- und Wetttrieb zu frönen.“
„Du sprichst vom Untergang der Menschheit?“, wisperte Frederick.
„Schwachsinn.“ Louise wich die Farbe aus dem Gesicht. „Was redest du da für eine gequirlte Scheiße?! So etwas gibt es doch gar nicht!“
Elias, der es besser wusste, senkte den Kopf und schwieg.
Louise ballte die Fäuste. „Was redest du da für einen Schwachsinn, sag mal? Los, sprich! Ich will endlich wissen, was hier gespielt wird!“
Elias blickte wieder auf. „Das ist kein Spiel, Louise“, sagte er. „Es ist bitterer Ernst.“
„Was ist bitterer Ernst? Was ist das für eine Welt, dieses Doxa?“ Eine Frage nach der anderen schoss Louise auf ihn ab. „Wieso Arena? Wieso Spieltrieb? Wieso sind wir hier? Rede endlich!“
„Es ist schwer zu fassen für euch.“ Elias hatte seine Gedanken längst auf die Reise geschickt. „Aber gut.“ Entschlossen straffte er seine Schultern. „Ich erzähle euch, was vorgefallen ist. Hört gut zu. Wir, die Rebellen von Doxa, und einige Angehörige eurer Rasse sind in Doxa in ein Hypertor getreten, um hierher in eure Welt zu springen und das Hypertor zugleich zu zerstören. Kein doxanischer Magier sollte nach uns jemals wieder eure Erde betreten. Doch der Sprung ist uns nicht geglückt ...“
ERSTES BUCH
Hexenjagd
1.
Wittenberg
Spätherbst 1517
Zarah erwachte mit einem klebrigen Geschmack im Mund. Ihr Kopf dröhnte, ihre Ohren klingelten. „Bei allen Göttern“, stöhnte sie. Der Geruch von Schimmel drang in ihre Nase. Sie wälzte sich herum, hörte das Rascheln von Stroh.
Ihr Blick fiel auf ein Kerkergitter. Sie befand sich in einer Zelle, gebaut aus Quadersteinen, mit niedriger Decke, einem vergitterten Fenster und einer Tür aus Eisenstäben. Die Pritsche, auf der sie lag, bestand aus hartem Holz, die Stoffdecke unter ihr war zerschlissen und vermodert. Ein leises Gluckern drang an ihr Ohr, irgendwo tropfte Wasser.
Zarahs Handgelenk fühlte sich kühl an. Sie sah an sich hinab und gewahrte einen Eisenring und eine rostige Kette, die in einer Wandhalterung endete.
Gefangen!
Hinter der Tür verlief ein breiter Gang. Zarah erkannte weitere Zellen. Zwei Männer wandten ihr die Rücken zu. Der eine war offenbar der Kerkermeister, der andere trug eine Uniform, ein Schwert, und auf dem Kopf einen zerbeulten Helm mit einer roten Feder, sichtlich ein Soldat. Sie unterhielten sich über eine Gefangene, die gleich abgeführt werden sollte. Zarah rieb sich die Schläfen, lugte an dem Soldat vorbei und erkannte einen der Niedermenschlichen, der mit ihnen den Sprung durch das Hypertor geschafft hatte.
Die Rothaarige.
Ihr blaues Kleid sah ziemlich mitgenommen aus. Allerdings brachte der zerlumpte Fetzen die Schönheit dieser Frau nur noch mehr zur Geltung. Ihre Augen waren hell und klar, die Nase fein geschwungen, ihre Lippen leicht asymmetrisch. Sie hatte lange, wohlgeformte Beine, ihr Dekolletee enthüllte den Ansatz milchig-weißer Brüste.
Zarah stutzte. Diese Frau war mit ihnen durch das Tor gegangen.
Aber wo sind wir gelandet?, durchfuhr es sie siedend heiß. Und wo sind die andern? Fast wäre sie aufgesprungen, aber sie zwang sich zur Ruhe. Noch wollte sie die Aufmerksamkeit der beiden Männer nicht auf sich ziehen.
Ihre Gedanken arbeiteten blitzschnell. Wo befanden sie sich? Und seit wann? Der zerrissenen Kleidung und dem Schmutz auf der nackten Haut der Rothaarigen nach waren sie schon eine ganze Weile an diesem Ort.
Zarahs Magen knurrte. Sie fühlte sich schwach, brauchte dringend hochkalorische Nahrung und einen kräftigen Schluck klares Wasser. Ihre Zunge war wie angeleimt, ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie Sand geschluckt.
Im Vergleich mit einem Niedermenschlichen lief der Stoffwechsel eines Magiers von Doxa meistens auf Hochtouren: Zarahs Körpertemperatur betrug im Schnitt 37,8 Grad Celsius. Vor allem der Symbiont verbrauchte viel Energie. Ihre Kette rasselte, als sie nach der warmen weichen Wölbung in der Kuhle hinter dem rechten Ohr tastete. Dort schlief er, ihr Symbiont. Ihr engster Verbündeter, ihre magische Rüstung, ihr zweites Gehirn.
Der Soldat riss sie aus ihren Gedanken. „Die ist erheblich schöner als der weißhaarige Knochen in der anderen Zelle“, sagte er und rieb sich den Schritt. „Ich hätt’ nicht übel Lust, ihr die Pflaume zu pudern.“
Weißhaariger Knochen?, durchfuhr es Zarah, die unzweifelhaft mit diesen Worten gemeint war. Du elender Lindwurm!
Der Kerkermeister rieb sich den Nacken. Ihm war sichtlich unwohl. „Veyd mag es nicht, wenn man seine Gefangenen schändet.“
„Ja, ich weiß, das ist ja der Jammer. Er verbrennt sie lieber.“
„Außerdem wird sie gleich abgeführt.“
„Wie schade. Wenn ich dieses Weibsstück nur ansehe, fühle ich mich wie Adam im Paradies. Leider sehe ich weit und breit keinen Apfel, ich würd nur zu gern hineinbeißen.“
„Du solltest vorsichtig sein, Wendel“, mahnte der Kerkermeister. „Wenn Veyd dich so reden hört, landest du ebenfalls auf dem Scheiterhaufen.“
Der Soldat klatschte dem Kerkermeister auf die Schulter. „Du wirst ihm ja nichts verraten, nicht wahr, mein lieber Alberich?“
„Nein.“
„Wärst nicht der erste, der den Stahl meiner Klinge spürt.“
„Nein. Wär’ ich nicht.“ Alberich nickte verhalten.
„Alsdann.“ Der Soldat namens Wendel schickte sich an zu gehen, als das Rasseln von Schlüsseln erklang. Holz knarrte, dann fiel ein Lichtstreifen in den Gang. Kurz darauf polterten Stiefelschritte von mindestens vier Männern durch das Verlies. Alberich zog die Schultern ein, Wendel nahm Habachtstellung an.
Ein Trupp Soldaten betrat den Gang. Der vorderste, ein hochgewachsener Kerl mit vollem blondem Bart, hob die Hand. „Sei gegrüßt, Wendel. Auch du, Alberich.“
„Ihr kommt sie zeitig holen, Hauptmann Heinrich“, sagte Wendel. Man hörte seinen Unfrieden aus jeder Silbe tropfen.
„Wohl an“, erwiderte der Hauptmann. „Der Rat trug uns auf, die Sache schnell zu beenden.“
„Aber heute schon? Und ohne Prozess? Verzeih, das muss doch einen Grund haben.“
„Selbstredend. Der Rat hat genug mit dem Inquisitor und seinen Leuten zu tun. Da fällt eine Menge Arbeit an. Außerdem macht dieser verdammte Luther wieder Ärger.“
„Ich dachte, er steht auf Seiten des Inquisitors?“
„Tut er auch. Wenn’s nach Luther geht, können Hexen nicht schnell genug brennen. Aber er stiftet Unruhe wegen dem Ablass.“
„Ach?“
„Ja, ja. Man munkelt, er habe deshalb sogar Schriften verfasst. Dieser elende Unruhestifter! Der kommt am Ende noch auf die Idee zu behaupten, die Erde sei rund.“
Alle lachten, auch der Kerkermeister. Wendel beruhigte sich als erster. „Wie lange will der Hexenjäger Veyd unser Wittenberg noch beehren?“, fragte er.
Zarah spürte, wie sich Missstimmung unter den Soldaten ausbreitete.
Hauptmann Heinrich schabte sich über den Bart. „Schwer zu sagen. Als Inquisitor ist er verpflichtet, der kirchlichen Obrigkeit regelmäßig Meldung zu erstatten. Seine Schergen fegen über das Land wie die Heuschrecken. Alles, was auch nur im Entferntesten nach Schwarzer Magie riecht, wird gefangengenommen, gefoltert und getötet.“
Zarah verhielt sich ruhig, hörte aber gebannt zu. Es war offensichtlich, dass die Anwesenden den Inquisitor nicht mochten – und dass sie ein vertrauliches Verhältnis zueinander pflegten; sonst hätten sie nicht so offen miteinander gesprochen.
Alles, was nach Schwarzer Magie riecht ...
Magie.
Das Wort allein und die aktuelle Bedrohung reichten, um Zarah zu elektrisieren. Sie musste aus diesem Kerker entfliehen, so schnell wie möglich!
„Mach Platz, Wendel“, hörte sie den Hauptmann sagen.
„Muss das wirklich sein?“
Zarah hörte Bedauern in Wendels Worten, aber die entsprangen eher aus Lüsternheit, denn aus Mitleid. Für ihn war das Verbrennen einer schönen Frau reine Verschwendung, Erbarmen rangierte bei ihm auf den hinteren Plätzen.
Schlüssel klirrten, das Metall der Zellentür quietschte in den Angeln. Die rothaarige Schönheit lag auf ihrer Pritsche. Ihr Blick war scheu, ängstlich zog sie die Beine an. Die Männer blickten schweigend in die Zelle, einer mitleidig, ein anderer leckte sich die Lippen.
Zarah überlegte erst, sich schlafend zu stellen, dann setzte sie sich auf und sah die Kerle unverhohlen an.
„Wer ist der Mann?“, fragte Heinrich.
„Äh ... das ist kein Mann“, antwortete Wendel.
„Was?“
„Das ist eine Frau. Wir fanden sie bewusstlos vor dem Stadttor. Ich habe mir erlaubt nachzusehen, ob ... Veyd war daraufhin sofort klar, dass es sich nur um eine Hexe handeln kann.“
Du hast nachgesehen, ob ich eine Frau bin?, durchzuckte es Zarah. Du dreckige Made, dafür wirst du büßen! Ich werde dich in Stücke reißen, ich werde die Gräber deiner Ahnen ausheben und ihnen ins Gesicht furzen, du elender Misthaufen!
„Diese Megäre da ist kein Mann?“
„Nein, Heinrich.“
„Also so was. Pfui Deibel. Mich schaudert bei ihrem Anblick. Vielleicht sollte man die zuerst verbrennen.“
„Nur zu, ich hab nichts dagegen. Dann kann man der anderen noch ein oder zwei Tage Aufschub ...“
„Nichts da, als Waffenknecht des Bischofs habe ich meine Order. Zuerst sollen der Feuerschopf und die alte Elsbeth dran glauben.“
„Die alte Elsbeth?“, fragte Wendel ungläubig. „Was hat sie denn getan?“
„Wir mussten sie verhaften. Ein Nachbar hat gesehen, wie sie aus Kräutern einen heißen Sud braute und sich mit dem Gebräu ihr Fieber weg hexte. Der Bader war außer sich vor Zorn. Er hat den Sud gleich nach Elsbeths Verhaftung beschlagnahmt. Damit niemand zu Schaden kommt, wie er sagte.“
Sie lösten der Rothaarigen die Ketten und führten sie ab. Zarah sah ihnen reglos zu. Als Sekundarmagisterin musste sie Kräfte sparen und sich auf ihre Fähigkeiten konzentrieren, wenn sie dieser stinkenden Zelle entkommen wollte.
Zufrieden registrierte sie, dass nur der Kerkermeister zurückblieb. An der Tür sah er den Soldaten hinterher. Zarah erhob sich und stellte sich auf die Pritsche. Die Kette spannte sich, der Eisenring fraß sich in ihr Handgelenk.
Sie blickte durch das Gitterfenster. Ein Marktplatz lag vor ihr, eingesäumt von Häusern aus Ried und Lehm. An den Balken einiger Verkaufsstände baumelten Schweinehälften, Dörrobst und Pfefferschoten, in der kühlen Luft hing der Geruch von Gewürzen.
In der Mitte des Platzes hatte man Scheiterhaufen errichtet. Mächtige Eichenpfähle ragten daraus hervor. Ein hochgewachsener schlanker Mann gab Anweisungen. Er hatte einen gezwirbelten schwarzen Schnauzer, unter seinem federbesetzten Hut lugte ölig glänzendes Haar hervor. Sein Gesichtsausdruck wirkte mürrisch, sein Oberhemd war mit allerlei kirchlichen Abzeichen versehen. Seine Männer trugen Harnische, über denen weiße Schärpen hingen. Blutrote Kreuze prangten darauf. Allesamt waren sie schwerbewaffnet. Zarah zählte unzählige Schwerter und Lanzen, dazu Lang- und Kurzbögen samt der dazugehörigen Köcher auf den Rücken der Männer.
Ein Karren rumpelte am Kerkerfenster vorbei. Auf der Ladefläche saßen zwei zerlumpte Kinder inmitten von Fellen und verschüttetem Salz. Der Junge streckte Zarah die Zunge heraus.
Die Sekundarmagisterin hörte ein Zwitschern und Gurren in der Luft. Sie sah ... Vögel.
Ein bestimmter Gedanke durchzuckte ihren Kopf. Dann stahl sich ein bitteres Grinsen auf ihre Lippen.
„He! Du! Komm da runter!“
Zarah fühlte, wie sich ihr Gesicht verhärtete. Langsam drehte sie sich um. „Was hast du gesagt?“
Der Kerkermeister zuckte unmerklich zusammen. „Du sollst da runterkommen. Es ist den Gefangenen nicht erlaubt ... Ich meine ...“
Zarah trat von der Pritsche. Kurz vor der Gittertür hielt die Kette sie zurück.
Zum ersten Mal sah sie den Kerkermeister aus der Nähe. Er trug ein gelb-rotes Wams, war muskelbepackt und gedrungen. Er hatte drahtige, buschige Brauen, die Haut in seinem breiten Gesicht war überraschend glatt.
Sie weckte ihren Symbionten, ließ ihn aber noch in der Kuhle hinter ihrem rechten Ohr. „Wer bist du?“, fragte sie.
„Wer ich bin?“ Er verzog die Lippen. Seine Zähne hatten die Farbe von Hornhaut. „Ich bin Alberich Gruber, der Kerkermeister. Ihr wollt mich wohl verhexen, was? Aber das gelingt Euch nicht, lasst Euch das gesagt sein, Scheusal! Die Grubers haben schon manchen Sturm überstanden!“
Zarah spürte überdeutlich seine Schwäche. Dieser Mann war aus einer Familientradition heraus Kerkermeister geworden. Aber er war sensibel, empathisch und voller Zweifel. Er gehörte nicht hierher.
Er hat definitiv den falschen Beruf.
Sie jagte ihre Gedankenströme in sein Hirn, und seine Synapsen saugten ihre Attacke auf wie Schwämme! Alberichs Augen weiteten sich, er zitterte am ganzen Leib. Zarah machte unbeirrt weiter, ein mentales Raubtier, ein Gedanken-Prädator, der Alberichs freien Willen in die Knie zwang.
„Warum hat man uns verhaftet?“, fragte sie.
„Es ... ist mir nicht gestattet, Fragen zu beantworten.“
„Warum hat man uns verhaftet?“
„Ich darf nicht ...“
„Los, rede!“
Schweißperlen traten auf seine Stirn. Ein grauer Schleier legte sich über Alberichs Pupillen, dann drehten sich die Augäpfel, sodass nur noch das Weiße zu sehen war. „Ihr seid der Hexerei überführt!“, sagte er. „Ihr seid vor den Toren Wittenbergs gelandet, als hätte die Hölle euch ausgespuckt! Die Torwachen haben die Venatoren gerufen!“
„Die Venatoren?“
„Ein Verbund, der Hexen und Magiern nachspürt! Veyd Echtholtz, der Verfechter des Hexenhammers, jagt Euch, wo es nur geht! Er ist hergekommen, um der Hinrichtung von Euch vieren beizuwohnen!“
Zarahs fühlte einen Stich im Innern. „Uns vieren? Wen meinst du damit?“
„Außer dem Feuerschopf und Euch haben wir noch zwei weitere Satans-Schergen erwischt! Dämonische, genau wie Ihr! Sie liegen in Eurer unmittelbaren Nachbarschaft, eingekerkert in diesen heiligen Gewölben!“
Zarahs Blick fiel auf die gegenüberliegende Wand. Wer mochte wohl mit ihr und dem rothaarigen Niederwesen den Sprung durch das Hypertor geschafft haben? Nur zwei weitere? Sie war davon ausgegangen, dass es allen gelungen war.
Aber was, wenn nicht? Was, wenn wir auf der ganzen Welt verstreut wurden?
Womöglich noch in verschiedenen Zeiten?
Sie wagte nicht, daran zu denken und löste Alberichs geistige Fessel. Sie hatte vorerst genug gehört und musste mit den Kräften haushalten. Der Sprung hatte sie enorm geschwächt.
Der Schleier über Alberichs Augen verflüchtigte sich. Der Kerkermeister wankte, dann umklammerte er mit den Fäusten die Gitterstäbe.
„Hexe!“, spie er hervor. „Du wirst brennen, das schwöre ich dir! Und ich werde dabei zusehen und auf deinem Grab tanzen!“
Zarah setzte sich auf die Pritsche und ignorierte ihn. Sie musste unbedingt etwas unternehmen.
Aber was?
Sie schloss die Augen und atmete durch. Kräfte sammeln. Das war in diesem Augenblick das Wichtigste. Sie hörte, wie der Kerkermeister ausspuckte und sich entfernte. Er hatte wohl bemerkt, dass er sie mit seinen Verwünschungen nicht beeindruckte.
Sie ließ ein wenig Zeit verstreichen. Eine Idee reifte in ihr heran. Allerdings musste sie sofort in die Tat umgesetzt werden, ihr blieb nicht viel Zeit.
Sie stellte sich wieder auf die Pritsche und lugte durch das Gitter. Gegenüber stand eine palastartige Kirche, vor der Bettler ihre furchigen Hände ausstreckten. Zwei Männer in Kutten schlugen und traten nach ihnen. Irgendwo schrie ein kleines Niedermenschliches, als hätte man es von der Mutterbrust gerissen.
Zarah sah einen Mann auf das Kirchenportal zuschreiten. Er wirkte kräftig, trug eine dunkle Kutte, und ein dichter Haarkranz rahmte seinen ansonsten rasierten Schädel ein. In den Händen hielt er einen Hammer und Papyri. Die Sekundarmagisterin sah zu, wie der Mann sich furchtlos an den anderen Kuttenträgern vorbeischob, vor der Kirchentür den Hammerstil in den Mund nahm, in seine Tasche griff und Nägel hervorholte. Kurz darauf nagelte er unter lautem Hämmern die Papyri an die Tür. Tauben flogen auf.
Die waren Zarah schon vorhin aufgefallen. Dazu kamen Krähen und Singvögel, die sich auf den Dächern und Mauern tummelten. Kein Wunder – auf einem Marktplatz hielten sich gewöhnlich Menschen auf. Wo Menschen waren, wurde gegessen. Und wo man aß, fielen Krümel ab, die Vögel, Hunde und streunende Katzen anlockten.
Zarah lächelte. Dann legte sie ihre Fingerspitzen an die Schläfen und konzentrierte sich. Ihr Symbiont kroch aus seiner Kuhle und breitete sich über ihrem Scheitel aus.
Eine halbe Minute später brach draußen die Hölle los!
2.
Elias’ Schädel dröhnte wie eine Glocke. Hinter seiner Stirn verspürte er Schmerzen wie Stiche von unzähligen Nadeln.
Vor seinem geistigen Auge erschien ein brennender Birkenwald. Magister und Magisterinnen, die ihm zu Feinden geworden waren. Die Greifenechse, die Torkuppel und Isabelle. Elias sah Zarah und Bathseba, er sah die Portalflügel, Hioban und die verletzte Salome.
Lundis ...
Wo bist du?
Er versuchte sich zu bewegen, doch er war wie gelähmt. Das Hypertor nach Arkanum Sieben war erwacht. Aus dem Nichts war es aufgeklafft. Elias hatte in das Mundstück des Stringformers geblasen und mit einem anschwellenden Crescendo aus Klängen und Farben waren sie in einem gewaltigen Lichtgewebe versunken. Er und mit ihm alle anderen, die für die Magister nun Ausgestoßene waren: Rebellen von Doxa und Niederwesen, auch die Menschlichen genannt.
Aber wo sind wir gelandet?
Er nahm den Gestank von ranzigem Fett wahr. Aufdringlich, fast penetrant, schob sich der ekelhafte Geruch wie mit Nebelfingern in seine Nase. Elias musste niesen, er wand sich, blinzelte – und öffnete seine Augen.
Nur langsam gingen seine Blicke eine Symbiose mit seinem Verstand ein. Nur langsam begriff er, wo er gelandet war. Er erkannte geschwärztes, rissiges Gemäuer, den Widerschein dreier Fackeln, eine glühende Esse, einen Blasebalg, schartiges Werkzeug an den Wänden – und eiserne Fesseln an seinen Händen und Füßen.
Bei Doxas rotem Mondlicht!, durchfuhr es ihn.
Er lag auf einem hölzernen Foltertisch. Elias wollte sich aufsetzen, doch es gelang ihm nicht. Er rüttelte an seinen Ketten, fluchte und schrie, wollte sich befreien, denn er wusste nur zu gut, wozu blutrünstige Niedermenschliche fähig sein konnten.
„Der Gefangene ist aufgewacht, Herr“, sagte jemand schräg hinter ihm. Elias wandte den Kopf. Da stand ein hagerer Mann mit Halbglatze und einer auffallend schmalen Nase. An seinem Kinn zitterte ein schütteres Büschel weißen Barthaars. Er trug ein Priestergewand.
Der Kerl hinter ihm war einen ganzen Kopf kleiner, aber stämmig. Er trug ein Lederwams, abgetragene Stiefel und ein Felloberteil. Er hatte Knopfaugen und ein brauenloses Gesicht, seine Haut war so braun und verschrumpelt wie die eines Apfels, der zu lang in der Sonne gelegen hatte. In dem breiten Ledergürtel, der um seine Hüfte geschlungen war, steckten verschieden große Messer und Zangen. Augenscheinlich war der Mann so etwas wie ein Folterknecht.
„Es gibt nur einen Herrn“, sagte der Priester, „und zwar den Herrn, unsern Gott.“
„Ja, Herr. Was wollen wir mit ihm anstellen?“
Der Geistliche trat heran. In seinen Augen irrlichterte ein merkwürdiges Blitzen. „Weißhaarig, klein und schmächtig ist er“, sagte der Priester. „Aber seine Augen sind jung. Siehst du das, Hans?“
„Nein, Herr.“
„Warum nicht?“
„Ich stehe zu weit weg.“
„Dann tritt näher.“
Der Folterknecht trat näher.
„Siehst du jetzt das Böse in seinem Blick?“, fragte der Priester.
„Ja, Herr.“
„So sieht eine Kreatur der Finsternis aus, eine Ausgeburt der Hölle.“
„Gewiss.“
„So lockt uns der Teufel. Mit jungen Augen. Verstehst du das, Hans?“
„Was immer Ihr sagt, Herr.“
„Der Bursche versucht uns zu täuschen. Aber so wahr ich Lamont, der Gerechte bin, in Wahrheit schmiedet er teuflische Pläne und folgt übernatürlichen Stimmen.“
„Woher wisst Ihr das, Herr?“
„Gott hat es mir gesagt. Und nun ans Werk!“
„Ja, Herr.“ Der Folterknecht rieb sich mit seinen schwieligen Händen über die Brust. „Was soll mit ihm geschehen, Herr? Der Schädelbrecher? Die Daumenschrauben? Der spanische Schuh?“
„Nichts von alledem.“ Der Priester ging zur Wand und begutachtete in Ruhe das Werkzeug. Elias klopfte das Herz bis zum Hals. Er sammelte sich, versuchte sich zu konzentrieren.
Der Priester nahm eine ellenlange Zange von der Wand. „Dieses Werkzeug scheint mir recht nützlich für dein Vorhaben, Hans.“
Der Folterknecht legte den Kopf schief. „Mein Vorhaben?“
„Weißt du es nicht?“
„Nein, Herr.“
Er reichte ihm die Zange. „Du willst ihm die Zehennägel ausreißen. Und danach seine Zunge. Und du willst, dass ich dabei zusehe. Es verschafft dir ein warmes Gefühl in deinem Bauch. Und in deinen Lenden“, fügte er heiser an. „Hab ich recht?“
„Wie? Äh, ja, Herr. Gewiss, gewiss.“
„Dann auf, auf!“ Lamont klatschte in die Hände. „Worauf wartest du noch? Walte deines Amtes, Folterknecht!“
Elias war soweit. Als Lamont näherkam, starrte er ihm in die Augen und stieß mit seinem Geist direkt in das Nervensystem des Priesters. Lamont versteifte unter dem mentalen Schock. Der Folterknecht, die Zange in den Händen, sah den Priester verdutzt an. Auf Lamonts Stirn bildete sich Schweiß, er griff sich an die Kehle, während ein Krächzen aus seinem Mund fuhr.
Elias fühlte seine Schläfen wummern. Er spannte jeden Muskel an und richtete seine restliche Energie auf den Folterknecht. Der ließ die Zange fallen, direkt auf seinen Fuß, was ihn nicht zu stören schien. Seine Oberlippe zitterte, er sah aus, als wolle er etwas sagen, brachte aber nur ein Gurgeln hervor.
Elias hob den Kopf. „Öffne meine Fesseln“, befahl er ihm. „Hörst du nicht?“
Hans nickte und machte sich daran, Elias loszubinden. Der Priester wollte ihn in einem Anfall von Gegenwehr daran hindern, wurde aber sogleich wieder Elias’ Willen unterworfen.
Als die Ketten gelöst waren, erhob sich Elias und rieb sich die schmerzenden Hand- und Fußgelenke. Das Blut pochte heftig durch seine Adern, er fühlte er sich kraftlos; Schwindel marterte ihn, und Farben zerplatzen vor seinen Augen. Lange würde er die beiden nicht mehr dirigieren können, er brauchte unbedingt Energie, am besten in Form von Beeren oder Hülsenfrüchten.
Immerhin gibt es gleichwertigen Ersatz in diesem Keller.
Er sah den Priester an. „Komm her.“
Lamont kam zu ihm.
„Beug dich zu mir.“
Der Priester neigte sich nach vorn.
„Kopf zur Seite.“
Sekunden später lag sein Hals frei. Hans sah mit unbeteiligter Miene zu, wie Elias mit den Fingerspitzen ein langes Haar von Lamonts Hals zupfte und es achtlos fallen ließ. Dann strich er mit den Fingern über die Schlagader, so, wie man ein Huhn zur Beruhigung streichelt, bevor man ihm den Kopf abhackt.
Blitzartig biss Elias zu. Seine Zähne gruben sich in den Hals des Priesters. Lamont krümmte sich und stöhnte auf. Warmes Blut sprudelte in Elias’ Mund, seine Hände umklammerten Lamonts Schultern, er gierte nach mehr und soff sich regelrecht in einen Rausch. Die Augen des Kerkermeisters weiteten sich, als ein lautes Schmatzen durch den Folterkeller hallte.
Als Elias genug Blut getrunken hatte, ließ er von dem Priester ab. Lamont kippte zur Seite, knallte mit dem Kopf gegen die Tischkante und fiel in einer halben Drehung zu Boden, wo er mit verrenkten Gliedern liegenblieb. Der Folterknecht starrte Elias entsetzt an.
Es sind bestimmt meine Gesichtszüge, dachte der Primarmagister. Wahrscheinlich sind sie ähnlich verhärtet wie bei dem weinenden Mädchen.
Vor dem Sprung durch das Tor ...
Er wischte sich mit dem Ärmel das Priesterblut vom Mund. Kraft strömte durch seinen Körper, Energie jagte in unaufhaltsamen Wellen durch seine Gliedmaßen und Innereien, bis hinauf in seinen Symbionten und sein Hirn, als entlüde sich dort eine weiche Sprengladung. Dennoch musste er haushalten. Es galt, die anderen zu finden.
„Bück dich“, befahl er dem Folterknecht.
Hans verzog das Gesicht. „Bitte nicht“, sagte er und deutete auf den toten Lamont. „Es reicht schon, dass er manchmal ...“
„Nicht, was du denkst. Bück dich, na mach schon.“
„Aber du bist ein Vampir!“
„Das sieht nur so aus. Los! Bücken!“
Der Folterknecht bückte sich. Elias kletterte auf seinen Rücken. „Du führst mich jetzt zu den anderen“, sagte er.
„Wie meinen?“, ächzte Hans.
„Zu den anderen. Oder willst du mir erzählen, ich bin der einzige, den ihr mit mir eingekerkert habt?“
„N-nein, Herr. Außer dir wurden weitere Dämonische gefangen.“
„Führ mich zu einem von ihnen.“ Elias war versucht, ihm die Fersen in die Nieren zu stoßen, ließ es aber bleiben. Er warf einen Blick auf den toten Priester. Elias tötete ungern, aber um zu überleben ließ es sich manchmal nicht vermeiden.
Er spürte, dass er den Willen des Folterknechts noch weitgehend unterjochte. Das sollte so bleiben. „Lauf!“, fauchte er in Hans’ Ohr. Der torkelte voran.
Er trug ihn durch einen Gang, der nur spärlich von Fackelschein erhellt wurde. Rostige Eisenringe prangten an den Wänden, in den Nischen stand weiteres Folterwerkzeug; eine Eiserne Jungfrau, Peitschen, Garotten und eine Judaswiege. Wut packte Elias.
Hans hielt vor einer Zelle. Hinter den Gittern saß ein junger Doxaner auf einer Pritsche, ein Bein angewinkelt. Er war groß und trug sein Haar zu einem langen weißblonden Zopf geflochten.
Hioban!
Seinem Gesicht nach ging es ihm ähnlich schlecht wie Elias. Er zitterte am ganzen Leib, sein Adamsapfel bewegte sich ununterbrochen. „Elias“, stieß er hervor. „Ich hätte nicht gedacht, dass ...“
„Spar dir die Luft“, sagte Elias und kletterte von Hans’ Rücken.
„Bathseba ...“
„Sie ist nicht hier. Du musst erst einmal zu Kräften kommen.“
Hioban nickte. Elias dachte schmerzhaft an das kalte blaue Licht, das Tor, an Bathseba ... und an Lundis.
Wo bist du, geliebte Gefährtin?
„Schließ auf!“, herrschte er den Kerkermeister an. Der tat, wie ihm geheißen, und öffnete mit einer kriecherischen Bewegung die Tür. Sie quietschte in den Angeln.
Hioban stand auf. Er wankte, hielt sich an der Wand fest und rieb sich die Schläfen. „Wird es gehen?“, fragte Elias.
Hioban nickte, sah auf – und erblickte Hans.
Ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht.
Der Folterknecht hob die Hände. „O nein, o nein!“, sagte er. „In Lamont dürfte noch was drin sein! Ich bestehe aus fünf Jahrzehnten Trinkfleisch! Ich schmecke nicht!“
Hioban runzelte die Stirn. Elias winkte ab. „Lass ihn. Wir müssen hier raus.“
Hioban wollte etwas erwidern, da drang von draußen Geschrei und das Tschilpen von Vögeln in den Keller. Hans wurde blass. Elias fühlte, wie ihm der Wille des Folterknechts entglitt.
„Hört zu!“, sagte Hans hastig. „Wenn ihr mich am Leben lasst, erzähle ich euch etwas, das euch sicher interessiert!“
„Und das wäre?“, fragte Hioban.
„Ihr sucht doch euresgleichen, oder nicht?“
„Das ist richtig“, bestätigte Elias.
„Versprecht ihr, mich am Leben zu lassen?“
Elias und Hioban sahen sich an. Dann nickten sie.
Der Folterknecht leckte sich die Lippen. „Also gut. Ich sage euch, wo ihr die anderen Dämonischen findet.“
„Und wo?“
„In den Tiefen dieser Gewölbe. Einfach nur diesen Gang entlang.“ Er zeigte auf eine Abzweigung.
„Wenn das eine Falle ist ...“, warnte Hioban.
Hans lachte verzweifelt auf. „Eine Falle? Hier ist niemand außer mir! Ihr müsst euch nur vor Veyds Schergen und den Waffenknechten des Bischofs in Acht nehmen!“
„Wer ist Veyd? Und was für Waffenknechte? Wovon redest du, bei allen Mächten des Universums?“
Hans erklärte ihnen, wo sie sich befanden, und was in diesem Wittenberg vor sich ging. Außerdem gab er ihnen eine ausführliche Beschreibung von Veyd und den Hauptmännern.
„Was meinst du?“, fragte Hioban, nachdem der Folterknecht geendet hatte. „Sollen wir ihn nicht doch töten?“
Elias wandte sich an Hans. „Geh“, sagte er. Der Folterknecht machte auf dem Absatz kehrt und rannte davon. Sie sahen ihn im Dunkel des Gewölbes verschwinden.
Elias gab Hioban einen Wink, und sie eilten in den besagten Gang. Diesiges Licht wies ihnen den Weg, und am Ende des Gangs gelangten sie zu vergitterten Fenstern, hinter denen ein Marktplatz zu erkennen war.
Zarah!, war das erste, das Elias durch den Kopf fuhr, als sie nach draußen spähten. Sie erblickten Scheiterhaufen, Marktstände, Einheimische – und die rothaarige Frau, die mit ihnen den Sprung gewagt hatte. Zusammen mit einem anderen Niederwesen hatte man sie unter Waffengewalt zu den Scheiterhaufen geführt – bis das Chaos ausgebrochen war.
Unzählige Vögel flatterten über den Marktplatz! Sperlinge und Krähen stürzten in Scharen vom Himmel, die Luft war erfüllt von Geflatter, Schreien und Vogelgezwitscher. Die Rothaarige konnte sich unter einem umgekippten Karren in Deckung bringen, die andere Frau ging in der flüchtenden Menge unter und wurde zu Boden getrampelt. Elias und Hioban entdeckten den Inquisitor. Der Mann trug eine prächtige Tunika mit päpstlichen Hoheitszeichen und bellte Befehle. Zusammen mit seinen Schergen und uniformierten Waffenknechten schossen sie mit Pfeilen um sich.
An der Kirchenmauer lehnte ein blutüberströmter Soldat an einem gusseisernen Gitter. Die Zunge hing ihm aus dem Mund, ein Kolkrabe riss Fleischbrocken aus seinem Hals. Sein Helm, an dem eine rote Feder baumelte, purzelte von seinem Kopf in den Dreck.
Veyd, der Inquisitor, lud eine Armbrust durch, schoss auf eine herabsausende Krähe und traf. Das Tier schlug wie rasend mit den Flügeln; Federn stoben durch die Luft, ein Blutregen sprühte bizarre Muster auf den Platz. Zwei Wachen stürzten nach vorne und fegte eine Horde Spatzen von einem auf dem Boden liegenden Soldaten, Hunde und Katzen sprangen aus den Gassen heran, eine von ihnen attackierte den Inquisitor. Veyd brach ihr das Genick und schleuderte sie von sich.
Die Zeit wurde knapp! Elias tastete seine Kleidung nach dem Stringformer ab – und fand nur ein einzelnes Röhrchen. Siedend heißer Schrecken durchzuckte ihn. Wo, bei allen guten Mächten des Universums, war der Stringformer geblieben?
Er betrachtete das einzelne Röhrchen aus blau schimmerndem Hypergold. Es erinnerte an eine kleine Flöte, wie die Niedermenschlichen sie benutzten. Elias ballte die Faust um das Röhrchen, presste sie gegen die Stirn und schloss die Augen. Der Stringformer bestand aus acht solcher Röhrchen unterschiedlicher Größe und einer Basis mit schnabelartigem Mundstück. Und er besaß nur noch dieses einzelne Röhrchen? Wie konnte das sein?!
Allein mit dem Stringformer ließen sich Raumzeitfugen wirklich beherrschen, nur mit dem Hypergoldgerät konnte ein Sekundar- oder Primarmagister ein Hypertor erschaffen und justieren, nur mit ihm seine eigenen magischen Fähigkeiten verstärken!
Wo, bei allen Schwarzen Löchern des Universums, waren die anderen Teile des Stringformers geblieben?!
Elias öffnete die Augen und atmete tief. Weg mit dem Schrecken, weg mit der Angst! Ob er allein mit dem einzelnen Röhrchen den gesamten Stringformer anpeilen konnte? Er weckte seinen Symbionten und versuchte es – und es gelang.
Irgendwo hinter der Kirche ...
Hiobans Stöhnen riss ihn aus seiner Konzentration. Elias fuhr herum. Der Tertiärmagister lehnte an der Wand, sein Gesicht war schweißnass. Elias steckte das Röhrchen weg. Er nahm den wesentlich größeren Hioban, so gut es ging, in den Arm und ging mit ihm zurück in den Folterkeller. Dort zerrte er die Leiche des Priesters über den Boden und brachte den Toten in eine aufrecht sitzende Position.
Er legte Lamonts Kopf zur Seite, sodass die Kehle frei lag, und nickte Hioban zu. „Trink“, sagte er. Auf Knien kroch Hioban zu dem Toten und stillte seinen Hunger. Elias sah ihm mit einem unguten Gefühl im Bauch zu. Kein Magier trank gewohnheitsmäßig Blut, aber das eigene Überleben stand nun mal an erster Stelle. Ob er ihm vom Verlust des Stringformers erzählen sollte? Später. Er zog seinen Symbionten zurück in die Kuhle hinter dem rechten Ohr.
Als Hioban sein grausiges Mahl beendet hatte, ging er mit Elias in den Gang zurück. Über eine Steintreppe gelangten sie nach oben. Ihr Plan war, sich zu Zarah durchzuschlagen. Sie hatten sie nicht gesehen, aber sie befand sich mit Sicherheit inmitten des Chaos, das auf dem Marktplatz stattfand.
Oben angekommen gelangten sie in eine Art Krämerladen. Regale, Tand, Töpfe und Pfannen, mehrere Bastkörbe und eine hölzerne Theke taten sich vor ihnen auf.
Von außen knallte ein Waffenknecht mit dem Gesicht gegen das verglaste Fenster. Aus seinen schwarzen Augenhöhlen quoll Blut, zwei Elstern saßen auf ihm und hackten auf ihn ein. Der Mann schrie und schlug mit den Händen um sich; schließlich rammte er seinen Kopf durch das Glas. Die Scheibe zerbarst, Scherben spritzten durch den Raum.
Ein Weckruf für die Magier.
„Beeilung!“, rief Elias und drängte mit Hioban ins Freie.
Dort war ihnen, als wären sie in der Hölle gelandet.
3.
Zarah lachte heiser. Der Kerkermeister starrte sie ungläubig an. „Wie hast du das gemacht?“, fragte er. „Das warst doch du, nicht wahr?“
„Aber ja“, sagte sie. „Und wenn du nicht in fünf Sekunden die Tür aufmachst und meine Ketten löst, hexe ich dir Kröteneier in den Sack und fresse deine Augen.“
„J-nein.“
„Was soll das heißen?“
„Die Ketten. Ich kann sie dir nicht lösen.“
Was, bei allen Zerstörungskräften des Universums, bildete sich dieser Niedermenschliche ein?
„Du machst mich jetzt sofort los, hast du verstanden?“
„Du hörst nicht zu. Ich kann sie nicht aufmachen. Mir fehlt das Werkzeug dazu.“
„Wo sind die Schlüssel?“
„Die hat Wendel an sich genommen.“
Keine Chance. Der Soldat lag draußen und hatte das Zeitliche gesegnet.
Ihr blieb keine Wahl. Sie musste ihren Symbionten erneut aktivieren. Sie hatte gesehen, dass die Rothaarige so clever gewesen war, sich unter einem Karren zu verstecken. Was mit der zweiten Niedermenschlichen passiert war, wusste sie nicht.
Zarah verpasste dem Kerkermeister einen mentalen Stoß. Alberich setzte sich daraufhin auf einen Schemel und glotzte Löcher in die Wand. Sie griff an die Kuhle hinter ihrem Ohr und weckte ihren Symbionten. Er wölbte sich, breitete sich unter ihrem Haarschopf aus. Dann konzentrierte sich die Sekundarmagisterin mit ganzer Kraft.
Nach wenigen Minuten war der magische Sprung vollbracht. Schwindel durchfuhr Zarah, die Welt verschob sich, zersprang vor ihren Augen in Splitter, die sich sogleich wieder zusammensetzten, dann stand sie auf dem Marktplatz, inmitten einer panischen Menge. Hinter ihr zerbarst Glas, Vogelschwingen zerschnitten lautstark die Luft; das Geflatter hörte sich an, als schüttle jemand Bettwäsche aus. Aus einer Seitengasse kamen Waffenknechte mit Brandpfeilen und schossen auf die Vögel, zwei wurden getroffen und klatschten als brennende Knäuel auf den Boden.
Zarah konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Dennoch gelang es ihr, die Rothaarige unter dem Karren hervorzuzerren. „Los!“, schrie sie. „Wir müssen hier weg!“
Sich gegenseitig stützend torkelten sie zur Kirche. Inzwischen hatten sich die meisten Niedermenschlichen in Sicherheit gebracht, lediglich die Waffenknechte und die Schergen des Inquisitors kämpften mit den gefiederten Angreifern.
Ihre Schwäche verstärkte sich wieder. Der magische Sprung aus Ketten und Kerker hatte zu viel Kraft gekostet. Zarah stöhnte auf. Die Rothaarige stützte sie – eine Schmach für die Sekundarmagisterin!
An der Kirchentreppe brach sie zusammen. Ein Scherge des Inquisitors rannte an und wollte Zarah seine Lanze in den Rücken stoßen. Jäh wurde er wie von einer unsichtbaren Faust gestoppt. Er erstarrte, hob eine Handbreit vom Boden ab, wurde durchgeschüttelt, und fiel zu Boden wie gemähtes Stroh.
Zarah wandte den Kopf.
Elias! Zusammen mit Hioban rannte er heran, völlig außer Atem. „Da hinein!“, rief er. „In die Kirche!“
Zu viert nahmen sie die Treppe, als hinter ihnen ein Schrei gellte. Zarah entdeckte die zweite Frau, die mit ihnen den Sprung geschafft hatte – sie rannte auf die Kirchentreppe zu, ein paar Knechte des Bischofs waren ihr dicht auf den Fersen.
Die Niedermenschliche hatte die Treppe fast erreicht, als ein knurrender Wolfsartiger sie anfiel. Wuchtig sprang er ihr gegen den Brustkorb und riss sie zu Boden. Zarah sah, wie Elias seine Magie einsetzte und die Waffenknechte stoppte.
Hioban konzentrierte sich auf den Wolfsartigen, aber er schaffte es nicht, ihn zu bändigen. Das Tier zerfleischte die Frau regelrecht. Zarah stützte sich an der Rothaarigen, Hioban sprang vor, um die Frau zu retten, da verkrallte sich eine Krähe in seinen Haaren. Mit einem Aufschrei riss er sich den Vogel vom Kopf, in seiner Raserei flatterte das Tier auf den nächstbesten Soldaten zu.
Elias’ Ruf ließ Hioban innehalten. Soldaten legten Pfeile und Lanzen an, dann traf ein Dauerbeschuss den Wolfsartigen. Das Tier wurde zur Hälfte gespalten, Blut spritzte. Wie durch ein Wunder wurde die Frau am Boden nicht von den Pfeilen getroffen, indes, sie war schwer verletzt.
Zarah fragte sich, wieso ihr Zauber außer Kontrolle geraten war. Sie beugte sich vor und griff nach der verletzten Frau. Elias und Hioban hielten die Schergen mit mentaler Magie in Schach, die Soldaten erstarrten, konnten ihre Gliedmaßen nur noch mühsam bewegen.
Eine Krähe landete auf dem Gesicht der Verwundeten. Zarah packte den Vogel am Genick. Die Krähe wand sich aus dem Griff und pickte ihr in schneller Folge in die Hände, ein scharfes Ziehen brannte sich hinauf bis in Zarahs Schultern. Zornig aufschreiend zuckte sie zurück. Hatte sie die Magie derart stark beschworen, dass sie sich gegen sie selbst wandte?
Nicht genug Konzentration, dachte sie. Es muss an meinem geschwächten Zustand liegen.
Weitere Vögel landeten auf der Frau und hackten auf sie ein. Eine Amsel riss ein Stück Fleisch aus ihrer Brust, die Bewegungen der Frau erlahmten. Die Rothaarige fegte die Biester mit einem kräftigen Tritt vom Brustkorb ihrer niedermenschlichen Gefährtin. Die Vögel stoben auseinander, eine Krähe kugelte über die Straße, wo sie mit erlahmten Flügeln herumzappelte.
Zarah kniete sich hinter die verletzte Frau und wollte sie mit Hilfe der Rothaarigen in die Kirche ziehen. Der Körper der Niedermenschlichen war glitschig vor Blut, es fühlte sich an, als riebe man mit den Handflächen durch kaltes Bratenfett.
Zarahs Finger glitten unter ihren Achseln hervor. Wie von einem unsichtbaren Gewicht gezogen, kippte sie nach hinten weg und landete mit dem Gesäß auf der Treppe.
Erschöpft hob sie den Kopf. Die Frau atmete nicht mehr, ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie war ihren Verletzungen erlegen.
„Los, rein!“, rief Elias. Hioban half Zarah hoch, die Rothaarige folgte als letzte.
Einen Moment lang befürchtete Zarah, die Tür könnte verschlossen sein, doch sie war offen. Sie eilten hinein, und Elias schlug die Tür zu. Hioban nahm einen Querbalken, der rechts neben der Tür an der Wand lehnte, und knallte ihn in die dafür vorgesehenen Halterungen.
Elias stand vor der Tür wie ein zu klein geratener Golem. „Wir werden uns wappnen müssen“, sagte er. „Vielleicht haben sie genug. Sicher können wir uns aber nicht sein.“
„Das war verdammt knapp“, ächzte Zarah. Ihr war speiübel. Ohne Elias’ und Hiobans Eingreifen würde sie vielleicht tot auf dem Marktplatz liegen.
„Bist du verwundet?“, erkundigte sich Elias.
Sie winkte ab. „Allenfalls ein paar Kratzer. Ich hatte den Zauber nicht richtig unter Kontrolle“, fluchte sie.
„Das kommt davon, weil wir geschwächt sind.“
„Das dachte ich mir schon. Ihr wart auch im Folterkeller?“
„Ja“, bestätigte er. „Als wir nach oben kamen, fanden wir keine Wachen vor. Die waren alle mit deinen geflügelten Freunden beschäftigt.“
„Sie ziehen sich zurück“, sagte Hioban.
Zarah lauschte. Draußen wurde das Vogelgeschrei leiser, nur noch vereinzelt war menschliches Gebrüll zu hören. Eine laute Stimme befahl den Soldaten, sich zu sammeln.
Die Rothaarige stand an einem der Fenster und sah hinaus. Sie war aschfahl. Zarah ging zu ihr. Ein junger Mann fiel ihr auf. Er stand an der gegenüberliegenden Straßenecke und starrte herüber.
„Sie umzingeln die Kathedrale“, sagte die Rothaarige.
Tatsächlich. Rüstungen und Waffen klapperten, schwere Schritte waren zu hören.
Zarah fühlte Wut. Was für überhebliche Kreaturen sie doch waren, diese Niedermenschlichen! Zur Vorbereitung eines neuen Arkanum-Projektes wurden vor jedem neuen Großsprung Ureinwohner herübergeholt, um ihre Eigenarten kennenzulernen. Diese Menschlichen aber sollte man Zarahs Meinung nach mit Stumpf und Stiel ausrotten.
Oder zumindest den größten Teil von ihnen.
4.
Gerold sah zu, wie die Waffenknechte des Bischofs und die Soldaten des Inquisitors die Kirche umzingelten. Inzwischen hatten sich herbeizitierte Exorzisten und der Bischof höchstpersönlich unter die Anwesenden gemischt. Bischof Clementin weilte in diesen Tagen aufgrund der Hexenprozesse in Wittenberg und wurde nun leibhaftiger Zeuge eines satanischen Werkes.
Gerold konnte kaum glauben, was er eben erlebt hatte. Tiere waren auf Menschen losgegangen, einfach so, ohne jeden ersichtlichen Grund! Für den Bischof und den Inquisitor stand fest, dass hier der Teufel am Werk gewesen war.
Gerold war sich da nicht so sicher.
Was, wenn es Gottes Strafe ist? Wenn er uns dafür bestraft, das wir Unschuldige hinrichten?
Gerold glaubte, dass fast alle unschuldig waren, die in Clementins Keller gefoltert wurden, und den Tod auf dem Scheiterhaufen starben.
Vor allem diese rothaarige Schönheit ...
Er hatte ihrer Verhaftung beigewohnt. Als Sohn des Schmieds hatten die Soldaten ihn gerne um sich herum. Sie bewunderten sein Fachwissen über Eisen, Hitze, und die Schmiedekunst an sich. Naturgemäß kannte Gerold sich mit Waffen gut aus, und so war er ein angesehener Bürger, mit dessen Bekanntschaft man sich gern schmückte.
Er hatte sich sofort in diese Frau verliebt. Gerold hatte nie gedacht, dass so etwas möglich sein konnte, aber bei Gott, es war geschehen: Ihre Blicke hatten sich getroffen und binnen kurzer Zeit hatte sie ihn mit ihrer Mimik und ihrer Gestik in seinen Bann gezogen.
Mit Ausnahme seines Vaters hatte er niemandem davon erzählt.
Sie würden sagen, ich falle auf eine Hexe herein. Sie würden sagen, sie ist ein Sukkubus, ein Dämonenweib, das mich um meine Sinne und meinen Verstand bringt.
Aber tat sie das nicht? Doch, sie tat es, indem sie einfach da war, indem sie atmete, indem sie lebte. Gerold wusste tief im Innern, dass diese Frau keine Hexe war. Sie war das Opfer ihrer Schönheit geworden, ihrer Grazie und ihrer Anmut.
Und selbst wenn sie eine Hexe wäre – hat Gott uns nicht gelehrt, auch unsere Feinde zu lieben?