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Das Zauberschwert von Dunsinbar

©2017 150 Seiten

Zusammenfassung

Das Zauberschwert von Dunsinbar
Die Geschichte vom Zweikampf der Magier Band 1
von Frank Rehfeld

Der Umfang dieses Buchs entspricht 130 Taschenbuchseiten.

Caine, ein Junge aus ärmlichen Verhältnissen, will unbedingt Magier werden, obwohl auf Schloss Dunsinbar nur Krieger etwas gelten. Nach einer Auseinandersetzung mit einem Monster rettet er die Prinzessin, wird jedoch ins Verlies geworden, weil er im Verdacht steht, eine Halluzination erschaffen zu haben. Bei seiner Flucht aus den Kerkern erfährt er zu seiner Überraschung, dass er der Sohn des Weltenmagiers ist und eine große Bestimmung seiner harrt. Doch zunächst muss er den Magier ausschalten, der das Schloss in seiner Gewalt hält.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Das Zauberschwert von Dunsinbar

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Die Geschichte vom Zweikampf der Magier Band 1

von Frank Rehfeld

Der Umfang dieses Buchs entspricht 130 Taschenbuchseiten.

Caine, ein Junge aus ärmlichen Verhältnissen, will unbedingt Magier werden, obwohl auf Schloss Dunsinbar nur Krieger etwas gelten. Nach einer Auseinandersetzung mit einem Monster rettet er die Prinzessin, wird jedoch ins Verlies geworden, weil er im Verdacht steht, eine Halluzination erschaffen zu haben. Bei seiner Flucht aus den Kerkern erfährt er zu seiner Überraschung, dass er der Sohn des Weltenmagiers ist und eine große Bestimmung seiner harrt. Doch zunächst muss er den Magier ausschalten, der das Schloss in seiner Gewalt hält.

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Der Himmel hatte die schmutzig-graue Farbe eines alten Wollmantels angenommen, aber niemand schien das Warnzeichen zu beachten. Noch schien die Sonne heiß auf die zahllosen Verkaufsstände auf dem Schlosshof herab, und mit lauter Stimme priesen Bauern und Händler ihre Waren an, so, als könnten sie dadurch die finsteren Gewitterwolken vertreiben, die sich am Horizont zusammenballten. Es war um die Mittagsstunde, und der Markt hatte den Höhepunkt geschäftigen Treibens erreicht.

Die hohen Mauern boten Schutz vor dem Wind und ließen ihn nicht spürbar werden, aber Caine warf einen Blick auf das silberne Banner, das auf der Spitze des Südturms wild flatterte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das Gewitter Schloss Dunsinbar erreichte. Das Wetter nahm keine Rücksicht auf den Handel der Menschen, mochte das Geld auch noch so dringend von ihnen benötigt werden.

Caine sah noch einmal prüfend zu den in der Ferne heraufziehenden Gewitterwolken, zuckte dann mit den schmalen Schultern und schlenderte weiter. Er hatte noch am wenigsten Grund, sich über das Wetter zu ärgern.

Die verschwenderische Vielfalt der angebotenen Waren zog ihn rasch in ihren Bann. Er entdeckte Steine aus dem Kamos-Gebirge weit im Norden, denen eine geringe magische Kraft zugesprochen wurde, kostbare Stoffe aus fremden Ländern, bizarre Waffen, Lebensmittel aller Art und Hunderte anderer Dinge, die seine düsteren Gedanken über das heraufziehende Unwetter bald vertrieben.

Wie wohl jeder Bewohner Schloss Dunsinbars und auch der umliegenden Gehöfte liebte Caine den monatlichen Markt, brachte er doch Abwechslung in das ansonsten triste Leben. Es gab immer Neues zu entdecken, und jedes Mal nahm der Markt die Form eines riesigen Volksfestes an.

Mit in den Taschen seiner schlichten Baumwollhose vergrabenen Händen blieb er vor einem Stand stehen, an dem ein bunt kostümierter Händler mit einem gewaltigen Bart fremdartige Musikinstrumente feilbot.

Nur wenige Interessenten hatten sich vor dem Stand versammelt. Musik galt nicht viel im rauen Leben der anwesenden Krieger, und auch die Bauern fanden keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Musik war etwas, das den Edelleuten vorbehalten war, etwas, das ihre rauschenden Feste, ihre Empfänge und Verhandlungen auflockerte. Wer ständig jedes einzelne Kupferstück umdrehen musste, um seine Familie zu ernähren, gab sich nicht mit solchem Luxus ab.

So wusste auch Caine, dass diese Instrumente für ihn unerschwinglich waren. Die wenigen Münzen, die in seiner Tasche klimperten, hatte er von seiner Mutter erhalten, um Früchte dafür zu kaufen.

Dennoch sah er hingebungsvoll zu, wie der Händler spielerisch mit den Fingerspitzen über die Saiten einer Garliane strich und sie dabei lauthals als sein bestes Stück pries. Das Gehäuse bestand aus edlem, hellem Holz und war kunstvoll gearbeitet.

Harmonische Töne erklangen aus dem Instrument, hallten einen Moment nach, und zerfaserten dann im Lärm des Marktes. Trotzdem schienen sie etwas in seinem Inneren zu berühren, etwas, das mit gleicher Verspieltheit einen Widerhall in seiner Seele erzeugte.

Schüchtern trat Caine einen Schritt, näher. „Bitte ... darf ich ... darf ich es auch einmal versuchen?“, fragte er zaghaft und stockend, dabei bemühte er sich, ein stummes Flehen auf sein jugendliches Gesicht zu zaubern.

Prüfend musterte ihn der Händler einen Augenblick, dann lächelte er.

„Nun, hier werde ich wohl ohnehin kein Geschäft machen können. Diese Barbaren wissen den Wohlklang von Musik eben nicht zu schätzen. Wenn du dich schon dafür interessierst, dann sollst du auch belohnt werden, auch wenn du nicht so aussiehst, als ob du ein Instrument kaufen könntest.“

Er reichte Caine die Garliane. Vorsichtig nahm der Junge sie entgegen und strich über die Saiten. Erneut schlugen die melodischen Töne ihn in ihren Bann.

Bedauernd gab er dem Händler das Instrument zurück.

„Hier habe ich etwas, das vielleicht etwas für dich wäre“, sagte er.

Er griff nach einem unscheinbaren Stock, so lang wie ein Unterarm. Verunsichert nahm Caine ihn entgegen und betrachtete ihn. An einer Seite des Stocks gab es eine Reihe kleiner Löcher, und ein Ende lief spitz aus.

„Man nennt es Flöte“, erklärte der Händler. „Du kannst hineinblasen, und durch das Zuhalten von Löchern verschiedene Töne erzeugen.“

Caine blies in das spitze Ende des Stocks. Ein schriller Misston erklang. Einige Menschen blickten sich erschrocken um und lachten dann. Auch Caine war zusammengefahren. Rasch presste er seine Finger auf einige Löcher und blies erneut. Diesmal war der Ton weich und fast so melodisch wie bei der Garliane.

„Sie kostet nur neun Garts“, lockte der Händler, aber Caine schüttelte stumm den Kopf. Auch dieser Preis war unerschwinglich für ihn. Ein oder zwei Garts hätte er vielleicht ausgeben können, wenn er anschließend geschickt um die Früchte feilschte. Doch so weit konnte er den Händler nicht herunterhandeln.

An einem Ende des Platzes entstand Tumult. Lauter Lärm drang zu ihnen herüber. Erschrocken wandte Caine den Kopf.

Er sah Reiter in blitzenden Rüstungen. Das Licht der Sonne wurde von ihren stählernen Helmen und Harnischen widergespiegelt und traf wie ein greller Blitz seine Augen, so dass er geblendet die Lider schließen musste.

„Macht Platz, ihr Gesindel!“, schallte es zu ihm herüber. „Platz für die Garde des Fürsten!“

Ängstlich wichen die Menschen zur Seite und öffneten eine Gasse für die Reiter. Wer nicht schnell genug wegkam, wurde derb zur Seite gedrängt. Die Rücksichtslosigkeit der Leibgarde Fürst Arsters war berüchtigt. Wie ein lebendiger Schild aus Stahl schirmten die Reiter den Mann in ihrer Mitte ab.

Aber der Mann war nicht Fürst Arster, wie Caine schon glaubte. Erst als die Reiter herangekommen waren, erkannte Caine den Magier Korlon.

Wie immer trug er einen schwarzen Umhang; sein Kopf wurde von einer spitz zulaufenden Kapuze verdeckt, die er soweit vorgezogen hatte, dass von seinem Gesicht nichts zu sehen war; Korlon, der schwarze Magier, der Geheimnisvolle, der Berater Fürst Arsters, mit dem nicht einmal die anderen Magier etwas zu schaffen haben wollten. Er, von dem gemunkelt wurde, er stünde mit finsteren Mächten im Bunde!

Dicht vor Caine zügelten die Reiter ihre Pferde. Mit einer schattenhaften Bewegung, die zu seiner finsteren Erscheinung passte, schwang Korlon sich aus dem Sattel.

Unwillkürlich wich Caine einige Schritte zurück. Doch der Magier hatte es gar nicht auf ihn abgesehen, wie er von eisigem Entsetzen erfüllt einen Augenblick lang gefürchtet hatte. Stattdessen trat er zu dem Stand mit den Musikinstrumenten.

Es schien merklich kühler geworden zu sein, ohne dass Caine zu sagen vermochte, ob es an dem Erscheinen des Magiers oder an dem bevorstehenden Unwetter lag.

Korlon war schlank, wenn nicht gar dürr, wie er trotz des weiten Umhangs erkennen konnte. Trotzdem war der Magier groß, er überragte selbst die gewaltigen Krieger der Garde noch um fast einen Kopf. Seine Bewegungen waren fließend, und erneut fühlte Caine sich an einen körperlosen Schatten erinnert.

„Ihr führt Garlianen?“, sprach Korlon den Händler an. Seine Stimme klang dunkel und heiser zugleich; sie jagte Caine eine Gänsehaut über den Rücken. Korlon strahlte eine Aura von finsterer Bösartigkeit aus, wie er sie noch bei keinem anderen Menschen gespürt hatte, und er war in diesen Sekunden bereit, alle Legenden über den schwarzen Magier zu glauben.

Auch der Händler schien über den ungewöhnlichen Kunden nicht sehr erfreut zu sein. Caine sah, wie die Hände des Mannes zu zittern begannen, und obwohl er sich bemühte, gelang es ihm nicht, das Zittern ganz zu verbergen.

„O ja, Herr, ich führe viele Instrumente“, beeilte er sich trotzdem hastig zu versichern. „Hier habe ich eine ganz besonders edle Garliane.“

Er reichte Korlon das Instrument, das auch Caine schon kurz in den Händen gehalten hatte. Der Magier griff mit einer blitzschnellen Bewegung danach. Seine Finger waren lang und dürr und erinnerten Caine an die Beine einer Spinne. Die Haut war wie trockenes Pergament.

„Ist das dein bestes Instrument?“, fragte Korlon nach einem nur flüchtigen Blick auf die Garliane.

„Ja, Herr, es ist ein guter Kauf. Ich habe sie in einer fernen Stadt erstanden, wo man viel von Musik versteht. Ihr hört ja selbst den wunderbaren Klang ...“

Mit einer knappen Handbewegung schnitt Korlon ihm das Wort ab.

„Ich habe kein Ohr für solche Klänge. Die Garliane soll ein Geschenk für die Tochter des Fürsten sein. Nenne deinen Preis.“

Caine hatte deutlich gehört, wie der Händler das Instrument vorher für vierhundert Garts angeboten hatte. Nun schluckte er und warf einen Hilfe suchenden Blick in die Runde, bevor er fortfuhr.

„Ich glaube, dreihundert Garts dürften für ein so wundervolles und seltenes Instrument nicht zu viel sein.“

Mit der Blitzartigkeit eines Schlangenkopfes zuckte Korlons Hand vor. Seine dürren, spinnenartigen Hände pressten sich um die Kehle des Händlers. Mit einer fast spielerisch anmutenden Bewegung riss er ihn zu sich heran. Der Stand stürzte um, und scheppernd fielen die zahlreichen Instrumente zu Boden.

Noch niemals hatte Caine eine solche Kraft gesehen. Scheinbar ohne jede Anstrengung hielt Korlon den wohlbeleibten Händler in der Luft fest, so dass die Füße des Mannes einige Handspannen über dem Boden baumelten.

„Hund“, knurrte der Magier. „Willst du mich beleidigen? Sagte ich nicht, dass die Garliane für die Tochter des Fürsten bestimmt ist?“

„Gnade, hoher Herr“, winselte der Händler und zappelte in dem unbarmherzigen Griff. „Ich komme von weither. Verzeiht einem Unwissenden. Ich überlasse Euch das Instrument zum halben Preis.“

Korlon stieß ein dumpfes Lachen aus und presste die Kehle des Händlers noch stärker zusammen. Die Augen des Mannes schienen aus den Höhlen zu quellen.

„Ich ... Ich schenke es Euch“, röchelte er mit letzter Kraft.

„Ihr habt es alle gehört“, rief Korlon mit lauter Stimme und warf einen triumphierenden Blick in die Runde. „Er schenkt mir die Garliane. Das nenne ich ein faires Angebot.“

Mit einem Mal hielt der Händler einen Dolch in der Hand. Caine hatte nicht einmal gesehen, wie er ihn gezogen hatte. Er musste ihn im Ärmel seines Gewandes verborgen gehalten haben.

Sonnenlicht spiegelte sich auf der blanken Klinge und schoss wie ein Speer aus gebündeltem Licht für einen Sekundenbruchteil unter Korlons Kapuze.

Der Magier stöhnte auf, ließ die Garliane fallen und verdeckte mit der einen Hand seine Augen, während er mit der anderen die Kehle des Händlers ruckartig zusammenpresste.

Der Mann kam nicht mehr dazu, mit dem Dolch zuzustoßen. Sein Kopf sackte zur Seite. Die Augen starrten gebrochen ins Nichts.

Caine stieß einen leisen Schrei aus. Wie gebannt hing sein Blick an dem unfassbaren Geschehen, während er seine Hände um die Flöte krallte, die er, ohne sich dessen bewusst zu sein, immer noch festhielt.

Angewidert schleuderte Korlon den Leichnam von sich. Er wandte sich zu den Kriegern um.

„Zerstört alles!“, befahl er knapp und deutete dabei auf den Stand und die Musikinstrumente. Nur die Garliane nahm er an sich, bevor er sich wieder auf sein Pferd schwang.

Unter den Hufen der Pferde zersplitterten die Habseligkeiten des toten Händlers.

Caine bebte vor Wut und Hass auf den Magier. Er hatte in den Jahren, die er auf Schloss Dunsinbar verbracht hatte, schon viel Unrecht erdulden und unzählige Grausamkeiten mit ansehen müssen, aber die Brutalität Korlons übertraf alles.

Etwas zerbrach in seinem Inneren. Sein klarer Verstand war plötzlich wie weggefegt, seine Handlungen wurden nur noch von blindem, hilflosem Zorn diktiert. Er trat einen Schritt auf den schwarzen Magier zu.

„Mörder!“, brüllte er.

Korlon lachte nur. Mit einem Tritt wurde Caine zurückgeschleudert. Er stürzte zu Boden und Tränen schossen in seine Augen. Wie durch einen milchigen Schleier vor seinen Augen verfolgte er, wie die Krieger ihre Pferde wandten und zusammen mit Korlon davonritten, ohne sich weiter um ihn zu kümmern.

Nach einigen Minuten, in denen er wie gelähmt war, ließen die Schmerzen etwas nach. Mühsam quälte Caine sich auf die Beine.

Währenddessen hatte sich die Menge der durch das Schauspiel herbeigelockten Gaffer zerstreut. Die Trümmer des Standes und die Leiche des Händlers wurden von einigen Männern weggeschafft. Caine stand da und starrte hilflos auf die Flöte, die er immer noch in den Händen hielt.

Es war kein Diebstahl, wenn er sie behielt. Schließlich konnte er sie niemandem zurückgeben. Trotzdem blieb ein ungutes Gefühl, und er musste mit sich ringen, das Instrument nicht angeekelt von sich zu schleudern. Schließlich steckte er es doch unter sein Hemd.

Der grausame Vorfall hatte ihm alle Freude über den Markt geraubt. In aller Eile kaufte er die Früchte, nach denen seine Mutter ihn geschickt hatte. Ohne zu feilschen bezahlte er den verlangten Preis und verließ beinahe fluchtartig den Markt.

Die Wachen am Tor, das in den eigentlichen Innenhof des Schlosses führte, kannten ihn und ließen ihn durch.

„Was ist los mit dir, Junge?“, rief einer mit gutmütigem Spott. „Du siehst aus, als sei dir ein leibhaftiger Dämon begegnet.“

Caine eilte weiter, ohne sich um den Krieger zu kümmern. Die Wache hatte einen nicht einmal gehässigen Scherz gemacht, aber jedes Wort traf ihn wie ein Peitschenschlag.

Immer noch zitterte er vor mühsam unterdrücktem Hass, und die Schmerzen in seiner Brust waren noch nicht verebbt. Nur ein einziger Gedanke beherrschte sein Denken.

Eines Tages, so schwor sich Caine, würde Korlon für alle seine Grausamkeiten büßen!

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Als hätte Hermagor, der Gott, der uralten, abergläubischen Sagen zufolge über das Wetter herrschte, seinen finsteren Schwur verstanden, verdunkelte der Himmel sich in rasendem Tempo. Im gleichen Moment, in dem Caine den langen Torbogen verließ, fielen die ersten Tropfen.

Doch der Junge nahm es kaum wahr. Immer noch war er wie betäubt. Unentwegt kreisten seine Gedanken um Korlon.

Wie ein geprügelter Hund schlich er dicht an der Mauer über den riesigen Hof. Hier herrschte stets ein schattiges Halbdunkel. Die Mauer des inneren Hofes ragte neben ihm zu gigantischer Größe auf und fing die Strahlen der Sonne mit ihrer nach außen gewandten Seite auf, so dass die Nacht hier niemals ganz zu enden schien. Sie mochte die Höhe von zehn übereinander stehenden Männern erreichen, eher noch mehr. Breite Wehrgänge umliefen sie an der Innenseite.

Schloss Dunsinbar war eine unbezwingbare Festung, und jeder Feind, der bislang versucht hatte, sie zu erstürmen, hatte diese Lehre ziehen müssen.

Doch anders als sonst vermittelte der Gedanke ihm diesmal kein Gefühl der Sicherheit. Es war das erste Mal, dass er das Schloss mit gänzlich anderen Augen sah. Es war für ihn plötzlich kein Schutz mehr, sondern ein Gefängnis. Die trutzigen Festungswälle schienen sich nicht mehr gegen seinen fremden Feind zu erstrecken, sondern sie waren zu Kerkermauern für ihn selbst geworden.

Und Korlon war der Kerkermeister.

Es waren verrückte Gedanken, und Caine wusste es. Doch so oft er sich auch daran erinnerte, dass er das Schloss jederzeit verlassen konnte, sofern er es wünschte, so konnte er das Gefühl der Gefangenschaft doch nicht ganz abschütteln.

Im Umkreis von zehn Tagesreisen gab es nur karges Land. Lediglich die zähe Arbeit der wenigen Bauern, deren Gehöfte oft weit auseinander lagen, vermochte dem sandigen Boden einen geringen Ertrag abzutrotzen. Gerade genug, um zu überleben und ein wenig Handel zu treiben.

Zudem gab es wilde Tiere von so unbändiger Kraft, dass es selbst für einen ausgebildeten Krieger gefährlich war, das Schloss allein zu verlassen.

Die einzige Möglichkeit boten die Händlerkarawanen. Irgendwann würde Caine mit ihnen ziehen, um diese triste Welt aus Stein und Metall zu verlassen. Wenn es nicht die verbotenen Gärten gäbe, in die er sich gelegentlich schlich, hätte er es hier schon lange nicht mehr ausgehalten ...

Durch einen schmalen Bogen trat er in den Teil Dunsinbars, in dem die Beschäftigten des Hofstaates wohnten. Ein wenig von der drückenden, unsichtbaren Last, die sich auf seine Schultern gelegt hatte, fiel von ihm ab.

Hier war er aufgewachsen, und so ärmlich die Behausungen auch waren, so boten sie ihm doch ein gewisses Gefühl der Geborgenheit.

Der Regen fiel nun stärker. Krachend fuhr ein Blitz vom Himmel, dem kurz darauf ein gewaltiger Donnerschlag folgte. Hier war der Boden nicht mehr gepflastert, und der Regen verwandelte den festgestampften Lehm rasch in morastigen Untergrund, weil das Wasser weder rasch genug versickern, noch ablaufen konnte.

Ungeachtet des Unwetters tollten einige Kinder umher. Was ein echter Krieger werden soll, braucht ein bisschen Wasser nicht zu scheuen, dachte Caine grimmig. Nicht umsonst lautete der Wappenspruch Arsters Härte durch Härte, und dieser Wahlspruch wurde allgemein als oberstes Gesetz anerkannt.

Er bekam nicht mit, wie der Streit begann. Alles was er sah, war, wie einer der Jungen plötzlich auf ein Mädchen einzuprügeln begann, das mindestens vier Jahre jünger war als er. Es war eine alltägliche Szene, aber diesmal brachte der Anblick etwas in Caine zum Überlaufen. Das Schreien des Mädchens klang wie ein gellender Hilferuf in seinen Ohren.

Mit einigen Schritten erreichte er den Jungen und riss ihn zurück. Erschrocken starrte der Kleine, der bestimmt nicht älter als zehn Jahre war, zu ihm auf. Rostrote Haare klebten nass an seiner Stirn, und sein dickwangiges Gesicht zeigte einen dümmlichen Ausdruck. Das Mädchen hörte auf zu schreien.

„Was soll das?“, brüllte Caine.

Der Augenblick der Überraschung verflog. Ein wütendes Funkeln stahl sich in die Augen des Jungen.

„Lass mich los“, kreischte er. „Ich rufe meinen Bruder, wenn du mich nicht sofort loslässt!“

Etwas in Caine zerriss, und seine ganze aufgestaute Wut entlud sich in einer heftigen Maulschelle. Die Lippe des Jungen platzte auf, und er wurde von der Wucht des Schlages zu Boden geschleudert.

Im gleichen Moment hasste sich Caine für seine Tat. Er war um keinen Deut besser als Korlon oder der Junge oder sonst wer, solange er seine Wut an Schwächeren ausließ.

Zornbebend sprang der Junge wieder auf und starrte ihn an. Der Schlag musste ihm wehgetan haben, aber kein Laut des Schmerzes drang über seine Lippen.

Einen Moment lang hielt Caine seinem Blick stand, dann wandte er sich brüsk um und schritt auf die niedrige Hütte zu, die er mit seiner Mutter bewohnte. Eine grässliche Leere hatte sich in seinem Inneren ausgebreitet und jedes andere Gefühl unter einer Decke aus gefrorenem Nebel verschüttet.

Schweigend trat er durch die Tür ins Innere der Hütte.

Einen Augenblick blieb er stehen. Ihm war, als sähe er die Welt nur verschwommen, bruchstückhaft um sich.

Ein leichtes, unmerkliches Zittern durchlief seine Hände und breitete sich über den ganzen Körper aus. Fast ein wenig zu schnell drehte er sich um und ging zu seinem Strohlager in einer Ecke des Raumes, auf das er sich niedersinken ließ.

Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die niedrige Holzdecke. Er wollte allein sein, allein mit seinen Gedanken, um wenigstens zu versuchen, ein wenig Ordnung in sein aufgewühltes Innenleben zu bringen.

Aber natürlich erkannte seine Mutter, dass etwas nicht stimmte. Sie kam zu ihm herüber, wischte sich die Hände an der umgebundenen Schürze sauber und ging neben seinem Lager in die Hocke.

„Was ist geschehen, mein Junge?“, fragte sie. Ihre braunen Augen in dem faltigen, durch harte Arbeit viel zu früh gealterten Gesicht musterten ihn sorgenvoll.

„Nichts“, log er. Nein, es ist nichts geschehen, rein gar nichts, außer, dass du gerade einem brutalen Mord zugesehen hast!, erklang eine bittere Stimme in seinem Inneren. Aber wie hätte er ihr von all dem erzählen sollen, was in ihm vorging, wo er es doch selbst nicht verstand?

Mit einer Geste mütterlicher Zärtlichkeit strich sie ihm die nassen, dunkelblonden Haare aus der Stirn.

„Natürlich ist etwas geschehen“, sagte sie bestimmt. Es war eine Feststellung, keine Vermutung. „Willst du deiner Mutter nicht sagen, was es ist? Du weißt doch, dass die alte Rosalba immer ein offenes Ohr für dich hat. Hast du etwas ausgefressen?“

Stumm schüttelte er den Kopf.

„Hat man dir etwas getan?“, drang sie weiter in ihn.

„Nein“, sagte Caine. „Bitte, Mutter, frag nicht weiter. Ich muss mir selbst erst über etwas klar werden.“

„Nun gut, wenn du nicht mit mir darüber sprechen willst, dann kann ich wohl nichts machen.“ Sie deutete auf den Kessel, der über der Kochstelle hing. Ein schwaches Feuer glomm darunter. „Wenn du Hunger hast, iss etwas Suppe. Sie wird dir gut tun. Ich muss nun wieder in die Schlossküche.“

Mit einem Schulterzucken richtete Rosalba sich wieder auf. Sie strich mit der Hand über ihr Gesicht und die zusammengesteckten dunklen Haare, und als sie die Hand wieder senkte, war auch der Schleier wie fortgewischt.

„Ich gehe jetzt“, sagte sie nur.

Caine folgte ihr mit den Blicken, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Lange blieb er reglos auf seinem Lager liegen. Er spürte die Kälte, die aus der nassen Kleidung in seinen Körper kroch, aber es war eine unbewusste Empfindung, die nicht bis in sein Gehirn gelangte.

Es war für ihn das erste Mal, dass er dem Tod in all seiner Unerbittlichkeit gegenübergestanden hatte. Er hatte von entsetzlichen Schlachten gehört und auch Söldner gesehen, die verstümmelt und tödlich verletzt aus den Schlachten nach Dunsinbar zurückgekehrt waren.

Aber das alles hatte sich auf einer anderen Ebene abgespielt. Was ihn erschütterte, war nicht das Sterben gewesen, sondern der Mord.

Korlon hatte es als Notwehr ausgelegt, aber er hatte alles erst provoziert, und es hätte genügt, den Händler zu entwaffnen. Aber der Magier hatte ihn umgebracht, und er, Caine, war Zeuge gewesen – ein völlig hilfloser Zeuge.

Etwas war in ihm gerissen, und ganz langsam breitete sich in ihm die Erkenntnis aus, was es war.

Er hatte den Schritt vom Kind zum Mann endgültig vollzogen. Die Gewalt war in seine trotz aller Schwierigkeiten heile Kinderwelt eingebrochen und hatte sie mit einem Schlag hinweggefegt. Es war etwas anderes, nur von der Gewalt zu wissen, oder sie selbst zu erleben. Was war dagegen die Form von Gewalt, die die anderen Jugendlichen ihm gegenüber an den Tag legten?

Seine Illusionen waren zerbrochen worden. Es war nicht nur so, dass er die Welt plötzlich mit anderen Augen sah, sondern er war in eine andere Welt geschleudert worden, die für ihn fremd und feindlich war. Es war die Welt, wie sie wirklich war.

Seine Gedanken kehrten wieder in die Wirklichkeit zurück. Mit einem Mal nahm er die Kälte wahr, und im gleichen Moment musste er niesen. Er war bei Weitem nicht so abgehärtet wie die anderen Jungen.

Der Regen hatte aufgehört, das Gewitter war weitergezogen. Nur ganz vage erinnerte er sich noch an die Donnerschläge, die die Hütte erschüttert hatten, und die grellen Blitze, deren Licht ihn geblendet hatte, während der Regen einem Wasserfall gleich vom Himmel niedergeprasselt war. Er hatte das Wüten der Naturgewalten nur unterbewusst wahrgenommen.

Mit seiner Rückkehr in die Welt der Lebenden erwachte auch der Schmerz in Caine zu neuem Leben. Mühsam richtete er sich auf und zog die nasse Kleidung aus. Bei jeder Bewegung strömten neue Schmerzwellen aus seiner Brust in den ganzen Körper, so dass er die Zähne zusammenbeißen musste.

An die Flöte dachte er nicht mehr. Er wurde erst wieder auf sie aufmerksam, als sie aus dem Hemd herausfiel.

Caine legte sie auf eine niedrige Kommode neben seinem Lager. Es war beileibe kein Schmuckstück; die Bretter waren rau und ungleichmäßig bearbeitet, was kein Wunder war, da er das Möbelstück selber hergestellt hatte. Hauptsache, es erfüllte seinen Zweck.

Einige Folianten befanden sich in der Kommode, die Maziroc, sein Lehrmeister, ihm zum Lesen überlassen hatte. Sie enthielten Wissen, das Caine förmlich in sich einsog, sobald er Zeit dazu fand.

Er war stolz darauf, einer der wenigen Menschen auf Dunsinbar zu sein, die lesen konnten. Denn während die meisten der anderen Jugendlichen lernten, mit Schwert und Axt umzugehen, ließ er sich von den Magiern in den geheimen Künsten unterrichten.

Dabei störte es ihn wenig, dass er niemals einer von ihnen werden konnte, sondern immer nur ein Gehilfe bleiben würde. Der Gedanke erfüllte ihn lediglich mit einem oberflächlichen Bedauern. Abbrechen würde er seine Ausbildung deshalb nicht.

Im Augenblick beachtete er die Folianten nicht weiter. Neben den Büchern befanden sich in der Kommode die Ergebnisse seiner eigenen Experimente. Salben und Tränke, aus seltenen Kräutern hergestellt und mit magischer Kraft behandelt, die gegen vielerlei Schmerzen, Krankheiten und Verletzungen halfen.

Caine ergriff ein kleines Tontöpfchen und stellte es vor sich auf den Boden.

Er konzentrierte sich mit aller Kraft auf die darin enthaltene Salbe. Kurz vor jeder Behandlung musste sie mit neuer Kraft angereichert werden, um ihre volle Wirkung zu entfalten.

So wie er es hunderte Male geübt hatte, verdrängte er jeden störenden Gedanken, bis nur noch das Töpfchen für ihn existierte. Es fiel ihm ungleich schwerer als sonst.

„Carana sort“, murmelte er, um seine Konzentration zu unterstützen. Es war eine der ersten und wichtigsten Formeln, die er gelernt hatte.

Er wusste, dass die wirkliche Magie nicht in Formeln und anderen Hilfsmitteln, sondern allein in der Kraft des Geistes und des Herzens lag, aber mit einfachen Beschwörungen vermochte man, ihre Kraft zu unterstützen.

Vorsichtig berührte Caine das kleine Gefäß mit den Fingerspitzen. Ein seltsames Kribbeln erfasste seine Hand.

Dann spürte er, wie sein Geist sich entleerte. Winzige Funken sprangen zwischen seinen Fingerspitzen und der Salbe über, durchdrangen mühelos das Töpfchen. Das Kribbeln verstärkte sich und verschwand dann von einem Augenblick zum anderen.

Die Beschwörung war gelungen. Ein milchiges Schimmern strahlte von der Salbe aus.

Mit einem Finger nahm Caine etwas von der Substanz aus dem Gefäß und verstrich es auf seiner Brust. Nach einigen Sekunden verschwanden die Schmerzen, ohne auch nur die geringsten Beschwerden zu hinterlassen.

Zugleich fühlte er sich gestärkt und mit neuem Tatendrang erfüllt. Er verschloss das Gefäß und stellte es in die Kommode zurück.

Mit einigen Handgriffen kleidete er sich neu an und griff wieder nach der Flöte. Zaghaft blies er hinein. Wie schon beim ersten Mal erscholl ein kläglicher Misslaut, doch diesmal erschrak er nicht davor. Hier gab es niemanden, der seinen missglückten Versuchen lauschte.

Ohne zu verzagen, probierte Caine weiter. Er lernte rasch, wie er die verschiedenen Töne erzeugen konnte, und nach einer Weile war er bereits in der Lage, eine einfache Melodie zu spielen.

Zwar schlichen sich immer wieder Fehler in sein Spiel ein, aber der Erfolg spornte ihn an. Mit jedem Versuch klappte es besser.

Die Flöte übte eine eigenartige Faszination auf ihn aus, so als würde ihr eine eigene magische Kraft innewohnen. Die glockenhellen Töne verzauberten ihn und ließen ihn seine düsteren Gedanken vergessen.

Der Zauber brach jäh, als kräftige Faustschläge die Tür erbeben ließen.

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Zwielichtiges Halbdunkel erfüllte das gewaltige Gewölbe. Eine zuckende Kerzenflamme warf unheimliche Schattengebilde an die Wände und schien Leben zu erschaffen, wo keines war. Und doch bewegten sich die Schatten ein klein wenig zu heftig, als dass ihr emsiges Zucken allein durch die tanzende Flamme zu erklären wäre. Auch wirkten sie auf eine unerklärbare Art zu dicht, zu materiell, um allein verwaschene Flecken aus Dunkelheit zu sein.

Sie waren von einem unerklärbaren Eigenleben erfüllt, das fremdartig war – und bedrohlich!

Ein Schauer lief über Mazirocs Rücken. Er wusste, wie gefährlich die Experimente waren, und möglicherweise hätten seine Brüder ihn augenblicklich aus ihrem Orden ausgeschlossen, wenn sie davon wüssten.

Aber er musste dieses Risiko eingehen. Es war noch die geringste Gefahr, die ihm drohte.

Etwas hatte sich in dem Gewölbe verändert, etwas unsagbar Finsteres war hereingebrochen, und mit einem Mal schlichen sich Zweifel in sein Herz, ob er den Kräften, mit denen er sich einließ, wirklich gewachsen war.

Er gehörte dem Inneren Zirkel der Magier des Regenbogens an. Über die ganze Welt verstreut gab es nur dreizehn Magier des Inneren Zirkels, die sich einmal jährlich in der DÄMMERSCHMIEDE, einem geheimnisvollen Ort inmitten des Nichts, trafen, ohne sich gegenseitig zu kennen. Denn so besagte es eine der ältesten Regeln des Ordens.

Innerhalb der Magierzunft von Dunsinbar galt er nicht mehr als jeder andere Magier, und niemand ahnte, dass er einer der dreizehn war, die über das Entstehen und Vergehen von ganzen Kontinenten und Welten wachten.

Die Magier des Regenbogens hatten sich der Weißen Magie verschrieben. Aber er durchbrach zum ersten Mal die elementarste aller geltenden Regeln und versuchte sich an dunklem Zauber, der ihm nicht nur verboten war, sondern dessen Kräfte er nicht einmal einzuschätzen wusste. Doch er musste sich Informationen über das Vordringen der Dämonen verschaffen, deren Spuren bereits vielerorts zu entdecken waren.

Die Veränderung der Schatten war nur ein Anzeichen, dass etwas um ihn herum vorging. Das plötzliche Absinken der Temperatur, das durch einen eisigen Luftzug ausgelöst wurde, der aus dem Nichts heraus entstand, war ein weiteres.

Eigentlich bereits zwei deutliche Zeichen zu viel. Aber Maziroc hatte sich schon zu weit vorgewagt, um seine Beschwörung jetzt noch abzubrechen. Die Kräfte, die er dadurch möglicherweise freisetzte, mochten mächtiger und Verderben bringender sein, als wenn er die Anrufung fortsetzte.

Er rührte an Kräfte, die nur der vor Jahrtausenden in der Großen Schlacht gefallene Weltenmagier Avatar wirklich beherrscht hatte. Er, der einst den Orden zum Schutz gegen die Dämmerwelt erschaffen hatte; er, der die Dämmerwelt mit GWAILO’THAR, dem mächtigen Flammenschwert, bezwungen und dabei den Tod gefunden hatte.

„Malachos“, murmelte Maziroc mit dumpfer Stimme. „Ich, Maziroc, zwinge dich Kraft der mir gegebenen Macht, hier zu erscheinen und mir Antworten auf meine Fragen zu geben.“

Er krampfte die Hände fester um den Rand des mannshohen, magischen Spiegels, der vor ihm stand. Schweißperlen bildeten sich trotz der Kälte, die seinen Atem vor dem Mund gerinnen ließ, auf seiner Stirn. Die Beschwörung kostete ihn ungeheure Kraft, vielleicht mehr, als alle seine Brüder auf Dunsinbar nach Tagen intensivster Konzentration gemeinsam aufzubringen in der Lage wären.

Doch der Spiegel veränderte sich nicht. Nebelschlieren huschten über seine Oberfläche, doch sie formten sich zu keinem Bild, geschweige denn, dass sie die Züge Malachos’ bildeten.

Maziroc war sich bewusst, mit welchen Kräften der Schöpfung er spielte. Um den Angerufenen zum Erscheinen zu zwingen, musste er eine Weltenbresche in die Dämmerwelt öffnen, und – was noch wichtiger war – er musste sich genug Kraft aufsparen, sie wieder zu schließen.

Der Magier wagte gar nicht daran zu denken, was geschehen mochte, wenn ihm dies nicht gelingen sollte.

„Malachos, erscheine!“, befahl er noch einmal. Seine Kraftströme verbanden ihn mit dem Spiegel und ließen ihn die gewöhnlich undurchdringliche Barriere in der Unendlichkeit spüren, in die er mit seinen Gedanken einschlug und einen immer größeren Durchbruch schuf.

Dann löste sich einer der Schatten von der Wand und schoss auf ihn zu.

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Erschrocken fuhr Caine hoch. Immer noch hämmerten Fäuste gegen die Tür. Bei jedem Schlag ächzte das Holz in den Fugen.

„Wer ist da?“, fragte er unsicher.

„Rabalon“ scholl es von draußen zurück. „Machst du freiwillig auf, oder soll ich die Tür einschlagen?“

Caine stöhnte auf. Rabalon war der Bruder des Jungen, den er vorhin geschlagen hatte. Also hatte der Kleine seine Drohung wahrgemacht. Auf eine solche Gelegenheit, dem verhassten Außenseiter einen seiner deftigen „Streiche“ zu spielen, wartete Rabalon schon lange. Sofern er überhaupt einen Grund dazu brauchte.

Rabalon war wegen seiner Brutalität und Verschlagenheit bei allen Jugendlichen gefürchtet. Auch Caine hatte bereits des Öfteren unliebsame Bekanntschaft mit ihm geschlossen, bei denen er stets zumindest ein blaues Auge oder einige Prellungen davongetragen hatte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis Rabalon in die Reihen der Krieger aufrückte, was sein sehnlichstes Ziel war.

Langsam trat Caine auf die Tür zu. Er hatte sich durch seine Unbeherrschtheit die Suppe eingebrockt und musste sie nun auch auslöffeln. Es bestand kein Zweifel daran, dass Rabalon seinen Bruder rächen wollte.

Man hielt Caine allgemein für einen Feigling, weil er jeder Auseinandersetzung auswich. Er selbst hielt es eher für Vernunft.

Jetzt aber gab es keine Gelegenheit dazu, und etwas in ihm sträubte sich auch gegen eine weitere Flucht. Spätestens in ein paar Tagen würde der rachsüchtige Hüne mit noch größerer Wut auf ihn losgehen.

Zögernd öffnete er die Tür.

Rabalon überragte ihn um einen guten halben Kopf, und hinter seiner Statur hätte Caine sich bequem zweimal verstecken können. Doch Rabalon war nicht dick, sondern athletisch gebaut. Lässig hielt er die Arme vor der Brust verschränkt und wippte mit den Füßen.

Gewaltige Muskelpakete zeichneten sich unter seinem Lederwams ab. Sein Gesicht zeigte den gleichen dümmlichen Ausdruck wie das seines Bruders, nur war es härter und die Züge ausgereifter. Sein Haar war ebenso rot wie das des Kleinen.

Er war nicht allein gekommen. Ein halbes Dutzend Gleichaltriger befand sich in seiner Begleitung. Burschen, die fast ebenso stark wie er waren und die ihrem Anführer auch in Verschlagenheit in nichts nachstanden. Die Drachenbande, wie Rabalon sich und seine Begleiter hochtrabend nannte. Die Namen seiner Begleiter kannte Caine nicht.

Bevor Caine überhaupt an Gegenwehr denken konnte, wurde er von kräftigen Händen gepackt und aus der Hütte herausgerissen. Instinktiv öffnete er den Mund zu einem Schrei.

Eine Faust tauchte blitzartig vor seinem Gesicht auf. Der Schlag traf seine Lippe und erstickte den Laut. Ein greller Schmerz überflutete sein Bewusstsein. Rote Schleier legten sich vor seine Augen und alle Kraft wich aus seinem Körper.

Mit einem Gurgeln sackte er zusammen. Doch die Hände hielten ihn weiterhin gepackt und schleiften ihn unerbittlich vorwärts.

Es dauerte Minuten, bis Caine wieder einigermaßen klar denken konnte. Ein betäubendes Gefühl hatte sich über seine rechte Mundpartie ausgebreitet. Etwas rann warm an seinem Kinn herab, und er wusste, dass es Blut war, das von der aufgeplatzten Lippe tropfte.

Wie ein nasser Sack hing er im Griff zweier „Drachen“. Seine Beine schleiften über den moderigen Boden. Caine bemühte sich, wieder auf die Füße zu kommen.

Als Rabalon erkannte, dass er sich wieder erholt hatte, stoppte er seine Begleiter mit einer Handbewegung und baute sich drohend vor Caine auf.

„Wirst du ruhig sein, oder muss ich dir noch eine verpassen?“, erkundigte er sich mit gleichgültiger Stimme. Dabei strich er bedeutungsvoll über die Knöchel seiner zur Faust geballten rechten Hand.

Caine spuckte etwas Blut aus, das in seinen Mund gedrungen war.

„Ich werde nicht schreien“, versicherte er hastig. Von dem ersten Schlag dröhnte sein Schädel immer noch wie eine angeschlagene Glocke. „Was habt ihr mit mir vor?“

Das Sprechen bereitete ihm mit der aufgeplatzten Lippe Schwierigkeiten, aber die Ungewissheit war noch schlimmer als der Schmerz.

„Du hättest Rebon, meinen Bruder, nicht anrühren sollen“, sagte Rabalon und seine Augen verengten sich um eine Winzigkeit. „Wir werden dir eine Lehre erteilen, dass du derartiges nie mehr machen wirst.“

Auf einen Wink von ihm hin führten die „Drachen“ Caine weiter. Er wusste, wie sinnlos eine Gegenwehr war, deshalb stemmte er sich erst gar nicht gegen ihren harten Griff. Immerhin gestatteten sie ihm, aufrecht zu gehen.

Die Jugendlichen waren im gleichen Alter wie er, aber während er von mädchenhaft schlankem Wuchs war, hatten sie von früher Kindheit an die Muskeln ihrer Körper gestählt, ohne allerdings die Kraft ihres Anführers zu erreichen. Zudem war Rabalon zwar nicht gerade eine Intelligenzbestie, für seine Bandenmitglieder aber gab es nur die bedingungslose Unterordnung unter seine Befehle.

Die geborenen Krieger, dachte Caine.

Die Hütten, an denen sie vorbeikamen, waren noch ärmlicher und verfallener als die, die er mit seiner Mutter bewohnte. Dies waren die Quartiere der Ärmsten unter den Armen. Ein Gestank nach Moder und Fäulnis erfüllte die Luft.

Wie ein riesiger Schatten erhob sich gar nicht mehr weit entfernt die Außenmauer des Schlosses und verband sich mit dem Ostflügel Dunsinbars, welcher den Kriegern vorbehalten war, die den Sprung aus dem Armenviertel heraus geschafft hatten.

Hilfe konnte Caine hier nirgendwo erwarten. Die Drachenbande wusste, warum sie ihn hierher schleppte.

Sie hielten vor einer behelfsmäßig ausgebesserten Hütte. Rabalon sperrte die Tür mit einem Schlüssel auf, den er an einer Kette um den Hals trug.

Die beiden „Drachen“ ließen Caine los, doch sie standen so nah, dass an eine Flucht nicht zu denken war. Ein hämisches Grinsen flog über Rabalons Gesicht, als er mit einer einladenden Handbewegung den Eingang freigab.

„Tretet ein, zukünftiger Meister der hohen magischen Künste“, sagte er spöttisch und deutete sogar eine Art Verbeugung an.

Noch einmal blickte Caine sich um, dann trat er ins Innere der Hütte. Er konnte sich nicht vorstellen, was man mit ihm vorhatte. Wenn die Bande ihn zusammenschlagen wollte, so hätten sie das auch ohne so großen Aufwand machen können.

Das Innere der Hütte war karg eingerichtet. Es gab lediglich einen Tisch und einige missgestaltete, ohne jedes handwerkliche Geschick zusammengenagelte Stühle. Anscheinend hatte sie lange leer gestanden, und Rabalon nutzte sie nun für Zusammenkünfte mit seiner Bande.

Details

Seiten
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783738915303
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juni)
Schlagworte
zauberschwert dunsinbar
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Titel: Das Zauberschwert von Dunsinbar