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Morde zwischen Provence und Sauerland: Drei Krimis

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2017 600 Seiten

Zusammenfassung

Alfred Bekker: Morde zwischen Provence und Sauerland: Drei Krimis
Dieses Buch enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Ein Killer in Marseille
Alfred Bekker: Der Killer wartet
Alfred Bekker: Der Sauerland-Pate
Eine Reihe von Morden erschüttert Marseille. Alle werden auf dieselbe Art begangen. Das Tatmuster ist den Kommissaren Pierre Marquanteur und Francois Leroc nicht unbekannt, denn es gehört zu einem Täter, der seit Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten ist. Haben die Kommissare es wirklich mit diesem mysteriösen Unbekannten zu tun zu tun oder mit einem Nachahmungstäter?
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Alfred Bekker: Morde zwischen Provence und Sauerland: Drei Krimis

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Der Umfang dieses Buchs entspricht 482 Taschenbuchseiten.

Dieses Buch enthält folgende Krimis:

Alfred Bekker: Ein Killer in Marseilles

Alfred Bekker: Der Killer wartet

Alfred Bekker: Der Sauerland-Pate

Eine Reihe von Morden erschüttert Marseille. Alle werden auf dieselbe Art begangen. Das Tatmuster ist den Kommissaren Pierre Marquanteur und Francois Leroc nicht unbekannt, denn es gehört zu einem Täter,  der seit Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten ist. Haben die Kommissare es wirklich mit diesem mysteriösen Unbekannten zu tun zu tun oder mit einem Nachahmungstäter?

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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Ein Killer in Marseille

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Ein Pierre Marquanteur Krimi

von Alfred Bekker

Eine Reihe von Morden erschüttert Marseille. Alle werden auf dieselbe Art begangen. Das Tatmuster ist den Kommissaren Pierre Marquanteur und Francois Leroc nicht unbekannt, denn es gehört zu einem Täter,  der seit Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten ist. Haben die Kommissare es wirklich mit diesem mysteriösen Unbekannten zu tun zu tun oder mit einem Nachahmungstäter?

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Personal

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Kommissar Pierre Marquanteur - ein Ermittler bei der Kriminalpolizei von Marseille.

Kommissar Francois Leroc - Marquanteurs Kollege.

Monsieur Jean-Claude Marteau - Chef der Kriminalpolizei von Marseille und Kommissar Marquanteurs Vorgesetzter.

Siddi Noureddine - ein algerisch-stämmiger Kollege bei der Kriminalpolizei Marseille.

Emile - hat einen Bären erledigt.

Georges Lenoir - wurde erstochen.

Papa Marquanteur - bedauert es, dass die OAS de Gaulle nicht umbringen konnte.

Maman Marquanteur - liest >La Provence< und wohnt in >Le Trou<.

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Ich war an diesem Wochenende zu meinen Eltern gefahren. Raus aus Marseille in ein kleines Dorf, dessen Namen keiner Erwähnung wert ist.

>Un trou<, wie man auf Gut-Französisch so sagt.

Ein Loch.

Aber es lag idyllisch an einem Fluss. In der Provence gibt es viele solcher Orte. Und das Besondere an diesem war, dass man einen beeindruckenden Blick auf ein altes Römer-Aquädukt hatte. Irgendwie hatte es dieses Bauwerk geschafft, all die Jahrhunderte zu überdauern. Vandalen, Goten, Hunnen und was es sonst noch an Katastrophen gegeben hatte - nichts schien diesem steingeworden Symbol der Dauerhaftigkeit etwas anhaben zu können. Und es passte zu diesem trou, diesem Ort, an dem die Zeit stehen geblieben zu sein schien.

“Kommissar bist du also jetzt”, sagte mein Vater, nachdem er sein zerlesenes Exemplar der Zeitung >La Provence< zusammengefaltet hatte. Immerhin das hatten Marseille und >Le Trou<, wie ich dieses Dorf insgeheim immer nannte, gemeinsam. Man las überwiegend diese Zeitung: >La Provence<.

“Ja, Kommissar bin ich”, bestätigte ich.

“Kommissar bei der Kriminalpolizei in Marseille.”

“Genau. Das bin ich.”

“Das bist du - immer noch”, sagte er.

“Papa!”, entfuhr es mir und ich gab mir große Mühe nicht genervt zu klingen. Maman blieb in solchen Fällen strikt neutral. Aber das Gespräch zwischen meinem Vater und mir war gewissermaßen die Wiederholung einer Serienepisode. Da wechselt höchstens die Platzierung der Werbeblöcke - größer waren die Variationen in diesem Fall auch nicht. Ich wusste schon genau, wie es weitergehen würde, noch bevor einer von uns auch nur den Mund aufgemacht hatte.

Ich kam mir vor, wie in einer Zeitschleife.

“Wieso hat man dich noch nicht befördert?”, fragte er. Er schüttelte den Kopf. “Verstehe ich nicht.” Er sah Maman an. “Verstehst du das?“

“Hör mal, Chèri...”

Maman versuchte ihn zu beschwichtigen und dem Thema die Brisanz zu nehmen.

Am besten, man redete nicht drüber.

Das war Mamans Methode.

Eine Methode, der mein Vater in seinen fortgeschritteneren Jahren immer weniger auf den Leim ging.

Und genau deshalb wurden die Besuche bei meinen Eltern in >Le Trou< mit den Jahren auch immer weniger gemütlich.

Mein Vater hob die Augenbrauen.

“Ich verstehe es nicht. Punkt.”

“Wenn man ihn so oft befördert hätte, wie du dir das vorstellst, wäre er längst Chef der Polizei in Marseille”, meinte Maman.

“Ja, und warum ist er das dann noch nicht?”, fragte mein Vater.

“Was?”

“Na, Chef der Polizei? Wieso ist unser Sohn noch nicht Chef der Polizei?”

Er sah mich dabei an.

Er wollte darauf wirklich eine Antwort.

Auch zum zehnten Mal.

Oder zum hundertsten.

Das spielte offenbar keine Rolle.

Ich kam um diese Antwort einfach nicht herum.

Ich wählte einfach die Antwort, die ich dann immer gab. Einmal hatte ich es mit einer Variation versucht. Das hatte in einem familiären Eklat geendet. Also ließ ich das in Zukunft bleiben.

Man kann nicht sagen, dass mein Vater unter Altersstarrsinn leidet.

Er war immer so.

Und weder ändere ich ihn noch, noch schafft er das bei mir.

Ich sagte: “Ich bin zufrieden, Papa.”

“Dir fehlt der Ehrgeiz, Junge.”

“Der Junge ist inzwischen schon fünfzig.”

“Ja, eben!”

“Wenn du mehr Ehrgeiz hättest, könntest du schon weiter oben sein.”

“Aber ich sagte doch: Ich bin zufrieden. Und wenn ich weiter oben wäre, würde ich nur noch im Büro sitzen.”

“Und dann wärst du nicht zufrieden?”

“Genau.”

“Obwohl du mehr Geld verdienen würdest und mehr zu sagen hättest.”

“Ja.”

Jetzt mischte sich Maman ein. Das tat sie immer, an dieser Stille. Einfach, damit es nicht zu ungemütlich wurde. Irgendwie hatte sie einfach wohl das Gefühl, für eine bessere Stimmung sorgen und etwas Positives sagen zu müssen. Und das machte sie dann auch.

Sie sagte: “Sei froh, dass wir einen Sohn haben und keine Tochter. Denn wenn wir eine Tochter hätten, wäre es in dem Alter, in dem Pierre ist, jetzt vorbei mit der Aussicht auf Enkelkinder. Aber bei Pierre können wir ja noch hoffen.”

“Ja, ja”, murmelte mein Vater.

Sie fuhr unmittelbar darauf fort: “Wolltest du Pierre nicht von dem Bären erzählen?”

“Von dem Bären?”

“Ja, du wolltest ihm von dem Bären erzählen.”

“Das stand doch auch in >La Provence< - und die liest man ja auch in Marseille.”

“Aber nicht den Lokalteil aus unserer Gegend.”

“Ich wollte nichts von dem Bären erzählen. Aber wenn du was davon erzählen willst, dann mach da doch.”

“Was ist denn nun mit dem Bären?”, fragte ich - nicht, weil mich der Bär interessierte, sondern weil es eine willkommene Gelegenheit war, das Thema zu wechseln.

Diese Steilvorlage lässt sich Maman nicht nehmen. Sie reißt jetzt das Wort an sich. Und mein Vater verzieht das Gesicht, weil er weiß, dass Maman das Wort so schnell nicht wieder abgeben wird.

Keine Chance.

Kein Unterbrechen möglich.

Es war ein reißender Strom der Worte. Fast so reißend wie der kleine Fluss, über den das Aquädukt führte, der im Frühjahr immer zu einem reißenden Strom anschwoll, wenn das Schmelzwasser aus den Bergen kam.

“Es stand in >La Provence<, aber ich weiß nicht mehr ob in dieser oder in der vorherigen Ausgabe - oder in der, in die ich die Fische eingepackt habe.”

“Ist auch egal”, meinte ich. “Was ist denn passiert?”

“Es ist ein Bär aus einem Zoo ausgebrochen. Und der trieb sich jetzt hier in der Gegend herum. Tja, und Emile Duval, hier aus dem Ort, war beim Angeln. Da hat das Tier ihn überrascht.”

“Das klingt nicht gut.”

“Ist aber gut ausgegangen.”

“So?”

“Emile hat den Bär erstochen.”

“Aha, ja.”

“Mit einem Messer.”

“Dann hat er aber Glück gehabt.” Ein bisschen kennt man sich als Kriminalbeamter mit der Wirkung von Waffen ja aus. Auch wenn es um die Wirkung auf Menschen und nicht auf Bären geht, was ja nochmal ein Unterschied ist. Jedenfalls wusste ich, dass es nahezu unmöglich ist, mit einem Messer einen Bär zu töten.

Das ging nur im Film. In der Realität funktionierte das nicht mal mit einem großen Jagdmesser.

Und genau genommen funktionierte es auch nur in alten Filmen. Denn wer immer sowas heutzutage in Szene setzte, bekam es gleich mit Tierschützern und Aktivisten aller Art zu tun.

Aber ich kann mich auch täuschen.

Vielleicht sind einfach auch nur deshalb keine solchen Filme mehr gedreht worden, weil in Frankreich einfach so verdammt wenig Bären herumlaufen.

“Er hatte wirklich Glück”, meinte Maman. “Aber es hatte nicht nur mit Blick zu tun, dass der gute Emile das überlebt hat. Ich meine, Emile ist Metzger und ziemlich kräftig. Und vor allem weiß er natürlich mit einem Messer umzugehen. Aber das war nicht der springende Punkt.”

“Was war denn der springende Punkt?”, fragte ich.

“Na, das Messer selbst! Es handelte sich nämlich um ein besonderes Messer. Wie hieß das noch? Ich hab’s gleich. Dieses... Dingens! Weißt du es es noch?”, sprach sie ihren Mann an.

“Wenn du es nicht behalten hast, war es auch nicht wichtig”, meinte er.

“Doch, es war wichtig”, widersprach Maman. “Es war sogar sehr wichtig.”

“Also ich habe den Artikel nicht gelesen.”

“Ein Gasmesser!”, entfuhr es ihr plötzlich. “Es war ein Gasdruckmesser. Wenn man damit zusticht, gibt es in dem Monster, dass eine angreift eine Art Explosion.”

“Ich habe mal davon gehört”, gestand ich.

Viel hatte ich darüber allerdings nicht gehört. Gasdruckmesser waren für Jäger. Vorzugsweise in Gebieten, wo es große und gefährliche Tiere gab. Grizzley-Bären in Nordamerika oder Eisbären in der Arktis zum Beispiel. Was ein angelnder Metzger in der Provence damit wollte - naja, es hatte wohl jeder so seine Geheimnisse und Eigenheiten. Ich kannte Emile gut. Ich war mit ihm zur Schule gegangen. Er war sowieso schon kräftig gewesen und außerdem noch ein Jahr älter als die anderen, weil er sitzengeblieben war. Aber wegen Emile hatten wir fast immer gewonnen, wenn wir uns mit den Jungs der Parallelklasse zum Fußball trafen. Ihn konnte einfach niemand aufhalten.

“Emile ist ein Feigling”, sagte mein Vater.

“Wie kannst du so etwas sagen!”, entfuhr es Maman. “Er hat einen Bären besiegt, der ihn angegriffen hat! Ohne Schusswaffe!”

“Ich sage, er ist ein Feigling!”

“Aber, nun sag mal!”

“Ja, ist er!”

“Wieso denn?”

“Wegen dem Messer! Das ist eine unfaire Waffe, so ein Gasdruckmesser. Selbst gegenüber einem Bären. Sowas verachte ich.”

“Aber hörmal! Emile hat trotzdem noch einiges abgekriegt!”

“Also damals in Algerien habe ich Araber mit einem ganz normalen Kampfmesser abgestochen und aufgeschlitzt. Dazu hätte niemand von uns Fallschirmjägern ein Gasdruckmesser gebraucht!”

“Die gab es damals noch nicht”, sagte ich.

Ich hätte besser nichts sagen sollen.

Ich hätte besser nichts sagen und mich beherrschen sollen.

Aber das sagte sich leichter, als es dann tatsächlich war.

Aber ich machte immer wieder denselben Fehler.

Algerien war ein heikles Thema. Und Papa kam immer wieder darauf zurück, auch wenn man sich stets nur darüber wundern konnte, welche inhaltlichen Schleifen er dafür nahm.

Er sagte: “Man hätte uns damals freie Hand geben sollen! Dann wären Algier und Oran heute noch französische Städte. Aber stattdessen hat man uns verraten! De Gaulle war es! Der hat uns verraten. Die OAS hätte de Gaulle damals erschießen sollen, aber das haben diese Dilettanten nicht hingekriegt! Aber wenn es so gewesen wäre, dann wäre heute manches anders.”

Ja, anders wäre dann sicher vieles, dachte ich.

Nur ganz bestimmt nicht besser.

“Willst du noch ein Stück Kuchen, Pierre?”, fragte Maman.

“Nein, danke”, sagte ich. “Das war schon das vierte und ich platze sonst gleich.”

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Als ich später nach Marseille zurückfuhr, hörte ich im Radio einen Bericht über die Sache mit dem Bären. Darin auch ein Originalton von Emile, in dem er die Ereignisse schilderte.

Er redete immer noch so wie damals, als wir in der Schule waren.

Er lispelte.

Da hatte er sich offenbar in all den Jahren nicht abgewöhnen können.

Ein Reporter fragte ihn, weswegen er ein Gasdruckmesser bei sich getragen hätte. “Ja, mein weiß ja nie, was so kommt”, lautete Emiles Antwort. “Oder?”

Da hatte er wohl recht.

Man wusste nie, was kam.

Manchmal eben ein Bär.

Und manchmal etwas viel Schlimmeres.

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Zur gleichen Zeit, an einem anderen Ort...

Merde!, dachte er. Scheiße! Ich bin komplett am Ende!

Er atmete einmal tief durch.

Oder besser: Er versuchte es.

Das war allerdings nicht so einfach.

Er hatte das Gefühl, dass ihm irgendetwas die Luft abschnürte. Und dazu breitete sich das lähmende Gift der Furcht mehr und mehr in ihm aus. Es war nur eine Frage der Zeit, wann es ihn vollkommen beherrschen würde. Er zitterte leicht.

Verflucht nochmal, wie hatte er nur in diese Lage kommen können?

So oft hatte er sich diese Frage schon gestellt.

In seinem Kopf hämmerte es hinter seinen Schläfen. Es war kaum zum Aushalten.

Eine vernünftige Antwort schien es auf diese Frage nicht zu geben.

Hier in Marseille hast du keine Zukunft!, dachte er – aber in diesem Moment wusste er noch nicht, wie gnadenlos zutreffend diese Aussage war.

Und anderswo wird es auch nicht besser für dich laufen, erkannte er dann. Ein deprimierender Gedanke. Aber so verdammt wahr.

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Georges Lenoir lockerte die Krawatte. Das Revers seines Jacketts war mit Champagner bekleckert und sein Gang wirkte unsicher, als er >Le Club Explosive< in der Avenue d'Orange verließ.

Champagner, obwohl es eigentlich nichts zu feiern gab. Aber wenn er sich schon betrank, dann wenigstens stilvoll. Seine Firma war pleite, der Job weg und der Porsche gehörte mehr seinen Gläubigern als ihm. Schlimmer konnte es wohl nicht mehr kommen, so dachte er.

Nein, schlimmer konnte es nicht kommen.

Schließlich hatte er schon alles verloren.

Mehr ging doch nicht.

Tiefer konnte man nicht fallen.

Ein Irrtum, wie er feststellen sollte.

Aber das war, bevor er das Messer zwischen seinen Rippen spürte.

In diesem Moment hätte er das noch nicht geglaubt.

Aber hinterher ist man ja immer schlauer.

Georges Lenoir hatte allerdings das Pech, dass er nichts mehr davon hatte.

So kann’s einem eben gehen.

Gott und die Politik versprechen Gerechtigkeit. Aber im wirklichen Leben existiert die offenbar nicht.

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Soll ich Ihnen nicht besser ein Taxi rufen?“, fragte der Türsteher vor dem >Le Club Explosive< noch, aber Georges Lenoir drehte sich nur um und zeigte ihm den Mittelfinger.

„Du kannst mich mal!“, rief er.

“War ja nur eine Frage!”, meinte der Türsteher.

Lenoir rief: „Ihr könnt mich alle mal!“

“Ja, ja, schon gut!”

“Gar nichts ist gut.”

“Kein Streit, okay!”

“Merde!”

Und dann wankte Lenoir die Straße entlang. In diesem Teil von Marseille reihte sich ein Nachtclub an den nächsten. Die besten Nobeldiscotheken der großen Hafenstadt am Mittelmeer waren hier zu finden.

Die gut gekleideten Passanten wichen dem vor sich hin murmelnden Mann aus.

Aber Lenoir brabbelte weiter vor sich hin.

Ein Mann, in dem die Wut immer wieder aufkochte.

Ein kleiner Vulkan, der einfach keine Ruhe gab.

Er rief: „Ja, ihr glaubt auch alle, dass ihr es geschafft habt! Dass euch nichts geschehen kann! Und dass ihr immer auf der Sonnenseite bleibt!”

“Was ist denn mit dem?”, fragte ein Mann im Smoking.

“Vorsicht, der ist betrunken”, meinte jemand anderes.

“Oder er hat was genommen.”

“Man ist auch nirgendwo mehr sicher”, meinte eine Frau in einem enganliegenden schwarzen Kleid und tiefem Ausschnitt, der die ausladenden Brüste spektakulär in Szene setzte.

George Lenoirs Blick verzog sich.

Sein Gesicht wurde zu einer Grimasse.

Einer irren Fratze.

Furchteinflößend.

Verstörend.

Verrückt.

Bedrohlich.

“Ihr Scheißkerle! Ihr hattet nur Glück!“, rief Georges Lenoir. “Ja, genau so ist es: Ihr hattet nur ein Scheiß-Glück!”

Verständnislose Blicke.

Angstvolle Blicke.

Empörte Blicke.

„Gehen wir!“, ermahnte eine andere, schon etwas ältere gut gekleidete Frau ihren Mann, der trotz Smoking und Fliege wohl nicht abgeneigt gewesen wäre einen Streit anzufangen.

Georges Lenoir erreichte die Einfahrt zu einer Seitenstraße. Er blinzelte.

Nein, er war nicht wirklich klar im Kopf.

Er fühlte sich...

...eigenartig.

Das war der einzige Begriff, mit dem sich dieser Zustand einigermaßen treffend beschreiben ließ.

Eigenartig.

Auf jeden Fall stimmte etwas nicht mit ihm.

Alles schien anders zu sein als sonst.

Ganz anders...

Die Gedanken waren durch den Einfluss des Alkohols irgendwie verlangsamt. Er versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, ob er den Porsche hier, in dieser Seitenstraße abgestellt hatte oder ob das noch eine Einfahrt weiter die Avenue d'Orange entlang gewesen war.

Sein Kopf war leer.

Die Erinnerung schien nicht mehr abrufbar zu sein. Wie der Inhalt eines gelöschten Speichers. Einfach weg. Als hätte es den Inhalt nie gegeben.

Lenoir zögerte.

Aber dann bog er einfach ein.

Folge deinem Instinkt, dachte er.

Was bleibt dir auch anderes?

Hier war es sehr viel dunkler, als in der von Neonlicht erhellten Avenue d'Orange.

Eine Gruppe von Jugendlichen kam ihm entgegen. Sie sprachen Arabisch, wechselten dann ins Französische. Offenbar deshalb, damit er ihre Beleidigungen auch mitbekam.

„Hey Mann, sieh dir die Schnapsnase an!“, sagte einer von ihnen.

Sie lachten.

Georges Lenoir lallte etwas vor sich hin, was kein Mensch verstehen konnte, und die Jugendlichen lachten noch mehr. Sie konnten sich gar nicht mehr einkriegen.

„Halt die Klappe, das ist ein Kunde von Alain!“, sagte schließlich einer von ihnen. Plötzlich waren alle still.

“Echt?”

“Ja!”

„Du spinnst!“

„Doch, wenn ich's sage! Ich habe doch Augen im Kopf!“

„Und ein Loch im Hirn!“

„Sehr witzig!“

Sie gingen davon.

'Djihad Kid' stand auf dem Kapuzenshirt, das einer von ihnen trug.

Die Buchstaben waren verschnörkelt.

Sollten wohl an arabische Schriftzeichen erinnern.

Das erkannte Georges Lenoir noch, als die Gruppe durch den Schein der Straßenbeleuchtung ging.

Selbst bei den Kokain-Dealern hatte sich wohl schon herumgesprochen, dass bei Lenoir nichts mehr zu holen war. Jemand, der keine Achtzehn-Stunden-Tage hinter sich bringen musste, brauchte dieses Zeug auch nicht wirklich, dachte er. Zumindest nicht in den Mengen wie früher. Abhängig würde er wohl bleiben.

Schließlich fand er seinen Porsche.

Er riss an der Tür, dann fiel ihm auf, dass er erst aufschließen musste.

“Merde!”, knurrte er.

Zum wievielten Mal dieses Wort jetzt schon über seine Lippen gekommen, wusste er gar nicht mehr.

Manchmal ging eben alles, aber auch wirklich alles daneben.

Dann fiel ihm der Schlüssel auf den Boden. Schließlich bekam er es doch noch zurecht, schloss auf und stieg ein. Umständlich klemmte er sich hinter das Steuer und zog die Tür hinter sich zu. Jetzt nur nicht den Flics auffallen, ging es ihm durch den Kopf. Ärger hatte er schließlich schon mehr als genug.

Mehr, als er im Moment gebrauchen konnte.

Er wusste, dass er in seinem Zustand eigentlich besser nicht mehr fahren sollte.

Er wusste aber nicht, dass die Flics sein kleinstes Problem sein würden...

Die schattenhafte Gestalt, die jetzt aus einer der Türnischen herausschnellte, bemerkte er nicht.

Die Tür seines Porsche wurde aufgerissen.

Lenoir konnte nicht schnell genug reagieren und die Zentralverriegelung betätigen.

„Was soll das?“, krächzte er.

Aber da hatte er schon die Klinge im Körper.

Es ging ganz schnell.

Ein Stich und ein Schmerz, der ihn förmlich zerriss.

Merde!, war dann auch sein letzter Gedanke.

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Es war ein Morgen wie viele andere auch.

Ich holte meinen Kollegen Francois an diesem Morgen wie üblich ab.

Ich war spät dran. Francois’ mahnender Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk sagte schon alles.

„Ja, ich weiß“ sagte ich.

„Was ist los? Ärger mit dem Wagen?“

„Nein, der läuft wie geschmiert.“

“Das hört man gerne.”

“Stimmt.”

“Was ist dann los?”

“Ach, egal!”

“Nun sag schon.”

“Ich sagte doch: Es ist egal.”

“Wenn jemand das sagt, meint er, dass es keineswegs egal ist, Pierre.”

“Und wenn jemand sagt, dass es nicht egal ist, meint er dann auch das Gegenteil von dem, was er gesagt hat, Francois?”

“Das kommt drauf an, Pierre.”

“Worauf kommt es denn an?”

“Jetzt weichst du aus, Pierre.”

“Nein, komm schon, dass sollten wir mal klären, Francois. Läuft es darauf hinaus, dass am Ende immer nur du zutreffend beurteilen kannst, was tatsächlich gemeint ist? Ist das so, ja?”

Francois zuckte mit den Schultern.

“Warum fragst du noch, wenn du doch die Wahrheit schon kennst, Pierre?”

“Francois, ich lass mich nicht so gerne verarschen. Auch nicht von dir.”

“Du verarschst dich gerade selber, Pierre. Du machst dir etwas vor. Und ich dachte, du willst vielleicht darüber reden.”

“Lass es, Francois.”

“Wie du willst.”

“Ich will es so.”

“Na, gut.”

Dann war erstmal Ruhe.

Zum Glück, dachte ich. Francois ist mein Dienstpartner. Und er ist außerdem wirklich ein guter Freund. Aber es kommt vor, dass er einfach zu viel quatscht und nicht versteht, dass man manchmal einfach die Klappe halten muss.

In so einem Fall muss man meinem Verständnis nach dann durch ein paar mehr oder weniger deutliche Worte nachhelfen, bis er es kapiert.

Manchmal ist er dann beleidigt.

Aber nie lange.

Das ist das Gute an Francois.

Wenn er beleidigt ist, dann nie lange.

Das Wochenende in >Le Trou< saß mir irgendwie noch in den Knochen. Warum fuhr ich überhaupt dorthin?, fragte ich mich nicht zum ersten Mal.

Aus Verpflichtung?

Vielleicht.

Jedenfalls tat ich es.

Und bekam immer wieder dasselbe zu hören. Nur die Geschichte von Emile und dem Bären und dem Gasdruckmesser - die war neu gewesen. Und neu war für mich auch, dass es unfair war, einen Bären mit einem Gasdruckmesser abzustechen, aber durchaus ehrenwert, einen Algerier mit mit einem normalen Kampfmesser aufzuschlitzen.

Ist vielleicht eine Generationenfrage.

Ich trat auf das Gaspedal, um noch die Grünphase der nächsten Ampel zu erwischen.

Aber die Sache mit meinen Eltern in >Le Trou< war nicht das Einzige, was mir in den Knochen saß.

Damit war das missglückte Wochenende für mich nämlich noch nicht zu Ende gewesen.

„Ich war gestern Abend noch in einer Snack Bar, um etwas zu essen“, berichtete ich. „Eigentlich dachte ich daran, in fünf Minuten einen Hot Dog herunterzuwürgen und mich dann in meine Wohnung zum Schlafen zurückzuziehen.“ Ich versuchte vergeblich ein Gähnen zu unterdrücken.

Ja, auch wenn manche Leute das kaum glauben können: Entgegen allen Klischees gibt es auch Franzosen, die Fast Food zu sich nehmen und Hot Dogs oder Hamburger essen. Und ich wette, neunzig Prozent dieser kulinarisch unpatriotischen Franzosen sind bei der Polizei angestellt. Der Schichtdienst und die knappe Zeit führt dazu, dass man sich so etwas angewöhnt.

Leider.

Francois hob die Augenbrauen.

„Und? Wieso hat das nicht geklappt? Wenn du bis zum Morgengrauen auf deinen Hot Dog warten musstest, würde ich da nicht mehr hingehen!“

“Ja, ja....”

“Und um ehrlich zu sein Pierre: An einem Wochenende würde ich da sowieso nicht hingehen.”

“Geschenkt, Francois.”

“Zumindest nicht an einem freien Wochenende, was es ja Gott sei Dank ab und zu noch gibt.”

„Ich bin in eine Drogenrazzia der Polizei von Marseille geraten“, sagte ich.

“Die Kollegen also...”

„Es ging um ein paar Jugendliche. Kleine Dealer, die sich ausgerechnet diese Snack Bar ausgesucht hatten, um ihre Lieferung in Empfang zu nehmen.“

„Und auf diesen Schweinehund, der halbe Kinder als Drogendealer losschickt, hatten es die Kollegen wahrscheinlich abgesehen“, vermutete Francois.

„Richtig. Walid Abdulmajid hat ein entsprechendes Vorstrafenregister und die Kollegen haben ihn wohl schon länger im Visier gehabt. Nach der Aktion gestern wird er wohl einige Jahre im Knast abbrummen müssen.“

„Gut so.“

„Aber das hat sich eben hingezogen, die Befragungen, das Protokoll und so weiter. Und diesmal war ich Zeuge, nicht untersuchender Beamter. Also konnte ich auch nichts tun, um die Sache irgendwie zu beschleunigen. Und mal ehrlich, ich hoffe, dass alle Aussagen und Beweise so wasserdicht sind, dass dieser Abdulmajid nicht durch die Maschen des Gesetzes schlüpft!“

„Na, da hast du ja richtig ein gutes Werk getan, Pierre!“

„Jedenfalls bin ich heute hundemüde.“

Ich hatte sowieso ein Schlafdefizit, weil wir in letzter Zeit eine Reihe von nächtlichen Observationen im Umkreis des organisierten Verbrechens durchzuführen gehabt hatten. Eine Weile kann man sich daran gewöhnen, aber heute schien bei mir der Punkt erreicht gewesen zu sein, wo sich mein Körper einfach geweigert hatte aufzustehen.

Trotz Wecker.

Ich hatte ihn schlicht und ergreifend überhört.

Naja, kann passieren, oder?

Ich hatte allerdings einigen Anlass zu der Annahme, dass Monsieur Marteau - mein Vorgesetzter - kein Drama draus machen würde.

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Wir erreichten die Präsidium.

Es überraschte mich nicht, dass Francois und ich die letzten waren, die zu der von Monsieur Marteau einberufenen Besprechung kamen. Der Chef des Kriminalpolizei Marseille sah uns beide mit unbeweglichem Gesicht an und enthielt sich jeden Kommentars zu unserer Verspätung.

Genau das war eines der Dinge, die es so angenehm machten, unter ihm zu arbeiten. Er wusste auch so, wie peinlich es mir war, zu spät zu kommen. Wozu also noch Worte darüber verlieren?

Außer Francois und mir waren noch die Kommissare Stéphane Caron und Siddi Noureddine im Raum, sowie unser Innendienstler Victor Stahl und Davide L. Richelieux, unser Experte für betriebswirtschaftliche Fragen.

Dass Davide dabei war, bedeutete wohl, dass es um irgendeine knifflige Angelegenheit ging.

Sein Hauptjob war es, illegale Geldströme aufzuspüren, die so etwas wie der Lebenssaft des organisierten Verbrechens waren.

Folgte man dem Geld, dann hatte man meistens auch sehr schnell ein präzises Bild von der Hierarchie mafiöser Organisationen. Und sehr oft ließen sich aus diesen Geldflüssen wertvolle Rückschlüsse ziehen, die dann schließlich auch zu Festnahmen führten.

„Heute Nacht ist ein Mann namens Georges Lenoir in einer Seitenstraße an der Avenue d'Orange erstochen worden“, erklärte Monsieur Marteau. „Lenoir war in einer Investment-Firma tätig, hat Millionen verdient, aber offenbar auch wieder ausgegeben und ein Leben auf der Überholspur geführt. Der letzte große Crash in der Kreditwirtschaft hat ihn wie so viele andere auch mit in den Abgrund gerissen. Seitdem ist er arbeitslos und muss zusehen, dass er sich von den Anlegern, deren Geld er mit seinen zweifelhaften Geschäften vernichtet hat, fernhält, weil die ihn wahrscheinlich sofort lynchen würden. Mehrere Verfahren wegen Betruges laufen, in weiteren Fällen wird ermittelt. Finanziell war Lenoir ruiniert.“

Francois vermutete: „Offenbar hat es einer von Lenoirs ehemaligen Kunden geschafft, ihn ausfindig zu machen.“

Monsieur Marteau hob die Augenbrauen.

Eine kurze, dramatische Pause folgte.

Sehr kurz und sehr dramatisch.

Selbst für Monsieur Marteaus Verhältnisse.

Eins musste man unserem Chef lassen.

Solche Feinheiten des Vortrags hatte er besser raus als manch einer, der auf eine Schauspielschule gegangen ist. Das kann er richtig gut.

Gehört heutzutage wohl zu dem, was man Führungsqualität nennt. Vielleicht war es in den alten Zeiten, als mein Vater in Algerien kämpfte, mal so, dass einfach gehorcht wurde und niemand die Vorgesetzten und ihre Entscheidungen hinterfragte.

Aber heute ist das wohl lange vorbei.

Da muss sich auch der Chef der Kriminalpolizei manchmal schauspielerischer Tricks bedienen, um seine Leute bei der Arbeit zu halten.

So ändern sich die Zeiten.

Und wir uns mit ihnen - oder auch nicht. So wie mein Vater, für den Algerien wohl auf ewig eine französische Kolonie bleiben wird.

Monsieur Marteau hob die Augenbrauen.

Es sah bedeutungsvoll aus.

„Das Spezielle an diesem Fall sind die besonderen Umstände der Tat“, erklärte Monsieur Marteau. Er wandte sich an den Kollegen Victor Stahl aus dem Innendienst unserer Polizeibehörde. „Victor, Sie haben das Wort.“

„Danke, Monsieur“, sagte Victor Stahl. Er schaltete den Beamer seines Laptops an. Zuerst zeigte er uns ein paar Bilder, die von den Kollegen der Division de la Recherche Scientifique, dem zentralen Erkennungsdienst aller Marseiller Polizeieinheiten  aufgenommen worden waren. Es handelte sich nicht nur um Fotos, sondern auch um einzelne Videosequenzen, auf denen Bereiche komplett abgefilmt worden waren. Das erste, was jedem von uns auffiel, war die große Wunde in der Brust.

Sie war wirklich enorm groß.

Ich hatte in meiner bisherigen Zeit bei der Polizei nun wirklich schon viele Messerwunden gesehen.

Übel sahen die eigentlich immer aus.

Nichts, was man gerne sieht.

Um so einen Anblick kommt man in diesem Beruf leider nicht herum.

Zum Teil wirklich furchtbare Verletzungen waren das gewesen.

Manche dieser Bilder verfolgen einen dann noch ziemlich lange in den Schlaf.

Aber das kann man nicht ändern.

Irgendwie muss man das als Berufsrisiko bewerten.

Jedenfalls sah diese Wunde vollkommen anders aus, als sämtliche Messerwunden und Stichverletzungen, die ich bis dahin jemals gesehen hatte.

„Hieß es nicht, er sei erstochen worden?”, fragte ich irritiert. “Das sieht ja aus, als hätte ihm jemand den ganzen Brustkorb auseinandergerissen!“

“So könnte man es in der Tat zusammenfassend beschreiben”, erklärte Victor.

Victors Art war immer etwas trocken.

In solchen Momenten wirkte das immer befremdlich.

Aber wie sollte man sonst über das Unfassbare reden?

Das Grauen?

Am besten ganz normal.

Wie auch sonst!

Der Anblick war jedenfalls wirklich Grauenerregend. Ich kenne niemanden beim Kriminalpolizei Marseille, der sich - auch nach vielen Dienstjahren – an so etwas wirklich gewöhnen kann. Natürlich bewahrt man die Fassung und betrachtet das was an einem Tatort geschehen ist, so professionell wie möglich. Aber kalt lassen einen solche Bilder trotzdem nicht. Und das ist auch gut so, denn schließlich sind wir letztlich dafür da, den Opfern Gerechtigkeit zu geben. Und wie könnten wir das, wenn wir uns nicht einmal mehr eine genaue Vorstellung von deren Leid erlauben würden?

„Ich habe heute Morgen schon ausgiebig mit Dr. Oscar Dubarry von der Gerichtsmedizin telefoniert“, sagte Victor. „Und Dr. Dubarry meint, dass es nur eine Waffe gibt, die solche Wunden verursacht.“

“Da bin ich aber gespannt”, sagte Francois.

Victor betätigte eine Taste seines Laptops und die Abbildung eines Messers erschien. „Das ist ein sogenanntes Gasdruckmesser. Beliebt bei Jägern und in militärischen Spezialeinheiten. Wenn dieses Messer in einen Körper eindringt, stößt es durch eine Öffnung an der Spitze hochkomprimiertes Gas aus, das sich dann im Körper des Opfers explosionsartig ausdehnt. Auf diese Weise ist es zum Beispiel Jägern möglich, sich mit einem Messer notfalls gegen einen Bären zu verteidigen. Sie können sich denken, dass sich Gasdruckmesser auch bei militärischen Spezialeinheiten großer Beliebtheit erfreuen, denn sie töten mit einem einzigen Stich – und das fast mit absoluter Sicherheit.“

Ich musste an Emile aus >Le Trou< denken.

Mon dieu!

„Die Waffe eines Profis“, stellte Monsieur Marteau fest.

Und ich dachte: Jetzt kann ich mir vorstellen, wie der Bär ausgesehen hat, gegen den sich der Metzger Emile aus >Le Trou< wehrte!

Schon beim ersten Anblick der Wunde hatte ich eine Ahnung in diese Richtung gehabt.

Aber ich wollte nicht als Besserwisser auftreten.

„Exakt“, nickte Victor. „Solche Messer sind schwer zu bekommen und man muss gut in der Anwendung trainiert sein. Es gibt einen Profi-Killer, der allgemein als 'Die Hornisse' bezeichnet wird und mit dieser Methode einige Morde für die Mafia ausgeführt hat. Allerdings ist die Hornisse seit einigen Jahren nicht mehr aktiv.“

„Gibt es irgendwelche weiteren Informationen über die Hornisse?“, fragte ich.

“Furchtbarer Name!”, knurrte Francois. “Ich mag keine Insekten. Und Hornissen schon gar nicht.”

“Stehen aber unter unter Naturschutz”, sagte Siddi Noureddine.

“Echt?”, fragte Francois.

“Echt”, bestätigte Siddi.

“Messieurs!”, griff nun Monsieur Marteau ein. “Ich darf Sie doch bitten!”

“Kaum zu glauben, welche Viecher unter Naturschutz stehen!”, sagte Francois.

Victor schüttelte unterdessen den Kopf und beantwortete meine Frage, die Informationen zum Hornissenkiller betreffend. „Das Wenige, das es da gibt, habe ich euch in einem Dossier zusammengestellt und auf den Rechner gemailt. An einem seiner Tatorte hat er mal eine DNA-Probe hinterlassen.“

„Also mit anderen Worten, wenn wir ihn hätten, dann könnten wir ihn auch mit seinen früheren Taten in Verbindung bringen“, schloss Siddi Noureddine.

“Wenigstens eine gute Nachricht”, sagte Francois.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zu Monsieur Marteaus Büro und seine Sekretärin Melanie brachte für jeden von uns einen Becher mit ihrem köstlichen Kaffee.

„Das ist jetzt wahrscheinlich genau das, was du brauchst, Pierre?“, raunte mir Francois zu und grinste.

Ich konnte es nicht leugnen.

“Unsere tägliche Dosis Koffein gib uns heute”, meinte ich.

“Amen”, sagte Siddi.

“Ich dachte, du bist Muslim”, meinte Francois.

“Aber integriert”, sagte Siddi.

“Ach so.”

“Und Synkretist!”

“Was heißt das denn?”

“Ich suche mir die beste Mischung aus allen Religionen raus und hoffe, dass es hilft.”

“Hast du dich nicht vertan, Siddi?”

“Wieso?”

“Nennt man sowas nicht Opportunist?”

“Echt?”

“Ich meine es ernst.”

Jemand wie ich, der aus einem Ort wie >Le Trou< kommt, ist dazu wohl einfach noch nicht gut genug in die Weltstadt Marseille integriert. Von den mangelhaften Kenntnissen der französischen Hochsprache, die man in so einem Dorf erwerben kann, mal ganz abgesehen.

“Ich glaube, Victor würde gerne fortfahren”, schritt nun erneut Monsieur Marteau ein.

Victor nickte erleichtert.

„Es gibt übrigens noch einen möglichen Zusammenhang dieses Falls mit dem organisierten Verbrechen“, fuhr er fort. „Aber dazu kann euch Davide etwas mehr sagen.“

Davide L. Richelieux lehnte sich zurück. Unser Betriebswirtschaftler hatte ein kantiges Gesicht, aber kaum noch Haare auf dem Kopf. Seine Mutter war Italienerin und kam aus dem Friaul. Deswegen musste er mit dem Namen Davide herumlaufen - der italienischen, genauer gesagt furlanischen Variante von David.

Im Französischen gibt es keinen Unterschied in der Aussprache von David und Davide.

Aber Davide sprach seinen Namen immer betont Italienisch aus. Und das klang dann schon etwas anders, als all bei all den Leuten, die hierzulande diesen Namen ansonsten tragen. Italienisch eben. Ansonsten aber konnte er wohl kein Wort Italienisch.

Jemand mit Davides Fähigkeiten hätte sicherlich anderswo sehr viel mehr verdienen können, als im Staatsdienst. Aber ihm ging es wie so vielen von uns in erster Linie um andere Dinge. Zum Beispiel darum, den Schwachen zu helfen und das Recht durchzusetzen.

„Lenoir war Geschäftsführer einer Investment-Firma namens 'LPDS - Les Partenaires du Succès Ltd.', die dubiose Anlagen vermittelte und damit ungeheuer erfolgreich war. Bis zum letzten Banken-Crash, der auch dieses Unternehmen mitgerissen hat. LPDS war mehrfach auch in Ermittlungen verwickelt, in denen es um Geldwäsche ging.“

„Ein Finanzhai und Geldwäsche - das passt ja auch ganz gut zusammen“, meinte Francois.

„Allerdings muss ich einschränkend sagen, dass es noch nicht einmal zu einer Anklage gekommen ist. Zweimal gab es eine Anhörung vor dem Untersuchungsrichter, aber zur Eröffnung eines Hauptverfahrens ist es nie gekommen.“

„Wäre es nicht möglich, dass irgendein Unterwelt-Boss, der durch Lenoirs Pleite viel Geld verloren hat, sich rächen wollte und jemanden wie die Hornisse engagiert hat?“, meldete ich mich zu Wort und trank dann meinen Kaffeebecher leer.

„Das würde noch nicht erklären, warum die Hornisse offenbar wieder aktiv geworden ist“, warf Monsieur Marteau ein.

„Und wenn dieser Killer selbst sein Vermögen bei LPDS angelegt hatte?“, vermutete Stéphane Caron. Der flachsblonde Mann, bekleidete bei uns die Position von Monsieur Marteaus Stellvertreter. Er zuckte mit den Schultern. „So würde doch ein Schuh daraus, oder?“

“Naja”, sagte ich.

„Genau in diese Richtung habe ich auch schon überlegt“, gestand Davide. „Allerdings brauchen wir natürlich etwas Zeit, um das alles zu überprüfen.“

„Mehr als zwanzig Morde gehen auf das Konto der Hornisse“, stellte Monsieur Marteau fest. „Und es wäre schön, wenn dieser Killer endlich gefasst würde!“

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Francois und ich fuhren zu Lenoirs Wohnung. Unterwegs blätterte Francois in einem Ausdruck der Dossiers herum, die der Kollege Victor Stahl uns zusammengestellt hatte. Eins über die Hornisse, das andere über LPDS. Beide waren nicht besonders ergiebig.

Lenoir bewohnte ein hundert Quadratmeter-Apartment in einem Mietshaus mit 24-Stunden-Bewachung durch einen Security Service und eigener Tiefgarage.

Sowas gab es nicht nur in Nizza oder Monte Carlo.

Nein, auch hier in Marseille.

Wenn vielleicht auch nicht ganz so häufig.

Kann aber auch sein, dass das ein Klischee ist.

Ich habe nicht nachgezählt.

Wichtig für uns war die Tiefgarage. 

Die machte es auch für uns leichter, einen Parkplatz zu finden, denn wir waren keinesfalls die einzigen, die sich in der Wohnung von Georges Lenoir umsahen.

Da waren erstens unsere eigenen Erkennungsdienstler Jean-Marc Forster und Pascal Delaville, die Monsieur Marteau schon vor der Unterredung in seinem Büro hier her geschickt hatte. Außerdem trafen wir auf Madame Thèrese Ranesse, eine Beamtin der Abteilung des zuständigen Polizeireviers. Sie gehörte zu dem Team, das den Fall zuerst bearbeitet hatte. 

„Pierre Marquanteur, Kriminalpolizei Marseille – dies ist mein Kollege Francois Leroc“, stellte ich uns vor.

Sie nickte uns zu und streifte sich die Latex-Handschuhe ab. „Alles, was wir bisher wissen ist, dass es sich Georges Lenoir im Club Explosive in der Avenue d'Orange gutgehen ließ. So gegen halb eins in der Nacht ist er gegangen. Sein Porsche stand ein paar Straßen weiter.“

„Woher wissen Sie so genau, wann er gegangen ist?“, fragte ich.

„Der Türsteher des Club Explosive hat ihn angesprochen und geraten, ein Taxi zu nehmen.“ Thèrese Ranesse hob die Augenbrauen. „Das hätte er mal tun sollen, dann gäbe es diesen Fall nicht!“

„Da bin ich mir nicht so sicher“, mischte sich Francois ein. „Der Mann, von dem wir glauben, dass er dahinter steckt, hätte auch dann einen Weg gefunden, ihn zu töten.“

Madame Ranesse sagte: „Ein Profi namens 'die Hornisse', seit Jahren inaktiv und jetzt wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Ich habe mir angesehen, was man über das Datenverbundsystem dazu erfahren kann und das ist auch der Grund dafür, dass wir den Fall an Ihre Abteilung abgeben.“

„Wir stehen noch ganz am Anfang bei der Sache und sind für jede Hilfe dankbar“, sagte ich.

„Ich musste ganz schön dafür kämpfen, dass Sie den Fall bekommen“, sagte Thèrese Ranesse dann.

„Wieso?“, hakte ich nach.

„Weil mein Chef ihn gerne selbst gelöst hätte. Er ist ehrgeizig.“

„Wie heißt er denn?“

„Tom Lamont.“

„Als ich ihn das letzte Mal traf, war er noch ein kleiner Flic“, mischte sich Francois ein. „Wenn er jetzt Ihr Chef ist, muss er wirklich ehrgeizig sein.“

„Und warum war Ihnen das so wichtig, dass wir das machen?“, fragte ich.

„Wissen Sie, unser Chef ist ein guter Mann, aber er neigt dazu, manche Dinge etwas zu persönlich zu nehmen.“

Ich runzelte die Stirn.

„Von was für Dingen reden Sie, Madame Ranesse?“, fragte ich. An dieser Stelle wurde ich nämlich hellhörig.

Mein Instinkt meldete sich.

Und ich hatte immer gut daran getan, auf ihn zu hören.

Also tat ich das auch diesmal.

Madame Ranesse sagte: „Zum Beispiel von Richard Forgeron.”

“Wer ist das?”, hakte ich nach.

“Der war vor ein paar Jahren sein Partner und er gilt als als das bisher letzte Opfer der Hornisse. Deshalb war Monsieur Lamont geradezu elektrisiert davon, dass die Hornisse wieder aktiv geworden ist.“

„Und Sie denken, dass er es vermasseln würde?“

„Ich glaube ja. Wie gesagt, besser Ihre Abteilung kümmert sich darum. Wir haben übrigens herausgefunden, dass Lenoir bis vor einem Monat eine Lebensgefährtin hatte.“ Thèrese Ranesse gab mir einen Zettel und ein Foto, auf dessen Rückseite eine Telefonnummer stand. Dora LaFayette war ihr Name. Die Frau auf dem Foto schätzte ich auf Ende Zwanzig. Sie hatte brünettes Haar, das ihr lang über die Schultern fiel. „Die Nachbarn haben ausgesagt, dass diese Dora LaFayette vor einem Monat ausgezogen ist. Aber offenbar haben die beiden sich noch ganz gut verstanden.“

Ich hob die Augenbrauen. „Wie kommen Sie darauf?“

„Auf der digitalen Telefonliste sind in den letzten vier Wochen 23 Gespräche mit dem Anschluss von Dora LaFayette registriert“, erklärte Madame Ranesse. „Naja, ich gebe zu, dass sie sich vielleicht auch über die Aufteilung von gemeinsamem Besitz gestritten haben könnten. Dora LaFayette hat hier mindestens anderthalb Jahre gelebt.“

Wir sahen uns in der Wohnung um. Die Einrichtung des Wohnzimmers war sparsam. An den Wänden hingen ein paar Gemälde, die Sequenzen aus Batmans-Comics in Vergrößerung zeigten. Nachgemachte Pop-Art, dachte ich.

Nichts Besonderes.

„Ihr könnt euch ruhig überall umsehen“, sprach mich der Erkennungsdienst-Kollege Pascal Delaville an. „Wir haben hier schon alles abgespurt.”

“Okay”, sagte ich.

“Ihr könnt also nichts verderben.“

“Na, da bin ich ja beruhigt”, sagte ich.

Abgespurt - so nennen die Kollegen vom Erkennungsdienst es, wenn sie an einem Tatort ihren Job bereits gemacht haben. Dasselbe galt natürlich für die Wohnung eines Mordopfers, das routinemäßig auf Spuren untersucht wurde, die vielleicht irgendwie relevant werden konnten.

Komischer Ausdruck.

So reden nur Erkennungsdienstler.

Sie pflegen in dieser Hinsicht quasi ihren eigenen Fach-Dialekt.

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Etwas später sprachen wir mit anderen Hausbewohnern und mit einigen Angestellten des Security Service, der in diesem im typischen mediterranen Stil errichteten Haus für die Sicherheit sorgten.

Eigentlich sollte es Sicherheit für jeden geben, dachte ich. Nicht nur für diejenigen, die sich die Dienste eines Security Service leisen konnten.

Aber das war wohl eine zu romantische Vorstellung.

Die Wirklichkeit sah eben dann dich etwas anders als es den klassischen Idealen der französischen Revolution entsprach.

Freiheit. Gleichheit. Brüderlichkeit.

War nicht so furchtbar weit her damit.

Aber das war es wohl schon damals, nach dem Sturm auf die Bastille nicht gewesen, wenn man es genau nimmt. 

Von Christophe Nolane, einem der Security Guards erfuhren wir, dass Lenoir mehrfach von einem wütenden Klienten der insolvent gegangenen Investmentfirma angegangen worden war.

„Der Kerl war Mitte vierzig, hatte graumeliertes Haar und  war hager“, berichtete Monsieur Nolane. „Wir mussten ihn zweimal vor die Tür setzen.”

“Hm”, murmelte ich.

“Es gibt eine Reihe von Kollegen, die das bestätigen.“

„Was wollte er denn?“, fragte ich.

„Na, sein Geld natürlich. Er hat viel geredet, als wir ihn vor die Tür setzen mussten. Ich weiß bis jetzt nicht, wie er es überhaupt ins Haus geschafft hat.“

„Sie haben doch hier überall Überwachungskameras.“

„Am Eingang und in den Fluren“, bestätigte der Security Guard. „Hier kommt niemand rein, ohne dass er am Ende gefilmt wird!“

„Dann brauchen wir die Aufnahmen, die diesen Kerl zeigen!“, sagte ich. „Dürfte doch kein größeres Problem sein.“

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Wir sahen uns die Aufnahmen zusammen mit Monsieur Nolane und zwei weiteren Angestellten des Sicherheitsdienstes vor dem Bildschirm an. Außerdem zogen wir uns die Daten auf einen Stick.

„Wann zahlen Sie Ihr Geld zurück, Monsieur Lenoir?“, giftete der Mann mit den grauen Haaren. „Was glauben Sie, wer Sie sind? Kommen Sie raus und stellen Sie sich!“ Der Mann trat mit voller Wucht gegen die Tür. Dann trommelte er mit den Fäusten darauf.

Anschließend konnte man sehen, wie er von den Security Guards abgeführt wurde.

Darüber hinaus druckte uns Nolane ein Standfoto aus, das man herumzeigen konnte. Es stellte sich bei der Sichtung der Aufnahmen und zwei Telefonaten mit weiteren Security Guards auch heraus, wie der Mann ins Haus gelangen konnte.

„Wir hatten an dem Tag Heizungsmonteure im Haus“, erklärte Geraldine LaRue, das einzige weibliche Mitglied des Security Teams, das zur Zeit Schicht hatte. „Und die kommen durch den Hintereingang. Der stand offen, weil die Monteure immer wieder sperrige Rohrstücke hineintragen mussten.“ Geraldine LaRue zuckte mit den Schultern.

„Und die Tür war dann unbeaufsichtigt“, schloss ich.

Die rothaarige Mittvierzigerin strich sich eine Strähne ihres schwer zu bändigenden Haars aus dem Gesicht. „Wir sind hier nicht im Hochsicherheitstrakt.”

“Und was heißt das genau?”, fragte ich.

“Ja, mein Gott, es gab da wohl ein kleines Ablösungsproblem bei den Schichten.“

“Aha.”

“Emmanuel Pontneuf, einer unserer Leute, kam an diesem Tag etwas später, weil er seit neuestem weiter draußen wohnt und im Verkehr stecken geblieben ist.“

„Es macht Ihnen niemand einen Vorwurf“, stellte Francois klar.

„Sie nicht – aber was glauben Sie, was hier unter den Mietern und Eigentümern los ist, wenn sich das herumspricht.“

„Wir erzählen es nicht herum“, sagte ich.

„Das brauchen Sie auch gar nicht. Sowas verbreitet sich von ganz alleine. Glauben Sie es mir, ich mache diesen Job schon lange genug, da erlebt man so einiges.“

Sie atmete tief durch.

„Ich habe noch eine Frage“, meinte Francois und wandte sich damit an Nolane. „Auf den Videosequenzen kann man sehen, wie der Kerl abgeführt wird, aber normalerweise gibt es nach so einem Vorfall eine Anzeige oder so etwas. Der hat schließlich richtig randaliert!“

Geraldine Lafontaine und Nolane tauschten einen Blick.

Ein Blick, der vollkommen ausreichte, um mir zu zeigen, dass es da noch irgendeine Peinlichkeit gab, die bisher verborgen war. Bei diesem Security Service ging für mein Gefühl ein bisschen viel auf einmal daneben.

„Am besten die Wahrheit“, forderte ich.

„Der Kerl ist uns entwischt“, sagte Nolane. „Er hat jemandem den Ellbogen in den Magen gerammt und ist dann ab durch die Mitte. Da gerade jemand von außen durch die Tür kam, konnte er einfach auf die Straße laufen und wir haben ihn nicht mehr gekriegt.“

„Verstehe“, nickte ich. „Darum haben Sie auch keinen Namen und keine Adresse.“

„Wir haben Monsieur Lenoir danach gefragt“, erklärte Geraldine Lafontaine. „Wir waren nämlich überzeugt davon, dass er ganz genau wusste, wer das war. Schließlich war das ja nicht der einzige Vorfall. Ich selbst habe gesehen, wie der Mann Lenoir vorher schon mal angesprochen hat – allerdings vor dem Gebäude und da haben wir keine Befugnisse. Richtig lästig war der und sein Geschrei konnte man durch die geschlossene Tür hören.“

„Lenoir wollte keine Anzeige?“, vermutete ich.

„So ist es“, bestätigte Nolane und Geraldine Lafontaine nickte dazu.

„Danke, ich denke, Sie haben uns sehr geholfen.“

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Wenig später saßen wir im Wagen und Francois ließ die Bilddaten vom Stick nochmal auf dem TFT-Schirm unseres Bordrechners ablaufen.

„Das wird uns nicht weiterhelfen, wenn wir uns den Auftritt dieses Mannes noch öfter ansehen“, meinte ich.

„Sieh dir mal dessen Gesicht an! Der hat Lenoir richtig gehasst! Also, wenn du mich fragst, dann ist das ein Verdächtiger ersten Ranges!“

„Dann ruf Victor an, damit er ihn die Fahndung gibt!“, schlug ich vor.

Dabei ließ ich den Wagen an und fädelte mich wenig später in den fließenden Verkehr ein. 

Wir fuhren zur Adresse von Dora LaFayette. Sie wohnte in einem Apartment Haus.

Das Haus, in dem Dora LaFayette wohnte, war etwas heruntergekommen. Die Tür passierten wir, als jemand hinausging. Von der Überwachung durch einen Sicherheitsdienst konnten die Mieter hier nur träumen. Von einem Aufzug auch, denn der war defekt und das Schild, mit dem das angezeigt wurde, hatte schon verdächtig viel Staub angesetzt.

Also gingen wir über das Treppenhaus in den fünften Stock.

„Etwas Sport tut gut, Pierre!“, meinte Francois.

“Sehr witzig!”

“Ist doch wahr, Pierre!”

„Im Moment könnte ich gut darauf verzichten.“

“Gib’s zu: Du bist fett geworden in letzter Zeit!”

“Du vielleicht, Francois! Aber ich doch nicht!”

“Das muss der gute Kuchen deiner Mutter sein, Francois. So ein Wochenende in >Le Trou< trägst du am Ende als speckige Hypothek mit dir herum.”

“Nun übertreib mal nicht, Francois.”

“Tu ich das?”

“Und wie!”

“Ach, komm schon!”

“Immerhin kann ich noch reden, während wir die Treppen hinaufhetzen.”

“Dein Ehrgeiz war schonmal größer, Pierre.”

“Na, und?”

An den Wänden in dem Flur, an dem die angegebene Wohnung lag, waren Graffiti gesprüht.

Aber die Künstler – oder Täter, ganz wie man wollte – waren sicher nicht die Besten ihrer Zunft. Irgendwelche Parolen in arabischer Schrift. Und ein charakteristisches Muster. Das Muster und die Schrift waren schnell dahingeschmiert worden. Aber das eigentlich erstaunliche war, dass offenbar niemand daran dachte, die Wände frisch zu streichen.

Irgendwo war ein Muezzin zuhören

Wir erreichten die Wohnungstür.

Allerdings stand auf dem dazugehörigen Schild ein anderer Name.

Della LaFayette.

Unten, bei den Briefkästen hatte ich nur „D. LaFayette“ entdeckt.

Ich wunderte mich.

Ziemlich sogar.

„Hat Monsieur Lenoirs Ex-Lebensgefährtin ihren Namen geändert oder sind wir hier falsch?“, fragte Francois.

„Werden wir gleich wissen“, sagte ich, wollte den Klingelknopf betätigen, aber merkte gleich, dass da kein Widerstand war. Der Knopf war defekt.

“Scheiß Technik”, sagte Francois.

“Hilft nur die natürliche Methode.”

“Du sagst es.”

Ich klopfte.

Von der anderen Seite war ein unterdrückter Schrei zu hören. Francois und ich wechselten einen kurzen Blick. In einer solchen Situation verhindert man entweder ein Verbrechen oder wird selbst zum Straftäter, weil man unberechtigt in eine Wohnung eindringt. Da hilft nur Instinkt und jahrelange Erfahrung, um innerhalb eines Augenblicks die richtige Entscheidung zu treffen.

Nichteinmal eine Sekunde bleibt einem dazu.

Aber mehr brauchten wir auch nicht.

Francois und ich waren uns einig.

Wir kannten uns lange und gut genug, um das voneinander zu wissen, ohne dass dafür auch nur ein einziges Wort gesagt werden musste.

Wir griffen zu den Dienstwaffen. Francois gab der Tür einen wuchtigen Tritt.

Sie sprang zur Seite.

Ich stürmte in die Wohnung.

Ein Mann mit einer Baseball-Mütze war über eine Frau gebeugt und drückte sie in ein Sofa.

Er hielt ihr den Mund zu.

Ein unterdrückter Schrei war zu hören. Ich sah zwei angstvolle Augen, die förmlich aus ihren Höhlen quollen.

Ein zweiter Mann in einem Kapuzenshirt hielt eine Pistole in der Hand.

Es war ziemlich eindeutig, was hier vor sich ging.

Und wir waren hier, um dem ein Ende zu setzen.

Sofort.

„Kriminalpolizei Marseille! Waffe weg! Sofort!“, rief ich.

Der Kerl im Kapuzenshirt wirbelte herum.

Ich sah das Mündungsfeuer aus seiner Waffe herauszucken - blutrot wie die Feuerzunge eines Drachen. Der Schuss krachte dicht an mir vorbei und traf dafür um ein Haar Francois. Das Projektil blieb im Türrahmen stecken und splitterte ein handgroßes Loch in das Holz.

Ich feuerte nur Sekundenbruchteile, nachdem der Kerl im Kapuzenshirt bereits abgedrückt hatte. Meine Kugel erwischte ihn am Waffenarm. Er schrie auf und wurde durch die Wucht des Geschosses zurückgerissen.

Glück gehabt.

Denn richtig Zielen kann man in so einer Situation nicht.

Man hält einfach drauf.

Mein Gegenüber hatte das auch getan - und mich trotz der geringen Distanz verfehlt.

Zur gleichen Zeit sprang sein Partner auf, schwang sich mit einem Satz über das Sofa und stürzte sich durch das Fenster. Glas splitterte.

„Waffe weg!“, schrie ich den Kapuzenmann an.

Er ließ die Pistole los.

Die Hand gehorchte ihm ohnehin nicht mehr richtig. Er zitterte.

Francois stürmte an mir vorbei.

Der Mann mit der Baseballmütze war auf dem Absatz der Feuertreppe gelandet, fluchte laut, weil das nicht ganz schmerzfrei abgegangen war und rutschte dann die nächsten Stufen mehr, als dass er lief.

Als Francois durch das zerstörte Fenster sah, zuckte er sofort zurück, denn ein Schuss knallte ihm um die Ohren. Die Kugel zischte dicht an seiner Stirn vorbei und traf stattdessen einen der Schränke, aus dessen Inneren das Geräusch von zerspringendem Glas herausklang.

Aber Francois war dem Kerl sofort auf den Fersen. Er schwang sich aus dem Fenster. Unter seinen Füßen knackten die Glasscherben. Der Kerl mit der Baseballkappe hatte auch eine Waffe dabei, mit er er während seines Hinablaufens mehr oder weniger blind nach oben feuerte.

Er hatte wohl die Hoffnung, auf diese Weise seinen Verfolger abzuschütteln.

Der Kerl kam natürlich als erster unten an.

Bei irgendeinem kleinen Flic wäre ihm das vielleicht auch geglückt.

Aber bei Francois und mir war er da an die falschen geraten.

So schnell gaben wir nicht auf.

Der Hinterhof war eng und glich eher einer Müllhalde.

Ein Haufen Reifen war dort abgelegt worden und daneben stand ein rostiger Van, der weder eine Windschutzscheibe noch ein Rad besaß.

Francois befand sich noch auf der Leiter.

Der Mann mit der Baseballmütze wollte gerade zum Spurt ansetzen.

Da schwang sich Francois über den Handlauf der Feuertreppe und sprang ihn an.

Beide gingen zu Boden und fielen dabei in den Haufen Reifen hinein.

Dabei verlor der Flüchtige auch noch die Waffe. Sie rutschte in einen der Reifen hinein und wurde unerreichbar für ihn.

Er fluchte.

Mein Kollege ächzte nur.

Und rang nach Luft.

„Sie sind verhaftet“, sagte Francois. „Alles, was Sie von nun sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Und ganz ehrlich: Ich hoffe, dass Sie aus dem Loch, in das man Sie jetzt steckt nie wieder herauskommen!”

“Scheiß-Flic!”

“Scheiß-Kerl!”

“Das ist Polizeigewalt! Ich werde mich beschweren!”

“Nichts dagegen. Der Untersuchungsrichter wird Sie schon einzuschätzen wissen!”

„Sparen Sie sich Ihren Mist!“, knurrte der Kerl.

„Sie haben auch das Recht, einen Anwalt zu nehmen“, erwiderte Francois so kühl er in dieser Situation konnte. „Und damit würde ich an Ihrer Stelle nicht zu lange warten, es sei denn, Sie haben wirklich eine sehr gute Erklärung für das, was wir da gerade in der Wohnung mitbekommen habe!“

„Hören Sie, das ist alles nicht so, wie Sie denken!“, behauptete der Mann.

„Wie heißen Sie? Na los! Wir bekommen es sowieso heraus und wenn Sie jetzt kooperieren, kann das nur zu Ihrem Vorteil sein.“

„Du kannst mich mal“, sagte der Mann.

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Wenig später trafen der Notarzt und Kollegen der Polizei von Marseille ein, die die beiden Eindringlinge in die Wohnung von „D. LaFayette“ in Empfang nahmen.

Uns gegenüber sagten die zwei keinen Ton. Also würden sich unsere Verhörspezialisten um sie kümmern. Aber zuerst musste natürlich die Schusswunde behandelt werden, die sich der Mann mit dem Kapuzenshirt bei mir geholt hatte.

Der Mann, den ich angeschossen hatte, hieß Alain Fernandez. Er trug einen Führerschein bei sich. Sein Wagen musste in der Nähe stehen. Die Kollegen der Polizei von Marseille fanden ihn wenig später.

Ich rief Victor Stahl in der Zentrale an, damit er eine kurze Datenabfrage über Alain Fernandez durchführte.

Er hatte mehrere Vorstrafen wegen Drogen und Körperverletzung. Das Übliche. Ein kleiner Dealer, so war meine Einschätzung.

„Dora oder Della LaFayette?“, fragte ich die junge Frau, nachdem die beiden Kerle von der Polizei von Marseille abtransportiert worden waren.

„Dora“, gab sie mir Auskunft. „Della ist meine Schwester. Sie ist die Mieterin der Wohnung. Della studiert noch. Sie ist zurzeit für ein Auslandssemester in Europa und deswegen meinte sie, dass ich hier wohnen könnte, bis sich alles zwischen Georges und mir geklärt hat.“

„Sie sind vor einem Monat bei einem gewissen Georges Lenoir ausgezogen“, stellte ich fest.

„Ja, das stimmt“, gab sie zu. Sie war noch ziemlich mitgenommen von dem, was passiert war. Ein paar blaue Flecken hatte sie abbekommen. Die beiden Kerle, die wir festgenommen hatten, mussten sie ziemlich grob angefasst haben.

Ein bisschen davon hatten wir ja mitbekommen.

„Georges Lenoir wurde gestern Abend ermordet“, erklärte ich. „Es tut mir leid, Ihnen diese traurige Nachricht überbringen zu müssen.“

„Was?“, entfuhr es ihr. Sie atmete tief durch, schluckte und schüttelte den Kopf. Dann öffnete sie den Mund, so als wollte sie etwas sagen. Aber sie brachte keinen Ton heraus.

„Jemand hat ihn in einer Seitenstraße an der Avenue d'Orange in seinem Porsche erstochen“, ergänzte Francois. „Und wir sind dabei herauszufinden, wer das war.“

„Dazu brauchen wir alles an Informationen über Georges Lenoir, was wir bekommen können“, fügte ich hinzu.

„Natürlich. Ich stehe Ihnen selbstverständlich zur Verfügung. Ermordet? Mein Gott!“

Sie barg für ein paar Augenblicke ihr Gesicht in den Händen.

„Eine ganz andere Frage: Was wollten die beiden Typen von Ihnen?“, fragte ich, nachdem Dora LaFayette sich wieder einigermaßen gefasst hatte. „Mit uns reden die nämlich bisher nicht.“

„Wenn Georges tot ist, dann kann ihm ja niemand mehr schaden“, murmelte sie vor sich hin. „Juristisch und auch sonst. Deswegen...“

„Bitte alles auf den Tisch!“, verlangte ich. „Die Zeit arbeitet für den Mörder.“

Ein Ruck ging durch ihren Körper. Die Trauer, die sie gerade noch vollkommen beherrscht zu haben schien, war plötzlich wie weggeblasen. Sie sah mich fragend an. „Wieso ist das eigentlich ein Fall für Ihre Abteilung?“, wollte sie wissen. „Kümmern Sie sich nicht eigentlich eher um die - wie soll ich sagen - größeren Fische?“

„Dies könnte einer sein“, erklärte ich und fragte mich dabei, ob sie das vielleicht nur eingeworfen hatte, weil sie meine Frage nicht beantworten wollte. „Wir vermuten, dass der Täter ein Profi-Killer war“, erklärte ich.

„Oh Gott!“

„Aber zurück zu den beiden Typen, was wollten die?“

„Die waren wegen Georges hier. In der Zeit, als er noch bei 'Les Partenaires du Succès' arbeitete, hat er sich häufig mit Kokain wach gehalten. Die Dealer kannten ihn schon. Das war manchmal richtig peinlich. Bei zwei von denen hatte er wohl Schulden und jetzt dachten sie, dass sie bei mir was holen könnten. Sie sind gerade rechtzeitig gekommen.“

„Um wie viel geht es denn?“

„Zehntausend Euro! Meine Güte, als 'Les Partenaires du Succès' noch lief, da wäre das ein Trinkgeld für uns gewesen. Aber die Zeiten sind vorbei. Die Blase ist geplatzt und jetzt sind nur Schulden und gerichtliche Streitigkeiten geblieben. Georges hat das völlig aus der Bahn geworfen. Jeden Tag Anrufe wütender Anleger, die ihr Geld zurückhaben wollten.“

„Wenn meine Altersversorgung in 'Les Partenaires du Succès' gesteckt hätte, würde ich auch so denken“, warf Francois ein.

„Dann waren da die Gerichtsverfahren wegen Anlagebetrug und zum Schluss auch noch wegen betrügerischer Insolvenzverschleppung und so weiter und so fort. Zum Kokain kam dann bei Georges noch der Alkohol. Er ist vollkommen abgerutscht, wollte aber nichts dagegen tun.“

„War das der Grund Ihrer Trennung?“, fragte ich.

Sie nickte. „Ja, es war einfach nicht mehr bei ihm auszuhalten. Wissen Sie, man sagt ja, Geld verdirbt den Charakter. Aber manche werden noch mehr verdorben, wenn Sie keins mehr haben. Ich habe das ja aus erster Hand mitgekriegt, nicht nur bei Georges, sondern bei so vielen anderen.“

„Haben Sie auch bei 'Les Partenaires du Succès' gearbeitet?“

„Richtig. Wir haben uns im Job kennengelernt. Bis vor kurzem fuhr ich ein Sportcabrio und lief im Business-Kostüm herum. Jetzt wohne ich bei meiner Schwester und fahre jeden Tag in die City. Ich habe da kurzfristig einen Job in einer Boutique gekriegt. Immer die Spätschicht am Nachmittag und frühen Abend, die keiner machen will.“ Sie atmete tief durch. „Aber besser als nichts. Ist schon komisch, wenn man die Kleider verkauft, die man vor kurzem noch selbst gekauft hat und die ich mir jetzt nicht mehr leisten könnte.“ Sie sah auf die Uhr. „Eigentlich müsste ich gleich los.“

„Nach dem, was hier gerade passiert ist, stehen Sie unter Schock. Sie sollten Ihrem Boss sagen, dass er sich heute eine Vertretung suchen soll“, meinte Francois.

Dora LaFayette lachte heiser. „Auf welchem Planeten leben Sie denn? Glauben Sie, ich will meinen Job gleich wieder verlieren?“

„Was halten Sie davon, wenn wir Sie in die Stadt bringen“, schlug ich vor. „Im Fond unseres Wagens ist es zwar ein bisschen eng, aber wir können uns unterwegs unterhalten – und Sie kämen in jedem Fall pünktlich.“

„Das ist sehr freundlich“, fand sie. „Einverstanden. Wer weiß, wann ich das nächste Mal Gelegenheit habe, in einem Wagen zu sitzen!“

Ich zeigte ihr den Ausdruck des Fotos von dem grauhaarigen Mann, der so massiv gegen Georges Lenoir vorgegangen war. „Kennen Sie diesen Mann?“

Sie sah sich das Bild an. „Natürlich kenne ich den! Was glauben Sie, was der für ein Theater veranstaltet hat! 'Les Partenaires du Succès' war gerade Pleite gegangen, da hat der Kerl Georges und mich in der Tiefgarage des Bürogebäudes abgepasst! Ich meine, uns haben viele beschimpft, aber bei dem Kerl habe ich wirklich Angst bekommen.“

„Ein Name und eine Adresse wären nicht schlecht.“

„Dugas heißt der Kerl. Gerard Dugas. Der hatte bei uns Geld angelegt. Die Daten sind natürlich jetzt unter Verschluss wie alles, was mit 'Les Partenaires du Succès' zu tun hat.“

„Das ist kein Problem“, sagte ich. „Da kommen wir heran.“

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Wir fuhren mit Dora LaFayette zurück. Die Boutique, in der sie ihren Job gefunden hatte, lag an der Rue de la Virgine. Ganz sicher nicht die schlechteste Adresse – und trotzdem musste es bitter für sie sein. Noch bitterer aber war es gewiss für viele der Anleger, die durch die Pleite von 'Les Partenaires du Succès' um ihr Erspartes gebracht worden waren.

Doch in dieser Hinsicht schien das Mitleid von Dora LaFayette deutlich weniger ausgeprägt zu sein, als wenn es um sie selbst und ihr eigenes Schicksal ging. „So ist das nunmal“, meinte sie während der Fahrt. „Finanzgeschäfte sind immer auch Risikogeschäfte!“

„Heißt das, die Leute, die von 'Les Partenaires du Succès' betrogen wurde, sind selber schuld?“, hakte Francois nach.

„Was heißt hier Betrug?“, fragte Dora LaFayette zurück. „Ob das Betrug war oder nicht, werden die Gerichte klären. Aber zu erwarten, dass man enorme Renditen ohne irgendein Risiko bekommen kann, ist mehr als nur naiv. Das ist dumm!“

Als wir sie in der Rue de la Virgine absetzten und sie sich schon umgedreht hatte, kam sie noch mal zum Wagen zurück. Hinter uns hupte schon jemand. Wir waren in diesem Moment sicherlich ein Verkehrshindernis.

„Falls Sie etwas herausfinden, dann rufen Sie mich bitte an!“, erklärte sie. „Auch wenn es zuletzt zwischen Georges und mir nicht mehr gestimmt hat, so habe ich ihn doch geliebt.“

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Später, in unserem Dienstzimmer im Präsidium, das Francois und ich uns teilten, saßen wir mit unserem Kollegen Victor Stahl aus dem Innendienst zusammen.

„Davide spricht mit dem Insolvenzverwalter und kümmert sich darum, dass wir an die Unterlagen von 'Les Partenaires du Succès' herankommen“, berichtete Victor.

„Es wäre nicht schlecht, wenn wir eine Liste all derer hätten, die durch LPDS geschädigt worden sind“, meinte Francois. „Rache ist schließlich ein nicht zu unterschätzendes Motiv.“

„Ich würde das eher Verzweiflung nennen“, meinte Victor. „Jedenfalls war es eine Kleinigkeit, die Adresse von Gerard Dugas herauszufinden, nachdem wir erstmal den Namen hatten. Zwar gibt es mehrere hundert Träger dieses Namens im Großraum Marseille, aber in Verbindung mit dem Foto sind wir schnell fündig geworden.“

Ich konnte mir schon denken weshalb. „Vermutlich ist dieser Dugas noch anderswo unangenehm aufgefallen!“

„Genau, Pierre. Und es waren nicht alle so ungeschickt, ihn  davonkommen zu lassen, ohne an seine Personalien zu kommen oder...“

„...oder so großzügig ihn gar nicht erst anzuzeigen, wie Georges Lenoir“, ergänzte Francois.

„Er wohnt in der Vorstadt.“

„Dann schlage ich vor, dass wir ihm möglichst bald einen Besuch abstatten“, nickte ich. „Was ist mit den beiden Kerlen, die über Dora LaFayette hergefallen sind?“

„Drogendealer. Kleine Fische, die an die Endverbraucher verkaufen – vor allem Kokain. Die sind schon mehrfach aufgefallen. Aber das Interessante ist: Der Mann, für den die beiden arbeiten, heißt Rick Grazzo und der gehört zur Organisation von André Menotti!“

Francois hob die Augenbrauen. „Die erste Verbindung, die in Richtung organisierte Kriminalität weist“, stellte er fest.

„Na, aber das ist eine ziemlich dünne Verbindung“, meinte ich und wandte mich an Victor. „Wahrscheinlich kann man Leuten wie Grazzo oder Menotti zurzeit noch nichts nachweisen.“

„Ja und so lange sie Idioten genug finden wie die beiden Kerle, die ihr bei Dora LaFayette angetroffen und verhaftet habt, wird das wohl auch so bleiben“, meinte Victor. „Das sind nämlich die armen Hunde, die das Kokain auf der Straße verkaufen oder es den Bankern in die Büros bringen. Die werden erwischt – und Leute wie Grazzo oder Menotti zählen nur die Euros. Da gibt es übrigens noch eine Verbindung – und die ist nicht ganz so schwach!“

„Raus damit!“, forderte ich.

„Der Club Explosive gehört über einen Strohmann zu dreißig Prozent Menotti.“

„Wahrscheinlich betreibt er den Club zur Geldwäsche, um seine Drogen-Euros zu blütenweißem Geld im legalen Wirtschaftskreislauf zu machen.“

„Kann Zufall ein, dass Lenoir gerade in der Nähe dieses Nachtclubs ermordet wurde“, meinte ich.

Francois schüttelte den Kopf. „Also Pierre, nach all den Jahren im Dienst glaubst du immer noch an Zufälle?“

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Wir machten uns auf in die Vorstadt. Hier ganz im Norden dominierten Bungalows an breiten,  alleeartigen Straßen. Einfamilienhäuser, die von Eltern mit Kindern bewohnt werden – oder von Rentnern.

In einer dieser schmucken Straßen wohnte Gerard Dugas.

Der Bungalow fiel nicht weiter auf, selbst der Rasen war gepflegt. Ein Ford stand in der Einfahrt. Nichts Besonderes, aber das Anwesen sah auch nicht unbedingt aus, als wäre der Besitzer finanziell ruiniert.

Wir stellten den Wagen in die Einfahrt und stiegen aus. 

„Bin gespannt, was Monsieur Dugas uns zu sagen hat“, meinte Francois. „Allerdings, wenn ich ehrlich bin, dann glaube ich eher, dass wir im Umkreis von diesem Menotti weiter ermitteln sollten. Jemand wie Dugas ist nicht gerade die typische Klientel für einen Profikiller.“

„Vielleicht sind wir ja klüger, wenn wir mit ihm gesprochen haben.“

Wir gingen an die Haustür und klingelten.

Ein tiefes Hundebellen war die einzige Antwort, die wir erhielten.

Der Hund bellte immer weiter und wenig später sah man ihn auch durch die milchigen Glaspartien in der Haustür. Einzelheiten waren nicht zu erkennen, wohl aber die Kopfhöhe des Tiers. Und allein die reichte schon aus, um Respekt einzuflößen.

„Vielleicht ist Monsieur Dugas nicht zu Hause“, vermutete ich.

Im Nachbargarten hatte eine ältere Frau von ihrer Gartenarbeit aufgesehen. Sie beobachtete uns misstrauisch.

Nachdem auch das zweite Klingeln zunächst ohne Reaktion blieb, ging ich zu ihr hin, während Francois vor der Tür stehen blieb.

Ich zeigte der Frau meinen Ausweis.

„Pierre Marquanteur, Kriminalpolizei Marseille. Mein Kollege und ich würden gerne mit Monsieur Dugas sprechen. Wissen Sie, ob der zu Hause ist?“

„Der Wagen ist ja da“, sagte die Frau und stützte sich dabei auf den Stiel der Hacke, mit der sie das Unkraut aus den Rosenbeeten herausgeholt hatte.

„Ja schon, aber Monsieur Dugas öffnet nicht.“

„Sie müssen es einfach mehrfach versuchen“, sagte sie. „Er hat nämlich ein Hörgerät und manchmal schaltet er das ab.“

„Eigentlich hat er doch noch gar nicht das Alter für ein Hörgerät“, wandte ich ein.

„Er hatte eine schlimme Mittelohrentzündung als Junge und hat dabei einen Teil seines Gehörs verloren“, berichtete sie. „Das weiß ich noch, wir haben nämlich damals schon hier gewohnt. Das Haus gehörte nämlich bereits Gerards Eltern und er hat es dann geerbt. Schön, dass Sie sich endlich darum kümmern.“

Ich runzelte die Stirn.

„Worum kümmern?“, fragte ich.

„Na, sind Sie nicht deswegen hier, um Gerard dabei zu helfen, diesen Betrügern das Handwerk zu legen, die ihn in den Ruin getrieben hätten? Das ist ein Fall von organisiertem Verbrechen!, hat er immer gesagt und dafür ist doch das Kriminalpolizei Marseille zuständig, oder?“

„Naja, das schon.“

„Als diese Anlagefirma pleite ging, haben wir übrigens auch viel Geld verloren. Und das war Gerard immer peinlich, denn er war es ja, der uns das ursprünglich mal empfohlen hat. Allerdings war mein Mann immer strickt dagegen, alles bei diesen 'Les Partenaires du Succès' anzulegen. Und darum hat uns der Crash vor einem Jahr auch nicht so hart getroffen.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür. Der Hund hörte schlagartig zu bellen auf.

„Ich heiße übrigens Geena Poincheval“, sagte sie. „Wenn Sie uns als Zeugen oder so brauchen, nur zu! Wir stehen gerne zur Verfügung. Allerdings nicht Mittwochs und Freitags, denn da muss ich immer zur Krankengymnastik wegen meiner künstlichen Hüfte.“

„In Ordnung, Madame Poincheval“, sagte ich schmunzelnd und hinterließ ihr auch eine meiner Visitenkarten, wie sie das Kriminalpolizei Marseille für seine Kommissars drucken lässt. Nicht, weil ich glaubte, dass sie mir irgendwann einmal einen entscheidenden Hinweis geben würde, sondern als reine Geste der Freundlichkeit. Madame Poincheval war sichtlich beeindruckt.

„Danke“, sagte sie.

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Der Hund war wirklich riesig. Sein Kopf reichte mir fast bis zum Rippenbogen, wenn er ganz normal auf allen Vieren stand. Eine Dogge mit hängenden Lefzen und blutunterlaufenen Augen - aber offensichtlich ganz gut erzogen, denn das Tier verharrte vollkommen ruhig neben seinem Besitzer. Gerard Dugas drehte an irgendeinem Regler seines Hörgeräts herum. „Der macht nichts!“, sagte er auf seinen Hund deutend so laut, dass man davon Ohrenschmerzen bekommen konnte.

„Ich will hoffen, dass Sie recht haben“, sagte ich. Francois und ich zeigten ihm unsere Ausweise. „Wir würden Sie gerne wegen des Todes von Georges Lenoir befragen.“

„Wie bitte?“, fragte Dugas laut. „Einen Moment, ich habe es gleich!“ Er sah uns an, erst Francois dann mich. Sein Blick war schwer zu deuten. Auf seiner Stirn war eine tiefe Furche zu sehen. „Lenoir, sagen Sie? Von 'Les Partenaires du Succès'?“

„Genau der“, bestätigte Francois.

„Ist der tot?“

„Das habe ich gerade gesagt“, erklärte Francois ruhig.

„Finde ich nicht bedauerlich. Der Kerl hatte den Tod verdient – oder auch Schlimmeres!“ Er deutete auf sein Hörgerät. „Sie müssen schon entschuldigen, ich hatte das Ding erst nicht richtig eingestellt. Möchten Sie hereinkommen?“

„Wenn es Ihrem Mitbewohner nichts ausmacht“, sagte ich und deutete dabei auf die Dogge.

Dugas führte uns in sein Wohnzimmer. „Nehmen Sie Platz“, sagte er. Die Dogge legte sich auf den Boden.

„Monsieur Dugas, wo waren Sie gestern Nacht zwischen Mitternacht und ein Uhr?“, fragte Francois.

„Brauche ich jetzt ein Alibi? Verdächtigen Sie mich etwa, diesen Kerl umgebracht zu haben? Da können Sie eigentlich seine ganzen ehemaligen Kunden durchgehen und auch einen Teil seiner Mitarbeiter! Machen Sie sich doch mal bei Ihren Kollegen von der Justiz schlau! Seit einem Jahr ist 'Les Partenaires du Succès' zahlungsunfähig und seitdem wird ermittelt und es werden Anhörungen durchgeführt, Prozesstermine anberaumt und wieder abgesagt – alles nur, weil da eine ganze Mannschaft von geschickten Anwälten zur Stelle ist, die dafür gesorgt hat, dass Leute wie dieser Georges Lenoir oder Selma Laplace, seine rechte Hand, immer noch frei herumlaufen!“

„So viel zum Motiv, dass man Ihnen anlasten könnte“, sagte ich. „Mein Kollege hat Ihnen eine reine Routinefrage gestellt, auf die es doch sicher auch eine ganz einfache Antwort gibt.“

„Ich war hier“, sagte Dugas. „Und ich habe ferngesehen. Einziger Zeuge ist mein Hund. Genügt Ihnen das.“

„Sie sind dadurch aufgefallen, dass Sie Monsieur Lenoir zum Teil massiv bedroht haben“, stellte ich fest.

Dugas wurde jetzt lauter. „Herrgott nochmal!“, schimpfte er. „Das ist Monate her! Verstehe Sie, Monate!“ Und dabei dehnte er das Wort Monate, wie man es wahrscheinlich ihm gegenüber wegen seiner Schwerhörigkeit oft getan hatte. „Und falls Sie noch nicht darauf gekommen sind: Ich war erstens nicht der einzige, der das getan hat und zweitens wird man das ja wohl verstehen können. Mir stand das Wasser finanziell bis zum Hals. Ich bin Vertreter für Lederwaren. Die Geschäfte gingen auch nicht so gut und dann stellt sich heraus, dass alles, was ich in meinem Leben angespart hatte, plötzlich weg war! Können Sie das verstehen, wie man sich da fühlt? Das Haus war bis zum letzten Penny belastet und ich hatte zum Schluss nicht einmal mehr eine Krankenversicherung, weil ich sie mir nicht leisten konnte.“ Er atmete tief durch.

„Monsieur Dugas, ich habe großes Verständnis für Sie, aber unser Kollege aus dem Innendienst hat eine Aufstellung aller Vorfälle gemacht, in die Sie verwickelt waren. Sie haben Monsieur Dugas wirklich mehrfach bedroht – und außerdem auch eine gewisse Selma Laplace, die bei 'Les Partenaires du Succès' eine wichtige Funktion ausfüllte. Die hat Sie auch angezeigt!“

„Ach, das ist dich längst niedergeschlagen worden! Es ist nicht mal zur Anzeige gekommen, weil Aussage gegen Aussage stand! Und wie gesagt: Ich habe mich inzwischen beruhigt und damit abgefunden, in meinem Leben umsonst gearbeitet zu haben. Wünsche ich Ihnen nicht, diese Erfahrung, Monsieur...“

„Kommissar Marquanteur“, gab ich zurück.

„Wie lange liegt der letzte Fall zurück, dass ich zugegebenermaßen etwas ausfällig wurde?“

„Ein paar Monate, da haben Sie recht. Aber da gibt es Ihren Auftritt vor vier Wochen, wo Sie in das Apartmenthaus eingedrungen sind, in dem Monsieur Lenoir lebte und den Wachleuten entwischt sind.“

„Das sollten Sie nicht allzu ernst nehmen.“

„Diesen Eindruck hatten die Security eigentlich nicht“, stellte ich klar. „Können Sie sich eigentlich einen Reim darauf machen, weshalb Monsieur Lenoir Sie nicht umgehend angezeigt hat?“

Dugas zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen.“ Er atmete tief durch, beugte sich etwas nach vorne und wich meinem Blick aus, während er sprach. „Hören Sie, ich habe mit der Sache nichts zu tun. Aber Sie können auch nicht von mir erwarten, dass ich Ihnen bei Ihrer weiteren Mördersuche viel Erfolg wünsche.“

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Was hältst du von dem Kerl?“, fragte mich Francois, als wir etwas später wieder im Wagen saßen.

„Keine Ahnung. Er wirkte sehr mitgenommen und finanziell scheint ihn die Pleite von 'Les Partenaires du Succès' ja wohl hart getroffen zu haben.“

„Ein Grund mehr, ihn von der Liste der Verdächtigen zu streichen. Davide kann ja mal seine derzeitigen finanziellen Verhältnisse unter die Lupe nehmen, aber um einen Profi-Killer zu engagieren, hätte Gerard Dugas doch gar nicht die Mittel. Oder hast du irgendetwas von einem außerordentlichen Preisverfall in diesem Geschäft gehört?“

„Bestimmt nicht, wenn es darum geht, jemanden wie die Hornisse zu engagieren.“

„Eben!“

„Und wenn es gar nicht die Hornisse gewesen ist, sondern jemand, der nur dieselbe Methode verwendet?“, gab ich zurück.

„Ach, Pierre! Glaubst du ein Lederwarenvertreter sucht sich eigens aus den Fahndungsseiten des Kriminalpolizei Marseille die Mordmethode eines gesuchten und bisher unbekannten Profi-Killers heraus, um sie zu kopieren und den Verdacht von sich abzulenken? Das ist absurd.“

„Nein, vielleicht verwendet er einfach nur eine Tötungsmethode, mit der er vertraut ist.“

„Dieser Mann war mit seinen schlechten Ohren ganz bestimmt nicht in einer Spezialeinheit der Armee! Aber das dürfte sich ja schnell abchecken lassen.“

„Aber er hat einen großen Hund. Vielleicht ist er auch Jäger, Francois!“

„Also, wenn du mich fragst, ist es Zeitverschwendung, sich weiter mit dem Mann zu beschäftigen, Pierre!“

Stéphane Caron rief uns an. Ich nahm das Gespräch über die Freisprechanlage entgegen, während wir bereits auf dem Weg zurück waren.

„Pierre, ich hoffe, ihr habt heute Abend noch nichts vor.“

„Worum geht’s denn?“, fragte ich.

„Wir haben einen Tipp bekommen, dass Rick Grazzo heute Abend im Club Explosive auftauchen und ein Kokain-Geschäft besiegeln soll. Wir möchten ihm ganz gerne etwas auf den Zahn fühlen und da brauchen wir ein paar Leute zur Unterstützung.“

„Wir sind dabei.“

„Wir treffen uns in zweieinhalb Stunden zur Einsatzbesprechung im Präsidium. Schließlich muss die Aktion minutiös geplant werden.“

„Bis nachher.“

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Vorher hatten Francois und ich sogar noch Zeit zu unserem Lieblingsitaliener zu fahren und etwas zu essen. Natürlich nur was Leichtes. Schließlich mussten wir bei dem Einsatz hellwach sein.

Beim Essen ging ich das Dossier nochmal durch, das Victor Stahl uns über die Hornisse zusammengestellt hatte.

„Die meisten Morde, die man mit der Hornisse in Verbindung bringt, standen irgendwie mit Menotti in Verbindung“, stellte ich fest. „Zwar ist nie offiziell gegen ihn ermittelt worden, aber es sind allein drei seiner Unterführer, die die Hornisse ausgeschaltet hat und durch Informanten wissen wir, dass Menotti den Verdacht hatte, dass die Betreffenden für die Konkurrenz arbeiten. Außerdem ist da noch ein Informant unserer Kollegen von der Drogenabteilung, den die Hornisse umgebracht hat und der auch regelmäßig Neuigkeiten über Menotti berichtete.“

„Aber der Zusammenhang ist nicht bewiesen, sonst säße Menotti längst im Knast.“

„Welche Gründe gibt es für einen Auftragskiller, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen?“

Francois zuckte die Achseln. „Immer dieselben, würde ich sagen. Entweder er hat einen Job erledigt, der so heiß war, dass er danach einfach nicht mehr in Erscheinung treten konnte – oder er hat schlicht und ergreifend genug Geld verdient, um damit über die Runden zu kommen.“

„Wenn die Hornisse nach fünf Jahren wieder aktiv wird, ist sie vielleicht in finanziellen Schwierigkeiten.“

„Hilft uns das weiter?“

„Fassen wir mal zusammen: Die Hornisse ist ein Mann. Das wissen wir aufgrund des genetischen Materials, dass er an einem seiner Tatorte unbeabsichtigterweise zurückgelassen hat. Er setzt eine sehr seltene Waffe gekonnt ein – wie ein Fremdenlegionär oder ein Jäger, wobei wohl eher von einer militärischen Ausbildung auszugehen ist.“

„Pierre, dieses Raster haben Kollegen von uns vor fünf Jahren abgearbeitet und es ist niemand darin hängengeblieben! Die Hornisse ist nach wie vor unsichtbar und kann jederzeit aus dem Verborgenen zustechen!“

Ich zuckte mit den Schultern und kaute auf einem Salatblatt herum. „Ich denke ja nur laut nach“, meinte ich.

„Bei der Sache steht nur eins fest – dieser arme Kerl namens Gerard Dugas ist weder selbst die Hornisse, noch hat er sie beauftragt.“

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Später trafen wir uns im Präsidium zur Einsatzbesprechung. Stéphane hatte einen etwas größeren Konferenzraum dafür vorgesehen. Mit einem Beamer wurde ein genauer Grundriss des Club Explosive und des entsprechenden Abschnitts der Avenue d'Orange an die Wand projiziert, sodass die Einsatzpositionen aller beteiligten Kollegen genau bestimmt werden konnten.

Als stellvertretender Chef der Kriminalpolizei Marseille hatte Stéphane häufig die Einsatzleitung bei derartigen Aktionen.

Zwanzig Kollegen sollten an der Aktion teilnehmen, sich unter die Gäste des Club Explosive mischen oder in den Hinterhöfen und Seitenstraßen in der Nähe aufpassen, was sich da tat.

„Wir wissen nur, dass Grazzo sich mit einem Mann namens Ronny Jordache treffen wird, der ein Mittelsmann für ein Kokain-Kartell ist“, erklärte Stéphane. „Schaut euch die Gesichter gut an und prägt sie euch ein. Das Geschäft selbst wird wahrscheinlich im Club angemacht, der Stoff könnte in der Tiefgarage übergeben werden. Unser Informant sagt, dass Grazzo das zuletzt immer so gemacht hat. Es gibt da nämlich einen Bereich, der nicht von Überwachungskameras erfasst wird – aber das wissen nur Eingeweihte.“

„Grazzo ist der Mann hinter den Dealern, die Georges Lenoir beliefert haben. Vielleicht weiß er auch etwas darüber, wer ihn umgebracht haben könnte!“, meinte Francois.

Stéphane nickte. „Wenn wir ihn wirklich mit einem Kofferraum voll Kokain erwischen sollten, dann wird er froh sein, wenn er mit der Justiz kooperieren kann.“

Wir ließen uns verkabeln. Jeder von uns trug ein unauffälliges Headset und davon abgesehen waren Kevlar-Westen bei einem solchen Einsatz obligatorisch. Man musste nur darauf achten, dass man darüber ein Hemd und ein Jackett trug, die eine Nummer größer waren, als man es normalerweise bevorzugte.

Wir gingen den Einsatz noch einmal in allen Einzelheiten durch.

Dann ging es los.

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Wer wann einzutreffen hatte, war genau geplant. Alle Ein– und Ausgänge des Club Explosives mussten natürlich ebenso unter Beobachtung stehen wie die Ausfahrt der zum Club gehörenden Tiefgarage, in der es ein paar Dutzend reservierter Plätze für Menotti, Grazzo und andere Leute dieses Kalibers gab. Das hatte zur Folge, das eigentlich immer nur wenig Parkplätze für die Gäste da waren und diese dann mit ihren Fahrzeugen die Umgebung verstopften. Das hatte in der Vergangenheit immer mal etwas Ärger zwischen den Betreibern des Club Explosive und der Polizei von Marseille gegeben.

Unsere Aufgabe war es, im Inneren zu observieren. Das war ein verhältnismäßig angenehmer Job, zumal es es zu nieseln angefangen hatte und ein kühler Wind blies.

Der Türsteher ließ uns einfach passieren. Er war einer unserer Informanten und hatte es so gedeichselt, dass er an diesem Abend im Einsatz war.

An einem der Tische sah ich unsere Kollegen Fred LaCroix und Nadya Ahmadine, die wie ein Paar zu wirken versuchten und eine Flasche Champagner auf dem Tisch stehen hatten. In Wahrheit beobachteten sie allerdings genau, was sich bei Grazzo tat, der nervös an der Bar herumlungerte und immer wieder auf die Rolex an seinem Handgelenk blickte. Grazzo war nicht allein. Zwei große, muskulöse Kerle waren bei ihm, in deren Begleitung er sich offenbar bei einer solchen Transaktion etwas sicherer fühlte.

Wir bestellten uns auch einen Drink, um nicht zu sehr aufzufallen.

„Wie sieht es bei euch aus?“, fragte Stéphane über Headset.

„Noch ist Grazzo allein. Er scheint langsam nervös zu werden, weil sich sein Geschäftspartner verspätet“, murmelte ich in das Mikro hinein, das so unauffällig am Kragen angebracht war, dass es nicht auffiel.

Stéphane, Siddi und ein paar andere Kollegen warteten in der Tiefgarage. Und falls es vorgezogen wurde, das Geschäft bei den Müllcontainern am Lieferanteneingang über die Bühne zu bringen, dann entgingen sie damit auch nicht unserer Aufmerksamkeit, denn auch dort waren Kollegen.

Ein Mann im kobaltblauen Anzug und einem dunklen, sehr exakt geschnittenen Backenbart stellte sich zu Grazzo an die Bar. Das musste Ronny Jordache sein, auch wenn der Backenart neu und von den zugänglichen Fotos, die wir von ihm hatten, noch nicht dokumentiert war. Ronny war übrigens in seinem Fall nicht die Abkürzung von Ronald, sondern tatsächlich sein Vorname.

Jordache und Grazzo sprachen miteinander. Wir konnten leider nicht hören, was geredet wurde. Ein Richt-Mikro wäre unter diesen Umständen zu auffällig gewesen und das Ergebnis wegen der Geräuschkulisse aus Stimmengewirr, Musik und diversen Nebengeräuschen auch wohl kaum gerichtsverwertbar.

Francois machte mich auf ein paar Kerle in grauen Anzügen aufmerksam, die so taten, als würden sie nicht dazugehören. Aber sie gehörten dazu. „Wetten, dass sind die Paladine von Jordache?“, meinte Francois an mich gerichtet. Er gab eine kurze Beschreibung durch.

„Die beiden waren schon vor uns hier!“, meldete sich Nadya Ahmadine über Headset an alle.

Offenbar waren die Methoden der anderen Seite unseren ziemlich ähnlich. Es würde sich herausstellen, wer an diesem Abend die größere Cleverness zeigte.

Francois und ich trennten uns.

Während Francois sich an die Bar stellte, zog ich mich etwas zurück, mischte mich unter das Publikum und tat so, als würde ich auf jemanden warten.

Jordache und Grazzo schienen sich einig zu sein. Ihre Gesichter wirkten zufrieden. Zusammen mit ihren Begleitern gingen sie zu einem der Seitenausgänge, über die man zu den Aufzügen gelangen konnte.

Francois meldete das an unsere Kollegen.

„Ich nehme an, sie sind gleich bei euch, Stéphane“, sagte Francois.

Mir fiel unterdessen ein sehr großer, deutlich übergewichtiger Mann mit schwarzem Knebelbart auf. Das war André Menotti. Zwei kichernde junge Frauen in knappen Kleidern befanden sich in seinem Schlepptau, außerdem zwei finster dreinblickende Männer in schwarzen Rollis und ebensolchen Jacketts, bei denen es sich nur um seine Leibwächter handeln konnte.

Die Tatsache, dass ihm dreißig Prozent des Club Explosive gehörten, ließ ihn wohl glauben, dass das allgemeine Rauchverbot, auf das schon am Eingang hingewiesen wurde, für ihn nicht galt. Jedenfalls steckte Menotti sich eine dicke Havanna-Zigarre an.

„Läuft doch ganz gut der Laden!“, meinte Menotti grinsend und tätschelte dabei einer seiner Begleiterinnen. „Hey Buddy! Meinen Tisch!“ Menottis Stimme klang dröhnend.

Einer der Angestellten des Clubs ging zu einem der Tische und versuchte die Gäste höflich dazu zu überreden, anderswo Platz zu nehmen. Das war André Menottis Tisch und wenn er im Haus war, dann gehörte der ihm. Das war anscheinend eine eiserne Regel im Club Explosive.

Die drei Männer und zwei Frauen, die dort bisher gesessen hatten, ließen sich darauf ein. Vermutlich hatte ihnen 'Buddy' angeboten, dass ein Getränk aufs Haus gehe. Sie schlenderten mit ihren Champagnergläsern davon und bekamen einen Tisch auf der anderen Seite des Raums. Einen der letzten, die noch frei waren, denn es war inzwischen ziemlich voll geworden. Das Gedränge machte unseren Job nicht gerade leichter.

Und schließlich war unser Augenmerk bei dieser Operation auf Grazzo gerichtet. Trotzdem sagte mir mein Gefühl, dass es besser war, auch Menotti im Auge zu behalten.

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Zur gleichen Zeit trafen Grazzo und sein Geschäftspartner in der Tiefgarage ein. Unsere Kollegen filmten von einem Van aus den Bereich, den die Überwachungskameras nicht erfassen konnten.

„Ist schon raffiniert“, meinte Siddi. „Einer der Liftausgänge gehört mit zu dem blinden Bereich und wenn sich später irgendwer das Video-Material ansieht, muss er schon sehr aufpassen, um zu bemerken, dass hier ein ganzer Bereich ausgesperrt ist.“

„Ein idealer Umschlagplatz“, musste auch Stéphane zugeben.

„Und am Ende wird jeder behaupten, es war nur eine Fehleinstellung der Überwachungsanlage.“

„Das Schlimme ist, dass es kaum möglich ist, das Gegenteil zu beweisen.“

Grazzo und Jordache und ihre Leibwächter blieben einen Augenblick stehen. Hier unten konnten unsere Kollegen Richt-Mikrofone einsetzen, sodass sie mithören konnten, was gesprochen wurde.

„Der Stoff ist erste Sahne“, meinte Jordache. „Hoch konzentriert. Sie können ihn ohne Probleme verlängern und auf die zehnfache Menge bringen!“

„Hey Mann, wollen Sie nochmal anfangen zu verhandeln?“, zeigte sich Grazzo etwas sauer. „Wir waren uns doch einig!“

Jordache grinste. „Ich sehe doch, wie dringend Sie den Stoff brauchen. Man redet doch schon auf der Straße über die Lieferengpässe bei Ihnen.“

„Wenn Sie mich wirklich ärgern wollen, dann nur so weiter“, giftete Grazzo. „Entweder wir bringen das hier schnell und wie abgemacht über die Bühne oder...“

„Oder was? Wollen Sie mir die Hornisse auf den Hals schicken?“ Er lachte. „Sie sollten noch an Ihrem Geschäftsgebaren arbeiten, Grazzo! Sonst werden Sie in Ihrem Business nicht alt!“

„Alles wie abgemacht. Keinen Cent mehr!“

„Aber das nächste Mal legen Sie zehn Prozent drauf, Grazzo!“

Jordache hielt Grazzo etwas hin. Es handelte sich um einen Wagenschlüssel.

Grazzo holte ebenfalls einen Schlüssel.

„Alles wie immer“, sagte Jordache. „Es ist der graue Chevy. Der Kofferraum ist voll und die Sitze auch. Machen Sie die Polster nicht kaputt, die lassen sich öffnen.“

„Das Geld ist im Kofferraum des grünen BMW. Und Gnade Ihnen Gott, wenn etwas nicht stimmen sollte.“

Sie tauschten die Schlüssel. Dann gingen Jordache und seine Leibwächter zu dem BMW, Grazzo und seine Männer hingegen zum Chevy.

Unsere Kollegen warteten, bis beide Wagen aufgeschlossen worden waren.

„Der Deal ist vollzogen!“, stellte Stéphane fest. „Zugriff!“

Unsere Kollegen kamen aus ihren Verstecken hervor – einem Van mit getönten Scheiben, einem Lieferwagen, der das Emblem eines Getränkeherstellers trug und einer Stretch-Limousine, in deren Passagierbereich man ebenfalls nicht hineinsehen konnte.

Siddi und Stéphane stürzten aus dem Van heraus und gingen daneben in Deckung. Unsere Kollegen Josephe Kronbourg und Léo Morell, die mit drei anderen Kollegen in der Stretch-Limousine gewartet hatten, schnellten ebenfalls aus dem Wagen – und zwar auf der den Tätern abgewandten Seite, sodass sie ihn als Deckung benutzen konnten.

„Kriminalpolizei Marseille! Waffen weg und Hände hoch!“, dröhnte es durch eine Megafonstimme.

Die Leibwächter von Grazzo und Jordache rissen augenblicklich ihre Waffen hervor, darunter kleinkalibrige Maschinenpistolen. Die waren vom Volumen her kaum größer als eine Magnum, konnten aber bis zu dreißig Schuss pro Sekunde ausspucken. Ein Geschosshagel regnete Stéphane, Siddi und den anderen entgegen. Ein Teil der Kugeln wurden durch die Panzerung unserer Einsatzfahrzeuge abgelenkt und als tückische Querschläger auf die Reise geschickt. Kugeln kratzten auch an der Decke. Neonröhren zerplatzten. Es wurde merklich dunkler.

Schüsse krachten jetzt hin und her. Schreie gellten. Zwei der Leibwächter sanken getroffen zu Boden. Auch einen unserer Kollegen hatte es erwischt. Er hieß Jerome Tulane und war erst seit kurzem bei uns. Dies war sein erster Einsatz dieser Art. Eine Salve von zwanzig Kugeln aus einer Mini-MPi trafen ihn in die Brust und schleuderten ihn zu Boden wie ein Faustschlag. Blut spritzte auf, aber das kam von einem Streifschuss am Arm. Ansonsten hatte er Glück gehabt. Seine Kleidung war zerfetzt, darunter kam das Kevlar zum Vorschein.

Mit ein paar Rippenbrüchen kam er wahrscheinlich davon.

Aber Kevlar-Westen trug auch die andere Seite. Manche von ihnen feuerten deswegen auch noch, nachdem sie schwer getroffen worden waren. Grazzo versuchte im Feuerschutz seiner Männer zum Lift zu gelangen. Aber da kamen ihm bereits unsere Kollegen Blaise Duvall und Sarah Chasseur entgegen.

„Aufhören! Nicht schießen!“, rief Grazzo daraufhin. Er sah wohl ein, dass er keine Chance hatte, der Verhaftung zu entgehen.

Das Feuer verebbte und der Rest war Routine. Die Gangster ließen sich widerstandslos festnehmen. Handschellen klickten, und die Gefangenen wurden über ihre Rechte aufgeklärt. Der Rettungsdienst war schon vorher verständigt worden.

Stéphane und Siddi gingen zum Kofferraum des BMW. Ein Koffer mit Geldscheinen war darin zu finden. 

Josephe und Léo waren unterdessen bei dem Chevy und wurden schon nach wenigen Augenblicken fündig. „Der ganze Wagen ist ein einziges fahrbares Kokain-Lager“, stellte Josephe fest und steckte seine Waffe ein.

„Ich bin schon gespannt darauf, wie Sie sich da herauszuwinden versuchen“, wandte sich Stéphane an Grazzo.

„Ich will sofort einen Anwalt.“

„Den bekommen Sie“, versprach Stéphane. „Aber Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie da wirklich einen der Leute nehmen sollten, die auf der Gehaltsliste von André Menotti stehen – denn ich glaube nicht, dass Ihrer beider Interessen jetzt noch identisch sind.“

„Das sollten Sie mal getrost mir überlassen!“, zischte Grazzo zwischen dünnen Lippen hervor.

„Ganz wie Sie wollen.“ Stéphane wandte sich über Funk an alle.

„Hier Caron. Der Einsatz ist beendet.“

Aber da hatte er sich gründlich getäuscht.

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Francois trank an der Bar aus seinem Glas und nickte mir zu. Die Sache war gut über die Bühne gegangen. Grazzo war in unserer Hand und angesichts der sichergestellten Beweise und der Videoaufzeichung der Geschehnisse in der Tiefgarage musste er sich auf einen längeren Aufenthalt im Knast.

Ich warf noch einen Blick auf André Menotti, der den Champagner nur so hinunterkippte und dröhnend über Witze lachte, die er selbst machte.

Die jungen Frauen in seiner Umgebung wirkten leicht gelangweilt.

Die Leibwächter hatte er inzwischen zur Bar entlassen. Im Augenblick wollte er wohl Hahn im Korb sein.

Menottis Handy meldete sich. Er griff zum Apparat. Sein Gesicht veränderte sich. „Moment“, sagte er und erhob sich. „Bleibt hier, ich muss mal pissen!“, wandte er sich an die  jungen Frauen. Die kicherten. Menotti war für seine ungehobelte Art bekannt und er machte sich auch keine Mühe, sie zu verbergen. Ganz im Gegenteil. Vom Hafenarbeiter zum Geschäftsmann, wie er es nannte – auf diesen Aufstieg war er stolz.

Menotti ging ein paar Schritte. Einer der Leibwächter an der Bar machte ihm ein Zeichen, was wohl so viel heißen sollte wie: „Soll ich mitkommen?“

Menotti schüttelte den Kopf und strebte zu einem der Ausgänge. Wenig später verschwand er im Schatten.

„Ich werde Menotti mal folgen“, sagte ich über das Headset-Mikro an Francois gewandt.

„Wieso?“

„Instinkt. Jemand hat ihn kurz zuvor angerufen. Dessen Blase verträgt mehr als das bisschen Champagner.“

„Du meinst, er trifft sich mit jemandem?“

„Wäre doch interessant zu wissen, mit wem.“

„Glaubst du, er weiß schon, was in der Tiefgarage passiert ist, Pierre?“

„Das will ich nicht hoffen.“

Ich drängte mich durch die umstehenden Personen. Eine Frau in einem Glitzerkleid beplemperte meinen Jackettärmel mit irgendeinem Getränk das nach Zitrone roch. Wenig später hatte ich den Seitenausgang erreicht.

Ein schmaler Korridor lag vor mir, über den man zu den Toiletten und anschließend auch ins Freie kommen konnte. Den Grundriss des Gebäudes, in dem der Club Explosive lag, hatte ich mir ja während unserer Dienstbesprechung ziemlich gründlich eingeprägt.

Der Korridor machte eine Biegung.

Und dort fand ich Menotti.

Seine Brust war förmlich aufgerissen. Eine Wunde, wie sie von einem Gasdruckmesser verursacht worden sein konnte. Überall war Blut. Offenbar auch an den Schuhen des Täters.

Rote Abdrücke waren auf dem Boden zu sehen.

„An alle! Hier Marquanteur! André Menotti ist vor schätzungsweise zwei Minuten im Korridor vor den Toiletten ermordet worden. Hintereingang besetzen und jeden aufhalten, der dort herauskommt!“

„Zu spät, Pierre“, meldete sich Stéphane. „Unsere Kollegen sind dort schon abgezogen.“

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Ich spurtete los und hatte wenig später das Ende des Korridors erreicht. Dort befand sich ein Hintereingang, der auch von Lieferanten benutzt wurde.

Auf dem ganzen Weg dorthin waren Blutspuren zu sehen.

Blut des Opfers, wie ich vermutete. Die Tür war nur angelehnt. Ich trat sie zur Seite und stürmte hinaus.

Auf dem Hinterhof standen ein paar Fahrzeuge. Zumeist Lieferwagen und kleinere Lastwagen. Außerdem waren da ein paar Müllcontainer und ein ganzer Stapel von Pappkartons mit der Aufschrift eines Herstellers von Fruchtsäften, die wohl letztendlich Bestandteil der Drinks wurden, die im Club Explosive ausgeschenkt wurden.

Im ganzen war der Hinterhof recht gut beleuchtet. Lediglich am Ausgang befand sich eine Schattenzone an einer fensterlosen Wand. Genau dort bewegte sich etwas. Ein Schatten. Schritte waren zu hören. Für einen kurzen Moment sah ich eine Gestalt zur angrenzenden Querstraße rennen.

Ich spurtete hinterher. Als ich die Straße erreichte, war der Kerl nicht mehr zu sehen. Zumindest ging ich nach meinem flüchtigen Eindruck davon aus, dass es sich um einen Mann gehandelt hatte. Hundertprozentig sicher konnte ich da ehrlicherweise nicht sein.

Ich ließ den Blick über die Reihe parkender Fahrzeuge schweifen. Das waren wohl vor allem Fahrzeuge von Gästen des Club Explosive, die in der Tiefgarage keinen Platz mehr gefunden hatten.

Drei junge Männer standen in einer Hausnische. Sie wirkten wie erstarrt, was vermutlich mit der Waffe in meiner Hand zu tun hatte. Ich trat in den Schein der Straßenbeleuchtung und zog meinen Ausweis. „Kriminalpolizei Marseille! Habt ihr den Kerl gesehen, der hier gerade vorbeigelaufen ist?“

Sie antworteten nicht. Vielleicht überlegten sie, ob sie weglaufen sollten. Ich überquerte die Straße. Sie machten ein paar Schritte.

„Wartet!“, rief ich. „Mir sind eure Drogen heute ausnahmsweise egal! Ich will nur den Kerl, der hier lang gelaufen ist!“

„Sitzt dahinten im Wagen!“, sagte einer von ihnen. Als sie dann meine Kollegen kommen sahen, rannten sie weg.

Ein Motor startete und heulte auf. Ein Wagen scherte aus der Reihe der Fahrzeuge aus. Ich stand mitten auf der Straße, sah in das grelle Scheinwerferlicht. Der Fahrer trat das Gaspedal voll durch. Ich warf mich zu Seite, rollte mich am Boden um die eigene Achse, während der Wagen mit aufheulendem Motor davonfuhr.

Zwei Schüsse jagte ich dem flüchtenden Fahrzeug hinterher, gezielt in die Reifen. Aber da war ohnehin nur ein Schatten zu sehen. Reine Glückssache, richtig zu treffen. Ich hatte in diesem Moment nicht das nötige Glück. Quietschend bog der Wagen in eine andere Straße ein. Lautes Hupen deutete an, dass er sich daraufhin ziemlich brutal in den Verkehr einfädelte.

Francois, Fred LaCroix und Nadya Ahmadine tauchten auf.

„Der ist weg!“, meinte Francois.

Ich sah dorthin, wo gerade noch die jungen Männer gestanden hatten.

„Meine Zeugen leider auch!“, stellte ich fest.

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Die Party im Club Explosive war erstmal vorbei. Wir forderten Verstärkung vom zuständigen Revier der Polizei von Marseille an. Denn das, was nun an Arbeit zu bewältigen war, konnte unmöglich von uns allein geschafft werden.

Insbesondere mussten die Personalien aller Gäste aufgenommen werden, damit wir sie zu gegebener Zeit als Zeugen heranziehen konnten.

Außerdem wurden die Kollegen der Division de la Recherche Scientifique gerufen, die zusammen mit unseren eigenen Erkennungsdienstlern dafür sorgen sollten, dass uns keine Spur entging.

Der Täter hatte diesmal Fußabdrücke hinterlassen. Das war schonmal ein wichtiger Hinweis. Zwar gab es keine vergleichbaren Spuren von anderen Tatorten der Hornisse, aber immerhin ließen sich Rückschlüsse ziehen, die den Täter etwas mehr eingrenzten. Die Schuhgröße ließ sich feststellen. Dadurch konnte man in etwa auf die Größe schließen und wenn man ganz großes Glück hatte, gab es irgendwelche Besonderheiten am Profil oder sogar das genaue Schuhfabrikat.

Dr. Oscar Dubarry, der Gerichtsmediziner traf mit einem Kollegen von der Division de la Recherche Scientifique ungefähr eine Stunde nach dem Mord an Menotti ein. Denn auch wenn die Straßen Marseilles nach Mitternacht etwas freier werden, so heißt das noch lange nicht, dass sich deswegen die Fahrzeit maßgeblich verkürzt.

„Genaueres kann ich natürlich erst sagen, nachdem ich eine vollständige Obduktion durchgeführt habe“ erklärte Dr. Dubarry uns gegenüber, nachdem er sich die Leiche von Menotti angesehen hatte. „Aber nach allem, was ich bisher erkennen konnte, sieht das tatsächlich nach den typischen Verletzungen aus, die bei der Benutzung eines Gasdruckmessers entstehen. Natürlich können auch Schussverletzungen den Brustkorb so zerreißen – aber nur auf der Austrittsseite der Kugel. Wir hätten also auf dem Rücken selbst bei oberflächlicher Betrachtung einen Einschuss sehen müssen, aber da ist nichts. So wie ich das sehe, hat der Täter von vorne zugestochen.“

„Das Messer hielt der Täter in der Faust und dann hat er von schräg oben zugestoßen?“, vergewisserte ich mich und ahmte die Bewegung nach.

Dr. Dubarry nickte. „Ganz genau.“

„Das heißt, der Täter muss etwas kleiner gewesen sein als Monsieur Menotti.“

„Pierre – fast jeder ist etwas kleiner als Monsieur Menotti!“, erinnerte mich Dr. Dubarry. „Der Mann war ein ziemlich großer Koloss!“

„Mag ja sein. Was ich mich nur frage, ist folgendes: Wieso verwendet ein Profi-Killer eine Tötungsmethode, bei der so viel Blut entsteht, dass er selbst wahrscheinlich aussieht wie  ein Schlachter!“

„Es muss nicht immer so viel Blut geben“, erwiderte Dr. Dubarry. „Das hängt davon ab, wie man sticht, wie das Messer geführt wird und so weiter. Gerade beim Einsatz in militärischen Kommandoeinheiten kommt es ja darauf an, schnell und lautlos vorzugehen. Tödlich ist allerdings nahezu jeder Stich eines solchen Messers.“

„Wie war das bei Lenoir?“, hakte ich nach. „Ich habe ja nur die Tatortfotos aus dem Inneren des Porsches gesehen.“

„Da war nur wenig Blut. Die Stichführung war auch komplett anders.“

„Bedingt durch die Enge im Wagen“, stellte Francois fest.

„Ja auch. Aber vor allem dadurch, dass der Angriff von der Seite erfolgte und nicht frontal von vorn.“

„Waren es vielleicht zwei verschiedene Täter?“, hakte ich nach.

„Nein, das muss nicht sein. Dafür würde ich sagen ist die Tötungsmethode wiederum zu speziell. Es könnte in Menottis Fall sein, dass ein kleines Handgemenge entstanden ist und deswegen der Angriff weniger professionell gewirkt hat.“

„Kann man sagen, es ist wahrscheinlich, dass Opfer und Täter sich kannten?“, fragte ich.

Dr. Dubarry zuckte mit den Schultern. „Immerhin musste der Täter sehr nahe an das Opfer heran.“

„Er hat vorher telefoniert“, stellte ich fest. „Die Begleitung durch einen Leibwächter hat er ausdrücklich abgelehnt, also würde ich sagen, er wollte sich mit jemandem treffen, den er kannte!“

„Haben wir nicht schon lange den Verdacht, dass Menotti und die Hornisse etwas miteinander zu tun haben“, warf Francois ein.

Ich nickte. „Wir sollten alles daran setzen, herauszufinden, wer die drei jungen Männer waren, die ich in der Hausnische gesehen habe.“

„Wahrscheinlich Kleindealer, die sich herumtreiben, weil sie denken, dass in der Umgebung des Club Explosive genug Leute herumlaufen, die eine kleine Gute-Laune-Hilfe vor der Party gebrauchen können“, glaubte Francois.

„Dann haben wir vielleicht etwas über die!“

„Gut möglich, dass die schonmal aufgefallen sind.“

„Francois, die müssen den Kerl gesehen haben.“

„Hauptsache, du kennst sie wieder, Pierre. Und was ist mit dem Wagen, der dich fast über den Haufen gefahren hätte?“

„War ein Ford, glaube ich. Aber zu hundert Prozent bin ich mir da auch nicht sicher. Vom Nummernschild konnte ich nichts sehen.“

„Schade“, meinte Francois.

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Fred LaCroix hatte unterdessen zusammen mit Nadya Ahmadine die Leibwächter von André Menotti verhört.

Allerdings erwiesen die sich als ziemlich maulfaul und wollten nichts sagen. Irgendwelche strafrechtlichen Vorwürfe konnte man ihnen nicht machen.

Francois und ich kamen dazu.

Der größere der beiden Bodyguards grinste. „Jetzt braucht ihr schon Verstärkung, um uns in die Mangel zu nehmen, oder wie soll ich das verstehen?“

Der Mann hieß Paul LeBlanc und arbeitet schon eine Ewigkeit für Menotti. Ein paar Verfahren wegen Körperverletzung, aus denen aber nie ein richtiger Prozess geworden war. Das war alles, was er auf dem Kerbholz hatte.

„Haben Sie gerne für Monsieur Menotti gearbeitet?“, fragte ich.

„Sicher.“

„Dann interessiert es Sie gar nicht, wer ihn umgebracht hat?“

„Er war wie ein Vater zu mir, Monsieur.“

„Kommissar Marquanteur. Soviel Zeit muss sein.“

„Wenn ich den Kerl in die Finger kriegen würde, der das getan hat, der hätte nicht viel zu lachen! Aber ich sagte Ihren Kollegen schon, dass ich Ihnen da wohl kaum weiterhelfen kann! Und jetzt wäre es schön, wenn wir dieses Gespräch beenden könnten. Ich stehe noch unter Schock. Und außerdem habe ich soeben wohl auch meinen Job verloren. Versetzen Sie sich mal in meine Lage!“

„Sie sind wirklich arm dran“, gestand ich zu.

„Dann kann ich jetzt gehen?“

„Wenn Sie mir sagen, was Sie über die Hornisse wissen, vielleicht.“

„Ich habe schon viel über Insektenplagen in Marseille gehört und jeden Sommer darunter zu leiden“, sagte LeBlanc mit eisigen Lächeln. „Zum Beispiel sollen gewisse Fliegen ja neuerdings das West-Nil-Virus verbreiten.“

„Das ist hier kein Spaß, Monsieur LeBlanc. Sie wissen genau, wen ich meine! Ihr Boss ist vermutlich von einem Profi ermordet worden, der die Hornisse genannt wird und der im Verdacht steht, früher für ihn gearbeitet zu haben. Sie haben  Jahre an Monsieur Menottis Seite verbracht und wollen nichts darüber wissen? Es fällt mir schwer, das zu glauben.“

„Brauche ich jetzt einen Anwalt?“

„Wieso hat die Hornisse Ihren Boss erstochen?“

„Ich habe keine Ahnung. Und selbst wenn, weiß ich nicht, ob es ratsam wäre, Ihnen das zu sagen. Schließlich will ich ja auch noch eine Weile leben. Und aus solchen Sachen hält man sich für gewöhnlich besser raus.“

„Reizend, wie Sie sich Ihrem Boss gegenüber verpflichtet fühlen.“

„So eine Verpflichtung endet mit dem Tod“, stellte LeBlanc fest. „Selbst eine Ehe tut das, und die ist ein Sakrament! Also erzählen Sie mir nichts über Verpflichtungen.“

„Lass es, Pierre, das bringt nichts“, meinte Francois.

Er hatte recht. Ich wollte es im ersten Moment nicht wahrhaben, aber er hatte wirklich recht.

Und der zweite Leibwächter, der die ganze Zeit nur dabeigesessen und geschwiegen hatte, nickte jetzt heftig. Er hatte lockiges Haar, hieß Thierry Simone und war ein unbeschriebenes Blatt. Eine Kurzabfrage, die unsere Kollegin Nadya Ahmadine über ein Laptop durchgeführt hatte, war ergebnislos.

„Ich kann Ihnen auch leider nichts weiter dazu sagen“, meinte er. „Aber Sie können uns ja Ihre Karte da lassen!“

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Mit wem Menotti telefoniert hatte, stellte sich recht schnell heraus, nachdem unser Erkennungsdienstler Pascal Delaville das Handy unter die Lupe genommen und zunächst mal alle äußeren Spuren daran gesichert hatte.

„Es war eine Mobilfunknummer, vermutlich ein Prepaid-Handy“, berichtete Pascal uns.

„Das wird uns nicht sehr viel weiter bringen“, glaubte ich.

Die Leibwächter ließen wir gehen.

Die beide jungen Frauen, die Menotti begleitet hatten, erwiesen sich als auskunftsfreudiger. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass sie wenig zu sagen hatten, was uns irgendwie weiterbringen konnte.

Von der Hornisse hatten sie noch nie gehört. Und sie konnten sich auch nicht vorstellen, wer und weshalb jemand André Menotti aus dem Weg räumen wollte.

Als Francois und ich uns auf den Heimweg machten war es schon vier Uhr morgens.

„Es lohnt schon fast nicht mehr, sich noch aufs Ohr zu legen“, meinte ich.

Francois gähnte. „Doch, das lohnt immer“, meinte er.

Ich setzte ihn an der Ecke in der Nähe deiner Wohnung ab. „Bis gleich“, grinste er.

Als ich wenig später aus einem der Fenster meiner Wohnung  den Blick über die Dächer der Stadt schweifen ließ, ging bereits die Sonne auf.

Ich trank noch eine halbe Flasche Mineralwasser, weil die Luft im Club Explosive so trocken gewesen war und legte mich dann aufs Ohr. Ich schlief wie ein Stein.

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Am nächsten Morgen, kurz nachdem ich Francois abgeholt hatte, rief uns Monsieur Marteau unterwegs an.

Wir sollten zum Hafen fahren.

„Es wurde eine Leiche aus dem Wasser gezogen, die möglicherweise ebenfalls ein Opfer der Hornisse wurde“, berichtete Monsieur Marteau. „Ein Angler hatte sie am Haken.“

„Hat man sie schon identifizieren können?“, fragte ich.

„Es könnte sich um Selma Laplace handeln.“

„Ebenfalls an entscheidender Stelle bei 'Les Partenaires du Succès'!“, stellte ich fest.

„Es ist möglich, dass die Sache mit 'Les Partenaires du Succès' mehr mit dem Menotti-Mord zu tun hat, als wir bisher geahnt haben“, fuhr Monsieur Marteau fort. „Davide hat ein paar neue Erkenntnisse gewonnen. Er wird Ihnen das später noch im Detail auseinandersetzen, aber es gab vor zwei Jahren den Verdacht, dass 'Les Partenaires du Succès' in Geldwäschegeschäfte verwickelt sei.“

„Sind die Ermittlungen nicht im Sande verlaufen?“

„Ja. Ein Verdächtiger, der damals in die Sache verwickelt war, hieß Brian Lunkovich. Jetzt ist Davide darauf gestoßen, dass dieser Lunkovich höchstwahrscheinlich nur ein Strohmann für Menotti war.“

„Im Augenblick wirft das nur neue Fragen auf“, meinte Francois.

„Die wir vielleicht bald beantworten können“, äußerte sich Monsieur Marteau optimistisch. „Wir sehen uns nachher in meinem Büro.“

Ich atmete tief durch. „Also auf zum Hafen.“

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Als wir am Hafen ankamen, waren dort schon eine Reihe von Einsatzfahrzeugen der Polizei von Marseille. Zu unserer Überraschung war auch Dr. Oscar Dubarry dort.

„Hallo Oscar“, sagte ich. „Lange nicht gesehen.“

„Ich war gerade mit der Obduktion von André Menotti fertig, da kam diese Meldung herein“, berichtete er und gähnte. „Den offiziellen Bericht werde ich erst morgen diktieren. Aber das wichtigste habe ich in einer Mail zusammengefasst. Es war definitiv ein Gasdruckmesser.“

Vor uns lag die Leiche einer Frau. Für eine Wasserleiche war sie erstaunlich gut erhalten. Dr. Dubarry erklärte uns auch warum. „Sie war in Plastikfolie gewickelt“, sagte er.

„Die Plane, auf der sie jetzt liegt?“, fragte Francois.

„Ja. Monsieur Brix von der Polizei von Marseille hat die Leiche herausgeschnitten. Sie hat am Rücken eine Verletzung, die sehr wahrscheinlich von einem Gasdruckmesser stammt. Alle Merkmale sind deutlich zu identifizieren.“

„Die Hornisse hat also wieder zugestochen“, murmelte ich.

„Sie irren sich, Pierre“, sagte Dr. Dubarry.

Ich sah ihn fragend an. „So?“

Dr. Dubarry deutete auf die am Boden liegende Frau. „Diese Frau starb vor Georges Lenoir. Sie ist das erste Opfer der Hornisse, seit sich dieser Profikiller aus seinem Ruhestand verabschiedet hat!“

„Wann ist sie denn vermutlich getötet worden?“, wollte ich wissen.

„Ich nehme an, dass sie schon zwei Wochen im Wasser liegt. Mindestens.“

Monsieur Brix war inzwischen zu uns getreten. Er war ein rothaariger Hüne mit leuchtenden grünen Augen.

„Alain Brix“, stellte er sich vor. „Vermisstenabteilung. Die Tote ist wahrscheinlich Selma Laplace, 35 Jahre. Sie lebt im Haus Ihres Lebensgefährten, Monsieur Bernard Hendaye. Der hat sie erst vor ein paar Tagen als vermisst gemeldet, meint aber, dass sie schon vor drei Wochen verschwunden ist.“

„Das ist etwas verwirrend“, meinte ich.

„Am besten, er erklärt Ihnen das selbst. Da vorne kommt er“, sagte Brix und deutete zur Straße. Ein schwarzer Wagen fuhr die Auffahrt hinunter. Ein Mann im dreiteiligen Anzug stieg aus. Einer der uniformierten Kollegen versuchte ihn davon abzuhalten, weiterzugehen, aber Bernard Hendaye war nicht zu stoppen. Sein kantiges Gesicht war dunkelrot. Das schüttere Haar etwas wirr.

„Einen Moment“, sagte Monsieur Brix und eilte Bernard Hendaye entgegen.

„Wo ist sie?“, fragte Hendaye nur, während sich Brix ihm in den Weg zu stellen versuchte.

„Monsieur Hendaye.“

„Da liegt sie?“

„Monsieur Hendaye, es ist nicht gut, wenn Sie jetzt einfach...“

Aber Hendaye hatte sich schon an ihm vorbeigedrängt und mit weiten, schnellen Schritten schließlich die Leiche erreicht. „Selma“, rief er. „Nein!“ Er kniete nieder, berührte leicht ihr bleiches Gesicht. „Nein“, flüsterte er noch einmal und schüttelte den Kopf. Verzweiflung stand in seinen Zügen, gepaart mit Wut.

„Es gibt keinen Zweifel, Monsieur Hendaye?“, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. Dann erhob er sich. „Ich hatte Monsieur Brix gebeten, mich sofort anzurufen, wenn er etwas von meiner Frau gehört hätte. Die Beschreibung...“ Er schluckte und konnte nicht nicht weiter sprechen. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper. Seine Augen verengten sich. Er sah mich an. „Wer sind Sie?“

„Pierre Marquanteur, Kriminalpolizei Marseille. Dies ist mein Kollege Kommissar Leroc. Es ist sicher ein Schock für Sie, dass Sie gerade Ihre Lebensgefährtin identifizieren mussten. Aber ich möchte Sie trotzdem bitten, uns einige Fragen zu beantworten.“

„Natürlich.“ Seine Haltung straffte sich, aber es war überdeutlich, wie schwer es ihm fiel, die Fassung zu bewahren.

„Wir müssen das nicht hier machen“, sagte ich. „Wenn es Ihnen jetzt schwer fällt, dann...“

„Nein, nein, fragen Sie ruhig. Ich möchte, dass die Wahrheit herauskommt. Oh, verdammt, warum nur? Warum ermordet jemand diese Frau?“

„Wir gehen davon aus, dass der Täter ein professioneller Killer war, der in letzter Zeit auch andere Morde begangen hat. Und wir suchen natürlich nach Zusammenhängen.“

„Ein Profi?“, fragte Hendaye. „Ich hätte eher gedacht, dass das irgendeiner dieser durchgeknallten Leute war, die glaubten, dass Selma ihnen Geld schuldete.“

„Sie sprechen nicht zufällig von einem gewissen Gerard Dugas?“, fragte ich.

„Den haben wir angezeigt. Aber da waren auch noch ein paar andere. Ich überlasse Ihnen gerne die Unterlagen dazu!“ Er atmete tief durch.

„Seit wann vermissen Sie Ihre Frau? Es gab da ein paar widersprüchliche Angaben.“

„Also es ist so: Wir haben uns vor vier Wochen zuletzt gesehen. Es gibt in jeder Beziehung mal eine Krise. Wir wollten etwas Abstand und sie hat eine Tante, die in London lebt. Dort wollte sie einige Zeit verbringen. Telefonisch oder per Mail hatten wir keinen Kontakt. Jeder sollte für sich darüber nachdenken, wie es weitergehen soll. Ich habe es dann aber irgendwann nicht mehr ausgehalten und bei dieser Tante in London angerufen.“

„Wann war das?“

„Vor zwei Tagen. Da habe ich allerdings erfahren, dass Selma bereits vor zwei Wochen eine Maschine nach Marseille genommen hat. Sie wollte mich überraschen. Allerdings ist sie nie zu Hause angekommen. Ihre Kollegen von der Polizei von Marseille haben natürlich ermittelt und festgestellt, dass sie sehr wohl im Aéroport Marseille Provence gelandet ist. Aber danach verliert sich ihre Spur.“

Dann war Selma Laplace also vor zwei Wochen ermordet und im Hafen versenkt worden. Genau, wie es der Schätzung von Dr. Dubarry entsprach.

Ich gab Hendaye meine Karte und er mir seine. „Sie können jederzeit zu mir kommen und sich umsehen“, sagte er. „Ich meine natürlich in Selmas Zimmer, ihren Sachen, ihren Unterlagen und Papieren. Meinetwegen auch auf ihrem Computer. Wir hatten eine Krise, aber ich habe sie geliebt wie sonst niemanden und ich will, dass das aufgeklärt wird.“

„Wir tun was wir können“, versprach ich. „Und was Ihr Angebot angeht, werden wir sicherlich darauf zurückkommen.“

„Gut.“

„Vielleicht sollte sich jetzt jemand um Sie kümmern, Monsieur Hendaye“, fand ich.

Aber Hendaye schüttelte den Kopf. „Nein“, murmelte er. „Ich komme schon zurecht.“

Einer der uniformierten Kollegen wollte Hendaye einen Becher mit Kaffee aus der Thermoskanne anbieten, aber davon wollte er nichts. Er ging stattdessen noch einmal zu der Toten, schloss ihr die Augen und ging dann zum Wagen, ohne sich noch einmal umzudrehen.

„Es steht zwei zu eins, Francois“, sagte ich.

Francois sah mich überrascht und etwas befremdet an. „Wie bitte, Pierre?“

„Zwei Opfer hatten etwas mit Gerard Dugas zu tun, das dritte nicht.“

„Du meinst Menotti.“

„Genau.“

„Diesen armen Kerl hast du noch immer nicht von der Rechnung gestrichen?“

Ich zuckte die Schultern. „Du setzt voraus, dass wir schon eine Rechnung haben, von der wir was streichen könnten. Vorerst sieht das ganze noch etwas verworrener aus.“

„Stimmt.“

„Ich stelle mir das nur gerade vor, Francois: Jemand wie Dugas hat sein Vermögen verloren und muss mit ansehen, wie Selma Laplace in Saus und Braus lebt.“ Ich deutete auf die Karte, die Hendaye mir gegeben hatte. „Dieser Hendaye wohnt in einer sehr feinen Gegend.“

„Er haftet ja nicht für das, was Selma Laplace mutmaßlich verbrochen hat!“

„Ja. Aber sie lebte in einer Villa, aber Leute wie Dugas haben beinahe ihr Haus verloren. Dafür, dass jemand da etwas aus der Fassung geraten kann, habe ich sogar ein gewisses Verständnis!“

„Die Reihenfolge der Opfer heißt also Selma Laplace, Georges Lenoir, André Menotti. Dieselbe Waffe, vermutlich derselbe Täter. Wenn wir das Motiv des Auftraggebers hätten, wären wir einen entscheidenden Schritt weiter.“

„Und wenn der Täter in eigener Sache handelte?“

„Ach, Pierre, wir drehen uns im Kreis. Wie heißt es so schön? Die Faktenbasis ist noch zu schmal für Schlüsse.“

Ich wandte mich an Monsieur Brix. „Was Selma Laplace angeht, sind da eigentlich schon die Videos der Überwachungskameras im Aéroport Marseille Provence ausgewertet worden?“

„Wir haben damit angefangen“, erklärte Brix. „Aber fertig sind wir damit noch nicht.“

Mir fiel ein Mann auf, der in sich zusammengesunken auf einer Bank saß. Er musste da schon länger sitzen, sonst wäre er von den Kollegen der Polizei von Marseille gar nicht dorthin gelassen worden. „Wer ist das?“, fragte ich.

„Das ist...“ Monsieur Brix nahm einen Zettel hervor, wo er sich wohl den Namen notiert hatte. „...Giles Sinclair, Flic im Ruhestand. Er hatte das Bündel mit Selma Laplace an der Angel.“

„Den brauchen wir nicht mehr zu befragen“, meinte Francois. „Ich denke, wir wissen alles, was er uns sagen könnte.“

„Da bin ich mir nicht so sicher“, widersprach ich.

Ich weiß nicht warum, aber ich hatte einfach ein Gefühl, das mir sagte, dass ich diesen Mann unbedingt kennen lernen wollte. Meistens tut man gut daran, solchen Instinktregungen zu folgen. Ich habe das immer wieder erfahren.

Also ging ich zu ihm hin und setze mich neben ihn. Francois blieb in der Zwischenzeit bei Dr. Dubarry und Monsieur Brix.

„Pierre Marquanteur, Kriminalpolizei Marseille“, stellte ich mich vor. „Monsieur Sinclair?“

Er hatte ein vollkommen starres Gesicht und blickte hinaus auf den Hafen – oder ins Nichts, ganz wie man wollte. Er war bleich wie die Wand. Ich schätze ihn auf Mitte siebzig. Wenn er wirklich ein Flic im Ruhestand war, dann lag seine aktive Zeit schon ein paar Jahre zurück. Aber es wunderte mich schon etwas, dass er diesen Vorfall nicht gefasster hinnahm. Schließlich musste er als Polizist mehr als einmal dabei gewesen sein, wie eine Leiche aus dem Wasser gezogen wurde. Und wer dazu nicht eine gewisse professionelle Distanz bekommt, der erreicht meistens auch nicht sein Pensionsalter im aktiven Dienst.

„Man sagte mir, Sie hätten die Tote...“ Ich sprach nicht weiter. Irgendwie fiel mir kein Wort ein, das in diesem Moment nicht einfach nur unpassend gewesen wäre.

Er wandte das Gesicht in meine Richtung. In seinen Augen glitzerten Tränen. „Ich war jahrzehntelang in der Vermisstenabteilung, und später bei einer Einheit, die sich mit Sexualverbrechen befasst hat. Und Sie denken wahrscheinlich, dass jemand wie ich von so etwas nicht so mitgenommen werden sollte.“

„Nun, ich muss gestehen, dass ich etwas verwundert bin. Aber es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen.“

„Die letzten zwei Dienstjahre habe ich im Innendienst verbracht“, sagte Sinclair. „Ich konnte einfach nicht mehr.“

„Dafür muss sich niemand schämen“, sagte ich.

„Wissen Sie, eines Tages wurde ich zu einem Ort wie diesem gerufen. Da zog man eine Leiche aus dem Wasser, die genauso bleich war und es stellte sich heraus, dass es meine Tochter war. Sie hatte auch bei der Polizei angefangen, wollte in meine Fußstapfen treten. Seit drei Tagen war sie nicht zum Dienst gekommen, war nicht in ihrer Wohnung und meldete sich auch nicht am Telefon.“ Er schwieg einen Moment. „Man hat die Täter nie gefasst und es konnte bis heute nicht aufgeklärt werden, was eigentlich geschehen ist. Sie werden verstehen, dass ich danach meinen Job nicht mehr machen konnte.“

„Natürlich.“

„Jedenfalls nicht so, wie zuvor. Und das hier hat mich stark daran erinnert.“

„Wir tun immer unser Bestes, um ein Verbrechen aufzuklären“, sagte ich. „Aber ich erzähl Ihnen nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, dass das leider nicht immer gelingt.“

„Ich hoffe, dass Sie es in diesem Fall schaffen, Kommissar Marquanteur. Also stellen Sie Ihre Fragen, falls Sie welche haben.“

„Sind Sie öfter hier zum Angeln?“

„Jeden Tag. Immer in den frühen Morgenstunden. Manchmal ab vier Uhr. Die Fische beißen dann am besten.“

„Da begegnet Ihnen meistens niemand, oder?“

„Sie wären erstaunt, wie viele Leute in Marseille früh aufstehen.“

„Die Frau ist vor zwei Wochen verschwunden und danach irgendwann ins Wasser geworfen worden.“

„Ja, und das muss hier passiert sein. Denn das Bündel, in dem sie steckte, war mit einem Anker versehen, wie man sie für Sportboote kaufen kann. Ich habe es mitbekommen, als sie die Frau herausholten. Und wenn sich mein Schwimmer am Angelhaken nicht gelöst hätte, wäre der Haken nie tief genug gesunken, um sich darin zu verfangen.“

„Ist Ihnen in den letzten zwei Wochen hier irgendwann mal irgendetwas aufgefallen, was mit diesem Fall zu tun haben könnte? Jemand, der hier sonst nie gewesen ist, ein Wagen, der hier nicht her gehört, Spuren, ich weiß nicht was. Sie waren Polizist und wissen, was ich meine.“

„Einmal war schon jemand vor mir da. Das ist wirklich selten. Ich bin eigentlich immer der erste. Ich dachte zuerst, dass wäre jemand, der im Morgengrauen Tai Chi Übungen macht. Da gibt's nämlich auch ein paar, die die Aussicht hier schön finden.“

„Können Sie die Person beschreiben?“

„Es war ein Mann. Er hatte so ein Sweatshirt mit Kapuze und deswegen habe ich von seinem Gesicht kaum was gesehen. Es war noch ziemlich dunkel. Er ist an mir vorbei gelaufen. Das ging sehr schnell. Wollen Sie sein Autokennzeichen?“

Ich sah ihn überrascht an.

„Natürlich!“

„Ist eine Angewohnheit von mir. Ich schreibe alle Nummern der Fahrzeuge auf, die ich hier antreffe. Das Fahrzeug von dem Kerl müsste auch dabei gewesen sein. Es war ein Toyota, das weiß ich noch.“ Er griff in seine Jackentasche und holte ein Notizbuch hervor. Dann blätterte er darin. Fein säuberlich waren da für jeden Tag die Autokennzeichen verzeichnet, die Giles Sinclair morgens am Hafen angetroffen hatte.

„Können Sie uns diese Aufzeichnungen für eine Weile überlassen?“, fragte ich. „Sie bekommen Sie zurück.“

„Natürlich.“

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Die Halterabfrage für den Toyota mit dem von Giles Sinclair aufgeschriebenen Kennzeichen war eine Kleinigkeit. Der Wagen wurde von einem gewissen Franck Delaville gefahren. Er wohnte in der Vorstadt.

Schmucke Bungalows reihten sich aneinander. Gepflegte Vorgärten waren hier zu finden und sparsame Mittelklassewagen standen in den Einfahrten.

Wir parkten am Straßenrand vor Delavilles Hausnummer.

Wir gingen zur Haustür. Auf dem Klingelschild stand einfach nur Delaville. Darunter allerdings war ein weiteres für ein Steuerberatungsbüro, das von einer gewissen Rita Delaville betrieben wurde. Eine Frau öffnete uns. Sie hatte blondes, gelocktes Haar, war klein, zierlich und etwa 35 Jahre.

„Ja bitte?“

„Pierre Marquanteur, Kriminalpolizei Marseille. Dies ist mein Kollege Francois Leroc. Wir hätten ein paar Fragen an Monsieur Franck Delaville.“

„Das ist mein Mann.“

„Dann sind Sie Rita Delaville?“

„Ja.“

„Ist Ihr Mann zu Hause?“

„Leider nein. Was wollen Sie von ihm?“

„Es geht um ein paar Routinefragen, die im Zusammenhang mit einem Fall aufgetaucht sind, dem wir zurzeit nachgehen. Wo ist Ihr Mann jetzt?“

„Ich weiß es nicht. Mein Mann ist Handlungsreisender für Parfum und zurzeit ist er unterwegs.“

„Können wir Ihnen paar Fragen stellen? Vielleicht klärt sich dann bereits alles.“

Sie runzelte die Stirn. „Ich habe eigentlich viel zu tun. Aber, wenn Sie meinen. Zeigen Sie mir vorher noch Ihre Dienstausweise?“

„Natürlich.“

Sie führte uns in ein gediegen eingerichtetes Wohnzimmer. „Bitte setzen Sie sich. Darf ich Ihnen was zu trinken anbieten?“, fragte sie.

„Nein“, sagte ich.

„Wir sind im Dienst“, ergänzte Francois.

Sie setzte sich ebenfalls. „Ist Franck in irgendwelchen Schwierigkeiten?“, fragte sie.

„Wir brauchen seine Zeugenaussage, weil er zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort gewesen sein könnte“, sagte Francois. „Näheres kann ich Ihnen im Moment dazu nicht sagen. Es wäre nur sehr wichtig, dass wir Ihren Mann schnell kontaktieren könnten.“

„Wie lange wird er auf Geschäftsreise sein?“, fragte ich.

„Noch ein paar Tage.“

„Ich nehme an, Sie haben telefonischen Kontakt?“

„Er schreibt mir alle paar Tage mal eine SMS. Wissen Sie, er hasst es, wenn er während seiner Geschäftsreisen von mir angerufen wird. Dann ist er vollkommen auf seinen Job konzentriert und er hat dann jede Menge Termine.“

Madame Delaville gab mir die Mobilfunknummer ihres Mannes und ich versuchte ihn anzurufen. Vergeblich. Eine Mailbox schaltete sich ein.

„Ich sagte ja, dass er schwer zu erreichen ist“, fügte sie klar. „Manchmal schaltet er sein Gerät auch ab, um nicht gestört zu werden.“

„Wann haben Sie zuletzt eine SMS von ihm bekommen?“, fragte ich.

„Das ist ein paar Tage her.“

„Ist das nicht ungewöhnlich?“

„Sie haben ja keine Ahnung, in welchem Stress er dann ist und wie es im Parfum-Geschäft zugeht. Sein Terminkalender platzt wirklich aus allen Nähten. Warum sollte er sich da ein paar Tage nicht melden? Aber das Ganze klingt jetzt doch ein bisschen besorgniserregend. Ich meine, wenn schon das Kriminalpolizei Marseille ermittelt.“

„Ja, aber nicht gegen Sie und Ihren Mann“, stellte ich nochmals klar. Ich hinterließ meine Karte. „Senden Sie ihm eine Nachricht und falls er sich meldet, geben Sie uns bitte Bescheid. Es ist wirklich dringend.“

Bevor wir gingen, ließ ich den Blick noch einmal über die Bücherregale schweifen. Ein paar Titel über Jagd waren darunter. Außerdem Handbücher zum Kampftraining von Eliteeinheiten, militärischer Nahkampf, Überlebenstraining in der Wildnis und ähnliche Themen.

„Ist Ihr Mann Jäger oder Soldat?“, fragte ich.

„Nein. Er wäre das gerne geworden, aber die Armee hat ihn nicht genommen.“

„Sie haben hier gar keine Fotos.“

„Fahnden Sie also doch nach ihm?“

„Nein, nein. Ich will kein Foto von Ihnen. Ich wundere mich nur darüber.“ An ein Bild von Franck Delaville konnten wir über die Führerschein-Daten herankommen. Das war kein Problem.

„Der Mensch ist ein Ebenbild Gottes“, sagte Rita Delaville. „Und von Gott soll man sich kein Bild machen. Aber tut man das nicht in gewisser Weise, wenn man ein Bild des Menschen erschafft?“

„Sind das eher Ihre Ansichten oder die Ihres Mannes?“

„Wir teilen sie, auch wenn ich zugeben muss, dass mein Mann mir in dieser Hinsicht erst die Augen geöffnet hat.“

„Welche der hiesigen Kirchen vertritt denn diese Ansicht?“, hakte ich nach.

„Leider keine. Deswegen sind wir auch in keiner Gemeinde. Aber halten Sie uns nicht für Außenseiter. Orthodoxe Juden und strenge Muslime sind derselben Ansicht, was das Bilderverbot angeht. Und Sie liegen damit richtig! Im Christentum ist leider manches an der Botschaft verwässert worden!“

Wir gingen zur Tür.

„Auf Wiedersehen, Madame Delaville“, sagte ich.

„Kommissar Marquanteur, was immer Sie glauben mögen: Mein Mann ist ein gottesfürchtiger Mann, der niemals ein Verbrechen begehen würde.“

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Wir verließen das Haus der Delavilles. Rita Delaville hatten wir natürlich nicht ins Vertrauen ziehen können. Wir mussten schließlich vermuten, dass sie zu ihrem Mann halten würde und vielleicht sogar in dessen Pläne eingeweiht war – immer vorausgesetzt, dass es sich bei Franck Delaville tatsächlich um jenen Profikiller handelte, der in Unterweltkreisen unter dem Namen 'die Hornisse' bekannt war.

Als wir im Wagen saßen, rief Francois als erstes bei Victor Stahl im Präsidium an. Wir hatten schließlich Delavilles Handynummer – und als ich dort versucht hatte anzurufen, war  dessen Gerät zweifellos eingeschaltet gewesen. Der Gedanke lag daher nahe, über eine Handyortung seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort herauszubekommen.

„Dauert einen Augenblick“, sagte Victor. „Ich melde mich in ein paar Minuten bei euch.“

„In Ordnung“, gab Francois zurück und beendete das Gespräch. Dann wandte er sich an mich. „Kann das sein? Ein Killer, den man als die Hornisse kennt, lebt als biederer Parfum-Verkäufer in der Vorstadt?“

„Die perfekte Tarnung, Francois. Und abgesehen davon scheint er seiner vermutlich ahnungslosen Frau gegenüber auch noch eine perfekte Erklärung dafür gefunden zu haben, weshalb er nicht fotografiert werden will. Alle Achtung!“

„Vielleicht tun wir ihm auch Unrecht!“

„Wäre doch nicht der erste Fall dieser Art!“, gab ich zu bedenken.

„Nein, das nicht. Aber es ist trotzdem bizarr.“

„Wetten, Rita Delaville ruft jetzt als erstes ihren Mann an?“

„Leider kann man so schnell keine Abhörmaßnahme organisieren, geschweige denn genehmigen lassen.“

„Aber wenigstens macht es die Ortung für unseren Kollegen Victor etwas leichter.“

Wir fuhren schonmal los.

Victors Anruf kam schneller als wir geglaubt hätten.

„Parfum-Vertreter ist dieser Delaville, sagt ihr? Da wird es ihm auf einer Müllhalde wohl gehörig stinken“, sagte unser Kollege aus dem Innendienst.

Francois und ich wechselten einen überraschten Blick.

„Wieso?“

„Weil er sich dort aufhält. Das Gerät ist eingeschaltet und er scheint sich nicht zu bewegen. Ich schick euch die Adresse und ihr fahrt mal hin und seht euch an, was er dort macht! Gründe, für guten Duft zu sorgen, gibt’s dort sicher genug.“

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Möwen kreischten. Mehr als zwei Dutzend Polizisten und andere Einsatzkräfte standen in der Nähe eines Bulldozers. Der Fahrer war ausgestiegen und rauchte eine Zigarette.

Ein paar Angestellte der Müllhalde hatten den Toten für uns ausgegraben. Einen halben Meter tief hatte Franck Delaville bereits unter einer Mischung aus all dem gelegen, was die Marseiller so wegwarfen. 

Franck Delaville war in Plastikfolie eingewickelt worden. Die Wunde in der Brust hatte große Ähnlichkeit mit denen der anderen Opfer und ich war mir ziemlich sicher, dass man bei der Obduktion feststellen würde, dass Delaville durch ein Gasdruckmesser getötet worden war.

„Ein Killer, der durch seine eigene Waffe getötet wurde“, stellte Francois überrascht fest. Ob Delaville wirklich die Hornisse war, würde sich erweisen, sobald seine DNA mit dem Muster verglichen worden war, das von ihm an einem der Tatorte gewonnen worden war.

„Eine Waffe, von der leider jede Spur fehlt“, meinte ich.

„Und davon abgesehen haben wir jetzt eine neue Reihenfolge, in der die Opfer ermordet wurden, Pierre.“

„Selma Laplace, Georges Lenoir, Franck Delaville, André Menotti.“

„Zweimal Anlagebetrug, zweimal Unterwelt.“

Eine Mordserie, bei der man auch nach dem vierten Opfer noch nichts hatte finden können, was sie in irgendeiner Form auf einen Nenner brachte.

Auf dem Display von Franck Delavilles Handy stand: 25 Anrufe und Nachrichten in Abwesenheit

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Wir fuhren noch einmal zu Rita Delaville und mussten ihr die Nachricht überbringen, dass ihr Mann nicht mehr lebte. Sie brauchte eine ganze Eile, bis sie die Fassung zurückgewann. Als wir ihr dann noch eröffnen musste, dass wir Franck Delaville für einen Profikiller hielten, wirkte sie vollkommen konsterniert.

„Das kann nicht sein“, meinte sie.

„Wann haben Sie Ihren Mann kennengelernt?“

„Vor fünf Jahren.“

„Genau zu diesem Zeitpunkt hat sich Franck Delaville - oder wie immer auch der Name sein mag, unter dem er geboren wurde – aus seinem Geschäft zurückgezogen“, erklärte ich. „Vielleicht Ihretwegen.“

„Ich kann es noch immer nicht fassen.“

„Wer auch immer Ihren Mann umgebracht hat, wir werden dafür sorgen, dass er gefasst wird. Und es könnte sein, dass dieser Unbekannte weiter tötet. Ihren Mann können Sie nicht mehr belasten. Also helfen Sie uns, seinen Mörder zu fassen!“

Sie schluckte. „Ich bin immer noch unter Schock“, sagte sie. „Aber natürlich unterstütze ich Sie.“

„Wir möchten uns gerne seine Sachen ansehen. Alles, was ihm persönlich gehört“, ergänzte Francois. „Dafür bekämen wir innerhalb einer Stunde auch einen Durchsuchungsbeschluss. Aber wir würden uns gerne schonmal einen Überblick verschaffen.“

„Natürlich“, nickte sie.

Ich kündigte ihr außerdem an, dass unsere Erkennungsdienstler Pascal Delaville und Jean-Marc Forster sich bald bei ihr einfinden würden. Wir hatten deswegen schon von unterwegs aus mit Monsieur Marteau telefoniert.

Rita Delaville zeigte uns seinen Schreibtisch. Wir fanden dort nichts, was irgendeine persönliche Note hatte. Keine Kontoauszüge, keine Versicherungsunterlagen und nichts, was mit seinem Geschäft als Parfum-Vertreter zu tun hatte.

„Ich habe mich um sein Business nie gekümmert“, sagte Rita. „Wir hatten von Anfang an immer jeder seinen Beruf und da hat sich auch niemand um den des anderen gekümmert.“

Ich hob die Augenbrauen. „Sie haben nicht seine Steuern geregelt?“

„Nein.“

„Weshalb nicht?“

„Er wollte das nicht. Franck hat es immer abgelehnt, Persönliches mit Geschäftlichem zu vermischen. Meinen Sie...“

„...dass es diese Parfum-Vertretung gar nicht gegeben hat?  Wir können das nicht ausschließen.“ 

Unter dem Schreibtisch fand sich ein Schlüssel, den Franck Delaville mit Isolierband ans Holz geklebt hatte.

„Ein Schließfach?“, fragte Francois.

Ich schüttelte den Kopf. „Eher eine Wohnung“, meinte ich.

„Wahrscheinlich finden wir dort alle Antworten auf unsere Fragen.“

Ich wandte mich an Rita Delaville. „Haben Sie eine Ahnung, wozu diese Schlüssel gehören könnten?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, wirklich nicht!“

„Es wird wohl eine Weile dauern, bis wir das herausgefunden haben“, murmelte ich. Irgendwo hatte Franck Delaville einen Raum angemietet, in dem vermutlich all das lagerte, was er zu Hause nicht herumliegen haben wollte.

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Später saßen wir zusammen mit Monsieur Brix und einigen weiteren Polizisten seines Reviers zusammen und sahen uns die Aufzeichnungen der Überwachungskameras aus dem Flughafen Marseille an.

Das zeitlich letzte Bild, auf dem Selma Laplace nach ihrer Landung zu sehen war, entstand in der Flughafenhalle.

Wir sahen uns verschiedene Vergrößerungen an. Mit Hilfe einer Software zur Gesichtererkennung suchten wir nach Franck Delaville – und wurden fündig.

Er befand sich ganz in der Nähe, kaum zehn Schritte von Selma Laplace entfernt. Allerdings war er nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Er trug einen künstlichen Schnauzbart und ein Toupet, das seinen Typ vollkommen veränderte. Die Erkennungssoftware war allerdings unbestechlich. Zehn telemetrische Messpunkte stimmten exakt überein. Die Software bezeichnete Personen bereits ab sechs Übereinstimmungen als 'mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit identisch'.

„Dachte ich es mir doch!“, meinte Francois. „Er hat Selma Laplace am Flughafen abgepasst!“

„Ein weiteres Indiz dafür, dass er die Hornisse war“, sagte ich. „Aber woher wusste er, wann diese Selma Laplace eintreffen würde?“

„Jemand wie er kennt Leute, die den Flughafenrechner hacken können und an die Passagierlisten herankommen“, meinte Francois.

Was danach geschehen war, konnte man vielleicht niemals ganz aufklären. Fest stand nur, dass Selma Laplace ein Gasdruckmesser in den Rücken gestoßen worden und ihre Leiche im Hafen von Marseille entsorgt worden war – und zwar auf eine Weise, die tatsächlich professionelle Züge trug.

„Laplace wurde von Delaville umgebracht, nehmen wir mal an, für Georges Lenoir trifft das auch zu – wer tötete dann Delaville?“, fragte ich.

„Sein Auftraggeber“, meinte Francois.

„Bisher dachten wir doch immer, er hätte in der Vergangenheit vornehmlich für Menotti gearbeitet, Francois.“

„Und der ist auch tot, Pierre.“

„Wir haben zwei Morde, die sich sowohl von der Art der Opfer wie von der Begehungsweise ähneln“, stellte ich fest.

„Du meinst Laplace und Lenoir!“

„Ich bin kein Gerichtsmediziner, aber dass Menotti und Delaville in die Brust getroffen wurden, war ja wohl unübersehbar. Der Mörder von Laplace und Lenoir hat das vermieden.“

„Nachdem wir wohl nicht annehmen, dass Delaville sich selbst umgebracht hat, haben wir auf jeden Fall zwei Täter.“

„Und Menotti kann er eigentlich auch nicht getötet haben, denn da lag Delaville vermutlich schon auf der Müllhalde.“

„Genau wissen wir das erst, sobald der Todeszeitpunkt genau festgestellt ist, Pierre.“

„Ich habe es gleich gesagt: Es waren zwei verschiedene Täter.“

„Laplace geht auf Delavilles Kappe, wer Lenoir umgebracht hat hängt vom Todeszeitpunkt Delavilles ab und Menotti ist definitiv nicht von Delaville getötet worden“, stellte ich fest. „Und habe das Gefühl, dass dies ich nicht das letzte Opfer war.“

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Einen Tag später saßen wir zusammen mit Rick Grazzo, seinem Anwalt und unserem Verhörspezialisten Kommissar Montcalm in einem Verhörraum.

Grazzo hatte offenbar inzwischen eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, auf stur zu schalten und nichts zu sagen. Die Beweislage war, was den Drogendeal anging, so wasserdicht, dass er nur noch hoffen konnte, durch irgendeinen Kooperationsdeal etwas milder davonzukommen.

„Monsieur Grazzo, wissen Sie, wer der Killer mit der Bezeichnung die Hornisse ist?“, fragte Montcalm.

„Wenn Sie meinem Mandanten jetzt zusätzlicher Verbrechen bezichtigen wollen, dann ist dieses Gespräch sofort zu Ende“, mischte sich der Anwalt ein. Er hieß Louis-Jacques Salvadeau und  hatte eine gutgehende Kanzlei. Aber abgesehen davon, dass er sich der Rechtspflege widmete, sagten uns Informanten, dass er in Menottis Organisation den Rang eines Concilliere ausgeübt hatte und vermutlich auch auf  irgendeine Weise an dessen Geschäften beteiligt gewesen war. Beweisen konnte man das leider nicht. Noch nicht.

„Keine Sorge, Monsieur Salvadeau, wir bezichtigen niemanden und Ihr Mandant wird selbst beim größten Wohlwollen der Staatsanwaltschaft recht lange die vergitterte Aussicht aus dem Knast genießen können“, mischte ich mich ein. „Was wir wollen sind handfeste Informationen, von denen wir überzeugt sind, dass Ihr Mandant sie hat.“

„Die vor der Verhaftung Ihres Mandanten aufgezeichnete Audiospur, gibt ein Gespräch wieder, in dem die Hornisse erwähnt wird.“

„Das ist metaphorischer Sprachgebrauch, den Sie missverstanden haben“, erklärte Salvadeau. Salvadeau und Grazzo waren natürlich vorher mit dem Beweismaterial konfrontiert worden. „Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass nicht mein Mandant, sondern ein anderer Angeklagter von einer Hornisse gesprochen hat!“

„Und Ihr Mandant hat nie den Eindruck erweckt, als wäre ihm das alles völlig unverständlich!“, gab Francois zu bedenken.

„Trotzdem interpretieren Sie die Aussagen meines Mandanten auf eine unzulässige, aus dem Zusammenhang gerissene Weise, die ich nicht akzeptieren kann. Wir sind gerne bereit, zu allem Aufklärung zu leisten, was mit den ihm zur Last gelegten Delikt zu tun hat, aber mein Mandant weigert sich, an einer Befragung teilzunehmen, die einen derart spekulativen Charakter trägt!“

„Vielleicht sollten wir Sie einmal über die Hornisse befragen“, wandte sich Francois an Salvadeau. „Man hört auf der Straße, dass Sie da gewisse Insider-Kenntnisse besitzen.“

„Unterstellungen.“

„Schützen Sie jetzt die Interessen Ihres Mandanten oder vielleicht in Wahrheit Ihre eigenen?“

„Jetzt reicht es. Monsieur Grazzo, wir beenden das Gespräch hier.“

„Und wie wäre es, wenn Sie gehen und Monsieur Grazzo nimmt sich einen Anwalt, der etwas mehr an das Strafmaß seines Mandanten und etwas weniger an die eventuellen Komplikationen für die geschäftlichen Interessen seines Anwaltes denkt!“

„Monsieur Grazzo?“, fragte Salvadeau auf eine Weise, die einer Aufforderung gleichkam.

„Sie sollten sich das gut überlegen“, stellte ich fest. „André Menotti ist tot, der Mann, den wir für die Hornisse halten ebenfalls. Ich wüsste nicht, welche Schwierigkeiten Sie sich einhandeln könnten, wenn Sie uns einfach unsere Fragen beantworten.“

„Weder Menotti noch die Hornisse werden Ihren Aussagen übrigens noch widersprechen oder irgendetwas Unangenehmes aus der Vergangenheit auspacken können, Monsieur Grazzo“, ergänzte Francois.

Einige Augenblicke herrschte Stille.

Aber so ein Augenblick der Nachdenklichkeit tat vielleicht allen Beteiligten ganz gut. Die Gemüter hatten sich schließlich ziemlich erhitzt. Ganz besonders das von Salvadeau. Zumindest hatte sein Gesicht den tiefsten Rotton im Raum.

„Monsieur Grazzo, entweder wir verlassen jetzt diesen Raum oder ich lege mein Mandat für Sie nieder.“

„Dann tun Sie das“, entschied Grazzo.

Salvadeau schluckte. „Ganz wie Sie wollen. Mit den Folgen müssen Sie leben – nicht ich.“

„Das werde ich“, versprach Grazzo.

Salvadeau nahm Mantel und Aktenkoffer und ging zur Tür, um zu klopfen, damit ihn einer der Wächter hinausließ. „Guten Tag, Messieurs“, sagte er noch, bevor er hinausging.

„Legen Sie Wert darauf, dass erst ein anderer Anwalt verständigt wird?“, fragte Montcalm.

„Nein, stellen Sie einfach Ihre Fragen.“

„Wer steckt hinter der Bezeichnung 'die Hornisse'?“, fragte ich.

„Einen Klarnamen weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass André Menotti ab und zu jemanden anheuerte, der so bezeichnet wurde. Das war eigentlich ein offenes Geheimnis. Manche machten Witze darüber. Die Hornisse war für das sehr grobe Handwerk zuständig und ich glaube, es reichte oft schon, damit zu drohen, diesen Kerl zu engagieren, um sich durchzusetzen. Das war eigentlich immer der Stil von André Menotti. Martialisch drohen, aber möglichst nichts tun, was einem später als juristischer Strick um den Hals gelegt wird.“

„Haben Sie die Hornisse je gesehen?“, fragte ich.

„Einmal. Aber das ist schon Jahre her.“

„War es dieser Mann?“

Ich schob ihm ein Foto von Delaville hin.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, der Kerl, den ich gesehen hatte, hatte volleres Haar, außerdem war er dunkelhaarig und hatte einen Schnauzbart.“

„Also sah er so aus“, sagte ich und gab ihm ein Standbild aus den Videoaufzeichnungen, die in der Flughafenhalle gemacht worden waren.

Grazzo runzelte die Stirn, nahm das Bild mit der linken näher an die Augen und nickte dann.

„Ja, das ist er“, bestätigte er. Dann sah er auf das erste Bild. „Ist das derselbe Typ?“

„Ja.“

„Erstaunlich. Aber es hieß ja auch immer, dass 'die Hornisse' fünf oder sechsmal den Namen gewechselt hat. Ein richtiges Chamäleon.“

Es war also durchaus möglich, dass noch einige Überraschungen auf uns warteten, wenn wir die verschiedenen Vorleben der Hornisse erst einmal alle verifiziert hatten.

„Uns interessieren vor allem zwei Dinge“, sagte ich. „Warum hat die Hornisse ihren Ruhestand aufgegeben? Das ist Frage Nummer eins. Und zweitens: Wer könnte Ihren Boss umgebracht und dabei die typische Mordmethode der Hornisse kopiert haben?“

„Die Antwort auf die Frage Nummer eins ist leicht“, meinte Grazzo.

„So?“

„Es ist immer dasselbe. Geldmangel. Auf zu großem Fuß gelebt, Fehlspekulationen. Und abgesehen davon sind die Preise für Auftragskiller in den vergangenen Jahren auch stark gefallen. Die Preise werden gemeinhin stark überschätzt, die ein Profikiller erzielen kann.“

„Für wen könnte die Hornisse Selma Laplace umgebracht haben?“

„Wer soll das sein?“

„Eine leitende Angestellte bei 'Les Partenaires du Succès' – und  bei dieser Investmentfirma hatte auch André Menotti über einen Strohmann seine Finger im Spiel.“

„Wirklich keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Von dem Skandal um 'Les Partenaires du Succès' habe natürlich gehört. Ich würde mal sagen, jeder der ein paar Euros zum Anlegen übrig hatte, ist davon betroffen worden. Die haben ja damals auch geradezu fantastische Renditen versprochen.“

„Noch besser, als im Drogenhandel?“, fragte Francois spitz.

Grazzo sah ihn ihn schief an. „War vielleicht einen Fehler meinen anwaltlichen Kampfhund vor die Tür zu schicken!“, knurrte er. Francois sah mich an. Ein stummes ‘Pardon!' war das. Besonders geschickt war das nämlich nicht gewesen, aber jedem von uns können mal kurzfristig die Pferde durchgehen.

„Ich weiß allerdings, dass Monsieur Menotti für die Hornisse einen Kunden vermittelt hat“, eröffnete Grazzo nun.

„Wann war das?“, hakte ich nach.

„Noch nicht lange her.“

„Wer der Kunde war, wissen Sie nicht zufällig?“

„Es gibt Dinge, die will man gar nicht wissen. Die hört man nur und vergisst sie wieder.“ Er zuckte die Achseln. „Wie hätte ich auch ahnen können, dass Sie mich danach fragen und ich dafür ein paar Jahre weniger Knast bekommen kann?“

„Was glauben Sie, wer hat Menotti umgebracht?“

„Keine Ahnung. Aber ich an Ihrer Stelle würde immer auf das Geld sehen.“

„Wie meinen Sie das?“

„Wo es hinfließt und an wem der Strom bisher vorbeigegangen ist. Das Geld führt immer zur Wahrheit.“

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Wirklich viel geboten hat er uns ja nicht“, meinte Francois nach dem Verhör. „Und ich nehme mal an, sobald er einen neuen Anwalt hat, wird der ohnehin schon spärliche Informationsfluss aus dieser bescheidenen Quelle ohnehin völlig versiegen.“

„Schon möglich“, murmelte ich.

„Man sollte diesen Salvadeau beobachten. Vielleicht profitiert der von Menottis Tod.“

„Eins steht für mich fest“, sagte ich. „Der Mord an Franck Delaville wurde nicht von einem Profi verübt, sondern einem Dilettanten. Der gehört weder mit Delaville oder Menotti und diesen Leuten in eine Liga. Überleg doch mal: Der Täter hat nicht einmal daran gedacht, das Handy zu entfernen, sodass wir die Leiche orten konnten!“

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Als wir uns am nächsten Morgen bei Monsieur Marteau zur Besprechung trafen, erwartete uns eine Überraschung.

Die Autopsie von Franck Delaville hatte ergeben, dass er mit k.o.-Tropfen betäubt worden war, bevor das Gasdruckmesser ihn getötet hatte.

„Da ist anscheinend jemand auf Nummer sicher gegangen“, lautete der Kommentar von Monsieur Marteau.

„Hat Delaville mit seinem Mörder zuvor etwas getrunken?“, fragte ich.

Monsieur Marteau blickte auf den Bericht. „Kaffee steht hier im Bericht von Dr. Dubarry.“

„Die haben sich also getroffen und Delaville hat zu dem Zeitpunkt offenbar nicht geahnt, dass sein Mörder ihn umbringen wollte“, meinte ich.

„Der Bericht gibt übrigens auch eine eindeutige Auskunft über den Todeszeitpunkt von Delaville“, fuhr Monsieur Marteau fort. „Er starb eindeutig vor Georges Lenoir.“

„So geht also tatsächlich nur Selma Laplace auf sein Konto“, stellte ich fest.

Monsieur Marteau nickte. „Es sieht ganz so aus. Zurzeit habe ich ein halbes Dutzend Kommissaren damit beauftragt, herauszufinden, zu welchem Schloss der Schlüssel passt, den Sie unter seinem Schreibtisch gefunden haben. Aber ich fürchte, dass wir da nicht mit einem schnellen Erfolg rechnen dürfen.“

Eines der Telefone auf Monsieur Marteaus Schreibtisch klingelte. Unser Chef nahm ab. „Ja, hier  Marteau“, meldete er sich. Dann sagte er mehrfach „Ja!“, wobei die Abstände immer größer und die Jas immer knapper wurden. „Es gibt gibt weitere Neuigkeiten“, wandte er sich anschließend an uns, nachdem er das Gespräch beendet hatte. „Der DNA-Vergleich liegt vor. Ich habe im Labor etwas Dampf gemacht, weil ich in diesem Punkt unbedingt sicher gehen wollte. Franck Delaville ist identisch mit der Hornisse. Daran kann es jetzt keinen Zweifel mehr geben.“

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Wir fuhren zur Villa von Bernard Hendaye. Er hatte sich telefonisch gemeldet. Jemand hatte einen verdächtigen Brief an diese Adresse geschickt, adressiert an Selma Laplace. Bernard Hendaye vermutete eine Briefbombe.

Wir waren mit ein paar Sprengstoffspezialisten auf dem Weg  zu ihm. Das große gusseiserne Tor öffnete sich automatisch, als wir mit mehreren Fahrzeugen hineinfuhren. Abgesehen von unserem Briefbombenspezialisten Kommissar Hugo Adam waren auch unsere Kollegen Josephe Kronbourg und Léo Morell mit von der Partie. Außerdem noch unserer Erkennungsdienstler Pascal Delaville.

„Das ist ein kleiner Palast hier!“, meinte Josephe anerkennend, nachdem wir ausgestiegen waren.

„Ja, Selma Laplace hatte es gut“, murmelte ich. „Trotz des LPDS-Bankrotts.“

Auf der Rasenfläche patrouillierte ein Security Guard mit einem mannscharfen Schäferhund, der sich trotz Maulkorb kaum beruhigen konnte, nachdem er auf uns aufmerksam geworden war.  Das Gelände war gesichert wie eine Festung. Überall Überwachungskameras und der gusseiserne Zaun, der das Grundstück umgab, war nicht nur sehr hoch, sondern auch noch mit elektrischen Sensoren versehen, die sofort Alarm schlugen, wenn jemand versuchte, auf das Anwesen zu gelangen.

„Der Preis des Reichtums“, raunte mir Francois zu. „Eine klasse Aussicht, aber kaum noch Bewegungsfreiheit. Fast wie im Knast.“

„Na, nun übertreib mal nicht, Francois.“

„Ist doch wahr, Pierre!“

„Sag bloß, so eine Villa würde dir nicht auch gefallen?“

„Ich brauche so etwas nicht.“

„Und ich wusste gar nicht, dass du so überzeugend lügen kannst!“

„Hast du übrigens eine Ahnung, womit dieser Hendaye so viel Geld gemacht hat, dass er sich so ein Schloss an einem der teuersten Plätze Marseilles leisten kann, Francois?“

„Immobilien“, sagte Francois nur knapp. „Ich hatte nur kurz Zeit, seinen Namen zu googeln, aber geschäftlich scheint er einiges richtig gemacht zu haben. Und vor allem hat er sein Geld wohl nie bei 'Les Partenaires du Succès' angelegt!“

Bernard Hendaye kam uns persönlich entgegen. „Kommen Sie“, sagte er. „Der Brief liegt im Wohnzimmer auf dem Tisch. Ich habe nicht gewagt, ihn nochmal anzurühren. Um ein Haar hätte ich ihn aufgemacht, aber einer meiner Leibwächter hat früher in einem Sprengkommando gedient und kennt sich daher aus. Er riet mir gerade noch rechtzeitig, die Finger davon zu lassen.“

„Wir werden gleich sehen, ob Sie sich zurecht Sorgen gemacht haben“, sagte ich. „Unser Kollege Kommissar Adam kennt sich mit Briefbomben aus.“

Bernard Hendaye wollte uns ins Wohnzimmer geleiten.

„Ich schlage vor, Sie lassen mich alle mal ein paar Augenblicke allein“, sagte Adam, der seine Ausrüstung in Richtung Wohnzimmer trug. Darunter auch ein schwerer Schutzanzug mit eingearbeiteten Bleiplatten.

Wir warteten im Raum nebenan, einer Art Salon. So viele Antiquitäten, wie hier, hatte ich selten an einem Ort versammelt gesehen. Wenig später stand die Diagnose unseres Spezialisten fest. „Das war tatsächlich ein Sprengsatz, aber sehr dilettantisch gemacht“, stellte Hugo Adam fest. „Ich glaube nicht, dass diese Bombe losgegangen wäre.“

Bernard Hendaye atmete auf.

Er wandte sich an mich. „Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich einen ganzen Stapel unfreundlicher Post bei Selmas Sachen gefunden habe. Das da ab und zu mal ein Drohbrief kam, das wusste ich wohl – aber den Großteil dieser Sachen hat sie mir wohl verschwiegen.“

„Können wir uns das mal ansehen?“, fragte ich.

„Natürlich.“

„Wenn jemand Selma jetzt eine Bombe schickt, ist das natürlich nochmal eine andere Qualität“, meinte Francois.

„Auch für die Qualität der Post“, meinte Hugo Adam. „Dieser Brief ist schon vor einigen Tagen abgeschickt worden. Der Täter konnte da noch nicht ahnen, dass Selma Laplace zu dem Zeitpunkt, da die Sendung zugestellt wird, gar nicht mehr lebt.“

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Hendaye führte uns in ein Zimmer, das offenbar von Selma Laplace bewohnt worden war. Es war aber kaum etwas darin, was ihr gehört hatte.

Eine Reihe von Briefen lag auf dem Schreibtisch. Wir zogen uns Latexhandschuhe an, um nicht noch mehr Spuren zu vernichten, als es gewiss ohnehin schon passiert war.

Eine wüste Beschimpfung reihte sich an die andere. Es ging immer um den Bankrott von 'Les Partenaires du Succès'. Manche hatten anonyme Schreiben geschickt, die wie Erpresserbriefe aus Buchstaben zusammengesetzt waren, die der jeweilige Täter aus Zeitschriften und Zeitungen zusammengeklebt hatte. Bei anderen handelte es sich um Texte, die vorwiegend mit dem Computer geschrieben und ausgedruckt worden waren. Es war sehr schwer, die Herkunft solcher Postsendungen zurückzuverfolgen oder zweifelsfrei später einem bestimmten Täter zuzuordnen.

„Hatte Ihre Frau eigentlich noch Kontakt zu ihren Kollegen von 'Les Partenaires du Succès'?“, fragte ich. „Den anderen wird es doch kaum besser ergangen sein. Und es gibt ja wohl wirklich viele, die sich betrogen fühlten.“

„Nein, da sind die meisten wohl eigene Wege gegangen“, meinte Hendaye. „Ich weiß, dass Selma sich noch ab und zu mit einer gewissen Sheila Bertrand getroffen hat. Welche Funktion diese Sheila bei 'Les Partenaires du Succès' ausfüllte, weiß ich nicht. Und ich glaube, Selma erzählte mir auch mal, dass Sheila gerade noch rechtzeitig dort weggegangen ist, bevor es so richtig knallte.“

„Haben Sie die Adresse dieser Sheila Bertrand?“

„Nein, aber ich vermute, dass ihre Telefonnummer im Menue unseres Hausanschlusses gespeichert ist.“

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Wir trafen uns mit Sheila Bertrand in einem Bistro in der Stadt.

Von Selma Laplaces Ermordung hatte sie noch nichts gehört.

„Wir hatten zuletzt Kontakt, bevor sie nach Amerika geflogen ist“, berichtete Sheila.

Sie war Mitte dreißig, hatte blondes Haar, das zu einer streng wirkenden Frisur zusammengefasst war, die allerdings  gut mit ihrem konservativen Business-Kostüm harmonierte. Wir trafen sie zwischen zwei Geschäftsterminen. Zurzeit arbeitete sie in einem Maklerbüro für Immobilien der gehobenen Klasse.

„Sie waren ja auch bei 'Les Partenaires du Succès'“, stellte ich fest.

Sie nickte. „Ja, da haben Selma und ich uns kennengelernt. Sie gehörte ja zu den führenden Köpfen. Ich war nur so etwas wie ihre Assistentin, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Sie sind gegangen, bevor es fort kritisch wurde.“

„Allerdings! Und das war mein Glück! Ich hatte das Angebot bei diesem Maklerbüro anzufangen und habe es gleich angenommen, obwohl ich dabei finanziell nicht ganz so gut dastand.“

„Wieso haben Sie das getan? War denn der Konkurs von LPDS schon absehbar?“

„Das wäre zuviel gesagt. Es schien alles glänzend zu laufen, wenn man die Sache von außen betrachtete. Aber wenn man mit dabei ist, bekommt man natürlich etwas mehr mit. Und ich hatte schon das Gefühl, dass da einiges nicht auf gesunden Beinen steht.“

„Selma hat nach dem Konkurs einen Haufen unflätiger Post bekommen, wurde bedroht und posthum wurde sogar noch eine missglückte Briefbombe zu ihr nach Hause geschickt.“

„Das ging allen so, die bei 'Les Partenaires du Succès' waren. Selbst mir, die ich schon vor dem Crash gegangen bin! Ich meine, ich war ja nicht an verantwortlicher Stelle dort, so wie Georges Lenoir oder Selma. Trotzdem wurden meine Reifen zerstochen, meine Wohnungstür wurde beschmiert und so weiter. Ich gehörte aus der Sicht der Geschädigten einfach dazu. So ist das nunmal, wenn man eine Weile sein Gesicht der falschen Firma geliehen hat. Damit gewinnt man keine Freunde.“

Sie trank einen Milchkaffee und nahm einen Croissant.

Francois nahm auch einen Croissant. Mir hingegen war aus irgendeinem Grund der Appetit vergangen.

Sheila Bertrand beugte sich etwas nach vorn. „Wissen Sie, manche Geschichten wird man einfach nicht wieder los. Als ich bei 'Les Partenaires du Succès' anfing, da war das Anlagegeschäft für mich nicht viel mehr als eine Spielerei. Aber die Leute, die später ruiniert wurden, die haben alles verloren. Vielleicht würde ich auch Reifen zerstechen oder Leuten auflauern und sie beschimpfen, wenn mir das zugestoßen wäre. Da war zum Beispiel dieser eine Typ, der Selma immer wieder verfolgt hat. Sie hat ihn auch angezeigt. Nur auf den Namen komme ich jetzt nicht mehr. Ich habe später nur gehört, dass seine Frau Krebs hatte und die Behandlungen nicht mehr bezahlt werden konnten, weil das angelegte Vermögen weg war!“

„Hieß dieser Mann zufällig Gerard Dugas?“, fragte ich.

„Ja, genau. Ich glaube, er hat es Selma ganz besonders übel genommen, dass sie weiter in Saus und Braus bei ihrem Freund, diesem Bernard Hendaye in einer schönen Villa gelebt hat.“

„Sie scheinen viel über Dugas zu wissen.“

„Das war ganz seltsam. Er hat mich mal angesprochen – genau hier, in diesem Bistro. Offenbar wusste er, dass ich da öfter hingehe. Und dann hat er mir das alles erzählt.“

„Was ist aus Dugas Frau geworden?“, erkundigte ich mich. „Als wir bei ihm waren, lebte er allein.“

„Sie ist an ihrer Krankheit gestorben.“

„Und er gab 'Les Partenaires du Succès' die Schuld daran?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube, der Mann war einfach nur verzweifelt und wollte, dass jemand anerkennt, was ihm angetan wurde.“

Sie sah auf die Uhr. „Ich muss jetzt los“, sagte sie. „'Les Partenaires du Succès' ist ein mieses Kapitel in einem miesen Buch. Ich würde es für meinen Teil gerne für immer schließen.“

„Ja, aber jemand anderes denkt da anscheinend ganz anders“, erwiderte ich. „Könnten Sie sich vorstellen, dass dieser Dugas einen Killer engagiert, um Selma Laplace umbringen zu lassen?“

„Nein. Nicht dieser Mann. Das wäre wirklich absurd. Der wirkte auf mich eigentlich eher gebrochen als aggressiv. Wenn ich Ihnen noch helfen kann, dann rufen Sie mich doch bitte an.“

„Darauf kommen wir vielleicht noch zurück“, nickte ich. Sie verließ das Bistro.

Ich trank jetzt doch noch einen Espresso.

„Du hast deine Theorie mit Gerard Dugas noch immer nicht aufgegeben, was“, meinte Francois.

„Es ist keine Theorie“, erwiderte ich. „Es ist noch nicht einmal ein richtiger Ermittlungsansatz. Weißt du, was mich ärgert?“

„Spucks aus, Pierre!“

„Wenn wir die drei Jungs hätten, die den Mörder von Menotti gesehen haben, wie er auf die Straße lief, dann könnte der Fall vielleicht schon gelöst sein. Da bin ich mir sicher.“

Die drei waren seitdem in der Fahndung, aber bisher war nichts bei der Suche nach ihnen herausgekommen.

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Ich fuhr zusammen mit Francois noch einmal in die Avenue d'Orange, um uns nach den drei jungen Männern umzuhören. Aber das war wohl schon von Anfang an zum scheitern verurteilt. Niemand schien dieses Trio zu kennen. Wir fragten in den wenigen Geschäften  nach, in den Discotheken und Nachtclubs, die sich hier aneinandereihten. Die meisten öffneten erst später am Abend, aber das hatte den Vorteil, dass man Lieferanten und Angestellte antreffen konnte, die vielleicht sogar mehr wussten, als die Gäste.

Aber wir hatten kein Glück.

Der Türsteher einer dem Club Explosive benachbarten Discothek meinte, dass es sich vielleicht um ein Trio von Drogenhändlern handeln könnte, die ihm in letzter Zeit Ärger machen würden.

„Die werden immer jünger!“, sagte er. „Und vor allem wissen die überhaupt nicht, welches Risiko sie eingehen. Wenn nämlich angestammte Dealer merken, dass ihnen da jemand etwas vom Kuchen wegnehmen will, dann schlagen die mit aller Härte zu.“

Zuletzt gingen wir in den Club Explosive.

Der Geschäftsführer war ein gewisser Roger Delvecchio, aber  es war immer ein offenes Geheimnis gewesen, dass er ohne seinen Teilhaber André Menotti nichts entscheiden konnte.

Delvecchio war im Großen und Ganzen sauber. Er hatte mal eine Anzeige wegen Drogenhandels am Hals gehabt, aber das war fünfzehn Jahre her. Daher waren die Fotos, die wir von ihm in unseren Daten hatten auch nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand.

Mir war aufgefallen, dass Delvecchio an dem Abend, als André Menotti ermordet worden war, gar nicht im Club gewesen war.

Als wir jetzt eintraten, sah ich ihn zusammen mit einem bekannten Gesicht an der Bars stehen: Louis-Jacques Salvadeau, jener Anwalt, der sein Mandat für Grazzo niedergelegt hatte, als dieser anfing, seinen eigenen Interessen zu folgen.

„Es ist noch nicht geöffnet, verdammt, wer hat Sie denn reingelassen?“, fauchte Delvecchio.

Er war Francois und mir ja schließlich noch nie begegnet.

Wir antworteten ihm, in dem wir unsere Dienstausweise zückten.

Mehr brauchten wir nicht zu tun.

Selbst der etwas grobschlächtige Rausschmeißer, der im Augenblick damit beschäftigt war, die beim Putzen auf die Tische gestellten Stühle wieder auf den Boden zu stellen, entspannte seine Körperhaltung. Uns würde er nicht vor die Tür setzen, so viel war klar.

„Pierre Marquanteur, Kriminalpolizei Marseille. Dies ist mein Kollege Francois Leroc. Monsieur Salvadeau kennt uns ja schon.“

Salvadeau verzog das Gesicht. „Ja, ich hatte schon das Vergnügen!“, zischte er zwischen den Zähnen hindurch. „Richten Sie Grazzo aus, dass er im Knast verrotten soll!“

„Es wird ihn freuen zu hören, wie sehr sich sein Ex-Anwalt um ihn sorgt“, erwiderte ich kühl.

„Machen Sie es kurz, Kommissar Marquanteur. Was wollen Sie?“

„Von Ihnen eigentlich gar nichts, Monsieur Salvadeau – es sei denn, Sie können mir noch irgendetwas über die Hornisse sagen.“

„Kommen Sie mit einer Vorladung oder oder lassen Sie uns in Ruhe!“

„Ich weiß nicht, ob Sie wirklich für Sie beide sprechen“, gab ich zurück. „Ich nehme mal an, dass es Monsieur Delvecchio durchaus interessiert, wie die Ermittlungen im Fall Menotti laufen.“

„Lass gut sein, Louis-Jacques“, ergriff nun Delvecchio etwas gereizt das Wort. „Ich will hören, was der Flic will!“

„Wir sind auf der Suche nach dem Mörder Ihres Geschäftspartners André Menotti. Und da fragen wir uns natürlich, wer von seinem Tod profitiert.“

„Ich jedenfalls nicht“, erklärte Delvecchio. „Ich werde jetzt jemanden brauchen, der in den Club Explosive mit einsteigt, denn Menottis einzige Erbin ist eine Nichte zweiten Grades, die nichts vom Business versteht und vermutlich ihr Geld aus dem Laden ziehen wird.“

„Wird es schwierig sein, einen neuen Teilhaber zu finden?“, hakte Francois nach.

Delvecchio schüttelte den Kopf und deutete auf Salvadeau. „Eigentlich hatte ich mit Grazzo schon vor längerer Zeit über eine Beteiligung gesprochen, aber der wird in nächster Zeit ja wohl verhindert sein. Doch glücklicherweise will Monsieur Salvadeau mit Kapital einspringen.“

„Sieh an“, sagte ich.

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Nicht zu fassen!“, meinte Francois, als wir wieder draußen waren. „Wer einen Typ wie Salvadeau als Anwalt engagiert, der braucht keine anderen Feinde mehr!“

„Salvadeau mag ein widerlicher Kerl sein, aber er hält sich  im Rahmen der Gesetze auf“, gab ich zu bedenken.

„So einem wie dem würde ich sofort zutrauen, dass er Menotti umbringen lässt oder es selbst tut. Ohne mit der Wimper zu zucken.“

„Nein“, schüttelte ich den Kopf. „Selbst würde der sich nie die Finger schmutzig machen. Der sorgt höchstens dafür, dass es andere tun.“

Als wir zurück zum Wagen gingen, machten die ersten der Glitzerläden an der Avenue d'Orange bereits auf, während die Dämmerung bereits eingesetzt hatte.

Nebel waberte vom Hafen herauf und eine unangenehme, feuchte Kälte kroch einem durch die Kleidung.

Wir hatten den Wagen in einer Seitenstraße abgestellt und waren noch zwanzig Meter von ihm entfernt, da schlenderte uns ein junger Mann entgegen. Er trug ein Sweatshirt mit Kapuze, die er ziemlich ins Gesicht gezogen hatte.

Er zählte ein paar Euroscheine und steckte sie in die Hosentasche. Dann blickte er auf, sah mich an, als wäre ich ein Gespenst und nahm augenblicklich Reißaus. Auch wenn ich die Gesichter in der Nacht, als Menotti ermordet worden war, kaum hatte sehen können, so war ich mir in diesem Moment doch sicher, es mit einem der drei jungen Männer zu tun zu haben, die gesehen haben mussten, wer aus dem Club gekommen war. Der junge Kerl hatte mich wiedererkannt und deswegen spurtete er davon. Wahrscheinlich hatte er gerade Drogen dabei, mit denen er dealte und deswegen wollte er mit dem Kriminalpolizei Marseille um keinen Preis der Welt auch nur irgendetwas zu tun haben.

Er rannte wie der Teufel. Aber ich bin auch ganz gut durchtrainiert und so holte ich langsam auf.

„Warte!“, rief ich. „Ich will dir nur ein paar Fragen stellen!“

Aber das kam bei ihm nicht sehr überzeugend an. Er blieb kurz stehen, blickte sich zu mir um.

Die Kapuze war ihm vom Kopf geglitten. Er hatte eine Narbe an der Schläfe. Vielleicht eine alte Schussverletzung. Er riss plötzlich eine Waffe hervor, ballerte in meine Richtung und lief dann in einen sehr engen Korridor zwischen zwei Häusern. Dieser Durchgang war kaum so breit wie die Schultern eines erwachsenen Mannes. Die Brandvorschriften, die heute für den Abstand zwischen Gebäuden gelten, waren bei der Errichtung dieser Häuser wohl noch ohne Gültigkeit gewesen.

Ich erreichte diesen Spalt – denn mehr konnte man es nicht nennen. Mit der Dienstwaffe in der Faust tastete ich mich dann nach vorn. Der Spalt war frei, führte wohl auf einen Innenhof.

Francois erreichte mich, ebenfalls mit der Waffe in der Hand.

„Dem flattern die Nerven, sonst hätte der nicht auf dich geschossen!“

„Ist mir egal, ich will wissen, wen er gesehen hat!“

„Ob er dir das noch sagen wird, wenn du ihn gekriegt hast, darauf würde ich nicht wetten, Pierre.“

„Da muss es noch eine richtige Einfahrt in den Innenhof geben, Francois!“

Mein Kollege nickte. „Die werde ich schon finden, Pierre.“

„Bis gleich!“

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Ich drückte mich durch den engen Korridor und erreichte schließlich den Innenhof. Ein Dutzend Fahrzeuge unterschiedlicher Größe waren hier geparkt. Aber von dem jungen Mann war nirgends etwas zu sehen.

Francois kam wenig später die Haupteinfahrt entlang.

Ich sah ihn fragend an. Er schüttelte den Kopf. Wir nahmen uns alle parkenden Fahrzeuge vor, aber wir fanden keine Spur des Flüchtigen. Schließlich fand ich einen offenen Hintereingang zu einem der Gebäude. Es war ein Striplokal. Francois folgte mir einen Flur entlang, über den man dann entweder ins Treppenhaus oder ins Lokal gelange konnte. Auf beiden Wegen konnte man zur Hauptstraße entkommen.

„Der Kerl ist weg, Pierre.“

„Verdammt.“

„Man muss auch verlieren können.“

„Aber nicht gerade dann, wenn man den entscheidenden Punkt machen will!“

„Wer weiß, ob er das gewesen wäre – der entscheidende Punkt, meine ich.“

Wir sahen uns noch in dem Striplokal um, befragten die Türsteher, aber von denen hatte auch niemand etwas gesehen.

Schließlich kehrten wir zum Wagen zurück und stiegen ein.

Es gab wirklich Tage, an denen ich zufriedener mit dem war, was ich erreicht hatte.

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Der nächste Tag begann damit, dass wir zu einem Leichenfund beordert wurden.

Da er die typischen Verletzungen aufwies, die ein Gasdruckmesser verursachen konnte, hatte der untersuchende Polizist gleich unser Präsidium informiert. Unsere Innendienstler hatten dafür gesorgt, dass die Merkmale der Gasdruckmesser-Wunden in allen Marseiller Polizeidienststellen bekannt waren. Schließlich wollten wir  nicht, dass wir von irgendeinem Fall, der mit unserer Serie in Zusammenhang stand, nur deshalb gar nichts hörten oder zu spät informiert wurden, weil den entscheidenden Dingen nicht genug Aufmerksamkeit gegeben wurde.

Natürlich bekamen Victor und die anderen Kollegen aus dem Innendienst seitdem auch einen großen Schwung falscher Hinweise herein. Aber das nahmen wir gerne in Kauf.

Es war kühl und diesig an diesem Morgen. Nebel lag über der Stadt.

An diesem Morgen waren nicht so viele Jogger und Spaziergänger wie sonst unterwegs. Kein Wunder, dachte ich. Die Witterung war auch alles andere als einladend.

Monsieur Villeneuve von der zuständigen Abteilung empfing uns. Seine Kollegen hatten das Gelände weiträumig mit Flatterband abgegrenzt.

„Guten Morgen“, sagte  Villeneuve. „Die Division de la Recherche Scientifique ist unterwegs.“

„Die Kollegen werden wohl noch etwas brauchen, bis sie sich durch den Verkehr gequält haben“, meinte Francois.

Lieutenant  Villeneuve sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. „Nein, sie müssten eigentlich trotz allem gleich eintreffen. Wir sind nämlich schon eine ganze Weile hier. Kommen Sie.“

Er führte uns zu dem Toten.

Er lag auf dem Rücken. Ein Mann in den mittleren Jahren, markantes Kinn, ein Knebelbart, der exakt begrenzt war.

Er trug einen Jogginganzug. Die Wunde in der Brust war nicht zu übersehen – und auch nicht zu verwechseln.

„Das war ein Gasdruckmesser“, murmelte ich.

„Bei dem Mann handelte es sich um Armand Juneau, 42 Jahre alt und in der Finanzbranche tätig.“

„Woher wissen Sie das alles?“, fragte ich erstaunt.

„Der Mann hatte sein Handy dabei. Es war eingeschaltet und das Menue frei zugänglich. Wir haben die erstbeste Nummer angewählt – sein Arbeitgeber. Eine Bank, deren genauen Namen ich mir aufgeschrieben habe.“

„Lassen Sie mich raten, er war für Anlagegeschäfte zuständig“, warf Francois ein.

„Armand Juneau hatte außerdem seine Brieftasche bei sich“, fuhr Lieutenant  Villeneuve fort. „Es sah ganz so aus, als hätte sich der Täter dafür nicht interessiert.“

Francois sah mich an. „Wieder ist das Handy beim Toten geblieben“, stellte er fest. „Das scheint Methode zu haben!“

„Ja“, murmelte ich.

„Bei Franck Delaville haben wir noch gesagt, dass es Amateurhaftigkeit war. Aber was, wenn eine Absicht dahintersteckt?“

„Du meinst, der Täter will, dass man die Toten findet“, schloss ich. „Und er will, dass man weiß, wer sie sind, weil er sie bloßstellen will.“

„Reden wir hier über einen mittelalterlichen Pranger oder habe ich da was falsch verstanden?“, mischte sich Villeneuve ein.

„Genau darum könnte es gehen“, nickte ich.

„Und wie passen die anderen Morde da hinein?“, fragte Francois.

Ich zuckte mit den Schultern. „Der an Selma Laplace gar nicht.“

„Das war ja auch vermutlich Delaville selbst und nicht sein Nachahmungstäter.“

„Und sowohl Lenoir als auch Menotti sind doch alles in allem Taten, bei denen das Opfer sehr demonstrativ präsentiert wurde.“

Francois schien diese Ansicht zu teilen. „Vor allem bei Menotti“, meinte er. „Das war schon fast eine Inszenierung.“

Ich wandte mich an Villeneuve. „Wer hat den Toten gefunden?“

„Ein professioneller Hundeausführer. Der musste leider schon gehen. Er hatte insgesamt sechs Tölen an der Leine. Die Größe variierte vom Rehpinscher bis zum Schäferhund – und gut erzogen waren die nicht gerade.“

„Da hatten Sie Mitleid mit ihm!“, meinte ich.

Lieutenant  Villeneuve seufzte. „Mir reicht schon die Katze, die wir unserer Tochter zuliebe kaufen mussten und die schon dreimal unser Sofa zerkratzt hat.“

Wenig später trafen der Gerichtsmediziner Dr. Oscar Dubarry und seine Erkennungsdienst-Kollegen von der Division de la Recherche Scientifique ein. Er bestätigte den Verdacht, dass ein Gasdruckmesser benutzt worden war.

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2017
ISBN (ePUB)
9783738913040
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Juli)
Schlagworte
morde provence sauerland drei krimis

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Morde zwischen Provence und Sauerland: Drei Krimis