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Bilder eines Mordes: Kriminalroman

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2017 140 Seiten

Zusammenfassung

Bilder eines Mordes
Kriminalroman von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 111 Taschenbuchseiten.

Ein Mord, der auf einer Webcam zu sehen ist und auf einem anderen Kontinent geschieht. Was hat der mit einem Verbrechen in New York zu tun? Ermittler Jesse Trevellian und sein Team gehen auf Mörderjagd...

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Bilder eines Mordes

Kriminalroman von Alfred Bekker 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 111 Taschenbuchseiten.

Ein Mord, der auf einer Webcam zu sehen ist und auf einem anderen Kontinent geschieht. Was hat der mit einem Verbrechen in New York zu tun? Ermittler Jesse Trevbelliuan und sein Team gehen auf Mörderjagd...

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Prolog

Robert Ballinger zog sich die Krawatte zurecht und blickte auf die Uhr. Es würde kein Problem sein, pünktlich am JFK Airport in Queens zu sein. Er ging auf Socken zum Computer und begann, ihn hochzufahren.

„Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ich dachte, wir müssen gleich los!“, meldete sich eine weibliche Stimme in seinem Rücken. Sie gehörte Jarmila McTavitt, seiner Lebensgefährtin. Zusammen bewohnten sie ein Loft im New Yorker Stadtteil Chelsea. Ballinger sah sie kurz an. Sie war bereits vollkommen fertig und trug ein eng anliegendes Kleid, das in einem schrillen Farbgemisch gehalten war. „Meinst du der Flieger nach Wien wartet auf uns, Robert?“

„Wir kommen schon pünktlich. Ich möchte nur kurz sehen, wie das Wetter in Wien so ist.“

Ballinger hatte eine Seite mit Webcams angewählt, die in verschiedenen Städten in aller Welt installiert waren. In Wien gab es gleich drei. Eine zeigte den Platz vor dem Stephansdom, eine das Rathaus und die dritte war in der Nähe des Donauufers angebracht. Ballinger wählte letztere aus. Per Mausklick konnte man den Bildausschnitt schwenken.

Ballingers Gesichtszüge gefroren plötzlich.

„Das gibt's doch nicht“, murmelte er.

„Was hast du denn da für perverses Zeug angeklickt!“, stieß Jarmila McTavitt hervor und trat näher. „Da wird ja jemand umgebracht!“

1

Robert Ballinger zoomte einen bestimmten Bildausschnitt heran. Zwei Männer waren zu sehen. Der eine Ende dreißig und dunkelhaarig. Er trug einen Anzug. Der zweite war größer und kräftiger. Er hatte rotes Haar und trug Jeans und Lederjacke. Ballinger hatte gesehen, wie die beiden sich auffällig heftig gestikulierend gegenübergestanden hatten. Der Rothaarige hatte den Anzugträger an der Schulter gefasst. Dieser schüttelte die Hand von sich und wandte sich zum Gehen.

Mit einer blitzschnellen Bewegung nahm der Rothaarige dann etwas aus seiner Jackentasche. Ballinger hatte erst nicht sehen können, was es war. So fein war dann die Auflösung der Webcam wohl doch nicht.

Aber im nächsten Moment wurde klar, dass es sich um eine Art Schlinge handeln musste.

Mit einer raschen, geübten Bewegung schlang sie der Rothaarige um den Hals seines Opfers, das verzweifelt ersuchte, sich zu wehren. Es dauerte nur einen Augenblick, dann sank der Anzugträger zu Boden und blieb regungslos liegen. Der Rothaarige beugte sich über ihn und schien sich zu vergewissern, dass das Opfer auch wirklich tot war.

Dann begann er, die Taschen des regungslos daliegenden Mannes zu durchwühlen. Er holte ein Klappmesser hervor und fing damit an, die Etiketten aus der Kleidung heraus zu trennen.

Er ging dabei sehr ruhig vor.

„Meine Güte, wie ist das möglich? Das ist mitten in einer großen Stadt von mehr als einer Million Einwohner!“, stieß Jarmila hervor, die noch immer kaum fassen konnte, was sie da zu sehen bekam.

„Das ist eine ziemlich einsame Stelle am Donauufer“, sagte Ballinger. „So etwa gibt es in New York auch – am alten Navy Yard zum Beispiel. Auf der einen Seite sind ein paar Lagerhallen, wo anscheinend nicht mehr gearbeitet wird und von der anderen Seite schützen den Mörder die Pfeiler einer Donau-Brücke.“

„Wieso bringt denn dort jemand eine Webcam an, Robert?“

„Weil man eine prima Aussicht auf die UNO-Gebäude in Wien hat, wenn man die Kamera virtuell etwas schwenkt – und außerdem natürlich auf die Donauschiffe, deren Kais ein Stück weiter liegen.“

Quälend lange Augenblicke des Schweigens vergingen.

Der Mörder schleifte indessen sein Opfer zum Ufer und warf den reglosen Körper in den Fluss. Dann blickte sich der Rothaarige nach allein Seiten um.

„Robert, wir müssen etwas tun!“

„Und was, wenn ich fragen darf? Was wir sehen geschieht tausende Kilometer und mehrere Zeitzonen von uns entfernt in einem fremden Land...“

„Lass uns die Polizei anrufen.“

„Welche Polizei? Die in Wien? Bis die am Ort des Geschehens sind, ist der Kerl längst auf und davon. Und wenn ich 911 wähle...“ Ballinger machte eine wegwerfende Handbewegung. „Seit dem elften September traue ich dem FBI nicht mehr viel zu...“

Der Mörder war unterdessen aus dem Bildausschnitt herausgegangen.

Ballinger versuchte durch einen virtuellen Kameraschwenk seinem Weg zu folgen, was aber unmöglich war. Für einen kurzen Moment war der Mörder noch einmal im Erfassungsbereich der Webcam zu sehen. Er hatte ein Handy am Ohr und gestikulierte fast genauso heftig wie in seinem Gespräch mit dem Ermordeten.

Dann war er verschwunden.

Ballinger ließ sich in den Drehsessel fallen, der vor dem Computer stand.

„Jedenfalls weißt du jetzt, wie das Wetter in Wien ist“, sagte Jarmila.

2

Robert Ballinger ging auf und ab. Die für New Yorker Verhältnisse enorm große zweihundert Quadratmeter Wohnung, die Ballinger in einem Cast Iron Haus in Chelsea bewohnte, bot genug Platz dafür. Ballinger brauchte diesen Platz. Er war Galerist und Kunst bedeutete ihm in mehrfacher Hinsicht alles. Beruflich und privat. Beruflich war er Galerist und privat mit einer Künstlerin liiert. Vor einem Jahr war Jarmila McTavitt bei ihm eingezogen. Die hohen Wände waren seitdem mit ihren großformatigen Bildern vollgehängt, die ein fröhliches Durcheinander von Formen und Farben darboten. Nur war sie damit bislang nicht besonders erfolgreich gewesen - und das, obwohl sie nun einen der erfolgreichsten Galeristen der New Yorker Kunstszene in mehrfacher Hinsicht an ihrer Seite hatte. 

Sie hatte ihren Vornamen geändert und nannte sich nun Jarmila anstatt einfach und schlicht Jane McTavitt. Und außerdem benutzte sie seit einiger Zeit vorwiegend Tierblut anstatt Ölfarbe und anstatt eines Pinsels ihren eigenen Körper, mit dem sie sich auf der Leinwand wälzte.

Das alles hatte ihr allerdings nur in den Boulevard-Medien einige Aufmerksamkeit eingebracht. Ihrer Wertschätzung in der Kunstszene waren diese Aktionen eher abträglich gewesen und der Wert ihrer Bilder hatte sich nicht gesteigert. Die meisten erwiesen sich schon auf Grund ihrer außerordentlich großen Formate als unverkäuflich und so hingen sie nun im Dutzend in Ballingers Wohnung. Wenigstens waren hier die Räume hoch genug, um Gemälde, die derartig aus dem Rahmen fielen, aufzuhängen.

In Wien standen ihnen nun wichtige Gespräche mit Galeristen aus Europa bevor und außerdem hatten sie einen Termin mit einem Event-Manager aus Basel, der Jarmilas Karriere etwas auf die Sprünge helfen sollte.

Dass sie wirklich die künstlerische Potenz hatte, um ganz groß herauszukommen, daran glaubte nicht einmal Ballinger. Er musste es schließlich wissen. Er hatte zahllose Künstler aufsteigen und fallen sehen. Von den meisten sprach schon nach wenigen Jahren niemand mehr. Eine kleiner Hype, damit hatte es sich für das Gros. Über längere Zeit oben zu bleiben, das schafften nur die wenigsten. Und eigentlich gab es keine Indizien dafür, dass ausgerechnet Jarmila dazugehören sollte.

Bei einem anderem Künstler hätte Ballinger vielleicht argumentiert, dass sich der ganze Aufwand nicht lohnte.

Aber bei Jarmila galten andere Regeln. Sie war einfach  besserer Laune, wenn sie zumindest die Illusion hatte, dass es aufwärts ging. Also machte Ballinger auch diese Aktion mit. 

Und davon abgesehen, war Wien ohnehin immer eine Reise wert.

Aber jetzt hatte sich alles geändert.

Robert Ballinger griff zum Telefon.

„Wen rufst du an?“, fragte Jarmila.

„Das Büro.“

„Jetzt? Wieso das denn?“

„Wir werden unseren Flug etwas verschieben müssen.“

3

Ich trug unter der Lederjacke eine schusssichere Weste. Über Headset war ich mit den anderen G-men funktechnisch verbunden, die an diesem Einsatz beteiligt waren. Da ich den Reißverschluss meiner Lederjacke geschlossen hatte, um die Kevlar-Weste zu verbergen, steckte meine Dienstwaffe in der Seitentasche und nicht im Holster. Meine Hand hatte sich um den Griff der P226 gelegt, sodass ich sie jederzeit herausreißen konnte.

Zusammen mit meinem Kollegen Milo Tucker ging ich die Avenue B entlang, vorbei an einem Club, der sich „Alley Cat“ nannte  - „Bordsteinschwalbe“.

Aber so verrucht, wie der Name vermuten ließ war das „Alley Cat“ nicht. Es war ein Nachtclub der Luxusklasse, in dem viel Geld umgesetzt und wenig Gewinn gemacht wurde. Aber das war nach unseren Ermittlungen auch gar nicht das, was der Besitzer im Sinn hatte.

Das „Alley Cat“ diente unseren Ermittlungen nach der Geldwäsche. Dreckige Drogendollars sollten weiß gewaschen werden. Der Besitzer hieß Donald Modesta und war keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Er galt als treuer Gefolgsmann der Mafia-Größe Harry Pazzi und hatte sich in dessen Organisation vom Türsteher und Schläger aufwärts hochgedient und war offenbar auf seine alten Tage mit dem nicht gerade anstrengenden Job belohnt worden, einen Club zu führen, der keine Gewinne, sondern nur Umsatz zu machen brauchte.

Formal war Modesta der Besitzer – aber unser Kollege Nat Norton, der bei uns im Field Office der Spezialist für Betriebswirtschaft war, hatte ermitteln können, auf welchen verschlungenen Finanzpfaden Harry Pazzi seinen Strohmann mit dem nötigen Kapital ausgestattet hatte. Das alles lief über mehrere Scheinfirmen in Liechtenstein, der Schweiz und auf den Cayman Islands. 

Wir hatten genug gegen ihn gesammelt, um ihn festnehmen zu können. Damit brach dann auch für Modestas Boss Harry Pazzi ein wichtiges Stück aus dem Imperium heraus, das diese graue Eminenz des organisierten Verbrechens aufgebaut hatte.

Milo und ich hatten den Eingang des „Alley Cat“ passiert. Ich machte an einem Zeitschriftenladen Halt und sah mir die Magazine im Drehständer an, den ich mit der Linken leicht bewegte. Milo ging noch ein Stück weiter und blieb dann zwischen zwei parkenden Fahrzeugen stehen. Er tat so, als wollte er über die Straße gehen. Da die Avenue B stark befahren war, konnte er dort eine ganze Weile bleiben, ohne dass es auffällig war und gleichzeitig den Eingang des „Alley Cat“ beobachten.

Es war später Vormittag. Da war der Nachtclub natürlich noch nicht geöffnet. Es gab lediglich hin und wieder Lieferverkehr. Wir wussten, dass Donald Modesta hier auftauchen würde. Er sah dann nach dem Rechten und traf sich auch mit Geschäftspartnern.

Maximal eine halbe Stunde dauerten diese Aufenthalte.

Donald Modesta war ein sehr misstrauischer Mann. Offenbar hatte er sich vorgenommen, nie wieder so einfach in seiner Privatwohnung verhaftet zu werden, wie es im Zusammenhang mit seiner letzten Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung und Nötigung der Fall gewesen war. Er besaß zwar ein Luxus-Apartment in der Lower East Side, das auch von unseren Kollegen überwacht wurde – aber dort hielt er sich so gut wie nie auf.

Statt dessen übernachtete er abwechselnd in mehreren, über den gesamten Big Apple verteilten Wohnungen. Wohnungen, die formal so genannten „Freundinnen“ gehörten. In Wahrheit handelte es sich dabei um Call-Girls, die für ihn anschafften. Leider kannten wir dir meisten Schlupflöcher nicht und so mussten wir ihn vor dem „Alley Cat“ abpassen.

Unser Kollege Agent Jay Kronburg meldete sich über Funk.

„Modestas kanariengelber Ferrari ist im Anmarsch“, sagte er. „Er müsste gleich um die Ecke kommen.“

„Verstanden“, murmelte ich in das Mikro am Kragen hinein.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, da bog der unübersehbare kanariengelbe Ferrari von Donald Modesta um die Ecke.  Schnelle Autos waren eine Schwäche von Modesta.

Er parkte den Wagen am Straßenrand. Seine Leute sorgten – manchmal auch mit ziemlich rabiaten Methoden – dafür, dass vor dem „Alley Cat“ immer ein Parkplatz frei war, wenn Modesta ihn brauchte.

Selbst Lieferfahrzeuge mussten dann notfalls weichen. Inzwischen war allerdings wohl bereits jedem Lieferanten des „Alley Cat“ eingeimpft worden, wo die „Verbotene Zone“ war.

Donald Modesta saß nicht allein im Ferrari.

Neben ihm auf dem Beifahrersitz befand sich eine wasserstoffblonde Schönheit mit aufgespritzten Lippen. Die beiden schienen einen ziemlich heftigen Wortwechsel zu haben, von dem wir allerdings kein Wort verstehen konnten.

Dann stiegen beide aus.

Das war der Moment für unseren Zugriff.

Von der einen Seite näherten sich Milo und ich, von der anderen unsere Kollegen Fred LaRocca und Miles McConnor.

Modesta kannte keinen von uns persönlich. Trotzdem schien er einen sechsten Sinn für solche Situationen entwickelt zu haben. Er blickte in Freds Richtung, ließ die Blondine in seinem Schlepptau los und machte einen schnellen Schritt in Richtung des „Alley Cat“-Eingangs.

„Bleiben Sie stehen! FBI!“, rief Milo.

Wir rissen unsere Waffen heraus.

Donald Modesta ebenfalls. Er zog eine Automatik unter der der Jacke hervor und feuerte wild um sich. Unser Kollege Miles McConnor sank getroffen zu Boden.

Wir feuerten ebenfalls. Eine Kugel traf Modesta in die Brust, riss seinen Blouson auf und offenbarte das graue Kevlar, dass er darunter trug. Er taumelte durch die Wucht des Treffers gegen die Wand. Er ballerte aber weiterhin um sich. Seine Schüsse waren vollkommen ungezielt.

Stolpernd rettete er sich dann durch die Tür des „Alley Cat“.

Fred LaRocca kümmerte sich um unseren niedergeschossenen Kollegen Miles McConnor und verständigte bereits den Emergency Service. Die Kugel hatte ihn am Hals erwischt, wo ihn auch die Kevlar Weste nicht schützte. Eine Blutlache breitete sich auf dem Pflaster des Bürgersteigs aus.

Milo und ich setzten nach, um Modesta gefangen zu nehmen.

Die Blondine mit den aufgespritzten Lippen stand wie angewurzelt da.

Dann dröhnte das Geräusch einer gewaltigen Explosion uns in den Ohren.

Die Fenster des „Alley Cat“ barsten nach außen. Glassplitter flogen wie Geschosse durch die Luft. Wir warfen uns zu Boden und ich riss die Blondine mit mir auf das Pflaster. Ihr Aufschrei ging im Detonationslärm unter. Eine Welle aus Druck und Hitze brandete über uns hinweg und ließ auch noch die Scheiben des Ferrari und einiger anderer parkender Fahrzeuge zerplatzen.

4

Robert Ballinger betrat das Dienstzimmer von Max Carter, einem Innendienstler aus der Fahndungsabteilung des FBI Field Office New York.

„Bitte setzen Sie sich, Mister Ballinger“, sagte Carter und deutete auf den freien Sessel.

„Danke.“

„Die Kollegin, die Sie an mich verwiesen hat, sagte Sie hätten im Internet einen Mord beobachtet.“

Ballinger nicke. „Richtig. Allerdings nicht hier, sondern in Wien, Österreich.“ Er lächelte. „Nicht das das in Kentucky.“

„Dann erzählen Sie mal!“

Ballinger holte einen sorgfältig gefalteten Computerausdruck aus der Innentasche seines Jacketts und legte das Blatt auf den Tisch, nachdem er es ausgebreitet und mit der Hand glatt gestrichen hatte.

„Ich hatte leider kein Fotopapier mehr, sonst wäre der Ausdruck noch besser geworden. Aber ich habe die Daten auf eine CD gebrannt, die ich Ihnen überlassen kann.“

„Da wäre sehr nett.“

Er griff in die andere Innentasche, holte den Datenträger hervor und legte ihn neben das Blatt.

Carter nahm sich zunächst den Ausdruck.

„Das ist ein Screenshot.“

„Scheint, als hätten Sie genau im richtigen Augenblick auf den Knopf gedrückt“, sagte Max Carter.

„Das Gesicht des Täters ist gut zu sehen“, bestätigte Ballinger. „Und was er tut auch.“

„Die ganze Videosequenz haben Sie nicht zufällig gespeichert?“

„Nein, nur den Screenshot. Das ganze stammt von einer Wettercam, die man virtuell schwenken kann. Es ist reiner Zufall, dass ich gerade den passenden Ausschnitt erwischt habe.“

„Und wo ist das Ganze passiert?“

„Am Donauufer. Die genaue Position der Webcam können Sie auf der Homepage ersehen, über die man an die Wettercams herankommt. Die Netzadresse steht auf der Rückseite des Ausdrucks.“

„Wie lange ist das her?“

„Eine Stunde.“ Er zucke mit den Achseln. „Tut mir leid, aber ich musste erst ein paar Dinge regeln. Eigentlich waren meine Lebensgefährtin und ich auf dem Sprung nach Wien. Deswegen wolle ich ja auch wissen, wie dort das Wetter ist.“

„Verstehe“, nickte Max.

„Nein, Sie verstehen gar nichts. Ich musste unseren Flug umbuchen und ein paar ziemlich wichtigen Leuten sagen, dass ich erst morgen früh in Wien sein werde.“ Ballinger hatte jetzt einen hochroten Kopf. Er lehnte sich zurück und strich sein Haar nach hinten. „Aber ich wollte nicht einfach los fliegen, ohne dass hier gemeldet zu haben.“

„Sie sind ein vorbildlicher Staatsbürger, Mister Ballinger.“

„Danke. Nur wird sich der Staat dafür kaum bedanken und mir höchstens noch mehr von meinem sauer verdienten Geld durch seine Steuern abknöpfen.“

„Trotzdem, Sie waren sehr aufmerksam, Sir. Und wir würden uns manchmal wünschen, dass mehr Menschen so reagierten. Wo ist eigentlich Ihre Lebensgefährtin?“

„Die ist mit den Nerven ziemlich am Ende und wollte nicht mitkommen.“

„Es wäre gut, wenn sie noch vor ihrem Flug nach Europa hier vorbei schauen und auch noch eine Aussage machen könnte. Manchmal gibt es ja Details, die der eine übersieht, aber an die sich der andere noch gut erinnert.“

„In Ordnung.“

„Und nun schildern Sie mir bitte die gesamte Szene, die Sie gesehen haben. Möglichst von Anfang bis zum Schluss. Jedes Detail kann eventuell wichtig sein.“

„In Ordnung.“

„Sind Sie damit einverstanden, dass ich eine Audioaufzeichnung Ihrer Aussage anfertige? Wir vermeiden dadurch womöglich unnötige Rückfragen an Sie...“

„Meinetwegen.“

„Und ich nehme an, dass Sie auch nichts dagegen haben, wenn wir diese Aufzeichnung möglicherweise an die österreichischen Behörden weiterleiten?“

„Nein. Ich hoffe nur, dass sich der ganze Aufwand lohnt und dieser Killer hinter schloss und Riegel kommt!“

Ballinger schilderte wie der Mann im Anzug mit einer Schlinge erwürgt und anschließend in den Fluss geworfen wurde. „Dieser Rothaarige hat die Taschen durchsucht und die Etiketten in der Kleidung entfernt. Deutet das nicht auf einen Profi hin?“

„Ja, das ist gut möglich“, gab Max Carter zu. „Aber für solche Spekulationen ist es im gegenwärtigen Stadium der Ermittlungen wohl noch zu früh.“

Ballinger beugte sich etwas nach vorn und hob die Augenbrauen. „Was geschieht jetzt?“

„Wir werden die österreichischen Behörden informieren und Ihnen alle Daten zur Verfügung stellen. Viel mehr wird man von hier aus nicht machen können. Ach ja, außerdem werden die Bilddaten Ihres Screenshots abgespeichert und mit unseren NYSIS-Daten verglichen. Erstens, um herauszufinden, ob der Täter vielleicht in den Vereinigten Staaten schon mal straffällig geworden ist...“

„...was ja wohl ein ziemlich unwahrscheinlicher Zufall wäre!“, meinte Ballinger.

„Sagen Sie das nicht. Die Globalisierung gilt auch für das organisierte Verbrechen. Leider, denn die polizeilichen Befugnisse enden immer noch an Ländergrenzen und so ist uns die andere Seite stets ein Stück voraus. Außerdem könnte es ja auch sein, dass der Täter später mal in die USA einreisen möchte oder hier durch eine Straftat auffällt, die dazu führt, dass er erkennungsdienstlich behandelt wird.“

Ballinger telefonierte wenig später mit seiner Lebensgefährtin, die wenig Lust zu haben schien, vor dem FBI eine Aussage zu machen. Aber Ballinger konnte sie schließlich überzeugen. „Sie ist gleich hier“, meinte er.

„In der Zwischenzeit werde ich mal die Website anwählen, deren Adresse Sie mir gegeben haben...“

Max Carters Finger glitten über die Tastatur seines Rechners. Es dauerte nicht lange und er hatte die Wettercam gefunden, auf der Ballinger den Mord gesehen hatte. Carter bedeutete dem Galeristen, auf die andere Seite des Schreibtischs zu kommen.

„Da sind Sie richtig“, bestätigte er.

„Stellen Sie mir doch bitte den Bildausschnitt so ein, wie bei ihrem Screenshot gewesen ist, Mister Ballinger.“

„Kein Problem!“, versprach Ballinger.

5

Schon wenige Minuten nach der Explosion verstopften Dutzende von Einsatzfahrzeugen die Avenue B und die Kollegen der City Police waren damit beschäftigt, den Verkehr umzuleiten. Fahrzeuge des Fire Service waren ebenso eingetroffen wie Rettungswagen.

Für unseren Kollegen Miles McConnor kam leider jede Hilfe zu spät.

Er war tot.

Miles McConnor war frisch von der FBI Akademie in Quantico gekommen und erst seit gut vier Wochen in unserem Field Office im Einsatz.

Ins Innere des „Alley Cat“ durften bislang weder wir noch die inzwischen angerückten Kollegen der Scientific Research Division, des zentralen und für alle New Yorker Polizeieinheiten zuständigen Erkennungsdienstes.

Aber zunächst mal hatten die Männer des Fire Service Vorrang. Es konnte auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich giftige Dämpfe gebildet hatten und so lange wir kein grünes Licht der Feuerwehr bekamen, würde keiner unserer Agenten einen Fuß in das Gebäude setzen.

Dass es in den Räumlichkeiten des „Alley Cat“ wohl keinerlei Überlebende gab, hatte man uns bereits über Funk durchgegeben. Inzwischen war man dabei, die Bewohner der oberen Stockwerke zu evakuieren.

Ich wandte mich an die Blondine, mit der Donald Modesta vorgefahren war. Sie lehnte gegen die Motorhaube des Ferrari, der so von Einsatzfahrzeugen eingekeilt war, dass man ihn ohnehin nicht hätte wegfahren können.

„Jesse Trevellian, FBI“, stellte ich mich vor. „Die ist mein Kollege Milo Tucker.“

Sie sah mich vorwurfsvoll an und kaute nervös auf irgendetwas herum.

„Was ist mit Donald?“, fragte sie.

„Sie sollten sich keine Hoffnungen machen. Im Inneren des Clubs lebt niemand mehr.“

„Ich will dort hinein!“

„Das können Sie nicht! Es besteht Vergiftungs- und Einsturzgefahr!“

Sie schluckte. Ihr Make-up war schon ziemlich verlaufen.

„Sie sind Jennifer Ericsson, nicht wahr?“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Sie blickte mich überrascht an. Ihre Augen wurde schmal und hatten jetzt etwas katzenartiges an sich.

„Sie...“

„Wir haben Donald Modesta schon seit längerem im Visier und dabei sind wir auch auf Sie gestoßen.“

„Jetzt werden Sie mir wahrscheinlich wieder diverse Gerichtsurteile vorhalten...“

„Prostitution, Scheckbetrug, Drogen...“, mischte sich Milo ein.

„Na großartig! Es wäre ja auch zu schön gewesen, mit G-men zusammenzutreffen, die einem keinen Ärger machen.“ Sie deutete in Richtung des „Alley Cat“ und setzte hinzu: „Wer für dieses Verbrechen verantwortlich ist, interessiert Sie wahrscheinlich auch einen Dreck! Vermutlich denken Sie: Klasse, es trifft ja den Richtigen! Aber wenn Sie geglaubt haben, über Donald Bescheid zu wissen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie wissen gar nichts! Er war ein großartiger Mann und hat es ganz bestimmt nicht verdient, von einer Sprengladung zerrissen zu werden.“

„Ma'am, da bin ich ganz ganz Ihrer Meinung“, versicherte ich. „Und auch wenn Donald Modesta unseren Ermittlungen nach ein Gangster war, so gibt das tatsächlich niemandem das Recht, ihn zu töten. Wir werden seine Mörder mit derselben Intensität suchen wie jede anderen Straftäter.“

Jennifer Ericsson lachte heiser. „Das glaube Sie doch selbst nicht“, meinte sie. „Träumen Sie schön weiter, Agent Trevellian...“

„Vielleicht können Sie uns etwas helfen, indem Sie uns ein paar Fragen beantworten.“

„Bitte! Es kommt sowieso nichts dabei heraus. Das weiß ich jetzt schon. Am Ende bin ich es nur, die den Ärger bekommt...“

„Dass Sie Ihr Geld als Call-Girl verdienen interessiert uns nicht weiter“, sagte Milo. „Dafür ist die Vice Abteilung der City Police zuständig. Uns geht es um denjenigen, der hinter dem Mord an Ihrem Lebensgefährten steckt und außerdem ja auch noch einen unserer Kollegen auf dem Gewissen hat.“

„Habe ich mir schon gedacht, dass Ihr gesteigertes Interesse in Wahrheit daher kommt...“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. Dann fingerte sie in ihrer Handtasche herum, bis sie einen Blister mit Pillen gefunden hatte. Sie nahm zwei davon. „Ist nur etwas gegen meine Kopfschmerzen“, behauptete sie. „Nichts Illegales.“

„Haben Sie eine Ahnung, wer Donald Modesta das angetan haben könnte?“, fragte ich.

„Nicht die Geringste“, behauptete sie.

„Wo hat er heute Nacht geschlafen?“

„Das wissen Sie nicht?“ Sie lachte erneut auf, diesmal schriller. Aber in diesem Lachen klang auch ihr ganzer Schmerz mit. Irgendwie schien sie tatsächlich etwas für Modesta empfunden zu haben. Wie genau die Beziehung zwischen den Beiden nun eigentlich aufzufassen war, davon hatte ich noch kein rechtes Bild. Aber das würde sich noch ergeben. „Jedenfalls nicht bei mir. Er hat mich auf dem Weg zum „Alley Cat“ von Zuhause abgeholt.“

„Können Sie uns nicht irgendeinen Ansatzpunkt liefern? Wurde Mister Modesta bedroht? Hatte er vielleicht Streit mit seinem Boss?“

„Mit seinem Boss? Wer soll das gewesen sein? Donald war sein eigener Boss.“

„Ich spreche von Harry Pazzi.“

Ihr Gesicht veränderte sich. Für einen kurzen Moment hatte sie ihre Züge nicht unter Kontrolle. Ihr Lächeln wirkte gezwungen und erinnerte an eine Maske.

„Ich habe keine Ahnung, von wem Sie sprechen, Agent Trevellian.“

„Und ich nehme an, diesen Namen haben Sie auch noch nie gehört?“

„Nie! Beim Leben meiner Mutter.“

6

Harry Pazzi war ein breitschultriger, großer und ziemlich beleibter Mann mit schwarzem, nach hinten gekämmtem Haar und einem dunklen Vollbart. Seine Stimme war so durchdringend, dass man hätte glauben können, dass sie einem Bühnenschauspieler oder Opernsänger gehört hätte und tatsächlich hatte Pazzi an einem Konservatorium Gesang und Klavier studiert, dann allerdings dieses Studium abgebrochen, als sein Vater gestorben war und er dessen Geschäfte hatte übernehmen müssen.

Aber dass er kein zweiter Caruso war, wusste er auch selbst. Sein Talent entsprach gutem Mittelmaß, nicht mehr. Immerhin hatte er es zu einer Plattenaufnahme mit den New Yorker Philharmonikern gebracht. Allerdings war die Verdi-Arie, die er aufgenommen hatte, später wegen Überlänge nicht mit auf die Platte gekommen. Erst als die Platte später als CD wieder veröffentlicht worden war, war dieses Lied als Bonus-Track enthalten gewesen.

Aber das war zu einem Zeitpunkt gewesen, als Harry Pazzi seine Karriere als Musiker längst aufgegeben hatte. Es hatte ihm damals nicht mehr viel bedeutet, denn es war für ihn eher eine schmerzhafte Erinnerung an die aufgegebenen Träume seiner Jugend.

Dass der Track seinerzeit nicht mit auf die Platte gepresst worden war, das sah er bis zum heutigen Tag als die schlimmste Niederlage und Demütigung an, die er hatte hinnehmen müssen.

Schlimmer sogar als die vier Wochen Untersuchungshaft, die er vor ein paar Jahren mal über sich hatte ergehen lassen müssen, weil ein in seinen Augen übereifriger Staatsanwalt ihn unbedingt mit einem Auftragsmord in Verbindung bringen wollte.

Pazzi war glimpflich aus der Sache herausgekommen.

Ein paar Zeugen waren mit Geld oder Schlägen günstig gestimmt worden und konnten sich dann plötzlich vor der Grand Jury an gar nichts mehr erinnern, sodass es nicht einmal zu einem Hauptverfahren gekommen war.

Harry Pazzi steckte sich eine dicke Zigarre in den Mund ließ sie aufglimmen. Mochte dieser Genuss inzwischen auch fast überall sonst in New York schon fast einem Kapitalverbrechen gleichkommen – in seinen eigenen vier Wänden konnte Harry Pazzi diesem Laster ungehemmt frönen. Er mochte Havannas.

Echte Havannas aus Kuba natürlich, nicht irgendwelche Nachgemachten und nicht mal halb so schmackhaften Imitate. Es war gar nicht so leicht an diese Zigarren heranzukommen, denn schließlich bestand gegenüber Kuba ja ein striktes Handelsembargo. Aber jemand, der dreistellige Millionenbeträge an schwarzem Drogengeld weiß waschen konnte und wusste, wie man diese Beträge so um den Globus schleuste, dass hinterher niemand mehr ihre tatsächliche Herkunft erahnen konnte, der hatte natürlich auch die nötigen Beziehungen, um sich Zigarren aus Kuba zu besorgen.

Gemessenen Schrittes trat Harry Pazzi auf den Dachgarten seines Penthouses. Man hatte von hier aus einen hervorragenden Rundumblick über Little Italy.

Pazzi besaß mehrere Dutzend Immobilien. Einen Teil seiner Drogengelder hatte er darin angelegt. Die Hälfte dieser Anwesen hatte er gut und teuer vermietet – die andere Hälfte nutzte er selbst. Darunter auch eine Villa in Miami, wo er den Winter verbrachte und ein Haus in den Hamptons auf Long Island für den Sommer, wenn es ihm in Miami zu heiß war.

Aber als Zentrum seines Lebens sah er immer noch diese Wohnung in Little Italy an. In diesem Stadtteil war er aufgewachsen, hier hatte sich sein Vater nach oben geboxt und ihm eine Organisation hinterlassen, die er dann noch einmal um ein Vielfaches vergrößert hatte.

Pazzi mochte einfach die besondere Atmosphäre hier und es bekümmerte ihn, dass Little Italy immer mehr zusammenschrumpfte und von dem sich ausdehnenden Chinatown langsam aber sicher aufgefressen wurde.

Harry Pazzi sog die klare kühle Luft ein und trat bis zur Balustrade. Dann blickte er hinab. Irgendwo hörte man ein paar Sirenen von Fire Service, Emergency Service oder den Cops.

Das alles mischte sich mit dem Lärm des Verkehrs und einem Gewirr von Stimmen. Der immer währende Chor jener Stadt, die ihn groß gemacht hatte und als deren Teil er sich fühlte.

„Harry?“

Eine sanft klingende Frauenstimme drang erst ganz allmählich in sein Bewusstsein. Erst als sie seinen Namen noch einmal etwas eindringlicher wiederholte, drehte sich Harry Pazzi mit einem Ruck herum.

„Violetta“, murmelte er.

Seine Frau hatte dunkle Augen und ebenso dunkles Haar, auch wenn die Schwärze von letztem inzwischen nicht mehr natürlichen Ursprungs war. Kinder waren ihnen nicht vergönnt gewesen. Es gab eben Dinge, die man sich selbst für das astronomische Pazzi-Vermögen nicht kaufen konnte.

Violetta trat auf ihn zu. Sie hielt ein Telefon in der Hand.

„Der Anruf aus Wien“, sagte sie.

„Ah ja. Danke.“

Er nahm den Apparat ans Ohr.

„Ist das Problem gelöst?“, fragte er.

7

Nachdem Milo und ich unsere Arbeit am Tatort in der Avenue erledigt hatten, waren wir in unseren Ermittlungen noch kein Stück weiter. Zusammen mit den Kollegen hatten wir Dutzende von Anwohnern aus der Nachbarschaft befragt, ob sie etwas Verdächtiges gesehen hatten. Die Toten waren inzwischen in der Gerichtsmedizin und die Erkennungsdienstler der SRD versuchten herauszufinden, welche Art von Sprengstoff verwendet worden war.

Uns blieb jetzt nur eins – die so genannten Freundinnen von Donald Modesta abzuklappern. Wir kannten etwa Hälfte von ihnen.

Jennifer Ericsson blieb jedenfalls bei ihrer Aussage, nicht zu wissen, wo Modesta die letzte Nacht verbracht hatte.

Während wir am Tatort in der Avenue B gewesen waren, hatten unsere Kollegen Caravaggio und Medina das Apartment untersucht, das Donald Modestas offizieller Wohnsitz war, ohne, dass er sich dort in letzter Zeit länger aufgehalten hatte.

Diese Apartment hatte schon Tagelang unter Beobachtung gestanden und Donald Modesta musste das wohl geahnt haben.

Jedenfalls meldete sich Clive Caravaggio per Handy bei uns und berichtete, dass im Apartment buchstäblich nichts zu finden gewesen sei.

„Das war so glatt geleckt wie ein Hotelzimmer“, berichtete er. „Keine persönlichen Sachen. Vielleicht gibt es noch nicht mal Fingerabdrücke des Besitzers darin. Der Telefonanschluss ist definitiv seit seiner Freischaltung erst einmal benutzt worden.“

„Wahrscheinlich der Begrüßungsanruf des Telefonanbieters“, meinte ich eine Spur zu gallig. Es wurmte mich einfach, dass unsere Karten, in diesem Fall ein Stück weiter zu kommen, einfach so schlecht standen.

Wir wussten, dass es einen kriminellen Zusammenhang zwischen Donald Modesta und Harry Pazzi gab. Aber das war auch schon so ziemlich alles. Kündigte sich da ein Gangsterkrieg an? Wollte jemand Pazzis Organisation zerstören oder ihn unter Druck setzen, wobei Modesta dann nicht mehr als ein Bauernopfer war, das dem Betreffenden deutlich machen sollte, dass der Unbekannte es ernst meinte?

Fragen über Fragen gingen mir im Kopf herum, aber im Augenblick schien es auf all diese ungeklärten Fragen nicht den Hauch einer wirklich befriedigenden Lösung zu geben.

Wir statteten Kendra Dunham einen Besuch ab.

Sie wohnte in einem Apartment am Ende der Seventh Avenue mit Blick auf den Central Park.

„Wer ist da?“, fragte uns eine barsche Frauenstimme über die Sprechanlage an ihrer Wohnungstür. Ein Kameraauge verfolgte jede unserer Bewegungen.

„FBI! Machen Sie bitte die Tür auf!“, forderte ich und hielt meine ID-Card in die Kamera.

Kendra öffnete.

Sie sah Jennifer Ericsson erschreckend ähnlich. Sie waren beide blond und kurvenreich. Donald Modesta schien einen ganz bestimmten Frauentyp zu bevorzugen.

Kendra Dunham trug Jeans und T-Shirt und war barfuß. Die Fußnägel sahen aus wie frisch lackiert und im Augenblick waren gerade ihre Hände offenbar mit der Nagelpflege dran.

„FBI, Special Agent Jesse Trevellian“, stellte ich mich vor. „Mein Kollege Milo Tucker und ich haben ein paar Fragen an Sie.“ 

„Hier geschieht nichts Ungesetzliches, Sir“!“, versicherte sie. „Zumindest werden Sie das wohl kaum nachweisen können.“

„Es geht nicht um Sie, sondern um Donald Modesta“, sagte ich.

„Ich kann Ihnen zu Donald auch nicht viel mehr sagen, als Sie ohnehin schon wissen“, erwiderte sie. „Und im Übrigen sind wir auch nur flüchtig bekannt.“

„Ja, sicher... Vielleicht können wir hereinkommen und die Sache in Ruhe besprechen. Mister Modesta ist einem Sprengstoff-Attentat zum Opfer gefallen und wir dachten, dass  Sie uns vielleicht ein paar Angaben machen können, die uns weiterbringen.“

Kendra Dunham wurde bleich.

Ihr Kinnladen fiel herunter und ihre Augen wurden groß, als sie erst mich und dann Milo anstarrte. Sie schluckte.

Entweder war sie eine sehr gute Schauspielerin oder es hatte ihr wirklich etwas an Modesta gelegen.

„Kommen Sie herein“, sagte sie.

Wir folgten ihrer Einladung.

„Wann haben Sie Mister Modesta zuletzt gesehen?“, fragte Milo.

„Gestern Abend.“

„Aber er hat nicht hier übernachtet.“

„Sie lassen mich beobachten?“

„Miss Dunham, Donald Modesta stand kurz vor einer Verhaftung wegen Geldwäsche. Natürlich haben wir versucht, alle bekannten Anlaufstellen zu überwachen. Leider ist das bei ihm nicht so einfach.“

„Hören Sie...“

„Nein, hören Sie mir erst zu. Modestas Geschäfte haben keine Bedeutung mehr. Sie können ihn nicht hereinreißen und was Ihren illegalen Broterwerb angeht, das interessiert uns auch nicht und wir werden auch nicht überprüfen, ob Modesta vielleicht die Miete für diese Wohnung gezahlt hat... Aber Sie müssen uns helfen.“

„Ich muss gar nichts“, murmelte sie.

Ich hörte der Unterhaltung zwischen Milo und Kendra Dunham zu und sah mich ein bisschen im Raum um. Ich suchte nach irgendetwas, das von Modesta stammen oder einen Hinweis auf ihn geben konnte. Einen formellen Durchsuchungsbefehl hatten wir nicht und den würden wir auch nicht bekommen. Die Durchsuchung der Wohnung eines Mordopfers war Routine, aber genau da war der Haken. Modesta hatte in seiner eigenen Wohnung so gut wie nie gelebt.

Aber ich fand nichts. Durch die halb offene Tür des Bades konnte ich auf die Ablage des Waschbeckens sehen. Kein Rasierwasser, nichts, was darauf hätte hinweisen können, dass Modesta mal hier gewesen war.

„Ich würde Ihnen ja gerne helfen“, behauptete Kendra.

„Dann nennen Sie uns alle Adressen von Modestas Schlupflöchern“, forderte Milo.

„Kennen Sie die nicht alle längst?“

„Machen Sie keine Mätzchen. Ich dachte, Sie wollen auch, dass der oder die Mörder gefasst werden...“

Jetzt mischte ich mich ein. „Sie hätten auch mit drauf gehen können“, erklärte ich. „Und bis zur Stunde ist die genaue Zahl der Opfer noch nicht einmal bekannt, weil wir nicht genau wissen, wie viele und welche Personen sich zum Zeitpunkt der Explosion im „Alley Cat“ aufgehalten  haben“, sagte ich.

„Ich? Wieso ich?“

Ich schilderte ihr die Szene kurz vor der Detonation und wie wir versucht hatten, Modesta festzunehmen. „Er ging mit Jennifer Ericsson im Schlepptau auf den Eingang zu. Es war purer Zufall, dass sie nicht auch in den Club gegangen ist. Und an einem anderen Tag hätten Sie das sein können. Das ist doch richtig, oder?“

„Wir haben über Geschäftliches nie geredet“, sagte sie.

„Und Sie haben auch nie etwas mitbekommen?“, hakte ich nach.

„Nur, dass Donald in letzter Zeit ziemlich nervös und angespannt war. Ja, ich gebe ja zu, dass er selbst für seine Verhältnisse in letzter Zeit schon richtig übertrieben paranoid war. Er ging einmal am Tag zum „Alley Cat“, um da den Betrieb zu kontrollieren, aber ansonsten hatte er sich total zurückgezogen.“

„Wie konnten Sie ihn erreichen?“

„Über ein Prepaid-Handy.“

„Die Nummer bitte.“

Sie nannte sie uns und Milo schrieb sie auf. Ich ging indessen ein paar Schritte vor und erreichte die Tür zum Schlafzimmer. Sie stand einen Spalt weit offen.

Durch einen kleinen Stoß sorgte ich dafür, dass sie sich weiter öffnete und der Blick auf ein Wasserbett frei wurde. Daneben lag eine Sporttasche auf dem Boden.

„Ist das Ihre Tasche, Miss Dunham?“, fragte ich.

„Ja, sie gehört mir. Was soll das außerdem?“

„Dann sind Ihre Initialen neuerdings DM? Seltsam...“

Sie drängelte sich an mir vorbei und stellte sich mir in den Weg. „Sie haben kein Recht, hier eine Durchsuchung durchzuführen.“

„Ich habe nicht vor, Ihre Sachen zu durchsuchen – aber den Inhalt einer Tasche, die offensichtlich Donald Modesta gehört, darf ich mir sehr wohl ansehen...“ Ich schob Kendra Dunham zur Seite und hob die Tasche auf.

Sie war ziemlich schwer. Ich legte sie auf das Wasserbett, das daraufhin heftig schaukelte. Die Tasche war ein edles Stück, das Donald Modesta sich mit seinen aufgestickten Initialen hatte verzieren lassen. Sie waren im Stil eines Graffiti-Takes gestaltet. Eigentlich hätte Modesta ahnen können, dass so eine Tasche direkt auf ihn deuten würde. Er war vielleicht in großer Eile gewesen, als er sie hier, in der Wohnung von Kendra Dunham zurückgelassen hatte.

Ich zog den Reißverschluss auf und spreizte die Tasche auseinander.

Zum Vorschein kamen mehrere Waffen. Eine Automatik, eine Beretta, ein 38er Smith & Wesson-Revolver, eine zierliche 22er und eine handliche Maschinenpistole vom Typ Uzi.

Ich fasste natürlich keine der Waffen an.

Um die würde sich unser Labor kümmern. Stattdessen wandte ich mich an Kendra Dunham. „Wie wär's, wenn Sie uns das hier mal etwas näher erklären, Miss Dunham? Ich wette, es gibt für keine dieser Waffen eine offizielle Lizenz. Und Sie werden sicher mitbekommen haben, dass die Waffengesetze des Staates New York relativ streng sind.“

„Donald hat mich gebeten, die Tasche hier aufzubewahren! Ich hatte keine Ahnung, was sich darin befand!“, behauptete sie.

Ein Waffen-Depot in Kendra Dunhams Wohnung - das machte durchaus Sinn. Mir kam der Gedanke, dass Donald Modesta vielleicht auch noch andere Dinge schön gleichmäßig auf seine Schlupflöcher verteilt hatte, um das Gesamtrisiko zu minimieren. Belastende Geschäftsunterlagen zum Beispiel.

In diesem Augenblick klingelte es an der Tür.

„Erwarteten Sie Besuch?“, fragte Milo.

Aber Kendra Dunham schien ehrlich überrascht zu sein. Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, eigentlich nicht.“

„Öffnen Sie ruhig“, sagte ich.

8

In der Tür von Kendra Dunhams Wohnung stand ein Mann mit hellblonden, fast weißen Haaren und sehr blasser Haut. Seine Augen wirkten angestrengt, der Blick machte einen unruhigen Eindruck.

Der Mann war sehr dürr, aber der gute Dreiteiler, den er trug, hatte trotzdem eine nahezu perfekte Passform und war vermutlich maßgeschneidert.

„Miss Dunham?“

„Ja?“

„Wie ich sehe haben Sie Besuch...“

„Zwei Agenten des FBI.“

„Dann komme ich ja gerade noch rechtzeitig.“

Kendra Dunham schien ihn zu kennen. Der Mann im grauen Dreiteiler trat ein und hielt uns seine Visitenkarte entgegen. „Michael Seales von Seales, Cromwell & Associates. Ich vertrete die Interessen von Miss Dunham. Ich hoffe, Sie haben noch keine Aussage gemacht, mit der Sie sich selbst belasten könnten, Ma'am.“

„Miss Dunham wird lediglich als Zeugin vernommen“, erwiderte ich etwas erstaunt und nahm die Visitenkarte an mich. Der Name Seales kam mir bekannt vor und zwei Sekunden später fiel mir auch ein, in welchem Zusammenhang ich ihn zuletzt gelesen hatte.

Die Anwaltskanzlei Seales, Cromwell & Associates hatte Harry Pazzi in all seinen Prozessen sehr erfolgreich vertreten. Und wann immer irgendjemand, der in Pazzis Sold stand, unter Anklage stand, tauchte ein Mitarbeiter dieser Kanzlei auf, um für juristische Unterstützung zu sorgen.

„Darf ich die schriftliche Bestätigung darüber sehen, dass Miss Dunham sich tatsächlich von Ihnen anwaltlich vertreten lässt?“, fragte ich.

Seales griff in seine Jackettinnentasche und gab Kendra Dunham ein zusammengefaltetes Dokument und einen von blitzendem Chrom überzogenen Edelkugelschreiber.

„Unterschreiben Sie Miss Dunham, dann hat alles seine Ordnung und diese Gentlemen werden Sie nicht länger belästigen.“

Kendra schien im ersten Augenblick etwas unschlüssig zu sein, was sie tun sollte. Dann ging sie zum Wohnzimmertisch, legte das Dokument darauf und unterschrieb, ohne sich die Zeilen überhaupt durchzulesen. Anschließend gab sie es Seales zurück.

Auf dessen Gesicht zeigte sich ein triumphierendes Lächeln.

„Wir hätten da noch ein paar Fragen zu den Waffen, die hier gefunden wurden“, sagte ich.

„Das Gespräch ist beendet“, bestimmte Seales. „Miss Dunham wird keinerlei weitere Aussagen machen. Und falls Sie keinen Grund haben, Miss Dunham zu verhaften, sehen Sie bitte zu, dass Sie die Privaträume meiner Mandantin verlassen, in der Sie sich vermutlich unter Berufung auf Ihre Autorität als Bundesbeamten illegalen Zutritt verschafft haben.“

„Ihre Mandantin hat uns hereingebeten!“, protestierte Milo.

Der Anwalt lächelte kühl. Sein schmallippiger Mund bildete einen geraden Strich.

„Die Abteilung für interne Ermittlungen und die Staatsanwaltschaft werden diese Frage sicherlich eingehend prüfen...“, versprach er und lächelte dabei zynisch.

9

Wir nahmen die Waffen natürlich mit und mussten uns von Seales eine ellenlange und wortgewaltige juristische Belehrung darüber anhören, gegen welche Paragraphen wir angeblich verstoßen hatten und welche dienstlichen und juristischen Konsequenzen für uns damit verbunden sein würden.

Das Meiste davon war schlicht und ergreifend heiße Luft und sollte nur dazu dienen, uns einzuschüchtern.

Allerdings hatten Seales Ausführungen leider auch einen wahren Kern. Wir konnten tatsächlich im Augenblick wenig ausrichten, um Kendra Dunhams Willen zur Kooperation irgendwie günstig zu beeinflussen.

Wir klapperten noch ein paar weitere Adressen von Modestas Freundinnen ab, soweit sie uns bekannt waren. Allerdings stießen wir auf eine Mauer des Schweigens. Niemand war bereit, mit uns zusammen zu arbeiten.

„Die haben Angst“, sagte Milo, als wir uns schließlich auf dem Weg zum Bundesgebäude an der Federal Plaza befanden.

„Fragt sich nur vor wem“, gab ich zurück.

„Im Prinzip gibt es da nur zwei Möglichkeiten“, glaubte Milo. „Entweder die geschäftliche Konkurrenz wollte den ehrgeizigen Modesta aus dem Weg räumen oder der hatte Ärger mit seinem Gönner und Förderer Harry Pazzi bekommen.“

„Ich glaube nicht, dass die Konkurrenz es gewagt hätte, Modesta aus dem Weg zu räumen und dann auch noch den ganzen Club in die Luft zu jagen!“, erwiderte ich.

„Und wieso nicht?“

„Weil jeder, der so etwas tut, doch wissen muss, dass der sich dann mit Pazzi persönlich anlegt.“

„Und wenn Pazzi seine schützende Hand weggenommen hat – aus Gründen, die wir nicht kennen?“

„Dann bleibt immer noch zerstörte Club. Das „Alley Cat“ muss für Pazzi doch enorm wichtig gewesen sein. Selbst wenn dort nur halb so viele Dollars gewaschen wurden, wie die Ermittlungen unseres Kollegen Nat inzwischen ergeben haben...“

Milo seufzte. Er unterdrückte ein Gähnen und nickte dann leicht, während ich den Sportwagen an einer Ampel halten musste. „Dann hältst du es für wahrscheinlicher, dass der große Harry Pazzi sein Eigentum selbst zerstört? Jesse, das ist nicht dein Ernst...“

„Was hältst du davon: Pazzi musste befürchten, dass Donald Modesta gegenüber der Justiz auspackt, sobald er verhaftet würde und musste ihn vorher aus dem Weg räumen. Die Verwüstung des „Alley Cat“ war dabei zweitrangig.“

„Ein Kollateralschaden sozusagen.“

„Hässliches Wort, Milo. Aber ich fürchte, Pazzi sieht das so, genauso wie den Tod einiger völlig Unbeteiligter.“

Milo schwieg eine Weile, ehe er schließlich feststellte: „Dann muss Pazzi gewusst haben, dass Modestas Verhaftung bevorsteht.“

„Wäre das denn das erste Mal, Milo?“

„Nein, leider nicht.“ 

Wir erreichten schließlich das Bundesgebäude an der Federal Plaza.

Das Waffenarsenal, das wir in Kendra Dunhams Wohnung sichergestellt hatten, führten wir unseren Erkennungsdienstlern und Ballistikern zu.

Dann gingen wir in das Dienstzimmer, das wir uns teilten. Ich zog mir einen Kaffee, Milo wollte nicht. Mir knurrte der Magen, ich hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Aber noch mehr Bauchschmerzen machte mir der Fall, an dem wir gerade arbeiteten.

Ich wollte mich bei unserem für Betriebswirtschaft zuständigen Kollegen Nat Norton danach erkundigen, ob seine Ermittlungen in Sachen verdeckter Geldströme inzwischen irgendwelche neuen Erkenntnisse gebracht hatten. Aber es stellte sich heraus, dass unser Kollege bereits nach Hause gegangen war.

„Das sollten wir auch tun, Jesse“, lautete Milos Fazit, als ich wenig später mit meinem dampfenden Kaffee wieder in unserem Dienstzimmer auftauchte.

„Ich weiß nicht, aber irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, dass wir derzeit noch ziemlich im Nebel herumstochern“, meinte ich.

„Um Leuten wie Harry Pazzi an den weißen Kragen zu können braucht man Zeit, Jesse, Zeit und Geduld. Das Problem ist doch ganz einfach – wir haben einfach noch nicht genügend juristische Munition gegen ihn gesammelt. Und bevor das nicht der Fall ist, haben wir keine Chance gegen ihn.“

„Trotzdem – er muss sehr nervös sein“, glaubte ich.

Milo hob die Augenbrauen.

„Woraus willst du das bitte schön schließen?“ 

„Na, hätte er Kendra Dunham sonst gleich mit einem seiner Star-Anwälte bändigen müssen?“

10

Harry Pazzi erschien mit seinem Gefolge im Restaurant  „Michele“. Das Lokal lag nur drei Blocks von Pazzis Residenz in Little Italy entfernt. Außerdem hielt Pazzi einen Anteil von 51 Prozent an den Kapitaleinlagen des Unternehmens, von dem es in New York noch drei Filialen unter demselben Namen gab. Gehobene italienische Gastronomie in gediegenem Ambiente konnte der Gast hier genießen.

Und davon abgesehen fühlte sich Pazzi hier sicher.

Pazzis Gesprächspartner war Michael Seales von Seales, Cromwell & Associates. Pazzi hatte den blassgesichtigen Mann eine halbe Stunde warten lassen. Für Pazzis Verhältnisse war diese relativ geringe Verspätung schon fast so etwas wie ein Gunsterweis.

Pazzi setzte sich.

Dann machte er seinen Leibwächtern ein Zeichen, woraufhin die sich zurückzogen. Sie postierten sich mehr oder weniger unauffällig an verschiedenen, strategisch wichtigen Punkten innerhalb des Lokals. Unter anderem am Eingang und an der Bar, von der aus man den gesamten Raum überblicken konnte.

„Nun, wie stehen die Aktien, Mister Seales?“, fragte Pazzi, während ihm der Kellner wortlos den Rotwein hinstellte. Es war immer dieselbe Sorte. Man kannte Pazzi hier und der beleibte Mann hasste es, wenn man ihn jedes Mal aufs neue fragte, was er wünschte. Das Personal des „Michele“ war genauestens instruiert, wie es mit diesem speziellen Gast umzugehen hatte.

Das Einzige, was sich bei jedem von Pazzis Besuchen änderte war die Uhrzeit. Er kam nie zwei Mal hintereinander zur selben Zeit in das Lokal, obwohl er es fast jeden Tag besuchte, um die eine oder andere Besprechung abzuhalten. Normalerweise liebte Pazzi die Regelmäßigkeit. Er bekam immer das gleiche Menü, den gleichen Wein, die gleiche Nachspeise.

Dass er zu so unterschiedlichen Tageszeiten hier auftauchte, hatte allein Sicherheitsgründe.

„Kendra Dunham hat Geld verlangt“, sagte Seales.

„Wie viel?“

„Hunderttausend.“

„Die Dame überschätzt sich wohl etwas.“

„Würde ich auch sagen – zumal sie uns nicht substanziell schaden könnte.“

„Was haben Sie ihr gesagt?“

„Dass ich Ihnen ihre Forderung ausrichten würde, ich ihr aber nichts versprechen könnte.“

„Sagen Sie ihr zu.“ Pazzi seufzte und nippte an seinem Weinglas. „Sie mag unverschämt sein, aber sie hat offenbar einen guten Instinkt für den richtigen Moment. Wir haben im Augenblick so viel Ärger, dass es besser ist, hunderttausend Dollar an Kendra Dunham zu bezahlen und damit zumindest an einer Front Ruhe zu haben.“

„Wie Sie meinen, Mister Pazzi. Aber da ist noch etwas, das Sie wissen sollten.“

Pazzi hob die Augenbrauen. „So?“

„Kendra Dunham hat in ihrer Wohnung ein kleines privates Waffenarsenal für Donald Modesta aufbewahrt.“

„Könnten wir dadurch in irgendetwas hineingezogen werden?“

Seales zuckte die Achseln. „Das FBI war schon dort, als ich bei Kendra eintraf und um ein Haar hätten die G-men sie so in die Mangel genommen, dass sie bereitwillig geplaudert hätte, zumal sie wohl ziemlich schockiert von dem war, was sich im „Alley Cat“ abgespielt hat.“

„Das meine ich nicht. Wenn Kendra hunderttausend bekommt, wird sie dicht halten, da bin ich mir sicher. Nein, ich spreche von diesen Waffen? Je nachdem, wann und wobei die schon benutzt wurden...“

„Mister Pazzi, ich habe wirklich keine Ahnung.“

Harry Pazzi atmete tief durch und nahm noch einen weiteren Schluck Wein. „Dann werden wir wohl abwarten müssen, ob da noch irgendwelche Leichen im Keller liegen....“

„Ich fürchte ja, Sir. Und dann ist da noch etwas.“

Pazzi zog die Augenbrauen zusammen, sodass eine deutlich sichtbare Furche in der Mitte seiner Stirn entstand.

„Heute bringen Sie mir die schlechten Nachrichten Scheibchenweise, was?“

„Ich habe einen Anruf bekommen. Die Sache mit Wien ist noch nicht ausgestanden.“

Pazzi lehnte sich zurück. „Okay, reden Sie, Seales!“

11

Am nächsten Morgen wurden wir ins Büro unseres Chefs zu einer Besprechung gerufen. Außer uns waren auch noch die Agenten Caravaggio und Medina sowie unsere Innendienstler Max Carter und Nat Norton anwesend.

Mandy versorgte uns mit ihrem berühmten Kaffee, während Mr McKee noch ein Telefongespräch führte.

Nachdem er aufgelegt und Mandy den Raum verlassen hatte, wandte er sich uns zu. Sein Gesicht wirkte ernst.

„Ich habe gerade noch einmal mit den Kollegen der SRD in der Bronx gesprochen. Inzwischen steht fest, welche Sprengstoffsorte verwendet wurde. Ich erspare Ihnen die chemischen Einzelheiten, dazu bekommen wir in Kürze ein ausführliches Dossier. Aber interessant ist, dass wir ein paar Tage vorher den Hinweis eines Informanten bekamen, wonach sich jemand eine erhebliche Menge dieses Sprengstoffs auf dem schwarzen Markt besorgt haben soll. Eine Menge, die im Übrigen nach Angaben unserer Sprengstoffspezialisten durchaus ausgereicht hätte, um das „Alley Cat“ in die Luft zu sprengen.“

„Ist der Informant zuverlässig?“, fragte ich.

„Das ist er“, bestätigte Mr McKee und nickte in Richtung von Clive Caravaggio. Der blonde Italoamerikaner war nach unserem Chef die Nummer Zwei in unserem Field Office. „Clive arbeitet seit Jahren immer wieder mal mit ihm zusammen.“

„Bis jetzt hatten wir nur gute Erfahrungen diese Quelle. Ich werde so schnell wie möglich ein Treffen vereinbaren, um Näheres zu erfahren.“

„Vielleicht kommen wir in unseren Ermittlungen dann ja endlich ein Stück weiter“, meinte Mr McKee. „Im Übrigen hat sich noch etwas anderes ergeben, was den ganzen Komplex Modesta/Pazzi vielleicht in einem neuen Licht erscheinen lässt. Max...“

„Ja, Sir?“

„Sie haben das Wort.“ 

Unser Kollege Max Carter erhob sich und aktivierte sein Laptop und den dazu gehörenden Beamer. Er projizierte ein Bild an die Wand, das aus einem schlechten Spielfilm hätte stammen können. Ein rothaarige Mann in dunkler Lederjacke erdrosselte einen Mann im konservativen Dreiteiler.

„Dies ist der Screenshot einer Wettercam, den ein gewisser Robert Ballinger aus New York City aufgenommen hat, als er sich via Internet über das Wetter in Wien informieren wollte. Ballinger hat beobachtet, wie der Rothaarige das Opfer getötet und in den Fluss geworfen hat. Zuvor wurden der Leiche alle identifizierenden Attribute abgenommen. Natürlich sind die österreichischen Behörden sofort informiert worden, aber weder ist die Leiche inzwischen aufgetaucht noch gibt es einen Hinweis auf den Täter. Allerdings ist es unserer Abteilung inzwischen gelungen, das Opfer zu identifizieren.“

Max Carter zeigte uns nun eine andere Aufnahme.

Der Mann im Anzug war darauf schätzungsweise ein Jahrzehnt jünger. Die Aufnahme war bei einer Verhaftung gemacht worden. „Es handelt sich um Jason Delgado aus Yonkers. Unseren Erkenntnissen nach hat er in großem Stil Drogengelder gewaschen und über Liechtenstein und die Cayman Islands umgelenkt. Es gab mehrere Prozesse gegen ihn. Als es schließlich wirklich brenzlig für ihn wurde, tauchte er unter und entzog sich der Justiz. Er ist seitdem nicht mehr aufgetaucht.“ 

„Der springende Punkt ist, dass es einen Zusammenhang mit Harry Pazzi gibt“, erklärte Mr McKee nun.

Clive Caravaggio hob die Augenbrauen. „Dann war Jason Delgado gewissermaßen ein Kollege von Donald Modesta.“

„Richtig“, stimmte Max Carter zu. „Und dass gleich zwei Geldwäscher, die Beide höchstwahrscheinlich für Harry Pazzi tätig sind beziehungsweise waren, innerhalb so kurzer Zeit ermordet werden, das kann meiner Ansicht nach kein Zufall sein.“

Mr McKee wandte sich an Milo und mich. „Clive und Orry haben mit dem Informanten in Sachen Sprengstoff eine Weile zu tun. Ich möchte daher, dass Sie beide nach Yonkers fahren und eine gewisse Rosalyn Delgado aufsuchen.“

„Wer ist das? Seine Frau?“, fragte Milo.

Mr McKee schüttelte den Kopf. „Nein, seine Schwester und so weit Max ermitteln konnte die einzige lebende Angehörige von Jason Delgado.“

Details

Seiten
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783738911022
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juni)
Schlagworte
bilder mordes kriminalroman

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Bilder eines Mordes: Kriminalroman