Zusammenfassung
von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 246 Taschenbuchseiten.
Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. DER KILLER VON HAMBURG: Ein furchtbarer Fund in einem unbewohnten Haus in Hamburg ruft Kommissar Uwe Jörgensen und sein Team auf den Plan. Morde geschehen und ein tot geglaubter Profi-Killer tritt ins Rampenlicht. Kommissar Jörgensen kommt einer weitreichenden Verschwörung innerhalb des organisierten Verbrechens auf die Spur. DER HACKER: Er nennt sich "The Virus" - und er ist einer der berüchtigsten Hacker aller Zeiten. Und er versucht den Coup seines Lebens zu machen, indem er die Zugangscodes der Pentagon-Rechner knackt und an den chinesischen Geheimdienst zu verkaufen versucht.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Zwei Krimis: Der Killer von Hamburg & Der Hacker
von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 246 Taschenbuchseiten.
Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. DER KILLER VON HAMBURG: Ein furchtbarer Fund in einem unbewohnten Haus in Hamburg ruft Kommissar Uwe Jörgensen und sein Team auf den Plan. Morde geschehen und ein tot geglaubter Profi-Killer tritt ins Rampenlicht. Kommissar Jörgensen kommt einer weitreichenden Verschwörung innerhalb des organisierten Verbrechens auf die Spur. DER HACKER: Er nennt sich "The Virus" - und er ist einer der berüchtigsten Hacker aller Zeiten. Und er versucht den Coup seines Lebens zu machen, indem er die Zugangscodes der Pentagon-Rechner knackt und an den chinesischen Geheimdienst zu verkaufen versucht.
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Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
Der Killer von Hamburg: Kriminalroman
Thriller von Alfred Bekker
Ein furchtbarer Fund in einem unbewohnten Haus in Hamburg ruft Kommissar Uwe Jörgensen und sein Team auf den Plan. Morde geschehen und ein tot geglaubter Profi-Killer tritt ins Rampenlicht. Kommissar Jörgensen kommt einer weitreichenden Verschwörung innerhalb des organisierten Verbrechens auf die Spur.
Prolog
Ich heiße Uwe Jörgensen, bin Kriminalhauptkommissar und gehöre als solcher zur KriPoEGBu.
Ja, eine solche Abkürzung klingt nach einem übel schmeckenden Medikament oder nach einer Ausführungsbestimmung im Steuerrecht. Irgendetwas, was kompliziert, teuer und unangenehm ist. Aber ich kann Ihnen versichern, auf die KriPoEGBu trifft das nicht zu.
Die Abkürzung steht für „Kriminalpolizeiliche Ermittlungsgruppe des Bundes“, und wir sind dem Bundeskriminalamt formal angegliedert, aber unsere Büros befinden sich im Polizeipräsidium Hamburg. Formaljuristisch sind wir ein Teil unserer hanseatischen Kripo, denn Polizei ist Länder-Sache, und wir hätten sonst nur sehr eingeschränkte Befugnisse hier vor Ort. Klingt wie ein Wirrwarr? Ist ein Wirrwarr. Aber nur in der Theorie. In der Praxis klappt das alles ganz gut. Bürokratie ist immer das, was Beamte daraus machen. Und Beamte sind Menschen. Auch, wenn viele das nicht glauben wollen, aber es ist so. Menschen wie mein Kollege Roy Müller und ich. Unsere Abteilung greift dann ein, wenn andere nicht mehr weiter wissen. Oder wenn eine Koordinierung zwischen den Polizeibehörden verschiedener Länder nötig ist. Ich will da nicht in die Einzelheiten gehen. Es sind die größeren Fälle, in denen unser Einsatz vonnöten ist.
In der Praxis sage ich meistens nur: „Jörgensen, Kripo.“
Das reicht.
Absolut.
Und wenn ich sehr geschwätzig bin, was nicht so oft vorkommt, dann sage ich: „Jörgensen, Kripo Hamburg.“
Wenn ich den Leuten mit unserer offiziellen Bezeichnung komme, sagen die nur: „Ich hab' schon eine Versicherung, besten Dank. Und ich kaufe auch nichts.“
Wie gesagt, es sind die größeren Fälle, mit denen wir uns befassen.
Die Wichtigen.
Oder die Schwierigen. Manchmal auch einfach nur das, was liegen geblieben ist und wofür sich niemand anderes zuständig fühlt. Es ist immer dasselbe, aber das kennt man ja aus anderen Bereichen. Oder etwa nicht?
*
Ich saß am Hafen und sah den großen Containerschiffen zu, wie sie einfuhren, wie sie be- und entladen wurden und sich mit einer so majestätischen Langsamkeit auf ihr Terminal zubewegten oder sich von ihm entfernten, dass es mich immer an die Art und Weise erinnerte, in der sich große Tiere bewegen. Elefanten zum Beispiel. Ich saß am Kai und angelte.
Irgendwas zappelte an meiner Angel. Das kam nicht oft vor. Das Angelrevier, das ich mir ausgesucht hatte, war auch nicht gerade ergiebig. Das war auch okay.
Genau in diesem Moment klingelte mein Handy.
Ich hatte aus irgendeinem Grund vergessen, es abzuschalten.
Wenn man abschalten will, musste man das Handy abschalten.
Wirklich.
Alter Grundsatz.
Nie befolgt.
Naja. Sowas sollte ja öfter vorkommen.
Wahrscheinlich stand mein Pflichtgefühl dagegen.
Ich langte also in die Tasche meiner Jacke und holte das Smartphone hervor.
KOLLEGE RUFT AN, stand dort in großen Buchstaben.
„So'n Schiet“, sagte ich. „Wer stört?“
„Weißt du doch“, sagte die Stimme an meinem Ohr. Sie gehörte unverkennbar meinem Kollegen Roy Müller. Unverkennbar, weil er einen sehr breiten, norddeutschen Akzent spricht. Und weil ich ihn seit Urzeiten kenne. Wir sind fast wie ein Ehepaar. Wahrscheinlich haben wir beide miteinander mehr Zeit verbracht als jeder von uns beiden mit jeder Frau, mit der er je verheiratet gewesen war. So war das eben. Das nannte man wohl den Primat des Beruflichen oder so ähnlich.
„Ich habe heute frei“, sagte ich.
„Pech für dich, dass irgendein irrer Mörder sich nicht an deine Bürozeiten halten will, Uwe.“
„Jo“, sagte ich. „Da sagst du was. Und ich fürchte, das wird man denen auch nicht mehr beibringen.“
„Häh?“
„Den irren Killern. Dass Sie sich an die Bürozeiten halten sollen.“
„Komm so schnell wie möglich in die Zentrale. Der Chef will, dass wir alle dabei sind.“
„Klingt bedrohlich.“
„Ist bedrohlich, Uwe.“
„Bin am Angeln.“
„Tja, besser, du lässt den Fisch jetzt wieder schwimmen, falls du überhaupt einen an der Angel hast!“
„Na, hör mal!“
„Ich kenn dich doch, Uwe.“
„Ach, wirklich?“
„Du bist für eine Menge Sachen talentiert. Angeln gehört nicht dazu, würde ich mal sagen.“
„Vielleicht kennst du mich doch nicht so gut, wie du glaubst, Roy.“
„Doch, doch...“
„Naja...“
„Hauptsache, du tauchst bald da auf, wo der Chef dich gleich haben will.“
„Jo“, sagte ich. Nicht „Ja“, sondern „Jo“. Mit sehr kurzem 'o' übrigens. Und dieses „Jo“ machte eigentlich klar, dass das Gespräch beendet und die Sache geklärt war. Ein „Jo“ wie ein Punkt. Und manchmal auch wie ein Ausrufungszeichen. Wenn da einer war, der gar nicht hören konnte. Oder wollte. Oder ein lauter Wind pfiff, das kam ja schließlich auch vor.
*
An der Angel zappelte nichts mehr. Vielleicht war das auch nur Einbildung gewesen. Manchmal ist der Wunsch Vater des Gedankens.
Ich packte mein Zeug zusammen.
„Sagen Sie mal, darf man da eigentlich überhaupt angeln?“, sprach mich ein Rentner in beigefarbener Abenteuerweste von der Seite an. Ich hatte ihn nicht bemerkt.
Ich nahm meinen Dienstausweis heraus und zeigte ihm den. „Ist 'ne verdeckte Ermittlung. Bitte erregen Sie kein unnötiges Aufsehen.“
„Na, wenn dat so ist“, sagte der Rentner.
„Ist so.“
„Steckt man ja nicht drin.“
„Nee.“
„Aber eigentlich ist das Angeln hier nicht erlaubt, glaube ich.“
„Schönen Tag noch.“
Manchmal bricht alles auf einmal über einen herein.
„Ja, ich sag ja nur“, sagte der Rentner, und ich war eigentlich schon ein Stück weiter. Aber für den Kerl ist das noch nicht erledigt. Bei manchen ist das so. Da wird irgendwann mit zunehmendem Alter das Rechthaber-Gen umgelegt. Dann fangen diese Leute an, Falschparker aufzuschreiben. Oder sie werden sogenannte Wutbürger, die gegen alles und jedes sind und gegen jedes Straßenschild eine Volksbefragung zu organisieren versuchen. Und manchmal prozessieren sie auch gegen Kindergeschrei oder Jugendliche auf Bolzplätzen. Und die ganz üble Sorte vergiftet Hunde und Katzen, die überall herumkacken. Ehrlich gesagt, für letztere habe ich sogar Verständnis. Aber sollte man besser nicht sagen. Jedenfalls nicht als Polizist.
„Ja, ich sag ja nur“, sagte der Rentner nochmal und diesmal lauter, sodass ich es auf den zwanzig Metern, die ich inzwischen schon zurückgelegt habe, auch auf jeden Fall mitbekommen muss. „Wenn man schon bei der Polizei ist, sollte man sich wenigstens selbst an die Gesetze halten, finde ich! Ich habe schließlich mein Leben lang Steuern gezahlt!“
Ich konnte es mir nicht verkneifen.
Ich drehte mich um und rief: „Dummes Gequatsche ist seit dem Ersten strafbar! Haben Sie das noch nicht gewusst? Da steht lebenslänglich drauf!“
*
Also, vielleicht sollte ich an dieser Stelle ein paar Dinge richtig stellen, sonst bekommen Sie einen falschen Eindruck von mir.
Vielleicht denken Sie: 'Typisch Beamter, will nur seine Ruhe.'
Oder Sie denken: 'Und so eine Schnarchnase soll das Gesetz gegen Kriminelle verteidigen? Na, dann gute Nacht, Hamburg!'
Ich bin in Wahrheit nicht so schnarchnasig, wie Sie jetzt vielleicht denken.
In Wahrheit bin ich ein dynamischer Vulkan.
Naja, so dynamisch und explosiv, wie Menschen aus dem Norden, die sprachlich über den spitzen Stein stolpern eben sein können. Alles ist ja relativ, wie Einstein schon herausgefunden hat. Ein temperamentvoller Italiener werde ich in diesem Leben nicht mehr. Noch nichtmal ein quasseliger Rheinländer. Aber ich brenne 24 Stunden am Tag für meinen Job, den Schwachen zu helfen, den Opfern von Gewalttaten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und dafür zu sorgen, dass das organisierte Verbrechen nicht Überhand nimmt. Manchmal schlafe ich nur vier Stunden. Gangster haben nämlich die unangenehme Eigenschaft, sich nicht an die Dienstpläne unserer Abteilung zu halten. Wir müssen aktiv sein, wenn die Halunken es auch sind. Das ist nunmal so. Ich ernähre mich von ungesunden Hot Dogs, weil ich oft keine Zeit für anderes habe. Und wenn ich deswegen eine Plautze kriege, sollte man das wie eine Kriegsverletzung ansehen, die ich man sich eben im Kampf gegen das Verbrechen holen kann.
Aber wenn ich dann mal einen Tag frei habe, dann will ich nur Ruhe.
Dann sitze ich zum Beispiel am Wasser und halte die Angel hinaus.
Wo wir schon bei der Wahrheit sind: Ich mag gar keinen Fisch. Ich habe auch nicht den Verdacht, dass da, wo ich sitze sonderlich viele davon herumschwimmen. Ich persönlich als Fisch würde mir jedenfalls ein anderes Gewässer suchen.
Aber kann man in unserer Leistungsgesellschaft einfach nur rumsitzen? Man ist sofort verdächtig. Wieso sitzt der da so? Was glotzt der? Oder wenn man die Augen geschlossen hat, um sich wie Buddha ganz in sich selbst zu versenken, dann denkt jeder: Ist der besoffen?
Dem Rentner, der mich so doof angemacht hatte, hätte ich auch sagen können: „Ich angle gar nicht. Ich bade nur einen Wurm.“ Ist mir aber zu spät eingefallen. Das ist manchmal so. Die besten Sachen fallen einem zu spät ein. Und davon abgesehen, weiß man ja nie, an wen man so gerät. Aktivisten für das Menschenrecht von Würmern, dreckig zu bleiben, soll es ja auch geben...
Mein freier Tag war mir heilig.
Die wenigen Augenblicke inneren Friedens wollte ich genießen.
Leider kannten die dunklen Elemente der Stadt keinen Respekt vor heiligen Dingen.
Also musste ich los.
Ermitteln.
„Mein Gott, Roy, das nächste Mal suche ich mir einen Angelplatz im Funkloch“, murmelte ich vor mich hin, während ich schon im Wagen saß und mich durch den Verkehr quälte.
Aber sowas finde mal in einer Großstadt wie Hamburg!
Ein Funkloch meine ich.
1
An einer anderen Stelle in der Stadt, zu einer anderen Zeit...
Immer schon hatte es geheißen, das Haus sei böse.
Übel.
Unheimlich. Ein Ort, den man besser mied.
Ein Geisterhaus.
Aber genau das zog manche aus bestimmten Gründen hier her.
Kinder zum Beispiel.
Oder Penner.
Und Ratten.
*
„Los, kommt schon! Oder traut ihr euch nicht?“
Marvin-Julian Pellemeier hatte ein Brett aus dem vernagelten Fenster des heruntergekommenen Hauses heraus gebrochen. Der neunjährige Junge mit den rotblonden, etwas wirren Haaren, stand auf der Fensterbank und blickte sich zu den anderen um. Insgesamt sechs Jungen zwischen zehn und zwölf Jahren bildeten dort mit verschränkten Armen und skeptischen Blicken einen Halbkreis. Marvin-Julian war der Jüngste in ihrer Bande, die sich einfach ‚Die Gang’ nannte. Oft genug hatten sie sich über ihn lustig gemacht. Aber heute konnte er auftrumpfen.
„Hey, was ist? Seid ihr feige oder traut ihr euch was?“
Das Geisterhaus – so hieß das seit einem Jahr leer stehende Gebäude bei den Kids in der Umgebung. Es war einfach unheimlich – schon deswegen, weil um das Gebäude herum immer wieder tote Ratten zu finden waren. Marvin-Julian gelang es, noch ein weiteres Brett zu lösen. Die entstandene Öffnung war jetzt groß genug, um ins Innere gelangen zu können. Dunkel war es dort. Schatten tanzten.
Und der Geruch hätte Marvin-Julian eigentlich warnen müssen...
Eigentlich...
Aber da war es wohl schon zu spät.
2
Brasewinkel Straße 345...
Der Geruch, der aus dem Inneren des Gebäudes drang, war so stechend, dass Marvin-Julian innerhalb von Augenblicken Nase und Augen schmerzten. Ihm verschlug es den Atem. Aber nun konnte er nicht mehr zurück. Dazu hatte er sich zu weit vorgewagt. Jetzt einen Rückzieher zu machen, hätte bedeutet, sich vor den anderen bis auf die Knochen zu blamieren. Genau das erwarteten sie ja von ihm.
Nein, dachte er, ich werde es ihnen zeigen! Sie werden nicht sehen, dass ich Angst habe!
Marvin-Julian sah in die Gesichter der Gangmitglieder.
Einige grinsten. Andere sahen einfach nur interessiert zu und warteten ab.
„Wetten, dass du dich doch nicht traust!“, meinte Paul, der Älteste in der Gruppe. Er war der Anführer. Geräuschvoll räusperte er sich und spuckte aus. „Ist doch immer dasselbe mit dem Kerl! Erst gibt er groß an, nachher ist nichts dahinter.“
„Ich sag euch Feiglingen nachher, was innen zu sehen war!“, rief Marvin-Julian.
„Ha, ha!“, machte Paul und verzog das Gesicht dabei zu einer Grimasse. „Mach nur! Wir warten gespannt ab.“
„Besser nicht!“, äußerte sich Burat.
Burat war zehn, hatte eine Brille mit ziemlich dicken Gläsern und galt bei den anderen als der Vorsichtige in der Gruppe.
Er traute sich am wenigsten und verletzte sich trotzdem am Häufigsten von allen, was vor allem damit zusammenhing, dass er ziemlich ungeschickt war. „Lass es besser bleiben, Marvin-Julian“, meinte er. „Wer weiß, vielleicht ist sogar noch der Penner da drin...“
Burat spielte darauf an, dass sie vor einiger Zeit einen Obdachlosen auf dem Gelände beobachtet hatten. Es hatte wie aus Eimern geschüttet und die Jungen waren gerade von der Schule gekommen, als sie die abgerissene Gestalt in dem fleckigen, völlig durchnässten Regenmantel auf das Geisterhaus hatten zugehen sehen.
Er hatte kurz zu ihnen hinübergeblickt.
Tief liegende Augen und fast völlig von einem verfilzten Bart überwuchertes, sehr hohlwangiges Gesicht hatten ihn ziemlich unheimlich aussehen lassen. ‚Der Mann mit dem Loch im Bart’ hatten sie ihn genannt, weil es da eine ziemlich eigenartig aussehende Lücke in diesen ansonsten alles überwuchernden Haaren gegeben hatte.
„Quatsch, der ist längst weg!“, meinte Marvin-Julian.
Wie hätte er den Gestank da drinnen auch aushalten sollen?, ging es dem Jungen dabei durch den Kopf.
„Und wenn nicht?“
„Wenn jemand von euch Mut hat, kommt er mit“, sagte Marvin-Julian. „Die anderen sollen in Zukunft in der Schule besser auf die Mädchentoilette gehen, denn da gehören sie hin!“
„Angeber!“, rief Paul.
Dann sprang Marvin-Julian hinunter. Dabei trat er auf etwas Weiches, dass sich im Schatten befunden hatte. Er taumelte, ging zu Boden und kam hart auf. Eine klebrige, zähflüssige Substanz befand sich dort.
Das Zeug roch so ekelhaft, dass er sich um ein Haar erbrochen hätte.
Aber Marvin-Julian war wild entschlossen, sich zusammenzureißen und keine Schwäche zuzugeben.
„Na, lebst du noch?“, hörte er Pauls vor Hohn und Spott nur so triefende Stimme von draußen.
„Super gemütlich hier!“, behauptete Marvin-Julian. Er musste Husten. In seinem Hals brannte es jetzt genauso wie in seinen Augen und in der Nase. Der Magen begann ihm ebenfalls wehzutun.
Vorsichtig erhob er sich. Das klebrige Zeug wischte er am T-Shirt ab.
Ärger mit seiner Mutter war jetzt sowieso vorprogrammiert. Er blickte auf das weiche Ding, auf das er beim Sprung aufgekommen war.
Marvin-Julian trat einen Schritt auf dieses Ding zu.
Seine Augen gewöhnten sich mehr und mehr an das Halbdunkel, das im Inneren des Gebäudes herrschte, und so erkannte er jetzt, was es war.
Er stieß einen kurzen, entsetzten Schrei aus.
„Was ist los?“, rief Burat von draußen.
„Hier liegt ´ne tote Katze!“, stieß Marvin-Julian röchelnd hervor. Er rang nach Luft. Alles begann sich vor seinen Augen zu drehen. Er versuchte noch, sich an der Wand festzuhalten, rutschte dann aber an ihr zu Boden.
Dabei stieß er ein paar unartikulierte Laute aus.
Den anderen Mitgliedern der Gang stockte der Atem.
Sie standen wie erstarrt da. Niemand rührte sich. Sie lauschten, ob sich innen noch irgendetwas tat.
„Marvin-Julian?“, rief Paul.
Aber er bekam keine Antwort.
„Marvin-Julian, was ist los?“
„Vielleicht ist er verletzt und kann sich nicht helfen“, vermutete Burat.
„Wir sehen uns das an!“, bestimmte Paul. Er kletterte auf die Fensterbank. Als ihm von innen der stechende Geruch entgegen schlug, verzog er angewidert das Gesicht. „Das riecht ja wie ein Rattenfurz!“, meinte er, um cool zu wirken. Dann steckte er seinen Kopf durch die Öffnung.
Dort unten, auf dem Boden, lag Marvin-Julian und rührte sich nicht. Auch ihm selbst wurde plötzlich ganz schlecht.
Aber er riss sich zusammen. „Marvin-Julian liegt da unten und rührt sich nicht“, rief er.
Er stieg jetzt ebenfalls durch die Öffnung, brach dabei noch ein weiteres Brett heraus und sprang schließlich ins Innere.
Die anderen standen wie erstarrt da.
Niemand rührte sich. Von Paul waren nur noch ein paar Geräusche zu hören. Dann nichts mehr.
„Besser wir holen Hilfe“, meinte Burat.
Niemand unter den anderen Mitgliedern der Gang hielt ihn deswegen für einen Feigling.
3
Als wir die Adresse in der Brasewinkel Straße erreichten, war dort bereits alles mit Einsatzfahrzeugen verstellt. Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, der ganze Zirkus eben.
Ich parkte den Sportwagen auf dem Bürgersteig. Roy und ich stiegen aus und gelangten wenig später an eine Flatterband-Absperrung. Kollegen in Uniform hielten dort Wache. Wir zeigten unsere Ausweise vor und wurden durchgelassen.
„Wer leitet den Einsatz hier?“, fragte ich.
„Ja, mal immer mit der Ruhe“, sagte mein Gegenüber.
„Wenn ich heute noch Auskunft bekäme, wär das toll.“
„Wir sind auf der Arbeit, nicht auf der Flucht.“
„Ach, ja?“
Der Uniformierte deutete auf einen korpulenten Mann mit roten, kurz geschorenen Haaren. „Das ist der Chef!“
„Danke.“
„Jo, gern geschehen.“
„So kann man sich täuschen.“
„Wie?“
„Ach, nix.“
Wir gingen auf den Rothaarigen zu und stellten uns vor.
„Uwe Jörgensen, Kripo Hamburg. Dies ist mein Kollege Roy Müller.“
„Polizeiobermeister Robert Dennerlein“, erwiderte der 'Chef'. „Ich habe schon auf Sie gewartet. Wie viel wissen Sie denn schon?“
„Nur, dass es hier ein Haus voller Gift geben soll, das in Zusammenhang mit geplanten Terroranschlägen stehen könnte!“, sagte ich.
Dennerlein nickte. „Dieses Gebäude ist bis unters Dach mit völlig unzureichend gesicherten Behältern voll gestellt, die hochgiftige Substanzen beinhalten. Darunter offenbar auch Stoffe, die Dioxin enthalten sowie stark ätzende Substanzen. Kinder haben auf dem Gelände gespielt. Zwei Jungen sind durch ein Fenster gestiegen und wurden kontaminiert.“
„Wie geht es ihnen?“, fragte Roy.
Dennerlein hob die Augenbrauen und machte ein sehr ernstes Gesicht. „Der Rettungsdienst hat sie abgeholt und in das Albert Schweizer Krankenhaus gebracht. Es waren noch fünf weitere Jungen – alle so um zehn Jahre – dabei. Die haben schließlich auch dafür gesorgt, dass Hilfe geholt wurde.“
„Wo sind diese fünf Jungen jetzt?“, fragte ich.
„Ich gebe Ihnen die Adressen. Im Moment sind sie zu Hause und stehen ziemlich unter Schock.“ Dennerlein atmete tief durch. „Ich kann viel verkraften und hab’ in meinen Dienstjahren auch schon viele Grausamkeiten gesehen – aber wenn Kinder betroffen sind, geht einem das immer schon sehr nahe.“
„Das geht mir genauso“, bekannte ich.
„Sprechen Sie am besten selbst nachher noch mit dem Einsatzleiter des Feuerwehr. Im Moment ist der noch ziemlich im Stress, weil noch nicht ganz klar ist, welche Gefahren von diesem Haus ausgehen. Inzwischen haben wir eine Spezialeinheit der Bundeswehr für ABC-Einsätze angefordert.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, man erwischt die Schweine, die diese Sauerei veranstaltet haben.“
„Wissen Sie etwas über die Besitzer dieses Gebäudes?“, fragte ich.
„Als Eigentümer ist eine Holding eingetragen, die das Gebäude vor anderthalb Jahren an einen gewissen Mahmut Talani vermietet hat.“
„So ein Zufall!“, sagte ich.
„Wieso? Ist das eine bekannte Größe?“
„Dieses Gebäude ist das vierte mit Giftfässern gefüllte Haus in Hamburg, das von Mahmut Talani gemietet wurde“, erklärte ich. „Diese Häuser enthielten leicht entflammbare Chemikalien. Bei einem Brand wären jeweils riesige Wolken aus Dioxin und ätzenden, säurehaltigen Substanzen über Wohngebieten niedergegangen.“
Dennerlein zuckte die Achseln. „Bei einem koordinierten Vorgehen hätte man auf diese Weise den ganzen Großraum Hamburg in Panik versetzen können.“
Genau das war der Grund, weshalb Kriminaldirektor Johann Detlev Hoch, der Chef unserer Abteilung, uns hier her geschickt hatte. Mahmut Talani, der mysteriöse Mieter von insgesamt vier, scheinbar an strategisch günstigen Standorten gelegenen Gebäuden, die bis unter das Dach mit hochgiftigen Substanzen angefüllt gewesen waren, war möglicherweise nur ein skrupelloser Umweltsünder – vielleicht aber auch Terrorist. Natürlich lag in solchen Fällen die Annahme einer illegalen Giftmüllentsorgung erst einmal sehr viel näher.
Aber Mahmut Talani war iranischer Abstammung, besaß aber die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er besaß exzellente Geschäftskontakte in den mittleren Osten, darunter auch zu einigen Adressen in Saudi Arabien, die beim BND seit langem auf der Liste von Firmen und Privatpersonen standen, die radikale Islamistengruppen zu unterstützen.
Unglücklicherweise war Talani unauffindbar.
Er schien wie vom Erdboden verschluckt. So als hätte es ihn nie gegeben. Ein paar Daueraufträge von verschiedenen Konten auf den Cayman-Islands sorgten dafür, dass die Miete für die mit Giftfässern gefüllten Gebäude pünktlich bezahlt wurde. Er selbst hatte zuletzt in einer Etage in der Innenstadt mit traumhaftem Blick gelebt. Aber als sich unser Erkennungsdienstler Kommissar Pascal Steinberger mit einem Team diese Wohnung vornahm, mussten wir feststellen, dass sie so gut wie nichts enthielt, was irgendeinen persönlichen Charakter hatte. Man hätte denken können, dass Mahmut Talani diese Luxuswohnung nie betreten hatte. Nicht ein einziger Fingerabdruck des Gesuchten fand sich dort, geschweige denn Material, aus dem sich eine DNA-Probe hätte gewinnen lassen oder irgendwelche persönlichen Unterlagen.
Unsere Fahndungsabteilung favorisierte die Theorie, dass Talani unter falschem Namen längst das Land verlassen hatte.
Dass wir an ihn vermutlich nicht heran kamen, damit mussten wir uns wohl oder übel abfinden müssen - nicht aber damit, dass seine Helfershelfer und Hintermänner weiterhin ihr Unwesen trieben.
Ein Team der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst traf mit erheblicher Verspätung ein. Die Kollegen dieses zentralen Erkennungsdienstes aller Hamburger Polizeieinheiten waren im Stau stecken geblieben. Bis wir genau wussten, welche Chemikalien im Inneren der Häuser gelagert worden waren, würde einige Zeit vergehen.
Roy und ich ließen uns von Dennerlein die Adressen der Jungen geben und hörten uns außerdem in der unmittelbaren Nachbarschaft des Gebäudes um.
Mehrere Zeugen sagten aus, dass sie beobachtete hätten, wie wiederholt des Nachts Lastwagen auf das Gelände gefahren wären. Allerdings war deswegen niemand misstrauisch geworden. Warum auch? Jedem in der Nachbarschaft war klar gewesen, das es sich bei dem Gebäude um ein Lagerhaus handelte.
Ein Umstand war allerdings bedeutsam.
Innerhalb der letzten Monate war so gut wie nichts mehr in das Gebäude gebracht oder von dort abgeholt worden.
Die einzige Person, die sich – abgesehen von den Jungen, aus deren Gruppe schließlich zwei ins Innere des Hauses eingedrungen waren – in dieser Zeit noch auf dem Gelände aufgehalten hatte, war ein Obdachloser.
Allerdings war dieser Obdachlose lediglich von den Kindern gesehen worden. Keiner der erwachsenen Zeugen konnte sich an ihn erinnern.
Unsere Ausbeute an Ermittlungsergebnissen war bis zum Abend ziemlich dürftig.
Die Kollegen von der Erkennungsdienst und das ABC-Spezialkommando der Bundeswehr kamen nur langsam voran. Inzwischen trafen auch noch Chemiker aus den Reihen unseres Polizeipräsidium ein, um die bereits mit der Untersuchung der Chemikalien beschäftigten Männer und Frauen zu unterstützen.
Uns wurde erst am frühen Abend gestattet, das Gebäude zu betreten. Dazu mussten Roy und ich uns in Spezialanzüge mit Atemmasken zwängen.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren mehr als ein Dutzend verschiedener, hochgiftiger Substanzen in dem Gebäude entdeckt worden. Der Verdacht, dass sich darunter große Mengen an Dioxin befanden, das insbesondere als Nervengift wirkte, sollte sich bestätigen. Darüber hinaus fanden sich Substanzen, von denen Roger Benda, der Leiter des Chemiker-Teams der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst, meinte, es könnte sich sowohl um Industrieabfälle als auch um Ausgangsstoffe für primitive Kampfstoffe handeln.
„Wenn du mich fragst, hat das hier mit Terrorismus nichts zu tun“, meinte ich an Roy gerichtet, als wir das Haus schließlich verlassen hatten. „Das sieht mir eher nach einer illegalen Mülldeponie aus.“
Je mehr die Umweltauflagen in Bezug auf die Entsorgung von Industrieabfällen und Chemikalien verschärft worden waren, desto lukrativer war der jüngste Zweig des organisierten Verbrechens geworden: der illegale Müllhandel. Was die Gewinnspannen anging, hatte dieses Business den Drogenhandel oder die Schutzgelderpressung längst in den Schatten gestellt. Die Sache funktionierte leider viel zu einfach. Die so genannte Müll-Mafia übernahm Industrieabfälle aller Art zur Entsorgung. Aber anstatt sie auf den entsprechenden Deponien zu lagern oder für eine fachgerechte Entsorgung Gewähr zu leisten, vergrub man die Fässer mit Dioxin, schwermetallhaltigen Klärschlämmen oder was sonst auch immer anfallen mochte, einfach irgendwo in der Landschaft. Manchmal wurden auch über Strohmänner Lagerhäuser angemietet, wo die hochgiftigen Substanzen dann stehengelassen wurden. Die immens hohen Entsorgungskosten wurden dabei gespart und bildeten den Gewinn, den sich die beteiligten Firmen und die Müll-Mafia aufteilten. Die Differenz zu den Kosten einer regulären Entsorgung war so gewaltig, dass es mitunter sogar lohnte, Giftmüll außer Landes zu bringen, um ihn in Afrika oder Osteuropa illegal zu entsorgen.
„Ich würde mich da nicht so schnell festlegen, Uwe“, gab Roy nach einer längeren Pause zurück. „Du lässt außer Acht, dass dieser Mahmut Talani, dem alle vier in letzter Zeit aufgefundenen Giftmüll-Lagerstätten auf dem Boden der Stadt Hamburg gehörten, zwar alle möglichen üblen Kontakte hat – aber offenbar nicht zu den Müll-Syndikaten!“
„Wir können diese Kontakte bislang nicht nachweisen – das ist aber auch alles“, erwiderte ich. „Das heißt nicht, dass sie nicht existieren.“
„Fakt ist, dass Mahmut Talani Kontakt zu radikalen islamistischen Gruppen hat und mit ihnen offenbar auch in der Vergangenheit schon gute Geschäfte gemacht hat, Uwe!“
„Ich wette, wir wüssten mehr darüber, wenn wir Herr Talani selbst befragen könnten, Roy.“
Mein Kollege grinste
„Der wird uns kaum den Gefallen tun und sich bei uns im Polizeipräsidium melden.“
„Nö“, sagte ich. „Wird er nicht.“
„Sag ich doch, Uwe.“
4
Mahmut Talani saß in einem Coffee Shop nach amerikanischem Vorbild. In einer Weltstadt wie Hamburg gab es auch so etwas. Der Coffee Shop trug den Namen „Luigi’s Lounge“, obwohl der Besitzer weder italienischer Abstammung war noch Luigi hieß. Talani hatte sich mit einem Cappuccino und ein paar Donuts an den Tisch in der hintersten Ecke gesetzt. Von hier aus konnte man den gesamten Coffee Shop gut übersehen, hatte einen freien Blick auf die Tür und konnte notfalls über den Zugang zur Küche und den Toiletten zum Hinterausgang flüchten.
Talani blickte nervös auf seine Uhr.
Der Mann, auf den er wartete, war bereits überfällig.
Ich will nicht hoffen, dass diese Ratte mich auch hereinlegen will!, ging es ihm grimmig durch den Kopf.
Ein Mann mit dunklen Locken, Mitte dreißig und von schlaksiger Statur betrat den Coffee Shop. Er hatte die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben und ließ den Blick durch das Lokal schweifen.
Sein Blick blieb kurz an dem Mann haften, der sich am Tresen hinter seiner Zeitung vergraben hatte und wanderte schließlich weiter zu Talani.
Der Lockenkopf stutzte erst. Dann näherte er sich Talanis Tisch.
„Hey, Mann, ich hätte Sie fast nicht erkannt! Mit den blonden Haaren und den blauen Augen...“
„Halten Sie Ihren Mund, Jannis und setzen Sie sich.“
Jannis nahm sich einen Stuhl und setzte sich rittlings drauf.
„Woher haben Sie denn auf die Schnelle so himmelblaue Kontaktlinsen hergekriegt?“, fragte er. „Jedenfalls sehen Sie jetzt aus wie ein Schwede!“
„Ich brauche Ihre Hilfe.“
„Kann ich mir denken. Also, was wollen Sie und wie viel sind Sie bereit dafür zu zahlen?“
„Ich brauche einen vollständigen Satz Papiere auf den Namen Björn Svenson. Besitzt sowohl die schwedische als auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.“
„Haben Sie alle nötigen Unterlagen besorgt?“
„Sicher.“
Talani holte einen braunen Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke und reichte ihn an Jannis weiter. „Da ist auch die vereinbarte Anzahlung drin. Den Rest gibt’s bei Lieferung der Ware.“
Jannis grinste, warf einen kurzen Blick in den Umschlag und steckte ihn ein.
„Okay“, meinte er.
„Wann sind Sie fertig?“
„Wollen Sie Qualitätsarbeit oder billigen Ramsch, mit dem Sie schon im Airport hier in Hamburg auffliegen?“ Jannis machte eine ausholende Geste. „Es ist nicht mehr so leicht wie früher, Pässe zu fälschen! Diese biometrischen Merkmale, die neuerdings in den Dingern drin sein müssen... Und dann auch noch schwedische Papiere! Die kennt doch kein Mensch.“
„Eben!“, erwiderte Talani. „Und bei einem schwedischen Pass schaut niemand so genau hin wie bei einem Dokument aus dem Iran oder Libyen.“
Jannis lachte. „Ihnen ist jemand ziemlich dicht auf den Fersen, was?“
„Sparen Sie sich Ihr Gequatsche“, knurrte Talani. „Sagen Sie einfach, wann Sie fertig sind!“
Talani fragte sich, weshalb Jannis so nervös war. Er blickte sich nun schon zum dritten Mal in Richtung der Fensterfront um.
Die Außentür des Coffee Shops flog zur Seite.
Zwei maskierte Männer in dunklen Rollkragenpullovern stürmten herein. Sie trugen automatische Pistolen mit aufgeschraubten Schalldämpfern.
Jannis sprang auf und schnellte zur Seite.
Talani begriff sofort, dass der Lockenkopf dies deshalb tat, um die Schussbahn freizumachen. Offenbar hatte dem Dokumentenfälscher jemand noch sehr viel mehr für seine Dienste gegeben, als er für die Anfertigung des Dokumentensatzes für einen gewissen Björn Svenson bekommen hätte.
Blutrot leckte das Mündungsfeuer aus den beiden Schalldämpferwaffen der Maskierten heraus. Zwei Schüsse wurden kurz hintereinander abgegeben. Jedes Mal entstand ein Geräusch, das wie ein heftiges Niesen oder ein Schlag mit einer Zeitung klang.
Die Kugeln fetzten durch Talanis Kleidung hindurch.
Darunter kam grauer Kevlar-Stoff zum Vorschein. Schon seit Tagen trug der Halb-Iraner sicherheitshalber eine kugelsichere Weste. Verschiedene Schichten dicht gewebter Materialien verhinderten, dass die Projektile in den Körper eindrangen. Die kinetische Energie, mit das Geschoss auftraf, wurde dabei auf eine größere Fläche verteilt. Für den Betroffenen war die Wirkung eines Treffers je nach Abstand und Kaliber mit einem kräftigen Tritt oder dem kräftigen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand vergleichbar.
Mahmut Talani stöhnte schmerzvoll auf.
Er wurde vom Stuhl geschleudert, riss gleichzeitig eine Automatik unter seiner Windjacke hervor und feuerte.
Getroffen sanken die beiden Maskierten zu Boden.
Talani hatte sie mit Kopftreffern niedergestreckt.
Stöhnend erhob er sich und betastete dabei vorsichtig seinen Brustkorb. Er konnte von Glück sagen, wenn er keine Rippe gebrochen hatte. Aber mit ein paar ausgedehnten Hämatomen musste er rechnen. Er rang nach Luft. Das Atmen schmerzte.
Jannis kauerte mit weit aufgerissenen Augen am Boden. Er hatte sich während des Schusswechsels hingeworfen, um nicht getroffen zu werden.
Jetzt zitterte er.
Den braunen Umschlag, mit Talanis Unterlagen und der Anzahlung für die falschen Papiere presste er an sich.
Talanis Gesichtsausdruck verzog sich zu einer Grimasse.
„Gib es zu, du hast diese Bastarde zu mir geführt....“
„Nein, ehrlich, ich wusste von nichts!“
Talani feuerte. Jannis’ Körper durchlief ein Ruck. Der Lockenkopf schrie auf, als die Kugel ihm in den Oberschenkel fuhr.
„Ich will die Wahrheit hören!“, beharrte Talani. „Oder ich teste mal, wie viel Blei ein menschlicher Körper so verträgt!“
Er legte kurz an, feuerte ein weiteres Mal und traf Jannis an der Hand. Der braune Umschlag rutschte blutverschmiert zu Boden.
„Ich hatte keine andere Wahl!“, schrie Jannis. „Die haben mich gezwungen!“
„Bestell Vic Noureddine schöne Grüße von mir, wenn ihr euch in der Hölle trefft!“, knurrte Talani. Sein Gesicht wurde dabei zu einer Grimasse des Hasses. Er feuerte zweimal. Die Kugeln fuhren Jannis in die Brust und die Stirn.
Talani trat an den Toten heran, um ihm die Unterlagen wieder abzunehmen, mit denen dieser die falschen Papiere hätte anfertigen sollen.
Der Halb-Iraner kniete nieder.
Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er eine Bewegung an jener Tür, die hinten heraus führte.
Talani sah nicht mehr als einen Schatten. Er ließ sich fallen, drehte sich um die eigene Achse und riss seine Waffe empor.
Aber er kam nicht mehr zum Schuss.
Ein roter Punkt bildete sich mitten auf seiner Stirn. Talani sackte leblos und mit erstarrten Augen in sich zusammen.
An der Hintertür stand der dritte Mann des Killer-Trios, das offenbar mit dem Auftrag hier her geschickt worden war, ihn zu ermorden.
Dieser Mann war ebenfalls maskiert.
Er senkte den durch einen Schalldämpfer verlängerten Lauf seiner Waffe.
Aus der Ferne waren bereits die Sirenen von Einsatzfahrzeugen der Hamburg Polizei zu hören. Vermutlich hatten Leute außerhalb des Coffee-Shops die Schüsse aus Talanis Waffe gehört, die ja nicht mit einem Schalldämpfer versehen war.
Der Maskierte nickte dem vollkommen blass gewordenen Mann hinter dem Tresen kurz zu, ehe er sich in Richtung Hinterausgang wandte und davonlief.
5
Am Vormittag des auf die Entdeckung des Giftmülllagers an der Brasewinkel Straße folgenden Tages hatten wir eine Besprechung im Büro von Kriminaldirektor Johann Detlev Hoch.
Außer Roy und mir nahmen an dieser Besprechung auch unsere Kollegen Stefan Carnavaro und Selcuk Salman teil. Der flachsblonde Italodeutsche Stefan war der stellvertretende Chef unserer Abteilung.
Von der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst nahm Roger Benda an der Besprechung teil, um uns einen vorläufigen Bericht über den Stand der Erkenntnisse im Hinblick auf das Lagerhaus in der Brasewinkel Straße zu geben. Außerdem war noch Kommissar Heinz Allwörden anwesend, ein Innendienstler, dessen Spezialgebiet das Aufspüren verborgener Geldströme war. Er hatte Betriebswirtschaft studiert und war für unsere Arbeit längst genauso wichtig wie die Unterstützung durch Ballistiker oder Gerichtsmediziner. Sowohl im Bereich der organisierten Kriminalität als auch bei der Terrorbekämpfung lieferte eine Aufdeckung getarnter Finanzströme häufig erst einen Überblick über die kriminelle Strukturen.
„Guten Morgen“, sagte Kriminaldirektor Hoch, nachdem uns seine Sekretärin Mandy Kaffee in Pappbechern serviert hatte. Kriminaldirektor Hoch nahm einen Schluck und fuhr fort. „Heute früh erreichte mich eine Meldung der Schutzpolizei. In einem Coffee Shop hat es eine Schießerei gegeben. Bei einem der Toten handelte es sich um zweifellos um Mahmut Talani. Der Hergang des Geschehens konnte noch nicht ganz rekonstruiert werden, aber Talani hat sich dort mit Tony Jannis getroffen. Jannis ist mehrfach wegen Urkundenfälschung vorbestraft und sollte Talani offenbar falsche Papiere auf den Namen Björn Svenson besorgen. Die entsprechenden Unterlagen hat Talani neben einer Anzahlung zum Treffpunkt mitgebracht.“ Kriminaldirektor Hoch atmete tief durch und berichtete anschließend, dass er unsere Kollegen Kalle Brandenburg und Hansi Morell an den Tatort beordert hätte. Anschließend erteilte er Roger Benda, dem Leiter des zuständigen Erkennungsdienst-Teams das Wort, der die bisherigen Ermittlungsergebnisse vom Tatort an der Brasewinkel Straße zusammenfasste. Dabei lieferte er unter anderem eine Liste der im Haus gelagerten Chemikalien. „Die Substanzen waren teilweise äußerst fahrlässig und unter Missachtung sämtlicher Sicherheitsbestimmungen gelagert worden“, erklärte Benda. „Besonders gefährlich sind dabei die vor allem im Obergeschoss gelagerten Plastikmüllsachen, wobei es sich um Abfälle der Verpackungsindustrie handelt. Bei einer derart dichten Lagerung kann es – gerade bei heißem Hochdruckwetter, wie wir es zurzeit in Hamburg haben – sehr leicht zur Selbstentzündung kommen. Es bestand akute Brandgefahr und in dem Fall wären hochgiftige Gase über Wohngebiete gezogen. Je nach Windrichtung hätte man halb Hamburg evakuieren müssen.“
„Haben Sie irgendetwas gefunden, was einen Verdacht im Hinblick auf terroristischer Aktivitäten erhärten könnte?“, hakte Kriminaldirektor Hoch nach.
Benda schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich habe mit den Kollegen vom Feuerwehr und den Spezialisten der Bundeswehr eingehend über dieses Thema gesprochen. Selbstverständlich ließe sich das Gebäude in der Brasewinkel Straße hervorragend als eine primitive Giftgasbombe benutzen. Besonders effektiv wäre das natürlich, wenn man durch die Detonation einer Sprengladung dafür sorgt, dass die giftigen Substanzen höher empor geschleudert werden und das Verbreitungsgebiet größer ist. Aber wir haben wirklich nicht die kleinsten Anzeichen dafür gefunden, dass so etwas vorbereitet wurde.“
„Es ist aber nun mal eine Tatsache, dass innerhalb weniger Monate vier auf ähnliche Weise mit Giftstoffen angefüllte Häuser entdeckt wurden, die alle von einem Mann angemietet worden sind, der nachweislich Kontakte zu extremen islamistischen Gruppen hatte“, gab Kriminaldirektor Hoch zu bedenken.
Benda hob die Schultern. „Der Befund am Tatort deutet eher auf Machenschaften der Müll-Mafia hin. Sie kennen das alte Spiel ja: Giftmüll wird zur angeblichen Entsorgung angekauft und dann irgendwo illegal gelagert. Bis diese Lager dann entdeckt werden oder sich von allein entzünden, sind die Strohmänner längst untergetaucht.“
„Dann müsste man eigentlich erwarten, dass es irgendeine Verbindung zwischen Talani und den Syndikaten gibt, die sich im Müll-Geschäft so tummeln“, meinte Kriminaldirektor Hoch.
„Da gibt es vielleicht etwas!“, meldete sich nun Kommissar Heinz Allwörden zu Wort. Unser Fachmann für Betriebswirtschaft zog damit die interessierten Blicke aller auf sich. Heinz lehnte sich zurück und sagte: „Talani befindet sich ja bereits seit Monaten in der Fahndung, und ich habe seine finanziellen Verhältnisse in dieser Zeit bis ins kleinste durchleuchtet. Dabei stieß ich auf einen geschäftlichen Kontakt mit einer Firma namens SAD GmbH & Co. auf den Cayman Islands. Wahrscheinlich nur eine Briefkastenfirma. Tatsache ist aber, dass dieselbe Firma auch geschäftliche Kontakte mit der Firma Trans-Act Inc. hat, von der wir seit kurzem wissen, dass sie zu hundert Prozent im Besitz von Vic Noureddine ist, der als graue Eminenz im illegalen Müllhandel in Deutschland und Nordeuropa gilt.“
Der Name Vic Noureddine war uns allen ein Begriff. Wir verdächtigten ihn seit langem, eines der größten Syndikate zu leiten, die auf dem Gebiet der illegalen Müllentsorgung tätig waren. Leider war es bislang unmöglich gewesen, an ihn heranzukommen. Noureddine ließ sich zwar einerseits gerne als Paten von St. Pauli bezeichnen und schien es zu mögen, wenn alle Welt vor ihm zitterte. Aber juristisch ließ er nicht das Geringste anbrennen. Sein Vorstrafenregister wies wahrscheinlich nicht einmal eine Verwarnung wegen Falschparkens auf. Auch wenn der eine oder andere nur staunend den Hals verrenken konnte, wenn er sah, mit welcher Rasanz Noureddines Vermögen in den letzten Jahren angewachsen war, so hatten es weder das Kripo Hamburg noch die Steuerfahndung geschafft, ihm irgendetwas zu beweisen, was gegen das Gesetz verstieß. Noureddine war der typische Vertreter einer Gattung namens „weißer Kragen Täter“. Syndikate in der Müll-Branche waren im Allgemeinen so aufgebaut, dass von den Strafverfolgungsbehörden allenfalls die Strohmänner oder Spediteure ins Netz der Justiz liefen, aber den eigentlichen Hintermännern oft genug nichts nachzuweisen war.
So auch im Fall Vic Noureddine, der sich inzwischen von seinen Millionen die größte Villa an der Elbe geleistet hatte.
„Das bedeutet, es gibt eine – wenn auch indirekte –Verbindung zwischen Talani und dem Noureddine-Syndikat?“, vergewisserte ich mich.
Heinz Allwörden bestätigte dies. „So ist es – auch wenn ich nicht glaube, dass das bereits in irgendeiner Form juristisch verwertbar ist. Es handelt sich um ein einzelnes Indiz, das für uns kaum mehr als Hinweischarakter hat!“
„Immerhin ist er aber deutlich genug, um unsere Ermittlungen in Richtung Müll-Mafia zu konzentrieren, anstatt weiter nach Verbindungen zum internationalen Terrorismus zu suchen, die es in diesem Fall wahrscheinlich gar nicht gibt!“, schloss ich.
„Nicht ganz so schnell, Uwe!“, schränke Kriminaldirektor Hoch ein. „Im Prinzip haben Sie Recht, aber wir sollten, was die Möglichkeit angeht, dass hier ein Anschlag vorbereitet werden sollte, trotzdem nicht völlig ausblenden.“
Roger Benda meldete sich zu Wort. „Möglicherweise kommen wir über die Herkunft der Giftstoffe in der Brasewinkel Straße weiter. Vor allem die Kunststoffrückstände ließen sich rein theoretisch dem Hersteller zuordnen.“
Kriminaldirektor Hoch runzelte die Stirn.
„Was soll das heißen – rein theoretisch?“
„Erstens hüten die Unternehmen genaue Zusammensetzung und die Herstellungsverfahren für ihre Produkte wie ihren Augapfel. Und zweitens wären dazu auch recht umfangreiche und aufwendige Untersuchungen notwendig. Allein im Großraum Hamburg dürfte es einige Dutzend Produktionsanlagen geben, aus denen die gefundenen Mengen an Giftmüll stammen könnten. Nehmen wir mal an, die Leute, die für diese Schweinerei verantwortlich sind, haben einen einigermaßen gut ausgeprägten Sinn für Wirtschaftlichkeit, dann werden sie die Transportwege kurz halten. Das macht auch ansonsten Sinn, denn Transportkapazität dürfte in einer derartigen Organisation knapp sein. Schließlich ist jeder eingeweihte Spediteur ein potentielles Risiko.“
„Ich korrigiere Sie ungern, aber wir hatten schon Fälle von organisiertem Müll-Handel, bei dem die entsprechende Stoffe nach Afrika gebracht wurden, um sie dort irgendwo unauffällig zu vergraben“, gab Kriminaldirektor Hoch zu bedenken.
Benda hob die Hände. „Eine Verschiffung ist für die Betreiber solcher Geschäfte mit viel weniger Risiko verbunden, als ein Transport über die Straße“, erwiderte der Kollege von der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst. „In so fern kann es letztendlich tatsächlich preiswerter sein, das Zeug über den Ozean zu bringen – zumal man das mit Frachtern machen kann, die unter irgendeiner Billigflagge laufen und deren Matrosen nur einen Bruchteil dessen bekommen, was man einem LKW-Fahrer zahlen muss!“
„Ich glaube nicht, dass wir Durchsuchungsbefehle für die gesamte Kunststoff verarbeitende Industrie Hamburgs bekommen werden“, gab Kriminaldirektor Hoch zu bedenken.
„Eventuell könnten wir das im Labor noch etwas genauer eingrenzen“, stellte Bendas in Aussicht. „Und wenn wir dann einen Abgleich mit der Produktpalette der in Frage kommenden Firmen durchführen, haben wir am Ende vielleicht zwanzig Firmen im Umkreis von zweihundert Kilometern.“
Kriminaldirektor Hoch nickte bedächtig. „Besser, es wären weniger!“
„Wir tun, was wir können“, versprach Benda.
Kriminaldirektor Hoch wandte sich an Roy und mich. „Was ist mit den Aussagen der Anwohner und der Kinder?“, erkundigte er sich.
„Bis auf die beiden Jungen, die ins Albert Schweizer Krankenhaus eingeliefert wurden, sind die Vernehmungen abgeschlossen“, berichtete Roy. „Leider haben sich daraus keine weiteren Ermittlungsansätze ergeben.“
„Sollte wirklich Vic Noureddine und seine Organisation etwas damit zu tun haben, müssten wir unsere Informanten in St. Pauli anspitzen“, schlug ich vor.
„Tun Sie das, Uwe“, nickte Kriminaldirektor Hoch.
6
Zur gleichen Zeit waren unsere Kollegen Kalle Brandenburg und Hansi Morell in einem Coffee Shop namens Luigi’s Lounge.
Dort bot sich ein Bild des Grauens.
Die Toten waren bereits abtransportiert worden. Blutlachen waren auf dem Fußboden eingetrocknet.
Gerhard Rinkovic von der Mordkommission 2 leitete die Untersuchung. Einige Kollegen der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst sicherten noch immer Spuren. Gerade die Verteilung der Blutspritzer konnte den exakten Tathergang möglicherweise erhellen.
Rinkovic ging mit Kalle und Hansi kurz vor die Tür und äußerte dabei laut, dass er unbedingt, dass er unbedingt frische Luft bräuchte.
Draußen atmete er tief durch.
„Ich kann Ihnen jetzt nur eins empfehlen“, meinte er an die beiden Beamte gerichtet. „Knöpfen Sie sich den Besitzer dieses Coffee Shops mal richtig vor. Der hat alles mit angesehen und weiß angeblich so gut wie nichts. Jede Kleinigkeit musste ich ihm einzeln aus der Nase ziehen. Er ist sich noch nicht einmal sicher, ob es zwei oder drei Täter waren, die auf Talani geschossen haben.“
„Wie heißt der Mann?“, fragte Kalle.
„Justin Dahlmisch. Ich habe ihn durch den Computer gejagt. Aber da ist nichts zu finden, was ihn irgendwie in einem zweifelhaften Licht erscheinen lassen könnte. Nur verstehe ich nicht, wieso er hier keine klare Aussage machen kann. Man könnte fast denken, dass ihm gar nicht so sehr daran gelegen ist, das wir den dritten Killer finden!“
„Es steht also fest, dass es drei Killer waren“, fasste Kalle zusammen.
Rinkovic nickte.
Er holte ein paar Fotos aus der Innentasche seines Jacketts und zeigte sie den beiden Beamte. Die Fotos waren unmittelbar nach Eintreffen der Mordkommission geschossen worden.
„Talani hat sich mit einem Passfälscher namens Jannis getroffen. Jannis muss sich dann vom Platz erhoben haben. Zwei Maskierte kamen zur Tür herein und Talani hat sich mit ihnen eine Schießerei geliefert.“
„Aber Talani hat die Angreifer erschossen“, schloss Kalle.
Rinkovic nickte. „Er trug eine Kevlar-Weste, die ihn schützte. Trotzdem eine erstaunliche Leistung, sich nach den Treffern, die er erhielt, aufzuraffen und so gezielt zu schießen. Anschließend hat jemand Talani niedergestreckt, der durch den Hintereingang kam und Schuhgröße 44 trug. Wir haben Abdrücke gefunden.“
„Was ist mit diesem Jannis passiert?“, fragte Hansi Morell. „Wurde der auch von diesem dritten Mann umgebracht“
Rinkovic zuckte die Achseln. „Das ist noch nicht geklärt. Talani und der dritte Mann hatten Waffen mit demselben Kaliber. Erst wenn wir den ballistischen Bericht haben, ist es möglich, dazu eine Aussage zu machen.“
Anschließend kehrten Kalle und Hansi zurück in Luigi’s Lounge, um Justin Dahlmisch zu verhören.
Der Besitzer von Luigi’s Lounge war vierundvierzig Jahre alt und betrieb den Laden seit sechs Monaten.
„Zuvor habe ich einen Laden in St. Pauli gehabt, aber der ging nicht so gut!“, meinte er und tippte dabei immer wieder nervös mit Fingern auf dem Tresen herum. Er atmete schwer. Sein etwas aufgedunsenes Gesicht war dunkelrot angelaufen und er schwitzte. „Verdammter Mist, das Ganze!“, setzte er noch hinzu, nachdem weder Kalle noch Hansi für ein paar Augenblicke etwas gesagt hatten. „Wissen Sie eigentlich was diese Sauerei für mich bedeutet? Wenn sich Ihre Kollegen mit ihrer Arbeit nicht etwas mehr beeilen, dann verliere ich einen ganzen Tag an Umsatz. Ihnen als Staatsangestellten mit Aussicht auf fette Pensionen kann das ja gleichgültig sein, aber für mich ist das eine mittlere Katastrophe.“
„Sie haben Sorgen“, stieß Kalle Brandenburg etwas empört hervor. „Außerdem – so fett sind die Pensionen auch nicht mehr!“
Hansi übernahm die Initiative und schaffte es auf diese Weise, das Gespräch wieder in etwas ruhigere Bahnen zu lenken.
„Ich kann Ihnen versichern, dass wir Sie nur so lange belästigen, wie es unbedingt nötig ist“, erklärte er sachlich. „Aber es gibt da einfach ein paar Dinge, über die weder der Chef der Mordkommission noch wir beide hinweg kommen!“
„So?“, knurrte er.
„Wo standen Sie genau?“, wollte Hansi wissen.
„Genau hier, wo ich jetzt stehe.“
„Außer den Tatbeteiligten und Ihnen war niemand im Laden?“
„Richtig.“
„Das ist um die Zeit auch sehr ungewöhnlich – jedenfalls, wenn das stimmt, was Sie uns gesagt haben und dieser Laden tatsächlich so gut läuft, wie Sie behauptet haben.“
„Sagen Sie mal, wollen Sie mir irgendetwas anhängen, oder was?“, fuhr Dahlmisch jetzt plötzlich auf. „Es ging alle so verdammt schnell und glauben Sie mir, ich hab gezittert wie Espenlaub. Ich hatte eine Scheißangst, da habe ich kaum noch zählen können, ob es nun zwei, drei oder noch mehr Killer waren!“
„Sind Sie Herrn Talani schon vorher begegnet?“, fragte Kalle. „Ist er öfter Gast in Ihrem Coffee Shop gewesen?“
„Keine Ahnung. Sein Gesicht ist mir nicht aufgefallen und den Namen höre ich heute zum ersten Mal“, gab Dahlmisch Auskunft.
„Es könnte sein, dass er eine andere Haarfarbe trug oder sich sonst wie äußerlich verändert hat“, gab Hansi zu bedenken.
„Ich wusste nicht, dass man neuerdings Coffee Shops nur noch mit einer fälschungssicheren ID-Cards betreten darf, auf den Iris-Scan und Fingerabdruck verzeichnet sind!“, gab Justin Dahlmisch mit ziemlich galligem Unterton zurück.
Hansi Morell ließ sich davon nicht weiter provozieren, sondern blieb die Ruhe selbst.
„Und was ist mit dem Mann, mit dem sich Talani hier treffen wollte?“, hakte er schließlich nach.
„Ich habe auch ihn noch nie zuvor gesehen“, behauptete Dahlmisch steif und fest. „Die Zeiten, in denen hier jeder jeden kannte, sind längst vorbei. Wir leben eben in einer kalten Welt, in der sich die Menschen gleichgültig sind.“
„Mir kommen gleich die Tränen!“, knurrte Rinkovic. Er trat hinzu und legte Dahlmisch eines der Polaroids auf den Tisch. Aber Dahlmisch schaute gar nicht richtig hin.
„Was, wenn wir Zeugen dafür hätten, die Talani regelmäßig hier beim Frühstück beobachtet haben!“, knurrte Kalle.
Dahlmisch wirkte unsicher. Er blickte von einem zum anderen und schien gerade abzuschätzen, ob das nur ein Bluff war oder ob Kalle Brandenburg tatsächlich etwas Derartiges in der Hand hatte.
Er hob die Hände und gab das Pokerspiel schließlich auf.
„Okay, okay, vielleicht war er ja öfter hier“, gestand Dahlmisch schließlich zu. „Was weiß ich. Ich kann mir nun wirklich nicht jeden Gast merken, der seine Nase in Luigi’s Lounge steckt!“
„Bei den vielen Gästen, die Sie angeblich haben...“, konterte Hansi.
Er machte Kalle Brandenburg ein Zeichen mit der linken Hand. Es hatte wenig Sinn, sich weiter mit Dahlmisch auseinander zu setzen. Eine vernünftige Aussage würde dabei nicht herauskommen.
Es fragte sich allerdings, welche Gründe der Coffee Shop-Besitzer für sein eigenartiges Verhalten hatte.
„Wenn Sie unter Druck gesetzt werden, können wir Sie schützen“, behauptete Kalle, kurz bevor er zusammen mit Hansi den Coffee Shop endgültig verließ.
Dahlmisch lachte heiser. In seinen Augen blitzte es und die Nasenflügel bebten. Offenbar hatte Kalle Brandenburg mit seinen letzten Worten einen wunden Punkt erwischt.
„Ach, wirklich? Herr Kommissar, Sie wissen doch selbst, dass das nicht wahr ist! Sie können nicht hinter jede Straßenlaterne einen Polizisten stellen – und genau das wäre nötig, um jemanden wirklich zu schützen....“
7
Roy und ich verbrachten den Rest des Vormittags mit Computerrecherche. Heinz Allwörden gab uns einen Überblick über das Netzwerk des Noureddine-Syndikats. In großen Teilen beruhte dieses Netzwerk aus Firmen, Speditionen, Reedereien und Import/Export-Agenturen auf unseren Vermutungen. Vic Noureddine war eben clever genug, um dafür zu sorgen, dass keine Verbindungen zweifelsfrei zu ihm führten. Aber vielleicht war Talani endlich der Schlüssel dazu, einem gefährlichen Kriminellen das Handwerk zu legen.
„Irgendetwas muss schief gelaufen sein, sonst wäre es nicht nötig gewesen, Talani zu ermorden“, meinte ich.
„Du vermutest, dass Noureddines Organisation dahinter steckt?“, schloss Roy.
Ich zuckte die Achseln. „Es wäre doch eine Möglichkeit! Schließlich wurde Talani doch zu einem Sicherheitsrisiko für alle, die mit ihm zusammengearbeitet haben.“
„Ich frage mich, weshalb der Kerl überhaupt noch im Land geblieben ist“, meinte Roy. „Es wäre doch viel klüger gewesen, längst zu verschwinden.“
„Möglicherweise gab es dafür finanzielle Gründe“, ergänzte Heinz. „Seit er in der Fahndung ist, dürfte es schwierig für ihn gewesen sein, an sein Geld heranzukommen. Es ist ihm zwar gelungen, einen Teil seines Geldes verschwinden zu lassen, bevor wir Zugriff auf die Konten hatten, aber ich persönlich vermute, dass Talani in den letzten Monaten eine andere Identität angenommen hatte, die uns bislang nicht bekannt ist."
Am frühen Nachmittag kehrten Hansi und Kalle von dem Tatort im Coffee Shop zurück und informierten uns über die bisherigen Ermittlungsergebnisse.
Gegen vier Uhr nachmittags erhielten wir dann einen Anruf von Harry Käding. Käding war Buchmacher in St. Pauli und versorgte uns hin und wieder mit Informationen. Er hatte hervorragende Kontakte und außerdem die Gabe, förmlich das Gras wachsen zu hören.
„Ich muss Sie unbedingt sprechen, Kommissar Jörgensen“, äußerte er am Telefon.
„Worum geht es denn?", fragte ich.
„Kann ich am Telefon nicht sagen", meinte er. „Wir treffen uns um halb acht in der Selene Bar. Kennen Sie die?"
„Ich werde da sein", versprach ich.
Käding legte auf.
Ich informierte Roy über das Gespräch.
„Ich kann mir eine schönere Feierabendbeschäftigung denken, als mich mit Harry Käding zu treffen", meinte Roy etwas missmutig.
„Wieso, hattest du schon was vor?", grinste ich.
Roy verzog das Gesicht. „Nein, aber ich kann diesen schmierigen Typen einfach nicht leiden."
„Ich finde es nur seltsam, dass sich der Kerl uns dieses Mal geradezu aufdrängt, wo man ihm ansonsten jede Information einzeln aus der Nase ziehen muss!"
Roy zuckte die Achseln. „Bin trotzdem mal gespannt, was er zu sagen hat. Schließlich hätten wir ihn im Zuge unserer Aktivierung von Informanten, die sich in der Szene von St. Pauli auskennen früher oder später ohnehin ansprechen müssen. So haben wir es wenigstens etwas schneller hinter uns.“
8
Harry Käding war ein übergewichtiger Mann mit glänzendem, schütterem Haar. Wir versuchten etwas früher in der Selene Bar zu sein, aber Käding war noch pünktlicher.
„Das ist gar nicht seine Art“, raunte Roy mir zu. „Ich sag’s dir, da ist irgendetwas faul an der Sache.“
„Die Tatsache, dass er dir nicht sympathisch ist, schalte am besten jetzt einfach mal aus“, riet ich meinem Kollegen.
Allerdings fand ich es ebenfalls merkwürdig, dass ein Mann, der ansonsten dafür bekannt war, meistens etwas spät zu kommen, plötzlich geradezu überpünktlich am Treffpunkt erschien.
Wir bestellten uns einen Drink und setzten uns zu ihm an den Tisch.
„Sie sind früh dran, Herr Käding“, stellte ich fest.
„Ich wollte sicher sein, dass mir niemand gefolgt ist“, erklärte er.
„Also los“, forderte Roy ihn etwas ungeduldig auf. „Was ist so wichtig, dass wir hier sofort antanzen mussten und Sie meinem Kollegen nicht am Telefon sagen konnten?“
„Sagt Ihnen der Name ‚Blitz’ etwas?“
Natürlich sagte uns dieser Name etwas. Einer der gefährlichsten Auftragsmörder aller Zeiten war unter dieser Bezeichnung bekannt geworden. Er hatte mehr als dreißig Morde für verschiedene Syndikate begangen. Seit Jahren war er jedoch nicht mehr aktiv gewesen und es gab Gerüchte, wonach er sich irgendwo unerkannt zur Ruhe gesetzt hatte, um in Frieden sein Vermögen zu genießen.
Die Kripo Hamburg war seit vielen Jahren hinter ihm her,
Allerdings erfolglos. Und seit er sich aus dem aktiven Killer-Business zurückgezogen hatte, war es wohl nahezu unmöglich, noch auf seine Spur zu kommen. Vielleicht genoss er das Leben in Rio, Bangkok oder irgendeinem anderen sonnigen Plätzchen.
„Was ist mit Blitz?“, hakte ich stirnrunzelnd nach.
„Der Kerl ist wieder aktiv geworden.“
„Warum sollte er das tun?“, mischte sich Roy ein. „Dieser Mann hat mit seinen Mordaufträgen mehr Geld verdient, als er jemals ausgeben kann. Er müsste schon reichlich dämlich sein, um noch mal zur Waffe zu greifen und damit das Risiko einzugehen, dass die Justiz es doch noch schafft, sich an seine Fersen zu heften!“
Käding trank sein Glas leer. Er grinste über das ganze Gesicht. Nacheinander musterte er uns kurz und schien dabei abzuschätzen, in wie fern es ihm gelungen war, unser Interesse zu wecken.
„Wie gesagt, es gehen im Moment eine Menge Gerüchte in der Szene um. Eines besagt, dass Blitz es tatsächlich geschafft hat, sein ganzes Vermögen durchzubringen und jetzt wieder arm wie eine Kirchenmaus ist. Er ist also darauf angewiesen wieder zu arbeiten.“
„Ich kann nur hoffen, dass dieses Gerücht eine Ente ist“, meinte Roy. „Was sollen wir jetzt machen? Nur auf Grund vager Andeutungen eines Informanten die Fahndung nach einem Mann wieder aufnehmen, der es sich wahrscheinlich irgendwo unter südliche Sonne gut gehen lässt?“
„Ich habe diese Informationen aus einer brandheißen Quelle“, erklärte Käding. „Wenn ich sie Ihnen nenne, erfahre ich von dort nie wieder etwas. Aber in den letzten Jahren konnten Sie sich auf meine Tipps eigentlich immer verlassen – oder hatten Sie jemals Anlass, sich zu beklagen?“ Er beugte sich vor und sprach jetzt in gedämpftem Ton weiter. „Ich weiß auch, wer als nächster auf der Abschussliste dieses Killers steht!“
Ich hob die Augenbrauen.
„So?“
„Vic Noureddine, der Mann, dessen weißer Weste es niemand ansieht, dass er sich damit im Müll gewälzt hat.“
In diesem Augenblick gingen mir tausend Gedanken auf einmal durch den Kopf. Konnte das ein Zufall sein? Ausgerechnet Vic Noureddine der Mann, der vielleicht hinter Mahmut Talanis Machenschaften steckte, wurde uns hier von Käding als potentielles Mordopfer präsentiert!
„Wer steckt dahinter?“, hakte Roy ziemlich ungeduldig nach.
„Hey, Kommissar! Ihren Job müssen Sie schon selber machen. Aber einer wie Blitz nimmt Spitzenhonorare für seine Mörderdienste. Selbst dann, wenn ihm das Wasser bis zum Kragen steht und er in Geldnot ist. Sie können sich also an den Finger einer Hand ausrechnen, wer da als Kunde in Frage kommt! Und wenn man dann noch Vic Noureddines rasanten Aufstieg in den letzten Jahren sieht... Er hat ziemlich brutal jeden Konkurrenten aus dem Rennen geschlagen und da sind einige auf der Strecke geblieben. Andere mussten sich mit den hinteren Plätzen im Müll-Business zufrieden geben. Ich wette, da gibt es viele, die ihn die Pest an den Hals wünschen...“
„Oder eine tödliche Klette wie Blitz“, vollendete Roy Müller den Satz.
Käding sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. Eine Rolex – und wenn mich nicht alles täuschte, sogar eine Echte. Von den Honoraren, die er vom Kripo Hamburg als Informant bekam, konnte er sich die mit Sicherheit nicht leisten, und was seine zwielichtigen Buchmachergeschäfte anging, so war ich nicht so ganz auf dem Laufenden, wie es derzeit um seine Liquidität bestellt war.
„Ich verdrück mich jetzt“, meinte er. „Wie gesagt, Blitz ist wieder aktiv, so Leid es mir für Sie beide tut. Schließlich wird das für das Kripo Hamburg wohl jede Menge an Zusatzarbeit bedeuten, wenn ich mich nicht irre!“
Er kicherte in sich hinein.
Weder Roy noch ich konnten seinen seltsamen Humor in diesem Augenblick teilen.
9
Käding verließ vor uns Selenes Bar. Wir hatten ihm versprochen, das Lokal frühestens zehn Minuten später zu verlassen. Doch es sollte anders kommen.
Ein Detonationsgeräusch war von draußen zu hören. Es übertönte die gedämpfte, jazzige Musik, die in Selenes Bar die akustische Hintergrundkulisse bildete.
Ein Mann betrat die Bar und rief: „Da ist ein Wagen in die Luft geflogen!“
Roy und ich drängten uns nach draußen. Die Sirenen von Einsatzfahrzeugen der Schutzpolizei und des Feuerwehr waren bereits ein paar Straßenzüge weiter zu hören. Es konnte nur noch wenige Minuten dauern bis die offenbar von Anwohnern alarmierten Rettungskräfte eintrafen.
Wir sahen Flammen aus einem gelben Porsche schlagen. Ich wusste sofort, dass es Kädings Wagen war. Er stand auf europäische Sportwagen. Gleichgültig, wie gut oder schlecht die Geschäfte auch immer gehen mochten, diesen mehr als dreißig Jahre alten Oldtimer hätte er nie verkauft.
Der Tank brannte auch. Es war unmöglich, sich dem Wagen weiter als fünf, sechs Meter zu nähern, wenn man keine Schutzkleidung trug.
Roy hatte schon begonnen, Kriminaldirektor Hoch über das Geschehen zu informieren. Dass sich unser Chef um diese Zeit noch im Büro befand, war nichts Ungewöhnliches. Seit er vor vielen Jahren seine Familie ermordet worden war, hatte er sein Leben voll und ganz der Bekämpfung des Verbrechens gewidmet und schon so manche Nacht im Büro verbracht. Er war morgens der erste und abends der letzte im Polizeipräsidium.
Roy klärte ihn in seinem knappen Bericht über den Inhalt der Unterredung auf, die wir mit Käding gehabt hatten.
Ich machte mich daran, Passanten zu befragen. Vielleicht hatte jemand von ihnen etwas Verdächtiges bemerkt. Jemanden, der sich an dem ziemlich auffälligen Porsche-Oldtimer zu schaffen gemacht hatte, zum Beispiel.
Inzwischen traf die erste Einheit des Feuerwehr ein.
Die Flammen wurden von den Feuerwehrleuten innerhalb kürzester Zeit gelöscht. Wenig später trafen auch die Einsatzwagen des Schutzpolizei sowie ein Krankentransporter des Rettungsdienst ein.
Letzterer kam mit Sicherheit zu spät.
Von unserem Polizeipräsidium aus wurde bereits mit der Kriminalpolizeiliche Einsatzgruppe Erkennungsdienst Kontakt aufgenommen, aber bei den Verkehrsverhältnissen, die um diese Zeit im Großraum Hamburg herrschten, würden die Kollegen wohl eine gute Stunde brauchen, um von der hier her zu gelangen.
Der Wagen bot ein Bild des Grauens.
Der einzige Insasse war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.
Aber er trug eine Rolex um das Handgelenk seiner linken. Genau wie Käding.
Der Einsatz der Schutzpolizei-Kräfte, die damit begannen, den Tatort weiträumig abzusperren, wurde von einem Beamten namens Björn Helgesen geleitet. Er wollte uns erst aus dem näheren Umkreis des explodierten Wagens verweisen, bis wir ihm unsere Kripo-Marken zeigten.
„Sorry! Ich konnte ja nicht wissen, dass Sie diesmal sogar zuerst am Tatort sind.“
„Wir brauchen Ihre Unterstützung“, sagte ich. „Erstens muss gewährleistet sein, dass sich niemand mehr an dem Wagen zu schaffen macht, bis unsere Spurensicherer hier sind.“
„Kein Problem.“
„Zweitens könnten Sie vielleicht noch ein paar weitere Beamte herbeordern, ehe sich die Passanten und Schaulustigen zerstreuen.“
„Was sollten die denn gesehen haben?“, fragte Helgesen.
„Der Tote im Porsche ist mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit ein Informant von uns. Minuten bevor er hier den Tod fand, hat er sich mit uns getroffen. Ich nehme an, dass ihm jemand auf den Fersen war, ihn beobachtet hat und ausschalten wollte.“
„Ein gelber Porsche ist ja auch nicht gerade unauffällig“, gab Roy zu bedenken. „Der Täter hatte leichtes Spiel. Er brauchte nur Augenblicke, um eine Sprengladung anzubringen, die er dann per Fernzünder hochgehen lassen konnte!“
10
Roy und mir war rasch klar, dass dies ein langer Einsatz werden würde. An Feierabend war vorerst nicht zu denken.
Polizeimeister Helgesens Leute fanden mehrere Zeugen, die aussagten, dass kurz nach der Explosion ein dunkelblauer Van vom Typ Chrysler Voyager aus einer Parklücke geschossen war und einen regelrechten Kavaliersstart hingelegt hatte. Der Van hatte sich ziemlich brutal in den Verkehr eingefädelt und war mit quietschenden Reifen davongebraust.
Auf Grund der getönten Scheiben hatte keiner der Zeugen gesehen, wie viele Personen sich im Inneren befunden hatten – geschweige denn, dass es möglich gewesen wäre, dazu nähere Aussagen zu machen.
Kriminaldirektor Hoch beorderte die Kollegen Stefan Carnavaro und Selcuk Salman an den Ort des Geschehens. Die beiden hatten längst Dienstschluss gehabt, aber Kriminaldirektor Hoch hatte sie aus dem Feierabend herausgeklingelt. Wenig später traf auch noch Kommissar Fred Menninga mit einem BMW aus den Beständen unserer Fahrbereitschaft ein. Er kam in Begleitung von Kommissar Pascal Steinberger, einem unserer Kripo Hamburg eigenen Erkennungsdienstler.
Roy kam auf die Idee, die Geschäfte in der Nähe abzuklappern. Die meisten verfügten über hochmoderne Video-Überwachungsanlagen. Zumeist war der Eingangsbereich dadurch gesichert. Wenn wir Glück hatten, lagen auch der gelbe Porsche sowie der verdächtige Van im Fokus einer dieser Kameras.
Etwa ein Dutzend Geschäfte kamen von ihrer Lage dafür in Frage. Die meisten davon hatten um diese Uhrzeit längst geschlossen.
In einem Juwelierladen, der noch geöffnet hatte, wurden wir fündig. Die Videokamera war die ganze Zeit in Richtung des gelben Porsches gerichtet gewesen und der Besitzer war sofort bereit, uns die Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen. Er selbst hatte von der Explosion nur das Geräusch mitbekommen, da er sich gerade im hinteren, der Straße abgewandten Teil des Ladens befunden hatte.
Zur fraglichen Zeit war ein Mann zu sehen, der sich an dem Wagen zu schaffen machte. Er blickte sich mehrfach um, so als befürchtete er, beobachtet worden zu sein. Anschließend klebte er eine entsprechende Ladung von unten an den Wagen.
Wir zoomten das Gesicht des Kerls näher heran. Er trug eine Baseball-Cap und eine Sonnenbrille mit Spiegelgläsern, sodass von seinem Gesicht nur die Kinnpartie zu sehen war. Der Mund wurde von einem bisschen Schnauzbart verdeckt. Roy äußerte Zweifel daran, ob der überhaupt echt war.
„Dieser Kerl muss in die Fahndung!“, war mein Kommentar.
„Nur, dass das aufgezeichnete Material wohl kaum für einen Bildabgleich in unseren Archiven taugt“, gab Roy zu bedenken.
„Versuchen können wir es trotzdem – auch wenn nicht viel dabei herauskommt“, gab ich zurück.
Wir nahmen den Datenträger, auf dem die Aufzeichnungen gespeichert waren für weitere Untersuchungen mit.
Wenig später wandte sich Stefan Carnavaro an uns.
„Noureddine muss heute noch befragt werden“, erklärte er. Inzwischen war Stefan natürlich längst auch über unser Gespräch mit Käding informiert. „Ich selbst möchte das ungern tun, denn ich hatte bereits einmal im Rahmen eines anderen Verfahrens eine Hausdurchsuchung bei ihm zu leiten. Seitdem reagiert Noureddine allergisch auf mich. Aber in diesem Fall wäre es wichtig, ihm vielleicht die eine oder andere Information zu entlocken. Wenn nämlich auch nur das Geringste an der Reaktivierung dieses Killers mit der Bezeichnung Blitz dran ist, wette ich, dass der ‚Pate von St. Pauli’ ganz genau weiß, was dahinter steckt!“
Ich nickte knapp.
„Okay, wir fahren hin“, sagte ich.
11
Vic Noureddines Villa hatte direkten Blick auf die Elbe. Es waren eine noble Gegend mit vielen außergewöhnlich luxuriösen Anwesen. Aber die Residenz von Vic Noureddine übertraf sie alle. Er hatte seinerzeit eins der größten und teuersten Häuser der Gegend aufgekauft, es bis auf das Fundament abreißen und anschließend nach seinen eigenen Vorstellungen neu errichten lassen. In den darauf folgenden Jahren hatte er aus Sicherheitsgründen die Nachbargrundstücke aufgekauft, und die dortigen Häuser ebenfalls niederreißen lassen.
Sein Anwesen wurde von einer zwei Meter hohen Mauer umgeben, auf der noch ein gusseisernes Gitter angebracht war, dessen Spitzen es zu einem lebensgefährlichen Abenteuer machten, diese Barriere kletternd überwinden zu wollen.
Davon abgesehen patrouillierten Leibwächter in dunklen Anzügen um das Haus. Sie führten mannscharfe Dobermänner mit sich und waren mit Maschinenpistolen ausgerüstet.
Ich parkte meinen Sportwagen in der Nähe des Eingangstores. Roy und ich stiegen aus und traten an die in den Stein eingelassene Sprechanlage.
Es war kurz vor Mitternacht.
„Warte wir ab, wie Herr Noureddine reagiert, wenn man ihn um diese Zeit herausklingelt!“, meinte Roy.
Ich betätigte den Knopf an der Sprechanlage.
Ein Kameraauge, das sich surrend bewegte, erfasste uns.
„Sie wünschen?“, fragte eine weibliche Stimme.
„Uwe Jörgensen, Kripo Hamburg!“, stellte ich mich vor und hielt den Dienstausweis in die Kamera. Ich deutete auf Roy. „Dies ist mein Kollege Kommissar Müller. Wir müssen dringend mit Herrn Vic Noureddine sprechen.“
„Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?“, fragte die Frauenstimme. „Wenn nicht, dann kommen Sie besser ein anderes Mal wieder oder setzen sich gleich mit Herrn Noureddines Anwälten auseinander.“
„Sagen Sie Herrn Noureddine, dass es für ihn vielleicht um Leben und Tod geht. Wir haben Informationen darüber, dass ihn jemand umzubringen plant.“
„Wir wollen nichts weiter, als Herrn Noureddines Leben verlängern, aber wenn er das nicht will, genießen wir auch gerne unseren Feierabend“, ergänzte Roy – für meinen Geschmack etwas zu heftig. Aber er schien die passende Tonlage getroffen zu haben, wie wir wenig später feststellen konnten. Es knackte im Lautsprecher.
Jetzt war eine Männerstimme zu hören.
„Halten Sie bitte Ihre Ausweise noch einmal deutlich in die Kamera!“
Roy holte seine Kripo-Marke ebenfalls hervor und wir taten, was von uns verlangt wurde.
Im nächsten Moment öffnete sich mit einem leisen Summen das imposante gusseiserne Tor, über dem ein bezeichnender Satz in messingfarbenen Lettern zu lesen war.
MY HOME IS MY CASTLE.
Wir traten ein.
Hundegebell empfing uns.
Vier Dobermänner eilten von verschiedenen Seiten auf uns zu. Wir standen wie erstarrt da. Unsere Hände glitten bereits zu den Dienstwaffen.
Auf einen Pfiff hin stoppten die offenbar sehr gut dressierten Hunde.
Abwartend saßen sie auf dem Boden. Einige der Leibwächter kamen im Laufschritt auf uns zu und richteten ihre Maschinenpistolen auf uns.
„Keine Bewegung und Hände hoch!“
„Sie sind gerade im Begriff, zwei Hamburger Kriminal-Kommissare zu bedrohen. Ich hoffe, Sie überlegen sich gut, was Sie da tun, denn andernfalls ist für jeden von Ihnen ein Platz in den Gefängnismauern der JVA Branebüttel reserviert!“, erwiderte Roy hart.
Ein Mann in den dreißigern mit kantigen Gesichtszügen und einem dunklen Schnauzbart, der die Lippen überdeckte, kam vom Portal der Villa herbei.
„Ist schon gut, Männer“, rief er.
Die Bodyguards senkten ihre MPis.
Die Hunde knurrten leicht.
Der Mann mit dem Schnauzbart kam mit weiten Schritten auf uns zu. Er reichte erst mir und dann Roy die Hand. „Ich bin Maik Noureddine. Keine Ahnung, ob wir schon mal persönlich das Vergnügen hatten, aber diese Staatsterroristen vom Finanzamt und der Kripo Hamburg tummeln sich hier ja schon fast nach Belieben, da kann schon mal durcheinander kommen!“
Der Name Maik Noureddine war uns natürlich ebenfalls bekannt. Es handelte sich um den Lieblingsneffen des selbst kinderlosen Vic Noureddine. Maik war vermutlich der zweite Mann im Noureddine-Syndikat und wahrscheinlich der Mann fürs Grobe. Leider waren ihm seine Machenschaften ebenso wenig nachzuweisen wie seinem Onkel.
Ich runzelte die Stirn.
„Wie nennen Sie uns? Staatsterroristen?“, echote ich ärgerlich.
Maik zuckte die Achseln und kraulte einem der Dobermänner den Nacken, woraufhin sich dessen bedrohliches Knurren in eine weniger bedrohliche Lautäußerung verwandelte.
„Ich stehe der Idee des Libertarianism nahe“, sagte Maik. „Jeder Mann sollte eine Waffe tragen, dann bräuchten wir keinen Staat, der uns freie Unternehmer doch nur aussaugt!“
„Hier sind zwei Staatsterroristen, die ihrem Onkel gerade das Leben retten wollen!“, knurrte Roy ziemlich aufgebracht. „Aber vielleicht legt der ja keinen Wert darauf!“
Maik Noureddine hob die Augenbrauen. „Ich wollte nicht ungastlich erscheinen, Müller – so war doch Ihr Name, oder?“
„Für Sie immer noch Kommissar Müller!“
Maik wandte sich an mich.
„Ich muss mich für unser Sicherheitspersonal entschuldigen. Die Männer pflegen manchmal einen etwas groben Umgangston.“
„Scheint so, als würde Ihr Onkel in ständiger Angst leben“, stellte ich fest.
„Die Welt ist schlecht, Kommissar Jörgensen. Das sollte jemand wie Sie doch wissen. Und jetzt folgen Sie mir bitte!“
Ich war ziemlich erleichtert, als die Hunde von den Leibwächtern wieder an die Leine genommen wurden. Maik Noureddine führte uns zum Portal der Villa.
Wir gingen die breiten Stufen empor.
Das Portal selbst war ziemlich protzig. Man hatte es einem griechischen Tempel nachempfunden.
Schließlich gelangten wir ins Innere des Hauses.
Vic Noureddine empfing uns in der Eingangshalle.
Eine Blondine mit kurvenreicher Figur und einem sehr eng anliegendem Kleid lehnte sich gegen ihn. Sie überragte Noureddine um einen halben Kopf.
„Du hättest diese Leute nicht hereinlassen sollen“, sagte sie und strich Vic Noureddine dabei über den bereits ziemlich kahlen Kopf. Ich erkannte die weibliche Stimme wieder, die wir über das Sprechgerät gehört hatten.
„Ich hatte leider keine andere Wahl, Kimberley“, knurrte Vic Noureddine.
Der Pate von St. Pauli trat vor.
„Sie haben ein paar Dinge dahergefaselt, die Sie mir vielleicht näher erläutern sollten, Herr Kommissar“, wandte sich Vic an mich und ich musste ziemlich an mich halten, mich von seiner herablassenden Art nicht auf die Palme bringen zu lassen. „Wie kommen Sie darauf, dass jemand darauf aus ist, mich umzubringen?“
„Sagt Ihnen der Name Blitz etwas?“, fragte ich.
„Was soll das sein? Eine Comic-Figur?“
„Herr Noureddine, Sie scheinen die ganze Sache nicht so richtig ernst zu nehmen. Das müssen Sie natürlich wissen. Wir geben Ihnen pflichtgemäß Informationen weiter, die vielleicht Ihr Leben retten, vorausgesetzt, Sie kooperieren mit uns.“
„Nanu, das sind ja ganz neue Töne. Die hätte ich mir bei der letzten Prüfung durch die Steuerfahndung gewünscht!“
„Nun mal halblang“, mischte sich jetzt Roy ein. „Die Steuerfahndung war das letzte Mal vor drei Jahren bei Ihnen. Da können Sie sich eigentlich nicht beschweren.“
Vic Noureddine verzog das Gesicht.
Er nahm mich zur Seite.
„Ich habe das Gefühl, dass Ihr Kollege mich nicht leiden kann, Kommissar Jörgensen“, meinte er.
„Sie wissen genau wer Blitz ist“, erwiderte ich eisig. „Sie brauchen mir gegenüber keine Komödie zu spielen. Blitz ist einer der effizientesten Lohnkiller, der jemals in diesem schmutzigen Gewerbe gearbeitet hat. Alle Welt dachte, dass er irgendwo unter südlicher Sonne seine Millionen genießt, aber jetzt gibt es Hinweise darauf, dass er pleite ist und wieder seinen Job macht...“
„Ich wüsste nicht, weshalb mich Ihre Geschichten über irgendwelche Kriminellen, denen Sie offenbar nicht das Handwerk legen konnten, interessieren sollten!“, sagte Vic Noureddine und verzog dabei angewidert das Gesicht.
„Sie sind das Ziel, Herr Noureddine. Jemand hat diesen Lohnkiller beauftragt, um Sie zu töten und am besten überlegen Sie mal, wer das sein könnte!“
Vic wechselte einen kurzen Blick mit seinem Neffen. Er hatte für einen kurzen Moment seine Mimik nicht ganz unter Kontrolle, dann erstarrte sein Gesicht wieder zu einer kalten Maske.
„Ich weiß nicht, weshalb Sie mich mit diesem Zeug belästigen, Kommissar Jörgensen, aber ich kann Ihnen sagen, dass es juristische Konsequenzen für Sie haben wird, wenn Sie irgendein mieses Spiel mit mir zu spielen versuchen.“
„Eigenartig“, sagte ich. „Es scheint Sie gar nicht zu interessieren, aus welcher Quelle wir diese Informationen haben.“
„Was soll das schon für eine Quelle sein? Irgendein schmieriger Informant, der sich wichtig machen will, das ist alles!“
„Sie sind nahe dran, Herr Noureddine. Aber dieser Informant heißt Harry Käding und wurde nur Minuten, nachdem wir mit ihm gesprochen haben, ermordet. Das ist auch ein Grund, weshalb wir Sie befragen.“
„Sie werden vielleicht bemerkt haben, dass mein Anwesen sicherheitstechnisch auf dem neuesten Stand ist und sich ein paar gut ausgerüstete Bodyguards darum kümmern, dass mir nichts passiert“, sagte der Pate von St. Pauli schließlich gedehnt.
Warum weicht er aus?, fragte ich mich. Es konnte eigentlich nur eine Erklärung für sein Verhalten geben. Vic Noureddine wusste sehr genau, wer ihm ans Leder wollte. Ich hielt es sogar für möglich, dass Käding seine Informationen nicht nur an uns, sondern auch noch an Noureddine verkauft hatte.
„Haben Sie Harry Käding persönlich gekannt?“, fragte ich.
„Ich weiß nur, dass er ein Buchmacher war, der so ziemlich bei jedem Schulden hat, der in St. Pauli mehr als zwei Dollar in der Tasche hat.“ Vic machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist wahrscheinlich besser, ich sage jetzt nichts mehr, sonst drehen Sie mir daraus am Ende noch irgendeinen Strick. Geben Sie es doch zu, Sie wollen mich in irgendeinen wie auch immer gearteten Zusammenhang mit dem Tod dieses Mannes bringen. Wir können das Gespräch gerne ein anderes Mal in Anwesenheit eines Anwaltes fortsetzen – oder Sie haben einen Haftbefehl dabei und nehmen mich fest. Ansonsten wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mein Haus möglichst schnell wieder verlassen würden!“
Vic Noureddine drehte sich um.
Die Blondine namens Kimberley folgte ihm. Beide verschwanden durch eine der Türen, die von der pompösen pseudo-klassisch gestalteten Eingangshalle aus in die anderen Gebäudetrakte führten.
Schwer fiel die Tür ins Schloss.
„Ich muss mich für meinen Onkel entschuldigen“, sagte Maik Noureddine. „Wir werden Sie natürlich in jeder Form unterstützen, nur fürchte ich, dass mein Onkel in der Sache vollkommen Recht hat....“
„Dann wollen auch Sie allen ernstes behaupten, dass Vic Noureddine, der Mann, den man den Paten von St. Pauli nennt, keine Feinde hat?“, fragte Roy ironisch.
12
Wir verließen die Noureddine-Villa und fuhren mit dem Sportwagen nordwärts. Es war inzwischen bereits halb zwei Uhr in der Nacht. Die Silhouette der Stadt glich um diese Zeit einem funkelnden Sternenmeer, als wir über eine Brücke Richtung Hafen City fuhren.
Wenn man um diese Zeit im Großraum Hamburg unterwegs war, hatte das den Vorteil, dass man wenigstens nicht dauernd im Stau stand und einigermaßen schnell vorankam.
Zwischendurch nahmen wir telefonisch Kontakt mit dem Polizeipräsidium auf. Da wir die Freisprechanlage eingeschaltet hatten, konnten wir beide mithören.
Kriminaldirektor Hoch war noch immer im Büro.
Wir lieferten ihm einen knappen Bericht über den Verlauf unseres Gesprächs in der Noureddine-Villa.
Unterwegs gingen wir noch in eine rund um die Uhr geöffnete Snack Bar, um einen Hot Dog zu essen.
„Auf die paar Stunden Schlaf kommt es jetzt auch nicht mehr an“, meinte Roy während wir in der Snack Bar saßen.
„Wir werden Käding und sein Umfeld ganz genau ausleuchten müssen“, meinte ich. „Ich frage mich nur, wer seine Quelle war, was diesen Lohnkiller namens Blitz angeht.“ Das Ganze erschien mir im nach hinein immer dubioser.
„Worauf willst du hinaus, Uwe?“
„Es fällt mir einfach schwer, an Zufälle zu glauben, Roy. Wir finden innerhalb relativ kurzer Zeit mehrere Häuser voller Giftmüll, die einem Mann namens Talani gehören. Endlich gelingt es uns, eine vage Verbindung zu Noureddine und seiner Organisation zu konstruieren, da taucht dieser Käding aus der Versenkung auf und tischt uns die Story über den reaktivierten Blitz auf.“ Ich zuckte die Achseln. „Das hängt alles irgendwie zusammen, aber das entscheidende Teil in diesem Puzzle haben wir einfach nicht gefunden.“
13
Später jagten wir das beschlagnahmte Bildmaterial, das den Mörder von Käding zeigte, durch den Computer. Unser Innendienstkollege Kommissar Max Vandersteen aus der Fahndungsabteilung half uns dabei, denn er war in der Handhabung der Suchsysteme weitaus geübter als wir.
„Der Kerl hat sich regelrecht verkleidet, damit ihn später niemand identifizieren kann“, war für Max der Fall sofort klar. „Aber ein telemetrischer Abgleich lässt sich durch einen Schnauzbart nicht betrügen. Das Problem ist nur, dass die Zahl der telemetrischen Merkmale, die standardmäßig von dem Programm verglichen werden, sich durch die Maskierung verringert hat. Der exakte Abstand der Augen zueinander, der Abstand zwischen Lippen und Nase und noch ein paar andere Merkmale können wir anhand dieser Bilder nicht vergleichen. Zehn bis zwölf dieser Merkmale sind notwendig, um einen Menschen eindeutig zu identifizieren.“
„Versuch es einfach, Max!“, forderte Roy.
Und ich ergänzte: „Was wir brauchen ist auch nicht unbedingt eine gerichtsverwertbare Identifizierung. Es reicht uns schon Hinweis, wo wir nach dem Kerl suchen könnten.“
Max kopierte aus dem aufgezeichneten Videomaterial ein Standbild heraus, von dem er glaubte, dass es sich besonders gut zur telemetrischen Vermessung eignete. Natürlich blieben im Wesentlichen die Merkmale des Kinnbereichs übrig. Selbstverständlich war auch ein Abgleich von Körpermerkmalen möglich, etwa das Verhältnis der Größe zur Schulterbreite, die Länge von Armen und Beinen, das Verhältnis des Unterarms zum Oberarm und so weiter. Das Problem war nur, dass bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung in der Regel nur Fotos angefertigt wurden, die Kopf und Oberkörper aus verschiedenen Perspektiven zeigten, sodass Max sich auf die Kinnpartie beschränkte.
Das Programm lief. „Ihr solltet nicht zu sehr enttäuscht sein“, meinte er vorbeugend. „Leichter wäre es, wenn wir einen Verdächtigen hätten, den wir ausschließen wollten.“
„Den haben wir doch“, sagte ich. „Ich meine diesen Blitz.“
„Ein Mann von dem niemand mit Sicherheit sagen, wer dahinter steckt?“, fragte Max grinsend.
Schließlich hatten wir das Ergebnis.
Insgesamt 507 Personen aus unseren Archiven hatten ein Kinn, das nicht im Widerspruch zu den abgemessenen Merkmalen stand. Max suchte unter den Namen und rief plötzlich: „Volltreffer!“
„Wovon sprichst du?“, fragte ich.
„Unter diesen 507 Namen ist auch Arvid Lennart Alexander, ehemaliger Leutnant bei den Kommando Spezialkräften, gesucht wegen Fahnenflucht und die Person, die höchstwahrscheinlich mit ‚Blitz’ identisch ist.“
„Dann hat dieser Blitz irgendwie davon erfahren, dass Käding Dinge über ihn erzählt, die er nicht verbreitet haben will und ihn deswegen umgebracht?“, fragte Roy.
„Moment!“, warnte Max. „Wir wissen nicht definitiv, dass der Mann auf der Videoaufnahme Blitz ist. Wir wissen nur, dass Blitz einer von 507 Personen ist, die Kädings Mörder sein könnten. Ich betone das Wort könnten!“
„An Zufälle glaube ich aber nun mal nicht“, meinte ich.
„Ich auch nicht“, sagte Max. „Sie kommen aber vor!“
14
„Kannst du nicht schlafen?“
Vic Noureddine stand am Fenster und blickte hinaus in die Gartenanlagen, die seine wie eine Festung bewachte Villa umgaben.
Es war drei Uhr morgens.
Kimberley erhob sich aus dem breiten Wasserbett. Sie war nackt. Über einer Stuhllehne hing ein Kimono, nach dem sie griff. Während sie sich die fließende Seide um den Körper hüllte, fiel ihr das weiße Pulver auf, das auf dem Nachttisch in kleine Häufchen aufgeteilt worden war. Daneben lag ein Nasenröhrchen.
Vic Noureddine hatte sich nie im Drogenhandel betätigt. Die alteingesessene Konkurrenz war zu stark und sich gegen die Drogensyndikate durchsetzen zu wollen war für Newcomer so gut wie aussichtslos. Die einzige Möglichkeit war, von ganz unten zu beginnen. Aber Vic Noureddine war nun einmal jemand, der nichts so sehr hasste, wie der Vasall eines Anderen zu sein. Er hatte immer schon sein eigener Herr sein wollen und ließ sich von niemandem reinreden.
Als Vic vor zehn Jahren in der Müllbranche anfing, war die noch jung gewesen. Der Aufstieg dementsprechend leicht und die Gewinne so gigantisch, dass jeder Kokaingroßdealer dagegen wie eine arme Kirchenmaus aussah.
Auch wenn seine Geschäfte mit Drogen nichts zu tun hatten, privat genehmigte sich Vic immer wieder mal eine Nase voll. Natürlich nur Stoff von erstklassiger Qualität.
Kimberley trat neben ihn, schmiegte sich an ihn.
„Du kennst diesen Blitz, von dem die Beamte sprachen.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, die in diesem Augenblick über Kimberleys Lippen kam.
„Ich habe ihn sogar selbst schon einmal engagiert. Er ist einfach der Beste seines Fachs, und es ist kein Wunder, dass man ihn bisher nicht gefunden hat.“
„Und wer steckt dahinter und will dich tot sehen? Darüber denkst du doch schon die ganze Zeit nach, oder?“
Vic sah in ihre blauen Augen. Manchmal war es beängstigend, wie gut sie seine Gedanken zu lesen vermochte. Aber diesmal lag sie etwas daneben.
„Ich weiß, wer dahinter steckt!“, sagte er und ballte dabei unwillkürlich die Hände zu Fäusten. „Darüber brauche ich gar nicht erst nachzudenken! Die Frage, die mich beschäftigt, ist eine ganz andere: Wie kann ich diese Schweine unter die Erde bringen, bevor sie dasselbe mit mir tun.“
„Du solltest nicht übereilt handeln.“
„Wahrscheinlich habe ich viel zu lange gezögert. Ich hätte Timothy Kronewitteck umbringen sollen, als er noch ein kleiner Fisch im Karpfenteich war. Aber so ist der Lauf der Welt. Menschlichkeit rächt sich früher oder später.“
Die junge Frau atmete tief durch.
Ihr Gesicht musterte Vic eine ganze Weile, ehe sie ihn schließlich fragte: „Bist du je mit diese geheimnisvollen Blitz persönlich zusammengetroffen?“
„Wieso fragst du mir eigentlich Löcher in den Bauch, Baby?“, knurrte er ärgerlich. Er seufzte hörbar. „Auf jeden Fall muss etwas geschehen. Ich will, dass allen Leuten, die Käding kannten, mal so richtig auf den Zahn gefühlt wird. Dieser verfluchte Buchmacher muss doch eine Quelle für seine Informationen haben.“
„Und wenn er einfach nur Wind machen wollte?“
Auch dieser Gedanke war Vic schon gekommen. Er dachte noch einen Moment darüber nach, schüttelte schließlich aber den Kopf. „Dafür scheint mir das Risiko einfach zu hoch“, sagte er.
Kimberly ließ ihn los. Sie schlenderte durch das Zimmer, setzte sich schließlich auf das Bett und machte eine Lampe an. Dann nahm sie Vics Blasrohr, das zwischen den Kokain-Häufchen auf dem Nachttisch lag und schnupfte eine ziemlich große Dose. Anders, so dachte Kimberley, ließ sich der Tag nicht überstehen.
„An deiner Stelle würde ich mir über ganz andere Dinge Gedanken machen, Vic“, meinte sie danach, ließ sich auf das Wasserbett fallen, dessen Inhalt daraufhin in merkliche Schwingungen geriet, und schloss die Augen.
„Du hast doch was Bestimmtes mit deiner Bemerkung im Sinn“, stellte Vic stirnrunzelnd fest.
„Ich denke da zum Beispiel an die Häuser mit dem giftigen Inhalt, auf die die Behörden in letzter Zeit so verdächtig oft gestoßen sind.“
„Talani ist ein Narr gewesen“, murmelte Vic. „Ein so gottverdammter Narr...“
Mehr hatte Vic Noureddine dazu nicht zu sagen.
15
Am nächsten Morgen fuhren Roy und ich zum Albert Schweizer Krankenhaus, um die beiden Jungen zu vernehmen, die sich in das Haus in der Brasewinkel Straße vorgewagt hatten und dabei vergiftet worden waren.
Inzwischen waren beide Jungen außer Lebensgefahr. Die Ärzte hielten sie immerhin für vernehmungsfähig. Aus rechtlichen Gründen musste wenigstens ein Elternteil bei den Vernehmungen zugegen sein, woran wir uns auch hielten.
Beide Jungen lagen auf demselben Zimmer im Albert Schweizer Krankenhaus. Paul Oldendorff war wach und las in der neuesten Ausgabe von SPIDER-MAN. Marvin-Julian Pellemeier schlief und schien von den Entgiftungsmaßnahmen noch sehr geschwächt zu sein.
Die Eltern der der beiden Jungen waren bereits vor uns eingetroffen.
„Ich hoffe, Sie tun alles, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die unseren Kindern dies angetan haben“, sagte Herr Pellemeier.
„Sie können sicher sein, dass wir nicht eher ruhen, bis die Verantwortlichen vor ihrem Richter stehen“, versicherte ich.
Herr Pellemeier schüttelte den hochroten Kopf. „Die Ärzte sagten uns, dass unsere Jungs großes Glück gehabt haben, weil so schnell Hilfe herbeikam. Sonst hätte das alles ganz anders ausgehen können.“
Ich wandte mich Paul zu.
„Sie sind ein echter Kommissar?“, fragte er.
Ich zeigte ihm meinen Kripo-Ausweis.
„Kann ich den mal kurz ansehen?“
„Sicher.“ Ich gab ihm den Ausweis und der Junge sah ihn sich ausgiebig an.
„Tragen Sie auch eine Waffe?“, fragte er.
„Natürlich. Aber die werde ich dir nicht geben.“
„Aus Sicherheitsgründen, schätze ich.“
„So ist es.“
Er atmete tief durch. „Ich schätze, es war wohl ein Fehler, in dieses Haus einzusteigen.“
„Allerdings!“
„Aber ich habe das nur getan, weil Marvin-Julian nicht zurückkam“, verteidigte sich Paul Oldendorff. „Das roch so komisch da drinnen und dann ist mir plötzlich ganz schwindelig geworden. Ich habe gedacht, ich könnte Marvin-Julian helfen. Er lag auf dem Boden.“
„Hauptsache, du hast für die Zukunft daraus gelernt“, erwiderte ich.
Paul nickte. „Das habe ich. Ich hätte gleich Hilfe holen sollen.“
„Paul, ich möchte wissen, ob dir irgendetwas aufgefallen ist, was in Zusammenhang mit diesem Haus steht. Es kann Wochen oder Monate vorher passiert sein. Ist dort mal jemand gewesen?“
„Nur ein Obdachloser.“
„Wie sah der aus?“
„Ziemlich abgerissen. Ich habe ihn nur einmal kurz gesehen. Es regnete stark und wahrscheinlich hat der Mann gedacht, dass man sich im Geisterhaus gut unterstellen könne.“
„Geisterhaus?“, echote ich.
„So haben wir es immer genannt, weil es so unheimlich ist und wegen der vielen toten Ratten in der Umgebung. Außerdem ist die Katze von unserer Nachbarn auf dem Grundstück verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Sie lag dort, wo Marvin-Julian und ich eingestiegen sind. Wahrscheinlich ist ihr genauso schlecht geworden, aber sie hatte nicht das Glück, rechtzeitig gerettet zu werden.“
„Allerdings!“
„Seltsam.“
„Was?“, hakte ich sofort nach. Ich merkte, dass Paul Oldendorff über irgendetwas plötzlich sehr intensiv nachdachte. Er blickte auf und sah mich fragend an. „Haben Sie diesen Obdachlosen eigentlich auch im Geisterhaus gefunden?“
„Nein, da war kein Toter. Wieso fragst du?“
„Na, weil ihm doch eigentlich auch schlecht werden musste, oder?“
Ich versuchte herauszubekommen, wie lange es schon her sein mochte, dass er den Obdachlosen gesehen hatte. Marvin-Julian Pellemeier – der den Mann wohl ebenfalls beobachtet hatte – mischte sich nun erstmals in das Gespräch ein. Er wirkte verschlafen und sehr müde. Das hing wohl mit den Medikamenten zusammen, die er bekommen hatte.
Die Aussagen der beide Jungen waren im Hinblick auf den Zeitpunkt etwas widersprüchlich, aber mir wurde deutlich, dass dieses Erlebnis durchaus schon mehrere Monate her sein konnte – zu einem Zeitpunkt, da das Geisterhaus noch nicht so stark kontaminiert gewesen war.
„An eine Sache erinnere ich mich noch!“, meinte Marvin-Julian plötzlich. „Aber ich weiß nicht, ob das wirklich wichtig ist.“
„Sag’s uns“, forderte ich den Jungen auf. „Jede Kleinigkeit kann wichtig sein.“
„Hat denn der Obdachlose was mit dem Fall zu tun?“
„Nein, wahrscheinlich nicht, aber es könnte sein, dass er ein wichtiger Zeuge ist“, erwiderte ich.
Marvin-Julian nickte und auf seiner Stirn erschien eine tiefe Furche. Er wirkte jetzt sehr ernst. „Der Mann hatte ein Loch im Bart.“
„Was genau meinst du damit?“, hakte ich nach.
„Nun, ein Bart wuchs ihm fast bis unter die Augen. Deswegen sah er auch so unheimlich aus. Wie ein Ghoul oder so etwas...“
„Der Junge schaut zu viel fern“, mischte sich Herr Pellemeier ein. „Nehmen Sie das nicht so ernst, er vermischt da wahrscheinlich Fantasie und Realität!“
„Ich weiß doch, was ich gesehen habe!“, empörte sich Marvin-Julian. „Der Bart war ganz schwarz, aber genau hier war ein längliches Loch in den Haaren!“ Der Junge zeigte auf seine Wange, malte das, was er gesehen hatte mit der Fingerkuppe seines Zeigefingers dort nah.
„Vielleicht eine Narbe“, vermutete Roy.
Vielleicht war dieser Mann irgendwann einmal verhaftet oder in trunkenem Zustand zur Ausnüchterung auf ein Polizei-Revier gebracht und erkennungsdienstlich behandelt worden. Dann konnten wir seine Daten über das landesweite Datenverbundsystem abrufen. Immerhin war es möglich, dass dieser Zeuge wertvolle Beobachtungen gemacht hatte, da er wahrscheinlich das Haus zu einem Zeitpunkt betreten hatte, als dort noch mehr oder weniger regelmäßig Giftmüll eingelagert wurde.
„Hat jemand von euch mal einen Lastwagen gesehen, der auf das Gelände gefahren ist?“, fragte ich.
Paul meldete sich zu Wort. „Ja, einmal sogar ein Atego 500!“
Ich lächelte.
„Du kennst dich aus mit Lastwagen?“
„Klar! Und deswegen bin ich mir auch ganz sicher.“
16
Insgesamt sechs Bodyguards schirmten Vic Noureddine und seinen Neffen Maik ab, als die das Lokal „Chez Pierre“ betraten - das beste französische Lokal Hamburgs.
Es gehörte einem Franzosen namens Pierre Lacroix, den Noureddine zu seinen persönlichen Freunden zählte und dem er deswegen auch absolut vertraute. Als stiller Teilhaber war Noureddine über einen Strohmann an dem Nobellokal sogar beteiligt. Rein wirtschaftlich gesehen war es für ihn eine Möglichkeit, kleinere Geldmengen in eigener Regie zu waschen, was ihn unabhängiger von den auf diesem Gebiet tätigen Geschäftspartnern machte und damit auch das eigene Risiko minimieren half. Schließlich musste Noureddine immer dann, wenn einer dieser Partner aufflog, damit rechnen, dass dieser auf ein Kooperationsangebot der Staatsanwaltschaft einging.
Vic Noureddine hatte das das „Chez Pierre“ an diesem Tag für sich und seine Gäste allein. Normalen Publikumsverkehr gab es aus Sicherheitsgründen nicht.
Pierre Lacroix empfing Vic Noureddine und seine Leute.
„Ihre Gäste sind bereits anwesend, Monsieur“, sagte der Kanadier mit starkem französischem Akzent.
„Dann wollen wir sie nicht länger warten lassen“, knurrte Vic.
Pierre führte sie in den großen Hauptsaal des Lokals.
An einem großen, nierenförmigen Tisch hatte ein breitschultriger Mann mit grauen, kurz geschorenen Haaren Platz genommen. Er wurde von zwei Leibwächtern flankiert, die dunkle Rollkragenpullover und kugelsichere Westen trugen.
Der Grauhaarige trug ebenfalls eine Kevlarweste. Sie drückte sich deutlich durch das Hemd ab, dessen Knopfleiste dadurch ziemlich gespannt wurde.
„Seien Sie gegrüßt, Herr Makarow“, sagte Vic und bleckte dabei die Zähne wie ein Raubtier.
„Nennen Sie mich ruhig Peter“, erwiderte der Grauhaarige.
„Dann bestehe ich darauf, dass Sie mich Vic nennen.“ Der Pate von St. Pauli deutete auf seinen zweiten Mann. „Dies ist übrigens mein Neffe Maik...!“
„Angenehm“, nickte der Gast.