Zusammenfassung
Science Fiction Roman von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 133 Taschenbuchseiten.
Im Jahr 348 vor Christus stürzt ein Alien-Raumschiff auf der Erde ab. Ein gestaltwandelnder Außerirdischer strandet auf dem blauen Planeten. Seine Lebenserwartung beträgt Jahrtausende. Über viele Zeitalter hinweg lebt er unter den Menschen – bis die Erdbewohner sich schließlich weit genug entwickelt haben, um selbst den Weg zu den Sternen zu finden.
Aber in all dieser Zeit hat er einen Gegenspieler – ein Wesen seiner eigenen Art, das mit der Erde einen teuflischen Plan verfolgt...
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Alienwandler 2: Ein Fremder auf der Erde
Science Fiction Roman von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 124 Taschenbuchseiten.
Im Jahr 348 vor Christus stürzt ein Alien-Raumschiff auf der Erde ab. Ein gestaltwandelnder Außerirdischer strandet auf dem blauen Planeten. Seine Lebenserwartung beträgt Jahrtausende. Über viele Zeitalter hinweg lebt er unter den Menschen – bis die Erdbewohner sich schließlich weit genug entwickelt haben, um selbst den Weg zu den Sternen zu finden.
Aber in all dieser Zeit hat er einen Gegenspieler – ein Wesen seiner eigenen Art, das mit der Erde einen teuflischen Plan verfolgt...
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.
© by Author
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
Vorwort
„Sie sprechen von sich in der dritten Person“, hatte ich während einer jener ersten Nächte festgestellt, in denen ich Mitte des Jahres 2962 an Bord der NOVA GALACTICA den Berichten jenes Mannes lauschte, der im Jahre 348 vor Christus auf der Erde strandete und seitdem als quasi Unsterblicher das Geschick der Menschheit begleitete.
„Die Zeit ist eine große Verwandlerin, Mr. Vanstranger. Ich bin ein anderer geworden“, hatte mir damals ein tief erschütterter Orik Daan geantwortet, der sich gerade voller Grauen daran erinnerte, wie er selbst seinerzeit unter dem Namen Hephaistion den rücksichtslosen Machtwillen Alexanders des Großen unterstützt hatte. „Ich nenne ihn heute nicht mehr den Großen“, verriet mir Orik Daan bei späterer Gelegenheit. „Für mich ist er nur noch Alexander von Makedonien, ein größenwahnsinniger Despot, wie es nach ihm leider noch viele gegeben hat. Ein Mann, der den Anspruch erhob, ein Gott zu sein, und dabei von Leichen bedeckte Schlachtfelder hinterließ. Niemand ist ohne Schuld, das habe ich in all den Jahrhunderten auch gelernt, Mr. Vanstranger. Aber wie harmlos erscheinen mir im Rückblick meine eigenen Ambitionen im Hinblick auf göttliche Erhabenheit, die ich zeitweilig hegte.“
Orikdaan – unter diesem Namen erblickte jener Nugrou-Mutant, der später menschliche Gestalt annahm, im Jahre 546 vor Christus auf dem Planeten Yope in der Galaxis Nyroo das Licht einer blauen Sonne – der Begriff „Geburt“ erscheint in Bezug auf die in ihrer Ursprungsgestalt, einer bis zu hundert Kilogramm schweren Amöbe ähnelnden eingeschlechtlichen Nugrou, wohl nicht ganz passend. Im Jahre 348 v. Christus strandete Orikdaan auf dem Tabu-Planeten Erde, trat kurzzeitig als Blitze schleudernder Gott Thor in Erscheinung, lernte durch die Germanin Gerhuld die Liebe kennen, und verlor sie zusammen mit den Resten seiner Ausrüstung während eines Sturms in der Ägäis. Alexander von Makedonien begleitete er bis nach Indien. Als er Zeuge wurde, wie ein Nugrou-Raumer vom Himmel stürzte, trennte er sich von Alexander und zog ostwärts. Auf dem Gipfel des Mount Everest fand Orikdaan schließlich das havarierte Raumschiff und rettete dessen Insassen – Kertop, einen Nugrou-Mutanten, der die Gestalt eines gehörnten Biiken angenommen hatte und daher später zum Urbild der menschlichen Vorstellung vom Teufel wurde.
Anfänglich unterstützte Orikdaan Kertop in dessen Bestreben, sich die Menschen untertan zu machen. Aber die menschenverachtende Vorgehensweise Kertops stieß ihn zunehmend ab, so dass er sich zur Trennung entschloss. Kertop versuchte ihn daraufhin zu töten. In dem irrtümlichen Glauben, dass Kertop von seinen eigenen Untertanen getötet worden sei, verließ Orikdaan Indien schließlich.
Im Jahre 63 nach Christus ließ er sich unter dem Namen Orikus Dornum in Rom nieder und behauptete, dass ihm im fernen Novaesium (Neuss) das Bürgerrecht verliehen worden wäre.
Dort traf er an der Seite des Kaisers Nero auch Kertop wieder. Er nannte sich nun Potrecius und versuchte durch Intrigen und ein geschicktes Ränkespiel Macht zu gewinnen.
Orik Daan erkannte den destruktiven Einfluss, den Kertop auf die menschliche Geschichte nahm. Und so wurden sie – beide mit einer nach Jahrtausenden zählenden Lebenserwartung – über die Zeitalter hinweg zu erbitterten Feinden, ohne dass es einem von ihnen gelang, den anderen endgültig auszuschalten. Ob während der wilden Zeiten, in denen Attilas Hunnen die Völkerwanderung auslösten, oder Jahrhunderte später am Hofe Kublai Khans – immer wieder war Orik Daan gezwungen, im Interesse der Menschheit seinem Widersacher die Stirn zu bieten.
„Ich habe zweimal große Schuld auf mich geladen“, so eröffnete mir Daan während einer unserer langen Unterhaltungen. „Was meine Unterstützung von Alexander angeht, kann ich zu meiner Entschuldigung immerhin sagen, dass mit Aristoteles einer der größten Geister der Menschheitsgeschichte denselben Irrtum beging wie ich. Der viel schwerwiegendere Fehler war, dass ich Kertop das Leben rettete und ihm in der Anfangszeit sogar half. Mr. Vanstranger, das war ein Fehler, der die Menschheitsgeschichte entscheidend beeinflusst hat ...“
Je weiter Orik Daan in seinen Berichten fort fuhr, desto besser verstand ich nun auch, weshalb er sich anfangs so vehement dagegen gesträubt hatte, überhaupt über sein Leben auf der Erde zu sprechen – geschweige denn, diese Erlebnisse zu veröffentlichen.
Zuletzt war Orik Daan seinem Widersacher Kertop Mitte des dreizehnten Jahrhunderts in Asien begegnet, wo der Gehörnte unter dem Namen Bod-Leg die graue Eminenz am Hofe Kublai Khans gewesen war. Mit Hilfe von atomaren Sprengsätzen, der sogenannten „Waffe der Götter“, dehnte Kertop das Reich Kublai Khans nach Süden aus.
Die Flutwellen einer von Daan gestohlenen und draußen auf dem Meer gezündeten Atombombe vereitelten schließlich den Versuch, Japan zu erobern und damit die Vorherrschaft über Asien zu gewinnen.
Daan hatte sich mit knapper Not retten können und war davon ausgegangen, dass auch sein Widersacher den Tod gefunden hatte.
Jahrhunderte lebte er in dieser Überzeugung, kehrte nach Europa zurück und erlebte dort, wie sich aus dem Dunkel des Mittelalters in der frühen Neuzeit die zarte Pflanze des Fortschritts emporwuchs und zu einer ersten Blüte gebracht wurde.
Doch dann stieß Orik Daan auf erste Anzeichen dafür, dass der alte Feind der Menschheit wieder aktiv geworden war.
Eine Zeit des Krieges, der Finsternis und des Wahnsinns begann. Und im Hintergrund zog mit kalter Berechnung ein gehörntes Wesen die Fäden ...
Norbert Vanstranger, Dezember 2962 an Bord der NOVA GALACTICA
1. Kapitel
Passau, Anno 1610....
Grausige Schreie gellten über die schmucken Fachwerkhäuser und gingen in den anfeuernden Rufen der johlenden Menge beinahe unter. Annähernd die gesamte Stadtbevölkerung hatte sich auf dem Marktplatz versammelt, um Zeuge dessen zu sein, was sich hier an diesem eiskalten Februartag des Jahres 1610 abspielte.
„Das Höllenfeuer für die Hexe!“, rief eine heisere Männerstimme, und andere fielen in diesen Chor mit ein.
Die Menschen zitterten vor Kälte.
Hungermond nannten die Menschen den Februar, weil die Vorräte des Sommers schon so gut wie aufgebraucht waren, aber der Frühling noch auf sich warten ließ. Die monatelange Kälte hatte sie geschwächt und anfällig für Krankheiten gemacht. Es mangelte jetzt an allem, was frisch war, und bei so manchem zeigten sich nun sogar dieselben Mangelerscheinungen, wie sie ansonsten nur für Seefahrer typisch waren.
Skorbut zum Beispiel.
Aber zu den Leiden und Entbehrungen des Körpers kamen noch jene Bedrohungen, von denen die Menschen glaubten, sie kämen aus einer anderen, übernatürlichen Welt. Einer Gegenwelt des Teufels, die von Dämonen und Hexen beherrscht wurde. In Wahrheit aber kamen diese Bedrohungen aus der Tiefe der eigenen Seele. Ausgeburten der Angst, angesichts des Ausgeliefertseins an die Natur, an die Willkür der Herrscher, und die blinde Grausamkeit des Schicksals, in der die Ordnung Gottes ins Wanken zu geraten und die Mächte der Finsternis auf dem Vormarsch zu sein schienen. Von Jahr zu Jahr war es kälter geworden, die Ernten schlechter, die Winter länger, die Sommer kürzer, die Seuchen bei Mensch und Tier häufiger.
Nur eine starke, unbedingte Zuversicht in die Erlösung, die der Glaube brachte, konnte die Seele davor bewahren, jeglichen Halt zu verlieren, und wie ein dem Tode geweihtes Blatt im Herbstwind dahingeweht zu werden.
Und alles, was diese Zuversicht ins Wanken bringen konnte, was die Gefahr erhöhte, die Dämonen der Angst zu befreien, die mit dem Rosenkranz und frommen Gebeten vorübergehend in ihre Schranken gewiesen worden waren, musste ausgemerzt werden.
Ein eiskalter Wind wehte von Osten her. Schnee und Raureif bedeckten die Hausdächer. Eiszapfen hingen wie Reißzähne höllischer Ungeheuer von den Dachrändern. Jetzt half dieser alles zu Eis erstarrende, todbringende Wind, der das Fieber und die Lungenentzündungen brachte, an denen die vom Winter geschwächten Menschen wie die Fliegen dahingerafft wurden, ein Feuer zu entfachen.
Das Holz war feucht. Die Flammen tauten das Eis auf, es knisterte. Rauch stieg empor. Rauch, so schwarz wie die Nacht.
Eben noch hatte die junge Frau, die von Bütteln des Gerichts an den Pfahl gebunden worden war, wie Espenlaub gezittert. Nur ein graues, leinenes Büßergewand trug sie, übersät von Flecken aus getrocknetem Blut. Sie war in den letzten Tagen gefoltert worden. Blut rann ihr auch seitlich aus dem Mundwinkel. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Die junge Frau war wie von Sinnen. Die Fragen der Priester, ob sie bereuen und Satan abschwören würde, hatte sie gar nicht mehr mitbekommen. Jetzt loderten die Flammen empor, leckten bereits nach ihren blau gefrorenen Füßen.
Die Menge begann zu toben.
Niemand achtete auf den hochgewachsenen Mann, der sich den Umhang eng um die Schultern geschlagen und den Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Das Haar war schwarz – aber das war nicht seine natürliche Farbe. Ursprünglich war es feuerrot gewesen – ebenso wie der Bart, den der hochgewachsene Mann mit Akkuratesse abrasiert hatte, wie es unter seinen Zeitgenossen eigentlich unüblich war.
Aber er wusste ganz genau, welche Folgen eine äußerliche Auffälligkeit, ein ungewöhnliches körperliches Merkmal, für den Betroffenen in dieser Zeit des religiösen Wahns und der Furcht vor dem Einfluss Satans, haben konnte. Ein Leberfleck konnte das Misstrauen ebenso erregen, wie miteinander verwachsene Zehen, die ebenfalls als Zeichen des Teufels galten. Ähnliches galt für Menschen mit roter Haarfarbe, die in diesem Teil Europas nur sehr selten waren.
Er kam aus Prag, und Passau war für ihn nur eine von vielen Zwischenstationen auf dem Weg nach Westen, der vor ihm lag. Er wollte nach Paris. Vor einer knappen Stunde noch hatte er das Eis der gefrorenen Donau überquert. In Passau hoffte er, eine Unterkunft für die Nacht und ein Pferd zu finden, mit dem er weiter nach Westen reisen konnte.
Die Schreie der jungen Frau, die man als Hexe verurteilt und dem Scheiterhaufen übergeben hatte, drangen ihm durch Mark und Bein. Die Flammen züngelten an ihren Schenkeln empor und fraßen sich in ihr Fleisch herein. Ein unbeschreiblicher Geruch verbreitete sich. Wie eine schwarze Fahne des Todes stieg der Rauch in den klaren, fast wolkenlosen Himmel empor.
So deprimierend es auch sein mag – es gibt nichts, was du tun kannst!, ging es dem hochgewachsenen Mann durch den Kopf. Er presste die Lippen aufeinander. Ein harter Zug stand nun in seinem Gesicht. Zeitalter lang weilst du nun schon auf dieser Tabuwelt und wartest auf den entscheidenden Sprung der Menschheit, der sie aus der Barbarei befreien könnte. Und was musst du immer wieder mit ansehen? Szenen wie diese, die nichts weiter als Illustrationen des Wahnsinns sind. Beweise dafür, wie weit der Weg der Menschheit zu einer Zivilisation, die diesen Namen auch verdient, noch sein wird ...
Jubelschreie ertönten, als das klamme Büßergewand der jungen Frau endlich Feuer fing.
Erinnerst du dich überhaupt noch daran, wie es war, Orikdaan zu sein, ein Nugrou-Philosophielehrer in der Galaxis Nyroo?
Er schluckte.
Seit gut zweitausend Jahren befindest du dich nun schon auf dem Tabu-Planeten Erde und der Fortschritt, dessen Zeuge du in dieser Zeit werden durftest, ist doch nur marginal.
Er empfand Abscheu vor dem, was sich da vor seinen Augen abspielte. Abscheu und Scham, wobei sich letzteres darauf bezog, dass er angesichts dieses Grauens zur Untätigkeit verurteilt war. Er konnte der jungen Frau nicht helfen. Vielleicht, wenn ich noch den Strahler zur Verfügung hätte, der aus mir in den Augen der Nordsee-Küstenbewohner den Donnergott Thor machte!, erinnerte er sich grimmig. Aber diese Nugrou-Waffe war zusammen mit dem kläglichen Rest seiner Ausrüstung seinerzeit vor der Küste Makedoniens untergegangen, als das Schiff, mit dem er aus den Gewässern des Nordens nach Griechenland gesegelt war, in einem tosenden Sturm kenterte.
Wenig später hatte er unter dem Namen Hephaistion – „Rotbart“ – am Hof König Philipps II. geweilt und sich mit Aristoteles über die Erziehung des jungen Alexander, oder die Bedeutung des Zwerchfells als Sitz der Seele unterhalten.
Dutzendfach hatte er – der gemessen an menschlichen Maßstäben unsterbliche – Nugrou-Mutant in Menschengestalt seitdem seinen Namen und seine Identität gewechselt, um so wenig wie möglich aufzufallen.
Im Augenblick nannte er sich Artur Schwarz.
Orikdaan/Schwarz versuchte, sich seine Empfindungen, so gut es ging, nicht anmerken zulassen.
Inzwischen hatte er die Mimik des menschlichen Körpers, den er angenommen hatte, längst vollkommen verinnerlicht. Abgesehen von seiner um ein vielfaches höheren Lebenserwartung unterschied ihn nichts von den Bewohnern dieses Tabu-Planeten, dessen Bewohner den Bestimmungen des Nugrou-Reichs nach sich selbst überlassen bleiben sollten, damit sie sich frei entwickeln konnten.
Vielleicht hat man einfach die falsche Gattung ausgesucht!, ging es Orikdaan/Schwarz angesichts der Grausamkeit und des religiösen Wahns, den er mitansehen musste, durch den Kopf.
„Seien wir froh, dass die Hexe gefunden wurde, ehe sie noch mehr Unheil anrichten konnte!“, äußerte sich eine Frau in den mittleren Jahren, deren Nase ganz rot gefroren war. Dennoch hatte sie sich den Anblick des sich vor unvorstellbar großem Schmerz verzweifelt in den Seilen windenden Körpers nicht entgehen lassen.
Artur Schwarz bemerkte andere Passauer, die ihre Kinder auf den Arm nahmen, oder sie gar auf die Schultern setzten, damit sie besser zusehen konnten.
Ein Pater sprach mit beschwörender Stimme Gebete dazu, während die Schreie der jungen Frau wie ein schauerlicher Gruß aus der Hölle klangen.
„Gehen wir, es ist kalt“, sagte eine Mutter zu ihrem etwa siebenjährigen Jungen.
„Warum denn? Ich will noch sehen, wie die Haare brennen!“, erwiderte der Junge.
Hier und da waren Freudengesänge zu hören, oder es wurden Kirchenlieder angestimmt, die Gott als machtvollen Beschützer vor den Mächten der Finsternis priesen.
Artur Schwarz hörte dem Stimmengewirr der Leute zu, ein vielstimmiger Chor des Hasses, wie er so typisch war für solche Anlässe.
„Gut, dass sie kurzen Prozess mit ihr gemacht haben.“
„Sie soll die Männer reihenweise verhext haben!“
„Die Wintervorräte von mindestens drei Familien wurden vom Schimmel befallen, nachdem sie ihren bösen Blick, auf deren Häuser warf ...“
„Vergessen wir nicht die eitrigen Geschwüre, an denen die Schweine des Niedermayer-Bauern zu Grunde gingen.“
„Mei, hat das Madl net den Sohn des Niedermayers heiraten wollen? Jedenfalls habe ich so etwas läuten hören!“
„Ja, aber der Niedermayer war dagegen, weil er wohl gleich erkannt hat, was für eine das ist!“
„Und da hat das Satansmadl seine Höllenkräfte eingesetzt, um sich zu rächen.“
„Wer weiß, was sie noch alles getan hätte, wenn ihrem Treiben jetzt net ein Ende bereitet worden wäre!“
Die Schreie verstummten. Der angekohlte Körper hing schlaff in den Seilen. Flammen tanzten über die junge Frau hinweg, das Haar loderte hell auf, aber Artur Schwarz hoffte, dass die Delinquentin davon nichts mehr mitbekam.
Was war dies nur für eine Zeit, in der schon geringfügigste Anlässe dazu ausreichten, um aus einem völlig harmlosen Mitmenschen ein vom Satan besessenes Monstrum zu machen! Artur Schwarz wusste nur zu gut, dass es buchstäblich jeden treffen konnte. Selbst der Vorsichtigste konnte nicht davor gefeit sein, dass ihn irgend jemand denunzierte und Behauptungen aufstellte, die vermuten ließen, dass der Betreffende einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte.
Wo ist dein Optimismus geblieben?, ging es Artur durch den Kopf. Knapp hundert Jahre war es her, dass ein Mönch namens Martin Luther eine gewaltige Reformbewegung in Gang gebracht hatte. Der gerade aufgekommene Buchdruck hatte seine Schriften in Windeseile in ganz Europa verbreitet, und es hatte einige Zeit den Anschein gehabt, als ob ein kräftiger Schub des Fortschritts diese Welt erfassen würde.
Der Optimismus war verfrüht gewesen, wie Artur jetzt erkannte. Das Heilige Römische Reich war nur noch ein Schatten seiner selbst. Das Autonomiestreben der Fürsten und die religiösen Gegensätze sorgten dafür, dass es mehr und mehr in seine Bestandteile zerfiel. Und ein schwacher, wenig an den Regierungsgeschäften interessierter Kaiser wie Rudolf II. war einfach nicht in der Lage, dem Zerfall Einhalt zu gebieten.
Artur dachte an die Zeit in Prag, wo er zunächst mit dem tschechischen Universalgelehrten Comenius zusammengetroffen war, dessen humanistische Ansichten in einem wohltuenden Gegensatz zur allgemeinen Intoleranz standen. Auf Grund seines Ranges als Universitätsstadt war Prag geradezu ein Zentrum des Geistes geworden, das viele Gelehrte anzog. So forschte dort auch ein bekannter Astronom namens Johann Kepler, mit dem Orikdaan/Schwarz ebenfalls zusammengetroffen war. Der Nugrou-Mutant hatte Kepler unter anderem bei der Konstruktion eines primitiven Fernrohrs geholfen und lange mit ihm über die Gesetzmäßigkeiten diskutiert, denen die Planeten auf ihren Bahnen folgten. Jetzt fragte sich Artur Schwarz, wie es sein konnte, dass ein so fortschrittlicher Geist wie Kepler zur selben Zeit existierte, wie der rückständige Mob dieses Marktplatzes, der tatsächlich glaubte, dass die Verbrennung eines Menschen das eigene Seelenheil befördere.
Es war unfassbar.
Über Kepler hatte Artur Schwarz den an naturwissenschaftlichen Forschungen außerordentlich interessierten Kaiser kennengelernt. Böse Zungen behaupteten, dass Kaiser Rudolf immer wieder dazu neigte, vor den eigentlich so dringend seine Aufmerksamkeit fordernden Regierungsgeschäften in die Welt der Zahlen, Planetenbahnen und leuchtenden Himmelserscheinungen zu flüchten.
Immerhin hatte diese Begegnung dazu geführt, dass Artur Schwarz jetzt mit einem kaiserlichen Schreiben durch die Lande ritt, das ihn als Sondergesandten auswies, und ihm an jeder Universität des Heiligen Römischen Reiches jegliche Türen geöffnet hätte.
Aber Artur Schwarz alias Orikdaan alias Hephaistion (und so viele mehr) hatte andere Pläne. Er war entschlossen, dem Reich, in das er so viele Hoffnungen gesetzt hatte, den Rücken zu kehren und nach Paris zu gehen. In Deutschland, so schien es, herrschte offenbar eine geradezu schicksalhafte Tendenz, immer die schlechtest mögliche Entscheidung zu treffen. Zumindest erschien Artur das so. Die dunklen Wolken des Krieges waren am Horizont bereits sichtbar. Zahllose Gegensätze zerrissen das Reich. Die katholische Kirche wartete auf ihre Chance zur Revanche und Gegenreformation. Die Niederlande hatten ihre faktische Unabhängigkeit von den Habsburgern erstritten und gehörten nur noch de jure zum Reich, und darüber hinaus warteten die umgebenden Großmächte nur auf ihre Chance, sich wie hungrige Hyänen ihr Stück Fleisch aus dem Körper des sterbende Kolosses herausreißen zu können.
Eine Unterhaltung mit Kaiser Rudolf kam Artur Schwarz in den Sinn.
„Das Heilige Römische Reich ist eine Idee gewesen – kein Staat im eigentlichen Sinn“, hatte der Monarch geäußert.
„Ihr sprecht von diesem Reich in der Vergangenheit“, hatte Artur Schwarz festgestellt, woraufhin Rudolf gelächelt hatte.
„Es ist Vergangenheit, werter Herr Schwarz. Die Idee eines einzigen, alle Christen umfassenden, Imperiums stirbt, und die ritterlichen Tugenden wie die Lehenstreue, auf denen es aufgebaut war, sind im Pulverdampf der Feuerwaffen vergangen ...“
Artur erkannte nur zu gut, wie Recht der Kaiser mit seinen Worten gehabt hatte.
Der Verfall war nicht aufzuhalten.
Niemand konnte ernsthaft erwarten, dass sich die Fürsten ihre Landesherrlichkeit in Religionsfragen, oder das Recht, stehende Heere zu unterhalten, wieder nehmen lassen würden. Das galt für katholische wie protestantische Herrscher gleichermaßen.
Mit zwei Pferden war Artur Schwarz vor wenigen Tagen aus Prag aufgebrochen. Er pflegte sie abwechselnd zu reiten, damit sie nicht so schnell ermüdeten. Kurz bevor er das Donauufer erreichte, hatte Artur Schwarz die Tiere in einem kleinen, tschechischen Marktflecken verkauft, um den gefrorenen Fluss ohne sie zu überqueren. Schließlich gab es für ihn die Gewissheit, sich in Passau neue Pferde besorgen zu können.
Jetzt verließ Artur Schwarz den Marktplatz voller Resignation. Er wusste aus Erfahrung, dass das Interesse des Publikums an Hexenverbrennungen und öffentlichen Hinrichtungen sich normalerweise mindestens so lange hielt, bis heiliges, reinigendes Feuer das Skelett der mit Satan paktierenden Übeltäterin zur Gänze abgenagt hatte.
Der Rest der Stadt war derweil beinahe wie ausgestorben.
Kaum jemand begegnete Artur Schwarz in den engen, von Kopfsteinpflaster bedeckten Gassen.
Schließlich fand er in einer der Stallungen jemanden, der bereit war, einem Fremden zwei Pferde zu verkaufen.
„Ihr könnt es wohl gar nicht abwarten, die Stadt wieder zu verlassen, Herr“, stellte der Stallbesitzer grimmig fest. „Und um ehrlich zu sein, kann ich es Euch auch nicht verübeln.“
„Weshalb sagt Ihr so etwas?“, fragte Artur, der jetzt einen Moment lang versucht war, davon auszugehen, es bei dem Stallbesitzer mit einem der wenigen Zeitgenossen zu tun zu haben, die sich auch in Anbetracht einer brennenden Hexe ihre Fähigkeit zum Mitleid nicht durch die Hasstiraden der Hexenjäger hatte austreiben lassen.
Doch die Erwiderung des Stallbesitzers sollte Artur Schwarz rasch ernüchtern.
Der Stallbesitzer zuckte die breiten Schultern und erwiderte schließlich: „Ihr könntet angesichts der Geschehnisse auf dem Marktplatz auf den Gedanken kommen, Passau sei ein Ort, an dem die Zauberei und die Anbetung des Teufels alltägliche Dinge sind. Aber ich darf Euch versichern: Das ist nicht der Fall.“
„Ich glaube Euch“, erklärte Artur Schwarz mit aller Überzeugungskraft, die er in der Kürze des Augenblicks zu mobilisieren vermochte. Der Nugrou-Mutant übergab dem Stallbesitzer eine ziemlich große Summe, die weit über dem lag, was man ansonsten für Pferde aus dieser Gegend bezahlen musste, und kaufte dafür auch noch Sattelzeug und anderes Zubehör.
Schließlich schwang er sich auf den Rücken eines der Pferde. Das andere führte er am Zügel hinter sich her.
„Lebt wohl Herr“, sagte der Stallbesitzer, während der eiskalte Ostwind das fröhliche Stimmengewirr der Menge auf dem Marktplatz in Fetzen herübertrug.
Was fürchtet ihr euch vor der Hölle! Ihr habt sie doch längst in den Mauer eurer Stadt. Die Brandmeister und Folterknechte der Inquisition sind ihre willigen Verwalter – die wahren Diener Satans.
„Lebt wohl – so Ihr es denn in dieser Stadt könnt!“, erwiderte Artur Schwarz laut.
„Gott sei mit Euch, Herr.“
„Mit Euch auch ...“, erwiderte Artur und fügte in Gedanken hinzu: ... obwohl ich nicht glaube, dass er derzeit innerhalb der Mauern dieser Stadt weilt – wie könnte er sonst zulassen, was sich auf dem Marktplatz abspielt?
Orikdaan/Schwarz erreichte das Stadttor.
Eine Gruppe von Landsknechten harrte dort um ein Feuer aus. Ein halbes Dutzend Männer, die mit Musketen, Pistolen, Degen und Hellebarden bewaffnet waren. Dabei waren vor allem die Luntenschlossgewehre und -pistolen gerade zur feuchten Winterzeit außerordentlich unzuverlässig, weswegen während eines Krieges im Winter zumeist Waffenruhe herrschte.
Einer der Kerle sprang auf, griff nach seiner Hellebarde, und stellte sich Artur Schwarz in den Weg.
„Kruzifix noch einmal, was ist denn mit dir los? Warum verlässt du die Stadt?“
„Ja, mei!“, stimmte einer der anderen zu. „Gerad’ jetzt, da die Hexe verbrannt wird, macht er sich aus dem Staub!“
„Und unsereins hätt’ sich das Spektakel so gerne angesehen und hat gerad’ Wachdienst!“, maulte ein Dritter.
Artur Schwarz erkannte, dass er vorsichtig sein musste. Die Stimmung unter diesen Männern war gereizt. Die Kälte, wahrscheinlich eine schlechte Besoldung und Versorgung, die allgemeine Aufregung wegen der Hexenverbrennung und des vorangegangenen Prozesses ... All das ergab eine explosive Melange.
„Ich habe dringende Geschäfte zu erledigen“, sagte Artur ruhig.
„Mei, alle Welt freut sich darüber, dass es nun ein Ende mit der Hexe hat, und du verlässt uns fluchtartig. Das gibt schon zu denken!“ Der Landsknecht wandte sich an die anderen. „Hat einer von euch diesen Mann schon einmal innerhalb unserer Stadtmauern gesehen?“
Ein Stimmengewirr erhob sich. Weitere Landsknechte griffen nach ihren Waffen und traten etwas vor.
„Nix für ungut! Steig mal von deinem Klepper herunter!“, meinte einer der anderen Männer.
„Mei, den Gaul hier kenne ich doch!“
„Geh, red’ doch keinen Schmarrn, Wiggerl!“
„Glaub’s mir doch! Diese Blässe an der Stirn! Das Tier gehört dem Schmiederer Franz.“
„Ich habe es dem Schmiederer Franz abgekauft“, sagt Artur Schwarz ruhig. Seine Hand glitt unter den Umhang und legte sich um den Griff der Waffe, die er dort trug. Diese Waffe konnte es zwar nicht mit einem Nugrou-Blaster aufnehmen, aber sie war wirkungsvoller, als alles, was die Feuerwaffentechnologie der Menschen in den letzten zweihundertfünfzig Jahren zu Stande gebracht hatte, seit ein gewisser Bertold Schwarz das nach ihm benannte Schwarzpulver erfunden hatte. Der Mob auf dem Marktplatz wäre damit nicht in Schach zu halten gewesen, aber mit diesem halben Dutzend Landsknechten konnte Artur es notfalls durchaus aufnehmen – zumal er registriert hatte, dass fast die Hälfte ihrer Schusswaffen aus Luntenschlossgewehren und –pistolen bestand. Bei diesen musste nach dem Einfüllen des Pulvers und der Kugel eine Lunte gezündet werden, die etwa eine Minute lang brannte und mit Hilfe eines Haltebügels ins Pulver getaucht werden konnte, wodurch der Schuss ausgelöst wurde.
Innerhalb dieser Minute musste dann geschossen werden, oder der Schütze musste eine neue Lunte in die Halterung klemmen und anzünden.
Für die Steinschlosswaffen, bei denen das Pulver durch die Funken eines Feuersteins zur Explosion gebracht wurde – sofern es nicht durch heftigen Wind aus der Pfanne geweht oder feucht geworden war – galt das natürlich nicht. Sie waren sofort einsetzbar, sofern sie sorgfältig genug geladen worden waren. Kaiser Maximilian hatte einst versucht, ein Verbot der Steinschlosswaffen durchzusetzen, da er sie als unritterlich und heimtückisch ansah. Die Heimtücke lag darin, dass der Gegner nicht, wie bei den Luntenschlosswaffen, vor dem Schuss die sprichwörtliche „Lunte riechen“ und dann entweder weglaufen oder sich in Sicherheit bringen konnte. Ein beinahe rührender Versuch jenes Herrschers, den man auch den letzten Ritter genannt hatte, die alte, längst ins Wanken gekommene Ordnung zu stabilisieren, der natürlich keinen Erfolg gehabt hatte.
„Geht mir besser aus dem Weg!“, knurrte der Mann, der sich Artur Schwarz nannte, düster. Die Landsknechte sahen ihn verwundert an. „Ich bin ein Sondergesandter des Kaisers, und solltet ihr es wagen, mich auch nur einen einzigen Augenblick länger als notwendig aufzuhalten, wird man euch dafür zur Rechenschaft ziehen.“
„Mei, Jesus und Maria, der hat was im Blick!“, stieß nun einer der Männer hervor. „Woaßt, I will ja nix g’sagt haben, aber ...“
„Holen wir den Schmiederer, damit er uns bestätigt, dass er diesem Mann zwei Pferde verkauft hat – oder könnt Ihr das hier und jetzt beweisen, Herr?“, fragte ein anderer Landsknecht, dessen Bart schon grau war. Er trug eine Steinschlosspistole im Gürtel, von der Artur annehmen musste, dass sie geladen war. Eine Hand umfasste bereits den Griff.
„Der Schmiederer wird euch nichts anderes sagen, als ich euch bereits berichtet habe!“, erklärte Artur.
„Dann wartet hier, bis er geholt wurde!“
„Ja, und vielleicht sollten wir auch noch einen Priester holen, der beurteilen kann, ob dieser Kerl nicht vielleicht doch den bösen Blick hat und ein Diener Satans ist!“
„Vielleicht der geheime dämonische Lehrmeister der Hexe!“, vermutete ein anderer. „Selbst auf der Folter hat sie seinen Namen nicht preisgegeben, aber falls wir irgendein Zeichen an seinem Körper finden ...“
Diese Wahnsinnigen!, durchfuhr es Artur. Eine Form kollektiver Hysterie schien ganze Städte und Landstriche erfasst zu haben. Mit Argumenten der Logik, wie ein Mann wie Aristoteles sie geschätzt hätte, war diesem Irrsinn offenkundig nicht zu begegnen ...
Anstatt seiner Waffe zog Artur den Brief hervor, den Kaiser Rudolf ihm ausgestellt hatte. „Hier, seht und lest, ihr Narren!“
Artur war zu dem Schluss gelangt, dass er immer noch seine Waffe ziehen und diese einfältigen Kerle in die Flucht schlagen konnte. Aber vielleicht waren sie ja durch die Autorität des Kaisers zu beeindrucken.
„Kruzifix noch einmal, ich kann diese vermaledeiten langen Worte net lesen“, äußerte einer der Landsknechte, der das Dokument an sich nahm und an den Grauhaarigen weiterreichte, nachdem er mühsam versucht hatte, ein paar Buchstaben zusammenzuziehen.
Der Grauhaarige sah sich das Dokument an.
„Das Wappen stimmt!“, erklärte er schließlich. „Mei, so was wie dieses Stückerl Papier besitzt nur einer, der wirklich ein Großkopferter ist.“ Er trat vor und gab Artur das Dokument zurück. „Behaltet Passau in guter Erinnerung, hoher Herr!“
„Das werde ich!“, knurrte Artur Schwarz düster zwischen den Zähnen hindurch. Mit den Hacken trat er seinem Pferd in die Weichen und ließ es voran preschen. Der zweite Gaul wurde am Zügel mitgezogen.
2. Kapitel
Paris, 2. Mai 1610...
Das erste, was Artur Schwarz auffiel, nachdem er das Stadttor von Paris passiert hatte, war der schwere Geruch, der über der Stadt hing. Eine Dunstwolke, die einem schier den Atem rauben konnte, wenn man nicht daran gewöhnt war.
Früher hatte der Nugrou-Mutant geglaubt, dass sich die Entwicklung der Menschheit in Form einer ständig ansteigenden Kurve des Fortschritts vollziehen würde. Aber das war offenkundig nicht der Fall. So hatte er selbst schließlich noch erlebt, dass die Mittelmeer-Metropolen der Antike über ein Abwassersystem und öffentliche Toiletten verfügten, wo die angesehen Bürger miteinander über Politik und den neuesten Klatsch zu reden pflegten und Geschäfte der einen oder anderen Art tätigten, nachdem zuvor ein Sklave ihnen den „Locus“ warm gesessen hatte. Doch längst vergessen waren diese technischen Leistungen der Vergangenheit – wie auch die Wissenschaften der Medizin oder der Astronomie sich gerade erst wieder auf jenes Niveau zu heben begannen, das bereits einmal in der Bibliothek von Alexandria vorhanden gewesen war. Orikdaan alias Artur Schwarz tat es in der Seele weh, zu sehen, dass nur ein Bruchteil dieses antiken Wissens auf dem Umweg über die Araber noch bekannt war. Immerhin wandte man sich seit etwa hundert Jahren den antiken Quellen verstärkt zu, lernte die alten Sprachen, hatte für manche von ihnen, wie das Hebräische, überhaupt erst eine Grammatik entwickelt, und versuchte nun, etwas von dem Wissen der alten Zeit zu retten.
Als Artur Schwarz die engen Gassen der französischen Hauptstadt durchschritt, wurde ihm nicht zum ersten Mal vor Augen geführt, welchem Verfall die städtische Kultur seit den Tagen Roms oder Athens ausgesetzt gewesen war. Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Eine Kanalisation existierte nicht. Der Inhalt von Nachttöpfen und anderer Unrat wurden einfach aus den Fenstern gekippt, und ein erbärmlicher Gestank erfüllte die Straßen, von denen viele unbefestigt waren und bei Regen zu einem morastigen Pfad wurden. Für Artur Schwarz war es nicht weiter verwunderlich, dass dies eine Zeit war, in der breite Hutkrempen und hohe Stiefelschäfte in Mode waren. Und die Schirme, mit denen die feinen Damen flanierten, dienten keineswegs in erster Linie dem Schutz vor Sonne oder Regen ...
Erschwerend kam hinzu, dass die Stadt im Augenblick voller Soldaten und Landsknechte war. Schon draußen vor den Toren waren Artur Schwarz ihre Lager aufgefallen. Für Huren und Händler bedeutete dies eine Zeit guter Einkünfte. Die Stadtwache jedoch musste immer wieder einschreiten, wenn es zu Auseinandersetzungen mit betrunkenen Landsknechten kam, die ihre Zeche nicht bezahlen wollten oder untereinander in Streit gerieten. Aus so mancher Schenke drang zänkisches Stimmengewirr.
Es wird bald Krieg geben!, dachte Artur. Ein anderer Grund, so viele Landsknechte in der Hauptstadt zusammenzuziehen, war eigentlich nicht denkbar. Heinrich IV. schien einen Feldzug zu planen. Es fragte sich nur, wer der Feind war.
Artur sprach gut Französisch. Er hatte diese Sprache von dem Gelehrten Jacques de Goinec-Malreaux, der an der Universität von Prag lehrte, innerhalb kürzester Zeit gelernt. Der Gelehrte war sehr erstaunt über die Geschwindigkeit gewesen, mit der Artur sich das für ihn bis dahin fremde Idiom zu eigen gemacht hatte. Jedenfalls vermochte der Nugrou-Mutant einiges aus dem Stimmengewirr der Menschen aufzufangen, was seinen Verdacht bestätigte.
Bei mehreren Gasthäusern fragte Artur nach einer Unterkunft für sich und seine Pferde. Aber stets wurde er abgewiesen, da das jeweilige Haus bis unter das Dach belegt wäre. Offenbar hatte sich die Nachricht von dem bevorstehenden Feldzug bereits weit ins Hinterland verbreitet, so dass sich eine Menge Glücksritter in der Stadt einfanden, die darauf hofften, ebenfalls noch angeworben zu werden. Auch Pferde- und Waffenhändler setzten darauf, von dem bevorstehenden Krieg zu profitieren. Selbst Gemüsehändler und Schlachter hatten ihre Preise gehörig angezogen, und auch von ihnen waren manche von weit her angereist.
Des einen Tod ist des anderen Brot, fiel ihm eine Redensart ein, die er auf seinem Weg durch Deutschland häufig gehört hatte.
Fast einen halben Tag lang streifte Artur durch die verschiedene Viertel der Stadt und suchte nach einer Herberge, bis ihn einer der zahllosen fliegenden Händler an seine Großnichte verwies. Die sei – wenngleich noch recht jung – bereits Witwe, nachdem ihr Mann von einem ungebremsten Fuhrwerk überfahren wurde, und vermiete einen Teil ihres Hauses an Fremde, um sich finanziell über Wasser zu halten.
Möglicherweise habe sie ja noch etwas frei.
„Wenn Ihr mir ein paar Münzen gebt, so werde ich Euch zu ihr führen und sogar ein gutes Wort für Euch einlegen!“, schlug der Händler vor, und Artur willigte ein.
So wurde Artur Schwarz schließlich in eine Seitenstraße zu einem Haus geführt, dessen etwas vernachlässigte Fassade deutlich machte, dass seine Besitzerin wirtschaftlich gesehen durchaus wohl schon bessere Zeiten gesehen hatten.
Es gab hier sogar einen Stall, was für Artur besonders wichtig war, da er sich seine Pferde keineswegs von dem die Straßen bevölkernden Gesindel stehlen lassen wollte.
Die junge Witwe hieß Marianne Bourgoniac, war dunkelhaarig und sicher nicht älter als zwanzig Jahre. Trotzdem befehligte sie mit energischem Ton ein paar Dienstboten.
„Es kommt derzeit viel Volk nach Paris – und es sind nicht die Besten unseres Landes, die im Augenblick von dieser Stadt wie magisch angezogen werden“, sagte Marianne, während die junge Frau Artur Schwarz einer kritischen Musterung unterzog. „Saufende Landsknechte, die es gewohnt sind, sich während des Krieges einfach durch Plünderei zu nehmen, was sie haben wollen, möchte ich hier nicht beherbergen!“, erklärte sie anschließend offen. „Die meisten von ihnen können sich diese Verhaltensweise nämlich hernach nur sehr schwer wieder abgewöhnen – und ehrlich gesagt sehe ich mich außerstande, meine Gäste dahingehend zu erziehen.“
„Das verstehe ich gut“, sagte Artur im vollendetsten Französisch, zu dem er in der Lage war. „Aber ich kann Euch versichern, Madame, dass ich weder Landsknecht noch Straßenräuber bin.“
„Dazwischen gibt es in meinen Augen auch kaum einen Unterschied – außer vielleicht dem, dass der Straßenräuber in der Regel im eigenen Auftrag handelt, während der Landsknecht die Autorität des Königs im Rücken hat!“
„Eine radikale Ansicht, Madame! Ich hoffe nicht, dass Ihr eines Tages in Schwierigkeiten geratet, wenn Ihr sie offen äußert!“
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Unser König Henri Quatre hat wahrhaftig andere Probleme, als die Gesinnung seiner Bürger auszuspionieren. Im Übrigen kann jeder wissen, was ich denke. Ich mache keinen Hehl aus meinen Ansichten.“
„So seid dennoch vorsichtig. Städte wie diese sind voll wissbegieriger Ohren und schändlicher Mäuler, die nichts Besseres zu tun haben, als den Nachbarn zu denunzieren und gewisser Dinge zu verdächtigen ...“
„Ihr meint, mit dem Teufel im Bunde zu sein?“ Sie lachte auf. „Wäre ich es doch nur! Dann würde ich nicht gegen einen Berg von Schulden kämpfen, und gewiss hätte der Teufel auch die Macht, meinen geliebten Mann wieder zum Leben zu erwecken.“ Sie seufzte tief und gut hörbar. Ihre Brust hob und senkte sich dabei, und Artur war klar, dass sie ein Schluchzen zu unterdrücken versuchte. „Wisst Ihr, Fremder, seit mein Mann tot ist, ist mir alles gleichgültig geworden. Soll man mich doch auf einen Scheiterhaufen bringen! Schlimmer, als mir das Schicksal schon mitgespielt hat, kann es kaum noch werden. Mein Mann ist unter der Erde, das Kind, das wir erwarteten, war eine Totgeburt, und ein Blitzschlag hat den Dachstuhl meines Hauses im letzten Jahr heimgesucht, so dass sämtliche Ersparnisse für die Reparatur draufgingen. Noch seht Ihr mich als Wirtin vor Euch, aber schon im nächsten Jahr müsst ihr mich vielleicht bei den Bettlern am Stadttor suchen!“
„Oh, vielleicht übertreibt Ihr da in bisschen.“ Artur Schwarz legte ein paar Münzen auf den Tisch und sah, wie die Augen der jungen Witwe immer größer wurden.
„Monsieur, Ihr ...“
„Das ist für die nächsten Tage für mich und meine beiden Pferde. Allerdings möchte ich dafür auch ein Einzelzimmer!“
„Dafür würde ich jeden anderen Gast zur Tür hinauswerfen, wenn es sein müsste, Monsieur.“
„Gut.“
Sie sah ihm direkt in die Augen. „Ich habe Euch noch gar nicht gefragt, wer Ihr seid.“
„Artur Schwarz ...“
„Artüüür Schw ...“ Die junge Französin kapitulierte vor dem Nachnamen, den sich der Nugrou-Mutant zugelegt hatte. „Bien, einen seltsamen Name tragt Ihr!“
„Ich komme aus Prag in Böhmen.“
„Ich habe weder von dieser Stadt, noch von dem Land je etwas gehört, tut mir Leid, Monsieur.“
„Aber was das Heilige Römische Reich ist, wisst Ihr?“
„Ich habe davon gehört. Vor ein paar Wochen war jemand aus Straßburg hier – der hatte auch so einen komischen Namen wie Ihr, Monsieur!“
„Schwarz bedeutet auf Französisch Noir. Wenn Ihr wollt könnt Ihr mich so nennen.“
„Sehr gerne, Monsieur Noir ...“
„Sagt mir, habt Ihr eine Ahnung, weshalb König Heinrich so viele Truppen um Paris zusammenzieht?“
Sie zuckte die Achseln. „Es kursieren sehr viele Gerüchte in der Stadt. Manche sagen, dass sich dieses Heer in Richtung Italien in Marsch setzen wird. Andere glauben, dass es in den Norden geht – genau scheint das niemand zu wissen. Hört Euch in den Tavernen um, wo die Soldaten und Offiziere verkehren. Vielleicht erfahrt Ihr dort mehr!“
*
In den nächsten Tagen versuchte Artur Schwarz mehrfach, eine Audienz beim König zu bekommen. Immer wieder sprach er bei Hofe vor und versuchte die Beamten des Königs durch seinen Status als Sondergesandter des Kaisers zu beeindrucken – was vollkommen erfolglos blieb.
Offenbar hatten diese Männer den Auftrag, ihren König von jedweder Belästigung zu schützen. Zwar versprachen sie, Arturs Anliegen bei König Heinrich vorzubringen, aber der Nugrou-Mutant zweifelte daran, dass dies auch wirklich geschah.
Dass das Verhältnis zwischen dem Habsburger und der Krone Frankreichs nicht das Beste war, pfiffen die Spatzen seit Langem von den Dächern. Aber einen Sondergesandten des Kaisers deshalb mit derartiger Ignoranz schon auf unterster Ebene einfach abzuweisen, das war schon ein starkes Stück, wie Artur Schwarz fand.
Aber vielleicht war König Heinrich gegenwärtig auch mit anderen Dingen so beschäftigt, dass er tatsächlich keinerlei Zeit für Audienzen erübrigen konnte. Schließlich ließ er ohne jeden Zweifel einen Krieg vorbereiten.
Dies wurde immer deutlicher.
Täglich näherte sich ein Tross von Wagen, Reitern und Fußvolk der Stadt an der Seine. Marketenderwagen, die dem Heer des Königs wohl schon in anderen Feldzügen gefolgt waren, befanden sich ebenso darunter, wie Wagen zum Transport von Vorräten, Schießpulver und Waffen. Vor den Toren der Stadt wurde eine lange Reihe schwerer Geschütze aufgebaut. Tausende von Pferden würden nötig sein, um sie zum Ort der Schlacht zu ziehen – wo immer der sich auch befinden mochte.
Artur Schwarz folgte dem Rat der jungen Witwe Marianne und hörte sich in den von Soldaten frequentierten Schenken und Tavernen um.
Es war offenkundig, dass der Zwang zur Untätigkeit und das Warten auf den bevorstehenden Feldzug, der Stimmung unter den Landsknechten alles andere als guttat. Immer öfter kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen ihnen. Manchmal gingen sie bei schon vergleichsweise geringfügigen Anlässen aufeinander los. Besonders diejenigen, die keinen Kontrakt bekommen hatten, schienen sehr gereizt zu sein, so dass man im Umgang mit ihnen stets auf das Äußerste gefasst sein musste.
Neben Huren und Händlern, die traditionell den Heeren folgten, hatte sich auch eine Unzahl von Taschendieben in Paris eingefunden. Sie umschwirrten jeden Fremden wie Fliegen einen Misthaufen. Und wer in einer der schmalen, dreckigen Seitengassen nicht aufpasste, wurde urplötzlich von einem Mob aus zwanzig, dreißig Personen gepackt und buchstäblich bis auf das Hemd ausgezogen. Die Stadtwache verlor mehr und mehr die Kontrolle, sowohl über die Soldaten, als auch über das sonstige Gesindel, das sich in der Stadt versammelt hatte.
Es wurde Zeit, dass der Feldzug endlich begann.
Die Ungeduld war mit Händen zu greifen.
Von den Landsknechten, die Artur Schwarz in den Schenken von Paris ansprach, bekam er jedoch nur sehr vage und wenig glaubwürdige Auskünfte; die meisten dieser Männer schienen selbst nicht zu wissen, wohin der König sie in nächster Zeit zu schicken beabsichtigte.
Aber in einem Gasthaus direkt am Seine-Ufer, das den Namen L’oiseu de feu trug und am Eingang durch einen bunt angemalten, einem Papagei ähnlichen Vogel geziert wurde, erfuhr Artur schließlich mehr.
Er geriet mit einem Offizier ins Gespräch, der offenbar ganz gut informiert war.
Sein Name war John Darnforth. Er war Engländer und hatte schon für ein halbes Dutzend Könige und Fürsten in ganz Europa gekämpft. Darnforth war Artillerieoffizier und ließ sich zunächst über die Vorzüge unterschiedlicher Geschütztypen aus. Sein Französisch war dabei eine Katastrophe, und die Verständigung beider Männer litt am Anfang unter eine Reihe von Missverständnissen, bis sich schließlich herausstellte, dass Darnforth recht gut Deutsch verstand. Schließlich hatte er, wie er angab, acht Jahre lang im Dienst des Kurfürsten von Brandenburg gestanden, bevor ihn ein lukrativeres Angebot des Fürstbischofs von Münster von dort weggelockt habe.
„Ein Fehler, wie ich heute gestehen muss“, erzählte er in einem zwar akzentschweren, aber gut verständlichen Deutsch. „Ich verstand mich mit meinen Vorgesetzten nicht, man versuchte mir einen Diebstahl anzuhängen, und ich war gezwungen, Hals über Kopf zu fliehen. Ein paar Jahre in den Diensten des Königs von Litauen schlossen sich an. Das war das Schlechteste nicht, aber es gab kaum Feldzüge und damit auch keine Aussicht darauf, Beute machen zu können.“
„Und diesmal? Wo geht es diesmal hin? Ist die Aussicht auf Beute nun vielleicht besser?“, erkundigte sich Artur.
Darnforth lachte so dröhnend, dass sogar Männer an anderen Tischen auf ihn aufmerksam wurden. Er rief den Wirt herbei und ließ sich seinen Krug nachfüllen, ehe er Artur eine Antwort gab.
„Es geht gegen die Habsburger!“, stellte Darnforth klar. „Die französische Krone möchte Einfluss auf die Geschicke des Reiches gewinnen. Weiß der Kuckuck, was unser guter Henri Quatre sich davon verspricht, aber fest steht, dass er gegen den Kaiser zieht. Ich weiß nicht, wie gut Ihr Euch in Deutschland auskennt ...“
„Es geht so.“
„Sagt Euch der Name Jülich etwas?“
„Nicht auf Anhieb.“
„Das ist eine Grafschaft am Niederrhein. Es gibt keinen Erbfolger und daher jede Menge Streit, wie Ihr Euch denken könnt. König Heinrich beabsichtigt nun, die Grafschaft Jülich zu besetzen und für sich zu beanspruchen ...“
„Eine Reaktion des Kaisers wird nicht ausbleiben!“
„Ich habe das Gefühl, dass Henri Quatre die Konfrontation mit voller Absicht sucht. Um diesen kleinen Jülicher Landstrich geht es ihm gar nicht in erster Linie.“
„Dieser Narr!“, knurrte Artur Schwarz ärgerlich und ließ seine zusammengeballte Faust auf den Tisch sausen, so dass der Wein aus dem Krug des englischen Söldners herausschwappte – was dieser allerdings mit Humor nahm.
„Hey, es lohnt nicht, auf Könige und Fürsten zu schimpfen. Sie tun ohnehin, was sie wollen“, meinte er. „Das einzige, was uns einfachen Leuten bleibt, ist, unseren Vorteil aus ihren Entscheidungen zu ziehen!“
Natürlich!, durchfuhr es Artur Schwarz ärgerlich. Ein Söldner kann so reden! Aber nicht jemand, der die Entwicklung eines Landes, eines Kontinents oder eines ganzen Planeten in seine Überlegungen miteinbezieht ...
Um Jahrzehnte würde dieser Krieg die Entwicklung zurückwerfen, davon war Artur zutiefst überzeugt. Die sich gerade entfaltenden Pflänzchen der Wissenschaft und des Fortschritts, die an verschiedenen Orten zu erster Blüte gelangt waren, und kostbare Inseln in einem Meer der Intoleranz und der Rückständigkeit bildeten, würden brutal niedergetreten werden. Wer würde bereit sein, die Forschungen eines Kepler noch zu unterstützen, wenn jeder Taler des Landeshaushalts zur Bezahlung von Söldnern und zur Anschaffung von Geschützen und Musketen genutzt werden musste? Wer würde diesen wenigen fortschrittlichen Geistern überhaupt noch zuhören, wenn erst einmal die Flamme der Intoleranz und des fanatischen Glaubenseifers, der keine zweite Wahrheit neben der eigenen Auffassung gelten ließ, entzündet worden war und sich zu einem Flächenbrand ausgewachsen hatte?
Das Heilige Römische Reich – es war wie ein Pulverfass.
Und die Lunte hatten Männer wie Heinrich IV längst gelegt ...
John Darnforth verließ zusammen mit Artur Schwarz die Schenke.
Gemeinsam passierten sie einige zwielichtige Gassen. Der englische Söldner deutete auf eine der grell angemalten Huren und meinte an Artur gewandt: „Ich werde jetzt das tun, was man in England ‚the act of sport’ nennt!“ Er lachte, tippte an den Geldbeutel an seinem Gürtel und fügte noch hinzu, dass für ihn derzeit kein Anlass zur Sparsamkeit bestünde, schließlich sei ihm und den Seinen reiche Beute während des Jülicher Feldzuges gewiss. „Außerdem lohnt es sich nicht, einen Sack voll Taler mit ins Grab zu nehmen, denn niemand von uns weiß, wann der Schnitter kommt und einen vom Feld mäht ...“
„Das ist wohl wahr“, gab Artur zu.
*
Beide Männer verabschiedeten sich voneinander, und Artur Schwarz sprach noch am selben Tag abermals am Hof vor, um endlich eine Audienz zu erhalten. Es erschien ihm jetzt dringlicher als je zuvor, mit dem König von Frankreich zu sprechen und ihn vielleicht noch von seinem Plan abhalten zu können.
Wieder wurde er jedoch von einem eingebildeten Hofschranzen abgewiesen. Es handelte sich um einen geckenhaften Mann, der dem niederen Adel entstammte und sich offenbar entsetzlich wichtig in dem Amt vorkam, das der König ihm verliehen hatte.
Artur Schwarz musste sich große Mühe geben, die Verachtung, die er für diesen subalternen Kriecher empfand, nicht allzu deutlich zum Ausdruck zu bringen – auch durch Gesichtsausdruck und Körpersprache nicht. Schließlich führte an diesem Mann offenbar kein Weg vorbei, so bedauerlich dies auch sein mochte.
*
An den folgenden Tagen versuchte es Artur Schwarz immer wieder, bei Hofe vorgelassen zu werden, obgleich er die Chancen alles andere als rosig bewertete. Aber er wollte nichts unversucht lassen, den König doch noch von seinem Entschluss abzuhalten. Dieser Krieg, so nahm Artur an, konnte der Funke sein, der das gesamte Pulverfass mit der Bezeichnung Heiliges Römisches Reich endgültig zur Explosion brachte.
Wieder und wieder wurde er abgewiesen.
Der König habe wichtige Regierungsgeschäfte zu erledigen, so wurde ihm beschieden. Artur Schwarz möge seine Angelegenheit doch schriftlich formulieren und als Gesuch einreichen.
Inzwischen schrieb man den 10. Mai, und Artur Schwarz war abermals abgewiesen worden, obwohl er diesmal mehr Hoffnungen als je zuvor gehabt hatte. Schließlich war an diesem Tag ein anderer Hofbeamte für ihn zuständig gewesen, der drei andere Bittsteller durchaus für eine Audienz beim König vorgesehen hatte.
Doch für den Sondergesandten des Kaisers schienen andere Regeln zu gelten. Niemand hatte offenbar irgendein Interesse daran, dass es zu einer Audienz für einen Vertrauten des Kaisers kam.
Der Krieg war wohl nicht mehr aufzuhalten, wie Artur resigniert erkannte.
Ziemlich niedergeschlagen verließ Artur die Residenz und ging ein Stück die Tuilerien entlang. Offiziere flanierten hier mit ihren Damen. Das Lachen und Scherzen wirkte wie ein starker Kontrast zu dem, was jetzt unmittelbar bevorstand.
„Heh, wartet!“, hörte Artur hinter sich eine Stimme.
Zunächst begriff er nicht, dass er gemeint war, aber dann überholte ihn mit schnellem Schritt ein Mann, den er auf Anfang dreißig schätzte, und dessen Gesicht ihm irgendwie bekannt vorkam. Vielleicht war er einer der zahlreichen Bittsteller, die im Palast versucht hatten, zum König vorgelassen zu werden.
„Verzeiht, dass ich Euch anspreche, hoher Herr. Mein Name ist Francois Revaillac. Und genau wie Ihr, wurde ich heute von den Hofschranzen abgewiesen. Schon zum zweiten Mal übrigens, und ich habe, ehrlich gesagt, keine große Hoffnung mehr, mein Anliegen in diesem Leben noch dem König vortragen zu können!“
Artur blieb stehen.
„Angenehm, Monsieur Revaillac. Ich heiße Artur Schwarz und ...“
„Ihr seid mir aufgefallen, Monsieur Schwarz.“
„So?
„Nun, es war nicht zu überhören, dass Ihr Euch als Sondergesandter des Kaisers vorgestellt habt.“
Artur nickte leicht. „Das ist richtig. Aber dann werdet Ihr ja auch gesehen haben, dass mein Beglaubigungsschreiben kaum irgendwelchen Eindruck hinterließ!“
„Ja, leider wahr ... Aber was könnte einen dieser subalternen Chargen schon beeindrucken?“ Revaillac sprach plötzlich in gedämpftem, verschwörerischem Tonfall weiter. „Wisst Ihr, ich hatte das, was man religiöse Visionen nennen könnte, und bin deswegen aus dem Orden der Feuillants entfernt worden. Daraufhin habe ich versucht, den Jesuiten beizutreten. Aber die Oberen der Societas Jesu haben sich natürlich sofort bei den Feuillants erkundigt, und so wurde ich auch dort abgelehnt.“
Artur runzelte die Stirn.
Dieser Franzose erschien ihm zunehmend seltsam. Nach religiösen Visionen hatte er keinerlei Bedarf. Zu lebhaft standen ihm noch die Bilder der Hexenverbrennung in Passau vor Augen ...
Artur ging langsam weiter.
„Nun, ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt, und ob ich der richtige Ansprechpartner für Euch bin“, sagte er und begann darüber nachzudenken, wie er diesen offenbar geistig nicht ganz gesunden Mann auf möglichst höfliche Weise und ohne Aufsehen wieder los werden konnte. Aber Revaillac setzte sich an Arturs Fersen.
Ein tiefer Wunsch, sich mitzuteilen, schien diesen jungen Mann erfasst zu haben. Er sprach einfach drauflos, und es schien ihm dabei auch völlig gleichgültig zu sein, welchen Anteil sein Gesprächspartner daran nahm.
„Immer wieder habe ich versucht den Jesuiten beizutreten, denn ich teile die Ideale, die dort vertreten werden.“
Artur war der von Ignatius von Loyola gegründete Orden durchaus ein Begriff. Es war der Versuch, der Reformation etwas intellektuell Gleichwertiges entgegen zu setzen, denn die Durchschlagskraft der lutherischen Argumentation war in den vergangenen neunzig Jahren für die katholische Seite geradezu verheerend gewesen.
Revaillac fasste Artur am Arm, als dieser das Tempo etwas erhöhte. „Hört mich an, Herr! Ich muss mich einfach jemandem anvertrauen, und wenn es schon der König von Frankreich nicht sein kann, dann wenigstens ein Sondergesandter des Kaisers!“
Seine Augen flackerten unruhig.
„Monsieur Revaillac, ich weiß wirklich nicht, ob Ihr diese Dinge nicht besser mit jemand anderem besprecht.“
„Ich bitte Euch, Monsieur!“
Artur drehte sich um, da er annahm, dass sie bereits Aufsehen erregt hatten. Aber das war nicht der Fall. Keiner der flanierenden Herrschaften achtete auf Artur Schwarz und Francois Revaillac, der den Arm seines Gesprächspartners mit einer Intensität festhielt, die Artur nicht weiter hinzunehmen bereit war. „Ihr tun mir weh, Monsieur!“
„Pardon!“
„Und nun ...“
„Und nun muss ich Euch berichten, was geschah, als es mir tatsächlich gelang, in eines ihrer Klöster zu gelangen.“
„Ihr seid ein Jesuit? Ich dachte, man hat Euch abgewiesen. An Eurer Geschichte stimmt doch etwas nicht.“
„Nein, nein, ich bin kein Jesuit!“
„Wollt Ihr mich auf den Arm nehmen? Verschont mich mit Eurer Geschichte, die gleich auf den ersten Blick so viele Widersprüche hat, dass ich ihren Wahrheitsgehalt anzweifeln muss ...“
„Oh, sie ist wahr, Monsieur. Vom ersten bis zum letzten Wort. Diese Augen hier haben alles gesehen ... Das Unfassbare ... Das, was alle im Munde führen, von dem aber niemand ahnt, dass es wirklich existiert und über uns herrscht. Es ist so furchtbar, Monsieur ... die Wahrheit! Mein Gott, mein Gott!“
So stammelte Revaillac noch eine ganze Weile, ehe er sich endlich wieder gefangen hatte und seinen Bericht einigermaßen geordnet fortführen konnte. Er erklärte, dass er es einfach immer wieder versucht habe, in die Societas Jesu aufgenommen zu werden. Natürlich wurde er stets abgewiesen, in welchem Kloster er es auch probierte. Die SJ war an religiösen Lehren und Theorien interessiert, aber nicht an Visionen. Glauben hatte für sie etwas mit der Klarheit des Gedankens zu tun, nicht mit der fiebrigen Inbrunst eines Metaphysikers. Und so war Francois Revaillac inzwischen wohl ein rotes Tuch für alle Jesuitenpadres Frankreichs.
„Ich wollte es nach unzähligen gescheiterten Versuchen in einem Jesuitenkloster bei Lyon versuchen“, fuhr Revaillac fort. „Das ist nun schon etwa ein Jahr her. Natürlich hatte ich keinerlei Hoffnung, dass man mich auf dem üblichen Weg zum Abt des Klosters vorlassen würde. Mein schlechter Ruf war mir gewiss vorausgeeilt, wie ich leider gestehen muss. So hatte ich mir etwas anderes überlegt. Ich wollte den Abt in seiner Zelle aufsuchen und ihn in einem persönlichen Gespräch davon überzeugen, dass er in mir einen rechten Anwärter auf die Mitgliedschaft in der Societas Jesu vor sich hatte. Ihr wisst selbst, dass die persönliche Begegnung, das von Mann zu Mann gesprochene Wort, oft am überzeugendsten wirkt, Monsieur.“
„Oh, ja ...“, murmelte Artur Schwarz und verdrehte dabei die Augen. Innerlich bedauerte er bereits jenen Jesuitenpater, der dem Überzeugungsversuch des Francois Revaillac vermutlich völlig überraschend und schutzlos ausgeliefert gewesen war.
Doch die Erzählung dieses sich zweifellos nahe am Zustand des Wahns befindlichen Mannes, nahm eine gänzlich andere Wende, die schließlich sogar in der Lage war, Arturs Interesse zu wecken.
„Ich überkletterte also die Klostermauer, um mit dem Abt in Kontakt zu kommen“, fuhr Revaillac fort. „Gerade als ich dabei war, die hohe Mauer zu überwinden, kam eine Kutsche mit berittener Eskorte auf das Tor zu und fuhr in den Klosterhof. Ich konnte gerade noch rechtzeitig von der Mauer herabspringen und mich hinter einem Gebüsch des Klostergartens verbergen. Offenbar hatte ich mir einen ungünstigen Zeitpunkt dafür ausgesucht, mein Anliegen dem Abt persönlich vorzutragen. Denn dieser schien nun anderweitig beschäftigt zu sein.
„So viel Pech für einen einzelnen Mann!“, meinte Artur nicht ohne Ironie.
„Ihr sagt es Monsieur, Ihr sagt es! Doch hört mich weiter an! Ich kauerte also hinter diesem Busch und konnte beobachten, was sich im Inneren des Klosterhofs zutrug. Alle Mönche des Klosters hatten sich vor der Klosterkirche versammelt. Sie trugen Fackeln. Der Abt, mit dem ich jetzt eigentlich meine Angelegenheit hatte besprechen wollen, stand in vorderster Reihe. Aus der Kutsche entstieg ein Vermummter. Er trug einen schwarzen Umhang mit einer Kapuze, die das Gesicht bedeckte, und nur zwei Schlitze für die Augen offenließ.
Der Abt trat zusammen mit dem Vermummten in die Kirche.
Die Mitglieder der Reitereskorte und die Mönche blieben jedoch vor der Kirche zurück. Mir schien, dass sich beide Gruppen mit äußerstem Misstrauen gegenseitig beobachteten.
Ich gebe zu, dass Neugier eine Untugend ist, aber ich bin nun einmal von ihr befallen, und es interessierte mich einfach, was der Abt dieses Klosters mit dem Vermummten, des mir außerordentlich suspekt erscheinenden Insassen, der Kutsche zu schaffen hatte.
Auf Grund der Tatsache, dass die Aufmerksamkeit, sowohl der Mönche, als auch der bewaffneten Eskorte auf die jeweils andere Gruppe fokussiert war, war es für mich ein Leichtes, einen Bogen durch den Klostergarten zu schlagen, mich Gebüsch für Gebüsch vorzuarbeiten, und schließlich das Haupthaus des Klosters zu erreichen. Der Mond stand günstig. Die Vorderfront des Haupthauses lag im Schatten, und so gelangte ich schließlich auf die andere Seite der Klosterkirche, in die ich durch die Sakristei einzudringen vermochte. Ich öffnete die Tür zum Kirchenchor nur einen Spalt und wurde Zeuge sehr eigenartiger Vorgänge. Der Abt schien sich einer Art Ritual zu unterziehen, das der Vermummte am Altar mit ihm durchführte. Er ritzte mit einem Dolch Wunden in die Unterarme des Abtes, aus denen Blut in einen goldenen Kelch floss. Dazu sprach der Vermummte seltsame Worte. Das meiste davon ähnelte einer lateinischen Liturgie, aber es gelang mir trotz einiger Grundkenntnisse dieser Sprache nicht, den Sinn dieser Litanei zu begreifen. Es war vom Licht die Rede. Von der Kraft der Dunkelheit und des Blutes und dem Gehorsam. Dann nahm der Vermummte eine Weihzeremonie an dem Kelch mit dem Blut des Abtes vor, woraufhin der Abt sein eigenes Blut zu trinken bekam.
‚Du bist jetzt ein Teil der Gemeinschaft der Illuminati!’, rief der Vermummte daraufhin. ‚Ein Erleuchteter unter Erleuchteten. Und ich verkünde dir jetzt den geheimen Namen deines Herrn und Meisters, der dir überall die richtigen Türen zu öffnen vermag und gleichzeitig das Losungswort der Illuminati ist.’
‚Ich höre, oh, Meister!’, murmelte der Abt.
‚Dominum Potrecium!’
Der Vermummte schlug nun die Kapuze zurück. Schon zu Anfang hatte ich mich über die seltsamen, an den Seiten sich durch den Stoff der Kapuze abdrückenden, Ausbuchtungen an seinem Kopf gewundert. Monsieur, Ihr werdet es nicht glauben, aber jetzt wunderte ich mich über gar nichts mehr, denn ich stand dem Satan persönlich gegenüber. Ein gehörntes Wesen mit feuerrotem Kopf und gelblich leuchtenden Augen, die denen einer Katze mehr ähnelten, als denen eines Menschen ...“
„Dominum Potrecium – Kertop!“, murmelte Artur Schwarz. Ich hatte geglaubt, dass Kertop tot ist – aber offensichtlich habe ich mich da getäuscht, und er treibt noch immer sein Unwesen als vermeintlicher Satan ... „Berichtet weiter, Monsieur Revaillac!“, forderte Artur ihn auf. „Was geschah im Anschluss an diese Zeremonie?“
„Nun, der in die Reihen der sogenannten Erleuchteten aufgenommene Abt musste bei seinem Leben versprechen, nichts über die Illuminati zu verraten oder gar den geheimen Namen seines Meisters preiszugeben, den diese inkognito operierende Gesellschaft als eines ihrer Erkennungszeichen benutzt. Und dann folgte noch ein Schwall von entsetzlichen Worten! Ketzereien! Blasphemien der übelste Art!“
Artur Schwarz fasste den allein schon durch die Erinnerung sichtlich erschütterten Francois Revaillac bei den Schultern und forderte ihn auf: „Sagt mir jedes Wort, Monsieur! Ich bitte Euch!“
Revaillac zögerte einen Moment.
Das plötzlich erwachte Interesse bei seinem Gegenüber schien ihn jedoch nur einen kurzen Moment lang zu verwundern. Zu überwältigend war die Freude darüber, dass ihm endlich jemand zuhörte, mit dem er sein schreckliches Geheimnis teilen konnte. Dazu noch jemand, von dem man zumindest jetzt den Eindruck gewinnen konnte, dass er Revaillacs Worte auch ernst nahm.
Ein verhaltenes Lächeln huschte über Revaillacs Gesicht. Dann schluckte er. Sein Blick fixierte Artur geradezu.
„Also gut“, flüsterte Revaillac. „So werde ich fortfahren und das Unaussprechliche doch aussprechen. Der Leibhaftige – denn niemand anderes kann es gewesen sein! – erklärte, dass Gott tot wäre und er dessen Herrschaft übernommen habe. Eine Herrschaft, die aber erst gefestigt werden müsse. Dazu sei es unerlässlich, die katholische Kirche und das Heilige Römische Reich zu vernichten. Der Abt war von diesen Worten zunächst stark beeindruckt, das war unübersehbar. ‚Unsere Kreise erweitern sich!’, sagte der Gehörnte. ‚Auch König Heinrich gehört längst zu uns, und wir werden in meinem Auftrag und mit meinem Segen gegen die Kirche und den Kaiser losschlagen. Das alles sind nur noch Paläste auf tönernen Füßen, mein Getreuer! Sie werden einstürzen wie Kartenhäuser!’ Daraufhin bedeckte der Gehörnte wieder sein abscheuliches Teufelsgesicht und verließ die Kirche, nachdem der Abt vor ihm niedergekniet und ihn nochmals seiner unbedingten Gefolgschaft und Treue versichert hatte.“
Revaillac atmete tief durch.
Es schien ihm gut getan zu haben, sich im wahrsten Sinne des Worts, Luft zu machen.
„Satan muss gelogen haben!“, glaubte der Franzose. „Gott kann nicht tot sein – denn welchen Grund gäbe es ansonsten für ihn, gegen die Kirche und das von ihr zutiefst geprägte Kaiserreich einen Krieg zu führen?“
„Das Wesen, das Ihr gesehen habt, Monsieur, war keineswegs der Satan, auch wenn es Euch vom Äußeren her so erscheinen musste. Dieser Unheimliche heißt Kertop und nannte sich einst auch Potrecius ... Er verfügt über ein überlegenes Wissen und hat sich in vielen Jahre offenbar mit dieser Geheimgesellschaft der Erleuchteten eine neue Machtbasis geschaffen ...“
„Oh, Monsieur, Monsieur, ich weiß es zu schätzen, dass Ihr einem zutiefst religiösen Menschen wie mir den Seelenfrieden zu bewahren versucht – aber Ihr seid ihm nicht von Angesicht zu Angesicht begegnet! Vielleicht habt Ihr ein paar Gerüchte über die Illuminati gehört, wie sie in den höheren Kreisen durchaus hier und da kursieren sollen, aber das ist nicht einfach nur eine Loge wie andere auch, in der sich Freidenker oder andere Ketzer zu organisieren pflegen. Ich habe diese Gestalt doch mit eigenen Augen gesehen – und auch Ihr würdet an meiner Stelle nicht daran zweifeln, dass es sich wirklich um den leibhaftigen Herrn der Hölle handelte! Mir schaudert jetzt noch allein bei der Erinnerung daran...“
Artur Schwarz sah rasch ein, dass es keinen Sinn hatte, dem Franzosen erklären zu wollen, was es mit Kertop wirklich auf sich hatte. Anderseits ließen Revaillacs Schilderungen so gut wie keinen Zweifel daran zu, dass es sich tatsächlich um den skrupellosen Nugrou-Mutanten handelte, den er einst aus seinem havarierten Raumschiff gerettet hatte. Aber ein Außerirdischer war wohl einfach nicht in das Weltbild dieses tiefgläubigen Mannes zu integrieren – eher schon die Vorstellung, dem Satan persönlich begegnet zu sein, und ihn bei einer geheimen Zeremonie belauscht zu haben.
Aber angesichts dessen, was der Franzose Artur berichtet hatte, stellte sich nun eine ganz andere Frage.
„Sagt mir offen und ehrlich, Monsieur Revaillac – was wolltet Ihr beim König von Frankreich? Es wird doch wohl kaum Euer Plan gewesen sein, Heinrich wegen seiner angeblichen Zugehörigkeit zu den Illuminati zur Rede zu stellen, oder?“
„Nein, natürlich nicht, Monsieur.“
Revaillacs Gesicht wurde bleich.
Er blickte sich um, so als hätte Angst, dass ihn jemand hören konnte.
„Wenn Ihr der Sonderbotschafter des Kaisers seid – so warnt ihn. Satan wird der Heerführer seiner Feinde sein!“
„Ihr habt meine Frage nicht beantwortet!“, beharrte Artur.
„Monsieur Schwarz, Ihr müsst mir helfen! König Heinrich muss sterben! Nur so kann der Feldzug, den er im direkten Auftrag Satans zu führen beabsichtigt, noch verhindert werden.“
Details
- Seiten
- Erscheinungsjahr
- 2017
- ISBN (ePUB)
- 9783738910254
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2017 (Mai)
- Schlagworte
- alienwandler fremder erde