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Die Raumgarde

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2017 240 Seiten

Zusammenfassung

Die Raumgarde
SF-Roman von Alfred Bekker

Im Jahr 2959 schützt die Raumgarde der Space Army die Erde. Der Rekrut Farmoon macht eine unglauliche Entdeckung. Sein erster Einsatz als Raumsoldat auf einem Hinterwäldlerplaneten sieht nach einer Routine-Mission aus, aber er führt ihn und die anderen Raumgardisten mitten in die gefährlichen Machenschaften des Alien-Imperiums der Kelradan.

Der Umfang dieses Buchs entspricht 226 Taschenbuchseiten.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Die Raumgarde

SF-Roman von Alfred Bekker

Im Jahr 2959 schützt die Raumgarde der Space Army die Erde. Der Rekrut Farmoon macht eine unglauliche Entdeckung. Sein erster Einsatz als Raumsoldat auf einem Hinterwäldlerplaneten sieht nach einer Routine-Mission aus, aber er führt ihn und die anderen Raumgardisten  mitten in die gefährlichen Machenschaften des Alien-Imperiums der Kelradan.

Der Umfang dieses Buchs entspricht 226 Taschenbuchseiten.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author / Cover: Steve Mayer mit Pixabay

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

1. Teil: Frühjahr 2959, Terra

Schweißperlen standen auf Wladimir Krylenkos Stirn. Gemeinsam mit einem halben Dutzend weiterer Elitesoldaten der Raumgarde hetzte er eine sich schlauchartig dahinziehende Schlucht entlang. Rechts und links ragten steile Hänge auf. Hier und da kamen schroffe Felsen unter dem Geröll hervor. Der Untergrund war trocken und aufgesprungen. Nur spärliche Vegetation war in den Bergen zu finden.

Wladimir blieb stehen.

Der 1,94 m große Russe hob die Hand.

Er kommandierte diesen Zug von Gardisten.

Die Männer stoppten ebenfalls.

Blickten zurück.

"Nichts zu sehen von den Blechbrüdern!", meinte einer der Männer. Er hieß Stu Trenton, hatte dunkle Haare und einen breiten kantigen Kopf.

Wladimir verzog das Gesicht.

"Dass du schon wieder reden kannst, zeigt deine gute körperliche Verfassung, Stu", sagte Krylenko.

Stu grinste matt. "Kein Wunder bei der Ausbildung, die wir hinter uns haben!"

"Aber du irrst dich trotzdem."

"Ach, ja?"

"Unterschätze mir die Blechdosen nicht! Vor allem dann nicht, wenn du diesen Robotern ohne Waffen und technische Ausrüstung gegenüberstehst, während die Metallkameraden mit Schockern ausgestattet sind."

Die Gardisten trugen lediglich ihren normalen Kampfanzug und nicht den gepanzerten Multifunktionsanzug. Aber angesichts des Laufs, den sie hinter sich hatten, bedauerte das niemand.

Keiner von ihnen war bewaffnet, verfügte über ortungstechnische Hilfsmittel zur Orientierung oder Kommunikationstechnik. Aber ein Angehöriger der Raumgarde, dieser im Dezember 2956 gegründeten schnellen Eingreiftruppe der terranischen Flotte konnte notfalls auch ohne diese Hilfsmittel gegen seine Gegner bestehen. Die einzigen Waffen, die Wladimirs Männern im Augenblick zur Verfügung standen, waren Hände, Füße und das Gehirn. Letzteres war dabei am wichtigsten. Die Garde bestand nämlich keineswegs aus stumpfsinnigen Kampfmaschinen in Menschengestalt. Jeder Gardist verfügte zusätzlich zu seiner Kampfausbildung über wissenschaftliche Qualifikationen, Offiziere hatten sogar promoviert.

Blinder Kadavergehorsam war nicht gefragt, sondern die Fähigkeit, selbständig zu denken und notfalls zu improvisieren.

Wladimir streckte die Hand aus.

Er bleckte die Zähne wie ein Raubtier.

"Na, was habe ich gesagt!", rief er.

Ein Serienroboter von annähernd humanoider Gestalt schwebte über den Steilhang. Er trug ein Antigravaggregat in einem Zusatzpack auf dem Rücken und einen Paralyse-Schocker mit der gelenkigen Greifhand eines der skelettartigen Teleskoparme.

Mehr als drei Dutzend dieser umgangssprachlich auch "Blechmänner" genannten Roboter hatte das umliegende Gebiet nach den Gardisten abgesucht.

Zumindest einer der "Blechmänner" war Krylenkos Gruppe dicht auf den Fersen.

Im Vergleich zu den Gardisten besaß er auf jeden Fall die größere Ausdauer.

So gut es ging hatten die Gardisten aus Wladimirs Gruppe bisher die Verfolger zu täuschen und abzulenken versucht.

Aber dieser eine war ihnen die ganze Zeit über schon besonders dicht auf der Spur gewesen.

Der Roboter ließ sich mit Hilfe seines Antigravaggregats zu Boden schweben. Sanft setzte er auf. Er erinnerte dabei an einen Astronauten auf einem Planeten mit sehr geringer Schwerkraft.

Der Roboter schwenkte noch während des Sprungs den Lauf des Paralysators.

Er wandte den Kopf, in dessen Mitte sich die optischen Sensoren befanden.

Noch bevor er gelandet war, feuerte er den Schocker ab. Paralysestrahlen zischten durch die Luft, verfehlten die Männer aus Wladimirs Gruppe aber.

"Nichts wie weg!", rief Wladimir.

Die Gardisten bewegten sich vorwärts.

Die Männer hatten Glück gehabt. Niemand war durch die Strahlen getroffen worden.  Die Gardisten verteilten sich sofort, um dem Verfolger kein leichtes Ziel zu bieten. Immer wieder zischten Strahlenschüsse dicht neben ihnen in den geröllhaltigen Untergrund, wo sie allenfalls ein paar Eidechsen betäuben konnten.

Der Blechmann spurtete los.

Er bewegte sich mit erstaunlicher Behändigkeit, die man der Maschine auf den ersten Blick gar nicht zutraute. Aber auch für die Massenproduktion entworfene Roboter-Typen wie die sogenannten "Blechmänner" wurden ständig optimiert.

Im Gegensatz zur Kondition von Wladimirs Männern wurde seine Ausdauer nur durch die Speicherkapazität seiner Plasmabatterien begrenzt.

Die waren, wie Krylenko schätzte, nicht einmal zu einem Zehntel entleert.

Die Gardisten waren jedoch am Ende ihrer Kräfte.

Jeder Schritt schmerzte bereits.

Seit vierundzwanzig Stunden schon waren sie vor den Blechmännern auf der Flucht. In den Nachtstunden war das nicht ganz so kräftezehrend gewesen - trotz der Tatsache, dass ihre Verfolger über Infrarot-Optik verfügten und dadurch einen zusätzlichen Vorteil genossen.

Der Roboter feuerte wild um sich, verfehlte einen von Wladimirs Männern nur knapp. Im letzten Moment konnte sich dieser mit einem Hechtsprung hinter einen Felsbrocken retten. Der Brocken wurde voll von den Paralysestrahlen erfasst.

Die Männer gingen so gut es möglich war in Deckung.

Einige kletterten die Hänge hoch, brachten sich hinter Felsbrocken in Sicherheit.

Der Roboter bremste seinen Lauf ab.

Er hatte das Problem, sich entscheiden zu müssen.

Wladimir ging zwischenzeitlich ebenfalls in Deckung.

Nur wenige Meter entfernt machte die Schlucht eine Biegung.

Die ersten aus Krylenkos Zug waren dort bereits verschwunden.

Der Großteil hatte dieses Stück noch vor sich.

"Los jetzt!", brüllte Wladimir.

Wenn alle gleichzeitig aus der Deckung schnellten, standen die Chancen des Roboters schlechter, sie zu erwischen.

Krylenko gab das Signal.

Die Männer rannten los.

Nur Wladimir zögerte noch.

Er nahm einen Stein, schleuderte ihn dem Blechmann entgegen.

Und traf.

Mit einem scheppernden Geräusch prallte der Stein an der Metallplatte des Brustkorbs ab.

Der Roboter drehte den Lauf des Paralysators in Wladimirs Richtung. Wladimir war längst wieder in Deckung gegangen. Nie wird ein Roboter diese oder irgendeine andere Waffe mit derselben Perfektion bedienen können, wie ein Soldat der Raumgarde!, ging es ihm zufrieden durch den Kopf.

Krylenko rappelte sich auf, hetzte weiter und erreichte als letzter Mann die Biegung.

Der Paralysestrahl erfasste einen der knorrigen, halbvertrockneten Bäume, die hier zu finden waren. Die Wurzeln ragten teilweise aus dem staubtrockenen Boden heraus und lagen frei.

Ein Erdhörnchen, das sich zwischen dem knorrigen Wurzelwerk versteckt hatte, wurde von dem Schockstrahl erfasst und kullerte betäubt die Böschung hinunter.

Krylenko rannte weiter und befand sich wenig später hinter der Biegung in vorläufiger Sicherheit. Der Roboter machte mit Hilfe seines Antigravaggregats einen Satz von zwanzig Metern. Er landete sanft und gerade noch rechtzeitig vor jener Zone, in der die Kronen der knorrigen, halvertrockneten Bäume eine Landung zu einer riskanten Angelegenheit gemacht hätten.

Genau hier hatten Wladimir und seine Männer ihn haben wollen...

Ein überlegenes Lächeln flog über sein Gesicht.

Der Roboter lief zwischen den Bäumen her, während sich die Gardisten in der Umgebung erneut Deckung gesucht hatten. Wladimir selbst schaffte es gerade noch, sich hinter den Stumpf eines sehr mächtigen Baums zu hechten. Der Schockstrahl ging über ihn hinweg und richtete sich im nächsten Moment plötzlich gen Himmel.

Sein Schuss war verrissen worden.

Der Roboter verlor buchstäblich den festen Boden unter den Füßen.

Der Untergrund gab nach.

Eine Fallgrube gähnte unter ihm.

Der Roboter sackte urplötzlich in die Tiefe.

Mit Geäst und dazwischen gespannte Uniformteilen, die anschließend mit Erde und Blättern  bedeckt worden waren, hatten die Gardisten sie getarnt. Es war eine höllische Plackerei gewesen, die Grube mit bloßen Händen in den relativ trockenen, geröllhaltigen Untergrund hineinzugraben. So mancher von ihnen hatte jetzt mehr als nur Schwielen an den Händen.

Aber dieser Moment entschädigte für alles.

Der Roboter fiel allerdings nur etwa einen halben Meter in die Grube. Dann fing ihn sein Antigravaggregat auf und er schwebte wieder empor.

Doch zuvor war er von einer Gestalt angesprungen worden, die offenbar in der Grube auf ihn gelauert hatte.

Ein Gardist.

Der Roboter ruderte mit Armen und Beinen, um den Mann abzuschütteln.

Vergeblich.

Der Gardist löste mit zwei Handgriffen die Magnetverschlüsse des Zusatzpacks auf dem Rücken des Roboters, in dem sich das Antigravaggregat befand. Der Soldat riss es dem Roboter förmlich von den Schultern.

Beide stürzten hinab in die Grube.

Der Roboter kam hart auf, während der Aufprall des Gardisten durch das aktivierte Aggregat, an das er sich klammerte, abgebremst wurde.

Der Gardist deaktivierte es mit einem sicheren Handgriff, damit es nicht davonflog. Er rappelte sich auf, war augenblicklich auf den Beinen.

Kurt Farmoon stand auf dem Namensschild seines Kampfanzugs.

Der Roboter war beinahe ebenso schnell wieder auf den Beinen wie sein menschlicher Kontrahent. Er hob den Schocker, richtete die Waffe auf Farmoon.

Farmoon schnellte vor, kickte dem Roboter den Schocker aus der Hand und hakte sich im nächsten Moment mit der Ferse in das rechte Kniegelenk seines Gegenüber.

Für die Hebelwirkung spielte es keine Rolle, ob ein Gegner aus Metall oder organischem Gewebe bestand. Der Roboter knallte zu Boden. Mit einem seiner teleskopartigen Greifarme packte er dabei Farmoon buchstäblich am Kragen und riss ihn mit sich. Sie rollten übereinander. Kräftemäßig war der Roboter seinem menschlichen Gegner um ein Vielfaches überlegen. Aber Kurt Farmoon war schneller. Er riss die Wartungsklappe des Roboters auf und deaktivierte ihn.

Farmoon atmete tief durch und löste den Griff der Maschine um seinen Uniformkragen.

Er zögerte nicht, sondern machte sich gleich daran, die Energiezellen aus dem Inneren des Roboters zu entfernen.

"Bravo Kurt!", rief Wladimir Krylenko, der zusammen mit einigen der anderen Gardisten am Rand der Grube stand. "Das macht dir so schnell keiner nach!"

"Um ein Haar wäre er mir davongeflogen -—mit seinem verdammten Antigravaggregat!"

"Aber du warst schneller!"

"Los, verlieren wir keine Zeit! Ich wette unser Metallfreund hat den Rest der Blechmann-Bande schon hergerufen!"

Wladimir sprang in die Grube.

Kurt hatte natürlich recht.

Nur Augenblicke blieben ihnen, um gegen den Angriff ihrer Gegner gewappnet zu sein.

André Souan, ein Franzose, der zusammen mit Kurt Farmoon und Wladimir Krylenko ausgebildet worden war, sprang ebenfalls in die Grube. In den ersten Tagen ihrer Ausbildung hatte Kurt ihm das Leben gerettet.

André nahm den Schocker des Roboters an sich.

Es war sinnlos, diese Waffe gegen die in Kürze eintreffenden Verfolger einsetzen zu wollen. Die Wirkung des Schockers beruhte auf einer kurzfristigen Überlastung des menschlichen Nervensystems, die zu Bewusstlosigkeit und Lähmung führte. Das Erwachen nach einer Schockerparalyse war ein äußerst schmerzhafter Vorgang. Bei konditionell schwachen Personen konnte ein Beschuss mit dem Paraschocker sogar tödlich wirken.

Risikopersonen hatten allerdings keinerlei Chancen, die Aufnahmeverfahren der Garde zu durchlaufen.

Auf einen Roboter hatte diese Waffe allerdings überhaupt keine Wirkung.

Wladimir hatte sich inzwischen an dem Zusatzpack des Roboters zu schaffen gemacht und das Antigravaggregat geöffnet, dessen Innenleben nun freilag.

Kurt reichte ihm die Energiezellen, die er dem Roboter entnommen hatte.

Mit ein paar sicher wirkenden Handgriffen setzte Wladimir sie ein.

"Die Energiezellen des Schockers!", forderte der Zugführer.

André warf sie ihm nacheinander zu.

Wladimir fing sie mit traumwandlerischer Sicherheit, drängte auch sie ins Innere des Aggregats hinein und aktivierte ein Display.

"Verdammt, die Roboter! Sie kommen!", rief einer der anderen Männer.

Sie sind noch schneller als ich gedacht habe, durchfuhr es Wladimir.

Aber die Zeit reichte.

In Wladimirs Augen blitzte es.

"Nichts wie weg!", rief der Russe. "Die Bombe ist scharf. Sie ist so eingestellt, dass sie auf die Kommunikationsfrequenz der Roboter reagiert und detoniert sobald die Blechmänner in ihrer Reichweite sind."

André und Kurt schwangen sich bereits aus der Grube. Wladimir überprüfte noch einmal die Einstellung. Er hatte die Bombe so konfiguriert, dass die Roboter sehr nahe herankommen mussten, um die Detonation auszulösen.

Schließlich wollte er möglichst viele von ihnen erwischen.

Dieses Vorgehen barg natürlich auch das Risiko in sich, dass die Gardisten zuvor in die Reichweite des Schockerfeuers gerieten.

"In Deckung Männer! Gleich fliegen hier Blechteile durch die Luft!", rief Wladimir, während er jetzt ebenfalls aus der Grube kletterte.

Keuchend stoben die Gardisten in alle Richtungen davon, um sich schützende Deckung zu suchen.

Nur Kurt Farmoon war erst wenige Meter gelaufen, drehte sich dann nach Wladimir um.

Die Kampfroboter näherten sich.

Einige schwebten mit Hilfe ihrer Antigravaggregate die Hänge hinunter, andere befanden sich bereits am Boden und näherten sich.

Schon zischten die ersten Schockstrahlen durch die Luft.

Wladimir und Kurt grinsten.

"Die Blechdosen werden ihr blaues Wunder erleben!", meinte der Russe.

Die Gardisten rannten los, gingen hinter ein paar Felsbrocken in Deckung.

Die Roboter stürmten heran, näherten sich bis auf wenige Meter der Grube und...

...erstarrten plötzlich mitten in der Bewegung.

*

Ein Schatten erhob sich hinter dem nächsten Steilhang. Ein Schweber näherte sich beinahe lautlos. Auf seiner Außenhülle waren die Kennzeichen der Terranischen Flotte und der Raumgarde zu sehen.

Der Schweber sank nieder und landete zwischen den erstarrten Kampfrobotern.

Das Außenschott öffnete sich.

Master Sergeant Jannis Karalaitis trat ins Freie. Der etwa 1,75 m große Balte war ein wenig kleiner als die meisten seiner Männer. Nach Abbruch eines Wirtschaftsstudiums war er in die Raumstreitkräfte eingetreten und später der Raumgarde zugeordnet worden.

Karalaitis' Gesicht war im Augenblick eine unbewegliche Maske.

"Die Übung ist beendet", rief Karalaitis. Er wandte sich an Wladimir Krylenko. "Rufen Sie Ihre Leute aus den Verstecken!"

"Jawohl, Sir."

Das war allerdings gar nicht mehr nötig.

Die Männer kamen einer nach dem anderen aus der Deckung heraus.

Karalaitis trat an Krylenko heran, der Haltung angenommen hatte.

Er musterte den Russen kurz mit einem durchdringenden Blick.

Der Master Sergeant machte eine weit ausholende Handbewegung in Richtung der offenbar per Fernsteuerung abgeschalteten Kampfroboter.

"Was gedachten Sie hier zu veranstalten, Schütze Krylenko? Ein Roboter-Massaker?"

"Sir, ich..."

"Den Energiesignaturen nach, die der BordKristallsensor meines Schwebers analysierte, befindet sich in der Grube dort etwas sehr Explosives!"

"Nun, Sir..."

"Worauf warten Sie noch?"

"Ich verstehe nicht ganz!"

"Ich schlage vor, als erstes deaktivieren Sie Ihre Bombe, sonst fliegt uns nur noch alles um die Ohren!"

"Jawohl."

Wladimir schluckte.

Er sprang in die Grube. Mit wenigen Handgriffen war die Bombe entschärft.

Karalaitis atmete tief durch und verschränkte die Arme.

"Aufräumen können Sie später", sagte Karalaitis. "Und vor allem möchte ich, dass Sie mir den armen Blechkameraden wieder in funktionstüchtigen Zustand versetzen!"

"Wird gemacht."

"Kommen Sie wieder aus dem Loch da vorne heraus."

Wladimir gehorchte.

Er kletterte aus der Grube und stand nun wieder vor dem Master Sergeant. "Wissen Sie eigentlich, wie viel uns das gekostet hätte, wenn Sie Ihr Feuerwerk tatsächlich in die Tat umgesetzt hätten und ich die Roboter nicht in letzter Sekunde per Fernbedienung hätte stoppen können?"

"Wir hatten den Auftrag, es mit den Biestern aufzunehmen", erklärte Wladimir.

Karalaitis korrigierte ihn.

"Sie hatten den Übungsauftrag, vor den Kampfrobotern zu fliehen und möglichst weit zu kommen, ehe sie paralysiert werden." Die bis dahin ziemlich starre Miene des Master Sergeants lockerte sich. "Ich muss zugeben, Sie und Ihre Leute sind weit über dieses Ziel hinaus gegangen. Sie haben etwas geschafft, was eigentlich unmöglich ist." Karalaitis machte eine Pause, räusperte sich und richtete seine weiteren Worte an alle Männer aus Wladimir Krylenkos Zug. "Sie haben die Roboter besiegt. Ich gratuliere Ihnen."

"Wir werden eben nicht gerne paralysiert, Sir", erwiderte Wladimir.

Alle lachten.

Und selbst über Jannis Karalaitis' Gesicht glitt ein verhaltenes Lächeln.

*

MILKYBARWAY hieß das am Rande von Star City gelegene Lokal. Eine Milchbar, die vor allem von den Gardisten frequentiert wurde. Man fand hier aber auch Angehörige des wissenschaftlichen Personals der Garde-Hochschule.

"Avant les Mescaleros!", rief André Souan unter dem Gelächter der anderen, bevor er sein Glas hob.

Mescaleros - das war die inoffizielle Bezeichnung des 14. Zuges der Raumgarde unter Master Sergeant Karalaitis. Sie waren fast alle gekommen: Kurt Farmoon, Wladimir Krylenko, Jake Calhoun, Nick Gonglor, Antoku Seiwa, Rauno Aaltonen, Sam Uitveeren... Eine Truppe, von denen die meisten gemeinsam ausgebildet worden waren und jetzt wie Pech und Schwefel zusammenhielten.

Nur Master Sergeant Jannis Karalaitis fehlte.

Die Männer nahmen an, dass er noch eintraf und nur aufgehalten worden war.

"Ich habe gehört, der knarzige Karalaitis hat etwas mit einer Kybernetikerin aus der Garde-Hochschule laufen", meinte Antoku Seiwa, als das Gespräch auf den Master Sergeant kam.

Antoku, der mit 1,72 m kleinste Mescalero war einer der wenigen im 14. Zug, die nicht zum selben Ausbildungsjahrgang wie Kurt Farmoon und Wladimir Krylenko gehörten. Er war 2936 in Niigata, Japan geboren worden, später vier Jahre lang Geschützführer auf einem Raumkreuzer gewesen, ehe er sich für die Raumgarde beworben hatte.

"Eine Kybernetikerin", echote Wladimir. "So etwas Kühles passt doch zu unserem Master Sergeant."

Hier und da war verhaltenes Gelächter zu hören.

"Du hast sie noch nicht gesehen", mischte sich Nick Gonglor ein.

Wladimir zuckte die Achseln.

"Meint ihr, ich hätte da was verpasst?"

Nick grinste. "Wer weiß, Wlad!"

André Souan ergänzte: "Dass Kybernetikerinnen kühl sein sollen, ist ja wohl auch ein Vorurteil!"

Wladimir grinste. Er leerte sein Glas, bestellte anschließend sofort nach.

"Sag bloß, du hast diese kühle Flamme unseres Master Sergeants schon gesehen?", hakte der Russe an André gerichtet nach.

Der Franzose sprach jetzt mit gedämpfter Stimme.

In seinem Gesicht stand eine Verschwörermiene.

"Das habe ich", behauptete er.

Plötzlich herrschte Stille unter den Gardisten. Zumindest an dem Tisch, an dem André saß.

André schien diese Aufmerksamkeit bis zum letzten Augenblick auskosten zu wollen.

"Nun zier dich nicht so, als wärst du selbst eine keusche Kybernetikerin!", forderte Nick Gonglor. "Wir wollen was hören!"

Andrés Gesicht veränderte sich. Seine Lockerheit war auf einmal wie weggeblasen. Er saß wie erstarrt da, fast so, als würde er Haltung annehmen.

Sein Blick war auf einen muskulösen, wenn auch nicht sonderlich großen Mann gerichtet, der soeben eingetreten war.

Karalaitis!

Der Master Sergeant ließ den Blick kreisen.

Er nickte den Gardisten zu und trat näher.

"Behalten Sie Platz!", meinte Karalaitis. "Wie ich sehe, sind Sie in ausgelassener Stimmung!"

"Schütze Souan sprach gerade von Ihnen!", stichelte Antoku. Der Japaner bekam dafür von Nick und Wladimir fast gleichzeitig einen Rippenstoß, der so heftig war, dass Antoku aufstöhnte.

Wladimir ergriff das Wort.

"Wir bedauerten, dass unser Etat es offenbar nicht zuließ, die Wirkung unserer kleinen Bombe in der Praxis zu testen", meinte der Russe, um die unangenehm peinliche Stille irgendwie zu füllen.

Die anderen lachten.

Karalaitis ebenfalls, wenn auch etwas verhaltener.

"Sie haben sich das Recht verdient, so eine Bemerkung zu machen!", fand Karalaitis. Er blickte in die Runde. Von einem zum anderen. Die Augen der Gardisten des 14. Zuges waren jetzt allesamt auf Karalaitis gerichtet. "Sie haben alle hervorragende Arbeit geleistet."

"Danke, Sir", kam es aus einem Dutzend Kehlen fast gleichzeitig zurück.

"Aber genau deswegen sind Sie ja in der Raumgarde", fuhr Karalaitis fort. "Weil Sie das zu schaffen versuchen, was eigentlich unmöglich ist. Weil Sie Ihren Verstand gebrauchen und improvisieren können. Heute haben Sie es geschafft, sogar mich zu überraschen und das ist verdammt schwer."

Kurt Farmoon hatte dem Gerede der Männer nur mit halbem Ohr zugehört. Die ganze Zeit über war ihm schon eine junge Frau an der Bar aufgefallen. Das lange, dunkle Haar fiel ihr bis weit über die Schultern. Es glänzte seidig im gedämpften Licht.

Irgendwo habe ich die schon mal gesehen, ging es Kurt durch den Kopf.

Er konnte sich im Moment nur nicht genau erinnern, wo oder mit wem. Kurt dachte fieberhaft darüber nach.

Die Dunkelhaarige unterhielt sich mit einer Freundin.

Beide Frauen lachten und schienen sich köstlich zu amüsieren.

Schließlich verabschiedete sich die Freundin.

Die Dunkelhaarige blieb allein an der Bar.

Sie wandte den Kopf, sah einen Moment lang in Kurts Richtung. Ihrer beider Blicke trafen sich. Der blonde Gardist musste unwillkürlich schlucken. Er hatte diese Frau schon einmal gesehen, da war er sich jetzt absolut sicher. Und zwar in irgendeinem Hörsaal der Garde-Universität. Was ist los mit dir?, fragte er sich. Ist der Erinnerungsspeicher deines Hirns derart begrenzt, dass da für nichts anderes Platz ist, als das Wissen darüber, wie man notfalls aus einem Kaugummi und einem Schraubenzieher einen Blaster baut?

Die junge Frau wandte sich wieder ihrem Glas zu. Sie trank es leer.

Wenn du sie noch kennenlernen willst, musst du dich beeilen und denn sonst ist sie weg.

Der neben ihm sitzende Nick Gonglor stieß Kurt in die Seite.

"Heh, was ist los mit dir, Kurt? Träumst du?"

"Ist doch nicht gegen die Dienstanweisung oder?", gab Kurt zurück.

Wladimir grinste.

"Kommt ganz darauf an, in welchem Augenblick", meinte er.

André ergänzte: "Laut Dienstanweisung Paragraph eine Million und irgendwas Absatz 39 ist Träumerei in zwei Situationen nicht erlaubt: Bei einem Kampfeinsatz und während man mit Kameraden im MILKYBARWAY sitzt, um sich zu amüsieren!"

"Sehr witzig!", meinte Kurt. Er erhob sich. "Ihr entschuldigt mich mal kurz."

Die Mescaleros sahen Kurt nach.

Sie beobachteten, wie sich der blonde Gardist zu der Dunkelhaarigen gesellte.

"Wenn einer von euch eine dumme Bemerkung macht, sage ich es Kurt", murmelte Wladimir. "Ihr wisst doch, er war mal Schulmeister im Boxen und hat bei der Garde noch einiges dazugelernt."

Niemand wagte eine unpassende Bemerkung.

*

"Ich habe Sie schonmal gesehen", sagte Kurt, als er sich auf einen der Barhocker gesetzt und ein Getränk bestellt hatte.

Die Dunkelhaarige sah ihn mit großen, dunkelbraunen Augen an.

Enttäuschung lag in diesem Blick.

"Um ehrlich zu sein, ich bin schon wesentlich origineller angesprochen worden..."

"Kurt. Ich heiße Kurt Farmoon, bin Schütze beim 14. Zug der Raumgarde."

"Und ich habe immer gedacht, dass man dort nur eine Chance bekommt, wenn man auch im Kopf was vorweisen kann!"

Sie hob das Kinn. Der Blick ihrer dunklenbraunen Auge war ruhig und freundlich. Kurt lächelte. Sie erwiderte dieses Lächeln, wenn auch sehr verhalten.

"Tut mir leid, aber das eben sollte keine billige Anmache sein", sagte Kurt.

Sie hob die Augenbrauen.

"Natürlich nicht."

"Ich habe Sie wirklich schon einmal gesehen..."

"Ja, sicher!"

Kurt schnipste mit den Fingern. "Ich weiß nur nicht mehr wo." Eine Pause folgte. Jetzt machst du dich gerade komplett lächerlich, ging es Kurt durch den Kopf.

Sie nippte an ihrem Glas.

Kurt fuhr inzwischen fort: "Wenn Sie mir Ihren Namen sagen, dann würde..."

"...würde Ihnen das wahrscheinlich helfen, oder?"

"Sicher."

"Am besten soll ich Ihnen wohl auch gleich meinen individuellen Communicator Phone-Verbindungscode geben."

Kurt grinste.

"Wäre natürlich nicht schlecht!"

Sie atmete tief durch. Ihre Brust hob und senkte sich dabei. Schließlich schüttelte sie den Kopf und strich sich mit einer unnachahmlich grazilen Handbewegung eine verirrte Strähne aus den Augen.

"Sie sind unverbesserlich...Kurt!"

"Das hoffe ich nicht!"

"Ihr Versuch, meinen Namen herauszubekommen war so plump, dass er schon fast wieder gut war."

"Professor Ravanelli!", entfuhr es Kurt.

"Und wenn Sie denken, Sie bekommen meinen Communicator Phone-Code, um mich dann..."

"George Ravanelli, Professor für Hochenergietechnik! Ich habe Sie in einer seiner Vorlesungen gesehen! Jetzt sagen Sie nicht, dass ich da völlig falsch liege!"

Sie wich seinem Blick zunächst aus. Aber schließlich erwiderte sie sein Lächeln.

"Nicht völlig falsch", gab sie zurück.

Die Erkenntnis traf Kurt wie der berühmte Blitz aus heiterem Himmel. Jetzt wusste er es wieder!

"Sie waren seine Assistentin!"

"Das bin ich immer noch. Bingo, der Kandidat bekommt neunundneunzig Fleißpunkte!"

"Ich finde, langsam habe ich mir Ihren Namen verdient!"

In ihren Augen blitzte es herausfordernd. "Ich wette, Sie haben mit Ihren Freunden da drüben..."—sie deutete in Richtung der Mescaleros—"darum gewettet, wie lange es dauert, bis sie mich herumgekriegt haben."

"Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Mitglied der Raumgarde, dass ich das nicht getan habe!"

"Ja, ja..."

Sie trank ihr Glas leer, stellte es anschließend zurück auf den Schanktisch.

"Möchten Sie noch etwas trinken?"

Sie winkte ab. "Sie sind mir etwas zu schnell, Gardist! So schnell lasse ich mich von Ihnen nicht einladen..."

"So schnell nicht", echote Kurt. "Das lässt mich hoffen, dass Sie es eines Tages tun werden. Sind Sie öfter hier im MILKYBARWAY?"

"Nein, eigentlich nicht. Schon der Name dieses Ladens hat mir nicht besonders gefallen."

"Was ist dagegen einzuwenden?"

"Aber Kurt! MILKYBARWAY -—diese Wortverdrehung soll vielleicht witzig klingen. Ich finde sie lächerlich. Der Name wurde wohl ausgewählt, um Typen wie Sie anzulocken. Eine Rechnung, die ja wohl auch aufgeht."

"Warum sind Sie dann überhaupt hier?"

"Meine Freundin schlug das vor."

"Schade."

"Was?"

"Dass ich Sie hier dann wahrscheinlich so schnell nicht wiedersehen werde. Wirklich schade..."

Das Lächeln, das jetzt ihre vollen Lippen umspielte, wirkte etwas weicher und versöhnlicher als zuvor. Langsam schien die Kratzbürstigkeit etwas von ihr abzufallen. Na endlich!, dachte Kurt.

"Sie können ja bei Gelegenheit mal wieder eine Vorlesung in Hochenergietechnik belegen, wenn man Sie zwischendurch nicht gerade auf irgendeinen fernen Planeten schickt, Kurt."

Kurt hob die Augenbrauen.

"Wer weiß——vielleicht mache ich das sogar."

"Ich muss Sie allerdings darauf hinweisen, dass ich nur selten bei den Vorlesungen des Professors zugegen bin."

"So?"

"Er hat mich mit anderen Aufgaben betraut." Sie blickte kurz auf ihre Uhr. "Ich muss jetzt los", meinte sie. Die junge Frau bezahlte ihre Rechnung, nahm ihre Handtasche und ging an Kurt vorbei. Nahe genug, dass Kurt ihr Parfum riechen konnte.

Nach ein paar Schritten drehte sie sich noch einmal zu ihm um.

"Ich heiße übrigens Teresa."

"Oh!" Kurt war perplex. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er hatte schon nicht mehr damit gerechnet, ihren Namen zu erfahren.

"Teresa Gonzales. Freunde nennen mich Teresita."

"Bis dann, Teresita."

"Ich sagte: Freunde dürfen mich so nennen."

"Ja, aber..."

"Woher sind Sie so sicher, dass ich Sie schon dazu zähle?"

Kurt schluckte.

Ihm blieben die Worte buchstäblich im Halse stecken. Der Gardist sah der jungen Frau nach, bis sie den Ausgang des MILKYBARWAY passiert hatte.

*

Als Kurt Farmoon am nächsten Morgen zusammen mit André Souan und Wladimir Krylenko den großen Hörsaal der Garde-Universtät betrat, musste er sich große Mühe geben, um ein Gähnen zu unterdrücken.

"Hey, du kommst wohl in die Jahre, was?", stichelte André.

Kurt machte eine wegwerfende Handbewegung. "Sag bloß, an dir ist der gestrige Übungseinsatz spurlos vorüber gegangen?"

André lachte.

"Der Übungseinsatz schon. So etwas stecke ich doch mit links weg. Nur die Feier danach hat vielleicht etwas zuviel von der Nacht geraubt."

Das Lachen der Gardisten verstummte abrupt, als sie Master Sergeant Karalaitis erblickten. Er hatte in einer der vorderen Reihen des Hörsaals platzgenommen. Andrés Lachen hatte ihn dazu veranlasst, sich umzudrehen und den Männern einen tadelnden Blick zuzuwerfen.

"Inzwischen solltest du gemerkt haben, dass wir uns nicht mehr im MILKYBARWAY befinden", raunte Kurt seinem Kameraden zu. "Auch wenn's erst ein paar Stunden her ist, dass wir dort waren."

"Karalaitis gestrenge Miene hat mir das sofort wieder klargemacht!", witzelte André.

Sie fanden noch Gonglor und einige andere Männer ihres Zuges und setzten sich zu ihnen in die Bank.

Der Rest würde sich wohl nach und nach einfinden.

An diesem Morgen stand für die Gardisten ein Vortrag auf dem Programm, der selbst für die an prominente Köpfe nicht gerade arme Garde-Universität etwas Besonderes war.

Chris Barrington gab sich die Ehre, vor den Garde-Angehörigen über die technischen Umwälzungen der vergangenen Jahre zu referieren.

Barrington galt neben Robert Assam und Orik Daan als einer der der besten terranischen Fremdtechnikexperten. Seine mit Robert Assam gemeinsam entwickelten Okarg-Sonden waren ebenso erinnernswert wie sein Flug nach Drakhon, den er vor etwa einem Jahr mit der MAYHEM unternommen hatte. Als einer der ersten Kolonisten des Planeten Epoh hatte er ohnehin schon den Status einer Legende. Es gab niemanden im Saal, der nicht gespannt auf diesen Mann war.

Doch zunächst war es etwas anderes, was Kurt Farmoons Lebensgeister wie auf einen Schlag reanimierte.

Zwischen den miteinander scherzenden Gardisten sah er auch eine Gruppe von Frauen, die zum wissenschaftlichen Personal der Garde-Universität gehörten.

Ein dunkelhaariger Haarschopf fiel ihm auf.

Ein ebenmäßiges, fein geschnittenes Profil...

Teresita, dachte er.

Unwillkürlich musste er schlucken. Er hatte das Gefühl, einen dicken Kloß im Hals stecken zu haben. Die gefällt dir wohl besser, als du dir im Moment eingestehen willst!, meldete sich eine unüberhörbare Stimme in seinem Hinterkopf.

Teresita drehte sich zu ihm um und schenkte ihm ein Lächeln.

Er erwiderte es.

"Ist das nicht die Kleine von gestern?", fragte Wladimir.

"Halt die Klappe", murmelte Kurt.

"Ich habe doch recht, oder?"

"Und ich sagte: Halt die Klappe!"

Inzwischen füllte sich der Saal weiter. Die letzten Gardisten trafen in, darunter auch einige verspätete Angehörige des 14. Zuges.

"Ich bin mal gespannt, welche salbungsvollen Worte uns der große Chris Barrington zu sagen hat!", meinte Nick Gonglor sarkastisch. "Die technischen Umwälzungen der letzten Jahre  -—das klingt nicht gerade besonders aufregend!"

"Also genau das Richtige für diesen Morgen", meinte Wladimir und hielt sich die Hand vor den Mund.

"Wehe, wenn du anfängst zu schnarchen, Wlad!", alberte André.

Der Russe grinste.

"Na, erlaube mal! Glaubst du vielleicht, ich würde unseren Zug in Verruf bringen?"

"Na klar!", erwiderten Nick und der rechts neben ihm sitzende Japaner Antoku Seiwa wie aus einem Mund.

In den vorderen Reihen drehten sich einige Offiziere nach ihnen um.

Die Gardisten konnten nur hoffen, dass Jannis Karalaitis nicht mitbekommen hatte, woher diese Unruhe kam. So etwas konnte der Estländer nicht leiden. In diesem Punkt brauchte man auch nicht auf irgendeinen Bonus auf Grund der herausragenden Leistungen der Mescaleros bei der gestrigen Übung zu hoffen.

Kurt Farmoon hatte - ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Natur - an diesem Morgen kaum Sinn für die Albereien seiner Kameraden. Er sah immer wieder zu Teresita hinüber. Da trifft man mal eine Klasse-Frau und dann macht sie es einem ganz schön schwer!, dachte er.

Es wurde plötzlich ganz ruhig.

Man hätte eine Stecknadel im großen Hörsaal der Garde-Universtät von Star City fallen hören können, als Christopher Angham den Raum betrat.

Angham war Kommandant der Raumgarde im Rang eines Generalmajors. Erst auf Grund seiner Denkschriften war die Garde seinerzeit überhaupt entstanden.

Der Kommandeur war eine imposante Erscheinung. Der Blick seiner eisgrauen Augen hatte etwas Durchdringendes. Eine lange Narbe zog sich über die linke Gesichtshälfte.

In seinem Schlepptau befanden sich der berühmte Chris Barrington sowie Professor Dr. George Ravanelli, von dem Kurt annahm, dass er wohl stellvertretend für die Dozenten der Garde-Universität ein paar einleitende Worte verlieren würde.

Während Ravanelli eine eher hagere Gestalt hatte, war der als Cognac-Liebhaber bekannte Barrington ziemlich schwergewichtig. Eine Halbglatze kennzeichnete seinen Kopf, die markanten Linien seines Gesichts wurden durch einen Kinnbart noch unterstrichen.

Die Männer schritten nach vorn, setzten sich auf die für sie reservierten Plätze in der ersten Reihe.

Ein junger Rekrut überprüfte die Mikrofone und die Tonanlage.

Als das geschehen war, bekam Angham ein Zeichen.

Mit den energischen Schritten, die die Tatkraft und Entschlossenheit eines militärischen Befehlshabers verrieten, ging Angham zum Rednerpult.

"Ich darf Sie zu einem ganz besonderen Ereignis begrüßen. Der Garde-Universität ist es gelungen, einen Gastredner mit außerordentlicher Vita zu verpflichten. Einen Mann, der als einer ersten Siedler von Epoh zu den Pionieren des menschlichen Strebens zu den Sternen zählt. Zu seinen herausragendsten Leistungen zählt..."

Ein Geräusch unterbrach den Kommandeur, dessen Stirn sich in tiefe Falten legte.

Ein Scotch Terrier huschte zwischen den Sitzreihen des Hörsaals daher, erreichte schließlich den Mittelgang und blieb stehen.

Der Terrier bellte.

Der schwergewichtige Barrington erhob sich seufzend von dem ihm zugewiesenen Ehrenplatz. Er sah den Terrier kopfschüttelnd an und seufzte.

"Jimmy, was soll das denn? Du hast mir gesagt, du wolltest lieber draußen warten."

Der vermeintliche Scotch Terrier stieß ein raues Bellen aus. Dann fügte er mit wohlmodulierter Stimme hinzu: "Tut mir leid, aber ich habe es mir zwischendurch anders überlegt."

Ein Raunen durchlief das Publikum.

Hier und da brach Gelächter aus.

Die Geschichte von Jimmy, dem Robothund war in ihren Grundzügen allgemein bekannt. Zumindest unter all jenen, die sich auch nur ansatzweise für Roboter oder Künstliche Intelligenz interessierten. Und das traf an der Garde-Hochschule auf fast jeden zu.

Gut neun Jahre war es her, dass Chris Barrington den Robothund konstruiert hatte. Er war mit einem Kristallsensor ausgestattet und besaß darüber hinaus zahlreiche Zusatzgeräte. Darunter auch einen Strahler in der Zunge, der aus dem eher unscheinbaren und etwas unbeholfen wirkenden Scotch Terrier eine gefährliche Waffe machte.

Jimmy war bis zu einem gewissen Grad zur Selbstprogrammierung fähig. Ein Hardwarefehler sorgte dafür, dass sich immer wieder Subprogramme bildeten, die den Robothund beinahe selbständig und unvorsehbar reagieren ließen. In wie fern Jimmy den Schritt zur echten Künstlichen Intelligenz zurückgelegt hatte oder nur auf Grund seines Verhaltens den Anschein einer eigenen Persönlichkeit erweckte, blieb bislang eines der ungelösten Rätsel der Kybernetik.

Ein mildes Lächeln spielte um Chris Barringtons volllippigen Mund.

"Na komm schon, Jimmy. Aber beklag dich später nicht, dass dir diese Veranstaltung hier zu langweilig ist!"

Gelächter brach aus.

Jimmy ließ sich das nicht zweimal sagen.

Er rannte etwas tapsig auf den Menschen zu, den er nach wie vor seinen Herrn nannte.

Barrington setzte sich wieder.

Jimmy nahm zu seinen Füßen Platz. Spontaner Beifall brandete im Publikum auf.

Generalmajor Angham räusperte sich. "Kommen wir also zurück zu den Leistungen von Chris Barrington. Die Konstruktion des Robothundes Jimmy ist dabei wohl eher eine Fußnote verglichen mit..."

"Fußnote?", ereiferte sich Jimmy. "Wieso bin ich eine Fußnote?"

"Still!", schalt ihn Barrington.

Jimmy ließ ein hinreichend traurig klingendes Jaulen hören, bevor er schließlich verstummte.

Barrington machte Angham ein Zeichen, um diesem zu bedeuten, dass er mit seinen einleitenden Worten fortfahren könnte.

Der Generalmajor setzte ein reichlich verkrampft wirkendes Lächeln auf. Wenn etwas nicht nach Plan verlief, so ging ihm das für gewöhnlich ziemlich gegen den Strich.

Aber er hatte in all seinen Dienstjahren in  der terranischen Flotte gelernt, seinen Ärger hinunterzuschlucken und ihn sich möglichst wenig anmerken zu lassen.

"Wie gesagt, die Leistungen ...Verdienste...äh... unseres..."

Der Kommandant der Raumgarde war etwas aus dem Konzept geraten. Schließlich fand er den roten Faden aber wieder. "Chris Barrington war Chefmonteur des Kraftwerks von Nattac. Nach der Invasion durch die Titans, die die gesamte Menschheit in starke Mitleidenschaft gezogen hat, organisierte niemand anderes als er den technischen Wiederaufbau in Europa und Asien. Später übernahm er den Ausbau und die Leitung der solaren Beobachtungs-Stationen und erkundete unerschrocken das Transmitternetz der Alienwandler. Nur ganz wenige Menschen sind auf gleichem Niveau dazu in der Lage, sich in die Technologie nichtmenschlicher Wesen einzufühlen. Um über die schwindelerregenden Fortschritte zu referieren, die es in den letzten Jahren in der technologischen Entwicklung Terras gegeben hat, wäre kaum ein Zweiter so kompetent wie Chris Barrington. Denn ist gibt ein Element, das unsere eigene technische Entwicklung in dieser Zeit am nachhaltigsten geprägt hat. Ich spreche vom Einfluss außerirdischer Technik, insbesondere aus Nugrou-Herkunft. Unsere Welt hat sich in dieser Zeit radikal geändert. Und ein Grund dafür liefert die Tatsache, dass unsere Spezies mit anderen intelligenten Völkern Kontakt hatte und Wissen austauschte. Wissen, das in Artefakten und archäologischen Fundstücken aus längst vergangener Zeit schlummerte. Doch ich will meine Rede an dieser Stelle nicht über Gebühr ausdehnen..."

Nick Gonglor tat so, als würde er Beifall klatschen.

Allerdings befanden sich seine Hände hinter dem Rücken des Vordermanns und waren weder von der Position des Redners, noch von Jannis Karalaitis' Sitz aus zu erkennen.

"Heißen Sie bitte Chris Barrington durch einen starken Applaus willkommen!", forderte Angham.

Der Applaus kam umgehend.

Es war ein Applaus der Erleichterung, dass Anghams etwas umständlich gewählten Eingangsworte endlich überstanden waren.

Aber als zweiter begab sich keineswegs Chris Barrington an das Rednerpult.

Zunächst erhob sich George Ravanelli.  Der Professor für Hochenergietechnik bewegte sich auf eine Weise, die sofort signalisierte, dass es unmöglich war, ihn jemals zur Eile antreiben zu wollen.

Wladimir Krylenko verdrehte die Augen.

Ravanelli ging leicht gebeugt zum Rednerpult, ließ den Blick über das Publikum schweifen und wartete geduldig lächelnd ab, bis es wieder ruhig war.

"Es darf nicht wahr sein. Eine salbungsvolle Rede nach der anderen", meinte Kurt Farmoon an André gewandt.

Der Franzose grinste.

"Dreimal darfst du raten, was Ravanelli als erstes sagen wird."

"In meiner Eigenschaft als derzeitiger Dekan der Garde-Universität von Star City...", äffte Kurt Farmoon die Sprechweise des hageren Professors nach, wie er sie aus diversen Vorlesungen kannte.

Wladimir grinste über das ganze Gesicht, als Ravanelli wenige Augenblicke später mit exakt dem gleichen Wortlaut begann.

"In meiner Eigenschaft als derzeitiger Dekan der Garde-Universität von Star City darf ich Chris Barrington in unserer Mitte herzlich willkommen heißen. Möge dieser Vortrag Ihnen zum Wohle und Nutzen sein!"

Diesen Satz pflegte Ravanelli an den Anfang jeder Vorlesung zu setzen.

Als Kurt Farmoon das beim ersten Mal erlebt hatte, war er in der Versuchung gewesen, sich darüber lustig zu machen. Aber bei einem Mann wie Ravanelli wirkte so ein gedrechselt klingender Satz richtig natürlich.

Ravanelli verließ ebenfalls unter Applaus das Podium, um nun dem Hauptredner dieser Veranstaltung Platz zu machen.

Chris Barrington.

Er trat gemessenen Schrittes an das Pult.

"Die technologische Entwicklung, die die Menschheit in den letzten Jahren hinter sich gebracht hat, ist bemerkenswert. Bemerkenswert ist aber auch, dass keineswegs alles, was wir inzwischen bereits für Selbstverständlichkeiten halten, auf unserer eigenen Forschung und unseren eigenen Entdeckungen beruht. Ganz im Gegenteil! Ohne die Technologie der Alienwandler, wie man die Nugrou früher nannte, wären wir noch immer ein Planet am Rande des Atomzeitalters. Unsere Raumschiffe noch immer schrecklich langsam und vor allem unsicher! Jeder von Ihnen wird etwas mit dem Begriff "X-Space"-Effekt anfangen können, wenn ich mich nicht irre..."

Der Professor blickte in die Runde.

Niemand widersprach ihm.

"Vor fast vierzig Jahren wurde diese bislang im übrigen weitgehend unerforscht gebliebene Möglichkeit, schneller als das Licht zu fliegen, entdeckt. Mit den Transitionen unserer heutigen Raumschiffe hat dieser Effekt nicht das geringste zu tun. Beide verhalten sich etwa so wie die Ruderer eine Strafgaleere gegen den Antrieb einer Hochgeschwindigkeitsbahn zueinander. Sie sind völlig verschieden. Wie wir heute wissen, hatte der "X-Space"-Effekt durchaus seine Tücken. Beispielsweise kann es zu völlig unkontrollierten Raumsprüngen kommen. Dieser einzige von der Menschheit selbst entwickelte Überlichtantrieb stammt aus den 2910er Jahren. Annähernd dreißig Jahre lang schien in seiner Weiterentwicklung die Perspektive für die menschliche Raumfahrt zu liegen. Es schien nur eine Frage der Beherrschbarkeit dieses Effekts zu sein, wie weit man ins All vorstoßen konnte. Dann kam es im Mai des Jahres 2951 zu einem unkontrollierten Sprung des Raumschiffs GALAXIS. Das ist Geschichte. Jeder von uns dürfte das eine oder andere darüber gehört haben. 4300 Lichtjahre wurde die GALAXIS damals in Nullzeit hinaus ins All geschleudert. Aus diesem Unfall zog die terranische Wissenschaft wertvolle Erkenntnisse. Insbesondere, was den Zusammenhang zwischen Schockabgabedauer der Plasmaenergie und der Sprungweite angeht. Diese Erkenntnisse machten zunehmend kontrollierte Sprünge möglich. Die Zukunft der irdischen Raumfahrt schien vorgezeichnet. Sie schien in einer immer weitergehenden Perfektionierung des auf den "X-Space"-Effekt beruhenden Antriebs zu beruhen. Aber dann kam es in der Geschichte unseres Planeten zu gravierenden Umwälzungen, die Terra einen ganz anderen Weg haben einschlagen lassen. Einen Weg, den auch andere Völker vor uns gegangen sind. Ich erinnere nur an die Kelradan!" Barrington machte eine kurze rhetorische Pause, blickte dabei im Publikum herum und  sah schließlich in Jimmys Richtung, der vollkommen brav auf dem Boden hockte.

"Ich spreche von der Übernahme der Technologie, die wir durch die Titans und die Hinterlassenschaften der Alienwandler kennenlernten. Die Raumfahrt des weit in die Galaxis reichenden Imperiums der Kelradan basiert ebenfalls auf den Hinterlassenschaften der Alienwandler, von denen wir inzwischen wissen, dass es sich um amöbenhafte Gestaltwandler handelt, die sich selbst Nugrou nennen und einst ein gewaltiges intergalakisches Imperium besiedelten. Die Nugrou-Raumerflotte Terras fliegt mit  Sternensog oder Transitionstriebwerken, wobei die Frage eher philosophischer Natur ist, ob nicht der Antrieb durch den "X-Space"-Effekt eine primitive Vorstufe der von den Titans und Alienwandler übernommenen Transitionstriebwerke handelt. Ich bin da, wie ich schon anfangs äußerte, eher skeptisch und denke, dass man beides nicht einen Topf werfen sollte."

Kurt Farmoon saß wie erstarrt da.

Er hörte mit glühenden Ohren Chris Barringtons Worten zu.

Selbst die dunkelhaarige Assistentin des Hochenergietechnik-Professors war in diesem Moment nicht mehr von Bedeutung.

Kurt konnte gar nicht genau sagen, was diese Faszination eigentlich ausgelöst hatte. Sicher war Chris Barrington eine beeindruckende Persönlichkeit, aber andererseits referierte er über die Dinge, die man letztlich auch in jeder Datenbank nachlesen konnte.

Bis auf eine Kleinigkeit.

Die Sache mit dem "X-Space"-Effekt...

Ich bin skeptisch, hatte Kurt die Worte Barringtons im Ohr. Barrington neigt offenbar eher der These zu, dass es sich bei dem "X-Space"-Effekt-Triebwerken um eine völlig eigene Antriebsgattung handelte, die mit  dem Transitionseffekt vielleicht eng verwandt, aber keineswegs identisch ist!, ging es ihm durch den Kopf. Was wäre gewesen, wenn man diesen Weg in der Raumtechnik weiter verfolgt und zu einem befriedigenderen Abschluß gebracht hätte?

Eine Idee, die Kurt Farmoon faszinierte.

Natürlich lag es auf der Hand, dass die alten Triebwerke, die auf dem "X-Space"-Effekt beruhten, in dem Augenblick keine Chance mehr hatten, in dem etwas Besseres, Ungefährlicheres zur Verfügung stand. Eine Technologie, nach der man nur zu greifen brauchte und die man schon benutzen konnte, noch ehe man sie auch nur annähernd verstanden hatte. Bei vielen Hinterlassenschaften der Nugrou-Technik war das bis heute der Fall. Ein Raumschiff wie die NOVA GALACTICA barg noch immer ungelöste Geheimnisse und auf so manchem Kolonialplaneten waren rätselhafte Hinterlassenschaften der Alienwandler gefunden worden, deren Funktionsweise sich den Menschen bis heute nicht vollständig erschlossen hatte.

Barrington referierte weiter über die Möglichkeiten der modernen, Tirifotium-basierten Raumtechnik im Vergleich zu den noch sehr eingeschränkten Möglichkeiten, die man seinerzeit an Bord der GALAXIS gehabt hatte. Als er kurz schilderte, welche technischen Umstände zum ungewollten Raumsprung der GALAXIS zum Loc 7112-System und der anschließenden Notlandung auf dem fünften, "Epoh" genannten, Planeten geführt hatten, bekam die Stimme des schwergewichtigen Mannes einen fast wehmütigen Tonfall. Etwas, was man bei einem Menschen, der sich überwiegend mit nüchternen Fakten und glasklaren technischen Daten befasste, kaum erwartete. Als verwunderlich sah Kurt das allerdings auch nicht an. Schließlich war Barrington ja selbst einer der ersten Siedler von Epoh gewesen.

"Aber zurück in die Gegenwart! Die Gegenwart von Sternensog und Tirifotium - zumindest in der Raumtechnik!", wies Barrington sich selbst zurecht. "Die alten Zeiten sind vorüber und das ist auch gut so. Denken wir nur an die Schrecken der Titans-Invasion. Niemand von uns, der auch nur einigermaßen klar bei Verstand ist, möchte so etwas noch einmal durchmachen."

Kurt Farmoon vernahm neben sich eine flüsternde Stimme.

Wladimir Krylenko sprach zu ihm.

Er konnte sich offenbar eines Kommentars zu Barringtons Ausführungen einfach nicht enthalten.

"Die alten Zeiten hatten auch ihr Gutes", meinte er.

Kurt sah ihn fragend an, hob die Augenbrauen dabei.

"Pssst!"

"Ist doch wahr!", verteidigte sich Wladimir. "Die konnten damals noch als erste hinaus in die Milchstraße geschleudert werden und damit zur Legende werden...."

"Beruhige dich, Wladimir. Das Universum ist groß genug!", mischte sich Nick Gonglor ein.

"Haltet die Klappe!", sagte Kurt etwas gereizt.

Nichts gegen Albereien unter Kameraden, aber im Moment interessierten ihn die Ausführungen Chris Barringtons einfach mehr, so dass er für nichts anderes ein Ohr hatte.

Die Mescaleros waren still.

Das Problem war nur, dass Kurt um einige Dezibel zu laut gesprochen hatte.

Ein Teil des Publikums drehte sich in seine Richtung.

Auch der Blick des Redners glitt suchend über das Publikum und blieb schließlich bei Kurt Farmoon stehen.

Barrington fixierte Kurt regelrecht.

Verdammt, was verrät mich?, durchzuckte es ihn siedend heiß. Mein roter Kopf vielleicht?

Jimmys Bellen löste die Situation auf.

Ein kurz aufbrandendes Gelächter war die Folge.

Unbeirrt und mit einem nachsichtigen Lächeln um die Mundwinkel setzte Chris Barrington seine Ausführungen fort.

Barrington schilderte eindrucksvoll, wie sich die Menschheit nach und nach die Alienwandler-Technik erobert und sie teilweise auch bereits weiterentwickelt hatte. Schließlich schloss er mit den Worten: "Es ist beruhigend zu wissen, dass wir doch mehr sind, als eine Spezies von Papageien, denen man vielleicht beibringen kann, wie man über ein Communicator Phone kommuniziert oder die Spracheingabe eines Kristallsensors füttert, die aber niemals in der Lage sein werden, die zugrunde liegende Technik zu verstehen, geschweige denn weiter zu entwickeln. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit."

Beifall brandete auf. Das Auditorium war begeistert.

Kurt saß vollkommen regungslos da.

Der Blick war nach innen gerichtet.

Gedanken schwirrten ihm im Kopf herum. Und die Gedanken hatten alle mit dem "X-Space"-Effekt zu tun. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, diesen Zweig der Triebwerkstechnologie so sträflich zu vernachlässigen. Seit Jahren hat sich niemand mehr mit diesem Effekt und seinen Grundlagen beschäftigt, dachte Kurt. Aber wen wundert das? Das ist eben die Gefahr, die in dem technologischen Geschenk liegt, als die man die Hinterlassenschaften der Alienwandler bezeichnen könnte.

Manchmal war es einfach so, dass ein bestimmtes Ereignis die Aufmerksamkeit von Forschung und Wissenschaft in eine ganz bestimmte Richtung lenkte. Ein Krieg, eine Katastrophe, eine Entdeckung oder der Kontakt mit der Technik einer fremden, technologisch weit überlegenen Spezies. Die Wirkung war dieselbe.

Aber manchmal, so glaubte Kurt Farmoon, konnte es sich lohnen, genau zu überprüfen, ob diese niemals zu Ende gegangenen Wege wirklich Sackgassen gewesen wären—oder vielleicht eine bessere Alternative.

Chris Barrington verließ das Rednerpult, nachdem er sich durch eine angedeutete Verbeugung artig für den Beifall bedankt hatte.

Er setzte sich auf seinen Platz. Jimmy wandte ihm den Kopf zu. Was der Robothund zu sagen hatte, ging im Applaus unter. Professor Ravanelli ging noch einmal ans Pult. Der gegenwärtige Dekan der Garde-Universität räusperte sich, es wurde wieder ruhig. "Ich möchte noch darauf hinweisen, dass im Anschluss an diese Veranstaltung im Foyer ein Empfang zu Ehren unseres Gastes stattfinden wird", erklärte er. "Sie sind natürlich herzlich dazu eingeladen."

"Auf so etwas kann ich verzichten", meinte Wladimir Krylenko. "Auf synthetischen Kaviar habe ich wirklich keinen Bock!"

"Ich schon", sagte Kurt entschieden.

Wladimir runzelte die Stirn.

"Hey, was ist eigentlich mit dir los?"

"Nichts."

"Stress wegen der Dunkelhaarigen?"

"Welcher Dunkelhaarigen?"

Wladimir runzelte die Stirn. "Mir scheint, du bist wohl ziemlich durch den Wind, was?"

"Quatsch!"

"Hör zu, ich..."

Kurt unterbrach Wladimir ziemlich abrupt. "Weißt du was? Tu mir einfach einen Gefallen und gehe mir heute nicht auf die Nerven, Wlad!"

Wladimir Krylenko hob beschwichtigend die Hände. "Ist ja schon gut, Kurt!"

*

Bei dem Empfang für Chris Barrington herrschte großes Gedränge. Die Bedienungsroboter waren um ihren Job nicht zu beneiden. Mit traumwandlerischer Sicherheit balancierten sie die Tabletts mit den Sektgläsern zwischen den dicht gedrängten Menschentrauben hindurch.

Stimmengewirr und ausgelassene Gespräche erfüllten den Raum.

Vom optischen Bild her überwogen eindeutig die Uniform-Kombinationen der Raumgarde. Vom Rekruten bis zum Kommandeur fand sich hier alles. Das wissenschaftliche Personal der Garde-Universität war natürlich ebenfalls reich vertreten.

Kurt ließ suchend den Blick schweifen.

Er hoffte Chris Barrington irgendwo zu finden. Vielleicht ergab sich ja sogar eine Gelegenheit, ihn anzusprechen und noch etwas eingehender nach seinen Ansichten in Bezug auf die verpassten Chancen einer effektiven Nutzung des X-Space-Effekts zu befragen.

Ein dunkler Haarschopf tauchte im Gedränge plötzlich vor ihm auf. Etwas Sekt spritzte aus einem Glas.

Ein paar Tropfen davon spürte Kurt an der Wange.

Zwei dunkelbraune Augen sahen ihn an. Kurt musste unwillkürlich schlucken.

"Jetzt sagen Sie bloß, dass es Zufall ist, dass Sie mich angerempelt haben!", stieß die junge Frau in gespieltem Zorn hervor.

"Teresita", flüsterte Kurt. "Tut mir leid, ich wollte Sie nicht bekleckern!"

Die junge Frau seufzte hörbar.

"Sie sollten wirklich noch ein bisschen an Ihren Methoden feilen, Frauen anzusprechen."

"Ich übe ständig", erwiderte Kurt.

"Das glaube ich gerne!"

"Allerdings ist es wirklich Zufall, dass wir hier aufeinander treffen."

"Sicher!"

"Ehrlich!"

"Ach, Kurt..."

Kurt ließ erneut den Blick schweifen.

Teresita strich sich eine verirrte Haarsträhne von der Wange und trank ihr Glas aus. "Scheint fast so, als wäre es tatsächlich Zufall, dass wir uns hier getroffen haben. Sie scheinen jemand ganz anderen zu suchen..."

Kurt sah sie an. "Ja... ich meine natürlich nein!"

"Ich hoffe, Sie können sich da irgendwann mal entscheiden!"

"Ich suche Chris Barrington."

"An Ihrer Stelle hätte ich mir eine weniger peinliche Ausrede einfallen lassen, Kurt!"

"So war das nicht gemeint!"

"Ich wette, die Person namens Chris, die Sie suchen, heißt eigentlich Christine, ist bartlos und und bringt höchstens ein Drittel von Barringtons Gewicht auf die Waage!"

"Nein, das ist Unsinn!"

Sie hob die Augenbrauen. "Schade, ich dachte, wir hätten vielleicht Gelegenheit, uns ein bisschen zu unterhalten. Aber wenn Sie schon anderweitig engagiert sind..."

"Das ist nicht der Fall, Teresita!"

"Ich nehme an, wir sehen uns irgendwann mal wieder." In ihren Augen blitzte es angriffslustig. "Zufällig natürlich." Mit diesen Worten war sie auch schon zwischen den Gästen verschwunden.

"Teresita!", rief Kurt und wusste gleich, dass es vergeblich war. Einige Gardisten drehten sich nach ihm um. Die zierliche Dunkelhaarige wurde von den breitschultrigen Gardisten verdeckt. Für einen Moment sah er ihren Kopf zwischen zwei Gardisten-Schultern auftauchen, dann war sie gänzlich verschwunden.

"Na klasse!", knurrte Kurt.

Es gab Tage, an denen man besser nicht das Bett verließ, weil einfach alles schief lief. Und dieser Tag schien sich genau in diese Richtung zu entwickeln. Die erste Frau seit Laura, die mir wirklich gefällt und dann so eine Pleite!, ging es ihm ärgerlich durch den Kopf. Der Gedanke an Laura Domrath, die ihn verlassen hatte, als er in die Raumgarde eintrat, versetzte ihm einen kleinen Stich. Selbst jetzt noch. Er hatte sie wirklich geliebt. Kurt wischte die Erinnerung aus seinem Bewusstsein. Schade, dass es mit Teresita jetzt wahrscheinlich schon zu Ende ist, bevor es richtig beginnen konnte, dachte er.

Er drängte sich weiter durch die Gäste im Foyer, schnappte hier und da Gesprächsfetzen auf.

Die markante, unverwechselbare Stimme Chris Barringtons hörte er nicht aus dem Gewirr heraus.

Aber irgendwo musste er doch sein...

Schließlich erreiche Kurt das Buffet, nahm sich ein paar Häppchen. Synthetischer Kavier, hergestellt in den hydroponischen Anlagen auf Blue Star und garantiert quecksilberfrei -—im Gegensatz zu den Konkurrenzprodukten von der Erde.

Plötzlich blieb Kurt buchstäblich der Bissen im Halse stecken.

Da war er.

Chris Barrington—  nur wenige Schritte von ihm entfernt.

Der schwergewichtige Mann löste sich gerade aus einem illustren Gesprächskreis, zu dem unter anderem Generalmajor Angham und Master Sergeant Karalaitis zählten. Die Männer waren in ein angeregtes Gespräch vertieft, von dem Kurt nur Bruchstücke mitbekam, da in einer Gruppe von Gardisten plötzlich lautes Gelächter ausbrach.

"Sie entschuldigen mich, ich brauche jetzt etwas zwischen den Zähnen", sagte Barrington schließlich. Er klopfte sich mit der flachen Hand auf den recht voluminösen Bauch und grinste verschmitzt. "Ob Sie es glauben oder nicht, ich bin heute noch nicht einmal zum Frühstücken gekommen!"

Barrington wandte sich dem Buffet zu, nahm sich ein paar Häppchen und probierte mal hier und mal dort. Dabei näherte er sich Kurt Farmoon zusehends.

Als Barrington vor ihm stand, wagte Kurt es endlich, den Gastredner der Garde-Universität anzusprechen.

"Entschuldigen Sie", sagte er und brachte anschließend ein paar Sätze heraus, die kaum mehr als sprachliche Bruchstücke darstellten. Gestammel, aus dem beim besten Willen niemand schlau werden konnte. Selbst ein Genie wie Barrington nicht. Kurt verwünschte sich insgeheim für seine Nervosität.

Barrington kaute auf einem Stück Toast herum und musterte Kurt stirnrunzelnd.

Kurt schluckte.

"Das, was Sie vorhin über den "X-Space"-Effekt gesagt haben, hat mich sehr beschäftigt", erklärte Kurt schließlich.

Barrington war überrascht.

Er hob die Augenbrauen.

"Eigentlich sollte es nur eine kleine Randbemerkung sein", meinte er. "Das Thema meines Vortrags lautete ja nicht etwa 'Die verpassten Möglichkeiten des "X-Space"-Effekts'. Aber ich gebe zu, dass dieses Thema mich immer schon fasziniert hat!"

Kurt nickte.

"Kann ich gut verstehen", meinte er.

"So?"

"Naja -—Sie, als einer der Siedler, die mit der GALAXIS nach Epoh gelangten."

Barrington lächelte.

"Behandeln Sie mich besser nicht wie ein Denkmal, das kann ich nämlich nicht leiden. Aber ich verstehe, was Sie meinen", behauptete er, griff nach einem weiteren Toast mit synthetischem Blue Star-Kaviar und nahm einen großen Bissen davon. Das Buffet schien ihm zuzusagen.

"Ich bin der Überzeugung, dass man diesen Effekt weiter hätte erforschen sollen", sagte Kurt.

Barrington hob das Kinn. Er kaute etwas schneller und schluckte den Bissen hinunter. "Im Prinzip bin ich ganz Ihrer Meinung, Mister..."

"Farmoon. Kurt Farmoon, Schütze des 14. Zuges der Raumgarde."

Barrington kam nun in sein Element. Es schien ihm überhaupt nicht unangenehm zu sein, auf den "X-Space"-Effekt angesprochen zu werden. Ganz im Gegenteil. Chris Barrington freute sich offenbar darüber, dass jemand an seinen Ansichten zu dieser Sache interessiert war.

"Solange der "X-Space"-Effekt genutzt wurde, gab es Probleme damit", gestand er. "In so fern habe ich sogar Verständnis dafür, dass sich kein Mensch mehr damit befassen wollte, als es durch die Alienwandler-Technik endlich eine Alternative gab."

"Aber Sie meinen doch auch, dass es sich gelohnt hätte, diesem Phänomen etwas gründlicher auf die Spur zu kommen und vielleicht sogar Anwendungsmöglichkeiten zu entdecken, die uns bis heute verborgen geblieben sind."

In Barringtons Augen blitzte es.

"Gewiss!", bestätigte er. "Aber man müsste dabei natürlich die Schwierigkeiten realistisch im Auge behalten. Aus meiner Sicht war das Hauptproblem immer die mangelnde Reinheit des Nabal-Metalls, aus dem die Speichersilos für den X-Space-Schub bestanden. Dieser Reinheitsgrad konnte sehr unterschiedlich sein und dazu führen, dass die normale Sprungweite von 1,7 Lichtjahren erheblich überschritten wurde. Bis zu fünftausend Lichtjahre weit!"

"Und diese Wirkung lässt sich nicht kontrollieren?", fragte Kurt.

Barringtons Blick wurde nachdenklich.

Er schüttelte entschieden den Kopf.

"Nein", murmelte er. "Leider nicht. Glauben Sie mir, wir haben damals einiges angestellt, um das doch hinzubekommen. Aber es hat einfach nicht geklappt. Der Effekt ist scheinbar nicht gezielt beeinflussbar!"

"Und Sie sehen da überhaupt keine Möglichkeit? Was wäre gewesen, wenn man diesen Weg in der Triebwerkstechnik nicht so vorzeitig aufgegeben hätte..."

"Dass man den "X-Space"-Effekt nicht mehr erforscht hat, seit es Alternativen gab, halte ich in der Tat für einen Fehler", gab  Barrington unumwunden zu und schränkte dann ein: "Aber eher im Hinblick auf wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Was die Herstellung von effektiven—und vor allem ungefährlichen!—Überlichtriebwerken angeht, so war die Nutzung des X-Space- Effekts höchstwahrscheinlich eine Sackgasse."

"Schade..."

"Ja, das ist auch meine Meinung."

"Vorhin, während Ihres Vortrags, hatte ich den Eindruck, dass..."

Kurt sprach nicht weiter.

Chris Barrington lächelte.

"Es sind vor allem nostalgische Gründe, die mein Interesse am "X-Space"-Effekt wachhalten. Nicht die Hoffnung auf einen praktischen Nutzen."

"Ich verstehe."

Barrington trat etwas näher. Er sprach jetzt in gedämpftem Tonfall. "Ist es nicht so, dass für eine Offizierslaufbahn in der Raumgarde ein Doktortitel obligatorisch ist?"

Kurt Farmoon nickte. "Das trifft zu", bestätigte er etwas verwirrt, denn im Augenblick hatte er nicht die geringste Ahnung, worauf sein Gegenüber eigentlich hinauswollte. "Wie kommen Sie jetzt darauf?"

Barrington hob die Augenbrauen und kratzte sich am Kinn.

"Nun, falls Sie mit dem Gedanken spielen sollten, den "X-Space"-Effekt zum Thema einer Promotion zu machen, kann ich Ihnen nur dringend abraten."

"Wieso? Sie selbst sagten doch, dass dessen naturwissenschaftliche Grundlagen nie wirklich erforscht wurden."

"Mag sein. Aber wenn Sie sich auf dieses Gebiet begeben, werden Sie wahrscheinlich alt und grau, bevor Sie mit der Arbeit fertig werden." Barrington grinste. "Wahrscheinlich werden Sie sogar die Altersgrenze für Offiziersanwärter überschreiten. Ich rate Ihnen: Nehmen Sie etwas Handfesteres. Schließlich wollen Sie doch vorwärts kommen, oder?"

Kurt Farmoon zuckte die Achseln.

"Um ehrlich zu sein, an eine Promotion hatte ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht gedacht."

"Gott sei Dank, Sie sind ein vernünftiger Mann!", witzelte Barrington.

Ein haariges Bündel drängelte sich durch den Wald aus Beinen, den dieser Empfang aus der Sicht eines Hundes darstellte. Zumindest was diese Perspektive anging, unterschied sich Jimmy nicht von ganz gewöhnlichen Scotch Terriern, deren Innenleben nicht aus Schaltkreisen und einem Kristallsensor bestand.

"Na, da bist du ja, Jimmy!", sagte Barrington.

"Hier kann man sich ja ganz schön verlaufen", meinte der Robothund. "Ein gut ausgebildeter Hunde-Geruchssinn würde mir jetzt wohl mehr nützen als ein Energiestrahler in der Zunge!"

Barrington lachte schallend.

Er wandte sich an Kurt Farmoon.

"Die Kritik der Kreatur am Schöpfer!", meinte er. "Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Konstruieren Sie niemals einen Roboter, der in der Lage ist, künstliche Intelligenz zu entwickeln! Sie haben nur Ärger!"

*

Abends, nach Dienstschluss kehrte Kurt Farmoon in sein Haus in Star City zurück. Den ganzen Tag über hatte ihn der Gedanke an den "X-Space"-Effekt nicht losgelassen. Dieses Thema hatte Kurt regelrecht elektrisiert.

Auch wenn Chris Barrington es mehr oder minder als gepflegtes Hobby ansah, sich mit den Grundlagen dieses Effekts zu befassen und inzwischen selbst nicht mehr an eine technische Verwertbarkeit im großen Stil glaubte, so schmälerte dies Kurts Enthusiasmus kaum.

Als Thema für eine Doktorarbeit hatte Kurt dieses Gebiet ohnehin nicht in Betracht gezogen. Er hatte zwar durchaus die Absicht, irgendwann zu promovieren und die Offizierslaufbahn in der Garde einzuschlagen. Aber er hatte keine Eile damit. Und sein Interesse am "X-Space"-Effekt war vollkommen frei von derartigen Ambitionen. Es entsprang einfach der Faszination am Forschungsgegenstand. Eine Faszination, die sicher auch damit zu tun hatte, dass die ersten Menschen, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts in die Weiten der Galaxis vorgestoßen waren, dies mit Schiffen unternommen hatten, die mit auf dem "X-Space"-Effekt basierenden Antriebssystemen ausgestattet gewesen waren. 

An diesem Abend nahm sich Kurt Farmoon noch nicht einmal Zeit für eine Dusche.

Er ging gleich in den Keller, wo sich Labor und ein leistungsstarker Kristallsensor befanden. Hier hatte er Ruhe. Ruhe genug, um sich in die schwierige Materie einzuarbeiten.

Kurt war wie besessen davon.

Seine Finger glitten über das Terminal.

Er aktivierte Drei-D-Projektionen, die komplexe mathematische Probleme veranschaulichten.

Es ist gar nicht in erster Linie die Technik der Alienwandler gewesen, die den nachhaltigsten Einfluss auf das menschliche Verständnis des Universums hatte, ging es Kurt durch den Kopf. Nein, es war die Mathematik dieser genialen Raumfahrer...

*

Bis zum frühen Morgen saß Kurt Farmoon beinahe ununterbrochen am Terminal des Kristallsensors und versuchte, Alienwandler-Mathematik auf das Phänomen des "X-Space"-Effekts anzuwenden.

Die einzigen Pausen, die Kurt machte, benutzte er dazu, sich einen starken Kaffee aufzubrühen, um nicht einzuschlafen. Als Soldat der Raumgarde war er es durchaus gewohnt, über längere Zeit hinweg mit sehr wenig oder gänzlich ohne Schlaf auszukommen. Bei manchen Einsätzen war das einfach unerlässlich.

Schließlich nickte er in seinem Schalensessel aber doch für eine halbe Stunde ein. Konzentriertes Nachdenken über komplizierteste mathematische Probleme war eben auf die Dauer noch weit aus anstrengender als stundenlanges Warten auf einen Gegner.

Eine automatische Weckfunktion des Kristallsensors sorgte schließlich dafür, dass Kurt Farmoon nicht in die Tiefschlafphase gelangte.

"Kurt Farmoon, Sie haben seit geraumer Zeit keine Eingabe gemacht", meldete sich eine wohlmodulierte, aber mahnende Kunststimme. "Der von Ihnen durchgeführten Programmkonfiguration nach soll ich Sie in diesem Fall durch schrille Geräusche daran hindern zu schlafen. Sollten Sie nicht eingeschlafen sein, so tun Sie dies bitte innerhalb von drei Sekunden durch eine stimmliche Äußerung kund."

Drei Sekunden verstrichen.

Kurt erwachte nicht schnell genug, um den schrillen, dissonanten Ton zu verhindern.

Er verzog gequält das Gesicht.

"Ist ja schon gut!", rief er genervt.

Der Weckton verstummte, nachdem der Kristallsensor Kurts Stimmmuster identifiziert hatte.

"Wollen Sie mit der Arbeit fortfahren?", fragte die Kunststimme.

"Ja, gleich."

Kurt blickte auf sein Chronometer.

Eigentlich musste Master Sergeant Jannis Karalaitis jetzt bereits seinen Dienst angetreten haben. Kurt stellte eine Communicator Phone-Verbindung her.

"Hier Schütze Kurt Farmoon. Ich möchte einen Tag Urlaub nehmen, Sir."

Karalaitis schien überrascht zu sein.

"Urlaub? Was ist los, Farmoon?"

"Eine dringende persönliche Angelegenheit."

"Dienstliche Gründe stehen dem nicht entgegen und Sie haben noch Urlaub aus dem letzten Jahr übrig." Karalaitis atmete tief durch. "Also nehmen Sie sich den Tag, wenn Sie ihn so dringend brauchen, Farmoon!"

"Danke, Sir."

Kurt fiel ein Stein vom Herzen, dass sein Master Sergeant die Lüge von der persönlichen Angelegenheit einfach so schluckte.

Mit der Wahrheit hätte er Karalaitis wohl auch schlecht kommen können.

Ein einfacher Gardist, bislang noch ohne akademischen Grad, machte eine bahnbrechende Entdeckung und wollte sie mit der Kapazität auf dem Gebiet der Hochenergietechnik schlechthin besprechen.

Nur nicht abheben!, dachte Kurt. Bislang bist du der Einzige, der von der Bedeutung deiner Entdeckung überzeugt ist, die sich bei näherem Hinsehen vielleicht nur als simpler Rechenfehler herausstellt...

*

Kurt speicherte seine Arbeitsergebnisse der letzten Nacht auf einem Datenträger, holte die Dusche nach und begab sich danach so schnell wie möglich zur Garde-Universität, um Professor Dr. Dr. George Ravanelli aufzusuchen.

Im Vorlesungsverzeichnis hatte Kurt gelesen, dass der Professor am Vormittag ein Doktoranden-Kolloquium leitete.

Vorher fand seine reguläre Sprechstunde statt.

Das war die Gelegenheit!

Kurt hoffte, dass es ihm irgendwie gelang, dem Professor seine Ergebnisse vorzuführen. Er musste einfach Ravanellis Meinung zu der Entdeckung erfahren, die er in der letzten Nacht gemacht hatte.

Kurt erreichte das Büro des Professors eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn der Sprechstunde.

Er hoffte, den Hochenergietechnik-Experten vor Beginn der Sprechstunde dazu bringen zu können, ihm zuzuhören.

Kurt betätigte das Communicator Phone an der Bürotür.

Das Gesicht Teresitas erschien auf dem kleinen Bildschirm. Die Assistentin des Professors sah Kurt überrascht an.

"Sie, Kurt?"

"Ja."

"Tut mir leid, aber ich fürchte, ich habe im Augenblick gar keine Zeit für Sie."

"Um ehrlich zu sein, möchte ich zu Professor Ravanelli."

"Haben Sie denn einen Termin, Kurt?"

Kurt schüttelte den Kopf. "Nein."

"Dann wird daraus wohl nichts. Die Sprechstundentermine sind immer sehr eng gelegt. Da gibt es kaum einen zeitlichen Spielraum."

"Wie wär's, wenn Sie mich erst einmal hereinlassen. Auf dem Communicator Phone-Bildschirm sind Sie nur halb so schön wie in Natura."

Teresita errötete leicht. Aber sie hatte diesen Anflug von Verlegenheit schnell wieder im Griff. "Der Professor schmeißt mich raus, wenn ich kostbare Arbeitszeit damit vertrödelt habe, mich mit Ihnen zu unterhalten, anstatt den Kristallsensor-Fehler in der Drei-D-Projektion zu finden, die bei der heutigen Vorlesung zur Veranschaulichung der Brownstein'schen Kontinuumsformel verwendet werden soll."

Kurt grinste.

"Ein Fehler im Kristallsensor-System? Lassen Sie mal sehen, ob ich Ihnen nicht helfen kann, Teresita."

"Verstehen Sie denn etwas davon?"

"Warten Sie's doch ab..."

Die Tür öffnete sich.

Kurt trat ein.

Das Büro des Professors verfügte über die modernste Kristallsensor-Ausstattung, die sich denken ließ. Schließlich gehörten hochkomplexe Rechnersimulationen gerade auf Ravanellis Spezialgebiet zu einer unverzichtbaren Forschungsmethode.

Eine Drei-D-Projektion schwebte im Raum. Es sollte sich den Anzeigen nach um die schematische, vereinfachte Darstellung eines energetischen Effekts handeln. Allerdings war die Projektion ganz offensichtlich teilweise chaotisch. Hier und da fehlten ganze Elemente. Außerdem kam es zu sinnlosen Überblendungen mit Bildelementen, die offenbar aus anderen Datensätzen stammten.

"Ich nehme an, Sie sehen das Problem auf den ersten Blick!", sagte Teresita mit leicht spöttischem Unterton. "Ich habe gehört, bei der Garde lernen Sie, so etwas mit einem Stück Draht und einem Gummiband zu beheben!"

Kurt erwiderte ihr herausforderndes Lächeln.

"Zu dumm, dass mir das Gummiband fehlt", gab er zurück.

Teresita deutete auf das Terminal.

"Wenn Sie wollen, dann versuchen Sie doch einfach Ihr Glück. Ich bin mit meinem Latein jedenfalls ziemlich am Ende."

"Nichts leichter als das!"

"Angeben dürfen Sie, wenn Sie das Problem gelöst haben!"

"Seien Sie vorsichtig, Teresita! Ich komme auf dieses Angebot vielleicht zurück!"

Kurt deaktivierte als erstes die offenbar fehlerhafte Projektion und begann das Kristallsensor-System, neu zu konfigurieren. Teresita sah ihm aufmerksam zu.

Er versuchte die Projektion erneut zu aktivieren, aber es zeigte sich derselbe Fehler.

"Schade", sagte sie. "Ich dachte schon, ich hätte es hier mit einem Kristallsensor-Fachmann der Sonderklasse zu tun..."

"Haben Sie..."

"Na, bis jetzt haben Sie Ihr Können aber erfolgreich vor mir verborgen."

"Ich habe nie behauptet, ein Genie zu sein!"

"Eigentlich schade -—ich mag selbstbewusste Männer."

"Gerade war ich Ihnen noch zu angeberisch!"

"Müssen Sie eigentlich immer das letzte Wort haben?"

"Bei Ihnen nicht unbedingt, Teresita." Kurt deutete auf das Terminal. "Ich werde es mal mit einer anderen Projektion versuchen. Dann hat man einen Vergleich."

Kurt nahm den Datenträger mit seinen Arbeitsergebnissen der letzten Nacht hervor. Ein paar Augenblicke später entstand eine der Drei-D-Projektionen, die seine Anwendung von Alienwandler-Mathematik auf den "X-Space"-Effekt veranschaulichten.

"Wie Sie sehen, ist die Darstellung fehlerfrei", stellte Kurt fest.

Teresita verschränkte die Arme vor der Brust. "Das heißt, es ist kein Kristallsensor-Fehler, sondern ein Fehler im Datensatz!"

"Ja."

"So ein Mist!"

"Tut mir leid."

Sie blickte auf die Projektion, die Kurt aktiviert hatte und verengte etwas die Augen. "Und was ist das da?", erkundigte sie sich.

Genau in diesem Augenblick hatte sich die Schiebetür des Büros geöffnet.

Professor Ravanelli stand mit überraschtem Gesicht da und legte die Stirn in Falten. Er hatte die letzte Frage seiner Assistentin offenbar noch verstanden.

"Mich würde ebenfalls interessieren, was das da ist", erklärte Ravanelli. Er wandte sich an Teresita. "Hat dieser junge Mann bei mir einen Termin? Ich kann  mich gar nicht an ihn erinnern und eigentlich leide ich noch keineswegs unter altersbedingtem Gedächtnisschwund."

"Nein, hat er nicht."

"Was macht er dann hier?"

"Er ist hier einfach aufgetaucht und wollte Sie unbedingt sprechen, Professor."

"Und da haben Sie ihn in Ihrer Gutmütigkeit gleich hereingelassen und ihm angeboten, dass er in meinem Büro warten kann", versetzte Ravanelli ärgerlich.

Teresita war sichtlich verlegen.

"Er bot mir an, mir bei den Schwierigkeiten zu helfen, die es mit Ihrer Projektion für die Vorlesung gibt..."

Ravanelli betrachtete Kurts Projektion. Er hob die Augenbrauen. "Die Darstellung ist einwandfrei."

"Leider nur bei meinem eigenen Datensatz. In Ihrem ist offenbar ein Fehler", erklärte Kurt.

"Ich will hoffen, dass Sie sich irren. Ansonsten kann ich meine Projektion für die Vorlesung wohl abschreiben..." Der Professor brach plötzlich ab. Irgendetwas an dem, was er sah, schien ihn geistig gefangen zu nehmen.

Kurt Farmoon stellte sich inzwischen vor.

Der Professor unterbrach ihn abrupt.

"Sagen Sie, beschäftigen Sie sich mit Alienwandler-Mathematik?"

"Ja, ich habe sie auf den "X-Space"-Effekt anzuwenden versucht und bin zu überraschenden Ergebnissen gekommen!"

"Das sehe ich", murmelte Ravanelli. "Zeigen Sie mir mehr davon!"

Bingo!, dachte Kurt. Genau das hatte er erreichen wollen.

"Nichts leichter als das!", verkündete er.

Teresita schaltete sich jetzt in das Gespräch ein. "Professor, Sie haben gleich Ihre Sprechstunde!", erinnerte sie ihn. "Und in Ihrer Vorlesung werden Sie wahrscheinlich ohne Projektion dastehen..."

Der Professor schwieg.

Er sah sich Kurts Arbeitsergebnisse an, murmelte dabei leise vor sich hin.

Zwischendurch verlangte er von dem jungen Gardisten, weitere Daten zu sehen.

Teresita hielt es zunächst für das beste, gar nichts zu sagen. Schließlich wandte sich Ravanelli ihr zu. "Sagen Sie alle Termine für die Sprechstunde und meine heutige Vorlesung ab!", verlangte er.

Teresita stand konsterniert da.

"Wie bitte?"

"Haben Sie mich nicht verstanden? Machen Sie schon! Außerdem brauche ich jetzt eine Communicator Phone-Verbindung zu Generalmajor Angham..."

*

Generalmajor Angham, seines Zeichens Kommandant der Raumgarde, war über Communicator Phone nicht erreichbar. Laut Auskunft seines Adjutanten Jeffrey Kantos befand sich Angham in einer wichtigen Besprechung, bei der er unmöglich gestört werden konnte.

Ravanelli war außer sich.

"Alles nur Vorwände!", schimpfte der gegenwärtige Dekan der Garde-Universität. "Davon sollten wir uns nicht abwimmeln lassen!"

"Was schlagen Sie vor, Professor?", fragte Kurt.

"Wir gehen zu Ihrem obersten Kommandeur und stellen ihn einfach zur Rede. Ganz gleich, über welche taktischen Feinheiten er jetzt gerade auch in irgendeinem erlesenen Zirkel herumschwadronieren mag -—Sie haben letzte Nacht eine Entdeckung gemacht, die es wert ist, dass er Ihnen wenigstens fünf Minuten Gehör schenkt!"

Dieser Satz ging Kurt natürlich wie Öl herunter. Schließlich kam er nicht von irgendwem, sondern von der Autorität auf dem Gebiet der Hochenergietechnik schlechthin.

"Danke!"

"Nichts zu danken. Ich verteile keine Komplimente, sondern drücke nur meine Anerkennung für Ihre Leistung aus!" Ravanelli schüttelte den Kopf. Er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf und meinte anschließend: "Irgendwoher kenne ich Sie doch, Farmoon. Habe ich Sie vielleicht schon einmal in einem Doktoranden-Kollegium gesehen? Ich kann mir Gesichter so schlecht merken..."

"Nein."

"Hätte ja sein können..."

"Aber ich habe schon Vorlesungen von Ihnen besucht", sagte Kurt, wobei er Teresita einen kurzen Blick zuwarf.

Sie errötete leicht und wich seinem Blick aus.

"Ich werde Sie zu Generalmajor Angham begleiten, Farmoon."

"Danke, Professor!"

"Er muss Ihnen einfach zuhören..."

Bevor der Professor und Kurt das Büro verließen, wandte sich Teresita noch einmal an den Gardisten.

"Scheint so, als wären Sie doch ein Genie", sagte sie anerkennend und zwinkerte ihm zu.

*

Etwa eine Viertelstunde später trafen Kurt Farmoon und Professor Ravanelli beim Kommandanten ein.

Ravanelli wollte geradewegs in dessen Büro marschieren, aber Anghams Adjutant trat ihm gerade noch rechtzeitig in den Weg.

"Einen Moment, Sie können da jetzt nicht herein."

"Wir können sehr wohl", sagte Ravanelli.

"Ich habe Ihnen bereits bei unserem Communicator Phone-Gespräch gesagt, dass Generalmajor Angham im Moment nicht zu sprechen ist. Er nimmt an einer wichtigen Sitzung teil und darf nicht gestört werden. Was immer Sie ihm auch unterbreiten möchten, ich bin überzeugt davon, dass es warten kann."

Ravanelli deutete auf Kurt. "Dieser junge Mann hat vielleicht eine Entdeckung gemacht, die auch für die Raumgarde ganz neue Möglichkeiten im operativen Vorgehen ermöglichen könnte! Und Sie wollen ihn seine Ideen nicht einmal vortragen lassen?"

"Tut mir leid!"

"Das darf doch nicht wahr sein!"

"Ich habe meine Anweisungen, Professor!"

"So viel Ignoranz in einer Amtsstube habe ich lange nicht gesehen!", ereiferte sich der Professor.

"Fünf Minuten!", verlangte Kurt, bevor der Adjutant etwas erwidern und sich die Lage noch weiter zuspitzen konnte. "Fünf Minuten und keine Sekunde länger! Mehr will ich gar nicht!"

"Nicht heute. Lassen Sie sich einen Termin geben. Im übrigen..." Der Adjutant blickte auf die Garde-Uniform, die Kurt trug. "Müssten Sie nicht im Dienst sein?"

"Ich habe Urlaub genommen, Sir", erklärte Kurt.

Jeffrey Kantos atmete tief durch. "Ich bin gerne bereit, Ihr Anliegen entgegen zu nehmen. Ich werde Sie dann zu gegebener Zeit an Generalmajor Angham weiterleiten."

Weder Kurt noch der Professor waren allerdings bereit sich auf dieses durchsichtige Manöver einzulassen.

"Ich bin eher dafür, dass wir hier warten, bis der Kommandant aus seiner Sitzung zurückkehrt", sagte Kurt.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür von Anghams Büro.

Der Kommandant der Raumgarde blickte angestrengt auf sein Chronometer und trat hinaus.

Kurt Farmoon grüßte militärisch.

Der Kommandant blieb abrupt stehen, warf seinem Adjutanten einen fragenden Blick zu.

"Tut mir leid, Sir, aber ich habe nicht verhindern können, dass diese beiden Männer..."

"Schon gut, Kantos", unterbrach ihn Farnhahm. Er wandte sich an Ravanelli. "Was immer Sie auch mit mir besprechen wollen, Sie kommen in einem äußerst ungünstigen Augenblick. Ich müsste eigentlich schon im Schweber sitzen..."

"Fünf Minuten, Sir!", forderte Kurt Farmoon abermals, ehe Ravanelli etwas sagen konnte. "Ich habe eine Entdeckung gemacht, deren militärische Bedeutung noch gar nicht abzuschätzen ist..."

"Schütze Farmoon, ich weiß Ihr Engagement zu schätzen. Ich weiß, dass Sie in einigen Einsätzen in der jüngsten Vergangenheit hervorragendes geleistet haben, aber das gibt Ihnen nicht das Recht, hier einfach aufzukreuzen und..."

"Sir, es geht um einen Überlichtantrieb, der Raumsprünge ohne Transitionsschock ermöglicht! Das bedeutet, dass man ein Raumschiff mit einem derartigen Antrieb nicht anmessen könnte, wenn es ins Normalkontinuum zurückkehrt!"

Angham stutzte.

Er öffnete halb den Mund, wollte zunächst etwas erwidern, schwieg dann aber. Ein erneuter Blick auf das Chronometer folgte.

"Fünf Minuten?"

Kurt nickte. "Fünf Minuten."

Eine Sekunde noch rang Angham mit sich selbst, dann gab er sich einen Ruck.

"Okay", stimmte er zu.

"Danke, Sir."

"Gehen wir in mein Büro." Angham wandte sich an Jeffrey Kantos. "Sagen Sie Bescheid, dass ich etwas später zur Kommandeurstagung in Terra Town kommen werde."

*

"Ihre Zeit läuft, Farmoon!", stellte Angham klar.

Kurt nickte. "Ich habe mir die letzte Nacht um die Ohren geschlagen, um die Alienwandler-Mathematik auf den "X-Space"-Effekt anzuwenden. Eine Bemerkung aus Chris Barringtons Vortrag hat mich dazu angeregt..."

"Und das hat Sie zu Ihrer angeblichen Entdeckung geführt?", fragte Angham sichtlich ungeduldig.

"Heute morgen habe ich meine Arbeitsergebnisse mit Professor Ravanelli besprochen, der sich dafür dankenswerter Weise ein paar Stunden Zeit genommen hat..."

"Die Ergebnisse, die dieser junge Mann herausgefunden hat, sind absolut korrekt", warf Ravanelli ein.

Kurt fuhr fort: "Es ist tatsächlich möglich, einen zuverlässig funktionierenden Antrieb zu konstruieren, der auf dem "X-Space"-Effekt basiert..."

"Farmoon! Das ist etwas für Nostalgiker!", warf Angham dabei mit Blick auf Ravanelli ein.

Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

Aber Kurt ließ sich nicht beirren. Er fuhr einfach fort. Fünf Minuten hatte Farnhajm ihm zugestanden. Und diese Zeit wollte Kurt nutzen. "Die Distanz, die auf diese Weise risikolos überwunden werden kann, beträgt 1,7 Lichtjahre. Nicht besonders viel, aber dafür ist keinerlei Transitionsschock messbar. Eine perfekte Tarnung, wenn Sie mich fragen."

Zum ersten Mal, seit Kurt mit seinen Ausführungen begonnen hatte, sah Angham den jungen Mann an.

"Reden Sie weiter!", forderte er zu Kurts Erstaunen.

Kurt spürte, dass er sein Gegenüber jetzt an der Angel hatte. Das Thema hatte auch Angham gepackt. Die damit verbundenen Implikationen waren einfach zu verlockend. Ein nicht anmessbarer Überlichtantrieb... Davon träumte die Terranische Flotte ebenso wie die Raumgarde oder die Regierung auf Kelradania, dem Zentrum des Kelradan-Imperiums. Scheint so, als hätte ich das Eis ein Stück weit aufbrechen können, durchzuckte es Kurt. "Durch eine gezielte Verunreinigung des verwendeten Nabal-Metalls könnte man die Reichweite erhöhen. Aber die Verlustrate läge bei über 20%. Zu hoch, um es auch nur in Erwägung zu ziehen."

"Leider wahr", stellte Generalmajor Angham fest. In der Mitte seiner Stirn bildete sich eine deutlich sichtbare Falte. Er wirkte jetzt etwas gereizt. "Ich hoffe, Sie haben etwas mehr vorzuweisen, als diese Uralt-Erkenntnis!"

"Natürlich, Sir. Der Punkt ist folgender: Die hohe Versagerquote bei den seinerzeit mit "X-Space"-Effekt betriebenen Schiffen lag nicht nur daran, dass man damals noch nicht in der Lage war, Nabal-Metall mit ausreichendem Reinheitsgrad herzustellen."

"Sondern?"

"Nach meinen Berechnungen lag es auch an der Größe der Schiffe. Professor Ravanelli hat meine Berechnungen überprüft. Das Ergebnis ist eindeutig: Je größer die Masse eines mit "X-Space"-Effekt bewegten Objekts, desto höher die Versagerquote. Für große Kolonisten-Raumer wie damals die GALAXIS ist dieser Antrieb ungeeignet. Aber mit den verhältnismäßig kleinen Absetzern der Raumgarde verhält es sich anders."

Angham wollte etwas erwidern. Aber noch bevor er auch nur ein Wort herausbringen konnte, griff Professor Ravanelli ein.

"Kurt Farmoon und ich haben alles noch einmal genau durchgerechnet. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass ein modifizierter "X-Space"-Effekt-Antrieb für die Absetzer ideal wäre. Die Absetzer verfügen ohnehin schon über die modernste Stealth-Tarntechnik und sind außer über optische Systeme kam zu orten. Wenn jetzt ein Antrieb auf Basis des "X-Space"-Effekts konstruiert werden könnte, würde es auch keinen anmessbaren Transitionsschock mehr geben."

"Das heißt, die Absetzer wären fast gar nicht mehr aufzuspüren."

Die Falte auf Anghams Stirn verschwand. Er verschränkte die Arme, lehnte sich dabei gegen die Kante seines Schreibtischs. "Klingt interessant", murmelte er. "Vorausgesetzt, das Versager-Risiko ließe sich wirklich minimieren!"

"Das steht meiner Ansicht nach fest!", warf Ravanelli ein.

Angham nickte Kurt zu.

"Fahren Sie fort, Farmoon!

"Ich habe das Datenmaterial mitgebracht und könnte es Ihnen vorführen, wenn Sie mich an Ihren Kristallsensor lassen."

"Nicht ganz so schnell", wehrte Angham ab. "Vorher hätte gerne noch ein paar Dinge genauer gewusst. Beispielsweise ist es doch so, dass der "X-Space"-Effekt nicht im Einflussbereich solarer Magnetfelder ausgelöst werden darf. Führt das Ihre Idee nicht ad absurdum?"

Ravanelli antwortete, bevor Kurt etwas sagen konnte. "Keineswegs!", widersprach der Professor. "Unseren Berechnungen nach gibt es mit Magnetfeldern nur bei sehr hoher Felddichte Probleme. Schließlich ist ja das gesamte Universum mehr oder weniger stark von Magnetfeldern erfüllt. Ich bin mir sicher, dass Felder von geringer Feldstärke nicht zu Schwierigkeiten führen. Probleme dürfte es nur im unmittelbaren Nahbereich einer Sonne geben, aber unsere Gardisten sollen ja dort in der Regel auch nicht abgesetzt werden."

Angham quittierte Ravanellis witzig gemeinte Bemerkung nicht einmal mit einem Zucken der Mundwinkel.

Entweder teilte er Ravanellis Sinn für Humor einfach nicht oder er war zu sehr auf das konzentriert, was Kurt und der Professor ihm vorgetragen hatten.

Möglichkeiten, die fast schon zu verlockend erschienen, um wahr zu sein.

Irgendwo musste doch ein Haken zu finden sein. Oder war es wirklich möglich, dass man die in der Nutzung des "X-Space"-Effekts liegenden Möglichkeiten bisher deshalb nicht sehen konnte, weil die Forschung schlicht und ergreifend in eine andere Richtung geblickt hatte?

So etwas nannte man einen Paradigmenwechsel. Den Blick der Forschung in eine andere, bis dahin ungewohnte Richtung lenken. Einem verdienten Wissenschaftler wie George Ravanelli war so etwas zweifellos zuzutrauen—aber einem kaum zwanzigjährigen Gardisten wie Kurt Farmoon?

Die Zweifel standen Angham geradezu ins Gesicht geschrieben.

Aber er spürte auch, dass die Überlegungen seines Gegenübers weitaus ernsthafter waren, als es auf den ersten Anschein gewirkt hatte.

Schließlich war nicht davon auszugehen, dass jemand mit dem Renommee eines George Ravanelli leichtfertig einer Idee seinen guten Namen und seinen Einfluss lieh.

Ravanelli fuhr fort: "Magnetfeldern kann man außerdem bis zu einem gewissen Grad mit Abschirmungen begegnen. Auf diesem Gebiet gibt es Neuentwicklungen, die man beim Bau eines "X-Space"-Effekt-angetriebenen Absetzers vielleicht berücksichtigen müsste."

"So weit sind Sie in Ihren Gedanken also schon", sagte Angham. Ein verhaltenes Lächeln bildete sich um seine dünnen Lippen. "Wissen Sie auch, was das kosten würde?"

"Nicht so viel, wie Sie vielleicht glauben, schließlich..."

Angham hob die Hand und unterbrach den Professor. "Moment!", sagte er. "Bevor wir uns über die Kostenfrage auch nur einen einzigen Gedanken gestatten, möchte ich erstmal wissen, wie Sie beide es sich denn gedacht haben, an einen Planeten heranzukommen, wenn Sie nicht in den Nahbereich einer Sonne springen können. Immerhin sind solare Magnetfelder zumeist bis weit über die Lebenszone eines Systems hinaus von einer Feldstärke, die trotz aller Abschirmungstechnik relevant sein dürfte."

"Auch dafür haben wir eine Lösung", verkündete der Professor. Er nickte Kurt aufmunternd zu.

"Man könnte die aus Nabal-Metall bestehenden Silos des Antriebs so miteinander verschalten, dass sie mit dem Magnetfeld der Sonne interagieren. Auf diese Weise hätten wir einen Magnetantrieb..."

"...der ebenfalls nicht anmessbar wäre!", warf der Professor ein.

"...und recht hohe Geschwindigkeiten erlaubt", vollendete Kurt seinen Satz.

"Wie hohe Geschwindigkeiten?", hakte Angham nach.

"Natürlich differieren die Werte je nach Ausdehnung und Feldstärke des jeweiligen Magnetfeldes. Aber beim Eindringen eines Absetzers ins Sol-System könnte er unseren Berechnungen nach die Strecke Pluto - Sonne in zwölf Stunden schaffen."

Angham hob die Augenbrauen. "Das wäre in der Tat praktikabel!"

"Angesichts der Tatsache, dass der Absetzer dann wirklich nicht von der Ortungstechnik erfasst werden kann, lässt sich eine solche Zeitverzögerung vertreten, finde ich."

Angham nickte.

Verstohlen blickte Kurt auf die Uhr an der Wand.

Die vom Kommandanten der Raumgarde zugesagten "fünf Minuten" waren längst und lange vorüber. Kurt hielt das für ein gutes Zeichen. Auch wenn Angham noch den einen oder anderen Einwand vorbrachte, so war sein Interesse offensichtlich geweckt.

"Angenommen, ich würde mir Ihre Arbeitsergebnisse noch einmal genau ansehen und käme nach eingehender Prüfung zu dem Ergebnis, dass wir Ihre Idee unbedingt in die Tat umsetzen sollten, Farmoon -—warum sollte man Ihrer Meinung nach an einem bewährten System etwas ändern? Wie ich meine Vorgesetzten kenne, wäre das die erste Frage, die ich gestellt bekäme. Und wenn ich darauf keine überzeugende Antwort parat habe, brauche ich gar nicht erst anzutreten." Angham umrundete den Schreibtisch, blieb schließlich stehen und tickte nervös mit den Fingerkuppen auf der Tischplatte herum. "Die bisher benutzten Einweg-Gleiter funktionieren perfekt."

"Aber es sind eben Einweg-Absetzer, die nach der Landung nicht mehr benutzt werden können. Die Absetzer, die mir vorschweben, sind zwar teurer in der Anschaffung, man braucht aber eine wesentlich geringere Anzahl und kann sie immer wieder verwenden, wenn sie nicht im Kampfgeschehen beschädigt werden. Außerdem entfällt eine ebenfalls aufwendige und kostspielige Rückholung der Soldaten durch Raumtransporter. Abgesehen davon könnten die Absetzer der neuen Generationen den Einsatzort nicht nur völlig unbemerkt erreichen, sondern ihn auf dieselbe Weise auch wieder verlassen. Das erhöht die operative Beweglichkeit unserer Einheit um ein Vielfaches. Bisher blieben von jedem unserer Kommandoeinsätze zwangsläufig Spuren zurück, die auf unsere Anwesenheit schließen ließen. Das Absetzer-Wrack zum Beispiel. Aber man braucht nicht viel Phantasie, um sich Situationen auszumalen, in denen unter keinen Umständen bekannt werden darf, dass ein Einsatz überhaupt stattgefunden hat, weil es sonst zu diplomatischen Verwicklungen führen könnte."

Angham presste die Lippen aufeinander. Er nickte. Einen Augenblick stand er nachdenklich da, dann aktivierte er ein Sprechgerät und stellte eine Verbindung zu seinem Adjutanten her.

"Sagen Sie meine Teilnahme an der Kommandeurstagung ab..."

"Aber, Sir!"

"Lassen Sie sich irgendeinen Vorwand einfallen. Ich bin hier jedenfalls noch voraussichtlich ein paar Stunden beschäftigt."

"Jawohl, Sir."

"Und sorgen Sie dafür, dass wir hier ausreichend mit Kaffee versorgt werden."

Angham unterbrach die Verbindung. Er wartete die Bestätigung seines Adjutanten gar nicht erst ab. Kurt vermutete, dass der Kommandant der Raumgarde einfach keine Lust hatte, sich weitere Einwände anhören zu müssen.

Angham wandte sich direkt an Kurt. "Sie sind schon sehr weit für Ihr Alter, Schütze Farmoon", stellte der Kommandant fest.

"Danke, Sir."

"Ich möchte mir Ihre Arbeitsergebnisse jetzt gerne genauer ansehen."

"Kein Problem, Sir, ich habe alles dabei!"

"Da Professor Ravanelli Sie so vehement unterstützt, gehe ich davon aus, dass Ihre Arbeit Hand und Fuß hat. Wie Sie wissen, ist eine Promotion Voraussetzung für eine Offizierslaufbahn bei der Garde."

"Ja", nickte Kurt.

"Wenn es Ihnen tatsächlich gelingt, ein Raumfahrzeug für verdeckte Operationen zu entwickeln, könnten Sie die Konstruktion als Doktorarbeit vorlegen. Jemand mit Ihren Fähigkeiten sollte nicht zu lange als einfacher Schütze dienen, Farmoon!"

Details

Seiten
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783738910209
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Januar)
Schlagworte
raumgarde

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Die Raumgarde