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Zwerge und Orks: Zwei Fantasy Abenteuer - Sonder-Edition

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2017 360 Seiten

Zusammenfassung

Zwerge und Orks: Zwei Fantasy Abenteuer Sonder-Edition

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 325 Taschenbuchseiten.

Zwei Abenteuer aus Athranor, der alten Heimat der Elben, bevor sie das Zwischenland erreichten. Lirandil, der Fährtensucher der Elben steht im Mittelpunkt dieser Abenteuer, um Elben, Orks, Zwerge und andere Fantasy-Wesen.

Dieses Buch enthält folgende zwei Romane:

Angriff der Orks

Die Magie der Zwerge

Cover: Michael Sagenhorn

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Zwerge und Orks: Zwei Fantasy Abenteuer Sonder-Edition

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 325 Taschenbuchseiten.

Zwei Abenteuer aus Athranor, der alten Heimat der Elben, bevor sie das Zwischenland erreichten. Lirandil, der Fährtensucher der Elben steht im Mittelpunkt dieser Abenteuer, um Elben, Orks, Zwerge und andere Fantasy-Wesen.

Dieses Buch enthält folgende zwei Romane:

Angriff der Orks

Die Magie der Zwerge

Cover: Michael Sagenhorn

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Angriff der Orks

von Alfred Bekker

Eine große Aufgabe steht vor Lirandil, dem Elbenwanderer. In Athranor, der alten Heimat der Elben, leben Orks und Menschen in ständigem Krieg. Auf dem Prinzen Candric ruhen die größten Hoffnungen, auch wenn er erst zehn Jahre alt ist. Doch der Herr der Orklande kann mithilfe eines mächtigen Zaubers Candrics Körper gegen den eines jungen Orks tauschen. Candric muss sich jetzt unter prügelnden Orks behaupten, während gleichzeitig der Ork Rhomroor in seinem Körper jedes Festbankett am Königshof stört. Zusammen mit dem Elbenkrieger Lirandil reisen der Prinz und der Ork zur Stadt der Spiegel, um den Fluch zu brechen.

––––––––

Übersicht: Athranor & Zwischenland der Elben

In Alfred Bekker's Athranor und dem Zwischenland der Elben spielende Buchtitel (chronologisch), ungeachtet ihrer jeweiligen Verfügbarkeit als E-Book, Buch, Hörbuch bzw. als Gesamt- oder Teilausgaben.

Die wilden Orks (spielt zur Zeit des Elbenkönigs Péandir in Athranor)

Angriff der Orks

Der Fluch des Zwergengolds

Die Drachen-Attacke

Sturm auf das Elbenreich

Überfall der Trolle

Die Halblinge von Athranor (spielt 360 Jahre später in Athranor)

Der Sohn der Halblinge

Das Erbe der Halblinge

Der Befreier der Halblinge

Elben - Die Trilogie

(beginnt mit der Ankunft der Elben im Zwischenland; entspricht “Elben - Die Serie”, Episode 1-43)

Das Reich der Elben

Die Könige der Elben

Der Krieg der Elben

Elbenkinder 1-7 (beginnt nach dem großen Krieg gegen Xaror)

Das Juwel der Elben

Das Schwert der Elben

Der Zauber der Elben

Die Flammenspeere der Elben

Im Zentaurenwald der Elben

Die Geister der Elben

Die Eisdämonen der Elben

Zwergenkinder (spielt zur Zeit des Elbenkönigs Daron)

Die Magie der Zwerge

Die Zauberaxt der Zwerge

Die Dracheninsel der Zwerge

Der Kristall der Zwerge

Gefährten der Magie

(spielt zur Zeit des Elbenkönigs Daron)

Lirandil - Der Fährtensucher der Elben

(spielt zur Zeit des Elbenkönigs Daron)

Lose mit der Saga um Athranor und das Zwischenland in Verbindung stehende Titel:

Das Schiff der Orks (als John Devlin, spielt in den Ländern südlich von Athranor)

Nebelwelt - Das Buch Whuon (als John Devlin - die Saga um Whuon den Söldner, bekannt aus den Bänden um "Die Halblinge von Athranor")

Gorian-Saga (Spielt viele Zeitalter nach den Athranor- und Zwischenland-Büchern auf dem Kontinent Ost-Erdenrund, zu dem Caladir mit seinem Luftschiff gelangt)

Gorian - Das Vermächtnis der Klingen (mit dem Gargoyle Ar-Don)

Gorian - Die Hüter der Magie (mit Eldamir/ Caladir gründete das Reich der Caladran)

Gorian - Im Reich des Winters (mit Eldamir, dem blinden Schlächter der Elben von Athranor)

DrachenErde-Saga (1-3, Trilogie)

(mit dem zwischen den Welten verschollenen Elbenkrieger Branagorn ab Band 2)

Drachenfluch

Drachenring

Drachenthron

Der Teufel von Münster (Kriminalroman mit dem Elbenkrieger Branagorn als Ermittler)

Die Papiermacherin (als Conny Walden - historischer Roman mit Branagorn )

Der Medicus von Konstantinopel (als Conny Walden - historischer Roman mit Kurzauftritt von Branagorn)

Leonardos Drachen (historisches Jugendbuch - mit Branagorn alias Fra Branaguorno)

Die Herrschaft der Alten (Zukunftsroman - Auftritt von Lirandil, Keandir, Gorian, Ar-Don und anderen als Simulationen)

1

Rhomroor fasste seine Axt mit beiden Händen. Der junge Ork stieß einen Knurrlaut aus und fletschte die langen Hauer, die ihm ohnehin immer ein Stück aus dem Maul ragten. Rhomroor war zwar noch ein junger Ork und längst noch nicht ausgewachsen, aber jetzt schon kräftiger als selbst die kräftigsten Menschen. Mit beiden Pranken umfasste er den Stiel der riesenhaften Axt und wirbelte sie über seinem Kopf. Dann stürzte er sich wild schreiend auf seinen Gegner – einen Ork namens Brox, der ein paar Jahre älter war. Rhomroor kannte Brox seit frühester Kindheit und sie hatten sich schon nicht verstanden, als sie noch zusammen in der Schlammgrube ihres Stammes gespielt hatten.

Allerdings hatte Brox Rhomroor bisher immer im Kampf besiegt. Einmal hatte er Rhomroor sogar mit dem Kopf in den übelriechenden Haufen einer Drachenechse gesteckt.

Das hatte Rhomroor nicht vergessen – und heute war der Tag der  Rache gekommen. Heute sollte Brox sein blaues Wunder erleben!

Rhomroor schlug mit aller Kraft auf Brox ein. Dieser parierte mit seiner eigenen Waffe, die er sich selbst geschmiedet hatte. Er nannte sie das Sensenschwert, aber eigentlich hatte sie mehr Ähnlichkeit mit einer riesenhaften Sense als mit einem richtigen Schwert.

Die Klinge von Rhomroors Axt klirrte gegen das Metall des Sensenschwertes. Rhomroor stieß dabei einen durchdringenden  Kriegsruf aus.

Zwei, drei Schritte musste Brox zurückweichen.

Dann ging Rhomroors nächster Schlag ins Leere.

Dieser Schlag hatte so viel Schwung, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor.

Brox wich einen weiteren Schritt zurück. „Heh, du hast ja inzwischen das Kämpfen gelernt, Kleiner!“

Kleiner!

Dass Brox ihn so nannte, machte Rhomroor geradezu rasend.

Vielleicht wollte Brox das sogar, damit Rhomroor einen Fehler machte. Es war nicht das erste Mal, dass Brox einen Gegner auf diese Weise besiegte.

Doch heute war alles anders. Rhomroor riss die Axt herum, ließ sie über seinem Kopf kreisen und stürmte dann erneut auf seinen Gegner ein. Mehrere Schläge folgten dicht nacheinander und Brox konnte sie kaum abwehren. Gerade noch vermochte er, diese Hiebe notdürftig zur Seite abzulenken, sodass er nicht von oben bis unten einfach durchgespalten wurde.

Rhomroor trieb seinen Gegner bis zu Rand der Felsenkanzel, auf dem sie beide kämpften. Ein letzter Hieb folgte noch. Brox versuchte auszuweichen und verlor das Gleichgewicht. Rhomroor stieß mit der Vorderseite der Axt zu, traf seinen Gegner an dem aus den Hornplatten einer Drachenechse gefertigten Brustharnisch – und Brox fiel mit einem Schrei in die Tiefe.

Rhomroor trat an den Rand der Felsenkanzel, von der aus man einen weiten Blick über die umliegenden Berge und das nahe Meer hatte. Dann blickte er hinab. Unten, am Fuß des Felsens, befand sich eine Schlammgrube. Alle Orks, die in der Umgebung der Orkherrenhöhle siedelten, suhlten sich hier regelmäßig. Und natürlich fielen die Verlierer der Kämpfe hinein, die auf der Felsenkanzel stattfanden.

Im ersten Augenblick war dort unten gar nichts mehr von Brox zu sehen, aber dann tauchte er aus dem weichen Schlamm auf, der ihm von den Kleidern und seiner Rüstung troff.

„Ich habe gesiegt!“, rief Rhomroor, streckte triumphierend seine Axt in die Höhe und ließ ein lautes Triumphgeheul folgen.

Brox hingegen antwortete mit einem furchtbaren Fluch, bevor er schließlich begann, seine Waffen aus dem Sumpf zu holen. Damit musste man sich schon beeilen, denn sonst sanken sie so sehr ab, dass man sie nicht mehr aufzufinden vermochte. Brox spuckte dabei Schlamm aus seinem Maul und seinen Nasenlöchern heraus und knurrte etwas Unverständliches vor sich hin. Was er genau zu sagen hatte, wollte Rhomroor gar nicht wissen. Man verstand auch so, dass Brox einfach nur sehr wütend war, und seine Niederlage nicht verwinden konnte.

„Der Kampf ist entschieden!“, stellte eine tiefe Stimme fest. Rhomroor drehte sich herum.

Das war Moraxx, der Herr der drei Ork-Länder.

Er war um einen Kopf größer als die meisten anderen Orks. Und während den meisten anderen nur vier Hauer aus dem Maul herausragten – zwei oben und zwei unten – waren es bei Moraxx fünf. Genau unter der Nase wuchs dieser fünfte und längste Hauer aus seinem Maul heraus und schon allein damit machte er großen Eindruck.

„Du bist der Sieger, Rhomroor!“, stellte Moraxx fest. Der Ork-Herr trat auf Rhomroor zu, legte ihm schwer eine seiner Pranken auf die Schultern! „Herzlichen Glückwunsch dazu. Ich wollte den besten für die außergewöhnliche Aufgabe, die ich dir stellen möchte...“

Rhomroor hätte zu gerne gewusst, was das für eine Aufgabe sein mochte. Aber darüber hatte der Ork-Herr nichts gesagt. Er hatte nur zwanzig jüngere Orks gegeneinander im Kampf auf der Felsenkanzel antreten lassen. Zunächst hatte es ein wildes Handgemenge gegeben. Manche hatten sich kurzfristig verbündet und andere gemeinsam zur Felskante getrieben, nur um sich dann anschließend gegenseitig in die Tiefe zu reißen.

Einer nach dem anderen war in der Schlammgrube gelandet, bis schließlich nur noch Brox und Rhomroor übrig geblieben waren.

Eigentlich hatte Rhomroor gar nicht damit gerechnet, so lange durchzuhalten. Aber als ihm dann nur noch Brox im Weg gewesen war, hatte ihn vollends der Ehrgeiz gepackt.

Schließlich war es eine große Ehre, für eine Aufgabe des Ork-Herrn ausgewählt zu werden.

Rhomroor steckte den Stiel der Axt wieder in das Lederfutteral, das er auf dem Rücken trug. Er trommelte mit den Fäusten auf den Brustpanzer, der aus einem Stück aus der Panzerung eines Riesenskorpions gefertigt war. Dabei entstand ein dumpfer Klang. Rhomroor stimmte dazu noch einen heiseren Singsang an, wie es unter Orks in solch einem Fall üblich war.

Was gab es schon schöneres, als einen Gegner in den Schlamm zu werfen?

Eigentlich nur selbst hinterher zu springen und den ganzen Ork-Körper mitsamt der Kleidung mal wieder so richtig mit Schlamm zu bedecken, sodass man hinterher wie eine Lehmfigur aussah. Der kalte Schlamm war jedenfalls bestens geeignet, um einen wieder etwas zu beruhigen und die klaren Gedanken zurückkehren zu lassen.

„Schon gut, schon gut, Rhomroor!“, meinte der Ork-Herr unterdessen. „Du hast allen Grund, stolz zu sein, aber übertreib es nicht, denn die eigentliche Aufgabe liegt noch vor dir. Und glaub mir, es wird etwas sein, was deine Vorstellungskraft vollkommen sprengt...“

„Uhh!“, machte Rhomroor und gurgelte dabei dabei tief aus seiner Kehle etwas Schleim hervor, den er dann geräuschvoll ausspuckte. Darüber, worin die Aufgabe eigentlich wohl bestehen  mochte, die der Ork-Herr für ihn vorgesehen hatte, hatte er sich bisher noch kaum Gedanken gemacht.

„Ich bin zu allem bereit, Herr!“, sagte Rhomroor dann und gurgelte erneut, aber Moraxx hob abwehrend seine Pranke.

„Genug des respektsbezeugenden Schleims!“, sagte er und so schluckte Rhomroor alles wieder herunter, was sich inzwischen an Speichel in seinem Maul angesammelt hatte. „Komm jetzt und folge mir, damit wir nicht noch mehr Zeit verlieren.“

„Wie du willst, Herr!“, sagte Rhomroor gehorsam.

Moraxx blickte zum Horizont auf das Meer hinaus, wo die Sonne inzwischen schon ein ganzes Stück tiefer gesunken war. „In dieser Nacht wird es Vollmond geben, wie ich berechnet habe. Und das müssen wir für den Zauber nutzen, den ich mit dir vorhabe!“

2

Rhomroor folgte Moraxx in die Orkherrenhöhle. Am Eingang standen zwei Wächterork mit langen Hellebarden und frisch in Schlamm gebadet. Der Ork-Herr konnte es nämlich nicht leiden, wenn seine Wächter zu sauber waren. Traue niemandem, der nach nichts riecht und von dessen Körper kein getrockneter Schlamm abbröckelte, so lautete ein altes Ork-Schreiwort. Nicht Sprichwort, denn unter Orks war es üblich, Sprichwörter zu schreien, weshalb man sie auch dementsprechend nannte.

Im Inneren der Höhle leuchteten Fackeln.

Sie gingen zusammen durch einen düsteren, wenig erleuchteten Gang, durchschritten dann eine große hallenartige Höhle mit vielen Tropfsteinen, in der mehrere hundert Orks lagerten.

Von dort führte ein weiterer, etwas engerer Gang zu einer  Höhle, zu der nur der Ork-Herr selber Zugang hatte. Es war allen anderen Orks bei strengster Strafe verboten, ihn zu betreten. Und da Moraxx in dieser Hinsicht nicht einmal seinen Wächtern traute, hatte er den Eingang mit einem Zauber versehen.

Moraxx selbst konnte unbehelligt diese Privathöhle betreten, aber Rhomroor spürte, wie er gegen eine unsichtbare Wand lief und zurückprallte. Blitze zischten, als er diese Zauberwand berührte.

„Oh, tut mir leid, ich hatte vergessen, dass ich erst dafür sorgen muss, dass du auch eintreten kannst“, sagte Moraxx. „Allerdings weiß ich auf diese Weise immerhin, dass der Zauber auch wirklich funktioniert...“

Rhomroor schwirrte der Kopf, denn er war mit voller Wucht gegen diese magische Barriere gestoßen, die zwar unsichtbar, aber deswegen nicht unbedingt weich war. Ganz im Gegenteil!

Moraxx murmelte ein paar Worte in einer Sprache, die Rhomroor nicht verstand. Daraufhin schimmerte die zuvor unsichtbare Wand bläulich.

„Du kannst jetzt eintreten, Rhomroor!“

„Wirklich?“

„Bist du ein mutiger Ork oder ein verweichlichter Elbenkrieger, der nicht einmal Schlamm in den Haaren hat?“, rief Moraxx. „Oder gar ein jämmerlicher Mensch, der sich gleich alle Knochen bricht, wenn er mal von einem Felsen stürzt! Also stell dich nicht so an und sei mutig!“

Rhomroor durchschritt vorsichtig den bläulichen Schimmer.

Problemlos betrat er nun die Privathöhle des Ork-Herrn. Es war bekannt, dass Moraxx sich ausgiebig mit der Magie der Elben beschäftigt hatte. Manche sagten sogar, dass dies der eigentliche Grund dafür war, dass er es schließlich geschafft hatte, als Herr aller drei Ork-Länder anerkannt zu werden. Normalerweise waren die Orks nämlich untereinander schlimm verfeindet. Ein ständiger Krieg hatte zwischen dem Ost-Orkreich und dem West-Orkreich geherrscht und die Orks aus Orkheim hatten sich mal auf die eine und mal auf die andere Seite geschlagen. Diese Feindschaft war zwar nicht vergessen und es gab immer hin und wieder Kämpfe, aber im großen und ganzen akzeptierten alle Anführer der Orks Moraxx als ihren Oberherren. Und da das so ungewöhnlich in der orkischen Geschichte war, hatte ohnehin fast jeder geglaubt, dass dies nur mit Magie zu erklären wäre.

In der Mitte der Höhle brannte ein Feuer mit grünlicher Flamme. Schon das deutete darauf hin, dass hier magische Kräfte am Werk waren. In einer Ecke lagen einige Dutzend Bücher auf einem Haufen. Bücher, die Moraxx einst aus dem Fernen Elbenreich geraubt hatte und aus denen wohl sein Wissen über die Zauberei stammte. 

„Setz dich!“, sagte Moraxx und deutete auf den Boden vor dem Feuer. „Ich habe die Herrschaft über alle drei Ork-Länder errungen, aber das reicht mir nicht. Ich will auch der Herr über das wichtigste Königreich der Menschen werden, unsere derzeit schlimmsten Feinde... Und dabei sollst du mir helfen, Rhomroor!“

„Ich?“, fragte Rhomroor verwundert.

„Du sollst der nächste König am Hof von Aladar werden! Und mithilfe der Kraft der Magie wird das gelingen.“ Moraxx reichte  Rhomroor einen Krug mit einer stark riechenden bläulichen Flüssigkeit. „Trink das, Rhomroor!“

„Was ist das?“

„Ein Trank, der dich für den Zauber vorbereitet. Dann müssen wir nur noch bis zum Aufgang des Vollmondes warten... Oder traust du es dir nicht zu, ein Menschenprinz zu sein, der irgendwann zum König gekrönt wird?“

„Ich weiß nicht...“, meinte Rhomroor vorsichtig.

„Durch den Zauber werde ich eure Seelen tauschen. Deine Seele wird in den Körper des Menschenprinzen übergehen – und der wird in deinen Körper gelangen. Niemand wird zunächst ahnen, dass der Thronfolger in Wahrheit ein Ork ist...“ Moraxx lachte heiser und gurgelnd.

Rhomroor war sich hingegen nicht so sicher, ob das wirklich ein Plan war, den er gutheißen sollte. Aber andererseits konnte er jetzt, da er all die Kämpfe bestanden hatte, um als Bester für diese Aufgabe ausgewählt zu werden, auch schlecht einen Rückzieher machen.

Davon abgesehen wäre es ihm ohnehin nicht eingefallen, seinem Ork-Herrn nicht zu gehorchen.

„Merk dir schon mal den Namen“ sagte Moraxx. „Dieser Prinz heißt Candric!“ 

3

„Siehst du das Gebirge dort, Candric? Das ist die Grenze zu den Ländern der grässlichen Orks!“

Candric blickte zu den Bergen hinüber, dessen schroffe Felsen  in einer Entfernung von etwa anderthalb Meilen aufragten. Über die Orks hörte man alle möglichen Geschichten. Angeblich lebten die meisten von ihnen in Höhlen und ernährten sich von Riesenschrecken. Aber hin und wieder verspeisten sie auch gerne den einen oder andere menschlichen Reisenden, der sich in ihre Länder verirrt hatte. Zumindest erzählte man sich dies – genauso wie die Geschichte von der Moorhexe, die vor Schreck zu einem Felsen erstarrt war, als sie einer Horde dieser furchtbaren Geschöpfe begegnete, die gerade einmal wieder die Grenze überschritten hatten. Die Hässlichkeit dieser Wesen war so enorm gewesen, so hieß es in den Legenden, dass selbst die ebenfalls als sehr hässlich geltende Moorhexe dies nicht hatte ertragen können.

Candric spürte eine Hand auf seiner Schulter. Sie gehörte König Hadran, seinem Vater. „Du bist jetzt zehn Jahre, Candric – und das bedeutet, dass du alt genug bist, um schonmal das Wichtigste über das Reich zu erfahren, dass du eines Tages regieren sollst!“

Candric seufzte. Ja, diese Reden kannte er nur zu genüge. Große Hoffnungen lasteten auf ihm wie ein Mühlstein. Sein Vater war der König von Westanien und seine Mutter die Königin von Sydien. Beide Reiche waren seit ihrer Heirat vereinigt und man nannte es nun auch das Beiderland. Schon lange vor der Hochzeit von König Hadran und seiner Gemahlin Taleena hatte man Westanien und Sydien vereinigen wollen, um sich gemeinsam besser gegen die Orks wehren zu können, die immer wieder die Berge überschritten hatten und dann raubend und mordend in die Länder der Menschen zogen. 

Große Hoffnungen ruhten nun daher auf dem jungen Prinzen Candric – denn er würde der erste König beider Reiche die Vereinigung perfekt machen.

Dass er seinen Vater jetzt in die entlegendste Ecke des Reiches begleiten musste, passte ihm ebenso wenig wie die Tatsache, dass König Hadran darauf bestand, dass der sich täglich im Schwertkampf und im Reiten übte. Schließlich erwartete man ja von ihm, dass er eines Tages die königlichen Ritter befehligte, die das Reich vor den Orks schützen mussten.

Candric allerdings hatte zu all diesen Dingen wenig Lust. Eigentlich wäre er viel lieber zu Hause im Palast der Hauptstadt Aladar geblieben und hätte sich in der großen Palastbibliothek mit einem interessanten Buch verkrochen. Er las nämlich für sein Leben gern und konnte gar nicht genug davon bekommen, in den zum Teil uralten Schriften herumzustöbern. Es gab so vieles an Interessantem darin zu entdecken. Und gleichgültig, ob es sich um Geschichten, Legenden oder um Werke ging, in denen man etwas über die Wissenschaften oder die Magie erfahren konnte – Candric war stets schnell dafür begeistert und konnte sich dann für Stunden oder Tage in diesen Büchern vergraben.

Aber er war nun mal der Sohn des Königspaares und so stand fest, was er zu tun hatte, ohne dass er vorher deswegen groß gefragt worden wäre.

Man erwartete es einfach von ihm. Und so kam es, dass er jetzt am äußersten Rand des Sumpflandes, wo das Ork-Gebirge zu sehen war, im Sattel eines Apfelschimmels saß, ein Lederwams mit dem Wappen des Königshauses und ein Kurzschwert trug, mit dem er im Ernstfall kaum hätte kämpfen können.

„Wir werden das ganze Sumpfland trockenlegen“, sagte sein Vater und machte eine weit ausholende Handbewegung. An mehreren Stellen wurden tiefe Gräben ausgehoben, die quer durch das Sumpfgebiet führten, damit sich das Wasser darin sammelte und das Land auf diese Weise trocken gelegt wurde. König Hadran hatte dafür Arbeitskräfte von überall her angeheuert. Vor allem grünhäutige Oger, die sehr kräftig waren und selbst  hochgewachsene Menschen noch um mindestens eine Armlänge überragten. Die Arme der Oger waren kräftiger als selbst die muskulösesten Menschenbeine und sie schafften leicht das Zehnfache von dem, was ein Mensch in der selben Zeit aus der Erde geholt hätte.

Die Waldriesen mit ihren moosbewachsenen Köpfen, die hier ebenfalls in großer Zahl arbeiteten, waren noch viel größer, aber sie bewegten sich immer mit großer Langsamkeit. Dafür waren ihre an knorrige Astgabeln erinnernden Pranken so groß, dass sie keinerlei Schaufeln für ihre Arbeit benötigten.

Natürlich gab es auch menschliche Helfer – und dazu eine Schar von Spähern und Wachsoldaten, die darauf achteten, ob sich vielleicht ein Trupp von Orks über das Gebirge wagte.

Manchmal kamen sie allerdings auch in großen Flößen über das Meer und landeten an der nahen Küste. Dort ragten die Mauern  der Trutzburg auf, die errichtet worden war, um den Menschen im Grenzland zu den Ork-Bergen Zuflucht zu gewähren. 

In diesem Augenblick ertönte ein Hornsignal.

Das war das Alarmzeichen. Alle, die an den Gräben arbeiteten, horchten sofort auf.

Von den Bergen her waren jetzt mehrere Hornsignale zu hören – und die bedeuteten nichts anderes, als dass die Kundschafter anrückende Orks gesichtet hatten. In diese Signale mischte sich nun aus der Ferne ein Summton.

Candric blinzelte und sah einen der Kundschafter zurückkehren. Er ritt auf einer der pferdegroßen Riesenlibellen, die man eigens für viel Silber angeschafft hatte, um schneller gewarnt zu werden. In der weit entfernten Libellenreiter-Stadt wurden sie gezüchtet und ausgebildet. Jede einzelne kostete ein Vermögen und davon abgesehen musste man auch ausgebildete Libellenreiter anheuern. Ein Dutzend davon gab es in den Diensten des Königs. Und die waren allesamt an der Grenze zu den Ork-Bergen damit beschäftigt, nach Angreifern Ausschau zu galten.

Jetzt kehrten auch die anderen zurück und bliesen mit ihren Hörnern zum Alarm.

Alle, die damit beschäftigt waren, das Land trocken zu legen ließen sofort alles stehen und liegen. Oger, Waldriesen und Menschen stiegen aus den Gräben heraus. Sie rannten zu den großen, von Elefanten gezogenen Wagen, die eigentlich das Erdreich zu den Deichen an der Küste bringen sollten. Doch nun stiegen Menschen und Oger auf die großen Ladeflächen und die Waldriesen schoben sie an. Die Elefantentreiber trieben die Zugtiere, die sich laut trompetend in Bewegung setzten.

Das Ziel war die Trutzburg, wo sie alle Schutz finden würden.

„Ich sehe noch keinen einzigen Ork!“, stellte Candric fest. „Ist diese Panik nicht etwas übertrieben?“

„Keineswegs“, erwiderte König Hadran. „Und wir sollten uns jetzt auch in Bewegung setzen, denn die Orks werden schneller hier sein, als uns allen lieb ist! Glaub es mir!“

4

Ein großer Zug von Elefantenwagen bewegte sich auf die Mauern der Trutzburg zu. Die Elefantentreiber mussten dabei aufpassen, nicht von den festen Wegen abzukommen. Denn wenn ein Wagen erstmal in sumpfiges Gelände geriet, war er nicht mehr zu retten. Selbst ein Dutzend Zugelefanten wären nicht in der Lage gewesen, einen stecken gebliebenen Wagen wieder flott zu machen. König Hadran ließ sein Pferd voranpreschen und und Candric folgte seinem Vater. Die Ritter, deren Aufgabe es war, das Gebiet zu schützen, schlossen sich dem Zug in Richtung der Trutzburg als letzte an.

Candric drehte sich immer wieder im Sattel in Richtung der Ork-Berge um. Aber es war noch immer nichts von den Orks zu sehen.

„Heh, wie viele sind es?“, rief der König zu einem der Libellenreiter.

„Majestät, es sind so viele, dass der Boden unter den Füßen ihrer Hornechsen erzittert!“, rief der Libellenreiter zurück.

„Sie reiten auf Hornechsen?“, rief der König zurück. „Das bedeutet nichts Gutes...“

„Wieso bedeutet das nichts Gutes?“, mischte sich Candric ein.

„Weil die Hornechsen-Reiter unter den Orks als besonders zerstörerisch gelten“, antwortete der König.

Manchmal kamen die Orks in kleineren Gruppen zu Fuß über die Berge. Dann waren sie nicht so gefährlich und meistens hatten die Ritter sie vertreiben können. Aber wenn ganze Gruppen auf ihren großen entweder mit bis zu drei Hörnern ausgestatteten Reitechsen die Grenze zum Ork-Reich überschritten, gab es kaum etwas, was sie aufhalten konnte. Dann gab es nur noch den schnellen Rückzug hinter die Mauern der Trutzburg und genau das war jetzt der Fall.

5

Die Tore der Trutzburg standen weit offen. Die Burgwächter  nahmen die Ankömmlinge in Empfang und gaben Anweisungen, wohin die großen Elefantenwagen zu lenken waren, damit es keinen Stau gab. Candric und sein Vater ritten zum Burgfried, dem letzten Rückzugsort bin der Mitte der Burg. Dieser hohe Turm war eigentlich eine kleine Burg für sich. Einer der Wächter führte Candric und seinen Vater die Treppe empor. Oben angekommen hatte man vor allem von den Zinnen aus einen weiten Rundblick. Der königliche Burgverwalter hieß Saragan. Er blickte angestrengt in die Ferne. „Seht, da kommen sie!“, murmelte er und deutete auf eine Schar dunkler Punkte in der Nähe der Berge.

Candric hatte schon viel von den Zerstörungen der Orks gehört – und vor allem auch davon, dass sie es waren, die die Arbeiten im Sumpfland immer wieder zum Stillstand brachten. Wäre es nicht so viel einfacher gewesen, sich mit ihnen zu einigen, fragte er sich nicht zum ersten Mal.

„Warum überlassen wir den Orks nicht einfach das Sumpfland?“, wollte er von seinem Vater wissen. „Es ist doch wertlos! Niemand kann dort wirklich leben.“

„Noch nicht“, stimmte der König zu. „Aber das wird sich ändern, sobald wir es trockengelegt haben!“

„Und warum muss es unbedingt trockengelegt werden? Ist das Beiderland nicht eigentlich groß genug?“

„Du fragst zu viel“, sagte der König. „Der sicherste Schutz vor den Orks wird eine Kette von Mauern und Festungen sein, die ich nach und nach errichten will.“ Er legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. „Aber wahrscheinlich wird das so lange dauern, dass selbst du einen Teil wirst errichten lassen müssen.“

6

Laute Rufe ertönten jetzt. Die letzten Elefantenwagen und Ritter hatten sich nun hinter die Mauern der Trutzburg zurückgezogen. Die Tore wurden geschlossen und überall waren die Burgwächter damit beschäftigt, Katapulte in Stellung zu bringen.

Dann galt es nur noch zu warten.

Warten, bis die Orks näher kamen.

Viele von ihnen ritten auf großen, stämmigen Hornechsen, die so groß waren, wie einige der Hütten und kleineren Häuser, die es innerhalb der äußeren Mauer der Trutzburg inzwischen gab. Die Einhornechsen waren etwa so groß wie ein Elefant. Die anderen Hornechsen hingegen um einiges größer.

Auf vielen dieser Reittiere saßen gleich mehrere Orks. Oft genug trug mindestens einer von ihnen Pfeil und Bogen oder eine Schleuder bei sich.

Es dauerte nicht lange und es herrschte fast Totenstille in der Trutzburg.

Die Libellenreiter schwärmten noch einmal aus und erkundeten genauer die Lage. Einige der Orks schossen mit ihren Schleudern und Bögen auf die Kundschafter, doch diese wurden nicht getroffen und kehrten rasch zurück.

Der Hauptmann der Libellenreiter landete mit seinem Reittier bei Candric und König Hadran auf dem Burgfried.

„Es sind so viele Orks wie selten zuvor, Majestät!“, sagte der Hauptmann der Libellenreiter.

König Hadran wandte sich an Candric. „Es sind Hornechsen-Reiter – und die sind die Schlimmsten unter den Orks.“

„Aber hier sind wir doch sicher, oder?“, fragte Candric.

Sein Vater zuckte die Schultern. „Das will ich hoffen!“

Candric hatte schon davon gehört, dass es unterschiedliche Stämme unter den Orks gab. Manche ritten auf Hornechsen, andere bevorzugten Riesenskorpione oder große Meeresschildkröten als Reittiere. Und dann gab es die Berg-Orks, die immer zu Fuß unterwegs waren, sich manchmal einfach Hänge herabrollen ließen und dann urplötzlich auftauchten im Sumpfland auftauchten. 

„Unsre Mauern sind zehn Schritte dick!“, meldete sich nun der königliche Burgverwalter Saragan zu Wort. „Selbst der ungünstigste Ansturm von Hornechsenreiter-Orks kann sie nicht zum Einsturz bringen. Und schon gar nicht, wenn die Orks keine Katapulte mitbringen!“

„Besitzen die Orks denn keine Katapulte?“, fragte Candric.

Saragan sah den Prinzen erstaunt an und hob die Augenbrauen. „Doch, das schon. Jedenfalls berichten das die wenigen, die in die Drei Ork-Länder gelangten und es schafften, lebend von dort zurückzukehren. Aber Katapulte sind sehr schwer durch das Sumpfland zu transportieren. Und sie hier erst zu bauen ist auch schwierig, weil es zu wenig Wälder gibt, aus denen man das Holz schlagen könnte.“ Der königliche Verwalter hob den Blick und wandte sich wieder an König Hadran. „Schön, dass Euer Sohn sich schon in so jungen Jahren für die Staatsgeschäfte interessiert!“

König Hadran nickte. „Man kann gar nicht früh genug damit anfangen, sie zu erlernen, wenn man ein guter Herrscher werden will!“, erklärte er.

7

Die Orks stürmten heran. Der Boden erzitterte unter den Füßen der Hornechsen. Diese Füße waren sehr breit und so sanken die Echsen trotz ihres enormen Gewichtes nicht so schnell in den Sumpf ein, wenn sie mal einen Fehltritt machten. Ihre Ork-Reiter trieben sie dann einfach vorwärts. Oder sprangen von den Rücken der Echsen, warteten durch den Sumpf und zogen die Tiere eigenhändig an den Zügeln voran.

Sie müssen enorme Kräfte haben!, dachte Candric. Denn ein Mensch, der weiter als bis zum Knie eingesunken war, hatte keinerlei Möglichkeit mehr, sich aus eigener Kraft aus dem aufgeweichten, moorigen Erdreich zu befreien.

Immer wieder waren bei den Grabarbeiten, die im Auftrag seiner Eltern im Sumpfland zurzeit durchgeführt wurden, Moorleichen ans Tageslicht gekommen. Und die meisten stammten von Geschöpfen – nicht nur Menschen – die geglaubt hatten, das Sumpfland durchqueren zu können, ohne sich wirklich ganz genau auszukennen.

Dieser Leichtsinn hatte in der Vergangenheit schon so manchem das Leben gekostet.

Als Ork schien man in dieser Hinsicht weniger gefährdet zu sein. Aber schließlich behauptete man ja auch, dass Orks im Grunde den Schlamm liebten und extra Schlammgruben anlegten, um sich darin suhlen zu können.

Ob das der Wahrheit entsprach oder nicht, vermochte niemand so genau zu sagen. Dazu wusste man einfach zu wenig über die Bewohner der drei Länder jenseits der Ork-Berge.

Candric fiel auf, dass die Orks einen Halt einlegten – und zwar ungefähr dort, wo sich Gräben fanden, die in letzter Zeit frisch ausgehoben worden waren.

Einige der Orks stiegen sogar von den Hornechsen ab, die sich nur mit Mühe bändigen ließen. Mit den Füßen scharrend standen sie mit gesenkten Hörnern da.

„Was machen die da?“, fragte Candric.

Der Burgverwalter Saragan hatte ein Fernrohr hinter dem Gürtel stecken. Diese Erfindung wurde schon lange von den Seefahrern Westaniens benutzt und seid sich Westanien und Sydien zum Königreich Beiderland vereinigt hatten, wurden Fernrohre auch in den anderen Teilen des Landes immer gebräuchlicher. Saragan nahm das Rohr hervor und warf einen Blick hindurch. Dann nickte er düster. „Hab ich es mir doch gedacht!“, knurrte er und reichte dann das Rohr an Candric weiter. „Seht es Euch an, mein Prinz! Die Orks schütten unsere Gräben zu! Wahrscheinlich werden sie hinterher sogar noch ihre Hornechsen ein paar mal darüber trampeln lassen, sodass auch alles schön fest wird!“ Saragan schüttelte verzweifelt den Kopf. „Die Arbeit von Wochen – einfach vernichtet! Aber das ist ganz typisch für die Orks!“

„Warum tun sie das?“, wollte Candric wissen.

Dass sie Höfe ausraubten und sich unter den Nagel rissen, was immer ihnen in die Hände fiel, konnte Candric noch nachvollziehen, aber weshalb machten sie sich die Mühe, ein paar Gräben wieder zuzuschütten, die sie bei ihrem Vormarsch überhaupt nicht behinderten, denn schließlich konnten ihre Echsen sehr leicht darüber hinwegschreiten.

Der königliche Burgverwalter seufzte. „Das gehört wohl zu den  ewigen Rätseln über die Orks, die vermutlich niemals gelöst werden!“, meinte er.

8

Es mussten tausende von Hornechsenreiter-Orks sein, die sich im Sumpfland sammelten. Ein Teil von ihnen griff die Mauern der Trutzburg an, obwohl ihnen eigentlich von vorn herein klar sein musste, dass sie damit keinen Erfolg haben konnten. Jedenfalls nicht, wenn sie keine Belagerungsmaschinen mitführten oder wenigstens eine Rampe aufschütteten, über die sie vielleicht die Mauern überwinden konnten.

Aber das versuchten die Orks gar nicht erst. Stattdessen konzentrierten sie sich auf die insgesamt fünf Burgtore der Trutzburg. Das waren schließlich die schwächsten Stellen in den dicken Mauern der Burg. Immer wieder ließen die Orks ihre Hornechsen mit voller Geschwindigkeit gegen die Tore reiten. Manchmal prallten die Echsen so heftig dagegen, dass die Hörner durch das Hartholz der Tore hindurchstachen und die Orks anschließend Schwierigkeiten hatten, ihre Reittiere wieder zu befreien.

Manchmal blieb dann nichts anderes übrig, als dass der jeweilige Ork-Reiter seine Axt nahm und das steckengebliebene Horn einfach durchschlug.

Das Gehörn dieser Echsen wuchs nach, in so fern war dieser Verlust zu verschmerzen.

Aber die Verteidiger waren auf solche Angriffe natürlich eingestellt.

Es gab mehrere Tore, die hintereinander angebracht waren. Dazwischen befanden sich Fallgitter aus Eisen. Selbst wenn es den Orks mal gelang, eines der Tore vollkommen zu zerstören, konnten sie deshalb noch lange nicht einfach in die Burg stürmen.

„Wollt Ihr gar nichts unternehmen?“, fragte der König etwas verwundert an Saragan gerichtet. Dieser schüttelte den Kopf. „Ich habe den Wächtern befohlen, Munition für die Katapulte zu sparen, es sei denn, dass die Orks versuchen, die Mauer zu überklettern, was auch schon vorgekommen ist. Aber solange wir es nicht zulassen, dass sie Seile werfen und sich daran hochziehen, haben wir die Lage im Griff!“

„Na, da will ich aber hoffen, dass Ihr recht behaltet“, meinte der König mit leisem Zweifel im Tonfall.

„Ihr könnt Euch auf mich verlassen, mein König. Schließlich kämpfe ich hier schon länger gegen die Orks! Und bisher ist es keinem von ihnen gelungen, die Mauern der Trutzburg zu überwunden!“

„Und wenn sie uns belagern?“, fragte Candric.

„Dann sehen wir weiter“, erwiderte der Verwalter. „Allerdings glaube ich nicht, dass sie das tun.“

„Warum nicht?“

„Ihnen scheint die Geduld dafür zu fehlen. Aber generell lässt sich sehr schwer abschätzen, was sie als nächstes tun.“ Saragan seufzte. „Einmal die Gedanken eines Orks lesen – das würde mir wahrscheinlich sehr weiterhelfen!“

9

In den nächsten Stunden griffen immer wieder größere Gruppen von Orks die Burgmauern an verschiedenen Stellen an. Manchmal schleuderten sie brennende Fackeln zu den Wehrgängen hinter den Zinnen hinauf. Aber wenn diese Fackeln überhaupt ihr Ziel erreichten, so waren sie leicht wieder zurückzuwerfen, ohne, dass sie einen größeren Schaden anzurichten vermochten.

Dann fiel Candric plötzlich eine dunkle Wolke auf, die von Westen heranzog. Diese Wolke verfinsterte bald den gesamten Horizont und man konnte auf den ersten Blick glauben, dass ein großes Unwetter aufzog. Aber das war nicht der Fall. Ein zirpendes, immer durchdringender werdendes Geräusch war nun zu hören, während sich die Wolke näherte.

„Ein Riesenschreckenschwarm!“, entfuhr es Saragan.

Auf dem Weg durch das Sumpfland hatte Candric bereits hier und da Riesenschrecken gesehen. Sie waren so groß wie mittlere Hunde und ähnelten in ihrem Äußeren den Heuschrecken, wie sie in den Ebenen von Sydien im Sommer zur Plage werden konnten. Die Riesenschrecken schlüpften in den unzugänglichen Gebieten des Sumpflandes. Als ob sie sich durch geheime Botschaften untereinander verständigt hätten, kamen hier tausende oder hunderttausende von ihnen auf einmal aus dem Schlamm und bildeten dann riesige Schwärme. Aus irgendeinem Grund, den niemand kannte, zogen sie stets nach Osten in Richtung der Ork-Berge.

Kein Mensch hätte vorhersagen können, wann die Riesenschrecken aus dem Sumpf aufstiegen. Manchmal geschah es, dass jahrelang nur einzelne Riesenschrecken schlüpften und dann geschah es, dass urplötzlich gleich mehrere gewaltige Schwärme in die Höhe stiegen.

Für die Orks waren die Riesenschrecken ein Leibgericht.

„Ein solcher Schwarm ist für unsere Gegner wie ein fliegender Festtagsbraten!“, meinte Saragan. „Vielleicht sind sie sogar deswegen gekommen – und nicht in erster Linie, um die Trutzburg doch noch zu erobern.“

„Dafür spricht, dass sie ihre Fangnetze dabei haben“, stimmte Candric zu. 

„Kein Mensch kann die Entstehung eines Riesenschreckenschwarms vorhersagen – aber die Orks scheinen zu ahnen, wann so etwas bevorsteht“, glaubte Saragan. „So als ob sie einen besonderen Sinn dafür hätten – oder ihnen irgendeine Art von Magie dabei hilft!“

„Heißt es nicht, dass die Berg-Orks auf den Klippen auf die Schwärme warten?“, fragte Candric.

Saragan nickte. „Ja, denn die Riesenschrecken vertragen die Höhe nicht, sie können nur so gerade über die Ork-Berge hinweg und sind dann eine leichte Beute für die Berg-Orks.“

„Dann haben sich diese Hornechsen-Reiter wohl gedacht, dass sie ihren Verwandten aus den Bergen das Festmahl vor der Nase wegstibitzen!“, stellte König Hadran fest.

„Nicht besonders nett“, lautete Saragans Kommentar. Er sah Candric an und meinte. „Seid froh, dass Ihr nicht unter diesen ungehobelten Gesellen Euer Leben fristen müsst, mein Prinz!“

„Ihr glaubt gar nicht, wie froh ich da bin“, gab Candric zurück.

10

Die Orks zogen sich von der Trutzburg zurück. Viele von ihnen hatten Netze dabei, die mit Steingewichte beschwert waren. Die wurden hoch geworfen und damit jeweils Dutzende der durcheinanderschwirrenden Riesenschrecken eingefangen.

Nach und nach folgten die Orks den Riesenschrecken in Richtung der Ork-Berge. Gegen Abend war nichts mehr von ihnen zu sehen.

Und selbst der gewaltige Schwarm von Riesenschrecken verschwand irgendwann hinter den Gipfeln der Berge.

Der König sandte einige der Libellenreiter aus, damit sie auskundschafteten, wo die Orks geblieben waren. Dabei konnten sich die Libellenreiter allerdings nicht allzu nah heranwagen, denn die die Reitlibellen fürchteten sich vor Riesenschreckenschwärme, obwohl diese ihnen nichts taten.

Als die Kundschafter zurückkehrten, berichteten sie, dass sich die Hornechsenreiter-Orks nach Norden in Richtung des Ork-Tors zurückgezogen hatten. Dieses Tor verschloss den einzigen freien  Pass durch die Ork-Berge.

Die Riesenschrecken hatten sich unterdessen über das Gebirge gequält.

„Ich hoffe, dass wir beide nicht wiedersehen“, sagte König Hadran daraufhin.

Prinz Candric seufzte daraufhin. „Ach, wie gerne wäre ich doch jetzt in meinen vertrauten Gemächern im Palast von Aladar!“

„Wir kehren ja bald zurück!“, tröstete ihn sein Vater. „Aber das Reisen gehört nunmal zu den Pflichten eines zukünftigen Königs – so wie er auch den Schwertkampf und die Kunst der guten Verhandlung beherrschen muss!“

Candric und sein Vater verbrachten die Nacht in den Gemächern, die der Burgverwalter für sie hatte errichten lassen. Natürlich gab es hier nicht denselben Luxus wie im heimatlichen Palast. Und was Candric am meisten vermisste – in der ganzen Trutzburg schien es nicht ein einziges Buch zu geben – abgesehen von einem Band, in dem die Namen sämtlicher Helfer eingetragen waren, die sich für die Arbeit an den Gräben hatten anheuern lassen. Dahinter stand jeweils, wie viel man dem einzelnen Arbeiter  gezahlt hatte, was auch davon abhing, ob es sich um einen starken Oger, einen noch stärkeren Waldriesen oder nur um einen verhältnismäßig schwachen Menschen handelte.

Aber als interessante Lektüre eignete sich so ein Buch nun sicherlich nicht.

11

Am nächsten Morgen wurde Candric bereits früh durch das Trompeten der Zugelefanten geweckt. Er stand auf und öffnete die Fensterläden des Gemachs, das man ihm hergerichtet hatte. Es war ziemlich kühl in der Nacht gewesen und daher hatte Candric in seiner Kleidung geschlafen und dabei sogar die Stiefel angelassen. Einen Kamin, wie der Prinz ihn aus dem heimatlichen Aladar gewohnt war, gab es nämlich in diesen Gemächern nicht!

Draußen war es längst hell und verhältnismäßig klar. In der Ferne sah man die Elefanten Karren voll von ausgehobenem Erdreich hinter sich herziehen und es wurde offenbar wieder an den Gräben gearbeitet, nachdem die Orks ebenso verschwunden waren, wie ihre bevorzugte Jagdbeute – der Riesenschreckenschwarm.

Am Horizont tauchte ein Schiff auf, das frei in der Luft schwebte und sich der Burg langsam näherte. Deutlich waren die Aufbauten zu sehen. Ein Mast ragte hoch empor, aber obwohl von der nahen Meeresbucht, an der die Trutzburg lag, ein kräftiger Wind wehte, der überall die Fahnen wehen ließ, bewegte sich das Segel des Luftschiffs kein bisschen. Es hing schlaff herab und so als würde der Wind es überhaupt nicht erreichen.

„Asanil!“, stieß Candric erfreut aus. „Juhu, er ist endlich mal pünktlich!“

12

Asanil war ein Elbenmagier, der für sich in einem Turm südlich der sinkenden Stadt lebte.

Asanil hatte sich mit dem König des Fernen Elbenreichs zerstritten und zog es deswegen vor, in der Einsamkeit seinen magischen Forschungen nachzugehen. Ihm war gestattet worden, südlich der Sinkenden Stadt am südlichsten Zipfel der sumpfländischen Küste einen Turm zu errichten, in dem er seinen Studien nachging. Dafür musste er zwei Dinge tun: Nachts ein Leuchtfeuer für ankommende Schiffe entzünden und außerdem mit einem fliegenden Schiff der Herrscherfamilie für Reisen zur Verfügung stehen.

Allerdings traf Asanil oft genug unpünktlich an einem vereinbarten Treffpunkt ein, sodass es Königin Taleena und König Hadran oft genug bevorzugten, auf herkömmliche Weise zu reisen – entweder zu Pferd oder mit ganz gewöhnlichen Seeschiffen.

Asanils Unzuverlässigkeit war dabei gar kein böser Wille, wie  Candric von seiner Mutter mal erklärt worden war. „Elben werden sehr alt, viel älter als Menschen“, hatte er ihre Worte noch im Ohr. „Niemand weiß genau, wie alt eigentlich. Es können Jahrtausende sein. Ein Tag ist für sie nur ein Moment und wenn Asanil gerade in eine seiner magischen Schriften vertiefst ist, kann es durchaus sein, dass er die Zeit völlig vergisst!“ 

Verlässlich war Asanil also nicht.

Und Candric hatte sich auch bei dieser Reise schon innerlich darauf vorbereitet, dass der Elbenmagier sie vielleicht im Stich ließ. Das hätte einen langen Ritt zurück zum Palast von Aladar bedeutet.

Candric war froh, dass im dies nun erspart blieb.

13

Asanils Himmelsschiff landete in der Bucht, an der die Trutzburg lag und legte dann an der Kaimauer des kleine Hafens an, der zur Burg gehörte. Schiffe legten hier allerdings selten an und wenn, dann blieben sie nicht lange, denn oft genug schon waren die Orks auch über das Meer gekommen – entweder mit Flößen oder auf den Rücken von riesigen Meeresschildkröten, die sie dressiert hatten. Wenn dann Schiffe im Hafen lagen, zerschlugen sie die einfach und schafften das Holz fort, das sie anschließend wohl als Brennholz benutzten.

So war Asanils Himmelsschiff im Augenblick das einzige Schiff an der Kaimauer des Trutzhafens.

Candric und sein Vater trafen dort ein und auch der königliche Burgverwalter Saragan ließ es sich nicht nehmen, den König und seinen Thronfolger zu verabschieden.

Asanil war ein hochgewachsener Elb in einem grauweißen Gewand aus feinster Elbenseide, das die Eigenschaft hatte, keinen Schmutz haften zu lassen, so dass man es nie waschen brauchte.  Sein Haar war schlohweiß. Spitze Ohren stachen daraus hervor. Die Augen waren etwas schräggestellt und goldfarben. Im Gegensatz zum Kopfhaar waren die Augenbrauen schwarz. Sie bogen sich an den Seiten etwas nach oben.

Hinter einem breiten Gürtel steckte ein Metallstab, von dem Candric wusste, dass Asanil ihn zu allen möglichen magischen Ritualen benötigte. Außerdem trug er einen Dolch und mehrere kleine Ledertaschen an diesem Gürtel, dessen Oberfläche an Schlangenhaut erinnerte.

Dass Asanil kein kein gewöhnlicher Elb war, konnte man schon daran sehen, dass er sich einen langen Bart hatte stehen lassen, was ansonsten unter Elben unüblich war.

Schon dadurch schien Asanil zu zeigen, dass ihn mit dem Fernen Elbenreich und dessen König Péandir nichts mehr verband.

Asanil stand an der Reling seines Schiffs, während ein offenbar gut dressierter Affe damit beschäftigt war, die Taue zu befestigen, mit denen das Himmelschiff festgemacht war. Candric und sein Vater gingen an Bord.

„Seid gegrüßt“, sagte Asanil. „Wenn es recht ist, werde ich mich nicht lange an diesem ungastlichen Ort aufhalten und sofort wieder in die Luft aufsteigen.“

„Das ist mir sehr recht“, erwiderte König Hadran. „In Aladar warten nämlich dringende Staatsgeschäfte auf mich. Und es wäre schön, wenn wir dort so schnell wie möglich eintreffen würden.“

Das war Candric natürlich auch am liebsten.

Schließlich hatte er die gesamte Reise ja ohnehin nur widerwillig mitgemacht.

Der Affe sprang über Deck und begrüßte Candric freudig, indem er ihm die Hand schüttelte und einen Kopfstand machte. Dann sprang er an Candric hoch und riss ihn dabei fast zu Boden, als er sich mit seinen langen Armen an ihm festklammerte.

„Ist ja gut, Hugonil, ich freue mich ja auch, dich zu sehen!“, versuchte Candric ihn zu beruhigen. Asanil hatte sich redlich Mühe gegeben, Hugonil das Sprechen beizubringen. Aber selbst Asanils fortgeschrittene elbische Magie hatte ihm dabei offenbar nicht zum Erfolg führen können. Hugonil der Affe konnte zwar alles verstehen, was man ihm sagte, aber kein Wort sprechen.

„Mach die Leine wieder los! Wir brechen auf!“, rief Asanil.

Er und sein Affe waren die gesamte Besatzung des Himmelsschiffs. Offenbar war auch ansonsten niemand dafür notwendig, um es zu lenken.

Während der Affe sich aufgeregt schnaubend daran machte, die Taue wieder zu lösen, die er gerade erst befestigt hatte, wandte sich Asanil an Candric. „Du wirst jetzt einen Flug auf dem einzigen Himmelsschiff erleben, das es auf dem ganzen Erdenrund gibt! Denn ich Asanil der Magier, habe den Zauber der Gewichtslosigkeit und der metamagischen Winde entdeckt, die dieses Schiff vorantreiben! Und nur ich vermag sie zu beherrschen!“

Candric verdrehte die Augen.

Diesen Spruch hatte er schonmal gehört – und zwar, als sie von Aladar aus ins Sumpfland aufgebrochen waren.

Der Elbenmagier schien die Verwunderung in Candrics Gesicht zu bemerken. Er runzelte die Stirn und sagte dann: „Habe ich mich vielleicht wiederholt?“

„Das ist nicht so schlimm, Asanil“, erwiderte Candric höflich.

Asanil kratzte sich am Kinn. „Eigenartig, ich dachte, das wäre ein anderer Junge gewesen, dem ich das schonmal gesagt habe...“

„Das wird vielleicht mein Großvater gewesen sein“, meinte Candric.

Asanil seufzte. „Gut möglich. Die Generationen wechseln bei euch Menschen so schnell, da kann man schonmal durcheinander kommen.“

14

Hugonil hatte schnell die Taue wieder gelöst.

Mit einem durchdringenden Schrei machte der Affe dies deutlich.

„Nicht so laut, da bekommt ein Elb ja Ohrenschmerzen!“, rief Asanil zurück. Elben hatten ganz besonders empfindliche Sinne, sehr gute Augen und äußerst empfindliche Ohren. Lautes Geschrei war deswegen nur schwer für sie zu ertragen, zumal wenn Elben davon überrascht wurden und er sich nicht vorher darauf einstellen und sein Gehör etwas abschirmen konnte.

Schuldbewusst stieß Hugonil nun einen sehr verhaltenen, fast wimmernden Laut aus. Dann kletterte er in Windeseile die Aufbauten empor und schwang sich mit einem Seil zum Mast.

Asanil hingegen nahm seinen Stab aus seinem Gürtel, hob sein Ende in Richtung des noch immer schlaff vom Mast hängenden Segels und murmelte dazu ein paar Worte in elbischer Sprache dazu – offenbar eine magische Formel, wie Candric annahm.

Das Schiff begann sich wie von selbst und ohne dass sich das Segel auch nur ein bisschen blähte, aus dem Hafen zu fahren. Dann hob es von der Wasseroberfläche ab und stieg in die Lüfte. Candric musste sich an der Reling festhalten, da das Himmelsschiff für ein paar Augenblicke eine etwas stärkere Neigung hatte, ehe es schließlich ruhig davonflog. Man hatte trotz des dunstigen Wetters, das im Sumpfland nichts Besonderes war, eine hervorragende Sicht, denn schon bald ließ Asanil das Schiff so hoch steigen, dass es sich über den tiefhängenden Dunstwolken befand.

Bis zu den Ork-Bergen konnte man sehen.

„Habt Ihr ein Fernrohr?“, fragt Candric an den Elbenmagier gewandt, denn er hätte gerne die Gelegenheit genutzt, um sich dort etwas umzuschauen. Aber Asanil schüttelte den Kopf.

„So etwas braucht man nicht, wenn man gute Elbenaugen im Kopf hat!“, meinte er und machte dann eine verächtliche Handbewegung. „Das ist ein Hilfsmittel für halbblinde Menschen... Tut mir Leid, aber mit so etwas kann ich nicht dienen.“

„Schade“, murmelte Candric.

Asanil wandte sich nun an König Hadran. „Ich habe bei meinem Flug zur Trutzburg gesehen, dass die Arbeit an den Gräben nicht so recht vorangekommen zu sein scheint. Selbst für meinen langsamen Elbenzeitsinn scheint da nicht viel geschehen zu sein – und dass, obwohl ich zahlreiche Zugelefanten und Waldriesen bei der Arbeit gesehen habe!“

„Das habt Ihr leider richtig bemerkt“, musste König Hadran zugeben. „Wir hatten einen schweren Ork-Angriff, bei dem tausende von Hornechsen-Reitern einen Großteil der Arbeit zunichte gemacht haben.“

„Ich hoffe sehr, dass Ihr Euch davon nicht entmutigen lasst“, gab der Elbenmagier seiner Sorge Ausdruck. Asanil hatte selbst ein ganz unmittelbares Interesse daran, dass die Entwässerung des Sumpflandes vorangetrieben wurde. „Wenn nämlich nichts geschieht und man den Dingen ihren Lauf lässt, dann wird das ganze Sumpfland früher oder später wieder ein Teil des Meeres werden. Mein Turm sinkt jedes Jahr etwas tiefer in den Untergrund ein – und dasselbe gilt für die Mauern der Sinkenden Stadt, die jedes Jahr um eine Lage von Steinen erhöht werden muss, um das Einsinken auszugleichen!“

„Ich weiß, ich weiß...“, versicherte König Hadran.

„Diese Worte habe ich auch schon vom Vater Eurer Gemahlin gehört – und von dessen Vater! Aber ein wirklich durchschlagenden Erfolg bei der Entwässerung des Sumpflandes kann ich nicht erkennen! Im Gegenteil!“

König Hadran seufzte. „Meiner Gemahlin und mir ist der Ernst der Lage bewusst“, versicherte er. Candric erinnerte sich daran, dass immer wieder Gesandte des Bürgermeisters der Sinkenden Stadt am Hof von Aladar erschienen waren, um zum König oder zur Königin vorgelassen zu werden und Gehör zu finden.

„Ihr habt dieses Problem ja durch Eure Heirat mit der Königin von Sydien gewissermaßen mitgeheiratet“, sagte Asanil. „Und bei allen Elbengeistern, ich beneide Euch nicht darum! Aber wenn es nicht gelingt, das überschüssige Wasser, das jedes Jahr aus den Ork-Bergen ins Sumpfland fließt, abzuleiten, dann hat das Auswirkungen bis zur Sinkenden Stadt und meinem Turm, obwohl beide weit entfernt sind!“

„Es sind die ständigen Ork-Angriffe, die schon seit langem ein Fortschreiten der Arbeiten behindern“, erklärte Hadran.

15

Asanil ließ das Himmelschiff einen Bogen über die Bucht fliegen und lenkte es dann über das Sumpfland. Es beschleunigte und unter ihnen flog die Moorlandschaft nur so dahin – so schnell war es schließlich.

Asanil ging zum Achterdeck, wo sich das Steuerruder befand. Candric und Hadran folgten ihm, während der Affe Hugonil ausgelassen in den Seilen herumkletterte. Das Steuerrad war aus dunklem Holz und die Griffe reich verziert. In der Mitte war ein geschnitztes Gesicht zu sehen, dessen Ausdruck sich immer wieder leicht veränderte, so als wäre es lebendig.

Das Rad drehte sich vollkommen selbstständig, so als wäre dort eine unsichtbare Hand am Werk.

„Wir haben gute metamagische Winde“, behauptete Asanil. „Seht nur, wie schnell wir vorankommen!“ Und während Asanil das voller Freude sagt, saß der Affe Hugonil auf dem Quermast und applaudierte durch heftiges Klatschen.

„Was sind eigentlich metamagische Winde?“, fragte Candric an den Elbenmagier gewandt.

Auf den bisherigen Fahrten mit dem Himmelsschiff, an denen er  teilgenommen hatte, war er nicht mutig genug gewesen, Asanil danach zu fragen. Aber die Frage beschäftigte ihn schon, seit er diesen Ausdruck zum ersten Mal gehört hatte.

Leider gab es in der großen königlichen Bibliothek in Aladar kein Buch, das ihm zu diesem Thema hätte Auskunft geben können.

Zumindest hatte Candric trotz aller Bemühungen nichts entsprechendes gefunden.

„Metamagische Winde? Bei allem Respekt vor einem zukünftigen König – aber das ist Elbenwissen und es hätte keinen Sinn, dir das zu erklären.“

„Aber warum nicht? Ich habe viele Bücher aus unserer Palastbibliothek gelesen und wenn man etwas etwas wirklich lernen und begreifen will, gibt es keine Hindernisse für den Geist!“

„Oh, ein weiser Spruch!“

„Er stammt von meinem Großvater mütterlicherseits...“

„Ja, ich erinnere mich, der hatte immer solche Sprüche auf den Lippen – aber leider war er im Irrtum.“

„Weshalb?“

„Weil es für den menschlichen Geist durchaus Hindernisse gibt. Bei Elben mag das ja etwas anderes sein... Und auch wenn du für einen Menschenjungen noch so schlau sein magst, Candric: Du würdest nicht lange genug leben, um zu begreifen, was metamagische Winde wirklich sind. Selbst wenn du neunzig oder hundert Jahre alt würdest! Also hat es gar keinen Sinn, überhaupt erst damit anzufangen, es dir zu erklären, wie ich finde!“

„Findet Ihr nicht, dass das etwas überheblich klingt?“, mischte sich nun König Hadran ein und der Affe Hugonil schien dieser Bemerkung ausdrücklich zuzustimmen, denn er klatschte erneut hoch oben vom Quermast aus Beifall.

„Manchmal hat es sein Gutes, dass es mir bis jetzt nicht gelungen ist, dir das Sprechen beizubringen!“, rief der Elbenmagier zu dem Affen hinauf, woraufhin dieser einen Knurrlaut über die Lippen brachte.

Dann wandte sich Asanil wieder dem König zu. „Es ist einfach die Wahrheit, die ich ausspreche“, erklärte er. „Und ich denke, dass ein zukünftiger König diese Wahrheit vertragen sollte, findet Ihr nicht, Majestät?“

16

Sie flogen über das Sumpfland und erreichten schließlich den langen Fjord, einen Meeresarm, der tief ins Binnenland hineinragte. An diesem Fjord lag auch die Sinkende Stadt, deren Mauern und Gebäude man schon von weitem sehen konnte. Zu sehen waren allerdings auch Stadtteile, die bereits vor vielen Jahren aufgegeben worden waren, weil die Häuser zu stark in den Boden eingesunken waren. Von manchen Gebäuden konnte man gerade noch Mauerreste und Teile des Dachs aus der Erde herausragen sehen. Diese Gebiete waren wie eine Mahnung für die Einwohner der Sinkenden Stadt, dass ihren Häusern eines Tages dasselbe bevorstehen würde.

Auf der gegenüberliegenden Seite des langen Fjords lag die Stadt Reela – und beide Orte waren durch eine Brücke miteinander verbunden, die sich über die gesamte Breite des langen Fjords spannte.

„Seht, mein Meisterwerk!“, stieß Asanil hervor, als die Brücke zu sehen war.

Candric kannte das schon, denn bereits auf dem umgekehrten Weg hatte Asanil die von ihm geschaffene Brücke bewundert.

Es war nämlich eine magische Brücke, denn für eine gewöhnliche wäre der lange Fjord viel zu breit gewesen. Kein menschlicher Baumeister hätte eine Verbindung zwischen Reela und der Sinkenden Stadt errichten können. Aber Asanils magische Baukunst hatte dieses Kunststück fertig gebracht. Allerdings musste der Elbenmagier alle paar Jahre den Zauber erneuern, der die Brücke gegen alle Naturgesetze aufrecht erhielt.

Asanil hob die Schultern und seufzte hörbar.

„Ist es nicht bedauerlich, dass man meine Künste nicht zu schätzen weiß? Seht euch dieses Himmelschiff an! Wisst ihr, was der Elbenkönig meinte, als ich ihm einst vor vielen Zeitaltern meine Pläne für ein Himmelsschiff zeigte, dass von metamagischen Winden angetrieben wird? Eine sinnlose Erfindung nannte er es!“ Asanil schüttelte den Kopf.

„War das der Grund dafür, dass Ihr Euch mit den Elben zerstritten habt?“, fragte Candric.

Das Gesicht des Elbenmagiers wurde jetzt sehr düster. „Ich habe schon zu viel darüber gesagt und möchte nicht weiter darüber sprechen“, murmelte er finster vor sich hin. „Aber ihr könnt euch freuen! Denn dadurch habt ihr das Vorrecht, auf dem ersten und einzigen Himmelsschiff auf dem ganzen Kontinent Athranor zu fliegen, während der hochmütige König des Fernen Elbenreichs nur davon träumen kann zu fliegen!“

17

Als es Abend wurde und die Dämmerung hereinbrach, erreichten sie Sydos, die alte Hauptstadt Sydiens. Manche waren hier nicht so gut auf Königin Taleena und König Hadran zu sprechen, denn durch die Vereinigung von Sydien und Westanien zum Königreich Beiderland hatte Sydos seinen Status als Hauptstadt verloren. Die war seitdem nach Aladar verlegt worden, das zuvor eine unbedeutende Küstenstadt an der Mündung des Roten Flusses gewesen war.

Inzwischen war daraus allerdings die größte Stadt des vereinigten Landes geworden.

Sie überflogen das Rote Gebirge, das wegen seine rötlich schimmernden Felswände so hieß. Dort entsprang auch der Rote Fluss, der lange Zeit die Grenze zwischen Westanien und Sydien gewesen war.

Dass inzwischen die Dunkelheit vollends hereinbrach und man kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte, weil der Mond sich zumeist hinter einer dichten Wolkendecke verbarg, störte Asanil nicht im mindesten. Mit seinen scharfen Elbenaugen war es auch unter diesen Umständen ein Leichtes, dem Fluss sicher zu folgen und nicht vom Weg abzukommen.

Der Affe Hugonil fühlte sich dabei allerdings weit weniger wohl. Er kauerte seit Einbruch der Dunkelheit meistens auf dem Achterdeck in der Nähe des sich selbst drehenden Steuerrades, dessen sich veränderndes Gesicht er aufmerksam beobachtete. Zumindest, so fern davon noch etwas zu sehen war. Das war allerdings nur dann der Fall, wenn ausnahmsweise mal für eine Weile Mond und Sterne vom Himmel leuchteten.

18

Gegen Mittag des folgenden Tages schließlich erreichte das Himmelsschiff Aladar. Die Stadt lag auf einer Flussinsel, dort wo der rote Fluss ins Meer mündete. Früher hatte diese Insel - und auch der damals noch sehr kleine Ort Aladar selbst – zu keinem der beiden Reiche gehört. Das Gebiet war Niemandsland gewesen – also genau der passende Ort, um die neue, gemeinsame Hauptstadt zu errichten, so hatte man seinerzeit gedacht.

Jetzt stand dort eine prächtige Hauptstadt mit eine großen Palast, imposanten Mauer und einem Hafen, in dem sicher mehr als hundert Schiffe lagen. Wie ein Ameisenhaufen sah es in den Straßen von Aladar aus, wo es Dutzende von Märkten gab. Und bei den Kaimauern am Hafen wurden Waren aus aller Herren Länder umgeschlagen.

Mächtige Stadtmauern schützten diesen Ort gegen jede nur denkbare Bedrohung – und selbst eine Horde Orks, die auf Hornechsen oder Riesenskorpionen angeritten kamen, hätten die Festungsanlagen nicht überwinden können.

Obwohl das Himmelsschiff des Elbenmagiers Asanil immer wieder am Himmel über Aladar zu sehen war, reichte das Erscheinen dieses majestätisch wirkenden Gefährts immer noch aus, damit sich die Menschen in den Straßen und auf den Marktplätzen der Stadt die Hälse verrenkten und zusammenliefen.

„Ich werde Euch die Mühe ersparen, vom Hafen aus zu Fuß durch die Stadt zu gehen“, kündigte Asanil an.

„Braucht Ihr denn kein Wasser, um zu landen?“, fragte Candric etwas verwirrt, denn wann immer bisher das Himmelsschiff hatte niedergehen sehen, war dies auf irgendeiner Wasserfläche gewesen. Entweder im Meer oder auf dem Fluss, was gar nicht so  einfach war, weil es auf diesem Teil des Roten Flusses von Handelsschiffen nur so wimmelte.

Zumeist war Asanil daher im Meer gelandet, wo Platz genug war, und hatte das Schiff anschließend in den Hafen von Aladar fahren lassen, wo sich bis dahin dann stets eine große Menge von Schaulustigen versammelt hatte.

„Du hast recht“, gab Asanil zu. „Was aber, wenn ich das Himmelsschiff in der Luft lasse und ihr über eine Strickleiter aussteigt? Dann könnte ich euch direkt in den Palast bringen und beispielsweise auf dem Hauptturm absetzen!“ Hugonil klatschte laut und kletterte von seinem Stammplatz auf dem Quermast herunter, um sich auf dem Achterdeck bequem hinzusetzen. Asanil wandte sich an König Hadran. „Nun, was ist Eure Meinung, Majestät!“

„So fern Ihr dieses Flugmanöver sicher beherrscht, habe ich nichts dagegen“, erklärte der König nach einigem Zögern.

„Ihr könnt Euch sicher sein, dass ich es beherrsche. Und gut erprobt ist es obendrein – und zwar an meinem eigenen Turm! Seit Jahren ist der Untergrund um den Turm herum nämlich so feucht, das man kaum je darüber laufen kann, ohne sich nasse Füße zu holen, wenn man von der Anlegestelle kommt. Und da war ich es gründlich leid...“

19

So lenkte Asanil das Himmelsschiff geradewegs über den Hauptturm des Palastes. Dazu verließ sich der Elbenmagier ausnahmsweise nicht auf die magische Steuerung, mit deren Hilfe er ansonsten das Schiff zu lenken schien – ein Schiff, das im übrigen keinen Namen zu haben schien. Zumindest hatte Candric Asanil nie einen erwähnen hören, wie dem Jungen jetzt auffiel.

Hugonil warf eine Strickleiter herab und König Hadran kletterte bereits hinunter.

„Ihr wisst ja, wie Ihr mich rufen könnt, wenn Ihr meine Hilfe braucht!“, rief der Elbenmagier dem König hinterher. „Tut mir allerdings einen Gefallen und schickt nicht wieder Brieftauben, die zu dumm sind, meinen Turm zu finden und dann ziellos im ganze Sumpfland herumfliegen!“

„Wie heißt eigentlich Euer Schiff?“ wandte sich Candric an Asanil, bevor der Thronfolger sich dann anschickte, ebenfalls hinabzusteigen.

„Junger Prinz, dieses Himmelsschiff ist vollkommen einzigartig – und wer einzigartig ist, braucht keinen Namen, um von anderen unterschieden zu werden.“

„Nun, wenn Ihr das sagt...“

„Dies ist einfach das Himmelsschiff und fertig!“

„Es war nur eine Frage, werter Asanil!“

Der Elbenmagier verenge etwas die Augen und musterte Candric auf eine ganz besondere Weise, wobei er sehr nachdenklich wirkte. „Du bist ein aufgeweckter Kerl, Candric. Irgendwie erinnerst du mich an einen deiner Vorfahren. Ich weiß nur nicht mehr genau, an welchen von ihnen. Sie sahen sich alle so verflucht ähnlich...“

20

Als Candric wenig später noch dem davonfliegenden Himmelsschiff nachsah, stand der Affe Hugonil am Heck und winkte.

Candric winkte zurück.

Er war heil froh, wieder in Aladar zu sein. Innerhalb des Palastes fühlte er sich wohl und geschützt – und selbst in den Straßen oder am Hafen war ihm alles sehr viel angenehmer, als in der Trutzburg des Sumpflandes oder an anderen entlegenen Orten, die er nur deshalb aufzusuchen hatte, weil seine Eltern der Meinung waren, dass dies zu den Aufgaben eines zukünftigen Königs gehörte.

Jedenfalls wird kein Ork jemals bis hier her kommen!, dachte Candric. Davor schützten nicht nur die mächtigen Mauern der Stadt und des Palastes, sondern auch die weite Entfernung.

„Na, Candric, wie war deine Reise?“, hörte er eine wohl vertraute Stimme.

Sie gehörte Taleena, der Königin von Sydien – seiner Mutter.

Er drehte sich um und begrüßte sie freudig.

„Ich glaube, es war halb so schlimm für ihn“, war König Hadran überzeugt. „Oder?“

„Naja, es ging so“, erwiderte Candric.

Königin Taleena lächelte. Sie trug ein samtenes Kleid und hatte das Haar zu einer kunstvollen Frisur aufgesteckt. Um den Hals trug sie eine kostbare Kette aus dem Staatsschmuck der Königin. „Jetzt kannst du dich ja wieder erstmal ein paar Tage bei deinen geliebten Büchern verkriechen!“, tröstete sie ihn. „Und außerdem wird dir der Koch ein Leibgericht zubereiten... Ich nehme an, in der Trutzburg war die Verpflegung nicht gerade königlich!“

„Das kann man wohl sagen!“, stimmte Candric zu. „Wenn der Aufenthalt im Sumpfland noch länger gedauert hätte, dann wäre ich mit Sicherheit ganz dünn geworden.“

„Nun übertreibe mal nicht“, sagte König Hadran  mit gerunzelter Stirn. „Zwischendurch mal etwas anderes zu essen, als die Speisen deines Leibkochs, der sich völlig auf deinen Geschmack eingestellt hat und nur noch das zubereitet, was du magst, kann nicht schaden! Dadurch lernst du vielleicht, dass der Reichtum eines Königs nichts Selbstverständliches ist und dass die meisten deiner Untertanen unter sehr viel einfacheren Umständen leben...“

Candric seufzte. „Jedenfalls habe ich jetzt einen Mordshunger!“, gestand er. „Und ich bin gespannt darauf, was der Leibkoch sich für meine Rückkehr ausgedacht hat und ob er vielleicht diesmal daran denkt, dass ich immer gerne eine Extraportion Salz essen mag!“

„Sei froh, dass du kein Ork bist und dich einfach nur von ungebratenen Riesenschrecken ernähren musst!“, gab der König etwas ungehalten zurück. „Und vergiss nicht, dass du nachher noch üben musst.“

„Üben?“, fragte Candric irritiert.

König Hadran nickte. „Schwertkampf, Speerwurf, Lanzenstoßen vom Pferd aus und Bogenschießen... Die Ritterspiele für den Nachwuchs stehen vor der Tür und du als Thronfolger und Prinz kannst dich da nicht blamieren!“

Die Ritterspiele! Die hatte Candric schon fast vergessen – oder besser gesagt, er hatte sich alle Mühe gegeben, sie zu vergessen, denn allein der Gedanke daran erfüllte ihn schon mit Grausen.

Sinnlos mit Übungsschwertern aus Holz aufeinander einzudreschen oder sich gegenseitig mit einer abgestumpften Lanze aus dem Sattel zu stoßen und sich dabei blaue Flecken zu holen, erschien ihm so sinnlos wie nur irgendwas.

„Und da heißt es immer, ein König hätte es im Reich zu sagen! Dabei scheint ihr mich auf ein Leben in Sklaverei vorzubereiten, in dem ich nicht das Geringste selbst bestimmen darf!“, entfuhr es ihm.

21

Am Nachmittag musste er mit einem eigens dafür angestellten  Fechtlehrer den Schwertkampf üben. Der Fechtlehrer hieß Arratich und war inzwischen schon etwas älter. Aber früher, als er noch jünger gewesen war, hatte er eine ganze Reihe von Schau-Turnieren gewonnen. Durch ganz Westanien war er dabei gezogen, immer von Turnier zu Turnier, und hatte von den Preisgeldern gelebt, die er dabei verdient hatte.

Jetzt trainierte er den Sohn des Königspaares, aber es war selten vorgekommen, dass er an einer Aufgabe dermaßen verzweifelt war.

Candric hatte nämlich wirklich kein Talent.

Er war verträumt, dachte offenbar während des Übungskampfes an andere Dinge und reagierte dadurch zu langsam.

Ein ums andere Mal schlug daher Arratich seinem Schüler das Übungsschwert aus der Hand. „Du hast Glück, dass es nur aus Holz ist und du dich nicht daran verletzten kannst“, entfuhr es Arratich ziemlich ungehalten.

„Ich werde eines Tages König – und nicht Krieger in der Stadtwache“, erwiderte Candric daraufhin genauso ungehalten. „Warum soll ich diesen Mist also überhaupt lernen?“

„Zum Beispiel, könnte dir eines Tages ein wilder Ork begegnen und dann bist du sicher heilfroh, wenn du dich wehren kannst!“, erwiderte Arratich. „Die machen nämlich ansonsten kurzen Prozess mit jedem, der ihnen in die Quere kommt!“

„Die wichtigste Waffe eines Königs sollte die Redekunst sein“,  erwiderte Candric.

„Oh, wer hat dir diesen schönen, aber falschen Spruch denn eingeflüstert?“, fragte Arratich.

„Mein Vater, der König – nur leider hält er sich selbst nicht daran und lässt mich an diesem Nachwuchsritterturnier teilnehmen.“

„Nun, ich schlage vor, wir machen das Beste daraus und du siehst zu, dass du doch noch wenigstens ein paar von den Tricks erlernst, die ich dir schon seit geraumer Zeit beizubringen versuche...“

Aber Candric wirkte ziemlich hoffnungslos. „Ich werde mich auf jeden Fall fürchterlich blamieren“, war er überzeugt. „Bis zum Turnier schaffe ich das nicht mehr... Und wahrscheinlich schaffe ich es nie!“

„Nun komm schon, wer wird so schnell aufgeben?“, fragte Arratich. Man konnte ihm die Ratlosigkeit inzwischen deutlich ansehen, denn natürlich wusste auch der Fechtlehrer, dass er nicht in der Kürze der Zeit aus einem ungeschickten, fast tolpatschigen Kämpfer einen vollendeten Ritter machen konnte, der sein Schwert nur so durch die Luft wirbeln ließ und vielleicht sogar gleich mehrere Gegner auf einmal davon jagte.

22

Am Abend wurde im Audienzsaal ein königliches Bankett abgehalten, zu dem viele hochherrschaftliche Gäste geladen waren. Es waren Adelige und Kaufleute aus dem ganzen Beiderland, wobei stets peinlich genau darauf geachtet wurde, dass ungefähr die gleiche Zahl an Gästen jeweils aus Westanien und Sydien stammten. Schließlich sollte nicht der Eindruck erweckt werden, dass einer der beiden Teile des neuen Reichs in irgendeiner Weise benachteiligt wurde.

Und so hielt dann zunächst Hadran, der König von Westanien eine kleine Ansprache und anschließend Taleena, die Königin von Sydien. Ein Diener maß die Zeit dafür mit einer Sanduhr genau ab.

Candric hörte kaum zu. Er saß zwischen seinen Eltern am Tisch und und seine Aufgabe würde es am Ende sein, das Mahl zu eröffnen. Candric kannte das schon von unzähligen Festbanketten zuvor, die alle auf ähnliche Weise veranstaltet worden waren.

Kompliziert war auch die Sitzordnung – denn je nach dem, wie nah und oder fern ein Gast vom Königspaar aus platziert worden war, konnte der Eindruck erweckt werden, dass er bevorzugt oder benachteiligt wurde.

An einem der Tische entdeckte er Kara, ein Mädchen, das im gleichen Alter war wie er. Sie sah zu ihm hin und lächelte. Kara war die Tochter des Haushofmeisters, der für den Ablauf der Feste im Schloss von Aladar verantwortlich war.

Der Haushofmeister war damit einer der wichtigsten Beamten am Hof – denn von seinem Geschick hing es nicht selten ab, ob es Missstimmungen zwischen den Adeligen aus Westanien und Sydien gab.

Missstimmungen, die unter Umständen zu einem Bürgerkrieg und zur Spaltung des vereinigten Reiches von Beiderland führen konnten. Früher hatte es schließlich häufig Kriege zwischen Westaniern und Sydiern gegeben. Erst die Gefahr durch die Orks und die Heirat von Candrics Eltern hatte das dauerhaft geändert.

Candric war müde.

Er unterdrückte ein Gähnen.

Auf Asanils Himmelsschiff hatte er kaum geschlafen, was sich jetzt bemerkbar machte. Und davon abgesehen, war so ein Bankett auch keine besonders interessante Angelegenheit. Am liebsten hätte er sich mit Kara unterhalten, denn mit ihr verstand er sich gut. Aber auch das war im Augenblick unmöglich. Alle Augen waren schließlich auf ihn gerichtet. Candric zerteilte mit dem Besteck sein Stück Fleisch. Immerhin war er darin geschickter, als im Schwertkampf.

„Es ist Vollmond“, sagte der Graf von der Drachenküste, der Candric gegenüber saß. Man hatte ihn vor kurzem zum Kommandanten der Kriegsflotte des vereinigten Reiches gemacht und deswegen saß er wohl an diesem herausgehobenen Platz. Zwar war er ein Westanier, hatte aber eine Sydierin als Urgroßmutter, was natürlich groß herausgestellt wurde, damit auch die sydischen Kapitäne ihn anerkannten.

Candric unterdrückte erneut ein Gähnen und der Graf von der Drachenküste lächelte verständnisvoll. „Bei Vollmond kann man entweder gar nicht schlafen oder wird besonders schnell müde. So sagen zumindest die Fischer der Drachenküste... Ihr braucht Euch also nicht zu schämen, Majestät. Ich bin überzeugt davon, dass es noch ein paar andere hier im Bankettsaal gibt, die sich ihren Mund zuhalten müssen!“

„Nun, wenn Ihr das sagt, Graf!“, erwiderte Candric höflich.

23

Später, als es Musik und Tanz gab und zwischendurch noch Grußbotschaften von weit entfernten Grafschaften des Reiches verlesen wurden, durfte sich Candric zurückziehen.

„Aber dass du wirklich schläfst und nicht in die Bibliothek gehst“, ermahnte ihn Königin Taleena.

„Ja, sicher“, versprach er.

Aber Candric hatte nicht einen einzigen Augenblick daran gedacht, sich daran zu halten.

Er ging in die Bibliothek, betrachtete die langen Reihen von in Leder gebundenen Bänden, die in den Regalen standen und die Schriftrollen, die in zylinderförmige Schutzhüllen aus Leder gesteckt wurden. Jetzt noch etwas zu lesen, dazu war er wahrscheinlich zu müde. Aber er mochte die Bibliotheksräume einfach. Und außerdem war er hier mit seinen Gedanken allein. Er dachte an den Flug mit Asanils Himmelsschiff, an die Orks und ihre Hornechsen...

Ja, er hatte das Gefühl viel erlebt zu haben – aber um so glücklicher war er, wieder im heimatlichen Palast zu sein, wo alles so wohl geordnet war und man sich vor nichts fürchten musste. Er fragte sich, wie all die Oger und Waldriesen, die die Gräben im Sumpfland aushoben überhaupt damit leben konnten, dass jeder Zeit eine Horde Orks über die Berge kommen und sie überfallen konnte?

„Ich habe mir schon gedacht, dass du hier bist“, hörte er dann eine Stimme.

Es war Kara.

Candric drehte sich um. Plötzlich war die Müdigkeit gar nicht mehr so stark und der junge Prinz fragte sich, ob sie vielleicht in erster Linie durch die gähnende Langeweile und die schlechte Luft bedingt gewesen war, die im Bankettraum geherrscht hatte.

„Schön, dass du da bist!“, sagte er.

„Ich habe gesehen, wie das Himmelsschiff zurückgekehrt ist. Du hättest dich ruhig mal bei mir melden können!“

„Tut mir leid, aber ich hatte keinen Augenblick zum Durchschnaufen. Schwertkampfübungen und so fort...“

„Ja, ich weiß. Du bist ja hier im Palast die wichtigste Person.“

„Nun übertreib mal nicht.“

„Das ist keineswegs übertrieben, sondern die Meinung meines Vaters. Die Hochzeit von König Hadran und Königin Taleena hat das vereinige Reich von Beiderland begründet – aber eigentlich wird es erst in dem Moment wirklich vereinigt sein, wenn du den Thron besteigst. Und das wissen alle.“ Sie seufzte und strich sich eine Strähne ihrer langen Haare zurück, die sie zu seinem Zopf geflochten hatte. Diese eine Strähne allerdings hatte sich irgendwie aus ihrer Frisur herausgestohlen. Hochstecken durfte sie ihre Haare nicht, denn das war den Damen des Adels vorbehalten. Und so wichtig ihr Vater der Haushofmeister des königlichen Schlosses auch sein mochte – ein Adeliger war er eben nicht. „Es muss toll sein, für so wichtig gehalten zu werden!“, war sie überzeugt.

„Wir können ja gerne mal tauschen!“, sagte Candric etwas gereizt.

„Pass nur auf, am Ende gehe ich auf diesen Vorschlag ein!“, lachte sie.

Candric lachte auch.

Kara gehörte zu den ganz wenigen Menschen am Hof, die ihn einfach wie einen normalen Jungen behandelten – nicht wie den zukünftigen König. Und genau deshalb unterhielt er sich auch so gerne mit ihr.

Davon abgesehen liebte sie es ebenso wie er, in den Bücher der königlichen Bibliothek zu stöbern.

Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile und Candric erzählte ihr von den Dingen, die er während seiner Reise zur Trutzburg gesehen hatte. Vom Angriff der Orks, dem Auftauchen des Riesenschreckenschwarms und von Asanils Himmelsschiff.

Kara erzählte dann von den Dingen, die sich inzwischen in Aladar zugetragen hatten. Zum Beispiel, welche Vorbereitungen ihr Vater bereits für die Ausrichtung des Turniers des Ritternachwuchses getroffen hatte.

„Ach dieses – Turnier – ich darf gar nicht daran denken“, meinte Candric. „Ich träume schon schlecht davon!“

„Kannst du dich denn nicht einfach weigern, daran teilzunehmen?“, fragte Kara.

„Was glaubst du wohl, was ich dann zu hören kriege!“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das scheidet wohl aus. Vielleicht werde ich ja vorher krank und kann mich auf diese Weise vor dieser Sache drücken... Mal sehen!“

„Du könntest doch einen dieser Heiltränke probieren, die auf den Märkten von Aladar für gute Verdauung angepriesen werden. Wenn man etwas zu viel davon nimmt, wie meine Tante neulich, dann...“

„Meinst du, ich will meine Gesundheit schädigen?“, erwiderte Candric. „Nein, so etwas kommt nicht in Frage!“

„Tja, dann weiß ich im Moment leider auch nichts, was dir weiterhelfen könnte“, gestand Kara.

24

Es war schon Mitternacht, als sie sich schließlich von ihm verabschiedete, denn sie fing nun an, nach jedem zweiten Wort zu gähnen – und das konnte nun wohl kaum noch an der schlechten Luft des Bankettraums liegen, sondern hatte seinen Grund einfach darin, dass sie wohl hundemüde war.

Candric blieb noch in der Bibliothek.

Die Öllampen, die den Raum erhellten, flackerten nur noch und der Diener, dessen Aufgabe es eigentlich war, sie für die Nacht zu löschen, zog sich wieder zurück. Schließlich störte man den zukünftigen Herrscher nicht beim Lesen.

Und davon abgesehen war es auch keineswegs die erste Nacht, die Candric in der Bibliothek verbrachte, auch wenn seine Mutter ihn immer wieder ermahnte, dies zu lassen. Dennoch kam es immer wieder aufs Neue vor, dass er über einem interessanten Buch einfach einschlief.

Im Moment schwirrten ihm einfach so viele Gedanken durch den Kopf, dass er trotz großer Müdigkeit nicht hätte schlafen können. Er ging zu einem der Fenster und blickte hinaus. Die Bibliotheksräume gehörten zu den wenigen innerhalb des Palastes, die vollständig verglast waren – denn Glas war sehr teuer und kostbar und es gab nur wenige Handwerker, die es richtig verarbeiten konnten. Wie ein großes Auge stand tatsächlich der Vollmond am Himmel – so wie der Graf von der Drachenküste gesagt hatte.

Dieses verfluchte Turnier! Wenn ich nur irgendeinen Weg finden könnte, um dort nicht antreten zu müssen!, ging es ihm durch den Kopf.

Er sah sich schon auf dem letzten Platz in der Wertung stehen. Und alle anderen Teilnehmer würden sich hinter vorgehaltener Hand über ihn lustig machen. „Will König werden und kann noch nicht einmal mit dem Bogen schießen und ein großes Haus treffen, wenn er davor steht!“ Candric konnte sich die Kommentare lebhaft vorstellen.

Schließlich ging er zurück zu den Buchregalen und nahm sich einen Band heraus, in dem er besonders gerne und häufig las. „Die Geschichte der Elben, Orks und Menschen von Athranor“ hieß es und und ein unbekannter Verfasser hatte es vor vielen Jahrhunderten geschrieben.

Candric setzte sich auf den Boden und las in dem großen Lederfolianten, der so schwer war, dass man ihn nicht auf die Knie legen mochte, wenn man nicht wollte, dass einem die Beine einschliefen.

Er gähnte.

Und dann glaubte er zwischenzeitlich eine Stimme zu hören. Sie klang dumpf und dröhnend. Die Worte, die diese sprach, waren in einer andere Sprache. Sie hatten Ähnlichkeit mit den Zauberformeln, die der Elbenmagier Asanil hin und wieder vor sich hin murmelte und die ihm dabei halfen, das Himmelsschiff zu lenken.

Im ersten Augenblick schreckte Candric auf, denn er glaubte, diese Stimme wirklich gehört zu haben – bis er im nächsten Moment begriff, dass sie nur in seinen Gedanken existierte. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Du musst wirklich schon sehr, sehr müde sein!, ging es ihm durch den Kopf. Und einen Augenblick überlegte er tatsächlich, ob es nicht am Ende doch vielleicht das Beste war, sich ins Bett zu begeben und mal richtig auszuschlafen.

Aber er sich versah, wurde die Müdigkeit so stark, dass er einfach über dem Buch ins sich zusammensackt. Sein Gesicht lag auf den Seiten. Er nieste einmal, als ihm der Staub in die Nase stieg. Normalerweise konnte er trotz seiner großen Liebe zu Büchern den Staub nicht ausstehen, der jedesmal entstand, wenn man ein Buch aus dem Regal nahm oder auch nur unvorsichtig zuklappte. Deswegen hatte er sich angewöhnt, die Seiten immer nur sehr vorsichtig umzuschlagen, damit ihm ein Niesanfall nicht die ganze Freude verdarb.

Aber im Augenblick spielte das alles keine Rolle mehr.

Er dämmerte in einen Traum hinüber. In diesem Traum sah er ein  Feuer, das in einer Höhle loderte. Im Hintergrund war ein Haufen von Büchern zu sehen, auf denen Elbenrunen prangten. Wie schändlich wurden diese Bücher behandelt! Als ob es sich um Abfall oder Lumpen handelte, hatte man sie einfach auf dem feuchten Boden abgelegt. Die Seiten wellten sich zum Teil schon und so mancher Einbad ging schon aus dem Leim.

Ein hässliches Geschöpf hockte an diesem Feuer.

Ein Ork, der im Gegensatz zu allen anderen Vertretern dieser Art, die Candric je zu Gesicht bekommen hatte, fünf Hauer besaß anstatt nur vier.

Der Ork spuckte in die Flammen, die daraufhin ihre Farbe  leicht veränderten von grünlich in bläulich und anschließend wieder zurück. „Verfluchte Elbenmagie, warum funktionierst du nicht, wie es sein sollte!“, rief er aus und Candric wunderte sich darüber, dass er diese Sprache verstand, die aus einer Reihe von gurgelnden und zischenden Lauten zu bestehen schien - manchmal unterbrochen von Knack- und Würgelauten, die sich anhörten, als hätte der Ork genau jene Mittel genommen, die Kara ihm empfohlen hatte, um sich für das Turnier krank zu stellen.

Dann murmelte der Ork erneut eine Folge von Silben, deren Klang sich ganz anders anhörte und wieder viel mehr Ähnlichkeit mit der Sprache der Elbenmagie hatte, wie auch Asanil sie anwandte.

Das Traumbild, das Candric vor sich sah, verblasste und verschwamm innerhalb der nächsten Augenblicke. Die Stimme des Ork wurde dagegen lauter. Die magische Formel hallte unangenehm in Candrics Kopf wider – so intensiv, dass es schmerzte. Für einen kurzen Moment schien sich alles vor ihm zu drehen und er hatte das Gefühl, in einen dunklen Strudel zu fallen. War das noch ein gewöhnlicher Traum?

Im nächsten Moment sah er wieder den Ork in der Höhle vor sich.

Er sackte unsanft auf seinen Hintern und wandte den Kopf.

„Rhomroor?“, fragte der Ork am Feuer. Er kniff die Augen zusammen und kam auf Candric zu, fasste ihm an den Kopf und sah ihm ins linke Auge. Candric riss sich los, rappelte sich auf und lief auf den Ausgang der Höhle zu. Dort prallte er gegen eine unsichtbare Wand. Benommen taumelte er zu Boden, während sich abermals alles vor ihm drehte.

„Es hat geklappt! Endlich!“, rief der Ork und stimmte daraufhin ein lautes Gebrüll an. Mit den Fäusten trommelte er sich auf die Brust und stieß einen lauten Triumphgeschrei aus, der schließlich in einem lauten und langanhaltenden Rülpsen endete. „Drei Vollmonde musste ich abwarten und jetzt endlich! Diese verfluchte Elbenmagie ist ja doch besser als ihr Ruf!“

Es war schon etwas verwunderlich, so fand es Candric, dass er die Ork-Sprache, von der er niemals auch nur ein einziges Wort gelernt hatte, plötzlich offenbar fließend verstand.

Naja, in einem Traum ist schließlich alles möglich!, dachte er.

Candric erhob sich vorsichtig. Zum ersten Mal starrte er dabei auf eine Hände.

Ork-Pranken, wie sie größer und hässlicher nicht hätten sein können! Mit den krallenähnlichen Fingernägeln hätte man einen Apfel schälen können!.

Was ist dies nur für ein Albtraum!, durchfuhr es Candric, den jetzt ein namenloser Schrecken gepackt hatte. Er betastete nach und nach seinen Körper und konnte kaum glauben, was er da fühlte.

„Ich bin ein Ork!“, rief er – und seine Worte klangen eigenartig, so als wäre sie gar nicht für sein mit Hauern ausgestattetes Maul ausgedacht worden.

„Du sprichst noch die Menschensprache, das ist gut!“, meinte der Ork am Feuer, denn Candric zuvor weggestoßen hatte. „Damit ist jetzt sicher, dass der Austausch wirklich funktioniert hat!“ Der Ork rieb sich die Hände. „Wer hätte das gedacht ... der nächste König der vereinigten Reiche von Sydien und Westanien ist in Wahrheit ein Ork!“ Er kicherte vor sich hin, was dann in ein dumpfes Glucksen und Gurgeln überging.

„Austausch?“, fragte Candric. Diesmal benutzte er nicht seine Muttersprache, sondern die Sprache der Orks, die er offenbar nicht nur verstehen, sondern auch problemlos sprechen konnte. Ja, es war sogar so, dass es ihm viel leichter fiel, die Ork-Wörter auszusprechen, als es bei seiner Muttersprache der Fall war. „Was für ein Austausch?“, fragte Candric noch einmal. „Und wer bist du überhaupt? Ich muss in einen Albtraum geraten sein...“

„Eines kann ich dir versichern“, sagte der Ork. „Ein Traum ist das nicht, was du erlebst! Auch wenn du das im ersten Moment glauben magst!“ Er näherte sich Candrics Ork-Körper, packte ihn an dem schlammverschmierten Harnisch, den er trug und stellte ihn auf die Füße. Dann nahm er die riesenhafte Axt vom Boden auf, die wohl zuvor irgendwann dorthin gefallen war und drückte sie Candric in die Ork-Pranken. Dieser hatte eigentlich erwartet, dass die Streitaxt ihm schwer vorkommen würde – aber das war keineswegs der Fall. Sie fühlte sich so leicht an, dass Candric sich nur noch mehr wundern konnte.

Ich sollte versuchen mich ins Ohr zu kneifen!, dachte er. Vielleicht war dann dieser Schrecken genauso plötzlich zu Ende, wie er gekommen war.

Allerdings hatte der Königssohn inzwischen den leichten Verdacht, dass dem nicht so war.

„Sieh mich an!“, sagte der Ork. „Ich trage fünf Hauer in meinem Maul! Manche nenne das hinter vorgehaltener Hand eine Missbildung – ich nenne es einen Vorzug! Es gibt nur einen in allen drei Ork-Ländern, dessen Maul fünf Hauer hat und das ist Moraxx der Ork-Herr! Schon mal von mir gehört – Candric?“

Candric schüttelte den Kopf und vergaß dabei das große Maul zu schließen, sodass eine Menge Speichel heraustroff. Moraxx bekam davon einiges ab, aber das schien den Ork-Herrn nicht im mindesten zu stören. „Nicht übertreiben mit der Ehrerbietung!“, sagte er. „Du kennst mich noch nicht gut genug, als dass du mir auf diese Weise deine Freundschaft zeigen solltest!“

Er schlug Candric auf die Schulter – und zwar so heftig, dass dieser fast das Gleichgewicht verloren hätte. „Bis heute Nacht warst du ein Prinz im Palast von Aladar! Ab jetzt wohnt deine Seele im Körper eines Orks, während eine Ork-Seele in deinen Menschenkörper gelangt ist! Das ist der Austausch. Aber sei froh. Ich habe den jungen Rhomroor für diese Aufgabe ausgewählt und er hat sich gegen zwei Dutzend andere im Kampf durchgesetzt! Das heißt ja wohl, dass er kräftig ist!“

„Das darf doch nicht wahr sein!“, entfuhr es Candric, wobei er Ork- und Menschenwörter durcheinander brachte.

„Es ist aber wahr!“, erklärte Moraxx. „Und je eher du das akzeptierst, desto besser für dich!“

„Ich will zurück nach Aladar!“, rief Candric. Er drängte sich an Moraxx vorbei und ergriff eines der elbischen Bücher, die der Ork-Herr so achtlos auf den Boden geworfen hatte.

Aber die Elbenschrift, in denen sie geschrieben waren, konnte er nicht lesen. Verzweiflung stieg in ihm auf. „Du hast also mit Hilfe von Elbenmagie diesen Rhomroor an meiner Stelle in den Palast gebracht!“, stellte er fest.

„Und du wolltest einmal Herrscher zweier Länder werden?“, höhnte Moraxx. „Ich würde sagen, sei froh, dass du diese Bürde los bist! Jemand, dessen Verstand so langsam ist wie der deine, kann dabei eigentlich nur versagen...“

„Aber dieser Rhomroor kann das besser, ja?“

„Er wird ganz in meinem Sinne herrschen, wenn er eines Tages den Thron besteigt. Dann werde ich nicht nur Herr der Ork-Länder, sondern auch der geheime Herrscher der Menschenländer sein! Kein Ork war je mächtiger als ich! Und endlich werden die Angriffe der Menschen gegen die Orks aufhören!“

Candric glaubte, sich verhört zu haben.

„Wie bitte?“

Für einen Moment zweifelte er schon, ob er die Sprache der Orks wirklich gut genug beherrschte, um jede Freiheit im Ausdruck auch richtig deuten zu können. Aber auch wenn er sich noch einmal jedes einzelne Wort ins Gedächtnis zurückrief, kam er zu dem Schluss, sich weder verhört noch etwas falsch verstanden zu haben.

„Was glotzt du mich an, als wäre ich ein hässlicher Mensch?“, fragte der Ork-Herr nun seinerseits etwas verwirrt. 

„Ihr Orks seid es doch, die andauernd über die Nachbarländer herfallen! Ich habe es vor kurzem noch erlebt, wie tausende von Hornechsen-Reitern über das Sumpfland donnerten und sich jeder nur noch in die Trutzburg flüchten konnte, wer nicht in die Hände dieser Monster fallen wollte!“

„Vergiss nicht, dass du von nun an selbst so ein Monster bist, wie du uns nennst!“, erwiderte Moraxx ziemlich ärgerlich und stieß dazu einen knurrenden, drohend klingenden Laut aus. Er fletschte die fünf Hauer und eine faulig riechende Duftwolke blies Candric in sein neues Ork-Gesicht.

Aber der Geruchssinn eines Orks war keineswegs schlechter als der eines Menschen.

Ganz im Gegenteil!

Für einen Moment glaubte Candric, brechen zu müssen. Er unterdrückte ein Würgereiz, wobei ein gurgelndes Geräusch entstand.

Der Ork-Herr sah ihn erstaunt. „Das klingt ja schon ganz gut“, meinte er. „Scheint als würdest du schneller einer von uns werden, als ich gedacht habe. Und ich hoffe nur, dass Rhomroor das genauso gut gelingt. Man hört ja schlimme Dinge über das  Leben in Aladar. Angeblich soll man nicht einmal mit den Fingern essen dürfen, sondern so seltsame Werkzeuge benutzen, mit denen man ich nur so mickrige Portionen einverleiben kann, dass man dauernd kurz davor steht, vor Hunger zu sterben. Löffel und Gabel heißen die Dinger, glaube ich... Aber das weißt du ja sicher besser.“

„Du hast mir noch nicht gesagt, wieso ihr Orks euch angegriffen fühlt – wo es doch genau umgekehrt ist und wir Menschen von euch angegriffen werden!“, hakte Candric noch einmal nach, denn über diesen Punkt wollte er nicht so einfach hinweggehen.

Aber für Moraxx schien es überhaupt gar keine Frage zu sein, wer die Schuld an der Feindschaft zwischen Orks und Menschen trug, die nun schon seit Generationen anhielt. „Die Menschen greifen uns seit langem an“, erklärte er. „Und sie sind gnadenlos...“

„So weit ich weiß, hat kaum jemals ein Mensch die Ork-Berge überschritten und ist von dort zurückgekehrt“, erwiderte Candric. „Das ist doch vollkommener Unsinn, was du sagst!“

„Unsinn? Ist es Unsinn, dass die Menschen seit langer Zeit versuchen, das Sumpfland trocken zu legen?“ Wut klang in Moraxx Tonfall mit – und ganz tief in seinem Hals gurgelte und grollte etwas bei jedem Wort, dass aus seinem Maul kam. Er schnaufte so stark, dass seine Nasenflügel dabei bebten.

„Ich verstehe nicht, was die Trockenlegung des Sumpflandes mit den Angriffen der Orks zu tun hat!“

„So, das verstehst du nicht. Die Riesenschrecken schlüpfen dort – niemand kann vorhersagen wann und viele es sind, aber eines weiß nun wirklich jedes Ork-Kind. Sie gedeihen nur im Sumpf. Danach ziehen sie in großen Schwärmen über die Berge zu uns ins Land und ernähren fast das gesamte Westorkreich. Manche Schwärme kommen sogar bis über die Berge der Hornechsenwüste oder zur Insel Orkheim, wo ein paar streitbare Stämme leben, die meine Herrschaft immer mal wieder anzweifeln... Die Trockenlegung des Sumpflandes ist ein Angriff auf die gesamte Orkheit!“

„Das... das habe ich nicht gewusst!“

„Ach, das soll ich dir glauben? Ich nehme an, dass dies der einzige Grund ist, aus dem das Sumpfland trockengelegt werden soll! Um die Riesenschrecken zu vernichten und die Orks gleich mit. Und ihr erwartet wirklich, dass wir uns das gefallen lassen?“ Er schüttelte den Kopf und grunzte laut, um seine Empörung zu unterstreichen. „Aber auch wenn deine Seele dem Abkömmling von gemeinen menschlichen Mördern gehört, denen es gleichgültig ist, ob arme Ork-Kinder verhungern, so will ich großzügig zu dir sein und dich nicht einfach erschlagen, wie du es verdient hättest! Stattdessen lasse ich dich am Leben! Du kannst als Ork unter Orks bei uns sein. Und wenn du etwas länger darüber nachdenkst, dann musst du zugeben, dass dies die einzige Möglichkeit ist, die dir offensteht...“

Candric schwieg. Er betastete ungläubig noch einmal sein Ork-Gesicht, spürte die Spitze der Hauer, die wie geschaffen waren, um Riesenschrecken den Panzer durchzuknacken, damit man an das Innere herankam. Ein Albtraum? Nein, dies war wohl leider die Wirklichkeit.

Moraxx riss ein Schwert aus dem Gürtel.

Er hielt die Klinge Candric unter die Augen. Im flackernden Schein des Feuers, das nach wie vor in der Mitte der Höhle brannte, spiegelte er sich und Candric erschrak zutiefst.

„Siehst du das, Candric. Das ist dein Gesicht von nun an. Wenn du willst, steht es dir jederzeit frei, zu gehen. Geh hin zu deinem wunderbaren Hof in Aladar und erkläre den Wächtern, dass du in Wahrheit der Königssohn bist!“ Moraxx lachte schallend. „Was glaubst du, was sie mit dir tun werden?“

„Ich kann es mir vorstellen....“, murmelte Candric düster.

„Sie werden dich davonjagen wie einen Ork!“, meinte Moraxx. „Und wenn du nicht schnell genug laufen kannst, erschlagen sie dich wegen deines Ork-Gesichts!“

Candric stand da und hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. So langsam begann er zu begreifen, dass sein Leben wohl nie wieder so werden würde, wie es bis dahin gewesen war.

Von diesem Moment an war alles anders. Wirklich vorstellen, was es bedeutete, ein Ork zu sein, konnte er noch nicht. Aber dass selbst seine eigenen Eltern ihn wohl nicht mehr als ihren Sohn wiedererkennen würden, solange sich sein Geist in diesem Körper befand, stand wohl fest.

Er warf einen Blick in Richtung der Bücher über Elbenmagie, die Moraxx in seiner Höhle gesammelt hatte.

Und der Anführer der Orks schien sogar zu erraten, welcher Gedanke Candric im Moment gerade durch den Kopf schwirrte.

„Vergiss das ganz schnell, du ehemaliger edler Königssohn!“, sagte er mit scharfem Ton und in Worten, die besonders viele Knack- und Zischlaute enthielten. „Der Zauber, den ich angewandt habe, ist unumkehrbar. Du wirst nie wieder etwas anderes sein, als ein Ork und je eher du dich damit abfindest, desto besser!“

25

Durch eine Zauberformel hob Moraxx die unsichtbare magische Barriere auf, die den Eingang zur Höhle absperrte und gegen die Candric bereits einmal ziemlich unsanft gelaufen war.

„Komm, ich führe dich zu den anderen und stelle dich vor. Rhomroor war ein guter Kämpfer. Es werden deswegen viele dich herauszufordern versuchen.“

„Bei allen guten Geistern des Roten Flusses – auch das noch!“, stieß Candric hervor.

Die Aussicht, bei einem Turnier für Nachwuchsritter teilnehmen zu müssen, erschien ihm geradezu glücklich gegenüber der Möglichkeit sich mit anderen Orks im Schlamm balgen zu müssen. Schlimmer hätte es für ihn wirklich nicht kommen können!

Er folgte dem Anführer der Orks durch einen engen Höhlenkorridor in einer großen, hallenartigen Höhle, von deren Decke lange Tropfsteine herabhingen. Überall kampierten hier Orks. Der Schein ihrer Feuer erhellten die Höhle und zauberten flackernde Schatten auf die Wände. Sägende Geräusche hallten in einem unheimlichen Chor in dieser Höhle wider. Candric brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass dies die Schnarchgeräusche von all den Orks waren, die hier schliefen.

Auf dem Boden verstreut waren die aufgeknackten Panzer von Riesenschrecken zu sehen, die offenbar bei den letzten Mahlzeiten übrig geblieben waren.

Sie wegzuräumen wäre allerdings wohl keinem der Orks je eingefallen.

„Alle mal herhören und sofort aufgewacht!“, rief Moraxx.

Details

Seiten
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783738907650
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Dezember)
Schlagworte
zwerge orks zwei fantasy abenteuer sonder-edition

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Zwerge und Orks: Zwei Fantasy Abenteuer - Sonder-Edition