Lade Inhalt...

Nevada Western Doppelband #5

©2017 260 Seiten

Zusammenfassung

Nevada Western Doppelband #5
von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 232 Taschenbuchseiten.

Zwei Western der Extra-Klasse: Hart, tabulos und dramatisch.

Harte Männer, heißes Blei und noch heißere Ladies – das ist die Welt der Romane von Thomas West. Western voll prickelnder Spannung und brandheißer Action.

Dieses Buch enthält folgende Western:

Die Indianerin

Keine Gefangenen!

Cover: Edwart Martin.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Nevada Western Doppelband #5

von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 232 Taschenbuchseiten.

Zwei Western der Extra-Klasse: Hart, tabulos und dramatisch.

Harte Männer, heißes Blei und noch heißere Ladies – das ist die Welt der Romane von Thomas West. Western voll prickelnder Spannung und brandheißer Action.

Dieses Buch enthält folgende Western:

Die Indianerin

Keine Gefangenen!

Cover: Edwart Martin.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Die Indianerin

von Thomas West

1

Es war ruhiger im Lager als sonst. Kein Gesang, kein Gelächter, kein lautes Palaver. Die Frauen tuschelten nur leise, statt zu schnattern und zu kichern wie an anderen Tagen. Die Krieger riefen sich nicht wie sonst Grüße und Scherze zu. Selbst das Spiel der Kinder hatte nichts Ausgelassenes an diesem Tag. Nur wenige balgten sich zwischen den Tipis. Und selbst sie wirkten seltsam gehemmt.

Die meisten der Kinder standen oder hockten in den Schatten der Tipis um den fast kreisrunden Platz in der Mitte des Lagers. Von dort aus beobachteten sie den Mann beim Totempfahl. Zorniger Bison, der Schamane. Ein weitausladendes Büffelgehörn auf dem Kopf und ein Büffelfell über den Schultern, schritt er um den Totempfahl herum. Schon seit Stunden.

Manchmal drehte er sich abrupt herum, riss die Arme hoch und stieß einen klagenden Ruf himmelwärts, wo die sengende Mittagssonne zwischen spärlichen Wolken flimmerte.

Dann ging ein Rucken durch die Kinderschar, als würden sie erschrecken, die Squaws sahen von ihrer Arbeit auf und lauschten, und die Männer erhoben sich und sahen gespannt hinüber zu dem alten Medizinmann.

Meistens aber umkreiste Zorniger Büffel einfach nur den Totempfahl. Dabei bewegten sich die schmalen Lippen in seinem dunklen, lederartigen Gesicht. Hin und wieder konnten die Kinder ein brummendes Gemurmel hören. Und von Zeit zu Zeit warf sich der Schamane flach auf den Boden, bedeckte sich vollständig mit dem zotteligen Büffelfell und rührte sich minutenlang nicht mehr.

"Er spricht mit den Geistern der Erde", raunte Blauer Vogel ihrer Mutter zu. Die Frauen hockten im Schatten des Häuptlings-Tipis und schnitten Büffelfleisch in kleine Streifen.

Das Tipi des Häuptlings stand am Rand des Versammlungsplatzes im Zentrum des Lagers. Keine zwanzig Schritte gegenüber des Totempfahls und des Bisonfelltipis, in dem der Schamane hauste.

Gespannt blickte Blauer Vogel hinüber zu dem reglosen Fellbündel im niedergetretenen Gras. Endlich erhob sich Zorniger Büffel, warf eine Handvoll Erde und Gras in die Luft und blieb mit ausgestreckten Armen stehen. Die Augen unter dem Büffelschädel waren geschlossen, die Lippen bewegten sich lautlos.

Seit dem Sonnenaufgang dauerte die Beschwörungszeremonie nun schon an. Seit fast acht Stunden. Blauer Vogel konnte sich an Tage erinnern, da Zorniger Büffel die Sonne zweimal unter- und dreimal aufgehen ließ über seinem Gespräch mit den Geistern der Erde und der Sonne. Damals, vor sieben Wintern, als die Weißen immer zahlreicher in die Jagdgründe der Cheyenne einfielen. Blauer Vogel war noch ein kleines Mädchen gewesen in diesen Tagen.

Und auch heute suchte Zorniger Büffel den Rat der Geister wegen der Weißen. Seit dem Zwischenfall gestern trugen die Ältesten des Stammes tiefe Sorgenfalten auf ihren sonnenverbrannten Gesichtern.

Zorniger Büffel stieß einen langzogenen Ruf aus. Wie ein hungriger Kojote nachts zwischen den Grashügeln der Prärie. Blauer Vogel erschauderte.

Neben ihr klatschte Zeltstoff auf Zeltstoff. Sie blickte auf: Ihr Vater hatte den Eingang seines Tipis aufgeschlagen. Schweigend stand er in der Öffnung des Häuptlingstipis und beobachtete den Schamanen.

Die gedrungene, aber kräftige Gestalt des Häuptlings war in einen verblichenen Offiziersmantel der US-Kavallerie gehüllt. Das Geschenk eines Majors, mit dem Kleiner Bär vor Jahren einen Friedensvertrag ausgehandelt hatte. Heute nur noch ein wertloser Fetzen Papier.

Eine Kette aus Bärenkrallen zierte seine nackte Brust. Nur mit einem Jagdmesser bewaffnet, hatte der Häuptling sich ihrem ehemaligen Besitzer gestellt. Dessen Fell diente ihm seitdem als Schlafdecke.

Kleiner Bär trug keinen Kopfschmuck heute. Dichtes, zu zwei Zöpfen geflochtenes Grauhaar umrahmte sein zerfurchtes Gesicht. Wie der Schnabel eines Adlers sprang die große Nase über die zusammengepressten Lippen des breiten Mundes. Eine steile Falte stand zwischen seinen Brauen.

Auch Häuptling kleiner Bär quälte die Sorge um die Zukunft seines Stammes. Einige seiner jüngeren Krieger hatten gestern Nacht einen Weißen getötet. Es war schon aus nichtigeren Anlässen zum Krieg mit den Blauröcken gekommen.

Die Jungkrieger hatten sich im Schutz der Dunkelheit an die Wagenburg des großen Siedlertrecks herangepirscht. Sie wollten ein paar Pferde stehlen. Die weißen Landräuber sollten wenigstens bezahlen, wenn ihr Treck schon die Büffeljagd störte. Und freiwillig taten sie das nicht.

Die jungen Cheyenne waren von Wachposten überrascht worden. Es kam zum Schusswechsel, ein Weißer starb.

Als Zorniger Büffel fortfuhr, den Totempfahl zu umkreisen, zog der Häuptling sich wieder ins Innere seines Tipis zurück.

Kleiner Bär hatte sich seit dem Morgengrauen kaum vor seinem Zelt blicken lassen. Nur die seltenen Beschwörungsrufe des Schamanen hatten ihn von Zeit zu Zeit ins Freie gelockt.

Blauer Vogel wusste, dass ihr Vater weder aß noch trank an solchen Tagen. Erst wenn der große Geist der Sonne dem Schamanen geantwortet hatte, durften Blauer Vogel und ihre Mutter Fleisch, Maisfladen und Wasser ins Häuptlingstipi bringen.

Das Ritual dauerte bis zum Abend an. Irgendwann verschwand Zorniger Büffel einfach in seinem Zelt. Nach und nach fanden sich die Ältesten beim Häuptling ein. Gemeinsam warteten sie auf den Schamanen.

Der tauchte erst bei Sonnenuntergang zwischen den Bisonfellen seines Zelteingangs auf. Mit hängenden Schultern schlurfte er über den Platz. Als hätte er den ganzen Tag schwer gearbeitet.

Er schlüpfte in das Häuptlingstipi.

Blauer Vogel und ihre Mutter blieben vor dem Eingang sitzen. Nach und nach gesellten sich immer mehr Krieger und Squaws zu ihnen. Bald drängte sich der halbe Stamm um den Totempfahl und zwischen den Tipis in der Mitte des Lagers. Alle lauschten gespannt.

"Der große Geist zeigte mir einen Schwarm Krähen." Die knarzige Stimme des alten Schamanen drang aus dem Häuptlingszelt. "Sie fielen über unsere Jagdgründe her. Ich sah unserer Krieger aufstehen und sie verscheuchen. Aber die Krähen kehrten zurück. Eine von ihnen verwandelte sich in einen Adler. Und die Geister der Erde ließen mich den Hufschlag vieler Pferde hören. Große, schwere Pferde, wie die Blauröcke sie benutzen."

Lange Augenblicke sprach niemand ein Wort im Inneren des Tipis. Schwer lastete das Schweigen auf den um das Häuptlingszelt versammelten Zuhörern.

Dann noch einmal die Stimme des Schamanen: "Kleiner Bär möge sich und den Stamm sorgfältig vorbereiten. Es wird Krieg geben..."

2

Die Tür zur Kommandantur wurde aufgestoßen. Captain Dave Cunningham und Lieutenant Sherman nahmen Haltung an und legten die Fingerspitzen an die Hutkrempen. Die beiden Reiteroffiziere, ein Captain und ein Major, grüßten flüchtig. Als hätten sie es brandeilig, nahmen sie alle drei Stufen der Vortreppe auf einmal und hasteten über den kleinen Innenhof des Forts auf die Stallungen zu. Sie waren Abgesandte des Regimentskommandeurs aus Fort Dodge. Eine geschlagene Stunde hatten sie beim Colonel verbracht.

Cunningham schätzte, dass die ruhigen Wochen in Fort Laramie vorbei waren. Der alte General Forrest hatte seine Offiziere und ihren Tross nicht zum Spaß auf den tagelangen Ritt durch die Prärie geschickt.

Er wandte sich an Tom Sherman. "In ein paar Tagen geht's Richtung Süden gegen die Paiute, wetten?"

Sherman schüttelte den Kopf. "Es geht morgen schon los, Dave. Unser Colonel hat Feuer unterm Arsch. Je früher er sich mit den Rothäuten prügeln kann, um so besser."

"Nach Süden, behaupte ich." Dave Cunningham holte einen Silberdollar aus seiner fransenbesetzten Hirschlederjacke. Anders als Sherman trug er die abgewetzte Kluft eines Waldläufers. Er hielt den Silberdollar zwischen sich und den Lieutenant.

Tom Sherman kraulte nachdenklich seinen dunklen Vollbart. Dann wieder ein Kopfschütteln. "Ich tippe auf Nordwesten. Gegen die Sioux oder die Cheyenne."

Sie schlugen ein.

Die dunkelblaue Uniformjacke mit dem gelbem Besatz der US-Kavallerie hing wie ein Sack an Shermans hochgewachsenem, schlaksigen Körper. Sie war falsch geknöpft; der rechte Kragensaum stand zwei Finger breit über dem linken.

Dave musste grinsen. Solche Nachlässigkeiten waren typisch für seinen alten Freund. Der große Bursche aus Texas hatte bis vor ein paar Jahren die Viehtrecks seines Vaters nach Saint Louis getrieben. Er hatte sich freiwillig bei der Kavallerie gemeldet und war ein verdammt guter Soldat. Aber die schlecht geschnittene Uniform trug er noch immer wie ein ungeliebtes Korsett.

Wieder ging die Tür auf. Colonel Roosters kleingewachsene Gestalt erschien im Türrahmen, mit seinem harten, bis auf den gepflegten Schnurrbart glattrasierten Gesicht und dem langen, hinter die Ohren gekämmten Haar. Sein braunes Haar wies einen deutlichen Rotstich auf. Das und sein rüder Führungsstil hatte ihm seinen Spitznamen eingetragen: Reddog - roter Hund.

Er wirkte beunruhigend zufrieden. Viel zufriedener als vor einer Stunde noch, als Cunningham und Sherman die beiden Gesandten des Regimentskommandeurs in sein Büro geführt hatten. Seine grauen Augen lächelten, was nicht oft vorkam. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass General Forrest ihn mit einem Auftrag beglückt hatte.

"Wir haben einen Marschbefehl, Gentlemen. Es geht gegen die Cheyenne. Sorgen Sie dafür, dass alle drei Schwadronen antreten. In einer Stunde will ich zu den Männern sprechen." Das war's schon. Er drehte sich um und schlug die Tür hinter sich zu.

Sie hatten kaum die Stufen der Vortreppe betreten, da wurde die Tür hinter ihnen wieder aufgerissen.

"Verdammt, Sherman!", bellte Rooster. "Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass Sie sich vorschriftsmäßig zu kleiden haben?"

"Verzeihung, Sir." Sherman fummelte an den Knöpfen seiner Uniform herum. Die Tür fiel zum zweiten Mal ins Schloss.

"Du hast gewonnen." Dave Cunningham kramte den Silberdollar heraus und drückte ihn in die ausgestreckte Hand des Lieutenants. In verschiedene Richtungen liefen sie zu den Mannschaftsquartieren.

Cunningham fühlte sich plötzlich sehr unwohl in seiner Haut. Nicht dass er die Strapazen des langen Rittes scheute, der vor ihnen lag. Oder den Kampf mit den Indianern. Nein - es gab nicht allzuviel auf Gottes wildem Erdboden, vor dem ein Dave Cunningham zurückgescheut wäre. Abgesehen von schlechtem Whisky oder warmem Bier.

"Cheyenne" - dieses Wort hatte sich wie ein Pfeil in seine Eingeweide gebohrt.

Cunningham zog seinen braunen Trapperhut vom Kopf und strich sich sein langes Blondhaar aus dem Gesicht. Er betrachtete die beiden gekreuzten Pfeile auf der Vorderseite des Hutes. Ein wehmütiger Zug legte sich auf sein kantiges, von Wind und Sonne gegerbtes Gesicht.

"Cheyenne" - das klang für Cunningham wie für andere "Kentucky", "Missouri" oder "Maine". Je nachdem, wo einer zu Hause war. Zu Hause - so klang dieses Wort in den Ohren Dave Cunninghams. Sein halbes Leben hatte er bei den Cheyenne verbracht. Über fünfzehn Jahre.

Er setzte den Hut mit den Silberpfeilen und der rotweiß geflochtenen Baumwollkordel wieder auf. Nur die Späher der US-Armee trugen solche Hütte.

Cunningham bog um die Ecke der Stallungen. Ein großer Hof öffnete sich vor ihm. Gegenüber der Ställe befanden sich die Baracken mit den Mannschaftsräumen. Einige Dutzend Soldaten hockten davor, Angehörige der dritten Schwadron. Sie putzten Gewehre und Colts oder flickten Sattelzeug. Einige sahen auf, als sie Cunningham kommen sahen.

"Hey, Captain - es geht gegen die Rothäute, stimmt's?" Solche und ähnliche Fragen schwirrten ihm entgegen.

Natürlich hatte sich die Ankunft der Delegation aus Fort Dodge längst herumgesprochen. Und bis zum untersten Dienstgrad hatten sich die Männer ausgerechnet, was das zu bedeuten hatte.

"Endlich gibt's was zu tun!", rief Lesley McAuley, Cunninghams Partner. Der alte Waldläufer hasste nichts mehr, als untätig herumzusitzen. "Man verrottet ja in diesem gottverdammten Fort!" Genau wie Cunningham war er Späher im Range eines Captains.

Ein relativ kleiner, aber drahtiger Mann erhob sich von einer Munitionskiste und kam Cunningham entgegen. Er hatte blauschwarzes Haar, das zum Mittelscheitel gekämmt und im Rundschnitt kurz über den Ohrläppchen gestutzt war. Seine Haut war auffallend dunkel, und ein misstrauischer Zug lag um Mund und Augen. Sergeant Shakopee. Ein Halbblut. Seine Mutter war eine Sioux.

Fragend runzelte er die Stirn.

"Lass die Jungs antreten, Shakopee", sagte Cunningham. "In einer Stunde will der Colonel zu ihnen sprechen."

"Wohin geht es, Dave?"

"Gegen die Cheyenne." Das Wort wollte ihm kaum aus dem Hals.

3

"Cheyenne aus Little Bears Stamm haben einen Siedlertreck überfallen!" Colonel William Rooster stützte sich auf das Holzgeländer der Veranda vor seinem Büro. "Sie haben einen Mann getötet!" Seine Stimme überschlug sich fast, so laut schrie er. Bei jedem Wort tänzelte er hin und her.

Nicht weit neben ihm stand seine Frau, Helena Rooster. Blond und schlank, in einem hochgeschlossenen grauen Kleid. Sie war nicht wesentlich kleiner als ihr Mann. Aber gut fünfzehn Jahre jünger als der über vierzigjährige Offizier.

In Reih und Glied waren fast zweihundert Kavalleristen im Innenhof des Forts aufmarschiert. Die erste, zweite und dritte Schwadron des Fünften US-Kavallerieregiments. Das Regiment des alten Reitergenerals Aaron Forrests bestand insgesamt aus zwölf Schwadronen. Drei standen in Fort Kearney, sechs in Fort Dodge unter dem direkten Kommando des Generals. Und die ersten drei unter Rooster eben hier in Fort Laramie, im äußersten Westen.

"Die Rothäute in der Großen Ebene sind seit langem aufsässig und feindselig!", rief der Colonel seinen Leuten zu. "General Forrest hat mir heute den Befehl gegeben, sie in ihre Schranken zu weisen!"

Cunningham spürte die Augen der Frau auf sich, noch bevor sich seine und ihre Blicke trafen. Wie meistens war ihm das unangenehm. Und wie meistens erregte es ihn.

Helena Rooster war eine schöne Frau. Aber sie war die Frau seines Vorgesetzten.

"Wir werden ihnen eine Lektion erteilen, die sie so schnell nicht vergessen!" Rooster beugte sich weit über das Geländer. "Es geht in den Kampf, Soldaten! In den Kampf gegen die Wilden! Morgen, gleich nach Sonnenaufgang, brechen wir auf!"

Jeder wusste, dass Rooster nichts Besseres hatte passieren können, als von Forrest mit dieser Strafexpedition beauftragt zu werden. Und zumindest die Offiziere wussten auch warum: Rooster war der Meinung, lange genug Colonel gewesen zu sein. In spätestens zwei Jahren würde der General in den Ruhestand gehen. Man erzählte sich jetzt schon, dass er auf einer Koppel kaum noch ein Pferd von einer Kuh unterscheiden konnte.

In spätestens zwei Jahren wollte Rooster sein Kommando übernehmen. Er brannte darauf, bis dahin so viele Lorbeeren wie möglich anzuhäufen.

Cunningham konnte nichts anfangen mit solchen ruhmsüchtigen Kriegshelden. Schon gar nicht, wenn sie dazu neigten, ihre Karriere mit dem Blut ihrer Soldaten zu düngen.

Verstohlen schielte er zu der Frau hinüber. Noch immer ruhten ihre Augen auf ihm. Unter seinem Zwerchfell schien ein großer Vogel mit den Flügeln zu schlagen. Er riss seine Augen von runden Wölbungen ihres Körpers los und versuchte sich auf seinen Kommandeur zu konzentrieren.

"Die erste Schwadron wird hier im Fort bleiben!", ordnete der Colonel an. Enttäuschtes Geraune ging durch die Reihen der betroffenen Männer. Shermans Schwadron. Cunningham hätte gern mit ihm getauscht. "Lieutenant Sherman wird das Kommando hier übernehmen!"

Jetzt war auch Cunningham enttäuscht. Sie hatten sich im gleichen Jahr zur Kavallerie gemeldet. Noch nie war er ohne seinen Freund Tom Sherman geritten.

"Für die zweite und dritte Schwadron gilt heute Abend Alkoholverbot!", fuhr der Colonel fort. "Ich will ausgeruhte Soldaten sehen morgen früh!"

Rooster ließ abtreten und zog sich in sein Büro zurück. Eine halbe Stunde später sah ihn Cunningham an der Spitze einer kleinen Abteilung aus dem Fort reiten. Sherman und Shakopee begleiteten ihn. Vermutlich würden sie zu den umliegenden Farmern reiten, um Proviant zu ordern. Zwei Schwadronen wollten verköstigt sein.

Cunningham ging in die Stallung. Angeblich, um nach den Pferden zu sehen. In Wirklichkeit wollte er allein sein. Der bevorstehende Auftrag verursachte ihm Magenschmerzen.

Seit vier Jahren war er als Kundschafter bei der Kavallerie, seit einem Jahr im Rang eines Captains. Bisher hatte er Glück gehabt: Fünfmal war er unter Rooster gegen die Indianer gezogen. Gegen Sioux, gegen Comanchen, gegen Paiutes. Aber nie gegen Cheyenne. Jetzt war es soweit. Und alles in Cunningham sträubte sich dagegen. Ob er Rooster bitten sollte, ihn hierzulassen?

Ein Schatten bewegte sich zwischen den Pferden. Eine Frauengestalt tauchte vor Cunningham auf. Klein und drall, mit schwarzer Hautfarbe. Norma, Helena Roosters Hausmädchen.

"Meine Herrin will Sie sprechen", flüsterte sie. "Jetzt gleich. Mrs. Rooster erwartet Sie in meiner Kammer."

Lautlos verschwand sie wieder in den Tiefen des Stalls. Und ließ einen verblüfften Cunningham zurück. Was wollte die Frau des Colonels von ihm? Wieder war da das Flattern unter seinem Zwerchfell.

Er verließ den Stall. An der Rückseite der Mannschaftsbaracken entlang ging er zu dem Gebäudekomplex an der Südseite der Palisaden. Durchreisende und Händler waren hier untergebracht. Und das Gesinde - Pferdeknechte, Wagenlenker, ein paar Köchinnen und Hausmädchen.

Oft genug hatte Cunningham Norma in ihrem Zimmer verschwinden sehen. Er wusste, welche Tür er benutzen musste. Von außen sah er, dass der Vorhang vor dem einzigen Fenster gezogen war.

Sein Mund fühlte sich trocken an, als er die Klinke herunterdrückte und den winzigen Raum betrat. Eine Pritsche, eine Kommode, ein kleiner Tisch und ein Stuhl, das war die ganze Einrichtung. Auf letzterem saß Helena Rooster. Schwerer Parfümduft hing im Raum.

Sie stand auf, während er die Tür hinter sich schloss.

"Madame?" Fragend sah er sie an. Sie huschte an ihm vorbei und schloss die Tür ab. Sie trug das graue Kleid. Ein Saum aus weißen Rüschen spielte um die Knöchel ihrer schwarzen Schnürstiefel. Rüschen prangten auch der Knopfleiste entlang von ihrem Bauch aufwärts bis zum Stehkragen unter ihrer Kehle.

Cunningham registrierte, wie ihre eng zusammengeschnürten Brüste unter dem Kleid sich hoben und senkten. Als würde ihr Atem fliegen. Schweigend betrachtete sie ihn. Seine in abgewetztem Wildleder steckenden Beine, seinen Oberkörper, sein Gesicht.

Mach, dass du wegkommst, sagte sein Kopf. Nimm sie dir, sein Bauch.

"Sie wollten mich sprechen, Madam?"

"Ist es wahr, was man über Sie erzählt, Captain - Sie sind bei Indianern aufgewachsen?" Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Ihre Stimme klang heiserer, als Cunningham sie in Erinnerung hatte.

"Das ist wahr. Bei den Cheyenne." Wollte sie tatsächlich weiter nichts als einen Menschen näher kennenlernen, gegen dessen Familie ihr Mann in den Krieg ziehen wollte?

"Wie kam das?"

"Meine Eltern wollten nach Oregon. Mit einem dieser endlosen Siedlertrecks. Ich konnte gerade bis zehn zählen damals. Bei einem Überfall von Kintpuashs Modoc-Horde kamen meine Eltern ums Leben. Mich haben die Modocs an die Cheyenne verkauft."

"Ich hörte, Sie hätten zwanzig Jahre ihres Lebens bei den Wilden verbracht!" Sie stieß sich von der Tür ab und kam auf ihn zu. "Das muss ja schrecklich gewesen sein!"

"Fünfzehn Jahre, Madam - und es war eine gute Zeit. Vielleicht die schönste meines Lebens. Außerdem wäre ich vorsichtig mit Wort 'Wilde'. Ich bin guten Männern begegnet unter den Indianern. Mehr guten Männern als in meinen fünfzehn Jahren unter Weißen."

Ganz nah stand sie jetzt vor ihm. Er meinte die Hitze ihres Körpers spüren zu können. Ihr Duft drang süß in seine Nase. Ihre Lippen glänzten feucht. Cunningham schluckte. Nein, diese Frau wollte nicht wissen, wie es war, unter Indianern zu leben. Sie wollte etwas anderes. Und das Geflatter unter seinem Zwerchfell wollte genau dasselbe wie sie.

"Mehr guten Männern als in ihrer Zeit unter den Weißen...", wiederholte sie leise. "Wenn ich mich umsehe unter den groben Kerlen in diesem Fort, wenn ich meinen Mann anschaue und ihm zuhöre, dann glaube ich Ihnen aufs Wort, Captain Cunningham, dann glaube ich Ihnen aufs Wort..."

Ohne Vorwarnung begann sie ihr Kleid aufzuknöpfen, Knopf für Knopf. Der rüschenbesetzte Stehkragen klappte auseinander, die Schlüsselbeine unter dem Ansatz ihres Halses wurden sichtbar, die Kerbe zwischen ihren zusammengepressten Brüsten öffnete sich.

"Madame..." Cunningham mußte sich räuspern, um seine Stimme einigermaßen auf Trab zu bringen. "Verstehen Sie mich nicht falsch - ich habe selten eine schönere Frau gesehen, als Sie es sind. Aber vergessen Sie nicht, dass Sie verheiratet sind..."

Zorn blitzte in ihren Augen auf; Bitterkeit zog ihre Mundwinkel herunter.

"Wie könnte ich das vergessen?", zischte sie. "Muss ich doch jeden Tag in die kalten Augen dieser Bestie blicken! Muss ich doch jeden Tag seine groben Hände auf meinem Körper spüren..."

Sie unterbrach sich; eine Träne zog eine feuchte Spur über ihre Wange. Cunningham stand wie vom Donner gerührt. Sie löste den nächsten Knopf. Ihre Brüste quollen aus ihrem Kleid - zwei große weiße Pfirsiche mit blassen, leicht nach oben gekrümmten Stielen.

Cunninghams Hände zuckten hoch. Mit dem letzten Funken Verstand unter seiner Schädeldecke zwang er sie zurück an seine Hosennähte. Das Flattern unter seinem Zwerchfell kroch durch seinen Brustkorb nach oben und hämmerte wild in seiner Kehle. Der Anblick ihrer herrlichen Brüste drohte ihm die Sinne zu rauben.

Verschwinde..., wisperte eine schwache Stimme in seinem Kopf. Es ist eh zu spät, widersprach sein Körper. Nimm sie dir. Nimm sie dir jetzt.

Sie griff nach seinen Händen. Ihre Finger glühten. "Oder ist es gar nicht, weil ich verheiratet bin?" Ein provozierender Unterton mischte sich in ihre vor Erregung heisere Stimme. "Ist es, weil ich mit ihrem Vorgesetzten verheiratet bin? Haben Sie Angst, Captain?" Sie führte seine Hände an ihre Brüste, presste sie an die prallen weißen Früchte und hielt sie darauf fest.

Cunningham spürte seinen Schwanz anschwellen und zwischen Haut und Leder seinen Oberschenkel hinaufwachsen.

"Sollte ein Mann wie Sie wirklich Angst vor Colonel Rooster haben?", flüsterte sie. "Ein Mann, von dem man sich erzählt, dass er keinem Kampf ausweicht? Ein Mann, der bei Indianern groß geworden ist?"

Wie von selbst begannen seine Hände zu kreisen. Zaghaft zuerst und zärtlich, dann immer heftiger und fordernder, bis er die heißen Brüste durchknetete und schließlich sein stoppelbärtiges Gesicht zwischen ihnen vergrub.

Sie stand da, schloss die Augen und bog ihren Körper zu ihm hin, von ihm weg, zu ihm hin - immer wieder, immer schneller, als würde sie zum Rhythmus einer geheimnisvollen Musik tanzen.

Er hob ihre schweren Brüste, saugte sich an ihnen fest, ließ seine Zunge um die harten Warzen kreisen. Sie lachte und stöhnte zugleich. Seine Hände glitten über ihre Schlüsselbeine zu ihren Schultern hinauf, streifen ihr das Kleid über die schlanken Oberarme und tastete gierig nach ihren Schulterblättern.

Helena fasste nach seinem Gürtel und öffnete ihn. Dann drückte sie ihn von sich weg. Sekundenlang musterte sie sein Gesicht. Ihre Unterlippe bebte.

"Fick mich, Dave...", hauchte sie. "Hörst du, was ich sage? Fick mich..."

Es war, als hätte sie mit brennenden Händen in seinen Schritt gegriffen. Niemals hätte er solche Worte aus ihrem Mund erwartet. Er hatte sie immer für eine der feinen Ladies gehalten, die schon rot wurden, wenn sie den nackten Oberkörper eines Mannes von ferne sahen. Aber sie war weiter nichts als eine Frau, eine hungrige Frau. Eine Glutwelle schoss durch seine Adern. Es gab kein Halten mehr.

Er riss sie an sich und presste seine Lippen auf ihre. Ihre Zungen zuckten umeinander herum, als wollten sie sich gegenseitig verschlingen.

Cunningham ließ sich auf die Knie fallen, hob ihr Kleid, bückte sich und bedeckte ihre Unterschenkel mit Küssen. Sie trug keine Strümpfe unter dem Kleid. Küssend und leckend arbeitete er sich über ihre Kniekehlen und Oberschenkel hinauf. Weich wie feuchter Samt fühlte sich die Innenseite ihrer Oberschenkel an.

"O ja, Dave", seufzte sie, "o ja, o ja..."

Sie raffte das Kleid hoch und vergrub ihre Hände in seinem Haar. Feuchter, süßlicher Duft umfing ihn, ihr Schamhaar kitzelte seine Lippen - kein Höschen trennte seinen Mund von ihrer Scham. Diese Entdeckung peitschte seine Lust bis zur Ekstase. Sie hatte von Anfang an nichts anderes gewollt als das!

Helena Rooster presste sein Gesicht gegen ihre Scham und stöhnte laut. Seine Zunge spielte mit ihr. Seine Hände tasteten nach ihrem Gesäß, griffen in ihr kühles Fleisch und zog sie näher zu sich heran.

Stöhnend sog sie die Luft ein, hielt den Atem an und schlug ihre Hand vor den Mund. Ihr Becken stieß sich ihm entgegen, ihr linkes Bein schwang sich über seine Schulter, als wollte sie ihn in sich hineindrücken. "Fick mich, Captain, fick mich jetzt..."

Cunningham richtete sich auf. Halb saß sie auf seiner Schulter, halb hing sie in seinen Armen. Er trug sie zu dem kleinen Tisch, fegte Tuch, Messer und einen Zinnteller mit zwei Äpfeln herunter und setzte sie behutsam auf die Tischplatte.

"Wie hab' ich mich danach gesehnt, Dave..." Mit gespreizten Schenkeln saß sie da und half ihm, seine Hose zu öffnen. "Wie hab' ich mich nach dieser Zärtlichkeit gesehnt..."

Etwas in ihm registrierte erleichtert, dass sie nicht ihn meinte, sondern den Sex, den er geben konnte. Er streifte das Kleid von ihren Armen und raffte es über ihren Hüften zusammen. Soviel wie möglich wollte er von ihrem Körper sehen. Dann drückte er ihren Oberkörper vorsichtig auf die Tischplatte.

"Sei ganz zärtlich, Dave", flüsterte sie, "komm zuerst ganz zart, hörst du?" Sie nahm sein Glied in beide Hände und führte es zwischen ihre Schenkel. Stöhnend drang er in sie. Sie stieß einen Schrei aus, presste ihre Rechte gegen den Mund, um nicht noch lauter zu werden.

Wohlige, prickelnde Hitze perlte aus ihrem Schoß, griff über auf seinen Körper, und unbändige Lust füllte seinen Schädel bis in die letzte Hirnwindung.

Er umfasste ihre Brüste und knetete sie, genoss ihr Stöhnen unter den rhythmischen Bewegungen seines Beckens und drängte sich tiefer in sie hinein. Erst glitt er langsam und zärtlich hin und her, als wollte er sie streicheln, dann, als sie sich ihm immer fordernder entgegenstemmte, stieß er sie schneller und härter.

Schließlich gaben seine Hände ihre Brüste frei, rutschten über ihren schweißnassen Körper nach unten, gruben sich in ihre Gesäßbacken und hoben ihr Becken an. Im Rhythmus seiner Stöße riss er ihre Hüften an seine Lenden - immer wieder, immer drängender.

Der Tisch knallte hart gegen die Holzwand unter dem Fenster, der alte Holzdielenboden knarrte und quietschte, und Helenas Finger umklammerten die Tischkante, um sich Cunninghams Stößen entgegenstemmen zu können.

Sie bäumte sich auf, als sie kam, und presste beide Hände auf den Mund, um ihren Schrei zu dämpfen. Seufzend kam er, hielt sie sekundenlang fest, dann sank er über sie. Seine Lippen suchten ihren Mund...

4

Die Dämmerung war der Nacht gewichen. Die Posten am großen Haupttor der Forts kletterten von den Wachtürmen und zogen die beiden Flügel des Tores auf.

Ein Dutzend Kavalleristen trabte durch den Torbogen, Colonel Rooster flankiert von Lieutenant Sherman und Sergeant Shakopee an der Spitze.

Norma, das schwarze Hausmädchen der Roosters, sprang erschrocken auf. Seit zwei Stunden hockte sie auf den Stufen der Vortreppe vor den Privaträumen des Kommandanten. Seit zwei Stunden spähte sie über den Innenhof des Forts zu den Stallungen hin. Immer in Erwartung, endlich die schlanke Gestalt ihrer Herrin zu entdecken. Doch sie und der Captain schienen ein besonders intensives Gespräch zu führen.

Norma wartete, bis die Abteilung aus den Sätteln sprang und die Pferde in die Stallung führte. Dann lief sie zu den flachen Gebäuden an der südlichen Palisade des Forts. Der Vorhang des Fensters war zugezogen. Kein Licht brannte dahinter.

Sie klopfte an die Tür ihrer Kammer.

"Madam, Ihr Mann ist zurück", flüsterte sie.

Augenblicke später öffnete sich die Tür. Helena Rooster strich ihr Kleid glatt und huschte aus der Tür.

Captain Cunningham stand mitten im Raum, als Norma die Tür hinter sich zudrückte. Sie zündete eine Kerze an. Er lächelte verlegen und drehte seinen Späherhut zwischen den großen Händen. "Wenn du erlaubst, warte ich noch ein paar Minuten. Es könnte problematisch werden, wenn jemand Mrs. Rooster und mich zusammen aus deinem Zimmer kommen sieht."

"Natürlich, Captain, Sie haben vollkommen recht." Norma sah, dass ihr Tisch verrückt war. Messer und Teller waren nicht an der gleichen Stelle, an der sie heute Morgen noch gelegen hatten. Außerdem befand sich nur noch ein Apfel auf dem Teller.

Sie wandte sich zum Fenster und zog den Vorhang zurück. Ihr Fuß stieß gegen den zweiten Apfel. Cunningham bückte sich rasch nach ihm. Er murmelte eine Entschuldigung und legte ihn auf den Teller zu dem anderen.

Norma spähte zum Fenster heraus. Die Gestalt ihrer Herrin verschwand eben zwischen Palisade und der Rückseite der Offiziersquartiere. Auf der anderen Seite, bei den Mannschaftsbaracken, meinte sie die Bewegung eines Schattens zu sehen.

"Warten Sie ruhig noch ein paar Minuten, Captain." Sie drehte sich nach Cunningham um. "Auf mich können Sie sich verlassen."

"Das hat Mrs. Rooster mir auch gesagt." Cunningham tastete nervös unter seiner Jacke herum. Schließlich zog er eine Zigarette aus seiner Hemdtasche. Er zündete sie an der Kerze an.

Es klopfte. Norma zuckte zusammen. Cunningham sah sich hastig um. Nirgends auch nur die Spur eines Verstecks. Noch einmal klopfte es, diesmal energischer.

"Wer ist da?", rief Norma.

"Sergeant Shakopee. Ich suche Captain Cunningham. Könnte es sein, dass er bei dir ist?"

Norma machte ein erschrockenes Gesicht. Ihre Lippen bewegten sich. Aber keine Antwort kam aus ihrem Mund. Ihr hilfloser Blick flog zwischen Cunningham und der Tür hin und her.

Cunningham ging zur Tür und öffnete sie.

"Hallo, Dave - ich such' dich schon überall", grinste Shakopee.

Gemeinsam schlenderten sie über den Hof in Richtung Stallungen. Shakopee erzählte von Rindern, die sie als Proviant gekauft hatten, von Maultieren und Wagenlenkern.

Cunningham fragte sich, ob er irgend etwas beobachtet hatte. Doch der undurchdringlichen Miene des Halbblutes war nichts anzumerken. Auch seine dunkle Stimme klang so monoton wie immer.

"Wir müssen morgen vor Sonnenaufgang los, um die Rinder hierher zu treiben", sagte er. "Auch eine Wagenladung Kartoffeln und Bohnen müssen abgeholt werden."

"Woher wusstest du, dass ich bei Norma bin?" Cunningham musterte ihn lauernd.

"Ich fand dich nirgends." Shakopee hob gleichgültig die Achseln. "Nicht wenige der Offiziere gehen bei Norma ein und aus." Jetzt flog ein Grinsen über das Gesicht des Sergeants. "Warum nicht auch du?"

"Gehen bei Norma ein und aus...?" Cunningham begriff nicht. Oder wollte nicht begreifen.

"Sag bloß, du wusstest das nicht..."

5

Nur vier Stunden Schlaf hatte Cunningham in der folgenden Nacht. Viel zu lange lag er grübelnd auf seiner schmalen Pritsche und starrte in die Dunkelheit. Die bevorstehende Expedition gegen die Cheyenne machte ihm zu schaffen. Aber nicht nur sie.

Manche der Offiziere gehen bei Norma ein und aus - der Satz des Halbbluts spukte in seinem Schädel herum.

Was zum Teufel hatte Shakopee damit sagen wollen? Mehr als ein Grinsen war dem Sergeant nicht zu entlocken gewesen. Ein vielsagendes Grinsen.

Cunningham konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgend jemand freiwillig die dralle Schwarze vögeln würde. Jedenfalls niemand aus dem Offizierskorps. Immerhin hatte sie schon an die fünfzig Lenze auf dem Buckel. Also konnte Shakopees Bemerkung doch nur eines bedeuten...

Ganz langsam nur dämmerte ihm die Wahrheit: Norma räumte ihr Zimmer, damit Helena Rooster sich dort mit den Offizieren ihres Mannes treffen und ihren Heißhunger stillen konnte.

Prächtig, prächtig - wahrscheinlich war er der Einzige, der davon noch nichts mitbekommen hatte.

Es war noch stockdunkel, als Shakopee ihn weckte. Mit zwanzig Mann ritten sie in die Nacht hinaus zu den Farmern, die ihnen Vieh, Getreide und Kartoffeln verkauft hatten. Als sie zurückkehrten, verblasste bereits die Nacht über dem Fort, und auf den fernen Waldhängen der Rockys breitete sich der rötliche Schimmer der aufgehenden Sonne aus.

Reges Treiben herrschte innerhalb der Palisaden. Wagen wurden beladen, die Pferde aus den Stallungen geführt, Befehle flogen hin und her, die Reiter der beiden Schwadronen hasteten über den Hof.

Cunningham sah Licht in Rooster Büro. Er stieg vom Pferd und band seinen Wallach fest. Entschlossen drängte er sich durch das Getümmel und stieg die Vortreppe zur Kommandantur hinauf.

Er klopfte, und der Colonel hieß ihn eintreten. Tief über Landkarten gebeugt saß Rooster an seinem Schreibtisch. Er sah kurz auf, erkannte Cunningham und erhob sich langsam. Aus feindseligen Augen taxierte er seinen Späher. "Sie?"

Cunningham hatte keine herzliche Begrüßung erwartet. So was hatte Reddog einfach nicht drauf. Aber die Feindseligkeit in seinem Blick überraschte ihn doch. Ihm schwante Übles.

"Ja, Sir - ich." Grüßend legte er die Hand an die Hutkrempe. "Es gibt da ein Problem, Sir."

Rooster musterte ihn stumm. Cunningham verstand das als Aufforderung, sein Problem zu nennen. "Sie wissen, dass die Cheyenne mich großgezogen haben, Sir. Die Expedition bringt mich in eine ziemliche Klemme. Ich bitte Sie hiermit..."

"Reden Sie keinen Quatsch, Captain!" Rooster unterbrach ihn barsch. "Genau deswegen brauch' ich Sie. Weil Sie mit den Gewohnheiten der Cheyenne vertraut sind, weil Sie die Flußtäler kennen, in denen sie lagern, und die Stellen, an denen sie jagen." Er stemmte die Fäuste in die Hüften. "Und weil Sie fast alle Algonkin-Dialekte verstehen und einige sprechen." Er lachte böse. "Ich will zwar nicht plaudern mit den Cheyenne, sondern ihnen eine Lektion erteilen - aber ein Mann, der ihre Sprache spricht, ist für mich unverzichtbar."

Mit auf dem Rücken verschränkten Armen kam er hinter seinem Schreibtisch vor. Ganz nah vor Cunningham blieb er stehen. Er sah zu seinem Captain auf. Der Hass in seinen Augen machte Cunningham frösteln. "Und wenn ich Sie nicht brauchen würde, Cunningham, wären Sie in spätestens einer Stunde ein toter Mann." Leise und eindringlich klang Roosters plötzlich. Cunningham verstand sofort. "Aber weil ich Sie brauche, verschieben wir das Duell."

Er wandte sich ab und ging zu seinem Schreibtisch zurück. Auf die Stuhllehne gestützt und die rechte Hand zwischen zwei geöffneten Knöpfen in der Herzgegend unter die Uniformjacke geschoben, stand er da. Wie Napoleon Bonaparte, wenn er vor seinem Hofmaler posierte.

"Sie waren an meiner Frau dran, Cunningham. Ich weiß es aus sicherer Quelle. Und ich weiß auch, dass Sie sich schon länger mit ihr treffen. Im Zimmer dieser verdammten Niggerin."

Cunningham blieb die Luft weg. Er war einfach zu perplex, um sich verteidigen zu können.

"Sobald wir mit den Cheyenne fertig sind, will ich mich mit Ihnen schießen", schnarrte Rooster. "Und nun verschwinden Sie!"

Auf weichen Knien stelzte Cunningham aus dem Büro. Ein Karussell schien in seinem Kopf zu rotieren, während er sich durch die Menge der hin- und hereilenden Kavalleristen drängte.

"Es geht los, Dave!" Lesley McAuley winkte von weitem. "Famos, oder?" Der fast zwanzig Jahre Ältere kam auf Cunningham zu und klopfte ihm überschwänglich auf die Schulter. "Sag schon - wie fühlst du dich, mein Sohn?"

"Bestens", sagte Cunningham heiser und entwand sich der Umarmung seines Partners. "Wirklich bestens..."

Eine Stunde später löste sich die Morgensonne vom östlichen Horizont. Colonel William Rooster gab dem Befehl zum Abmarsch. Tom Sherman tauchte neben Cunninghams Pferd auf. "Schade, Dave." Er schlug seinem alten Freund auf die Schulter.

Cunningham nickte. "Ja, schade."

Die Flügel des Tores wurden geöffnet. Die beiden Schwadronen ritten aus Fort Laramie. Einhundertzweiundvierzig Kavalleristen. Gefolgt von einem halben Dutzend Planwagen mit Proviant und Material und einer kleinen Rinderherde.

Cunningham ahnte, dass ihm ein schwerer Ritt bevorstand. Aber er ahnte nicht, dass es der härteste Ritt seines Lebens werden würde...

6

Der Sommer legte sich glühend auf die Prärie. Kleiner Bär hatte das Lager abbrechen lassen und war mit seinem Stamm weit in den nördlichen Westen gezogen. Bis an den Oberlauf des Missouri.

Im Tal eines Nebenflusses ließ er das neue Lager errichten. Seit dem Tag, an dem Zorniger Büffel mit den Geistern der Erde und der Sonne gesprochen hatte, waren mehr als zwei Monde vergangen.

Die neue Umgebung war ungewohnt. Berghänge umgaben das Lager, überall waren Buschwerk und Laubbäume. Morgens und nachts wehte ein kühler Wind aus den Bergen. Statt Bisons jagten die Krieger Rehe, Hirsche und Bären. Einige versuchten sogar Fische aus dem Fluss zu fangen.

Blauer Vogel vermisste die Weite der Großen Ebene. Das vertraute Grasland, die nächtlichen Rufe der Eulen und der Kojoten, das Stampfen der Büffel - all das war ihr von Kindesbeinen an vertraut. Die nahen Berge machten ihr das Herz schwer. Wie eingezwängt fühlte sie sich. Hinter jedem Busch, hinter den Bäumen am anderen Flussufer, zwischen den Felsblöcken der Berghänge - überall schienen ihr unwägbare Gefahren zu lauern. Nur langsam gewöhnte sie sich an die neue Umgebung.

Jede Squaw und jeder Krieger des Stammes wusste, warum Kleiner Bär diesen Ort als Lagerplatz gewählt hatte. Er und zorniger Büffel erwarteten einen Rachefeldzug der Blauröcke. Und hier, fern ihrer gewohnten Jagdgründe, zwischen dichtem Laubwald und von Berghängen umgeben, war das Lager gut versteckt vor den weißen Feinden.

Doch Kleiner Bär gehörte nicht zu den Männern, die sich schon sicher fühlten, wenn sie ein gutes Versteck gefunden hatten. Sich verkriechen und abwarten - das war nicht seine Art.

Er wies seine Krieger an, Schießübungen zu machen, ließ genaue Zeichnungen der Umgebung anfertigen und probte ein paar taktische Operationen in der ungewohnten Landschaft.

Doch damit nicht genug: Er schickte Abgesandte über die Rocky Mountains nach Kalifornien hinein, um neue Gewehre und vor allem Munition zu kaufen. Und er schickte Boten zu benachbarten Stämmen, um Bündnisse zu schließen und Informationen zu sammeln.

Vor allem bei den Sioux stieß er auf offene Ohren. Sie hassten die weißen Landräuber leidenschaftlich. Ihre Jäger kamen weit herum, wenn sie auf ihren langen Jagdzügen die Bisonherden verfolgten - bis tief in den Südosten der Prärie stießen sie vor. Wenn jemand Truppenbewegungen der Blauröcke beobachtete, dann sie.

Eines Morgens sah die Häuptlingstochter drei Reiter die Flußböschung hinauftraben. Sie schienen aus der Großen Ebene zu kommen.

Zwei der Reiter kannte sie - Boten, die ihr Vater zu den Sioux gesandt hatte: Singendes Messer und Blizzard. Zwei junge Krieger, denen der Häuptling rückhaltlos vertraute.

Der dritte Reiter schien ein Weißer zu sein. Einer dieser rätselhaften Männer, die in den menschenleeren Gebirgsregionen hausten und von der Jagd lebten.

Jedenfalls war er so gekleidet: Biberfellmütze, die ihm kapuzenartig über die Schultern fiel, Lederhemd, an den Ärmeln und Seitennähten mit langen Fransen besetzt, grün gefärbte Wildlederhosen, ebenfalls fransenbesetzt, und Mokassins, wie sie die Sioux zu tragen pflegen.

Auch die Stickerei seiner bunten Satteldecke und die Verzierung seiner Waffengurte erinnerte die Häuptlingstochter an die Art, in der Sioux-Squaws nähen und sticken.

Hin und wieder hatte Blauer Vogel schon einen dieser Mountainmen zu Gesicht bekommen. In ihrer Kindheit waren sie in den Lagern aufgetaucht, um mit ihrem Stamm Tauschgeschäfte zu machen.

In den letzten Jahren waren diese Besuche immer seltener geworden und schließlich ganz ausgeblieben. Ihre Mutter glaubte, dass es kaum noch Bergmänner gab, weil die Weißen keine Biberfellhüte mehr tragen wollten.

Aber dieser Mann, der hier zwischen Singendem Messer und Blizzard ins Lager ritt, war ein Mountainman. Er winkte ihr freundlich zu, als die Reiter an ihr vorbeitrabten, und Blauer Vogel sah die hellwachen Augen in seinem zerfurchten, bärtigen Gesicht. Sein struppiges weißes Haar hing ihm zu zwei Zöpfen geflochten fast bis zum Revolvergurt herab. Der Mann schien sehr alt zu sein.

Kleiner Bär begrüßte ihn wie einen alten Bekannten. Die Männer ließen sich vor dem Häuptlingstipi nieder. Zorniger Büffel rief die Ältesten zusammen; feierlich wurde eine Pfeife entzündet. Während sie kreiste, erteilte der Häuptling dem Mountainman das Wort. Der sprach leise und murmelnd.

Blauer Vogel saß hinter dem Häuptlingstipi. Sie bekam nicht viel mit von dem, was der alte Trapper berichtete und was die Männer anschließend miteinander besprachen.

Sie erfuhr immerhin soviel, dass der Alte eine Sioux zur Frau hatte und geheime Kontakte zur US-Armee pflegte. Ihr Vater nannte ihn Bergfuchs, und ein weiterer Name fiel einige Male: Roter Hund.

Blauer Vogel hatte nie von einem Krieger mit diesem Namen gehört. Die Männer sprachen von ihm wie von einem mächtigen Kriegshäuptling.

Bis zum Mittag dauerte die Ratsversammlung vor dem Häuptlingstipi. Danach wählte Kleiner Bär zwölf Krieger aus. Kundschafter. Sie ritten aus dem Lager in die Große Ebene hinab, an ihrer Spitze der Mountainman.

An der Seite ihres Vaters sah Blauer Vogel die Reiter zwischen den Eichen verschwinden.

"Hat der alte Mann schlechte Nachrichten gebracht?" wollte sie wissen.

"Ja", sagte der Häuptling. "Schlechte, aber keine überraschenden Nachrichten. Bergfuchs hat erfahren, dass hundertfünfzig Blauröcke nach uns suchen. Und er hat erfahren, dass sie von einem Mann angeführt werden, der den Frieden hasst..."

7

Nach zwei Wochen erreichten sie die Stelle, an der es zu dem Schusswechsel zwischen dem Siedlertreck und den Cheyenne gekommen war.

Das Büffelgras wucherte, als hätten hier nie Hunderte von Menschen mit ihren Wagen, Ochsen und Pferden gelagert. Cunningham und Lesley McAuley mussten schon genau hinsehen, um die Spuren der Wagenräder zu erkennen.

Sie stießen auf das Grab des erschossenen Siedlers - ein zusammengesunkener Erdhügel, ein Holzkreuz aus zwei notdürftig bearbeiteten Latten, und ein darauf eingekerbter Name: "Jan VanHaaren".

Rooster und einige Offiziere betrachteten das Grab. Auch Cunningham, McAuley und Shakopee standen bei der Gruppe. "Schon komisch, wie so ein Grab zwei Schwadronen Kavallerie auf die Beine bringt." McAuley kratzte sich seinen grauen Lockenkopf.

"Wie ein Strudel, so ein Grab", murmelte Cunningham nachdenklich. "Dutzende Indianer werden diesem Holländer in die Erde folgen..."

"Sparen Sie sich Ihre weibischen Weltbetrachtungen, Captain Cunningham!" Der Colonel blitzte ihn an. Er griff in die Tasche seiner Uniformjacke und zog eine zusammengefaltete Landkarte heraus. "Beschäftigen Sie sich lieber mit der Karte!" Durch die Hände einiger Offiziere wanderte das Papier zu Cunningham. "In einer halben Stunde will ich von Ihnen wissen, wo die Cheyenne lagern!"

Der Karte nach gab es in der Umgebung nur drei Stellen, an denen nach Cunninghams Erfahrung Cheyenne ihre Tipis aufschlagen würden. Er führte einen Spähtrupp auf Anhieb an die richtige.

Allerdings fanden sie nur noch dürftige Spuren eines ehemaligen Lagerplatzes: eine niedergetretene Bachböschung, verfaulte Essenabfälle, Einstichstellen von Tipistangen im Grasboden und vertrockneter Pferdekot.

"Wie alt?", fragte McAuley.

Cunningham untersuchte Essenreste und Pferdekot. "Einen Monat, schätze ich."

Sie ritten zurück zum Hauptlager und erstatteten Bericht. Rooster schickte sechs Spähtrupps zu je vier Männern aus, um auszukundschaften, in welche Richtung Little Bears Indianer gezogen war.

Zwei Tage später stießen sie auf die Spur des Stammes. Sie führte in nordwestliche Richtung auf den Oberlauf des Missouri zu. Eine Woche lang folgten sie der Fährte. Die nordöstlichen Ausläufer der Rockys rückten näher und näher. Cunningham war sich ziemlich sicher, dass der Stamm sich aus der Großen Ebene in gebirgigere Regionen zurückgezogen hatte.

Nach acht Tagen traf ein Spähertrupp unter McAuley auf ein Indianerlager. Sioux.

"Wir haben nur wenige Krieger gesehen", berichtete der alte Schotte. "Fast ausschließlich Frauen und Kinder."

Ohne lange zu überlegen, ließ Rooster die dritte Schwadron aufsitzen. Die zweite Schwadron teilte er in fünf Abteilungen auf. Sie sollten die Flanken des Angriffs vor Überraschungen schützen. Cunningham und Shakopee führten je eine dieser Abteilungen.

Rooster setzte sich an die Spitze der dritten Schwadron und zog seinen Säbel.

"Wir überrennen das Lager, vertreiben die Rothäute in alle Himmelsrichtungen!", rief er. Sein Gesicht glühte vor Erregung. "Jedes einzelne Zelt wird niedergebrannt. In wenigen Tagen wird sich die Nachricht bis zu Little Bear herumsprechen! Er soll erfahren, dass wir hart durchgreifen! Er soll zittern vor Angst!"

"Verzeihen Sie, Sir!" Cunningham erhob seine Stimme. "Aber Captain McAuley berichtete, dass sich fast ausschließlich Frauen und Kinder im Lager aufhalten!" Einige Männer nickten zustimmend. "Wenn es Tote unter ihnen geben sollte, werden uns die Sioux in den Rücken fallen!" Ein Raunen ging durch die Reihen der dritten Schwadron.

Rooster hieb seinem Wallach die Sporen in die Flanken und galoppierte zu Cunningham.

"Ich warne Sie, Captain", zischte er leise. "Ich lass' mir von Ihnen nicht die Moral meiner Leute zerreden. Noch eine derartige Bemerkung, und ich schieße Sie auf der Stelle nieder..."

Er lenkte sein Pferd zurück an die Spitze der Schwadron neben den Fähnrich mit dem Regimentswipfel und gab das Zeichen zum Angriff. Im Schutz eines bewaldeten Flussufers trabten die schweren Armeepferde auf das Indianerlager zu.

Cunningham und Shakopee wechselten einen stummen Blick. Der undurchdringlichen Miene des Halbbluts war nicht abzulesen, was hinter seiner Stirn vor sich ging.

Cunningham winkte seine Abteilung hinter sich her und führte sie auf eine Anhöhe, von der aus das Grasland sich weit nach Osten und Südosten hin ausdehnte. Keine Spur von Indianern.

Wenige Minuten später hörte er den donnernden Hufschlag der angreifenden Kavalleristen. Und kurz darauf ein vielstimmiges "Hurra!" Schüsse fielen, Frauen schrien.

Nach zwei Stunden war alles vorbei. Die Tipis der Sioux brannten lichterloh, ihre Pferde wurden ins Grasland hinausgejagt.

Die meisten der Frauen und Kinder und einige ältere Männer flohen panisch über den Fluss, in den nahen Wald oder ins Grasland hinaus. Fast ein Dutzend starb im Kugelhagel der Soldaten oder in den brennenden Zelten.

Cunninghams Gesicht wirkte noch kantiger als sonst, als er mit seiner Abteilung am Rande des brennenden Lagers vorbeiritt. Das Atmen fiel ihm schwer, sein Brustkorb fühlte sich an, als hätte er sich unversehens mit Steinen gefüllt. In Gedanken sah er das Cheyennelager brennen, in dem er seine Kindheit und Jugend verbracht hatte.

Er wünschte sich, er hätte sein Glück als Viehzüchter versucht, als Landvermesser, als Eisenbahner, als weiß der Teufel was - jedenfalls nicht als Späher der US-Kavallerie.

Roosters Leute fanden zwei gefesselte Crow-Indianer in einem der Tipis. Die Crow waren den Weißen schon seit Jahren freundlich gesonnen. Vor allem der Armee. Die beiden Männer wussten zu berichten, dass Kundschafter Little Bears zwei Tage zuvor das Sioux-Lager besucht hatten. Angeführt von einem weißen Mountainman.

Sie hatten sogar aufgeschnappt, in welcher Gegend die Cheyenne Little Bears sich versteckt hielten.

Rooster ließ ihnen eine Karte vorlegen. Mit einem Stift kreisten sie ein etwa vier Quadratmeilen großes Gebiet in den östlichen Ausläufern der Rockys ein. Nicht weit vom Missouri entfernt.

McAuley betrachtete die Karte.

"Zwei Tagesritte", brummte er. "Höchstens drei."

Roosters Miene hellte sich auf.

"Aufsitzen!", brüllte er. Die beiden Schwadronen trabten nach Nordwesten. Bis zum Einbruch der Dunkelheit ließ der Colonel seine murrenden Männer im Sattel sitzen.

Während das Nachtlager endlich aufgeschlagen wurde, ließ er seine Späher rufen. Cunningham und McAuley trafen sich bei ihm. Cunningham hatte seinen Sergeant Shakopee mitgebracht.

"Jeder von Ihnen sucht sich vier Männer aus", befahl Rooster. "Sie, Captain McAuley, pirschen sich von den Bergen aus an das fragliche Gebiet heran. Und Sie, Cunningham, halten sich westlich und dringen von der Grasebene her in die Wälder ein. Finden Sie diese verdammten Rothäute!"

"Und wo treffen wir Sie und die Haupttruppe, Sir?", wollte McAuley wissen.

"Wir folgen Ihnen im üblichen Marschtempo. In spätestens sechs Tagen erwarte ich Sie mit ihren Berichten in diesem Tal." Er deutete auf ein Flusstal am Rande des von den Crow eingekreisten Gebietes.

Shakopee fixierte die Karte mit starren Augen. Cunningham registrierte es beiläufig.

Die Männer legten die Hand an die Hutkrempen und traten ab.

Im Morgengrauen sattelten sie die Pferde. Cunningham ritt mit Shakopee und drei weiteren Männern nach Norden. McAuley und seine vier Leute lenkten ihre Pferde nach Osten in die Rockys hinein.

"Pass auf deinen Skalp auf, Dave!", rief McAuley zum Abschied.

Cunningham winkte schweigend. Ein schlechtes Gefühl nagte in seinen Eingeweiden. Ein ganz schlechtes Gefühl...

8

Drei Tage lang trabten Shakopee und Cunningham mit ihrem Spähtrupp an den Ausläufern der Rockys durch das Büffelgras. Keine Spur von Indianern.

Am Morgen des vierten Tages erreichten sie die Grenze des von den Crow bezeichneten Gebietes. Cunningham und Shakopee orientierten sich noch einmal an der Kartenskizze, die sie angefertigt hatten. Dann lenkten sie ihre Pferde in westliche Richtung. Der Wald wurde dichter, die Berghänge schroffer - es ging in die Rockys hinein.

Cunningham ritt neben Shakopee.

"Könnte es sein, dass wir beide noch eine Rechnung offen haben?", fragte Cunningham plötzlich.

Überrascht sah ihn der Sergeant an. "Was soll das, Dave? Du musst schon ein bisschen konkreter werden. Wovon sprichst du?"

"Ich spreche von dem Abend vor dem Abmarsch. Der Colonel wusste, dass ich mich in Normas Zimmer mit seiner Frau getroffen habe."

"Herzlichen Glückwunsch", stöhnte Shakopee. "Und nun glaubst du, ich hätte dich bei ihm angeschwärzt?"

"Der Gedanke geht mir im Kopf 'rum, so ist es."

"Du liegst falsch, Dave, glaub mir, du liegst vollkommen falsch."

Sie lenkten die Pferde einen Hang hinauf. Das Laubdach der Eichen wurde so dicht, dass die Strahlen der Mittagssonne kaum einen Weg hindurch fanden. Es wurde dämmrig.

"Niemand außer dir wusste, dass Helena Rooster und ich an diesem Abend..."

"Denk mal nach, Dave", unterbrach ihn Shakopee. "Vier Leute wussten es: du, ich, die Schwarze und Roosters Frau."

"Willst du damit sagen, dass Norma geplaudert hat?"

"Die würde sich eher die Zunge abbeißen", sagte Shakopee. "Ist dir nicht aufgefallen, dass Roosters Frau sich nicht vor dem Haus blicken ließ, um ihren Gatten zu verabschieden?" Er musterte seinen Captain von der Seite.

Cunningham blickte geradeaus in den Wald hinein. "Ich höre, Shakopee, sprich weiter."

"Ich hab' sie gesehen, als ich Rooster weckte. Ihre Augen waren nicht nur verweint, sondern zugeschwollen und blau."

"Er hat sie geschlagen?"

"Ich hab' sie in der Nacht schreien hören." Shakopee stieß ein bitteres Lachen aus. "Beide. Rooster vor Wut und seine Frau vor Angst. Ich nehme an, er hat seit langem den Verdacht, dass sie fremdgeht. Und sie wird nicht so dumm gewesen sein, ihm gleich ein Dutzend Namen zu nennen."

"Und jetzt muss ich für alle bezahlen, die sie gevögelt haben."

"Bezahlen?"

"Er will sich nach der Expedition mit mir duellieren."

"Das wird er nicht tun. Washington gibt niemandem das Kommando über ein Regiment, der sich duelliert. Aber sei vorsichtig, Dave. Reddog wird andere Wege finden, sich an dir zu rächen."

Schweigend ritten sie weiter. Die Stunden vergingen, das Waldgelände stieg an. Shakopee ließ sich immer weiter zurückfallen.

"Reitet weiter!", rief er, als sie die Bergkuppe erreichten. Ein Fels ragte aus den Bäumen. "Ich muss was erledigen, was man nur allein erledigen kann." Die Männer grinsten.

Shakopee stieg vom Pferd. Er wartete, bis Cunningham und die anderen drei zwischen den Bäumen verschwunden waren. Dann kletterte er auf den Felsen. Oben angekommen, konnte er über das Laubdach des Waldes blicken. In allen Himmelsrichtungen ragten Bergkuppen aus dem Wald.

Er zog einen Spiegel aus der Tasche, fing die Sonne ein und sandte Blinkzeichen zu den Bergkuppen. Nach zwei, drei Minuten kam endlich die verabredete Antwort aus einem etwa vier Meilen entfernten Hang im Nordwesten. Gezielt schickte Shakopee eine Nachricht aus Blinksignalen hinüber.

9

McAuley hatte zwei Männer bei den Pferden zurückgelassen. Zu dritt schlichen sie durch das Unterholz. Sie waren auf Spuren von Indianern getroffen. Es war zu gefährlich, die Suche nach dem Cheyennelager zu Pferd fortzusetzen. Die großen Kavallerie-Wallache veranstalteten zu viel Lärm in dem dichten Wald.

Gegen Abend des vierten Tages arbeiteten sie sich von einer Bergkuppe hangabwärts auf ein Flüßchen zu. Von der Bergkuppe aus hatten sie in dieser Richtung die Rauchwolken eines kleinen Feuers gesichtet.

McAuley stutzte, als sich Stimmen in das Rauschen des Flusses mischte.

"Habt ihr das gehört?", flüsterte er. Seine beiden Begleiter nickten. Behutsam schlichen sie an die Böschung heran. McAuley schob sich bäuchlings unter den dichten Uferbewuchs. So weit, bis er endlich freie Sicht auf den Fluss hatte.

"Wer sagt's denn...?", seufzte er zufrieden.

Er zählte fünf Indianer. Zwei Halbwüchsige standen auf großen Steinen mitten in dem etwa zwanzig Schritte breiten Fluss und zielten mit Speeren auf das Wasser. Etwas abseits hockte ein Pärchen im dichten Ufergebüsch. Und schließlich sah McAuley eine junge Frau, die sich eben vom Rücken ihres Pferdes gleiten ließ.

"Lauter Jungvolk", flüsterte er. "Da kann das Lager nicht weit sein."

"Cheyenne?" Der Kopf einer seiner Begleiter tauchte neben ihm auf. Ein junger Bursche aus Louisiana; Charly nannten sie ihn. Der alte Späher hatte ihm im Fort ein paar Pokerkniffe gezeigt, seitdem wich der Bursche nicht mehr von seiner Seite.

"Das werden wir gleich haben." McAuley fummelte das Fernrohr aus seiner abgewetzten Ledertasche und zog es auseinander. Die Jungen im Fluss waren bis auf Lendenschurze nackt, aber die Frau am Flussufer trug ein langes Kleid. Saum und Brustschnürung waren mit bunten Stickereien gebordet.

Das farbenprächtige Muster erinnerte McAuley an die Art und Weise, wie Cheyenne ihre Kleidung schmückten. Auch das breite Stirnband um ihr blauschwarzes Haar sah nach Cheyennearbeit aus.

"Verdammt hübsches Mädchen", murmelte McAuley.

"Cheyenne?", bohrte Charly.

"Wart's ab, Bursche." Die Decken auf den Rücken der drei kleinen Pferde räumten McAuleys letzte Zweifel aus - Büffel und Adler. Derartige Tiermotive hatte er bei Cheyenne schon oft gesehen.

"Yeah - das scheinen Cheyenne zu sein." Er ließ das Fernrohr über die Uferböschung wandern und fing das Pärchen ein.

"Famos, famos", murmelte McAuley. Der Mann griff dem Mädchen unter das Kleid. Sie versuchte sich ihm zu entwinden, aber ihre Miene drückte tiefes Wohlgefallen aus - sie lachte.

McAuley umfasste das Fernrohr mit beiden Händen und stützte sich auf die Ellenbogen auf.

"Bei allen Heiligen", flüsterte er. "So etwas bekommt der gute Lesley nicht alle Tage zu sehen."

Im Schutz des dichten und hohen Ufergebüsches fühlte das Pärchen sich unbeobachtet. Die Hände unter dem Kleid des Mädchens, zog der junge Indianer es an sich heran. Er biss ihr in den Nacken und richtete sich über ihr auf. Mit einer raschen Bewegung zog er ihr das Kleid über den Kopf.

"Famos", seufzte McAuley leise. "Siehst du diese herrlichen Titten?"

Charly neben ihm sperrte Mund und Augen auf. Er schob sich weit aus dem Gebüsch. McAuley legte ihm die flache Hand auf die Stirn und schob ihn zurück in die Deckung. "Bist du von allen guten Geistern verlassen, Junge? Reiß dich gefälligst zusammen!"

"Was gibt's da vorn zu sehen?" Die Stimme des dritten Mannes drang aus dem Gebüsch hinter McAuley und Charly. Samuel Murphy hieß er, ein altgedienter Kavallerist aus Washington.

McAuley wusste, dass er einer Methodistenkirche angehörte. Der fromme Mann trank nicht mal einen Whisky, ohne zuvor seine Hände zu falten. Das Naturschauspiel am anderen Flussufer würde den Methodisten komplett überfordern, entschied McAuley.

"Nichts, Sam, gar nichts." McAuley setzte wieder das Fernrohr ans Auge. "Ein bisschen Wasser, ein paar Indianerkinder, sonst nichts."

Der junge Cheyenne kniete nun hinter dem nackten Mädchen. Von hinten hatten seine Hände ihre Brüste umfasst. Mit kreisenden Bewegungen massierte er sie. Das Mädchen schmiegte ihren Rücken an seinen nackten Oberkörper und legte seinen zurückgebogenen Kopf auf ihre Schulter. Der Mann küsste ihr den Hals. McAuley sah ihre geschlossenen Augen, ihren weit aufgerissenen Mund.

"Famos", grunzte er, "ganz und gar famos." Er hörte, wie Charlys Atem neben ihm in ein Keuchen überging.

"Cheyenne?", erklang wieder Sams Stimme hinter ihnen im Gebüsch. McAuley brummte zustimmend.

"Was machen sie?"

"Sie spielen, Sammy, sie spielen."

"Und was gibt dann so lange zu glotzen?"

"Gar nichts, Sammy, ich peil' nur die Lage."

Jetzt drückte der Indianer den Oberkörper seiner Partnerin nach vorn. Sie stützte sich auf ihre Handflächen, senkte den Kopf, und ihr langes schwarzes Haar fiel zwischen ihre Hände ins Gras. Ihre schmale Taille bog sich durch; sie hob ihr Hinterteil und bot es dem Cheyennekrieger dar.

McAuley schluckte; seine Hände am Fernrohr wurden feucht. Neben sich hörte er Charly verblüffte Laute von sich geben.

"Erzähl mir nicht, wie man ein Ei aufschlägt, Les", zischte Samuel Murphy aus dem Gebüsch. "Ich will jetzt wissen, was es da zu glotzen gibt!"

"Man hat nicht alle Tage Gelegenheit, spielenden Indianerkindern zuzusehen, Sammy. Und jetzt gib endlich Ruhe! Das ist ein Befehl!"

Der Indianer fasste ihre Hüftknochen und zog ihr Gesäß in seinen Schoß. Bis herüber in ihr Versteck hörten die Männer das laute Stöhnen des Paares. Die beiden Körper zuckten aneinander.

"Was zum Teufel war das?" Es raschelte im Gebüsch hinter McAuley.

"Die machen's ja wie die Rinder im Stall meines Vaters...", krächzte Charly. "Ich dachte immer, die Frau liegt auf dem Rücken, und der Mann..."

"So machen's die Anfänger, du Hohlkopf", blaffte McAuley. "Und Leute wie Sammy. Wer mal Blut geschmeckt hat, lässt sich alles Mögliche einfallen..."

"Wie die Rinder? Auf dem Rücken? Anfänger?" Murphy schob sich durch das Gebüsch. "Leute wie ich? Jetzt will ich aber wissen, was ihr beide da..."

Er tauchte neben seinem Captain auf. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er hinüber zum anderen Flussufer. Sein glattrasierter Unterkiefer sank ihm bis auf den obersten Uniformknopf. "Lieber Heiland, bewahre mich..."

McAuley sah noch, wie die Beckenbewegungen des Indianers immer heftiger, immer schneller wurden, dann riss ihm Charly das Fernglas aus der Hand. Bevor McAuley es sich wieder schnappen konnte, entwischte der junge Kavallerist ins Gebüsch.

Murphy, neben ihm, bedeckte sein Gesicht mit seinen gefalteten Händen. Zwischen den Fingern linste er hinüber zu dem Liebespaar. Gleichzeitig murmelte er ein Vaterunser.

Der Indianer riss das Gesäß des Mädchens hoch. Beide schrien laut. Dann sanken sie übereinander ins Gras.

"Famos", murmelte McAuley. "Ganz und gar famos..."

Links neben ihm wiederholte Samuel Murphys Flüsterstimme das Vaterunser. Rechts neben ihm, irgendwo im Gebüsch, erklang rhythmisches Rascheln und unterdrücktes Stöhnen des jungen Texaners.

"Reißt euch zusammen, verflucht noch mal...", zischte McAuley. Er versuchte streng zu klingen, musste aber grinsen.

Die beiden fischenden Indianerjungen auf den Steinen in der Mitte des Flusses kicherten und deuteten in die Richtung der Böschung, wo das erschöpfte Liebespaar lag. Natürlich hatten auch sie seine Schreie gehört.

Eine halbe Stunde lang noch beobachteten die drei Kavalleristen die jungen Indianer. Das Liebespaar zog sich an und kroch die Böschung hinauf. Die beiden Halbwüchsigen spießten ein paar Fische auf. Je zu zwei auf einem Pferd ritten die vier in den Wald hinein. Nur die junge Frau blieb zurück.

Als die anderen zwischen den Bäumen verschwunden waren und sie sich unbeobachtet wähnte, zog sie ihr Kleid über den Kopf. Nackt stieg sie ins Wasser und begann sich zu waschen.

"Die holen wir uns", flüsterte McAuley.

"Reddog hat nichts dergleichen befohlen", zeterte Murphy.

"Er hätte es befohlen, wenn er diese Gelegenheit vorausgesehen hätte", widersprach McAuley. "Eine Geisel ist Gold wert. Sie wird uns den Weg zu ihrem Stamm zeigen." Er legte Weste, Hose und Hemd ab, steckte sich ein Messer zwischen die Zähne und glitt ins Wasser. Lautlos wie ein Alligator.

Das Mädchen entdeckte ihn erst, als er schon fünf Schritte vor ihr war. Sie schrie laut und sprang leichtfüßig aus dem Fluss. Am Ufer machte sie den Fehler, in ihr Kleid zu schlüpfen, statt sich nackt auf ihr Pferd zu schwingen.

Die beiden Kavalleristen beobachteten mit angehaltenem Atem, wie McAuley sich auf sie warf. Sie zappelte, als er seine Hand auf ihren Mund presste und ihr das Messer an die Kehle setzte.

Er schleppte die Frau über den Fluss. Charly und Sammy packten sie und zogen sie ans Ufer. Sie fesselten und knebelten sie. Dann zogen sie ihre menschliche Beute hinter sich her in den dichten Wald hinein.

10

Die Nacht fiel wie ein schwarzes Tuch über die Berghänge. Feuchter Dunst stieg aus dem Waldboden. Ein Uhu rief aus einer der dicht an dicht stehenden Eichen. Ein fliehendes Tier huschte raschelnd durch das Unterholz.

Zwölf Schatten glitten lautlos von Baumstamm zu Baumstamm. Ein dreizehnter bewegte sich ohne Deckung durch die Eichen den Berghang hinauf. Im Mondlicht glitzerte der Beschlag seines Gewehrkolbens. Fransen wehten an Armen und Beinen seiner Lederkleidung. Seine grauen Zöpfe baumelten bei jedem Schritt über seine Brust.

Hin und wieder blieb er stehen und sah hinauf zu den schwarzen Umrissen des schroffen Felsens über ihm. Dorthin wollte er. Ungefähr dort hatte er zwei Stunden vor Sonnenuntergang vom gegenüberliegenden Hang aus das Lichtsignal gesehen.

Er bewegte sich scheinbar mühelos durch die Dunkelheit den steilen Berghang hinauf. Wie ein junger, abgehärteter Mann. Dabei war er weit über sechzig Jahre alt.

Wie alt genau, wusste er selbst nicht. Die vielen Winter im Wald und die unzähligen Sommer bei den Indianern hatten ihm jeden Begriff von verstreichender Zeit verblassen lassen. Er konnte nicht einmal mehr erklären, warum er sie in seinen frühen Jahren nach Monaten und Jahren gemessen hatte.

Am Fuß des Felsens, vor einer Höhle, ließ der alte Mann, den die Cheyenne den Bergfuchs nannten, sich auf einem Stein nieder. Er spähte durch die Dunkelheit den Hang hinunter. Keine Bewegung zwischen den Konturen der Eichenstämme verriet die Nähe seiner zwölf Begleiter.

Er wartete.

Irgendwann ertönte von fern der Ruf eines Waldkauzes. Der Alte formte die Hände zu einem Trichter und erwiderte den Ruf. Lange Zeit lauschte er in die Stille des Bergwaldes. Die Kälte kroch in seinen Körper. Er spürte es nicht.

Dann wieder der Ruf des Kauzes. Näher diesmal, viel näher. Noch einmal ahmte auch er den langgezogenen, klagenden Laut nach.

Über ihm kullerte ein Stein ins Unterholz. Er drehte sich um und spähte in den Felshang hinein. Ein Schatten löste sich aus den schroffen Konturen.

Der Bergfuchs stand auf und ging dem Schatten entgegen. Im spärlichen Mondlicht, das hier oben am Felsen den Weg durch das Laubdach fand, leuchteten gelbe Knöpfe an einer Jacke auf. Eine Uniformjacke! Es war der Mann, auf den der Bergfuchs gewartet hatte.

Sie fielen sich in die Arme.

"Mein Sohn", seufzte der Alte. "Nach so vielen Jahren..."

Der andere löste sich aus der Umarmung, zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Uniformtasche und reichte es dem Alten. Tuschelnd wechselten sie ein paar Worte. Dann eine kurze Umarmung, und der Mann in der Uniformjacke verschwand wieder im Schatten des Felsens.

Der Bergfuchs stieg den Hang hinab. Nach und nach lösten sich zwölf Schatten von den Eichenstämmen und schlossen sich ihm an...

11

Roosters Augen sprühten Hass. Er stand etwa zwanzig Schritte von Cunningham entfernt. Seine Rechte schwebte über dem Kolben seines Armeecolts.

Cunningham wusste nicht, wo sie sich befanden. Innerhalb der Palisaden von Fort Laramie? Irgendwo in der Prärie? Oder vor dem Cheyennelager, in dem er aufgewachsen war?

Einige Offiziere hockten etwas abseits im Gras. Sie grinsten zu Cunningham herüber. Weit hinter ihnen waren Indianer mit Kriegsbemalung und prächtigem Kopfschmuck. Cheyenne.

Cunningham versuchte dem stechenden Blick des Colonels standzuhalten. Er fühlte sich unendlich matt. Und jetzt erst entdeckte er die Frau zwischen sich und seinem Vorgesetzten. Helena Rooster. Vollkommen nackt räkelte sie sich im Gras und spreizte ihm die Beine entgegen.

"Zieh, Cunningham!", rief der Colonel.

Cunningham griff nach seinem Revolver. Er spürte den Griff der Waffe unter einem Stoffknäuel. Kaltes Entsetzen kroch ihm das Brustbein hinauf. Er sah an seiner rechten Seite hinunter: Der graue Stoff von Helenas Kleid war um seine Waffe geknotet. Der rüschenbesetzte Saum schlang sich um sein rechtes Bein.

"Zieh endlich, Cunningham!" Die Stimme des Colonels überschlug sich. Die nackte Frau im Gras stöhnte laut. Cunningham versuchte den Stoff von seiner Waffe zu lösen. Er war wie mit ihr verwachsen.

Er wollte den Knoten entwirren, zerrte am verschlungenen Rüschensaum - und zog die Fessel nur noch fester um sein Bein und seine Hüfte zusammen.

Die Waffe war so nah und doch so unerreichbar! Schließlich riss er so heftig an dem Kleid, dass sein Revolver aus dem Halfter rutschte und ins Gras fiel.

Aus den Augenwinkeln sah er den Armeecolt in Roosters Hand. Er spuckte eine Kugel nach der anderen aus...

Cunningham fuhr aus dem Schlaf hoch. Er schnappte nach Luft. Panik presste seine Brust zusammen. Er wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.

Links und rechts von ihm schnarchten seine Leute. Einer fehlte. Cunningham tastete nach der Decke neben sich. Shakopee Lager. Es war leer. Aber es fühlte sich warm an.

Er stand auf und trat zwischen die Bäume. Tief atmete er durch. Die kühle Waldluft strömte in seine Lungen.

Reglos lauschte er in die Dunkelheit. Minuten später knackte ein Ast. Vielleicht einen Steinwurf weit entfernt. Dann ein leises Rascheln. Und schließlich tauchte die Gestalt eines Mannes zwischen den Baumstämmen auf. Shakopee.

"Wo warst du?"

"Pinkeln", sagte der Sergeant gleichgültig. Zu gleichgültig, fand Cunningham.

"Warum so weit vom Schlafplatz entfernt?"

"Ich konnte nicht schlafen und wollte mich ein wenig umhören." Shakopee schob sich an Cunningham vorbei. "Aber es scheint alles ruhig zu sein."

Cunningham musste sich zufriedengeben. Sie wickelten sich in ihre Decken. Bald hörte er die ruhigen Atemzüge des Halbbluts neben sich. Cunningham selbst fand keinen Schlaf mehr. Der Traum steckte ihm in den Knochen.

Es war noch stockdunkel, als er seine Leute weckte.

Im Morgengrauen ritten sie auf eine Lichtung. Unter ihnen, im Tal zwischen den Bäumen, schälten sich verwaschene helle Flecken aus dem aufsteigenden Morgendunst. Tipis.

"Ich glaub's nicht!", sagte einer der Männer. "Wir haben sie gefunden!"

Jemand schlug Cunningham auf die Schulter. "Das Cheyennelager, wir haben es gefunden!" Die drei Männer freuten sich wie kleine Jungs, denen man echte Gewehre statt Holzprügel mit Abzugsbügeln zum Geburtstag geschenkt hatte.

Cunningham und Shakopee aber sahen schweigend auf die aus dem Nebel ragenden Tipispitzen herab.

Cunningham verwünschte den Tag, an dem er sich freiwillig bei der US-Kavallerie gemeldet hatte.

Sie banden die Pferde an Bäume und pirschten sich näher an das Lager heran. Nirgends waren Wachen zu entdecken. Keine Menschenseele zwischen den Tipis. Erst als die Sonne den Nebel verjagt hatte, krochen ein paar alte Frauen ins Freie und schlurften mit Lederschläuchen zum Fluss hinunter.

Cunninghams Spähtrupp zog sich zurück.

"Morgen läuft unsere Frist ab", sagte Shakopee, als sie wieder auf den Pferderücken saßen. "Sehen wir zu, dass wir pünktlich bei der Truppe eintreffen und dem Colonel Bericht erstatten."

Cunningham nickte. Sein Instinkt sagte ihm, dass irgend etwas nicht stimmte. Sein Verstand wollte nicht wissen, was es war...

12

"Sie haben keine Wachen aufgestellt?" Der Colonel runzelte die Stirn.

"So ist es, Sir", bestätigte Cunningham. "Eine merkwürdige Sache. Wir sollten vorsichtig sein. Vielleicht beobachten wir sie noch ein paar Tage lang."

Rooster schnaubte verächtlich.

Details

Seiten
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783738907599
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (August)
Schlagworte
nevada western doppelband
Zurück

Titel: Nevada Western Doppelband #5