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Neal Chadwick - Vier Western Oktober 2016

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2016 460 Seiten

Zusammenfassung

Neal Chadwick - Vier Western Oktober 2016
von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 460 Taschenbuchseiten.

Unter dem Pseudonym NEAL CHADWICK begann Erfolgsautor Alfred Bekker seine Karriere als Verfasser von Western-Romanen. Viermal pures Abenteuer in der harten Zeit des Wilden Westens. Männer im Kampf um Recht und Rache.

Dieses Buch enthält folgende vier Romane:

Die Rache der McCory-Brüder

Dunkler Prediger

Sonora-Geier

Ein Mann namens Bradford

Cover: Firuz Askin.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Neal Chadwick - Vier Western Oktober 2016

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 460 Taschenbuchseiten.

Unter dem Pseudonym NEAL CHADWICK begann Erfolgsautor Alfred Bekker seine Karriere als Verfasser von Western-Romanen. Viermal pures Abenteuer in der harten Zeit des Wilden Westens. Männer im Kampf um Recht und Rache.

Dieses Buch enthält folgende vier Romane:

Die Rache der McCory-Brüder

Dunkler Prediger

Sonora-Geier

Ein Mann namens Bradford

Cover: Firuz Askin.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Die Rache der McCory-Brüder

von Alfred Bekker

1

Der Junge hatte unbedingt mit seinem Vater und den Männern hinausreiten wollen.

Jetzt war es später Nachmittag, und sie waren auf dem Weg zurück zur Ranch.

Steve Gallaghers Ranch war nicht groß, aber sie bot ihm, seiner Familie und drei Cowboys ein Auskommen. Die Arbeit war anstrengend, und es gab stets mehr als genug zu tun, aber Steve Gallagher war froh, sein eigener Herr zu sein. Das war ihm eine Menge wert.

Ein Flecken Erde, der ihm gehörte, eine bezaubernde Frau und ein wohlgeratener, zwölfjähriger Sohn - was konnte man mehr vom Leben erwarten?

"Dad, du warst doch früher Sheriff in Little Valley, nicht wahr?", fragte der kleine Tom, während sie in gemäßigtem Tempo nach Hause ritten.

Sowohl Pferde wie Menschen waren müde und abgeschlagen, nur die Energien des kleinen Tom schienen nie zu versiegen.

"Warum bist du nicht Sheriff geblieben, Dad? Es ist doch eine gute Sache, für Recht und Ordnung zu sorgen!"

Steve lächelte.

"Ja, das stimmt, mein Junge. Es ist eine gute Sache, aber nicht ungefährlich. Und als ich deine Mutter kennenlernte, und mit ihr eine Familie gründen wollte, da wusste ich, dass das nicht zusammen passt: Tage oder Wochenlang auf der Jagd nach gefährlichen Halunken zu sein und zu Hause Frau und Kind, die nicht wissen, ob man lebend zurückkehrt!"

"Auf mich hättest du dabei aber nicht Rücksicht nehmen brauchen", meinte der Junge.

Steve lachte, langte zu Tom hinüber und strich ihm durch den wuscheligen Haarschopf.

"Wenn man eine Familie hat, kann man nicht so leben, als wenn man nur für sich selbst zu entscheiden hat. Wenn du mal soweit bist, wirst du das auch merken."

"Was ist dann anders?", fragte der Junge.

"Man muss sich einigermaßen sicher sein können, dass man am nächsten Tag noch am leben ist, um für seine Familie zu sorgen. Das verstehst du doch, oder?"

"Ja."

Dann schwiegen sie beide eine Weile. Dafür meldete sich Brian, einer der Cowboys zu Wort.

"Der Kleine kann einem Löcher in den Bauch fragen, was Steve?"

In der Ferne sahen sie nun die Ranch auftauchen: Das einfache, aber gemütliche Wohnhaus, die Stallungen und Corrals, die Unterkünfte für Cowboys...

"Sieh mal, Dad! Dahinten ist Ma!"

Und dann sah Steve sie auch. Seine Betsy, die jetzt ihren schlanken Arm hob und ihnen zuwinkte.

Schnell waren sie herangeritten, hatten sich aus den Sätteln gleiten lassen und die Pferde festgemacht. Steve Gallagher nahm seine junge Frau in die Arme und strich ihr zärtlich über den Kopf.

"Hattet ihr einen harten Tag, Steve?"

"Ach es ging. Und bei dir, irgendwelche Probleme?"

"Nein. Ich habe Essen gemacht. Es ist gerade fertig geworden. Ich denke, du und die Männer werden einen Mordshunger haben!"

"Haben wir, Ma'am!", rief Brian herüber, der seinem Gaul gerade den Sattel vom Rücken gemacht hatte.

Tom wollte schon ins Haus rennen, aber die Stimme seiner Mutter hielt ihn zurück.

"Moment, junger Mann!", rief sie ihm hinterher, ohne sich aus den Armen ihres Mannes zu lösen. Sie deutete auf die Tränke. "Erst wird gewaschen!"

2

Sie standen nebeneinander, klopften sich den Staub von den Kleidern und wuschen Hände und Gesicht.

Plötzlich meinte der Junge: "Hast du gar keine Angst, Dad?"

"Angst?"

Steve richtete sich auf und runzelte etwas die Stirn.

"Wovor denn?" Er kannte seinen Jungen und er wusste, dass er irgendetwas Bestimmtes mit seiner Frage im Sinn haben musste.

"Na, als du Sheriff warst, da hast du doch sicher dafür gesorgt, dass eine Menge Verbrecher hinter Schloss und Riegel gekommen sind, nicht wahr?"

"Ja, das war mein Job. Es waren einige..."

"Hast du nicht Angst davor, dass einer von denen dir das eines Tages heimzahlen will, Dad?"

Steve schüttelte den Kopf.

"Nein, da mache ich mir eigentlich keine Sorgen, Junge."

"Gar kein dummer Gedanke, den der Kleine da äußert, was?", mischte sich Brian ein, der inzwischen ein Handtuch genommen hatte, um sich etwas abzutrocknen. "Erinnerst du dich noch an die McCory-Brüder, Steve?"

Ein leichter Schatten fiel über Steve Gallaghers Gesicht.

Er nickte kurz.

"Ja. Üble Kerle waren das."

"Mann, ich weiß noch wie der Gefängniswagen aus Tucson kam, um sie abzutransportieren! Erinnerst du dich noch, Steve? Ich war zufällig gerade aus dem Drugstore gekommen..."

"Ja, ich erinnere mich..." Dann machte Steve eine wegwerfende Bewegung. "Ach, es waren so viele... Little Valley war damals eine wilde, ungezähmte Stadt!"

Brian spuckte aus und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht.

"Es mögen viele gewesen sein, Steve! Aber so wahr ich hier stehe, ich habe in meinem ganzen Leben nie wieder einen Mann so furchtbare Racheschwüre ausstoßen hören!" Er machte ein nachdenkliches Gesicht und kratzte sich hinterm Ohr. "Welcher von ihnen war es doch gleich noch... Roy! Es war Roy McCory!"

"Was hat er denn gesagt?", fragte Tom, sichtlich interessiert.

"Oh, schlimme Dinge, mein Junge! Er wollte deinen Dad über den Haufen schießen, wenn er dazu die Gelegenheit bekommen sollte..."

"Hör' auf, Brian", fuhr Steve abrupt dazwischen. "Das ist Vergangenheit und die sollten wir ruhen lassen..."

Aber während sie dann zum Essen gingen, arbeitete es in Steves Gehirn. Er rechnete nach. Er glaubte sich zu erinnern, dass Roy McCory damals fünfzehn Jahre bekommen hatte...

Fünfzehn Jahre...

Die waren um!

Aber dann scheuchte er die Gedanken an Roy McCory davon und verbannte sie zunächst einmal aus seinem Kopf.

Es gab Dutzende von Leuten, mit denen er in Ausübung seiner Pflichten irgendwann einmal aneinander geraten war.

Und bisher war noch keiner von ihnen auf seiner Ranch aufgetaucht, um sich an ihm zu rächen.

3

Er war ein hochgewachsener Mann mit vorspringendem Profil und ledriger, wettergegerbter Haut. Zwei eisgraue, kalte Augen lagen hinter hohen Wangenknochen.

Als der Trupp von fast zwei Dutzend Reitern den Hügelkamm erreicht hatte, gab er den Männern ein Zeichen und zügelte dann sein Pferd.

Seine Gefolgsleute taten es ihm nach und blickten ein wenig irritiert zu ihrem Anführer hinüber.

"Was ist, Roy?"

Roy McCory drehte sich nicht zu seinem Bruder Phil um, sondern starrte hinab ins Tal, dorthin, wo Little Valley lag.

"Die Stadt scheint ein bisschen gewachsen zu sein, seit das wir letzte Mal hier waren...", murmelte Roy finster.

Phil, sein Bruder war von ähnlicher Statur wie Roy, aber seine Haut war weniger ledrig und sein Gesicht wirkte nicht ganz so finster und hasserfüllt.

"Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit", meinte Phil.

"Ja", bestätigte Roy. "Und wie habe ich auf diesen Augenblick gewartet!" Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. "Jetzt werden Gallagher und Potter bezahlen!" Und in dem er das sagte, ballte er grimmig die Hand zur Faust.

Phil nickte knapp.

"Ja, wir sind es unserem toten Bruder Joe schuldig!"

Jetzt wandte Roy sich endlich zu ihm um und blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, aus denen ein unstillbarer Durst nach Rache sprach.

"Wir sind es uns selbst schuldig, Phil!", zischte er.

"Bin gespannt, ob die beiden immer noch in Little Valley den Stern tragen!"

Roy spuckte aus.

"Wäre wirklich zu dumm, wenn irgend so ein dahergelaufener Strauchdieb uns zuvorgekommen sein sollte und wir jetzt keine Möglichkeit mehr hätten, sie unter die Erde zu bringen!"

Er ließ den Blick die Reihe der Reiter entlangschweifen.

Roy McCory und sein Bruder Phil waren der Rache wegen nach Little Valley gekommen, aber die Bande, die sie angeheuert hatten, hatte mit der alten Geschichte von damals nichts zu tun.

Es waren allesamt raue Kerle, bekannte Banditen und Halsabschneider, die nur einen Grund hatten, den McCorys zu folgen: Die Aussicht auf fette Beute.

Aber für Roy spielte das keine Rolle.

Wenn die Stadt sich erst einmal in ihrer Hand befand, würde schon genug für die hungrigen Wölfe abfallen...

"Los, Männer!", rief Roy. "Potter und Gallagher sind schon so gut wie tot!"

Dann preschten sie den Hang hinunter in Richtung der Stadt: eine schießwütige Bande von Killern, von denen jeder einzelne jederzeit dazu bereit war, für eine halbe Flasche Whisky einen Menschen umzubringen...

4

Mit Genugtuung bemerkte Roy, dass einige Passanten auf der Main Street von Little Valley sich noch an die alten Zeiten erinnerten.

"Die McCorys sind zurückgekehrt!", hörte er einen Mann in den mittleren Jahren aufgeregt rufen, der sich daraufhin raschen Schrittes in Richtung des Sheriff-Büros bewegte.

Soll er nur laufen und die Sternträger aus ihrem Rattenloch holen, dachte Roy zynisch. Dann brauchte er nicht nach ihnen zu suchen.

"Die Männer haben sich nach dem langen Ritt einen Drink verdient, meinst du nicht auch?", meldete sich Phil zu Wort.

Roy ließ einige Augenblicke lang den Blick wortlos umherschweifen um die Lage abzuschätzen. Dann nickte er schließlich gönnerhaft.

"Gut, gehen wir erst einmal auf einen Drink in den Saloon."

Little Valley war keine Großstadt und wenn es auch in den Jahren etwas gewachsen war, so hatte es nach wie vor noch immer nur einen Saloon, der von einem glatzköpfigen, massigen Mann namens Paddy Karrow betrieben wurde.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, da hatten sie Paddys Laden erreicht, der ungefähr in der Mitte der Main Street zu finden war.

Sie stellten ihre Pferde zu den anderen und dann folgten sie Roy durch die Schwingtüren.

Als die McCorys den Saloon betraten, herrschte unter den anwesenden Zechern plötzlich Schweigen.

Roy blieb zunächst in der Mitte des Schankraumes stehen und schien die Atmosphäre der Angst sichtlich zu genießen, die er verbreitete.

Dann ging er gemessenen Schrittes zur Theke und wandte sich an Paddy.

"Na, lebst du auch noch, altes Haus?"

Paddys Gesichtsausdruck blieb unbewegt. Er schien sich über das Wiedersehen keineswegs zu freuen.

"Was willst du hier, Roy McCory? Streit?"

"Zunächst nur einen Whisky, Paddy. Den kann man doch immer noch bei dir bekommen, oder?"

"Wenn du dafür bezahlst, ja."

"Na, los, schenk ein. Und meinen Männern auch. Wir haben einen langen Ritt hinter uns..."

Dem Barkeeper war offensichtlich nicht wohl in seiner Haut. Sein rundes Gesicht war rot angelaufen und er schwitzte. Er hatte die McCorys erlebt, damals, vor fünfzehn Jahren...

Und er wusste, dass mit ihnen nicht zu spaßen war.

"Ist Steve Gallagher immer noch Sheriff in Little Valley?", fragte Roy dann.

Paddy sah auf.

"Nein, schon lange nicht mehr."

Roys Gesicht wurde zornig, auf seiner Stirn bildeten sich dicke Furchen.

"Na, red' schon, was macht Gallagher jetzt?"

"Schon ein paar Jahre nachdem...", Paddy schluckte, "...nach der Sache damals hat er den Stern abgegeben, sein Mädchen geheiratet und sich dann als Klein-Rancher niedergelassen."

"Hier in der Gegend?"

"Du willst ihn umbringen, nicht wahr, McCory?"

Roy griff blitzschnell zum Revolver an seiner Seite, spannte den Hahn und setzte die Waffe an das dicke Doppelkinn des Barkeepers.

Ein Raunen ging durch den Schankraum, die Männer hielten den Atem an, aber keiner fühlte sich im Stande einzugreifen.

Roy grinste zynisch und musterte einige Augenblicke lang die furchtsamen Gesichter der Bürger.

Dann wandte er sich wieder an den zitternden Paddy und wiederholte seine Frage.

"Hier in der Gegend?"

Paddy keuchte.

"Ja..."

Roy nickte zufrieden, ließ aber die Waffe nicht von dem armen Barkeeper.

"Wer ist jetzt Sheriff in Little Valley?"

"Mike Potter..."

"Habe ich es mir doch gedacht. Wenn Gallagher im Amt geblieben wäre, wäre Potter wohl ewig Hilfssheriff geblieben!"

Phil fiel in raues Gelächter, in das dann etwas zögernd auch die anderen Männer einstimmten.

Von den Leuten aus der Stadt lachte niemand.

5

In diesem Moment flogen die Schwingtüren des Saloons auseinander.

Die Kerle am Schanktisch wirbelten herum, während Roy McCory wie zur Salzsäule erstarrt war.

"Nehmen Sie die Waffe weg!", befahl eine ruhige, besonnene Stimme.

Roy verzog zynisch das Gesicht und bewegte sich nicht.

"Sieh an, so sieht man sich wieder... Mike Potter!", quetschte er zwischen den schmalen, blutleeren Lippen hindurch.

Potter deutete auf den Blechstern, den er an der Brust trug und machte ein ernstes Gesicht.

"Ich vertrete hier das Gesetz, McCory!"

"So wie damals!"

"Ja, so wie damals! Ganz gleich, was Sie nach all den Jahren zurück nach Little Valley getrieben hat: Ich werde nicht dulden, dass Sie hier irgendwelchen Aufruhr stiften!"

Roy nahm den Colt blitzartig von Paddys Doppelkinn weg und zerschoss eine der Whiskyflaschen, die hinter dem Saloonkeeper in den Regalen standen.

Dann drehte er sich gänzlich zu Potter herum, wobei er die Waffe noch immer in der Hand hielt.

"Der Grund, weshalb Phil und ich nach all den Jahren hier her zurückgekehrt soll kein Geheimnis sein, Sheriff!"

"Nun?"

"Es gibt zwei Gründe und sie tragen beide Namen: Gallagher und Potter!"

"Sie wollen Rache?"

"Sie beide haben unseren Bruder Joe an den Galgen gebracht - und uns für viele Jahre ins Loch!"

"Es war unsere Pflicht, euch festzunehmen und vor den Richter zu schleppen", erklärte Potter. "Ihr drei hattet eine Postkutsche überfallen und die Passagiere misshandelt. Und Joe hat auf den Kutscher geschossen - und ihn ermordet!"

"Wenn Sie denken, dass Sie durch Ihr erbärmliches Gewinsel unserer Rache entgehen können, dann haben Sie sich geirrt, Potter!"

"Ich weiß", meinte Potter.

Sein Blick ging die Reihe der Kerle entlang, die ihm da an der Theke gegenüberstanden.

In ihren Augen las er seinen Tod.

"Das Urteil über Sie ist längst gesprochen, Potter!", meldete sich jetzt Phil zu Wort. Sein Tonfall war eisig. "Es geht nur noch darum, es zu vollstrecken..."

Die Hände der Männer gingen zu den Revolvern und auch Potters Rechte glitt zur Hüfte.

Roy McCory, der die Waffe ja bereits in der Hand hatte, war der Erste, der feuerte.

Er schoss, noch bevor der Sheriff sein Eisen völlig aus dem Holster gerissen hatte.

Mike Potters Augen erstarrten, als ihm die Kugel in den Oberkörper fuhr. Doch noch ehe er rücklings durch die Schwingtüren taumelte und der Länge nach in den Staub der Straße schlug, wurde er von einem Kugelhagel förmlich durchsiebt.

"Das wäre erledigt, Männer", murmelte Roy, als die Ballerei vorbei war. "Der steht nicht wieder auf..." Dann wandte er sich an Paddy. "Glotz nicht so dumm wie ein Affe, Dicker! Ein Saloonkeeper sieht so etwas doch sicher nicht zum ersten Mal! Schenk den Männern lieber nach, anstatt große Augen zu machen!"

"Jawohl...", stammelte er.

Seine Hände zitterten so sehr, dass er kaum die Whiskyflasche halten konnte.

Unterdessen war einer von den Leuten aus der Stadt von seinem Platz aufgestanden.

"Das war unser Sheriff!", rief er völlig entgeistert. "Sie haben unseren Sheriff ermordet!"

Roy McCory wandte sich um und bedachte ihn mit einem kühlen Blick, aus dem deutliche Geringschätzung sprach.

Der Mann trug einen braunen, schon recht abgeschabten Anzug, aber keinen Colt um die Hüften. Er schien völlig außer Fassung zu sein und bewegte sich kopfschüttelnd seitwärts auf die Schwingtüren zu.

Dabei ließ er für keine Sekunde den Blick von Roy. Er stierte ihn an, als sei der fremde Bandenführer ein exotisches Raubtier.

"Was haben Sie getan..." stammelte er und auch einige der anderen anwesenden Zecher hatten sich nun von ihren Plätzen erhoben.

Allerdings riskierte es von ihnen kein einziger, ein unbedachtes Wort über die Lippen kommen zu lassen.

Der Mann im braunen Anzug griff unter sein Jackett.

Roy McCory zögerte nicht eine Sekunde. Blitzartig riss er das Eisen heraus und feuerte.

Er traf den Mann mitten auf der Stirn, der daraufhin in sich zusammensackte und auf den ungehobelten Bretterboden schlug.

Seine Augen waren weit aufgerissen.

Er war gestorben, ohne zu wissen, weshalb.

Roy steckte den Colt weg, während die anderen Saloongäste wie erstarrt dastanden. Keiner von ihnen wagte auch nur ein zu lautes Atmen.

Mit dem Fuß drehte er den Toten herum.

Die Hand, mit der er unter das Jackett gegriffen hatte, hielt ein Taschentuch...

"War das wirklich nötig, Roy? Ich meine Potter, okay, aber gleich so nervös..."

"Halt's Maul, Phil!"

Roy sagte das auf eine Art und Weise, die es seinem Bruder besser erscheinen ließ, sich daran zu halten und tatsächlich nichts mehr von sich zu geben.

Roy wirkte ziemlich unbeteiligt. Zumindest dafür, dass er soeben zwei Menschen erschossen hatte.

Er wandte einen funkelnden Blick in Richtung von Paddy, der vergessen zu haben schien, seinen Mund zu schließen, nachdem er ihn das letzte Mal geöffnet hatte. "Ich hoffe, ihr habt einen Totengräber hier in der Stadt, der so etwas wegmacht..."

Roy sprach ganz leise und es klang gespenstisch. Fast wie das Zischen einer Schlange.

"Was ist, Paddy, alter Angsthase? Habt ihr einen oder nicht?"

"Ja."

"Das ist gut, Paddy! Das ist gut..."

"Ich verstehe nicht..."

"Du verstehst nicht? Wir werden die Dienste des Totengräbers noch öfter in Anspruch nehmen müssen, wie mir scheint..."

Er musterte die Reihen der Stadtleute, die alle nur hier her gekommen waren, um friedlich einen Drink zu nehmen und die jetzt soviel Angst hatten, dass sie es nicht gewagt hätten, einen Muskel zucken zu lassen oder eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen.

"Hast du nicht ein paar Zimmer, Paddy?", raunte er dann, ohne den Keeper dabei anzusehen.

Paddy gab keine Antwort.

Und das hatte auch einen einleuchtenden Grund. Er hatte nämlich nicht die geringste Lust, auch nur einen der Kerle zu beherbergen.

"Ich hab dich was gefragt!", brauste Roy dann auf einmal auf, so dass sein dickleibiges Gegenüber geradezu zusammenzuckte.

"Ja, ich habe Zimmer."

"Dann richte sie für mich meine Leute her!"

"Sie sind belegt! Es sind Gäste drin!"

"Wirf sie raus, Paddy. Wir haben Vorrang!"

"Aber..."

Roy wandte sich an seine Männer und machte eine Bewegung mit der Hand.

"Kommt Leute, wir sind nicht zum Spaß hier..."

Sie tranken ihre Whiskys aus und bewegten sich schwerfällig in Richtung der Schwingtüren, wo ihr Boss auf sie wartete.

"Hey, was ist mit Bezahlung!"

"Wir bezahlen jede Rechnung!", rief Roy. "Hast du gehört? Jede Rechnung! Und wir vergessen nichts! Aber unsere Währung wird in Blei geprägt!"

Dann riss er blitzschnell den Colt heraus und zerballerte den großen Spiegel, den Paddy hinter dem Schanktisch angebracht hatte.

Der Barkeeper wurde bleich.

"Du kannst jede Menge davon haben!", zischte Roy McCory grimmig.

6

Als die McCorys mit ihrem Gefolge vor den Saloon traten, vorbei an der Leiche von Mike Potter, da war draußen inzwischen ein Menschenauflauf entstanden.

Zornige Bürger hatten sich zusammengefunden und nicht wenige von ihnen waren bewaffnet

"Mörder!", schrie einer aus der Menge. Es war nicht auszumachen, wem die Stimme gehörte und vermutlich hätte ihr Besitzer es sonst auch nicht gewagt, den Mund so weit aufzureißen.

"Jagt sie aus der Stadt!"

"Jawohl!"

Roy McCory zog den Revolver und ballerte ein paar Mal in den Sand, knapp vor die Füße der Stadtleute, die daraufhin einige Schritte zurückwichen.

"Etwas mehr Abstand ist mir lieber", murmelte er dann finster, nachdem er die Waffe wieder eingesteckt hatte. "Hat irgendjemand etwas zu sagen? Dann soll er es jetzt tun. Hier liegen bereits zwei Leichen und ich habe nichts dagegen, alle Meinungsverschiedenheiten mit einem Abwasch zu erledigen..."

Es hatte niemand etwas zu sagen.

Roy glaubte einschätzen zu können, dass seine Gegenüber samt und sonders Maulhelden waren, die sich zwar gerne empörten, aber immer dann wenn es brenzlig wurde schnell klein bei gaben.

Er deutete auf den toten Mike Potter, der hinter ihm im Staub lag.

"Durch gewisse Umstände ist der Posten eines Sheriffs in Little Valley seit ein paar Minuten vakant geworden..." Roy beugte sich über den Toten und riss ihm den Blechstern von der Weste.

Er hob das Abzeichen hoch, so dass es jeder sehen konnte.

Die Leute hielten den Atem an, aber sie sahen zu und warteten ab.

Dann steckte Roy sich den Stern selbst an die Brust und meinte dazu: "Ich denke, es hat niemand etwas dagegen, wenn ich für eine Weile hier das Gesetz vertrete..."

Die Bürger ließen die Köpfe hängen.

Die ersten von ihnen zogen wie begossene Pudel davon und Roy nahm mit Befriedigung zur Kenntnis, wie sich die Menge rasch auflöste.

7

Sie saßen alle an einem massiven Tisch und aßen das köstlich riechende Rinder-Stew, das Betsy Gallagher zubereitet hatte.

Steve hatte seinen Teller gerade gelehrt, da hörte man draußen das Geräusch eines galoppierenden Pferdes.

"Ein Reiter...", meldete sich der kleine Tom prompt.

Betsy hatte die Stirn in Falten gelegt und zog dann die Augenbrauen in die Höhe.

"Wer mag das sein?"

Sie hatte es kaum ausgesprochen, da klopfte auch schon jemand ziemlich heftig an der Tür. Kein Zweifel da hatte es jemand sehr eilig...

"Hey! Jemand zu Hause!"

"Kommen Sie rein, Rankine!", rief Steve. Er hatte die Stimme sofort erkannt.

Die Tür flog auf und dann stand er da: Rankine, der bullige, kräftig gebaute Betreiber des Mietstalls von Little Valley, mit dem niemand gewagt hätte, eine Schlägerei anzufangen.

Er war ziemlich außer Atem.

"Was gibt es, Rankine? Kommen Sie, setzen Sie sich zu uns!"

Aber Rankine setzte sich nicht.

"Mr. Gallagher, es ist etwas Furchtbares geschehen..."

Steve runzelte die Stirn.

Er kannte Rankine seit vielen Jahren, aber so hatte er ihn noch nicht erlebt.

"Na los, Rankine! Raus mit der Sprache!"

"Die McCorys - Sie erinnern sich bestimmt, nicht wahr?"

Steve erstarrte.

"Natürlich!"

"Sie sind zurückgekehrt und..."

"Wenn sie ihre Jahre abgebrummt haben, dann ist das ihr gutes Recht!", unterbrach Steve ihn.

"Lassen Sie mich ausreden! In ihrem Schlepptau haben sie eine Meute blutgieriger Halsabschneider! Die ganze Bande war kaum eine halbe Stunde in der Stadt, da gab es bereits zwei Tote. Einer davon war der Sheriff!"

Steve schluckte.

"Mike...", murmelte er. "Oh, verdammt!" Dann schlug er voller Zorn mit der Faust auf den Tisch.

Mike und er waren lange ein gutes Gespann gewesen.

Ja, mehr als das. Tiefe Freundschaft hatte sie miteinander verbunden.

Mike Potter war einer der wenigen Menschen gewesen, denen Steve in jeder Situation blind vertraut hätte...

Steve fühlte sich, als hätte er einen Schlag gegen den Kopf bekommen. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor sich seine Gedanken wieder einigermaßen geordnet hatten.

Ein gefährliches Gemisch aus Wut und Trauer war da in ihm und er konnte beim besten Willen nicht sagen, was von beidem den größeren Anteil hatte.

"Oh, Steve!", hörte er Betsys Stimme. "Wenn sie es auf Mike abgesehen hatten, dann werden sie auch hier her kommen!"

Rankine bestätigte das lauthals.

"Genau dasselbe habe ich auch gedacht. Deshalb bin ich auch gleich rausgeritten, um Sie rechtzeitig zu warnen!"

"Ich danke Ihnen..."

"War doch selbstverständlich! Ich weiß nicht, ob die Hunde schon auf dem Weg hier her sind, aber ich schätze, Sie müssen jetzt ziemlich auf der Hut sein..."

"Auf uns kannst du dich verlassen!", meldete sich Brian zu Wort. "Ich denke, ich spreche auch für Brent und Moss!" Die beiden anderen Cowboys der Gallagher-Ranch nickten sofort.

"Ich danke euch, Männer!"

"Sie sollen nur kommen! Wir werden ihnen schon ihre Grenzen zeigen!", meinte Brian grimmig.

"Wie groß ist die Bande der McCorys?", wandte sich Steve an Rankine.

"Etwa zwanzig Mann!"

Steve pfiff durch die Zähne.

Das war schon eine ganz beachtliche Truppe. Es würde nicht leicht sein, dagegen anzukommen.

Steve überlegte.

Das wichtigste war für ihn im Augenblick, dass seine Familie aus dieser Sache herausgehalten wurde. Aber das war leichter gesagt, als getan.

Brian und die beiden anderen Cowboys erhoben sich.

"Wir werden schon einmal die Winchesters holen und laden! Schätze, wir werden sie bald brauchen!"

Steve nickte.

"Ja, macht das. Und sattelt zwei Pferde." Steve wandte sich an Rankine. "Sie sind immer ein Freund gewesen, Rankine. Die ganzen Jahre über. Ich möchte Sie jetzt um einen Gefallen bitten!"

"Sagen Sie nur, was Sie auf dem Herzen haben, Gallagher!"

"Bringen Sie Betsy und den Jungen von hier fort, solange es noch geht!"

"Nein!", protestierte Betsy. "Ich kann mich doch einfach so davon machen! Was wird aus dir, Steve? Ich kann doch nicht tatenlos zusehen, wie ein paar verrückte Kerle daherkommen und dich wie einen Hund über den Haufen schießen!"

"Betsy!"

Sie waren beide aufgesprungen und nun trat er zu ihr und fasste sie bei den Armen.

"Ich werde nicht zulassen, dass man mir mein Leben zerstört!"

"Denk an den Jungen, Betsy! Ich werde hierbleiben. Die McCory-Brüder wollen nur mich. Wenn ich in eurer Nähe bin, bringe ich euch nur in Gefahr!"

"Du darfst so etwas nicht sagen, Steve..."

"Es ist die Wahrheit, Betsy!"

Sie schluchzte und Steve nahm seine Frau in die Arme und strich ihr zärtlich über das braune Haar.

"Oh, Gott...", stieß sie hervor, aber dann wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und fasste sich. Sie begann zu begreifen, dass sie jetzt stark sein musste. Um des Jungen willen.

"Ich weiß, dass ich Ihnen meine Familie anvertrauen kann, Rankine!", meinte Steve.

"Das können Sie."

Brent und Moss hatten unterdessen die Gewehre aus dem Waffenschrank geholt, der sich auf der anderen Seite der Wohnstube befand.

Draußen hörte man Brian mit den Pferden.

Steve nahm den Revolvergurt vom Haken an der Wand, wo er ihn vor dem Essen hingehängt hatte und überprüfte kurz die Ladung des Colts.

Er hatte das Eisen lange nicht mehr benutzen müssen, um damit auf Menschen zu schießen, aber wie es schien würde er sehr bald schon gezwungen sein, es wieder zu tun.

Sie traten hinaus und Steve drückte zum Abschied den Jungen und dann seine Frau.

"Wo soll ich sie hinbringen?", fragte Rankine.

Steve zuckte mit den Schultern.

"Wenn Sie eine Idee haben, wo sie sicher sein könnten..."

"Ich würde sie bei mir zu Hause in der Stadt aufnehmen", meinte er. "Aber die Kerle haben jetzt praktisch die ganze Stadt unter Kontrolle. Vielleicht bleiben einige von ihnen dort, um die Stellung zu halten... Ich glaube, das wäre zu gefährlich!"

"Hm..."

"Aber ich könnte sie zur Hütte von O'Hines bringen, Sie wissen: oben in den Bergen! Die steht doch seit Jahren leer!"

"Gut, einverstanden!"

Betsy und der Junge stiegen in die Sättel.

Rankine zögerte noch einen Moment und Steve nahm ihn dann etwas zur Seite.

"Was haben die eigentlich vor, Rankine?"

"Die McCorys?"

"Nein, die nicht. Die anderen, die mit ihnen geritten sind. Was hält sie im Schlepptau der beiden Brüder?"

"Die Aussicht auf Beute, Mr. Gallagher! Die McCorys wollen Rache, die anderen schießen für Dollars - oder für Dinge, die sich dazu machen lassen. Sie werden die Stadt ausquetschen wie eine Zitrone..." Rankine zuckte mit den Schultern. "Und da die meisten von ihnen Feiglinge sind, werden sie es sich wohl gefallen lassen, so wie ich die Lage einschätze!"

Dann stieg auch Rankine in den Sattel.

"Brian wird mit euch reiten!", meinte Steve an Betsy gewandt. "Er wird euch beschützen, dort oben in den Bergen!"

"Boss, ich protestiere! Ich kann dich und die beiden anderen doch nicht hier zurücklassen!"

"Es ist eine Bitte, Brian. Die beiden anderen können tun, was sie wollen, aber dich bitte ich, mit ihnen zu reiten!"

Brian atmete tief durch.

"Ich hoffe, du weißt, was du tust, Steve."

"Ich weiß es, Brian. Da kannst du sicher sein!"

"Dann mach's gut!"

Wenig später war auch er bereit zum Abmarsch und dann preschte die kleine Reiterschar dann davon.

Steve Gallagher sah ihnen noch lange nach, so lange, bis sie hinter der nächsten Hügelkette verschwunden waren.

Er wusste nicht, ob er sie je wiedersehen würde und diese Gedanke machte ihn traurig.

Aber jetzt war nicht der Augenblick, solchen Gefühlen nachzuhängen.

Er wandte er sich an Moss und Brent.

"Ich mache keinem von euch einen Vorwurf, wenn er jetzt in den Sattel steigt und davonreitet", erklärte er ruhig. "Was jetzt kommt, wird sehr gefährlich und es kann gut sein, dass es keiner von uns überlebt."

Aber die beiden Cowboys dachten nicht im Traum daran davonzulaufen.

"Für wen hältst du uns, Steve!", protestierte Moss.

Steve fuhr sich mit Hand über das Gesicht und machte dann eine Geste der Hilflosigkeit.

"Für anständige Kerle!"

"Na also! Was soll das Gerede dann?"

"Moss..."

"Wir haben doch auch sonst schonmal Schwierigkeiten gehabt, oder etwa nicht, Steve?"

"Diesmal ist es etwas anderes, Moss!"

8

Roy McCory hatte sich von Paddy, dem Barkeeper, den Weg zur Gallagher-Ranch beschreiben lassen und jetzt war er zusammen mit seinem Bruder Phil und und etwa zehn weiteren Männern im scharfen Galopp dorthin unterwegs.

Den Rest der Meute hatte er in Little Valley zurückgelassen, damit die braven Bürger während seiner Abwesenheit nicht auf dumme Gedanken kamen und am Ende gar aufmüpfig wurden.

Sie würden es sich wohl zweimal überlegen, sofern sie nicht lebensmüde waren.

"Was machen wir mit der Familie?", fragte Phil plötzlich, als sie bereits einige Meilen zwischen sich und die Stadt gelegt hatten. "Es hieß doch, Gallagher hätte inzwischen Frau und Kind!"

"Ich hoffe, dass sie nicht im Weg stehen!"

"Und wenn?"

"Hat Gallagher irgendwelche feinfühligen Rücksichten genommen, als er unseren Bruder an den Galgen gebracht hat?"

"Die Frau und das Kind haben mit der Sache nichts zu tun. Wir sollten sie in Ruhe lassen..."

Roy zuckte mit den Schultern.

"Seit wann so zimperlich?"

"Wollen wir uns streiten?"

"Nein."

"Also?"

"Gut, wenn es sich machen lässt, bleiben sie ungeschoren. Aber nur dann."

In Roys Gesicht blitze es gefährlich. Seine eisgrauen Augen funkelten und man sah es förmlich, wie er dem Moment der Rache entgegenfieberte.

In der Ferne sahen sie die Ranchgebäuder auftauchen.

"Das muss Gallaghers Anwesen sein!"

Roy zügelte sein Pferd und überprüfte kurz den Sitz des Revolvers im Holster.

Die anderen stoppten ebenfalls.

Phil zog das Winchester-Gewehr aus dem Sattelschuh und lud es mit einer energischen Bewegung durch. Einige der anderen Männer taten es ihm nach.

Jetzt wurde es ernst.

Verdammt, wie lange hatten sie darauf warten müssen, es dem verfluchten Sternträger endlich heimzahlen zu können. Und nun war es soweit!

"Hast du einen Plan, Roy?", fragte einer der Wölfe, der auf den Namen Wallace hörte. Ob es sein wirklicher Name war, wusste niemand, aber wen interessierte das schon?

"Wir werden uns aufteilen!", bestimmte Roy. "Es ist besser, wenn wir uns von verschiedenen Seiten nähern. Dann gibt es auch keine Fluchtmöglichkeiten!"

Phil machte ein nachdenkliches Gesicht.

"Glaubst du er weiß, das wir kommen? Vielleicht hat ihn jemand aus der Stadt gewarnt. Wäre nicht verwunderlich, wenn er noch Freunde dort hätte..."

Roy machte eine wegwerfende Handbewegung.

"Doch, das wäre allerdings verwunderlich!", meinte er zynisch. "Schließlich ist es im Augenblick ziemlich gefährlich, ein Freund von Steve Gallagher zu sein!"

Die Männer lachten rau.

Dann fuhr Roy fort: "Paddy sagte, Gallagher hätte drei Cowboys. Ganz gleich, ob er nun gewarnt wurde oder nicht: Wir sind in der Übermacht und dürften leichtes Spiel haben!"

9

In der Ferne tauchten Reiter hinter dem Horizont auf.

Es hatte nicht allzu lange gedauert, bis die McCorys und ihre Bande sich anschickten, der Ranch einen unfreundlichen Besuch abzustatten.

Steve Gallagher hatte sich an einem der Fenster des Wohnhauses postiert, um die Hüften seinen Revolvergurt, in den Händen ein Winchestergewehr, und blickte hinaus in die grasbewachsene Hügellandschaft.

Er sah die Reiterschar, die dort hinter dem Horizont aufgetaucht war und obwohl man die Gesichter noch lange nicht erkennen konnte, brauchte ihm niemand zu sagen, wer dort herannahte...

"Sie kommen..." zischte er und Moss und Brent erhoben sich von ihren Stühlen am Tisch, auf dem noch das Geschirr stand, von dem sie Betsys Stew gegessen hatten.

Die beiden Cowboys hatten ebenfalls ihre Waffen gepackt und stellten sich auf ihre Posten: Moss bei der halb geöffneten Tür, Brent beim zweiten Fenster der Vorderfront.

"Es sind gut ein Dutzend Mann", meinte Brent.

Steve runzelte die Stirn.

"Rankine sagte, es seien annähernd doppelt so viele!"

"Vielleicht sind einige in der Stadt geblieben", meldete sich Moss zu Wort. Er verzog den Mund, als er ironisch fortfuhr: "Sonst könnten die Leute in der Stadt womöglich auf Gedanken kommen, die den McCorys nicht behagen..."

Steve nickte.

"Ja, so könnte es sein..."

Brent deutete mit dem Lauf seiner Winchester hinaus zu den Angreifern.

"Sie werden schon sehen, was sie davon haben, sich mit uns anzulegen!", zischte er grimmig.

Steve machte ein nachdenkliches Gesicht.

"Vorsicht!", warnte er. "Wir dürfen nicht den Fehler machen, diese Kerle zu unterschätzen! Die werden ihr schmutziges Handwerk sicher vortrefflich verstehen!"

Sie kamen schnell heran.

In einiger Entfernung, bei einer Gruppe knorriger und verwachsener Bäume, die halb verdorrt waren, sahen sie einige von ihnen die Pferde festmachen.

In geduckter Haltung und mit gezogen Waffen schwärmten sie aus. Steve sah sie hinter der Unterkunft der Cowboys, beim Pferde-Corral, bei der Scheune...

Überall gingen sie in Deckung und wenn jetzt einer es wagte, den Fuß vor die Tür des Ranchhauses zu setzen, so konnte er mit Sicherheit davon ausgehen, von einem Kugelhagel durchsiebt zu werden.

"Jetzt wird es ernst, Männer", murmelte Steve. Die Scheibe des Fensters, an dem er stand, war hochgeschoben, aber noch wagte er es nicht, den Lauf seiner Winchester auch nur einen Millimeter hinauszuschieben.

Schließlich wollte er denen da draußen nicht gleich verraten, in welche Richtung sie zu schießen hatten.

"Gallagher!", rief eine raue Stimme. Steve erkannte ihren Klang sofort. Es war dieselbe Stimme, die ihn damals verflucht hatte.

Es war die Stimme von Roy McCory!

"Steve Gallagher, du Ratte! Bist du irgendwo dort drinnen?"

Steve gab zunächst keinerlei Antwort, sondern wartete erst einmal ab.

"Mit deinem Freund Potter haben wir bereits kurzen Prozess gemacht!", rief Roy dann. "Und jetzt bist du an der Reihe!"

"Sollen wir schießen?", raunte Moss.

Aber Steve schüttelte energisch den Kopf.

"Nein", flüsterte er. "Darauf warten sie nur, damit sie endlich wissen, wohin sie zu feuern haben! Aber den Gefallen werden wir ihnen noch nicht tun!"

"Aber..."

"Gallagher! Wir wissen, das du dort im Haus bist! Komm raus und stell dich endlich, du feiger Hund!"

Steve horchte plötzlich auf.

Irgendein Geräusch war da im hinteren Teil des Ranchhauses zu hören gewesen. Einen Augenblick lang blieb Steve wie erstarrt und lauschte angestrengt.

Aber da war nichts mehr.

Außerdem vermischte sich alles mit Geräuschen, die von draußen hereinkamen.

"Was ist?", raunte Moss.

"Ich dachte..."

Steve kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zu sprechen.

Die Tür, die zu den hinteren Räumen führte, wurde mit einem Mal aufgerissen und dann blickte er in den blanken Lauf eines Winchester-Gewehrs.

Schüsse donnerten und Kugeln rissen kleine Löcher in die Holzwände des Ranchhauses.

Geistesgegenwärtig warf Steve sich zu Boden. Mit einem Hechtsprung kam er hinunter und rollte sich dann auf den Fußbodenbrettern herum. Er nahm einen Stuhl mit sich und riss ihn um, während die Bleikugeln seines Gegenübers dicht über ihn hinwegpfiffen.

Steve riss das Gewehr hoch und feuerte zurück.

Der Eindringling taumelte getroffen nach hinten und schlug rückwärts durch die Tür. Er prallte hart gegen den Rahmen und rutschte dann an diesem zu Boden.

"Das war verdammt knapp", meinte Moss, während Steve einen Blick in das Gesicht des Mannes warf.

Er kannte ihn nicht.

Irgendein angeheuerter Killer.

10

Der Schusswechsel, der sich im Ranchhaus ereignet hatte, schien das Signal für alle anderen zu sein, nun schier wahllos ihre Bleivorräte zu verballern.

Und jetzt wussten sie endlich auch, wohin sie ihre Munition versenden mussten, wenn sie Erfolg haben wollten.

Ein Geschosshagel von gewaltiger Wucht prasselte jetzt auf die Vorderfront des Ranchhauses ein.

Viele der Kugeln schlugen einfach durch die Wände und zerstörten auf der anderen Seite der Stube das Geschirr in den Vitrinen.

Fensterscheiben zersprangen.

Das Klirren von Glas und Porzellan vermischte sich mit dem Aufbellen der Winchester-Gewehre und alles zusammen war ohrenbetäubend.

Steve wollte zurück zum Fenster kriechen, da sah er, wie Moss von den Geschossen, die durch die halboffene Tür kamen, förmlich durchsiebt wurde.

Drei, vier Treffer bekam er ab, wankte rückwärts und sank dann zu Boden.

"Moss!"

Steve beugte sich über ihn und zog ihn etwas beiseite.

Dann untersuchte er kurz die Wunden, die der Gefährte abbekommen hatte.

Es sah übel aus.

"Diese Hunde..." hauchte der Cowboy.

Es war kaum hörbar und wurde durch den Lärm um sie herum fast verschluckt.

"Das werden sie bezahlen, Moss!", zischte Steve und ballte unwillkürlich die Finger der linken zur Faust.

Dann floh der letzte Rest von Leben aus Moss' Körper und sein Kopf glitt kraftlos zur Seite.

Steve schloss ihm mit einer schnellen Handbewegung die toten Augen.

Dann warf er einen Blick hinüber, dorthin wo sich Brent befand. Er sah Brent zusammengekauert in der Ecke hocken.

Dieser hatte zunächst versucht, ein paar Kugeln zurückzugeben, aber dann eingesehen, dass das im Augenblick keinen Sinn machte.

Das, was von draußen auf die Verteidiger der Ranch einschlug, war einfach zuviel.

In dieser Lage auch nur die Nasenspitze hervorzustrecken war nichts als Dummheit.

Tödliche Dummheit womöglich.

Sie mussten abwarten, wenigstens bis die ersten ihr Magazin leergeschossen hatten und nachladen mussten.

Dann würde sich der Kugelhagel etwas legen, wenn auch wohl kaum für lange!

Ein kurzer, geduckter Sprung brachte Steve zurück zum Fenster, von dessen Glasscheibe kaum noch ein Splitter im Kitt steckte.

Er kauerte sich dort hin, die Winchester mit beiden Händen fest umklammert, während das Blei weiterhin rechts und links von ihm durch das Holz schlug.

Dann hatte er das Gefühl, als würde das Feuer etwas schwächer.

Er wandte einen kurzen Blick an Brent, auf der anderen Seite und sie verstanden sich sofort und ohne, dass dazu irgendein Wort notwendig gewesen wäre.

Annähernd im selben Moment tauchten sie aus ihrer Deckung hervor, legten kurz an und sandten etwas Blei hinaus, dorthin, wo sich die McCorys und ihre Schergen verschanzt hatten.

Einen erwischte Steve bei der Baracke, in der die Cowboys ihre Unterkunft hatten.

Schwer zu beurteilen, wie schwer er ihn erwischt hatte, denn er war sofort zurückgezuckt. Aber der Schrei, der über die Lippen des Banditen gekommen war nicht zu überhören gewesen.

Halb Schmerzensschrei, halb Verfluchung, aber Steve musste ihn auf jeden Fall getroffen haben.

Brent erwischte niemanden.

Sie waren einfach zu schnell wieder hinter ihren Deckungen verschwunden.

Und dann brach der Bleihagel erneut in alter Heftigkeit los. Steve und Brent pfiffen die Kugeln nur so um die Ohren.

Eine riss Steve sogar den Hut vom Kopf.

Also duckten sie sich erst einmal wieder.

Steve presste die Lippen aufeinander und tauchte dann noch einmal kurz hervor, um ein paar Schüsse abzufeuern.

Es kostete ihn fast das Leben.

Ein Bleigeschoss riss ihm bei der Schulter ein Loch in den Hemdsärmel, aber wie durch ein Wunder bekam er nichts ab.

Nicht einmal einen Kratzer!

Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, da befand er sich wieder in Deckung.

Er atmete tief durch, aber zum Verschnaufen blieb keine Zeit. Mit dem Ärmel fuhr er sich kurz über die Stirn, um sich den Schweiß abzuwischen.

Wenig später hörte er dann ein Knistern, dass ihm schier den Atem stocken ließ.

Und dann roch man es auch.

"Feuer!"

11

Ein paarmal war noch hin und her gefeuert worden. Draußen stand die Scheune bereits in hellen Flammen, und auch aus den Fenstern der Baracke kamen bereits dicke, schwarze Rauchschwaden.

Mit schnellen, energischen Bewegungen lud Steve Gallagher seine Winchester nach.

Dann nahm er seinen Hut vom Boden und schnellte auf die andere Seite des Raumes, dorthin wo die Tür in die hinteren Zimmer führte.

Brent feuerte seine Waffe einige Male ab, ging zurück in Deckung und warf Steve einen fragenden Blick zu.

"Was hast du vor, Steve?"

"Ich werde nicht zulassen, dass sie alles zerstören, wofür ich in den letzte Jahren gearbeitet habe!"

Brent runzelte die Stirn.

"Steve!"

"Halte hier noch ein bisschen durch. Ich steige hinten durch ein Fenster..."

"Das ist Wahnsinn, Steve!"

"Vielleicht, aber länger hier auszuharren ist genauso wenig vernünftig!"

Brent nickte ihm freundschaftlich zu.

"Viel Glück, Steve!"

"Danke, du wirst es selber brauchen!"

Und dann war Steve durch die Tür verschwunden. Er hörte Schritte, die ums Haus schlichen. Und ein verräterisches Knistern, irgendwo ganz in der Nähe...

Sie zündeten auch aus Wohnhaus an!

Es schien, als wollten die McCorys hier alles dem Erdboden gleichmachen! Steve Gallagher sollte sterben und nichts von dem, was er aufgebaut hatte, durfte ihn überdauern!

12

Steve hatte kaum einen Fuß in das Schlafzimmer gesetzt, da blitzte im Fenster ein Mündungsfeuer.

Glas zersprang.

Eine schemenhafte Gestalt war einen kurzen Augenblick lang sichtbar, während die Kugel bereits kaum eine Handbreit von Steves Schläfen entfernt in den Türrahmen schlug. Das Holz splitterte, und Steve kniff die Augen zusammen.

Steve feuerte seine Winchester sofort ab und hatte Glück.

Auf der anderen Seite hörte er einen kurzen, ärgerlichen Schrei.

Steve duckte sich gerade noch rechtzeitig, um dem nächsten Schuss auszuweichen.

Er schnellte dann zur Seite und feuerte ein zweites Mal, diesmal nicht durch das Fenster, sondern einfach durch die dünne Holzwand.

Steve hörte, wie der Körper seines Gegenübers schwer und offensichtlich leblos gegen die Außenwand schlug und an ihr dann hinab in den Staub rutschte.

Steve schnellte zum Fenster und warf einen schnellen Blick hinaus.

Die Luft schien einigermaßen rein und so stieg er hinaus.

In geduckter Haltung schnellte er bis zur Hausecke und wagte dann einen kurzen Blick, der sofort mit ein paar Kugeln aus Richtung der lichterloh brennenden Scheune und der Cowboy-Baracke quittiert wurde.

Steve feuerte sofort zurück und schnellte annähernd im selben Moment auch wieder zurück in Deckung.

Dann hörte er plötzlich ein Geräusch im Rücken.

Er schnellte augenblicklich herum und sah noch das aufblitzende Mündungsfeuer vor sich, als er sich mit einem Hechtsprung zu Boden warf.

Er rollte sich zweimal herum, riss dann die Winchester hoch und feuerte annähernd im selben Moment, als sein Gegenüber den zweiten Schuss abgab.

Der Bandit fluchte und hielt sich schreiend die Seite, während ihm das Gewehr zu Boden glitt.

Aber auch Steve hatte etwas abbekommen. Er fühlte einen höllischen Schmerz in der linken Schulter.

Ein paar Sekunden waren es nur, die er brauchte, um sich davon zu erholen, aber dann war es bereits zu spät.

Von allen Seiten stürmten sie heran und wenig später blickte er in mindestens ein halbes Dutzend Mündungen, die auf den am Boden Liegenden gerichtet waren.

Steve atmete tief durch.

Das ist das Ende!, dachte er. Sie werden keine Gnade kennen, diese Raubtiere!

Er hoffte, dass es Rankine gelungen war, Betsy und den Jungen in Sicherheit zu bringen. Wenn ja, dann war es das vielleicht wert.

Steve sah, wie sich der Ärmel seines Hemdes rot verfärbte.

Einen Augenblick lang erwog er, die Winchester erneut hochzureißen und wenigstens einen dieser Schurken mit in den Tod zu nehmen.

Aber dazu bestand keinerlei Aussicht.

In keinem Fall konnte er schnell genug sein, selbst wenn seine Gegenüber ausgesprochen schlechte und langsame Schützen sein sollten - was nicht anzunehmen war.

Steve keuchte.

Dann suchte sein Blick die McCorys, aber er fand ihre Gesichter nicht unter denen, die um ihn herumstanden.

"Los, worauf wartet ihr Hunde?", zischte Steve. "Warum tötet ihr mich nicht, so wie es doch sicher eurem Auftrag entspricht?"

Die Männer verzogen zynisch die Gesichter.

Dann sagte einer von ihnen: "Bist du Steve Gallagher?"

Einen Moment lang zögerte Steve.

Dann nickte er.

"Ja."

Der Mann grinste bis über beide Ohren, aber es war kaum mehr als eine freudlose Grimasse, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte.

"Dann hast du Glück und darfst noch ein paar Minuten länger leben!"

Die Kerle lachten rau.

"Wir sollen dich nämlich nach Möglichkeit für den Boss aufsparen", meldete sich ein anderer zu Wort. "Vielleicht erinnern Sie sich an den Namen McCory..."

13

Steve wurde von rauen Händen gepackt, entwaffnet und dann abgeführt.

"Gut, dass Cole ihn nicht zu schwer getroffen hat", meinte einer von ihnen zynisch. "Sonst hätten wir die McCorys jetzt um ihre Rache gebracht!"

Gelächter setzte ein.

"Ja", meinte jemand anderes. "Roy wäre dann sicher sehr ärgerlich geworden..."

Sie fassten Steve hart an und renkten ihm fast die Schultergelenke aus.

Die Schusswunde verursachte dabei höllische Schmerzen, aber Steve biss die Zähne zusammen.

Sie brachten ihn vor das Ranchhaus.

Brent hatten sie auch gekriegt, aber den hatte es sehr viel schwerer erwischt. Eine Kugel in der Brust, eine andere in der Seite: Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch am leben war.

Zwei Männer hielten ihn an den Armen und schleiften ihn vorwärts. Dann ließen sie ihn zu Boden plumpsen, so dass er hart auf dem Boden aufkam.

"Brent!", rief Steve.

Aber da kam nicht mehr, als ein schwaches Ächzen.

Und dann fiel Steves Blick auf die McCorys, die etwas abseits gestanden hatten und jetzt gemessenen Schrittes herantraten, zuerst Roy, dann Phil.

Es ist wie damals!, dachte Steve. Roy ist der Kopf vom Ganzen und hat es zu sagen!

Auf den Gesichtern der beiden Brüder stand ein Zug von schadenfroher Zufriedenheit.

Sie schienen offensichtlich Genugtuung über die Tatsache zu empfinden, dass der Moment ihrer Rache jetzt greifbar vor ihnen lag.

Als Roy McCorys Blick auf Steve fiel, verzog er den Mund und lächelte dann dünn und kalt.

"Sie haben sich kaum verändert, Gallagher!"

Er spuckte aus.

In seiner Stimme klangen Verachtung und Hass mit.

"Sie sich wohl auch nicht, McCory!", gab Steve bitter zurück.

"Was sollen wir mit dem anderen machen, Boss?", fragte einer der anderen Männer.

Roy blickte kurz zu ihm hinüber und musterte dann den verletzten Brent, der noch immer fast reglos am Boden lag.

"Hat ihn ziemlich übel erwischt, was Wallace?"

"Ja. Soll er den Gnadenschuss bekommen?"

Roy zögerte kurz, dann nickte er.

Steve versuchte, sich loszureißen, aber alles, was ihm das einbrachte, war ein kräftiger Fausthieb in die Magengrube, der ihn aufstöhnen ließ.

Wallace zog den Revolver aus dem Holster an seiner Hüfte, setzte Brent die Mündung ans Genick und feuerte.

Steve blickte zur Seite und schluckte.

Er fühlte ohnmächtige Wut in sich aufsteigen. Aber es gab nichts, was er im Moment tun konnte.

Die kräftigen Arme der Schergen hielten ihn mit eisernem Griff...

Roy McCory wandte sich jetzt wieder ganz ihm zu. Mit einer gewissen Freude nahm er Steves Wut zur Kenntnis.

"Mein Bruder Phil und ich haben lange auf diesen Augenblick gewartet", sagte Roy gedehnt. "Sehr lange... Sie haben nicht mehr die geringste Chance, dem Tod zu entgehen, Gallagher! Nicht die Geringste - so wie damals Joe McCory!"

"Joe war ein Mörder!", sagte Steve und fand dabei, dass seine Stimme in diesem Moment entsetzlich schwach klang.

Nun, das spielte auch keine große Rolle mehr...

"Es interessiert mich nicht, was Sie dazu denken, Gallagher!"

"Ich weiß, Roy! Sie haben sich immer schon für kaum einen anderen, als sich selbst interessiert. Was aus anderen wird, ist ihnen in der Regel gleichgültig. Sie gehen über Leichen..."

"Ja, und gleich auch über ihre!" Dann veränderte sich sein Gesicht plötzlich. "Paddy hat mir erzählt, Sie hätten Frau und Kind..."

Steve schwieg.

Roy verzog den Mund.

"Naja, spielt ja auch keine Rolle, wo er sie versteckt hat, die arme Frau. Wird jetzt wohl Witwe werden!"

Mag sein, dachte Steve. Aber sie und Tom lebten. Und das war wichtiger als alles andere.

Dann trat Roy nahe an Steve heran. Ihre Blicke bohrten sich ineinander.

"Sie denken, dass ich Ihnen jetzt einfach eine Kugel in den Kopf jage und dann ist alles vorbei, nicht wahr?" Sein Mund war jetzt ein dünner Strich. In seinen Augen glitzerte es kalt. "Aber so einfach werde ich es Ihnen nicht machen!"

Steve hob den Kopf.

"Was haben Sie vor?"

"Ich werde Sie auf dieselbe Art und Weise vom Leben zum Tode befördern, wie es mit meinem Bruder Joe damals geschehen ist, Gallagher! Sie werden nach Little Valley gebracht und aufgeknüpft!"

Dann zog er seine Jacke ein Stück zur Seite.

Steve blinzelte ein wenig und wollte erst seinen Augen nicht trauen.

Da blinkte ein Blechstern!

Es war derselbe Stern, den Steve Gallagher selbst früher lange Jahre hindurch getragen hatte und der dann an Mike Potter übergegangen war...

"Sie sehen, Gallagher: Selbst die Äußerlichkeiten werden stimmen!"

"Hey, Roy!", mischte sich in diesem Moment sein Bruder Phil ein. "Das war so nicht abgesprochen!"

Roy wurde ärgerlich.

"Halt's Maul!", zischte er, ohne sich zu seinem Bruder umzudrehen. "Wir hatten ausgemacht, dass ich bestimme, was mit Gallagher geschieht, Phil!"

"Richtig! Aber wir waren uns einig, dass kurzer Prozess gemacht wird!"

Phil fuhr sich mit der Handkante über den Adamsapfel.

Eine eindeutige Geste, die keines weiteren Zusatzes mehr bedurfte...

"Ich bin hier der Boss, Phil. Und ich rate dir, das nicht in Frage zu stellen!"

Roy wandte sich jetzt zu ihm um und bedachte ihn mit einem Blick, der für sich genommen schon eine Art deutlicher Warnung war.

"Schon gut, Roy, so war das nicht gemeint!"

"Freut mich, das zu hören!"

"Aber warum erst nach Little Valley reiten, um ihn zu töten?"

Roys Gesicht blieb unbewegt, als er antwortete.

"Ich schätze, so eine Hinrichtung wird auf die braven Bürger des Städtchens einen ziemlich nachhaltigen Eindruck machen! Vielleicht kommen sie dann nicht so leicht auf dumme Gedanken!"

14

Steve wurde gefesselt und auf einen Gaul gesetzt. Und dann ging es in Richtung Little Valley.

Bei einem kurzen Blick zurück sah er, wie jetzt auch das Ranchhaus in hell auflodernden Flammen stand.

Dieser Anblick schmerzte Steve.

Er wusste, dass kaum etwas von dem bleiben würde, was er über all die Jahre hinweg aufgebaut hatte.

Aber im Augenblick gab es nichts, was er tun konnte, um das zu verhindern.

Roy McCory schien in blendender Laune zu sein, die Freude seines Bruder Phil schien dagegen etwas gedämpft.

"Was fühlt man, wenn man dem Tod entgegengeht?", erkundigte sich Roy süffisant bei dem Gefangenen. "Vielleicht können Sie sich jetzt vorstellen, was Joe damals gefühlt hat, als der Gefangenentransport nach Tucson ging, wo man ihn dann aufgeknüpft hat..."

"Haben Sie sich schon einmal in die Angehörigen des Mannes hineinversetzt, den Joe auf dem Gewissen hatte?"

Es dauerte nicht lange, bis sie die Stadt erreicht hatten.

Steve sah einige Bewaffnete auf den Straßen umher patrouillieren, die offensichtlich zur Bande der McCorys gehörten.

Wie in einem Handstreich hatte die Meute Little Valley erobert und es war noch eine offene Frage, wann sie die Stadt wieder aus ihren Klauen lassen würden...

Steve bemerkte die scheuen Blicke der Bürger auf den Sidewalks. Sie wagten kaum, zu ihm hinüberzublicken, obwohl Steve jeden einzelnen von ihnen kannte.

Vielen hatte er geholfen, aber jetzt regierte die Furcht ihre Herzen - und wer konnte ihnen das verdenken?

Am Ende der Main Street befand sich ein dicker, knorriger Baum, der zwar bereits halb vertrocknet war, aber immer noch stark genug schien, um das Gewicht eines Mannes zu halten.

Roy deutete dorthin.

"Da haben wir sogar schon unseren Galgen!", rief er. "So wird der Ex-Sheriff von Little Valley den Bewohnern dieser Stadt durch seine Hinrichtung noch ein schönes Spektakel bieten!" Er lachte rau und wandte sich an Steve. "So werden Sie den braven Bürgern sicher noch lange in Erinnerung bleiben!"

Die Männer quittierten das mit einem unbestimmten Raunen, während die Bürger an den Straßenseiten zum Teil stehenblieben und verstohlene Blicke wagten.

Nach wenigen Augenblicken hatten sie den Baum erreicht.

Einer der Männer sprang aus dem Sattel, nahm sein Lasso und schlang es um einen der Äste.

Dann packte er das Seil fest mit beiden Händen und belastete es für ein paar Sekunden mit seinem vollen Körpergewicht.

"Das dürfte halten!", meldete er und Roy nickte zufrieden.

"Gut..."

"Worauf warten wir noch, Roy?", fragte Phil nicht ohne Ungeduld. Ein leichter Vorwurf klang in seiner Stimme mit.

"Auf das Publikum!", kam es knapp zwischen Roys schmalen Lippen hindurch, die er dabei kaum bewegte.

Er wandte sich an Wallace. "Trommelt die Leute zusammen! Sie sollen sich das hier ansehen!"

"Okay, Boss!"

Unterdessen wurde die Schlinge geknüpft. Roy McCory machte das höchstpersönlich und sehr, sehr sorgfältig.

"Das scheint ihnen ja richtig Freude zu machen, Roy", bemerkte Steve sarkastisch.

Roy grinste.

"Ja, das tut es!"

"Sie hätten Henker werden sollen, Roy! Sie hätten dann dasselbe tun können und wären noch nicht einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen!"

Er zuckte mit den Schultern.

"Ich habe mich nun einmal für den anderen Weg entschieden, Gallagher. Bringt mehr ein!"

"Wenn Sie es sagen..."

"Außerdem bin ich jetzt das Gesetz hier in Little Valley!"

Er tickte mit dem Finger gegen den Stern an seiner Brust und lachte dann.

15

Mit ein paar Schüssen waren die Leute von Little Valley schnell aus ihren Häusern gelockt und es dauerte nicht lange, da hatte sich eine ganz ansehnliche Menschenmenge an jenem Baum am Ende der Main Street versammelt, an dem Steve Gallagher aufhängt werden sollte.

Steve ließ kurz den Blick über sie schweifen.

Er kannte sie alle.

Die meisten hielten den Kopf gesenkt, fast so, als schämten sie sich, ohnmächtig dieses Verbrechen mitansehen zu müssen.

"Ich möchte, dass ihr Euch das anseht, damit ihr wisst, was jedem von euch passieren kann, der sich gegen mich auflehnt!", verkündete Roy McCory.

Die Antwort der Menge war ängstliches Schweigen.

Um Roys schmale Lippen spielte die Ahnung eines kalten Lächelns. Es war genau die Antwort, die er von ihnen allen erwartet hatte.

"Los, anfangen!", befahl der Anführer der Bande dann.

Wallace nahm Steves Pferd beim Zügel und führte es unter den Ast, von dem die Schlinge herabbaumelte. Die Hände hatte man ihm auf den Rücken geschnürt, die Füße waren frei und steckten in den Steigbügeln.

Dann wurde ihm der Strick um den Hals gelegt, während ein Raunen durch die Menge ging.

"Diese Hunde!", rief jemand mit bitterem Unterton und geballten Fäusten. "Sie machen tatsächlich ernst!"

Steve atmete tief durch.

Jeden Augenblick würde Roy von hinten an den Gaul herantreten und ihm einen kräftigen Klaps auf das Hinterteil geben.

Das Tier würde unweigerlich nach vorne schnellen und er hing dann zappelnd in der Luft...

Steve hörte Schritte.

Er wusste, dass es Roy war und drehte sich halb im Sattel herum. "Eines Tages wird man auch Ihnen die Rechnung präsentieren, McCory!"

Roy lachte.

"Das wird sich zeigen!"

Dann gab er dem Gaul eins hinten drauf und das Tier schnellte nach vorn.

Steve spürte, wie sich die Schlinge zunächst fester um seinen Hals zog.

Es war ein furchtbares Gefühl.

Aber dann gab das Seil nach!

Annähernd im selben Augenblick, als Roy McCory das Pferd nach vorne zu treiben versuchte, donnerte ein Schuss, der irgendwo von der anderen Straßenseite kam.

Es war ein wahrer Meisterschuss!

Die Kugel durchtrennte glatt das Lasso. Der Gaul schnellte etwas vorwärts, aber Steve wurde nicht wie erwartet aus dem Sattel gerissen.

Alle Anwesenden waren einen Sekundenbruchteil lang wie vor den Kopf gestoßen.

Erst allmählich begriffen sie, dass der Schuss von einem Mann abgegeben worden war, der auf der Veranda des Drugstores gestanden und sich nun auf den Rücken seines Pferdes geschwungen hatte.

Steve erkannte ihn mit den Augenwinkeln.

Es war niemand anderes als Brian!

In scharfem Galopp preschte der Cowboy nun voran, wobei er sich seitwärts an sein Pferd hängte, um das Tier gleichzeitig als Deckung zu benutzen.

Dem ersten der McCory-Leute, der zu seiner Waffe griff, feuerte er eine Kugel in die Schulter.

Steve wusste, dass dies seine Chance war.

Seine einzige, vermutlich.

Und so verlor er keine Sekunde.

Wallace hielt noch immer die Zügel seines Pferdes, aber er hatte für einen kurzen Augenblick den Kopf zur Seite gewandt und das nutzte Steve aus.

Ein kräftiger Tritt vor den Oberkörper ließ ihn taumeln und die Zügel loslassen.

Steve trieb dem Tier die Hacken in die Weichen und ließ es auf diese Weise vorwärts preschen.

Mit noch immer auf dem Rücken zusammengeschnürten Händen, beugte er sich so dicht es ging an den Hals des Pferdes, um ein möglichst kleines Ziel abzugeben.

Schon spürte er, wie die ersten Bleikugeln über ihn hinwegpfiffen.

Raue trieb er sein Reittier vorwärts.

Er hatte keine andere Wahl. Augen zu und durch! Und dann auf das Glück hoffen! Eine andere Devise konnte es jetzt nicht mehr geben!

Im Endeffekt war es unerheblich, ob er durch eine Kugel oder einen Strick zu Tode kam.

Aber solange auch nur die geringste Chance bestand, wollte er sie nutzen!

Nach ein paar Augenblicken hatte er dann bereits etliche Meter zwischen sich und seine Peiniger gelegt, die jetzt wild durcheinanderliefen, um zu ihren Pferden zu gelangen und die Verfolgung aufzunehmen.

Brian wartete kurz auf ihn und gab ihm Feuerschutz, so gut er konnte.

Schuss um Schuss ballerte er aus seinem Winchester-Gewehr in Richtung der McCorys und ihrer Schergen, die erst einmal die Köpfe einzogen.

Dann preschten Steve und Brian zusammen vorwärts. Zum lösen der Fesseln war jetzt keine Zeit

Steve musste ohne Zuhilfenahme der Hände reiten, was ziemlich viel Kraft kostete.

Aber es war nicht anders zu machen.

Der Geschosshagel, den man zunächst hinter ihnen hersandte, verebbte etwas, der Abstand vergrößerte sich.

Als sie dann kurz hinter der ersten Hügelkette verschwunden waren, nutzte Brian die Gelegenheit und stoppte.

Steve veranlasste seinen Gaul ebenfalls dazu, stehen zu bleiben.

Er konnte von Glück sagen, auf dem Rücken eines gut ausgebildeten Cowboy-Pferdes zu sitzen, dass auf den Druck der Schenkel reagierte.

Andernfalls hätte er sich bei dieser Sache gut und gerne den Hals brechen können.

Brian zog mit flinken Fingern sein langes Bowie-Messer aus der Scheide, das er am Gürtel hängen hatte und durchtrennte mit einem schnellen, aber sicheren Schnitt die Fesseln.

Steve rieb die Handgelenke.

"Danke! Das war in letzter Sekunde!", stieß er dann hervor.

Er atmete hörbar auf. "Ich habe mich schon in den ewigen Jagdgründen geglaubt!"

Brian lachte.

"Kann ich mir denken! Aber ich schätze, wir haben es noch nicht ganz hinter uns!"

Er deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Die McCorys und ihre Schergen tauchten dort auf!

"Hier, nimm den erst einmal! Ich habe ja noch meine Winchester!"

Brian zog den Revolver und warf ihn Steve hinüber. Dieser fing ihn auf und steckte ihn in sein leeres Holster.

"Dann nichts wie weg hier!", forderte Steve und Sekundenbruchteile später preschten sie in vollem Galopp davon.

16

Roy McCory fluchte wie ein Rohrspatz, als er am der Spitze seiner Meute hinter den Flüchtenden herjagte.

Er hatte so lange auf seine Rache gewartet und jetzt war Steve Gallagher dem Tod noch noch in letzter Sekunde von der Schippe gesprungen.

Er ballerte hinter den beiden davoneilenden Reitern her, bis er schließlich einsah, dass das auf diese Entfernung wenig Sinn machte.

"Schneller Leute! Sie dürfen uns auf keinen Fall entwischen!"

Aber aus den Pferden war nicht mehr herauszuholen. Sie holten auf, aber die Zeit lief ihnen davon.

Die Dämmerung hatte sich grau über das Land gelegt.

Nicht mehr lange und die Dunkelheit würde hereinbrechen und die beiden förmlich verschlucken.

Wenn es erst einmal so stockdunkel war, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte, war eine weitere Verfolgung kaum noch sinnvoll.

Dann konnten sie gleich aufgeben.

"Sie reiten in Richtung der Berge!", meldete sich Phil zu Wort.

Roy nickte zähneknirschend.

"Ja! Sie suchen einen Ort, an dem sie sich verkriechen können!"

"Wir hätten Gallagher gleich an Ort und Stelle umlegen sollen!", schimpfte Phil. "So wie Potter!"

Roy presste die dünnen, blutleeren Lippen fest aufeinander.

Er wusste, dass sein Bruder Recht hatte, aber er hätte das nie im Leben zugegeben.

Sie holten auf und kamen etwas näher heran.

Ein paar Schüsse wurden hin und her gewechselt, ohne dass irgendjemand getroffen wurde.

17

Die Dunkelheit war ihre Retterin.

Sie brach herein kurz bevor Steve und Brian die Berge erreichten.

Die Verfolger wurden zu schemenhaften Gestalten und dann war um sie herum nur noch Finsternis.

Die Berge und Felsmassive waren wie riesenhafte, schwarze Schatten, während der Mond nur als schmale Sichel am Himmel stand, die nur wenig Licht spendete.

Sie ritten in die Berge hinein, solange sie sich noch einigermaßen zu orientieren vermochten. Schließlich konnte es nicht schaden, noch ein wenig Abstand zwischen sich und die Verfolger zu legen.

Aber dann ging es so nicht weiter und sie stiegen ab, um die Tiere bei den Zügeln zu nehmen und sich langsam vorzutasten.

Schließlich machten sie ganz halt und kampierten irgendwo zwischen Felsen und steilen Hängen aus Geröll losem Gestein.

"Ich hoffe, sie haben aufgegeben", meinte Brian.

Steve zuckte skeptisch mit den Schultern.

"Die McCorys haben seit fünfzehn Jahren nichts so sehr herbeigesehnt wie meinen Tod!", gab er zu bedenken. "Sie werden nicht lockerlassen, sofern sie noch irgendeine Chance sehen, mich zu kriegen!"

"Das ist allerdings wahr... Aber ich denke wir brauchen uns im Moment keine Sorgen zu machen. Der Mond wird für sie nicht heller scheinen, als für uns!"

"Zum Glück!"

"Ja, das kann man wohl sagen!"

Sie lachten zusammen und in diesem Lachen klang ein Großteil der Erleichterung mit, die sie beide empfanden.

"Sag mal, hatte ich dir nicht gesagt, du solltest bei Betsy und dem Jungen bleiben, Brian?", meinte Steve dann plötzlich.

"Ich bin auch die Hälfte des Weges mit ihnen geritten. Aber da wir nicht verfolgt wurden, bin ich dann zurückgekehrt. Schließlich war Rankine noch bei ihnen. Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten..."

"Warst du bei der Ranch?"

Brian nickte.

"Es ist nicht viel davon übrig, Steve..."

"Ja, diese Banditen haben alles niedergebrannt!"

"Ich habe Moss und Brent gefunden."

"Die Kerle haben sie erschossen!"

"Dafür werden sie zahlen, Steve!"

Steve Gallagher nickte.

"Ja, das werden sie!"

Brian fasste Steve bei der Schulter und dieser stöhnte laut auf.

"Eine Schusswunde?", fragte der Cowboy.

"Ja."

"Scheint böse zu sein, das habe ich vorhin schon gedacht..."

"Mir geht es gut, Brian!"

"Steckt die Kugel noch?"

"Ich habe keine Ahnung."

"Lass einen Arzt da dran, Steve! Bevor es sich entzündet!"

"Ach, was!"

"Ich habe schon Männer an kleineren Kratzern sterben sehen!"

18

Die Nacht war ziemlich kalt.

Sie kauerten in der Nähe ihrer Pferde und warteten ab, bis die Sonne endlich über den Horizont kroch und etwas Licht spendete.

Schlaf gestatteten sie sich kaum. Sie hatten auch kein Lagerfeuer gemacht, aus Angst, damit ihre Verfolger unnötig auf sich aufmerksam zu machen.

Brian stieg einen steilen Hang empor, um die Umgebung etwas weiträumiger überblicken zu können.

Als er zurückkehrte, meinte er: "Ich habe nichts gesehen, Steve!"

Aber Steve wirkte skeptisch.

"Ich trau dem Braten nicht!"

"Aber ich sage dir doch, da war nirgends etwas zu sehen! Keine Menschenseele, so weit das Auge reichte!"

"Das muss nichts heißen!"

Brian seufzte.

"Steve, die haben bestimmt aufgegeben!"

"Das glaube ich nicht!"

"Aber..." Brian machte eine hilflose Geste. "Woher willst du das so genau wissen?"

Steve zuckte mit den Schultern.

"Es ist so ein Gefühl", meinte er. "Ich kenne die McCorys, vor allem Roy... Wenn der sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann gibt er nicht so schnell auf. Sie haben hier irgendwo die Nacht verbracht, vielleicht haben sie sogar versucht, bei Dunkelheit weiter vorwärts zu kommen..."

"Ich hoffe, du hast Unrecht!"

"Das hoffe ich auch." Steve nahm den Revolver aus dem Holster, den Brian ihm gegeben hatte, überprüfte kurz die Ladung und drehte dann gedankenverloren die Trommel ein paarmal herum. "Wir müssen auf der Hut sein!"

"Meinetwegen, Steve. Und wohin geht es jetzt?"

"Auf keinen Fall zu der Hütte, wo sich Betsy und Tom befinden! Sonst locken wir das Wolfsrudel geradewegs dorthin!"

Brian nickte.

"Das verstehe ich."

"Ich bin mir sicher, dass uns die Kerle auf der Spur bleiben werden!"

Brian zuckte mit den Schultern.

"Okay, aber wohin reiten wir dann?" Er deutete auf Steves Schulter. "Du brauchst einen Doc, das steht so fest, wie das Amen in der Kirche! Aber der einzige Arzt im Umkreis von mehr als hundert Meilen befindet sich in Little Valley und dahin können wir fürs Erste nicht zurück!"

Steves Gesicht wurde nachdenklich

"Ja", murmelte er. "Der gute alte Doc Swann... Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit!"

Brian machte ein ungläubiges Gesicht.

"Da bin ich aber gespannt!"

"Du kennst doch auch den alten Einsiedler, der hier oben irgendwo..."

"Das ist ein Medizinmann!", protestierte Brian. "Ein indianischer Quacksalber!"

"Besser, sich von so einem behandeln zu lassen, als unter diesen Umständen nach Little Valley zu reiten, oder?"

19

Sie blieb vorsichtig, als sie sich wieder in die Sättel gesetzt hatten, um weiter zu reiten.

Brian hielt die Winchester mit der Rechten, den Kolben hatte auf den Schenkel gestützt. Mit wachem Auge studierte er die Umgebung, jede Unregelmäßigkeit, jede noch so geringe und unverdächtige Bewegung.

Steve ließ die Hand nicht vom Revolvergriff, um die Waffe blitzschnell herausreißen zu können.

Diese Gegend war wie dafür geschaffen, um sich zu verstecken.

Aber sie war genauso für einen Hinterhalt geeignet und wenn die Bande tatsächlich noch hier herumstreunte, wie ein Rudel Hyänen, das Blut gerochen hat, dann konnte schon die kleinste Unachtsamkeit den Tod bedeuten.

Steve kniff die Augen zusammen.

Die Wunde an seiner linken Schulter machte ihm jetzt doch mehr zu schaffen, als er sich ursprünglich hatte eingestehen wollen.

Brian hatte Recht.

Da musste etwas unternommen werden!

Sie kamen an ein paar steilere Pfade, die die Pferde mit Reiter nicht schaffen konnten. Dann mussten sie absteigen und die Tiere am Zügel hinter sich herziehen.

Oft widerstrebten sie, denn schließlich handelte es sich nicht um Bergziegen oder Maultiere, die für das Klettern geschaffen waren!

Steve verfluchte sie jedesmal innerlich, wenn ihr lautes Wiehern dann in den Bergen widerhallte.

Ein schwacher Trost war ihm dabei nur, dass ihre Gegner mit den selben Schwierigkeiten zu kämpfen haben würden, sofern sie noch nicht aufgegeben hatten...

Aber daran glaubte Steve nicht.

In diesen Dingen verließ Steve sich im Allgemeinen auf seinen Instinkt. Und der hatte ihn selten betrogen, auch damals nicht, als er noch Sheriff in Little Valley gewesen war.

Die McCorys waren ihnen noch immer auf den Fersen, da war er sich so sicher, als bestünde darüber absolute Gewissheit.

Roy McCory würde selbst dann nicht aufgeben, wenn der gesamte Rest der Meute ihm die Gefolgschaft aufgekündigt und sich auf den Rückweg gemacht hatte!

Vielleicht hatten die Wölfe zwischendurch die Fährte verloren, der sie gefolgt waren; das mochte sein. Aber sie waren auf keinen Fall umgekehrt!

"Ich werde die Bande aus Little Valley wieder hinauswerfen!", verkündete Steve, als sie bereits ein paar Stunden teils zu Fuß, teils zu Pferd vorangekommen waren, ohne dass sich einer der McCory-Leute gezeigt hatte.

Er sagte das im Brustton der Überzeugung, was Brian ein ungläubiges Kopfschütteln abrang.

"Du bist wahnsinnig, Steve!"

"Ich habe in Little Valley schon einmal aufgeräumt!", gab Steve zu bedenken. "Du weißt, damals, als ich angefangen habe und keiner den Stern tragen wollte!"

"Da hattest du es nicht mit Gegnern von diesem Kaliber zu tun!"

"Sag das nicht!"

Brian schüttelte noch einmal energisch den Kopf.

"Du bist wirklich verrückt, Steve! Verdammt, du solltest froh sein, deine Haut vorläufig gerettet zu haben!"

"Ich bin es Moss und Brent schuldig!", erklärte Steve. "Und nicht zuletzt auch Mike Potter!"

20

Bis zum Mittag geschah nichts. Von Roy McCorys Männern zeigte sich niemand, so sehr Steve und Brian auch ihnen Ausschau hielten.

Einmal dachten sie, das Geräusch von Pferden zu vernehmen, aber schließlich waren sie zu der Überzeugung gelangt, dass sie sich getäuscht haben mussten.

An einem Bach legten sie dann eine kurze Rast ein, füllten die Feldflaschen, die sie am Sattelhorn hängen hatten und ließen die Tiere ausführlich trinken.

"Wenn wir zu dem Einsiedler wollen, müssen wir uns weiter südlich halten!", meinte Steve. "Aber es ist nicht mehr weit!"

Brian zuckte mit den Schultern.

"Man erzählt sich 'ne Menge merkwürdiger Geschichten über den alten Indianer!", meinte er.

"Ja, aber das meiste ist Legende und Vorurteil."

"Ich hoffe nur, dass er dir helfen kann, Steve!"

Sie hatten sich noch nicht wieder in die Sättel geschwungen, da hörten sie plötzlich einige verdächtige Geräusche. Es mochte der Wind sein, oder auch etwas anderes, Tödliches...

Steves Rechte glitt zum Revolver, während Brian mit einer energischen Bewegung die Winchester durchlud. Ihrer beider Augen suchten fieberhaft die Umgebung ab.

Die umliegenden, zum Teil mit Sträuchern kleineren Bäumen bewachsenen Hänge boten für jeden Angreifer eine geradezu ideale Deckung...

Irgendwo an einem dieser Hänge entdeckte Steve dann plötzlich einen Hut!

Aber da war es schon fast zu spät.

"Runter, Brian!"

Es war ein verzweifelter Ausruf, den Steve in diesem Moment von sich gab, während er sich fast gleichzeitig mit einem Hechtsprung hinter einen etwa hüfthohen Felsen beförderte.

Von den Hängen herab wurde jetzt geschossen und das Echo bewirkte, dass man denken konnte, die Angreifer kämen von allen Seiten.

Steve ballerte ohne zu zögern zurück.

Einen der Kerle holte er aus den Felsen. Tödlich getroffen und mit einem letzten Schrei auf den Lippen rutschte er aus seinem Versteck den Hang hinunter, an dessen Fuß er reglos liegenblieb.

Die Pferde waren durch die Schießerei völlig verrückt geworden und liefen nun kopflos davon.

Sie preschten laut wiehernd durch den Bach, so dass das Wasser hoch aufspritzte.

Es würde ziemlich viel Mühe machen, sie hier in den Bergen wieder einzufangen!

"Steve!"

Steve tauchte erneut aus seiner Deckung hervor, schoss hinauf in Richtung der Verfolger und wandte dann den Kopf zu einem kurzen Blick seitwärts.

Es hatte Brian erwischt.

Eine Kugel war ihm in die Brust gefahren. Wohin genau, war nicht zu sehen, das ganze Hemd war rot verfärbt.

Er war zusammengebrochen, keuchte erbärmlich und lag jetzt wie auf dem Präsentierteller da, ohne irgendwelche Deckung.

Links und rechts von ihm schlugen die Kugeln ein.

Manche von ihnen, die harten, felsigen Untergrund trafen, wurden als tückische Querschläger weitergeschickt, wie beim Billard.

"Brian!"

Verzweifelt versuchte er, das Gewehr zu heben und zu schießen, aber dazu hatte er offensichtlich kaum noch genügend Kraft.

"Steve, nicht!"

Es waren nur ein paar Meter bis zu dem Verletzten, aber diese wenigen Meter konnten die Ewigkeit bedeuten!

In geduckter Haltung schnellte Steve nach vorn, während ihm die Kugeln um die Ohren Pfiffen.

Er schoss den Revolver immer und immer wieder ab, um sich selbst etwas Feuerschutz zu geben, das war natürlich nicht viel gegen den Kugelhagel, der ihm entgegenschlug.

Dann war die Trommel leergeschossen und er steckte die Waffe ins Holster zurück.

Mit der gesunden Rechten packte er Brian und zog ihn so schnell es ging in Deckung.

Dort angekommen nahm er dem Verletzten die Winchester aus den Fingern, die dieser noch immer geradezu krampfhaft umklammert hielt.

Einige der McCory-Leute hatten sich etwas herangearbeitet, so dass Steve unbedingt etwas unternehmen musste Mit raschen Bewegungen lud er die Waffe durch und feuerte.

Einen erwischte er mit einem glatten Kopfschuss mitten zwischen die Augen, einen anderen traf er am rechten Arm, so dass er vermutlich auf absehbare Zeit nicht mehr in der Lage sein würde, eine Waffe abzufeuern.

Aber dann musste er den Kopf einziehen, als ein Kugelhagel von unvorstellbarer Wut in seine Richtung prasselte.

Mit eiligen Bewegungen lud er den Revolver nach und schob auch ein paar neue Patronen in das Magazin der Winchester.

"Oh, Steve..." hörte er neben sich den armen Brian stöhnen.

Verzweifelt versuchte der Cowboy mit der Hand, die Blutung aufzuhalten.

Aber das nützte natürlich nichts.

Rot rann es ihm zwischen den Fingern hindurch.

"Steve, es geht zu Ende...", murmelte er, kaum hörbar im unbarmherzigen Aufbellen der Gewehre.

"Nicht, Brian..."

Steve schluckte.

Er sah kurz auf die Wunde und wusste, dass Brian Recht hatte.

Es ging wirklich zu Ende.

Und es schien nichts zu geben, was den Tod noch aufhalten konnte. Nichts.

Steve fühlte, wie es sich in ihm zusammenkrampfte, als seinen Gefährten so elendig daliegen sah.

Brian streckte die Hand etwas aus und auf seinen Augen entstand ein seltsamer Glanz. Schweiß rann ihm über die Stirn.

Steve nahm die Hand und fühlte dann, wie sie schließlich erschlaffte.

21

Steve Gallagher saß zusammengekauert in seiner Deckung und überlegte, was er tun sollte.

Brian war tot.

Für ihn konnte er nichts mehr tun, außer ihm die Augen zu schließen.

Er fasste die Winchester mit beiden Händen und blickte sich um. Die Pferde waren auf und davon, er konnte sie nirgends entdecken.

Inmitten der wilden Ballerei hörte er jetzt auch Schritte auf hartem, felsigen Untergrund und auf Geröll.

Sie kamen heran!

Steve schnellte aus seiner Deckung hervor, feuerte einmal kurz die Winchester ab und warf sich dann im Hechtsprung zu Boden.

Er war noch nicht ganz herumgerollt, da hatte er bereits den Gewehrlauf hochgerissen und erneut geschossen - gerade noch rechtzeitig um einen der Wölfe zu erwischen, bevor er sich hinter einem Felsvorsprung verbergen konnte.

Steve verlor keine Sekunde, denn schon wurde wieder auf ihn geschossen.

Rechts und links schlug das Blei ein.

Er rollte sich schnell ein weiteres Mal herum, kam dann kurz auf die Beine, um sich mit einem Sprung hinter einen anderen Felsen zu retten.

Verdammt knapp!, dachte er, während er den Kopf vor den verfluchten Querschlägern einziehen musste.

Dann verebbte der Bleihagel vorerst.

Steve hörte ihre Stimmen.

"Er muss da irgendwo sein!"

"Ich sehe nichts!"

"Wer ihn kaltmacht bekommt hundert Dollar bar auf die Hand von mir!"

An mehreren Stellen bewegte sich etwas.

Die Verfolger arbeiteten sich heran und es war Steve völlig klar, dass er hier nicht mehr lange bleiben konnte.

Er kam hervor, feuerte ein paarmal und lief dann weiter.

Steve hatte Glück.

Die Kugeln trafen ihn nicht. Hinter einem Dorngebüsch warf er sich dann erneut nieder, während die Salven der Wölfe über ihn hinweg donnerten.

Aber auch hier verharrte er nur einen Moment lang.

Dann hetzt er einen steilen Hang hinauf, oberhalb dessen sich ein paar Bäume befanden.

Das Geröll gab nach. Zwischendurch schaute er einmal nach hinten, feuerte ein paar Schüsse ab und kletterte weiter.

Er war fast oben angekommen, da spürte er plötzlich einen Schmerz im Rücken.

Steve musste Zähne zusammenbeißen, als der höllische Schmerz ihn grausam durchflutete.

Es hatte ihn erwischt.

Steve strauchelte und glaubte sich schon fast verloren, als er dann doch noch ganz nach oben kam.

Ohne sich noch einmal umzusehen, lief er weiter zwischen den Bäumen hindurch.

Hier oben war eine Art Hochplateau. Er wusste nicht, wie weit er auf diesem Weg vorwärts konnte, oder ob er nicht am Ende gar in eine Falle ging.

Vielleicht erwartete ihn schon bald ein schroffer Abgrund oder etwas anderes, das ihm keinen Ausweg mehr lassen würde...

Schwindel erfasste ihn.

Er torkelte mehr, als dass er lief.

Sie würden ihn hetzen, bis er zusammenbrach. Und das Schlimme war, dass sie das in aller Geduld abwarten konnten.

Es würde nicht mehr lange dauern und er ging zu Boden, um nicht mehr von allein aufzustehen...

Es war, wie in einem schlechten Traum. Hinter sich hörte er ihre Stimmen.

Sie holten auf.

22

Steve fühlte, wie die Kräfte mehr und mehr aus seinem Körper flohen. Fast wie automatisch setzte er einen Fuß vor den anderen und hetzte weiter.

Irgendwo in seinem Rücken, das wusste er, befanden sich seine Verfolger.

Sie würden das ganze Gebiet nach ihm absuchen. Jeden Grashalm würden sie sich von allen Seiten anschauen, um sicher zu sein, dass sie ihn nicht übersahen...

Er hatte kaum eine Chance, so ohne Pferd unter dem Hintern und mit zwei Kugeln im Körper. Die Wunde an der Schulter war halb so schlimm.

Aber die Kugel im Rücken würde ihm möglicherweise den Rest geben!

Steve biss die Zähne fest aufeinander.

Er hörte sein eigenes Keuchen und fand, dass es furchtbar elend klang. Aber solange noch ein letzter Rest von Kraft in ihm war, würde er versuchen, den Schergen der McCorys zu entkommen.

Noch lebte er.

Steve taumelte etwas, stolperte über eine Wurzel und konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten.

Er musste einen Moment lang innehalten, bevor er weiterlaufen konnte.

Er stützte sich kurz auf den Lauf des Winchester-Gewehrs und wankte dann wieder vorwärts.

Dann tauchte vor ihm das Indianerzelt auf und er rieb sich die Augen. Er sah eine große, hagere Gestalt mit einem Zylinder auf dem Kopf.

Es war ein Zylinder von der Art, wie der große Abraham Lincoln ihn immer getragen hatte, mit dem Unterschied, dass dieser hier schon sehr verstaubt und abgeschabt war und eine lange Adlerfeder aus dem Hutband herausragte.

Steve Gallagher blickte in ein Paar ruhiger Augen, die das einzig helle in einem sehr dunklen, rotbraunen Gesicht waren.

Es war unverkennbar das Gesicht eines Indianers, ein Gesicht, das wie eine Maske aus Leder wirkte.

Steve erkannte den Mann sofort.

Seit damals hatte er sich kaum verändert. Es schien, als sei die Zeit an ihm vorbeigegangen, ohne ihn auch nur im Mindesten zu berühren.

Es war Wild Eagle, der einsame Medizinmann, der allein in den Bergen lebte, und der vielleicht seine Wunden heilen konnte.

Sie standen sich Auge in Auge gegenüber.

Es war nicht nötig, ein Wort zu verlieren.

Lange Jahre hatten sie sich nicht gesehen, aber nach diesem Blick wusste Steve, dass die alte Freundschaft noch galt.

Es war schon lange her, da waren bei einigen Ranchern in der Umgebung Rinder an schlechtem Wasser eingegangen. Ein Sündenbock war schnell gefunden. Man beschuldigte den alten Einsiedler, das Wasser vergiftet zu haben.

Steve Gallagher hatte damals verhindern können, dass die aufgebrachten Rinderleute den Alten einfach lynchten. Und das hatte Wild Eagle ihm nicht vergessen.

"Komm!", sagte der Indianer.

"Ich werde verfolgt!"

"Komm ins Zelt und verstecke dich unter den Fellen, die dort liegen!"

"Sie sind hinter mir her und werden gleich hier auftauchen! Dein Zelt kann mir keinen Schutz bieten! Sie werden es auseinander pflücken und mich finden!"

Wild Eagle blieb völlig ruhig.

Nichts, so schien es, schien ihn erschüttern und aus dem inneren Gleichgewicht bringen zu können.

Er trat etwas zur Seite und hob dann den blutigen Kadaver eines Kaninchens vom Boden auf.

"Hier!", sagte er, so als würde es etwas erklären.

"Was soll das?"

"Es ist ein Zauber", erklärte er. "Ein Zauber, der dich vor deinen Feinden schützen wird!"

Steve verzog etwas ärgerlich das Gesicht. Für diese Art von magischem Firlefanz hatte er im Augenblick wirklich keinen Sinn!

Dann hörte er verschiedene Geräusche in seinem Rücken.

Geräusche, die eindeutig von den McCorys und ihren Leuten stammten.

Er hatte keine Wahl, als sich im Zelt des Medizinmannes zu verstecken.

"Zögere nicht länger, mein Bruder!"

23

Die Männer traten mit gezogen Waffen zwischen den Bäumen hervor auf das hervorspringende Felsplateau, von dem aus man weit über die tiefergelegenen Täler und Höhen blicken konnte.

Als Roy McCory das Indianerzelt und den Totempfahl sah, runzelte er die Stirn.

Als sein Blick dann auf den hochgewachsenen, hageren alten Indianer fiel, schien er zunächst ziemlich verwirrt.

Der Alte blieb allerdings völlig ruhig, fast unbeteiligt.

Er saß mit gleichmütigem, gelassenen Gesicht da, auf dem Kopf seinen großen, hohen Zylinder, aus dem die lange Adlerfeder herausragte.

Er trug ein buntes indianisches Gewandt.

"Was ist das denn für einer?", fragte Wallace mit hohntriefender Stimme.

Er verfiel unwillkürlich in hämisches Gelächter. "Ein großer Krieger, wie mir scheint", setzte er dann voller Ironie hinzu.

Den Indianer schien das allerdings nicht im Mindesten zu berühren. Wild Eagle wirkte, als stünde er weit über diesen Dingen.

"Ein Verrückter..." meinte einer der Männer.

"Ja, sieht ganz so aus, als wäre mit dem nicht alles in Ordnung."

Wallace wandte sich an Roy McCory.

"Ihr McCorys kommt doch hier aus der Gegend. Kennst du den?"

Roy nickte.

"Ich hab von ihm gehört. Das muss Wild Eagle sein."

"Ein Indianer?"

"Ja, Medizinmann oder so. Ein wunderlicher Einzelgänger, der sich mit allerlei seltsamen Ritualen beschäftigt!" Er deutete auf den Totempfahl. Grimmige, maskenhafte Gesichter von merkwürdigen Fabelwesen waren dort hineingeschnitzt.

"Spricht er unsere Sprache?"

Roy zuckte mit den Schultern.

"Werden wir gleich feststellen!", zischte er. Er behielt seinen Revolver in der Hand und trat ziemlich nahe an den auf einer Decke sitzenden Medizinmann heran.

"Wir suchen einen Mann", begann er dann. "Einen Weißen!"

Der Indianer zeigte nicht die geringste Reaktion, sondern blickte starr ins Nichts. Seine Gedanken schienen in diesem Augenblick sehr weit entfernt zu sein...

Es war fast, als sehe er durch die anwesenden Weißen hindurch, so als wären sie gar nicht vorhanden.

Roy wurde ärgerlich.

Er konnte so etwas nicht ausstehen und spuckte verächtlich vor dem Indianer aus.

"Verstehst du mich, Rothaut?"

Der Medizinmann hob jetzt etwas den Kopf und nickte schließlich.

Alles schien bei ihm sehr langsam vor sich zu gehen, so als existierte die Zeit gar nicht für ihn.

Er hatte es wirklich nicht eilig, was Roy allmählich zur Weißglut zu treiben begann.

"Ja."

Seine Stimme klang tief und kehlig.

"Wo ist der Mann?"

Das Gesicht des Medizinmannes blieb völlig unbewegt. Nicht ein Muskel zuckte.

"Ich weiß es nicht", erklärte er schließlich gedehnt.

"Er muss hier her gekommen sein!", rief Roy ärgerlich.

"Schlagt dem Alten ein paar Haken in seine hässliche Visage!", meinte jemand anderes.

Unter den Wölfen gab dafür viel Zustimmung.

"Jawohl! Dann wird er schon sein Maul aufreißen!"

Roy stellte sich breitbeinig auf.

"Also los, raus damit!", forderte er rau.

Wild Eagle zeigte sich unbeeindruckt.

"Ich habe niemanden gesehen und gehört!"

"Das glaube ich nicht!"

"Mein Geist war in Verbindung mit den Göttern des Windes", verkündete er dann. "Ich konnte nichts sehen!"

"Wir werden es schon aus ihm herausprügeln!", meinte Wallace, aber Roy brachte ihn mit einem Handzeichen zum Schweigen.

Roys Augen wurden zu schmalen Schlitzen.

Dann meinte er: "Vielleicht kennst du den Mann, den wir suchen. Er heißt Steve Gallagher!"

Der Medizinmann antwortete erst nicht. Dann, nach schrecklich langer Pause murmelte er wie abwesend: "Was bedeutet schon ein Name?"

"Der Rote ist nicht richtig im Kopf!", meinte Phil. "Los, suchen wir im Zelt! Vielleicht versteckt der Kerl ihn!"

Phil McCory wollte schon zu dem geräumigen Zelt des Indianers stürzen, da hielt er plötzlich mitten in der Bewegung inne.

Sein Blick ging starr zu Boden und dann beugte er sich nieder und betastete mit dem Finger eine bestimmte Stelle.

"Was ist?"

"Blut!"

"Gallagher ist verletzt!"

Phil hob den Zeigefinger, dessen Kuppe rot war.

"Es ist noch frisch!"

"Die Spur führt zum Zelt!"

Phil wandte kurz den Blick zu dem Indianer, aber in dessen Gesicht bewegte sich nichts.

Aber das mochte ebenso gut ein Bluff sein.

Phil ging zum Zelt des Einsiedlers und riss die Felle bei Seite, die den Eingang verschlossen. Er bückte sich und trat ein.

In der Mitte befand sich ein abgebranntes Lagerfeuer, über dem durch den Abzug die Sonne hineinschien. Zu beiden Seiten waren mehrere Haufen mit Fellen verschiedener Tiere, gegerbte und ungegerbte.

Er spannte den Hahn des Revolvers, den er in der Rechten trug. Gut möglich, dass sich Steve Gallagher unter einem dieser Haufen versteckt hielt!

Aber dann fiel sein Blick auf den blutigen Kadaver eines Kaninchens, den er im ersten Moment nicht bemerkt hatte. Er berührte das Tier schon fast mit der Stiefelspitze.

Phil verzog angewidert den Mund.

Es war wohl irgendeines dieser scheußlichen Zauberrituale, das der Einsiedler da verrichtete.

Phil nahm den Kadaver am Genick, trat wieder hinaus und warf ihn den Männern vor die Füße.

"Fehlanzeige!", knirschte er.

Wir haben uns selbst zum Narren gehalten!, durchfuhr es ihn grimmig.

24

Als Roy McCory mit seinen Leuten am Abend unverrichteter Dinge nach Little Valley zurückkehrte, war seine Stimmung auf einem Tiefpunkt.

Sie hatten Steve Gallagher nicht gekriegt und das rechnete er sich als persönliche Niederlage an.

Sein Gesicht war eine finstere, wie versteinert wirkende Maske. Er fühlte diesen ungestillten Durst nach Rache in sich, diesen furchtbaren Durst, der ihn die ganzen Jahre über gequält hatte.

Er hatte schon geglaubt, am Ziel zu sein; endlich, nach all den Jahren!

Aber dann war er kurz davor abgefangen worden!

"Dieser Gallagher muss sieben Leben haben", murmelte er düster vor sich hin, als sie vor dem Saloon haltmachten.

"Er hat eine Kugel im Rücken und eine in der Schulter", gab Phil zu bedenken. "Er kann unmöglich weit gekommen sein!"

"Aber verdammt nochmal, warum haben wir ihn dann nicht gefunden? Warum ist der verfluchte Kerl nicht irgendwo zusammengebrochen und liegengeblieben? Warum haben wir ihn nicht gekriegt? Er hätte uns doch über den Weg humpeln müssen!"

Darauf wusste keiner von ihnen eine Antwort.

Auch Phil nicht.

"Gallagher hat kein Pferd mehr gehabt!", begann Roy von Neuem, als er dem Sattel gesprungen war und sich den Staub von den Kleidern geklopft hatte. "Ein Mann kann sich doch nicht in Luft auflösen, oder?"

"Boss...", meldete sich Wallace in diesem Moment. Seine Stimme klang ein wenig zaghaft und er machte auch zunächst eine Pause, bevor er weitersprach.

Roy wirbelte zu ihm herum.

"Was gibt es?"

"Ich habe mit einigen der Männer gesprochen und..."

Roy McCorys Augen wurden mit einem Mal sehr schmal. Der Bandenchef begriff sofort.

Wallace machte gerade sein Pferd fest und hielt den Blick etwas gesenkt.

Roy trat dicht an ihn heran.

Sehr dicht.

Er war einen Kopf größer als sein Gegenüber und blickte nun auf ihn herab.

"Nur heraus damit, Wallace!", forderte er.

Seine Stimme war in diesem Moment kaum mehr als ein Zischen.

Die schmalen Lippen blieben annähernd bewegungslos.

"Du bist wegen der Rache hier, Roy - und auch dein Bruder. Aber wir nicht. Uns geht es um die Beute."

"Na und?"

"Die Männer werden langsam ungeduldig. Wir sind schon zwei ganze Tage hier in Little Valley und haben uns bisher nur um eure Rache gekümmert. Ich finde, jetzt ist das andere langsam an der Reihe!"

"So, findest du..."

"Ja, das finde ich!"

Roy packte ihn beim Kragen und schleuderte ihn rau gegen die Außenwand des Saloons.

Die Überraschung stand noch in Wallaces Gesichtszügen geschrieben, da flog ihm bereits eine Faust entgegen. Roys Haken ließ ihn hart zu Boden schlagen.

"Ich bin hier der Boss, Wallace! Und wenn dir das nicht passt, dann kannst du gerne deine Sachen packen und von hier verschwinden!"

Wallace rollte sich auf dem Boden herum. Seine Hand glitt zunächst in Richtung Hüfte, aber dann entspannten sich seine Züge etwas.

Er wischte sich das Blut von der aufgesprungenen Lippe.

"Versuch's nur, Wallace!", zischte Roy McCory. "Du weißt sehr gut, dass ich der Schnellere bin..."

Wallace wusste es tatsächlich. Er bleckte die Zähne, wie ein gefangenes Raubtier.

"Nichts für ungut, Boss!"

"Versuch das nicht noch einmal, Wallace! Beim nächsten Mal bist du tot!"

25

Die Blockhütte befand sich mitten unter Bäumen. Aus etwas weiterer Entfernung war sie nicht von ihnen zu unterscheiden und das war im Augenblick gut so.

Sie war ein ideales Versteck.

Früher einmal hatte sie einem Mann namens O'Hines gehört, einem alten Trapper und Fallensteller, der hier oben in den Bergen von der Jagd gelebt hatte.

Aber O'Hines war eines Tages einen ganz natürlichen und friedlichen Tod gestorben und seitdem wohnte niemand mehr hier.

Betsy Gallagher stand oft am geöffneten Fenster des Blockhauses und blickte hinunter ins Tal. Man konnte weit in die Niederungen hinabsehen.

Sie hoffte, dass Steve, ihr Mann bald auftauchte, aber er kam nicht... Und auch Brian war lange überfällig!

Es war jetzt schon fast eine Woche vergangen, seit Rankine sie hier her gebracht hatte.

Zwischendurch war der Mietstallbesitzer noch einmal zu ihnen hinaus geritten, um ihnen Vorräte zu bringen.

Aber auch er konnte ihr nichts Genaues zum Schicksal ihres Mannes übermitteln.

Sie erfuhr, dass die McCorys ihn hatten hängen wollen, dass Brian ihm zur Flucht verholfen hatte und das es dann eine tagelange Verfolgungsjagd in die südlichen Berge gegeben hatte.

Am Ende waren die McCorys ohne Steve und nach allem, was man in Erfahrung bringen konnte, offenbar unverrichteter Dinge zurückgekehrt.

Für Betsy bedeutete dies, dass sie die Hoffnung noch nicht aufgeben brauchte.

Rankine hatte ihr ein Gewehr dagelassen und sie behielt es stets in ihrer Nähe. Man konnte nie wissen, hier so allein in der Wildnis.

Und wenn Steve tatsächlich die Flucht geglückt war, und die McCorys auf irgendeine Art und Weise davon erfuhren, dass seine Frau und der Junge sich hier in der Blockhütte befanden, dann konnte es gut sein, dass die Bande hier auftauchte...

Entweder, um Steve zu erpressen und ihn aus seinem Versteck zu locken - wo auch immer sich das befinden mochte - oder um sich an seiner Familie dafür zu entschädigen, dass man ihn selbst nicht hatte kriegen können.

Betsy war sehr wachsam.

Und der Umgang mit dem Gewehr war ihr auch nicht fremd.

Steve hatte ihr das Nötigste beigebracht, damit sie sich im Notfall auch allein verteidigen konnte.

"Wann kommt Dad zurück?"

Betsy sah vom Fenster weg zu ihrem Sohn und legte ihm den Arm um die Schulter. Wie oft hatte der junge Tom das in den letzten Tagen gefragt...

"Ich weiß es nicht", flüsterte sie.

"Meinst du, er lebt noch?"

"Ich hoffe, ja. Ich hoffe, dass er es geschafft hat!"

"Sieh mal, Ma! Dahinten kommt ein Reiter!"

Er deutete zum Fenster hinaus und sie verengte etwas die Augen und suchte angestrengt die Umgegend ab.

Dann fand sie ihn.

"Ja, du hast Recht..."

Ihr erster Impuls war der Griff zum Gewehr, aber als der Reiter etwas näher gekommen war, ließ sie die Waffe wieder sinken.

Es war Rankine.

Betsy und der Junge traten hinaus vor die Tür, als Rankine das Blockhaus erreichte.

"Sie wagen viel, Rankine!"

"Ach, Ma'am, Sie übertreiben!", lachte er. Aber das Lachen des Mietstallbesitzers klang etwas gequälter, als sie es sonst von ihm kannte.

Er deutete auf seine prall gefüllten Satteltaschen. "Ich habe noch ein paar Sachen mitgebracht, die Sie hier draußen sicher noch bitter nötig haben werden!" Ein bedauernder Ausdruck erschien jetzt auf seinem Gesicht. "Leider konnte ich nicht allzuviel mitnehmen! Ich hätte sonst in Little Valley nur unnötiges Aufsehen erregt! Diese McCory-Leute sind schließlich auch nicht auf den Kopf gefallen, ganz gleich, was man sonst über sie denken mag! Die können zwei und zwei sehr gut zusammenrechnen!"

"Glauben Sie mir, Rankine, ich weiß es sehr wohl zu schätzen, was Sie bis jetzt für uns getan haben!"

Er machte eine wegwerfende Bewegung und ließ sich dann behände aus dem Sattel gleiten. "Vergessen Sie's, Ma'am! Ich weiß, dass Sie und Steve genauso handeln würden, wen ich in Schwierigkeiten wäre!"

"Trotzdem, Rankine! Begeben Sie sich nicht unnötig in Gefahr! Dies muss fürs Erste Ihr letzter Besuch hier oben gewesen sein! Ich bitte Sie!"

"Wir werden sehen..."

"Sind die Verbrecher immer noch in der Stadt?", meldete sich jetzt Tom zu Wort.

Rankine blickte einen Augenblick lang nachdenklich zu dem Jungen hinab und nickte dann mit zusammengezogenen Lippen.

"Ja", presste er schließlich hervor, während er den Blick wieder zu Betsy wandte. "Und es steht zu befürchten, dass uns die Kerle noch eine ganze Weile erhalten bleiben! Es scheint fast, als wollten Sie sich häuslich einrichten. Diese verdammten Hunde pressen jetzt von den Bürgern der Stadt sogenannte Schutzgelder..."

"Oh, mein Gott!", stieß Betsy unwillkürlich hervor.

"Ja, und wer nicht zahlen kann, dem ergeht es schlecht. Sie waren auch schon bei einigen umliegenden Farmen - und da ist bei den meisten ja nun wirklich nicht viel zu holen!"

"Nein, das stimmt!"

"Aber sie sind unerbittlich! Die Farm der Harrisons haben sie niedergebrannt, weil Eddy Harrison, der alte Sturkopf, sich geweigert hat, zu zahlen! Das war den anderen eine Warnung."

"Das ist ja schrecklich!"

"Sie sind wie blutgierige Wölfe! Erst wenn sie uns bis aufs Hemd ausgepresst haben, werden sie weiterziehen! Und es gibt im Moment nichts, was dagegen tun können!"

"Aber es gibt doch Gesetze!", protestierte Betsy empört.

Rankine machte ein abfälliges Gesicht.

"Was nützen die, wenn sie von niemandem durchgesetzt werden!"

"Die Armee!"

"Die Armee ist weit weg und kämpft gegen aufständische Indianer!" Er ballte die Hände zu Fäusten. "Leider bin ich kein Revolvermann, der es mit diesen Kerlen aufnehmen könnte, sonst würde ich versuchen, sie aus der Stadt zu jagen! Aber das wäre Selbstmord!"

Rankine lud die Sachen ab, dann wandte er sich wieder zum Gehen.

"Ich muss zurück", murmelte er kurz.

"Viel Glück, Mr. Rankine!"

"Ihnen auch, Ma'am!"

Dann preschte er davon.

26

Eine weitere Woche verging, ohne, dass Betsy und Tom etwas von Steve hörten.

Der Junge wollte ständig in der Umgegend herumreiten, aber seine Mutter gestattete es ihm nicht.

Man konnte nicht wissen, in welchem Radius um Little Valley die McCorys das Gebiet kontrollierten.

Möglicherweise hatten sie die Suche nach Steve noch immer nicht aufgegeben.

Eines nachts erwachten sie dann durch verdächtige Geräusche. Es war der Junge, der es als Erster gemerkt hatte.

"Ma, da läuft jemand draußen herum!"

Betsy war innerhalb weniger Augenblicke völlig wach. Sie rieb sich die Augen, dann griff sie zum Gewehr.

Beide horchten sie angestrengt.

Zunächst war da nichts, aber dann hörten sie es wieder!

Dass Rankine ihnen um diese Zeit einen Besuch abstattete war äußerst unwahrscheinlich.

"Versteck dich dort, in der Ecke!", befahl Betsy dem Jungen und lud die Waffe mit einer energischen Bewegung durch.

Dann trat sie zur Tür, öffnete sie aber nicht.

Draußen wieherten die Pferde.

"Vielleicht ein Pferdedieb, die uns die Tiere wegnehmen will, Ma", meinte Tom.

Betsy nickte, schob vorsichtig den Riegel von der Tür und öffnete sie dann zögernd. Das erste, was von ihr hinaus in die Nacht drang war der Lauf ihrer Winchester.

Sie sah den schattenhaften Umriss eines Mannes und erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde.

Dann riss sie die Winchester höher.

"Hände hoch!", rief sie entschlossen. "Und kommen Sie nicht näher!"

Aber der Mann gehorchte nicht sondern noch kam ein paar Schritte heran. In den Händen hielt er ein Gewehr.

"Betsy?"

"Aber..."

Er trat jetzt aus dem Schatten der Bäume heraus, so dass ihm das fahle Mondlicht ins Gesicht schien.

"Steve!"

Jetzt erst erkannte sie ihn, ließ das Gewehr sinken und lief ihm geradewegs in die Arme. "Oh. Steve..."

"Betsy! Ich bin froh, dass es euch gutgeht!"

Er nahm sie in an seine Brust und strich ihr zärtlich über das lange, offene Haar.

"Wo bist du gewesen?"

"Du erinnerst dich sicher an den alten Einsiedler, nicht wahr? Wild Eagle."

"Das ist der, den die Rancher damals wegen dem Wasser lynchen wollten, habe ich Recht?"

"Ja. Ich war schwer verletzt, hatte zwei Kugeln im Körper. Er hat sich um meine Wunden gekümmert!"

"Oh, Steve! Ist alles wieder gut?"

"Einigermaßen. Ein bisschen spüre ich es noch. Komm, gehen wir ins Haus. Ich werde dir alles berichten!"

"Wo ist dein Pferd, Steve?"

"Ich habe keins. Ich bin zu Fuß gekommen. War ein ziemlich anstrengender Marsch, kann ich dir sagen!"

Dann gingen sie Arm in Arm zurück zum Blockhaus.

27

Am nächsten Morgen sattelte Steve Gallagher sich eines eines der beiden Pferde, mit denen Betsy und Tom hier her gelangt waren.

Betsy beobachtete ihren Mann nachdenklich, sah wie wie er die Gurte festzurrte und dann seine Winchester in den Sattelschuh steckte.

"Wir können aus der Gegend verschwinden und irgendwo von vorn anfangen, Steve!", meinte Betsy. "Wir sind doch noch jung genug, um es noch einmal versuchen zu können!"

"Ja, aber wir müssten schon sehr weit weggehen... Die McCorys sind verdammt zäh!"

"Ich bin bereit dazu, Steve! Es würde mir nichts ausmachen. An deiner Seite würde ich überall hingehen!"

"Wir wären nie sicher, ob diese Wölfe uns nicht doch eines Tages aufstöbern würden."

"Aber Steve, was sollen wir denn sonst machen?"

"Ich habe es dir gestern Nacht bereits gesagt: Ich werde die McCorys wieder aus Little Valley vertreiben!"

"Das ist Wahnsinn, Steve! Glatter Wahnsinn!"

"Ich habe bereits einmal in Little Valley aufgeräumt. Warum sollte es mir nicht wieder gelingen?"

"Oh, Steve! Sie werden dich töten! Für sie kommt es auf ein Menschenleben mehr oder weniger nicht an!"

"Ich weiß Betsy. Aber ich werde auf mich aufpassen."

"Wo reitest du jetzt hin?"

"Nach Tucson, zu Richter Jenkins. Ich werde ein paar Tage unterwegs sein, dann gehe ich nach Little Valley."

"Aber..." Sie schüttelte den Kopf. "Was willst du in Tucson?"

"Wenn hier wieder Recht und Ordnung einkehren soll, dann kann das nicht mit neuem Unrecht und Lynchjustiz beginnen! Ich werde also zu Richter Jenkins reiten und mir einen Stern an die Brust heften lassen. Ich weiß, dass er ständig händeringend nach Marshals sucht. Er ist für das ganze Territorium zuständig und hat kaum zwei Dutzend Mann, die einen Stern tragen."

"So hat dich nach langen Jahren der Blechstern doch wieder eingeholt, Steve..."

Steve zuckte mit den Schultern.

"Es konnte keiner ahnen, dass es so kommen würde. Richter Jenkins hat mir bereits mehrfach einen Marshal-Posten übertragen wollen. Ich habe immer abgelehnt, aber jetzt haben sich die Dinge geändert."

Als er mit seinen Vorbereitungen fertig war, drückte er seine Frau an sich und seufzte schwer.

"Ich weiß, was ich tue, Betsy. Du kannst Vertrauen zu mir haben."

"Ja, ich weiß", erwiderte sie. "Ich habe dir immer vertraut, Steve."

"Dad, kann ich nicht mit dir reiten?", meinte der junge Tom.

Steve lächelte und strich ihm dann über den Kopf.

"Nein, Junge, diesmal nicht."

Wenig später hatte er sich dann auf den Pferderücken geschwungen und ritt davon.

Betsy und Tom sahen ihm nach.

In einiger Entfernung stoppte Steve noch einmal, wandte sich zu ihnen um und winkte kurz.

Betsy hatte Tränen in den Augen.

Sie rollten ihr einfach über die Wangen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Sie hoffte nur, dass sie sich nicht zum letzten Mal gesehen hatten.

28

Roy McCory stand am Fenster und blickte hinaus auf die Main Street von Little Valley, auf der heute, wie überhaupt in der letzten Zeit, nur mäßiger Betrieb herrschte.

Von Paddys Fremdenzimmern teilte er sich eines mit seinem Bruder Phil. Die anderen Wölfe drängten sich in den anderen Räumen.

Es war gut, dass sie ein Zimmer für sich hatten, so konnten sie sich besser untereinander beraten.

In diesem Moment ging die Tür auf und Phil trat ein. Sein Gesicht war ernst.

"Die Männer sind zurückgekehrt!", brummte Phil.

Roy hob die Augenbrauen.

"Und?"

"Keine Spur von Steve Gallagher!"

Roy ballte die Rechte zur Faust und schlug sie ärgerlich gegen den Fensterrahmen.

"Verdammt..."

Tag für Tag hatte Roy Suchtrupps in die Umgebung geschickt, um Gallagher aufzuspüren.

Ohne Erfolg.

Er schien wie vom Erdboden verschluckt.

"Wahrscheinlich haben sich die Hunde nicht genügend Mühe gegeben!", schimpfte er. "Ich hätte selbst mitreiten sollen!"

Er atmete schwer. Roy wusste selbst, dass das nicht ging. Die Dinge in der Stadt würden ihm sonst sehr schnell aus der Hand gleiten...

Und wenn das erst einmal passiert war, konnte es gefährlich werden. Die Männer, mit denen er ritt, waren gefährliche Wölfe, die keine Skrupel kannten, sich auch gegebenenfalls gegenseitig zu zerfleischen, wenn sie glaubten, dass es zu ihrem Vorteil war.

Als Anführer einer Bande musste man doppelt aufpassen, wenn man alt werden wollte!

"Seit fast drei Wochen hat niemand mehr etwas von Steve Gallagher gesehen!", meinte Phil. "Ich schätze, der Mann hat sich schlicht und einfach aus dem Staub gemacht und zugesehen, dass er soviele Meilen wie irgend möglich zwischen sich und uns legt..."

"Das würde kaum seinem Charakter entsprechen...", brummte Roy. "Ich glaube nicht, dass er davongelaufen ist!"

"Er ist kein Dummkopf und daher muss er wissen, dass er gegen uns keine Chance hat, wenn er länger in der Gegend bleibt, Roy!"

Roy zuckte mit den Schultern.

Er machte einen abwesenden Eindruck.

"Ach, Roy..."

"Ja?"

"Da ist noch etwas."

"Raus damit!"

"Ich habe dich vor ein paar Tagen schon darauf hingewiesen: Unter den Männern rumort es!"

"Sie können sich nicht beklagen! Die Bürger von Little Valley zahlen die Schutzgelder, die wir erheben und jeder kriegt seinen Anteil. Es geht doch alles hervorragend!"

"Vielleicht bekommt ihnen das gute Leben nicht, Roy! Sie kommen dann nur auf dumme Gedanken!"

"Ich weiß, dass Wallace liebend gerne an meiner Stelle wäre! Aber er wird sich hüten, mich zu fordern!"

"Da wäre ich mir nicht so sicher, Roy!"

"Und was schlägst du vor?"

"Wir nehmen alles mit, was sich auf die Schnelle noch aus Little Valley herauspressen lässt und verschwinden dann."

"Nein."

"Aber wir sind verdammt nochmal schon lange genug hier! Findest du nicht?"

"Wir bleiben noch etwas, Phil!"

Phil seufzte.

In der Stimme seines Bruders lag ein Unterton, den er sehr wohl zu deuten wusste.

Details

Seiten
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783738906929
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (März)
Schlagworte
neal chadwick vier western oktober

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Neal Chadwick - Vier Western Oktober 2016