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Die Rache des Dämons: Ein Dorf-Krimi

von Peter Haberl (Autor:in) Pete Hackett (Autor:in)
©2016 125 Seiten

Zusammenfassung

Die Rache des Dämons
von Peter Haberl

Der Umfang dieses Buchs entspricht 124 Taschenbuchseiten.

Als Stefanie Brandl stirbt, ist der Arzt, der ihren Tod feststellt, der Meinung, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist, denn Stefanie ist verhungert und verdurstet. Ihr Körper ist übersät von Striemen und blauen Flecken. Ihre Eltern, bei denen Stefanie gelebt hat, geben an, dass sie sich diese Wunden selbst beigebracht hat. Hauptkommissar Alfred Rumpler und Oberkommissar Jürgen Lindner aus der Stadt kommen ins Dorf und ermitteln. Da geschieht ein Mord! Hat der Mord etwas mit Stefanies Tod zu tun? Im Dorf treffen sie auf die Überzeugung, ein Dämon gehe um...

Titelbild: Steve Mayer

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Die Rache des Dämons

von Peter Haberl

Der Umfang dieses Buchs entspricht 124 Taschenbuchseiten.

Als Stefanie Brandl stirbt, ist der Arzt, der ihren Tod feststellt, der Meinung, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist, denn Stefanie ist verhungert und verdurstet. Ihr Körper ist übersät von Striemen und blauen Flecken. Ihre Eltern, bei denen Stefanie gelebt hat, geben an, dass sie sich diese Wunden selbst beigebracht hat. Hauptkommissar Alfred Rumpler und Oberkommissar  Jürgen Lindner aus der Stadt kommen ins Dorf und ermitteln. Da geschieht ein Mord! Hat der Mord etwas mit Stefanies Tod zu tun? Im Dorf treffen sie auf die Überzeugung, ein Dämon gehe um...

Titelbild: Steve Mayer

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

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postmaster@alfredbekker.de

1

Es war Nacht, der Himmel war grau bewölkt und die dicke Wolkendecke ließ weder Sternen- noch Mondlicht durch. Den ganzen Tag über hatte es abwechselnd geregnet und geschneit, es war nasskalt, laut Meteorologen aber dennoch viel zu warm für die Jahreszeit.

Das Dorf lag in völliger Finsternis, wie unter einer schwarzen Decke. Es war still - geradezu beklemmend still, eine Stille, die nicht einmal das leise, monotone Säuseln des Nachtwindes zu stören vermochte.

Aus dem Fenster eines Hauses im unteren Teil des Dorfes sickerte vager Lichtschein durch die zugezogenen Vorhänge. Und eine klare, präzise Stimme erklang: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe ...“

Ein kreischender Aufschrei unterbrach den Betenden, irgendetwas krachte, als wäre ein schwerer Gegenstand gegen die Wand geworfen worden, ein Aufprall folgte, dann wieder das entsetzliche Kreischen. Es wurde schnell leiser und man konnte ein Klatschen vernehmen, in das sich leises Winseln mischte. Und schließlich erklang wieder die dunkle, selbstsichere Stimme: „... wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute ...“

Wieder gingen die weiteren Worte in einem durchdringenden Kreischen unter, das in ein bedrohliches Fauchen ausartete, und dann schrie jemand mit einer Stimme, die jeden Moment zu brechen drohte: „Fuschani akikhi, fijezipo! Up eximasalu tso luvi, panganuka abuhlinge!” Die letzten Worte hatte der Sprecher geradezu hinausgeheult, und dann war wieder nur herzzerreißendes Wimmern zu vernehmen, in das sich das Klatschen von Schlägen mischte. Und die sonore Stimme sprach weiter; die Worte fielen wie Hammerschläge:

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen ...“

„At istex muro, sadle itihogo, angalybe kebukisu!”, krächzte und geiferte eine hasserfüllte Stimme. „Puthike, wonke amantu! Puyakathi napho ukekhula sokagidla umazine."

Und aufs Neue war das Klatschen zu vernehmen, jedem Schlag folgte ein gellender Aufschrei, der durch und durch ging, und die stumme Beobachterin, die nicht weit von dem Haus entfernt im Schlagschatten eines Hauses verweilte, bekreuzigte sich hastig. „Herr Jesus Christus, bewahre uns vor der Macht der Hölle“, flüsterte sie. Und sogleich schlug sie ein weiteres Mal das Kreuzzeichen. „Im Namen des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes ...“

„... Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“

Wieder krachte es, ein Klirren und ein Poltern schlossen sich an, ein schriller Aufschrei mischte sich hinein und die krächzende, gehässige Stimme krakeelte aufs Neue: „Ynike uhora fesi Ngiyaliva - Engusuno athundo safety. Lukuya uswi mankho!"

Klatschende Schläge waren zu vernehmen.

Die geheimnisvolle Zuhörerin auf der Straße verstand kein Wort und so hatte sie keine Ahnung, was derjenige, dem scheinbar große Schmerzen zugefügt wurden, hinausgebrüllt hatte. Aber sie wusste, was sich in dem kleinen Haus abspielte. Pfarrer Wilhelm Prechtl und das Ehepaar Brandl praktizierten eine Teufelsaustreibung an deren Tochter Stefanie, von der sie behaupteten, dass sie seit mehreren Jahren von einem Dämon oder vom Satan selbst besessen war. Seit Monaten hatte in dem Dorf kein Mensch mehr die junge Frau zu Gesicht bekommen. Doch zweimal in der Woche ging der Priester in das Haus der Familie Brandl, und dann hörte man ihn beten, Stefanie aber hörte man krächzen, grunzen, kreischen, heulen, wimmern und winseln aber auch mit einer völlig fremden Stimme fluchen, drohen und obszöne Ausdrücke brüllen. Oftmals benutzte sie diese völlig unbekannte Sprache, um ihrer Wut und ihrem Hass Ausdruck zu verleihen. Und man konnte auch das Klatschen der Peitsche vernehmen, mit der sie Helmut Brandl auf Anweisung des Geistlichen züchtigte.

Aus einem Fenster des Gasthauses, das keine zwanzig Meter vom Haus der Brandls entfernt war, schaute Hans Zimmerer, der Gastwirt. Erschüttert lauschte er.

Die Stentorstimme des Priester erklang aufs Neue: „O Gott, rette mich durch deinen Namen, und schaffe mir Recht durch deine Macht! Oh Gott, erhöre mein Gebet, und achte auf die Reden meines Mundes!“

Der Geistliche sprach mit Nachdruck und verlieh den Worten besondere Betonung, das Kreischen und Heulen, das höhnische Grölen sowie die Verwünschungen und Flüche aus dem Mund Stefanie Brandls nicht achtend.

„Herr, steh uns bei“, murmelte Hans Zimmerer ergriffen und erschüttert zugleich. „Und lass nicht zu, dass sich das Böse in unserem Dorf behauptet.“

Eine schemenhafte Gestalt glitt aus der Dunkelheit, näherte sich dem Gasthaus und Hans Zimmerer erschrak so sehr, dass sein Herzschlag fast aussetzte. Er verspürte Schwindelgefühl und fürchtete, im nächsten Moment ohnmächtig zu werden.

„Ich bin es, die Margarethe. Nicht erschrecken. Hörst du es auch Hans? Das geht nun schon seit Wochen so. Und wir schauen zu, ohne etwas zu unternehmen.“

„Großer Gott, hast du mich erschreckt“, raunte der Gastwirt heiser und gerade so laut, dass ihn Margarethe Heider verstehen konnte. „Um ein Haar hätte mich der Schlag getroffen. Was tust du hier? Es geht auf Mitternacht zu.“

„Ich beobachte das seit über einem Monat. Jeden Mittwoch und Samstag unterziehen sie die arme Stefanie dieser brutalen Prozedur. Hörst du das Klatschen? Ich denke, sie schlagen die Ärmste mit einer Peitsche. Was meinst du? Hat unser Pfarrer die Genehmigung des Vatikans, eine Teufelsaustreibung bei Stefanie durchzuführen?“

„Was weiß denn ich! – Horch!“

„Denn Fremde haben sich gegen mich erhoben, und Gewalttätige trachten mir nach dem Leben. Sie haben Gott nicht vor Augen. Siehe, Gott ist mein Helfer; der Herr ist es, der mein Leben erhält ...“

Auch jetzt wurden die Worte des Priesters wieder von Flüchen und Verwünschungen quittiert, dazu kam eine Reihe unartikulierter Laute, wahrscheinlich Resultat einer Reihe unkontrollierter Wutausbrüche und Ausdruck eines kaum bezähmbaren Hasses.

„Ich sehe Schlimmes auf unser Dorf zukommen“, prophezeite Margarethe flüsternd, mit brüchiger Stimme. „Die dunklen Wolken des Unheils ziehen bereits auf, und wir werden dem Verhängnis machtlos gegenüberstehen.“

Es hatte sehr geheimnisvoll geklungen und der Gastwirt verspürte Gänsehaut. „Was ist das für eine Sprache, die Stefanie immer wieder spricht?“, fragte er leise. „Hört sich an wie – wie ... Ich habe keine Ahnung, was das für ein Kauderwelsch ist.“

„Wahrscheinlich ein altorientalischer Dialekt“, murmelte Margarethe Heider. „Vielleicht auch die Sprache des Satans und seiner Helfershelfer. Wieso beherrscht Stefanie diese Sprache?“ Ihre Stimme sank herab zu einem kaum verständlichen Raunen, als sie hinzufügte: „Vielleicht ist sie wirklich vom Teufel besessen und es ist gar nicht sie, die in dieser Sprache redet, sondern der Leibhaftige, der in sie hineingefahren ist.“

„Es hat eine Zeit gegeben, in der man sie der Hexerei angeklagt, für schuldig befunden und verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt hätte“, murmelte der Gastwirt mit ausgetrockneter Kehle. „Darum müssen wir den Herrn Hochwürden gewähren lassen. Er muss den Teufel aus ihr heraustreiben und ihn aus unserem Dorf verjagen. Er darf hier auf keinen Fall Fuß fassen, denn er ist das Unheil und das Verhängnis. Der Herrgott gebe dem Hochwürden die Kraft und die Ausdauer, die für seinen Kampf mit den Mächten der Finsternis vonnöten sind.“

„Großer Gott, erhöre uns“, stieß Margarethe Heider hervor. „Und – lass diesen Kelch an uns vorübergehen.“

Und da war auch schon wieder die donnernde Stimme des Priesters zu vernehmen: „Er wird meinen Feinden ihre Bosheit vergelten; vertilge sie nach deiner Treue! Ich will dir opfern aus freiem Trieb; deinen Namen, o Herr, will ich loben, denn er ist gut ...“

„Herr der Heerscharen, erhöre sein Gebet“, flüsterte Margarethe Heider, bekreuzigte sich ein weiteres Mal und schlurfte davon. Schon nach wenigen Schritten wurde sie eins mit der Finsternis und Hans Zimmerer konnte sie nicht mehr wahrnehmen. Es war, als hätte die Nacht sie verschluckt.

Auch der Gastwirt zog den Kopf zurück und schloss so leise wie möglich das Fenster, als fürchtete er, dass ihn jemand hören könnte.

2

Stefanie Brandl starb am Sonntag, dem 14. Februar, in den frühen Morgenstunden. Der Arzt, der aus der nahen Kreisstadt gerufen wurde, um den Tod festzustellen, diagnostizierte an dem völlig abgemagerten Körper der jungen Frau Spuren von Misshandlungen und schaltete die Polizei ein. Der Leichnam wurde obduziert und die Feststellungen ergaben, dass Stefanie Brandl in der Tat körperlich misshandelt worden, letztendlich aber verhungert und verdurstet war.

Am 23. Februar, einem Dienstag, trafen Hauptkommissar Alfred Rumpler und Oberkommissar Jürgen Lindner von der Polizeiinspektion der nahen kreisfreien Stadt in dem Dorf ein, in dem Stefanie Brandl gelebt hatte. Rumpler war siebenundvierzig Jahre alt, mittelgroß und sportlich, seine Haare waren dunkel und kurz geschnitten. Lindner war fünf Jahre jünger, blondhaarig und blauäugig. Beide Polizisten waren erfahrene Ermittler und gehörten zum Kommissariat 1 bei der Kriminalpolizei, zuständig für die Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter, Mord, Totschlag, Todesermittlungen, Brand-, Sexual- u. Umweltdelikte.

Das Dorf lag in einer Senke, die von einem schmalen Fluss zerschnitten wurde. Die Sohle der Senke bildeten eigentlich nur das Flüsschen und die Staatsstraße, an der einige Häuser erbaut worden waren. Hinter diesen Häusern stieg das Gelände wieder ziemlich steil an und der Rest des Dorfes klebte an diesem Abhang beziehungsweise erstreckte sich auf der Ebene, bei der der Abhang oben endete. Hier war auch die gelb und weiß gestrichene Kirche mit dem Zwiebelturm errichtet, daneben das alte Schulhaus, hinter dem das Gelände nach Osten hin seicht abfiel und dem kleinen Friedhof, der von einer etwa 1,5 Meter hohen Mauer eingefriedet war, Platz bot. Am Friedhof vorbei verlief die Straße in südliche Richtung. Sie war eine der vier Möglichkeiten, den Ort mit dem Auto zu verlassen.

Die beiden Kriminalbeamten waren aus nördlicher Richtung gekommen. Als sie die steil abfallende Straße zum Fluss hinuntergefahren waren, hatten sie sich schon einen ersten Eindruck von dem Dorf bilden können. Alles sah alt und unmodern aus. Die Polizisten hatten den Eindruck, in der Zeit um hundert Jahre zurückversetzt zu werden. Sogar der kleine Holzturm des Feuerwehrhäuschens mit der Alarmglocke im Gestühl war von der Witterung grau und bedurfte sicher sehr bald der Erneuerung, sollte er nicht bei einem etwas heftigeren Windstoß zusammenbrechen.

Stefanie Brandl hatte mitten im Dorf im Haus ihrer Eltern gelebt. Das Wirtshaus des Ortes war nur drei Häuser weiter und auf dem Parkplatz davor stellten die Kriminalbeamten den Dienstwagen ab.

Es war ein nasskalter, regnerischer Tag, und die unmittelbare Umgebung des Gasthauses mutete an wie ausgestorben. Kein Mensch ließ sich blicken. Die Polizisten schauten sich um und sahen nur die alten Häuser mit den niedrigen Haustüren und kleinen Fenstern, den verwitterten Anstrichen und zum Teil stark bemoosten Ziegeldächern. Von vielen der Fassaden war der Verputz großflächig abgefallen und man konnte die Ziegelwände sehen. Der Art der Ziegel nach zu schließen waren diese Gebäude mindestens hundertfünfzig Jahre alt. Über einigen Haustüren waren in halbrunden Nischen Marienfiguren oder andere geschnitzte Schutzheilige, zumeist der heilige Florian, zu sehen.

Aus den Schlöten stieg Rauch, wurde vom frischen Westwind erfasst und zerfasert. Es roch nach verbranntem Holz.

Die beiden Beamten waren von der Dorfidylle, die sich ihnen bot, seltsam berührt. Sie hatten beide das Empfinden, als hätte hier die Zeit vor hundert oder noch mehr Jahren angehalten. Hauptkommissar Rumpler warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war 9 Uhr 25. „Okay, Jürgen dann wollen wir mal“, sagte er und setzte sich in Bewegung. Gleich darauf klopfte er mit den Knöcheln seiner Hand gegen die Eingangstür des Häuschens, in dem die Familie Brandl lebte. Eine Klingel gab es nicht, und der Hauptkommissar fragte sich sogar, ob dieses Dorf überhaupt mit Elektrizität versorgt wurde oder ob die Bewohner nach Einbruch der Dunkelheit Kerzen und Petroleumslampen benutzen, um für Helligkeit in ihren Wohnräumen zu sorgen.

Kurze Zeit verstrich, dann waren hinter der Tür Geräusche zu vernehmen, ein metallisches Knirschen und ein Knacken, und dann wurde die Haustür aufgezogen. Sie knarrte und quietschte leise in den Angeln. Ein hagerer, gebeugter Mann mit grau melierten Haaren, dessen Alter schlecht zu schätzen war, zeigte sich und schaute die beiden Beamten aus grauen, wässrigen Augen an. Sein Gesicht war von tiefen Linien und Falten zerfurcht und die Haut erinnerte an altes Pergament. „Ja?“ Mehr kam nicht über seine schmalen, blutleeren Lippen.

„Grüß Gott, ich vermute, Sie sind Herr Brandl. Ich bin Hauptkommissarin Rumpler von der Kripo, das ist mein Kollege Oberkommissar Lindner. Haben Sie eine halbe Stunde Zeit für uns?“

„Wieso Kripo?“ Die Stimme Helmut Brandls klang blechern und heiser und er nahm seinen durchdringenden Blick nicht vom Gesicht des Hauptkommissars.

„Es ist wegen Ihrer Tochter Stefanie. Im Zusammenhang mit ihrem Ableben sind einige Fragen aufgetaucht, und auf die eine oder andere dieser Fragen können sicher Sie oder Ihre Gattin Antwort geben. Dürfen wir reinkommen?“

„Meine Tochter war krank – sehr krank, Gott der Herr hat sie schließlich erlöst und zu sich genommen. Es ist kein Fall für die Kriminalpolizei.“

„Das mag Ihre Sicht der Dinge sein, die bisherigen Feststellungen haben jedoch ergeben, dass es möglicherweise keine natürliche Ursache war, die das Ableben Ihrer Tochter zur Folge hatte. Es ist wichtig, dass Sie uns einige Fragen beantworten. Allerdings muss das Gespräch nicht zwingend in Ihrer Wohnung geführt werden, wir können Sie auch in der Polizeiinspektion befragen.“

Helmut Brandl mahlte kurz mit den Zähnen, sein Augen flackerten unruhig, er schaute von Rumpler zu Oberkommissar Lindner, duckte sich ein wenig und murmelte schließlich: „Meinetwegen. Wenn es nicht anders geht, dann kommen Sie herein. Ich glaube aber nicht, dass wir Ihnen auch nur eine einzige Ihrer Fragen beantworten können.“

„Wir werden es sehen“, versetzte Hauptkommissar Rumpler, und als Helmut Brandl die Haustür freigab, trat er in den engen und recht dunklen Korridor des Hauses. Muffiger Geruch empfing den Polizisten; es war der Geruch von Staub, Schimmelpilz und altem Bratfett. Für den Bruchteil einer Sekunde hielt er sogar die Luft an, derart penetrant roch es.

Hinter ihm hüstelte Oberkommissar Lindner.

Von dem Flur führten zwei Türen ab, eine nach links, die andere nach rechts, an seinem Ende schwang sich eine schmale Holzstiege nach oben, wo es wahrscheinlich unter der Dachschräge einen oder zwei kleinere Räume gab. Helmut Brandl forderte die Beamten auf, den Raum zu betreten, in den die linke Tür führte. Es war die Küche, und in ihr war der abgestandene Geruch ganz besonders intensiv. Unter dem Gewicht der Männer ächzte der gescheuerte Dielenboden, einen Bodenbelag oder Teppich gab es nicht. Auch hier mischte sich in den Geruch von Moder und altem Fett der von Harz und verbrennendem Holz.

Auch dieser Raum war düster, die Höhe der Decke betrug höchstens 2,10 Meter, die Einrichtung konnte man als altertümlich bezeichnen. Neben einem Herd, der mit Holz zu feuern war und von dem aus ein verrostetes Ofenrohr nach oben führte, das unter der Decke entlangführte und die ganze Breite der Wand einnahm, bis es an der Seite im gemauerten Kamin verschwand.

Der Ofen war angeheizt, im Raum war es unerträglich warm. In der Mitte stand ein blank gescheuerter Holztisch, um den vier einfache Stühle aus demselben Material gruppiert waren. Auf der anderen Seite der Küche stand an der Wand ein Buffet, dessen Aufsatz grün verglast war. An der Wand hing eine Pendeluhr, deren monotones Ticken den Pulsschlag der Zeit verdeutlichte. Es gab noch einige weitere Küchenutensilien an der Wand über dem Ofen, wie Schöpflöffel und andere Anrichtebestecke, die längst den Glanz verloren hatten oder aus glanzlosem Aluminium bestanden; Zeugnisse einer längst verflossenen Küchenkultur. Und es gab einen Herrgottswinkel mit einer brennenden Kerze. Das Kruzifix war mit zwei Palmkätzchenzweigen geschmückt.

Eine mittelgroße, zierliche Frau, die sich ein Kopftuch über die stumpfen, grauen Haare gebunden hatte und die mit einer blauen Wickelschürze bekleidet war, stand beim Tisch und taxierte die beiden Ankömmlinge. Ihr Gesicht war hager, man konnte fast sagen eingefallen, die Augen lagen in dunklen Höhlen und glitzerten erwartungsvoll, von ihren Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln zogen sich tiefe Labialfalten.

Hauptkommissar Rumpler hatte angehalten, nickte der Frau zu, stellte sich und seinen Kollegen vor und sagte dann: „Seien Sie unserer Anteilnahme am Tod Ihrer Tochter versichert, Frau Brandl. Allerdings sind im Zusammenhang damit einige Fragen aufgetaucht, deren Beantwortung wir uns hier und heute erhoffen.“

3

Sie hatten an dem Holztisch Platz genommen. In dem Zwielicht, das in der Küche herrschte, muteten die Gesichter starr und finster an und die Augen glitzerten wie Glas. Ab und zu knackte im Ofen ein Holzscheit in der Hitze.

Hauptkommissar Rumpler hatte sich auf dem Stuhl zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Er sah keinen Grund, sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, und kam sofort auf den Anlass ihres Besuchs zu sprechen, indem er sagte: „Ihre Tochter ist verhungert und verdurstet. Sie wog nur noch siebenunddreißig Kilogramm. Wie kann das sein, wohnte sie doch bis zu ihrem Tod bei Ihnen.“

Sein durchdringender, fast stechender Blick war, während er sprach, zwischen dem Mann und der Frau hin und her geschnellt. Er wollte jede noch so kleine Reaktion in den Gesichtern registrieren  und in den Mimiken lesen, denn sie verrieten oftmals eine Menge und seine Wahrnehmungen dahingehend täuschten den Hauptkommissar selten.

„Die Stefanie war schwer krank“, erklärte Helmut Brandl und vermied es, den Hauptkommissar anzusehen. Offensichtlich war er ausgesprochen nervös. „Sie hat in den Tagen vor ihrem Tod jegliche Nahrungsaufnahme verweigert. Und in den Wochen davor hat sie kaum etwas zu sich genommen. Man hat regelrecht zuschauen können, wie sie abgemagert ist.“

„Und warum haben Sie sie nicht ins Krankenhaus gebracht oder zumindest den ärztlichen Bereitschaftsdienst alarmiert?“

„Die Stefanie hat uns angefleht, dies zu unterlassen“, antwortete Brandl. „Sie meinte, dass ihr sowieso niemand mehr helfen könne, da ihre Erkrankung das Endstadium erreicht habe und sie den Tod nicht unnötig hinauszögern wolle. Wir haben unserer Tochter diesen Gefallen erwiesen. Sie starb in Ruhe, und ganz gewiss ist sie jetzt beim Herrn.“

„Und wer hat Ihrer Tochter die ganzen blauen Flecke und teilweise blutigen Striemen sowohl auf dem Rücken als auch auf der Brust und an den Beinen beigebracht?“

Auch jetzt ließ der Hauptkommissar das Ehepaar nicht aus den Augen, und auch Oberkommissar Lindner entging keine ihrer Reaktionen. Doch die beiden verrieten mit keinem Muskelzucken, was hinter ihren Stirnen vorging. Helmut Brandl antwortete: „Stefanie war davon überzeugt, dass ihr die Krankheit vom Herrn auferlegt wurde, sozusagen als Prüfung, vielleicht auch als Buße. Um dem Herrn ihre Sühnebereitschaft zu zeigen, hat sie sich seit Monaten selbst kasteit. Sie wollte alles Triebhafte in sich abtöten und frei werden für Höheres.“

Der Hauptkommissar hatte die Stirn in Falten gelegt. „Buße – wofür? Warum wollte Ihre Tochter sühnen? Wenn wir von ihrer Krankheit sprechen, dann ist die Rede von Epilepsie. Darin ist nichts Triebhaftes zu sehen, wegen dieser Erkrankung bedarf es auch keiner Buße und Sühne. Wie gestaltete sich die Selbstkasteiung Ihrer Tochter?“

„Sie nahm fast keine Nahrung mehr zu sich, hielt sich in den Nächten wach indem sie betete, und sie fügte sich mit einer siebenschwänzigen Peitsche Schmerzen zu.“

„Und Sie haben das geduldet“, mischte sich nun Oberkommissar Lindner ein, und er musterte Helmut Brandl, als zweifelte er an dessen Verstand. „Sie haben einfach tatenlos zugesehen, wie sich Ihre Tochter selbst umbrachte. Anders kann man es nicht bezeichnen. Wenn das, was Sie uns eben erzählt haben, den Tatsachen entspricht, dann war der Tod Ihrer Tochter ein Selbstmord auf Raten.“

„Stefanie wollte es so“, ließ nun zum ersten Mal Katharina Brandl ihre Stimme vernehmen. Herausfordernd fixierte sie den Oberkommissar. „Sie war davon überzeugt, dass es Gottes Wille war, sie zu bestrafen, und dagegen waren wir machtlos. Ihre Krankheit war unheilbar. Nun ist Stefanie dort, wo sie sein wollte, und der Herr wird ihrer armen Seele ganz gewiss gnädig sein.“

„Wenn sie sich gepeitscht hat“, so ergriff wieder der Hauptkommissar das Wort, „dann ist das noch lang keine Erklärung dafür, dass ihr ganzer Körper mit Hämatomen und kleinen Platzwunden übersät war.“

„Stefanie ist oft gestürzt“, antwortete Helmut Brandl. „Vor allen Dingen in den letzten Tagen, in denen sie zu schwach war, um die paar Meter bis zum Klosett zurückzulegen. Aber sie wollte sich nicht helfen lassen und kroch lieber auf allen vieren. Es war schlimm, aber wir konnten nichts tun.“

„Es wäre Ihre Pflicht gewesen, ärztliche Hilfe zu holen“, gab der Hauptkommissar mit harter Stimme zu verstehen. „Wir werden es in unseren Bericht aufnehmen müssen. Ob der Staatsanwalt darin einen Straftatbestand sieht, weiß ich nicht. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass Sie sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht haben.“

„Stefanie hat getobt, wenn wir auch nur andeuteten, dass sie ärztlicher Hilfe bedürfe.“

„Darauf hätten Sie keine Rücksicht nehmen dürfen. Ihre Tochter könnte noch leben.“ Nach dem letzten Wort stemmte sich Hauptkommissar Rumpler am Tisch in die Höhe. „Für den Moment wäre das alles. Hast du noch irgendeine Frage, Jürgen?“

Der Oberkommissar schüttelte den Kopf und erhob sich ebenfalls. „Im Moment nicht.“ Die beiden Polizisten verabschiedeten sich von dem seltsamen Ehepaar und waren froh, endlich wieder frische Luft atmen zu dürfen. Die ganze Atmosphäre in dem Haus hatte bei ihnen Unbehagen hervorgerufen, fast so etwas wie Beklemmung.

In dem Moment, in dem sie die Autotüren öffneten, ging die Tür der Gastwirtschaft auf und ein kleiner, bärtiger Mann mit bleichem Gesicht und gelblichen Augen, die auf einen gravierenden Leberschaden schließen ließen, rief mit gedämpfter Stimme: „He, seid ihr von der Polizei?“

Rumpler und Lindner konzentrierten sich auf den kleinen Burschen, der möglicherweise ein Alkoholproblem hatte, was neben den gelblichen Augen auch sein teigiges Gesicht vermuten ließ, der Hauptkommissar nickte schließlich und sagte: „Ja, Kriminalpolizei. Sieht man uns das an?“

„Nein. Aber ich bin überzeugt davon, dass die Stefanie umgebracht worden ist. Und scheinbar liege ich gar nicht so verkehrt mit meiner Überzeugung, denn wenn es keinen Grund gäbe, dann wären Sie sicher nicht hier.“

Die beiden Kommissare wechselten einen schnellen Blick, dann setzte sich Hauptkommissar Rumpler mit einem Ruck in Bewegung und näherte sich dem Mann. Jürgen Lindner folgte ihm wie ein Schatten.

„Überzeugt zu sein heißt“, knurrte der Hauptkommissar, „dass Sie etwas wissen. Von etwas überzeugt zu sein ist mehr als nur eine Vermutung. Lassen Sie uns an Ihrem Wissen teilhaben, Herr ...“

„Zimmerer – mein Name ist Hans Zimmerer, ich bin Inhaber dieses Wirtshauses. Kommen Sie herein, dann erzähle ich Ihnen, was ich weiß. Und dann sind sicher auch Sie davon überzeugt, dass die Stefanie keines natürlichen Todes gestorben ist.“

Der Schankraum der Gaststätte war ein finsterer Raum, die Decke war niedrig und dunkelbraun vom Tabakrauch, es roch nach Bohnerwachs, kaltem Rauch und verschüttetem Bier. Neben einer braunen, sehr ramponierten Holztheke war die Gaststätte mit fünf Tischen ausgestattet, um die jeweils fünf Stühle herumstanden. Einer der Tische war als Stammtisch gekennzeichnet.

An einem der Tische nahmen sie Platz, die Frage des Wirts, ob sie etwas trinken wollen, verneinten die Beamten. „Bitte, setzen Sie sich“, forderte der Hauptkommissar den Gastwirt auf, „und dann erzählen Sie uns, was Sie wissen.“

Der Wirt rückte sich einen Stuhl zurecht, ehe er sich aber niederließ, holte er sich ein Glas Bier, und dann nahm er Platz. „Also gut“, murmelte er, hob das Glas an seine Lippen, nahm einen großen Schluck, stellte es auf den Tisch und sagte: „In den vergangenen Wochen ist immer wieder der Pfarrer ins Brandl-Haus gegangen. Und dann habe ich fast eine Stunde lang Geschrei gehört. Meistens war es die Donnerstimme des Pfarrers, manchmal aber auch die Stimme der Stefanie, oft aber eine Stimme, die einen furchtbaren Klang hatte – einen Klang, der einem Angst machen konnte. Stefanie sprach und schrie meistens in einer Sprache, die ich noch nie gehört habe und von der ich kein Wort verstand. Aber es waren nicht nur Worte, die aus ihrem Mund kamen, ich hörte auch Jammern, Weinen und klägliches Winseln. Es war manchmal schrecklich anzuhören, und ich war mehr als einmal nahe daran, die Polizei anzurufen.“

„Und was – glauben Sie – war der Grund für das Geschrei und die anderen Geräusche, die Sie hörten?“, erkundigte sich Oberkommissar Jürgen Lindner.

Der Gastwirt beugte sich weit über den Tisch, sein Gesicht nahm einen verschwörerischen Ausdruck an, und dann stieß er hervor: „Sie haben gesagt, die Stefanie Brandl sei von einem Dämon oder gar vom Teufel selbst besessen. Und den wollten sie bei ihr austreiben. Das hat die Stefanie nicht überlebt.“

Betroffen und fassungslos starrten die Polizisten den Gastwirt an. Diese Eröffnung mussten sie zunächst einmal verarbeiten.

4

Der Sarg mit den sterblichen Überresten der Stefanie Brandl stand in dem kleinen Leichenschauhaus des Dorfes, das sie Zeit ihres Lebens nie länger als für ein paar Stunden verlassen hatte. Er war eingerahmt von vier wuchtigen Kerzenständern, die dicken weißen Kerzen waren zu einem Drittel heruntergebrannt.

Es war Nacht. Die vier kleinen Flammen spendeten kaum Licht, brannten aber ruhig, da es in dem kleinen Raum mit dem großen Schaufenster nicht den geringsten Luftzug gab.

Es handelte sich um einen einfachen Sarg, auf dem Deckel lagen drei rote Rosen, das glatte, lasierte Holz reflektierte das Kerzenlicht. Hier herrschte die absolute Stille des Todes - die Zeit schien hier – angesichts der Vergänglichkeit - stillzustehen.

Plötzlich aber flackerten die kleinen Flammen, erzeugten ein Wechselspiel von Licht und Schatten, und neben dem Sarg war in der Luft ein silbriges Flirren, das anmutete, als wären hunderte winziger, weißer Lichter aus dem Nichts entstanden, nicht stofflich und greifbar, doch stellten sie eine gewisse Anordnung dar, verdichteten sich und formten sich zu einer Silhouette, bis sich schließlich eine Gestalt gebildet hatte.

Sie hatte die Gestalt eines weiblichen Wesens, das Gesicht jedoch war von geradezu dämonischer Hässlichkeit; es war die Physiognomie eines Gargoyles mit grotesk-tierischen Zügen.

Der Dämon hatte den Blick der gallertartigen, gelblichen und rotgeäderten Augen starr auf den Sarg gerichtet; das Wesen vermittelte den Anschein, absolut konzentriert zu sein. Und plötzlich dematerialisierte es, in der Luft entstand wieder das silbrige Flirren, das plötzlich durch den geschlossenen Deckel in dem Sarg verschwand, als wäre es von diesem aufgesaugt worden.

Kurze Zeit geschah nichts.

Doch dann hob sich der Sargdeckel, wurde zur Seite geschoben, polterte auf den Boden und der Leichnam der Stefanie Brandl richtete mit einem Ruck den Oberkörper auf. Noch hielt sie die Augen geschlossen. Ein knurrender Laut kämpfte sich in ihrer Brust hoch, stieg ihr in die Kehle und brach schließlich über ihre dünnen, gräulich verfärbten Lippen. Und dann zuckten ihre Lider in die Höhe. Es waren die Augen des Dämons, mit denen sie sich umschaute. Schließlich stieg sie aus dem Sarg – etwas ungelenk und unbeholfen - und ging dann zielstrebig zur Tür, die ins Freie führte und die sich jetzt wie von Geisterhand gesteuert öffnete. Die Untote trat ins Freie, hinter ihr schloss sich die Tür lautlos.

Die zu einem dämonischen, unseligem Leben erweckte junge Frau verließ den Friedhof, ging an der Kirche vorbei und trat auf den schmalen Fußweg, der mit einem hölzernen Geländer versehen war, der etwa hundertfünfzig Meter nach unten führte und auf der Sohle des Tales endete, durch das der kleine Fluss floss.

Der Blick der Untoten war starr noch vorne gerichtet, sie bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit, und schließlich erreichte sie das Haus ihrer Eltern, hielt an und der Blick ihrer leblosen Augen heftete sich darauf.

Im Dorf schliefen die Menschen. Lediglich das leise Raunen des Nachtwindes war zu hören. Der Himmel war bewölkt, nur hier und dort war die Wolkendecke ein wenig aufgerissen und man konnte einige Sterne funkeln sehen. Der Mond war nur ein gelber, verschwommener Fleck hinter den Wolken. Es war eine finstere Nacht, in der das Unheil zum Leben erweckt worden war – zu dämonischem Leben.

Minutenlang starrte der Dämon in der Gestalt der Stefanie Brandl auf das kleine Haus, in dem die junge Frau aufgewachsen und in dem sie gestorben war, dann drehte er sich langsam auf der Stelle um hundertachtzig Grad und starrte auf ein Fenster im oberen Geschoss des Gasthauses. Der Blick war stechend, geradezu hypnotisch, und es dauerte nicht einmal fünfzehn Sekunden, dann erschien hinter der Fensterscheibe ein Schemen.

Es war der Gastwirt Hans Zimmerer. Etwas hatte ihn geweckt, wie unter einem inneren Zwang hatte er sich erhoben und war zum Fenster gegangen. Und er sah die Gestalt auf der anderen Seite der Straße, die zu ihm heraufblickte und die ihn sich – was er verstandesmäßig nicht erfassen konnte –, ihrem Willen unterwarf.

Diesem Zwang folgend verließ er das Schlafzimmer und gleich darauf auch das Haus. Kühler Nachtwind streifte sein Gesicht, als er ins Freie trat. Die Gestalt, die er vom Fenster aus auf der anderen Straßenseite gesehen hatte, hatte ihren Platz nicht verlassen. Obwohl es finster war und sie der Gastwirt nur schemenhaft vor dem Hintergrund der Nacht ausmachen konnte, kam es flüsternd über seine Lippen: „Stefanie, großer Gott, wie kann das sein?“

Nun setzte sich der Dämon in Bewegung und ging langsam auf Hans Zimmerer zu. Der Schemen nahm Formen an und der Gastwirt sah tatsächlich den völlig abgemagerten Leib der Stefanie Brandl, der man ein schwarzes Kleid angezogen hatte und in deren Gesicht zwei Augen glitzerten wie poliertes Porzellan.

Seltsamerweise verspürte Hans Zimmerer keine Angst, da war nur Fassungslosigkeit. Als die Erscheinung zwei Schritte vor ihm anhielt, entrang es sich ihm heiser und geradezu erschüttert: „Bist du denn nicht tot, Stefanie? Wie kommst du hierher? Ich habe dich doch im Leichenschauhaus im Sarg liegen sehen, ehe sie ihn geschlossen haben.“

„Du hättest mir helfen müssen“, kam es flüsternd von der Untoten. „Aber du hast geschwiegen, du hast nicht geholfen. Deshalb hast du dich schuldig gemacht.“

„Aber, was hätte ich denn tun sollen? Du selbst wolltest es doch so.“

„Ich brauchte Hilfe, du aber hast sie mir verweigert. Und darum musst du büßen.“

Nach einem zitternden Atemzug murmelte Zimmerer: „Ich bitte dich, Stefanie, es war ...“

Der Dämon ließ Hans Zimmerer nicht mehr zu Ende sprechen.

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Gegen 8 Uhr 30 kamen Hauptkommissar Rumpler und sein Kollege Lindner am Schauplatz des Geschehens an. Vor Ort waren bereits einige uniformierte Polizisten, der Polizeiarzt, ein Vertreter der Staatsanwaltschaft sowie ein Bestatter und sein Gehilfe. Der Leichnam war bereits in einen Sarg gelegt und in den Leichenwagen verladen worden.

Der Polizeiarzt wandte sich an Hauptkommissar Rumpler, begrüßte ihn per Handschlag und sagte: „Der Tod dürfte zwischen 2 und 3 Uhr eingetreten sein. Wer immer den Mann auch getötet hat, er hat sich einer bestialischen Vorgehensweise bedient. Gesicht und Leib sind regelrecht zerfetzt worden.“

„Den Blutspuren nach zu urteilen muss die Tat hier vor der Haustür stattgefunden haben“, konstatierte Oberkommissar Lindner.

Einer der uniformierten Polizisten, der sich ihnen hinzugesellt hatte, nickte und erwiderte: „Das ist auch unsere Auffassung. Jemand muss Zimmerer aus dem Haus gelockt haben. Wir haben mit seiner Gattin gesprochen. Irgendwann in der Nacht – eine Uhrzeit kann sie nicht nennen –, hörte sie, wie er das Schlafzimmer verließ. Sie war der Meinung, dass er auf die Toilette ginge und kümmerte sich nicht weiter darum. Sie ist wieder eingeschlafen und behauptet, nichts gehört zu haben.“

„Wer hat den Leichnam vor der Haustüre gefunden?“, fragte Hauptkommissar Rumpler und schaute wie zufällig zu der Meute der Neugierigen hin, die sich in einiger Entfernung zusammengerottet hatte und aus der sich ein Wirrwarr von leisem Gemurmel und Geflüster erhob.

Und er erkannte in der Menge das Ehepaar Brandl.

„Die Zeitungsausträgerin“, hörte der Hauptkommissar den Polizisten sagen. „Es war um kurz nach sechs. Die Frau hat einen Schock erlitten und musste ins Krankenhaus gebracht werden.“

Rumpler wandte sich dem Polizeiarzt zu. „Sie sagen, dass sein Gesicht und sein Leib regelrecht zerfetzt worden sind. Handelt es sich vielleicht um Bisswunden? Ist möglicherweise ein Hund über ihn hergefallen?“

„Könnte sein, Gewissheit werden wir aber erst durch die Obduktion erhalten. Die Frage ist, was Zimmerer zwischen 2 Uhr und 3 Uhr auf die Straße getrieben hat. Vielleicht hat man ihn auch nur so fürchterlich zugerichtet, um eine falsche Spur zu legen.“

„Ist bekannt, ob aus dem Haus irgendetwas entwendet wurde?“

Der Polizist fühlte sich angesprochen und erwiderte: „Nein, wie es scheint, hat der Mörder das Haus gar nicht betreten. Dort –“ der Polizist wies mit der linken Hand zur Fahrbahn hin, „– hat der Mörder blutige Fußabdrücke hinterlassen. Es sind meiner Meinung nach menschliche Fußabdrücke, und derjenige, der sie hinterlassen hat, scheint keine Schuhe angehabt zu haben.“

Etwas verdutzt fixierte der Hauptkommissar den Polizisten. Auch Oberkommissar Lindner und der Polizeiarzt schauten nicht gerade geistreich drein. „Er scheint keine Schuhe angehabt zu haben?“, echote Rumpler und fuhr sich dabei mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn. „Wer läuft um diese Jahreszeit nachts barfuß durch die Gegend? Wenn das einer macht, kann er nicht ganz richtig sein im Kopf; und wenn er darüber hinaus Menschen in geradezu viehischer Weise zerfleischt, dann ist das ein verdammt gefährlicher Irrer.“

Der Hauptkommissar entfernte sich ein Stück in die Richtung, in die der Polizist gewiesen hatte, und sah tatsächlich auf dem schmutzigen Asphalt den Abdruck eines nackten Fußes aus getrocknetem Blut. Oberkommissar Lindner war neben ihn getreten, und auch er registrierte den Fußabdruck. „Wir werden eine DNA-Analyse erstellen lassen“, murmelte er und fügte sogleich hinzu: „Das ist doch außergewöhnlich – ausgesprochen außergewöhnlich, findest du nicht?“

Der Hauptkommissar nickte und erwiderte: „Das kannst du laut sagen. Mir geben diese Fußspuren Rätsel auf. Ist dir eigentlich auch aufgefallen, dass es sich um ziemlich kleine Füße gehandelt haben muss, die hier ihre Abdrücke hinterlassen haben. Mutet fast an wie die Füße eines Kindes.“

„Stimmt, und das macht es noch rätselhafter. Ich denke, dass es sich bei diesem Blut um das des Gastwirts handelt. Wer immer auch diesen Abdruck hinterlassen hat, er muss in einer der Blutpfützen vor der Haustür gestanden haben. Allerdings muss das nicht zwangsläufig der Mörder gewesen sein.“

„Wohin mögen diese Spuren führen?“, fragte der Hauptkommissar versonnen.

„Sie enden nach etwa fünf Metern“, antwortete der Polizist, der hinzugetreten war, ging ein paar Schritte weiter und deutete auf den Boden. „Hier hat sich derjenige, der hier gegangen ist, das Blut von der Haut an seinen Füßen abgelaufen gehabt. Die Spur lässt sich nicht weiter verfolgen.“

„Wieso ist eigentlich die Spurensicherung noch nicht hier?“, knurrte Oberkommissar Lindner.

Details

Seiten
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783738902570
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (August)
Schlagworte
rache dämons dorf-krimi

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Titel: Die Rache des Dämons: Ein Dorf-Krimi