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Die Erben des Bösen

von Peter Haberl (Autor:in) Pete Hackett (Autor:in)
©2016 120 Seiten

Zusammenfassung

Die Erben des Bösen
von Peter Haberl

Der Umfang dieses Buchs entspricht 120 Taschenbuchseiten.

Drei Honoratioren einer Marktgemeinde in den Bayrischen Alpen kommen unter mysteriösen Umständen ums Leben. Um Licht ins Dunkel zu bringen, werden die beiden Rosenheimer Kommissare Johanna Rubenbauer und Bernd Ziegler nach Oberaudorf geschickt, um zu ermitteln. Seltsame Gerüchte kursieren im Dorf. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Tod der drei Männer und einem Vorfall, der sich vor fünfzehn Jahren ereignete? Wenn ja, dann haben die beiden Kommissare es nicht nur mit Mördern zu tun, sondern mit dem wahrhaftigen Bösen...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Die Erben des Bösen

von Peter Haberl

Der Umfang dieses Buchs entspricht 120 Taschenbuchseiten.

Drei Honoratioren einer Marktgemeinde in den Bayrischen Alpen kommen unter mysteriösen Umständen ums Leben. Um Licht ins Dunkel zu bringen, werden die beiden Rosenheimer Kommissare Johanna Rubenbauer und Bernd Ziegler nach  Oberaudorf geschickt, um zu ermitteln. Seltsame Gerüchte kursieren im Dorf. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Tod der drei Männer und einem Vorfall, der sich vor fünfzehn Jahren ereignete? Wenn ja, dann haben die beiden Kommissare es nicht nur mit Mördern zu tun, sondern mit dem wahrhaftigen Bösen...

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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postmaster@alfredbekker.de

1

In einer Marktgemeinde in den Bayrischen Alpen, nahe der Grenze zu Österreich, war innerhalb eines halben Jahres der dritte Einheimische unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen.

Bei dem ersten Toten handelte es sich um einen Lehrer, der an der örtlichen Schule unterrichtet hatte. Er war aus unerklärlichen Gründen auf gerader Strecke mit seinem Wagen von der Fahrbahn abgekommen, gegen eine dicke Eiche geprallt und auf der Stelle tot. Die Feststellungen hatten ergeben, dass auf der Landstraße dort, wo sich der Unfall zugetragen hatte, eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h bestand. Ein Sachverständiger aber kam zu dem Schluss, dass der Lehrer wohl an die 150 Sachen gefahren war. Der Mann, sein Name war Michael Hubertaler, war jedoch als sehr besonnen und auf keinen Fall als Raser bekannt gewesen, sein Fahrstil wurde von allen, die ihn kannten, als moderat, teilweise sogar als übervorsichtig beschrieben.

Der Unfall geschah kurz vor Weihnachten, aber die Straße war trocken, und am Auto wurde auch kein technischer Defekt festgestellt.

Im März starb Konrad Filser, der Pfarrer des Ortes. Ein Vierzehnjähriger hatte ihn beschuldigt, von dem Geistlichen missbraucht worden zu sein, worauf der sich im Glockenstuhl der Kirche erhängte. Die polizeilichen Ermittlungen wegen des sexuellen Missbrauchs waren eingestellt worden, doch in einem Abschiedsbrief hatte der Priester sämtliche Vorwürfe von sich gewiesen, allerdings seltsame Andeutungen über Schuld und Sühne gemacht.

Bei dem dritten Toten handelte es sich um einen Bürger der Gemeinde, sein Name war Gerhard Meiler, er wurde zweiundvierzig Jahre alt, und - er stürzte sich in dem nahen Steinbruch zu Tode, ohne einen Abschiedsbrief hinterlassen zu haben, ohne jede Vorwarnung, ohne irgendwelche Anzeichen von Depression; seine Ehe war intakt gewesen, er war im Gemeinderat tätig, hatte nicht die geringsten finanziellen Probleme und war auch organisch kerngesund. Sein Selbstmord geschah im Mai.

Die drei Toten waren den Honoratioren des Ortes, dessen Einwohnerzahl unter 5000 lag, zuzurechnen. Und weil ihr Ableben unter ausgesprochen mysteriösen Umständen erfolgte und die Hintergründe im Dunkeln lagen, wurden zwei Kriminalpolizisten aus Rosenheim nach Oberaudorf geschickt, mit dem Auftrag, Licht in dieses Dunkel zu bringen. Es handelte sich um Hauptkommissarin Johanna Rubenbauer und Kommissar Bernd Ziegler. Die Hauptkommissarin war neununddreißig Jahre alt, geschieden, hundertprozentig emanzipiert, aber ausgesprochen attraktiv und sehr gepflegt. Ihr Kollege Ziegler war neunundzwanzig, stand kurz vor der Beförderung zum Oberkommissar und war - trotz der zehn Jahre Altersunterschied - heimlich in Johanna Rubenbauer verliebt.

Es war Montagvormittag, als Bernd Ziegler den grünen Golf - es handelte sich um einen Dienstwagen -, vor der Schmiede - einem der Gasthöfe des Ortes, der Zimmer vermietete -, abbremste. Die Hauptkommissarin stieg aus und schaute sich um. Ihrem Blick bot sich ein malerischer Ort; die Häuser besaßen kunstvoll gearbeitete Balkone unter ausladenden Dachvorsprüngen, die Fenster waren mit schweren Läden versehen, die Giebel oftmals mit Holz verkleidet. In der Dorfmitte erhob sich der spitze Kirchturm.

Hier lebte man in der Hauptsache vom Tourismus. Eingebettet zwischen hohen Bergen und umgeben von grünen, saftigen Wiesen war Oberaudorf ein ideales Ziel für gestresste Städter, um Abstand zu gewinnen und für ein, zwei oder vielleicht sogar drei Wochen die Seele baumeln zu lassen.

Um sich zu entspannen waren die beiden Kriminalbeamten jedoch nicht nach Oberaudorf gekommen. Sie hatten allerdings auch nicht den Hauch einer Ahnung, was auf sie zukommen würde. Hätten sie es auch nur ansatzweise ahnen können, wäre ihre Stimmung sicher sehr schnell auf den Nullpunkt gerutscht.

Auch Kommissar Ziegler war ausgestiegen, und auch er schwenkte den Blick nach allen Richtungen. „Schöner Ort“, gab er zu verstehen. „Ich denke, hier konnte man es für einige Zeit aushalten. Auch ohne Arbeit.“ Er grinste schief, denn er wusste, dass die Arbeit eines der wichtigsten Lebenselexiere der Hauptkommissarin war und dass sie auf diesem Gebiet wenig Spaß verstand.

Jetzt aber verblüffte sie ihn, als sie antwortete: „Ja, das ist ein zauberhafter Ort. Vielleicht verbringe ich hier meinen nächsten Urlaub. Hier ist alles geboten, was das Herz begehrt. Ich behalte es jedenfalls im Auge.“

Bernd Ziegler spitzte die Lippen, unterließ es aber, anerkennend zu pfeifen, sondern sagte: „Ich bin mehr für’s Meer. Aber jedem das seine. Gehen wir hinein, und bringen wir unser Zeug auf die Zimmer. Und dann sehen wir weiter.“

Sie nahmen ihre Reisetasche und ein Handgepäck aus dem Kofferraum des Golf und betraten wenig später ‚Die Schmiede’. Die Rezeption befand sich gleich hinter der Haustür, daneben schwang sich eine Holztreppe in die obere Etage, links führte eine Tür ins Gastzimmer, einige weitere Türen zweigten ab in die Küche, die Bar, die Toiletten und zwei weitere Räume, auf denen ein kleines Schild mit der Aufschrift ‚Privat’ angebracht war.

Die Rezeption war verwaist. Aber auf dem Tresen stand eine Glocke, auf die Ziegler mit der flachen Hand schlug. Und sogleich erschien eine junge, dunkelhaarige Frau, die mit einer enganliegenden Jeans sowie einer blauen Bluse bekleidet war und die Ziegler sofort faszinierte. Sie lächelte freundlich, ihre sinnlichen Lippen gaben zwei regelmäßige, weiße Zahnreihen frei, das Lächeln zauberte zwei Grübchen in ihre Wangen. „Sie sind die Herrschaften aus Rosenheim, nicht wahr, für die am Donnerstag zwei Zimmer gemietet wurden?“

„Richtig“, beeilte sich Ziegler, zu antworten, und grinste sie an. Er wies mit einer knappen Geste seiner linken Hand auf seine Kollegin. „Hauptkommissarin Rubenbauer - Johanna Rubenbauer. Mein Name ist Ziegler.“

Die Rezeptionistin nickte ihm freundlich zu, setzte sich an den Computer, einige Mausklicks und sie sagte: „Da haben wir Sie schon. Frau Rubenbauer, Sie haben Zimmer hundertzwölf, Sie, Herr Ziegler, Zimmer hundertvierzehn. Die Zimmer finden Sie im oberen Stockwerk und liegen nebeneinander.“

Sie gab den Beamten beiden die Zimmerschlüssel und es war ihr sichtlich peinlich, weil Bernd Ziegler sie ziemlich intensiv musterte, ihr Blick irrte ab und ihr Gesicht errötete leicht.

„Können wir?“, fragte die Hauptkommissarin etwas spöttisch und ihre Augen blitzten. „Wir haben in einer halben Stunde den Termin mit dem Bürgermeister.“

„Natürlich können wir“, versetzte Ziegler und nahm die Reisetasche auf, die er auf den Boden gestellt hatte.

Die Hauptkommissarin lächelte der jungen Frau zu, dann folgte sie ihrem Kollegen, der schon zur Treppe ging. Als sie oben vor den Zimmern anhielten, sagte Johanna Rubenbauer: „Sie entspricht deinem Beuteschema, nicht wahr? Vielleicht solltest du doch mal dran denken, Urlaub in den Bergen und nicht am Meer zu machen.“

„Die Kleine wäre sicherlich ein Argument“, grinste der Kommissar.

2

Sie saßen an dem runden Besuchertisch im Büro des Ersten Bürgermeisters. Das Oberhaupt der Gemeinde war ein aktiv wirkender Mann mittleren Alters, der das Gespräch - was auch im Sinne der beiden Kriminalbeamten war - sofort auf den Punkt brachte. Er sagte: „Als im Dezember unser Lehrer tödlich verunglückte, dachte sich noch niemand etwas. Jeder empfand es zwar als ausgesprochen tragisch und im Ort herrschte tiefe Betroffenheit, denn Hubertaler war beliebt bei den Leuten, aber Unfälle mit tödlichem Ausgang geschehen eben, und so begann man die Sache zu akzeptieren, ich meine, die Bürger begannen sich damit abzufinden.“

„Wie es eben so ist im Leben“, bemerkte Bernd Ziegler und zog sogleich den Kopf etwas zwischen die Schultern, weil er den strafenden Blick seiner Kollegin geradezu körperlich spürte, die damit zum Ausdruck brachte, dass diese Bemerkung ziemlich überflüssig gewesen war. Unmaßgebliche Aussagen entsprachen in ihrer Welt einer Mentalität, die sie vielleicht kleinen Kindern, Betrunkenen und Marktfrauen zubilligte, die aber in ihrem Job, in dem es um Fakten ging, nichts verloren hatten.

Aber der Ortsvorsteher nickte, und Ziegler sagte sich, dass sein Einwurf wohl doch nicht völlig an der Sache vorbeigegangen war.

„Gut“, sagte nun die Hauptkommissarin. „Ich vermute, dass ein Vierteljahr später kaum noch jemand von dem tragischen Unglücksfall sprach. Aber dann erhängte sich im März der Pfarrer ...“

Ein Schatten schien über das Gesicht des Bürgermeisters zu huschen. „Das war natürlich ein Schock für jeden im Ort. Konrad Filser war seit über zwanzig Jahren hier als Priester tätig, und wenn man einen Menschen als gottesfürchtig und tiefgläubig bezeichnen kann, dann ihn. Dass er auf derart schreckliche Art und Weise enden musste ...“

Der Bürgermeister schluckte würgend.

„Ein Junge soll behauptet haben, von dem Priester sexuell missbraucht worden zu sein“, sagte Johanna Rubenbauer. „Es hat auch polizeiliche Ermittlungen gegeben, die aber ergebnislos eingestellt wurden, nachdem der Beschuldigte tot war.“

„Andreas Brunhuber hat den Pfarrer beschuldigt. Er ist vierzehn und eines von den Kindern, die damals ...“ Der Ortsvorsteher brach ab, seine Rechte wischte wegwerfend durch die Luft, er stieß hervor: „Das ist eine andere Sache und hat mit den Todesfällen nichts zu tun. - Ich habe keine Ahnung, ob etwas dran war an dem Vorwurf, aber ich hab Filser gut, ich möchte sogar sagen sehr gut gekannt, und für mich ist es unvorstellbar, dass er sich zu einer solchen Tat hinreißen hätte lassen. Mit hat er einmal am Biertisch angedeutet, dass der Andreas ziemlich renitent wäre und dass er den Religionsunterricht immer wieder gestört habe. Ich hab schon dran gedacht, dass ihn der kleine Brunhuber vielleicht aus Rache beschuldigt hat. Filser hat es in seinem Abschiedsbrief jedenfalls angedeutet. Aber ich will dem Burschen nichts unterstellen.“

„Kann man den Freitod des Pfarrers nicht als Schuldeingeständnis werten?“, mischte sich wieder Kommissar Ziegler ein und schoss nach seiner Frage der Hauptkommissarin einen schnellen Blick zu, wohl um ihre Reaktion zu prüfen, doch die schaute den Bürgermeister erwartungsvoll an und Ziegler sagte sich, dass sie seine Frage akzeptierte.

„Man war und ist im Ort geteilter Meinung. Die einen sagen, der Andreas Brunhuber habe den Geistlichen in den Tod getrieben, die anderen sind der Auffassung, dass wohl was dran war an den Vorwürfen.“ Der Bürgermeister hob die Schultern, ließ sie wieder nach unten sacken und endete: „Ich weiß es nicht, und mit irgendwelchen Spekulationen will ich nicht aufwarten. Die Wahrheit wird wohl niemals ans Tageslicht kommen.“

„Wir werden uns den Jungen vorknöpfen“, versicherte Hauptkommissarin Rubenbauer. „Nach dem spektakulären Freitod Konrad Filsers war ungefähr zwei Monate lang Ruhe, doch dann wurde Gerhard Meiler tot im Steinbruch aufgefunden.“

„In seinem Fall schließen wir einen Freitod aus“, murmelte der Ortsvorsteher. „Es gibt aber auch keine Spuren, die auf ein Verbrechen hindeuten. Im Ort fangen die Menschen schon zu munkeln an, dass das alles nicht mehr mit rechten Dingen zugehe. Das ist natürlich Unsinn. Vielleicht ist Gerhard Meiler am oberen Rand des Steinbruchs spazieren gegangen und abgestürzt. Wir werden es wohl nie erfahren.“

„Nun, wir sind hier, um es herauszufinden“, erklärte die Hauptkommissarin.“ Jetzt wurde ihr Blick, der auf das Gesicht des Bürgermeister geheftet war, zwingend, und sie fragte: „Was wollten Sie vorhin zum Ausdruck bringen, als sie sagten: ‚Er ist ... eines von den Kindern, die damals ...’?“

Das Gemeindeoberhaupt zog die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute darauf herum. Er schien die Antwort auf diese Frage im Kopf zu formulieren, doch es schien ihm ziemlich schwerzufallen, denn er schwieg eine ganze Weile. Schließlich aber hub er zu sprechen an: „Das war so eine Sache, damals vor über fünfzehn Jahren. Wir hatten einen furchtbar harten Winter, und einmal hatte es so viel geschneit, dass unser Ort fast eine Woche lang von der Außenwelt abgeschnitten war. Die Telefonverbindungen und die Stromversorgung brachen zusammen, Räumfahrzeuge kamen nicht durch, Lawinen verschütteten die Zufahrtsstraßen ...“

Als der Bürgermeister eine Pause machte, stieß Johanna Rubenbauer hervor: „Nun, das kommt immer wieder mal vor. Bitte, erzählen Sie weiter.“

Der Ortsvorsteher warf ihr einen verunsicherten Blick zu, denn die kühle Sachlichkeit der Kriminalbeamtin irritierte ihn. „Im Ort herrschten katastrophale Zustände, das können Sie sich ja denken. Es wurde überhaupt nicht mehr richtig hell hier im Tal, und als behauptet wurde, dass das Teufelswerk sei und dass man in den Nächten Dämonen in den Häusern verschwinden sah, drohte sogar Panik auszubrechen. Der Pfarrer, ich und noch einige besonnene Männer und Frauen der Gemeinde hatten alle Hände voll zu tun, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Katastrophe auf natürlichen Ursachen beruhe und dass die dämonischen Besuche überstrapazierter Phantasie entsprungen waren.“

„Aber Sie konnten die Bürger beruhigen“, konstatierte Johanna Rubenbauer.

„Fürs Erste - ja.“

„Wie ist das zu verstehen?“ Die Stimme der Hauptkommissarin klang ungeduldig.

„Nach der Katastrophe stellte sich heraus, dass zwölf junge Frauen der Gemeinde schwanger waren. Und neun Monate nach dieser schrecklichen Woche kamen dreizehn Kinder zur Welt.“

„Dreizehn?“, entfuhr es Kommissar Ziegler.

„Ja, Gerlinde Prem bekam Zwillinge, einen Jungen und ein Mädchen. Keine der Frauen war verheiratet, und keine von ihnen konnte sagen, wer der Vater ihres Kindes ist. Sie bestritten vehement, in jener Woche, in der die Gemeinde von der Außenwelt abgeschnitten war, mit irgendeinem Mann geschlafen zu haben. - Sofort wurden wieder Stimmen laut, dass die Gemeinde von höllischen Mächten heimgesucht worden sei. Ganz besonders dazu beigetragen hat die Tatsache, dass sich die dreizehn Kinder ausgesprochen ähnlich sehen - sehr ähnlich, fast wie Geschwister. Die Stimmung in der Gemeinde drohte überzukochen und einige Bürger rotteten sich sogar zusammen, um ...“

Der Ortsvorsteher hielt inne. Einen Moment lang schien ihn die Erinnerung zu übermannen und er strich sich mit einer fahrigen Geste über die Augen, als wollte er irgendein Bild wegwischen, das ihm quälendes Unbehagen bereitete.

„Jetzt sagen Sie bloß“, kam es von der Hauptkommissarin. „Das war ja wie ein herber Rückfall in die Zeit der Hexenverfolgungen“, fügte sie sogleich hinzu.

„Ja, es war schlimm. Aber wieder konnten wir - Pfarrer Filser, ich und eine Handvoll beherzter Männer und Frauen - das Schlimmste verhindern. Im Ort bildeten sich zwei Parteien. Aber die Gemüter beruhigten sich nach und nach, als sich die Kinder ganz normal entwickelten. In der Zwischenzeit werden sie auch von den Bürgern akzeptiert, die damals beinahe Scheiterhaufen errichtet hätten. Doch jetzt beginnt man wieder hinter vorgehaltener Hand zu flüstern. In Oberaudorf brodelt es unter der Oberfläche wie in einem Vulkan. Und sollte ein weiterer Bürger unter mysteriösen Umständen ums Leben kommen, gibt es möglicherweise eine Eruption. Ich will damit sagen, dass womöglich die Leute, die hinter allem Teufelswerk vermuten, für eine Panik sorgen - und dann gibt es hier möglicherweise Mord und Totschlag.“

„Hat in der Zwischenzeit ein neuer Pfarrer die Nachfolge Konrad Filsers angetreten?“, erkundigte sich die Hauptkommissarin.

„Nein. Möglicherweise wird die Stelle gar nicht mehr besetzt. Es ist noch nicht entschieden. Ich wollte, es käme ein Geistlicher, der mir hilft, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die hinter den Vorgängen hier einen höllischen Initiator vermuten.“

„Sie glauben aber nicht an Derartiges?“, kam es fragend von Ziegler.

Der Bürgermeister schürzte die Lippen und stieß hervor: „Ich glaub nur an das, was ich sehen, hören und fühlen kann. An den Teufel glaube ich ebenso wenig wie an ...“

Er brach fast erschreckt ab, so, als hätte er schon viel zu viel von sich preisgegeben.

„Sagen Sie’s nicht dem Pfarrer, falls man wieder einen in Ihrer Gemeinde einsetzt“, gab Johanna Rubenbauer zu verstehen. „Sonst verweigert er Ihnen vielleicht die Zusammenarbeit. - Gut. Ich sehe es schon, es stellen sich zig Fragen, und auf keine einzige gibt es augenblicklich eine Antwort. Ich brauche die Anschrift von Andreas Brunhuber, und dann hätte ich auch gerne mal mit Gerlinde Prem gesprochen, die neun Monate nach dem schlimmen Winter von Zwillingen entbunden wurde.“

Der Bürgermeister sagte seiner Sekretärin Bescheid...

3

„Glaubst du an Dämonen?“, fragte Bernd Ziegler, als sie sich zu Fuß auf den Weg zu Andreas Brunhuber machten. Ziegler überragte seine Kollegin um einen halben Kopf, er war schlank, wirkte aber drahtig und durchtrainiert, er besaß ein männlich-markantes Gesicht, seine Augen waren blau und bildeten einen starken Kontrast zu seinen dunkel-brünetten Haaren, die etwas struppig und widerborstig vom Kopf abstanden.

Die Hauptkommissarin hingegen war blond, ihre Haare waren sportlich kurz geschnitten, was ihrem schmalen, ebenmäßigen Gesicht einen besonderen Reiz verlieh. Auch ihr Gesicht wurde von einem blauen Augenpaar beherrscht. Eine schöne Frau, eins siebzig groß, schlank und dennoch weiblich proportioniert.

„Glaubst du an den Weihnachtsmann?“, kam ihre etwas schnippische Gegenfrage.

„Damit ist meine Frage beantwortet“, brummte Ziegler. „Wie konnte ich nur fragen?“

„Nimm’s nicht tragisch. Es gibt Menschen, selbst jetzt noch im 21. Jahrhundert, die an Dämonen, Nachtgeister und Hexen glauben. Der Aberglaube ist in manchen Gegenden tiefer verwurzelt als man glauben möchte. Warum nicht auch hier, in diesem beschaulichen Ort, in dem die Welt ansonsten in Ordnung zu sein scheint. Die Menschen sind zumeist gottesfürchtig, der Umkehrschluss allerdings ist, dass sie auch an den Satan und seine Helfershelfer glauben. Und nach der Schneekatastrophe von damals, den vielen Schwangerschaften danach - Väter scheint es zu den Kindern nicht zu geben -, erblüht schnell die Phantasie, und es entstehen solche Schauergeschichten.“

„Es gibt ganze Bücher von diesen Sagen und Legenden.“

„Wir sind da“, so wechselte die Hauptkommissarin das Thema und wies auf ein Haus im alpenländischen Stil, etwas heruntergewirtschaftet, im Großen und Ganzen aber in ordentlichem Zustand, auch der Garten davor war gepflegt und der Zaun sah wie neu aus. Wahrscheinlich war er erst vor kurzem gestrichen worden.

Johanna Rubenbauer legte ihren Daumen auf den Klingelknopf an der Hoftür, und es dauerte keine fünf Sekunden, dann zeigte sich eine etwa fünfunddreißigjährige Frau mit dunklen, halblangen Haaren in der Haustür. Sie war nicht gerade hübsch, man konnte sie eher als unscheinbar, vielleicht sogar als ausgesprochen unattraktiv bezeichnen. „Was wünschen Sie?“, fragte sie laut genug, sodass sie die beiden Kriminalbeamten über die paar Meter Distanz verstehen konnten.

„Ich bin Hauptkommissarin Rubenbauer von der Kripo Rosenheim“, stellte sich die Polizistin vor. „Das ist mein Kollege Kommissar Ziegler. Wir möchten mit Andreas Brunhuber sprechen. Ist er zu Hause?“

„Andreas ist mein Sohn. Ja, er ist da.“ Langsam schritt die junge Frau zum Gartenzaun. „Ich vermute, es ist wegen der unleidigen Angelegenheit mit dem Pfarrer.“

„Sie liegen richtig mit Ihrer Vermutung. Die Sache wird noch einmal aufgerollt, Kommissar Ziegler und ich wurden mit der Durchführung der Ermittlungen beauftragt. Ist Ihr Sohn zu sprechen?“

„Aber - Pfarrer Filser ist doch tot. Er hat Selbstmord begangen und sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen, wohl wissend, dass es keine göttliche Gerechtigkeit gibt, von der er ständig gesprochen hat.“

Die linke Braue der Hauptkommissarin hob sich etwas. „Glauben Sie denn nicht an Gott?“

Die Mundwinkel der Frau sanken geringschätzig nach unten. „Den Glauben habe ich vor vielen Jahren verloren. Aber kommen Sie doch herein, Andreas ist zu Hause. Mir liegt sehr viel daran, dass die Wahrheit ans Licht kommt, denn im Ort denken viele, dass mein Junge dem Pfarrer eins auswischen wollte. Viele sehen uns deswegen schief an; sie beschuldigen Andreas, Filser in den Tod getrieben zu haben.“

„Mir hat man gesagt, dass es auch Stimmen gibt, die in seinem Selbstmord ein Schuldanerkenntnis sehen“, wandte die Hauptkommissarin ein.

Sandra Brunhuber öffnete die Gartentür. „Bitte ...“

Die Frau führte die beiden Kriminalbeamten ins Wohnzimmer, das mit dunklen, rustikalen Möbeln eingerichtet war. „Es ist die Wohnung meiner Eltern“, sagte Sandra Brunhuber und es klang fast wie eine Entschuldigung wegen der altmodischen Möblierung. „Andreas und ich wohnen oben. - Nehmen Sie Platz, ich hole meinen Sohn.“

Johanna Rubenbauer bedankte sich, ließ sich auf einen Sessel nieder und auch Bernd Ziegler nahm Platz. Sandra Brunhuber hatte das Wohnzimmer verlassen. Im Haus war es still, abgesehen vom monotonen Ticken eines schweren Regulators an der Wand, dessen Messingpendel gleichmäßig hin und her schwang. An den beiden Fenstern tanzten einige Stubenfliegen auf und ab.

Johanna Rubenbauer hatte das Gefühl, dass hier vor siebzig, achtzig oder noch mehr Jahren die Zeit angehalten hatte. Sie kannte diese Atmosphäre nur aus uralten Heimatfilmen und war irgendwie seltsam berührt.

Der Bursche, der gleich darauf das Wohnzimmer betrat, war ziemlich groß für sein Alter, und er sah frühreif aus. Die Beamten wussten, dass er vierzehn war, man hätte ihn aber ohne Weiteres auf achtzehn oder neunzehn Jahre schätzen können.

Er war schwarzhaarig, seine Augen waren braun - dunkelbraun, sein Gesicht war im Gegensatz dazu von ziemlich bleicher Farbe, als hätte es schon seit langer Zeit keinen Sonnenstrahl mehr abbekommen. Dabei schien die Sonne in diesem Frühling oft und intensiv.

Hinter ihm betrat seine Mutter den Raum. Jetzt blieb der Junge stehen, auch Sandra Brunhuber hielt an, legte ihm von hinten beide Hände auf die Schultern und sagte: „Das sind die Herrschaften von der Kripo Rosenheim. Sie sind hier, um die Sache mit Filser endgültig aufzuklären.“

Den Blick, den Andreas erst der Hauptkommissarin und dann deren Kollegen zuschoss, konnte man als unergründlich bezeichnen. Seltsam berührt registrierte Johanna Rubenbauer, dass in seinen Augen nicht die Spur von Wärme zu erkennen war.

Andreas sagte: „Warum? Der Dreckskerl ist tot. Er hat bekommen, was er verdient hat.“

Derlei harte Worte aus dem Mund eines Vierzehnjährigen fanden sowohl die Hauptkommissarin als auch Bernd Ziegler befremdlich. Im Gesicht des Burschen war nicht die geringste Gemütsregung zu bemerken. Aber in der Tiefe seiner Augen war jetzt ein Flackern und Glimmen, das Johanna Rubenbauer nur als die Reflexion eines grenzenlosen Hasses einstufen konnte. Sie verspürte unwillkürlich ein würgendes Gefühl im Hals und schluckte krampfhaft. Als sie nun das Wort ergriff, klang ihre Stimme belegt, fast heiser. Sie sagte: „Mein Name ist Rubenbauer. Ich weiß nicht, ob ich dich duzen darf. Aber das ist nur zweitrangig. Es geht tatsächlich um die Klärung der Angelegenheit Konrad Filser.“

„Was wollen Sie in Wirklichkeit klären?“, stieß Andreas hervor. „Ob meine Beschuldigungen den Tatsachen entsprechen, oder die Umstände seines Todes?“

Die Brauen der Hauptkommissarin schoben sich leicht zusammen. „Ich denke, er hat Selbstmord begangen.“ Während sie sprach, ließ sie den Burschen nicht aus den Augen, denn sie wollte nicht die geringste Reaktion in seinem Gesicht verpassen. Andreas Brunhuber war ihr ausgesprochen suspekt. Der Grund für ihre Aversion entzog sich Johanna Rubenbauers Verstand, aber tief in ihrem Innern spürte sie, dass mit diesem jungen Mann etwas nicht stimmte. „Mir liegt ein Protokoll der Polizei von Niederaudorf vor, danach wird Fremdeinwirkung ausgeschlossen.“

Jetzt setzte sich Andreas in Bewegung, die Hände seiner Mutter rutschten von seinen Schultern, der ging zur Couch und setzte sich. „Es gibt Stimmen in der Gemeinde, die behaupten, dass ich ihn in den Tod getrieben habe.“

Jetzt mischte sich Bernd Ziegler ein, indem er knurrte: „Sicher, auch wir gehen davon aus, dass deine Behauptungen ursächlich für seinen Suizid waren. Er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen.“

„Er wollte mit mir Sex und er hat mich angefasst“, entfuhr es Andreas. „Und er hat seine gerechte Strafe erhalten. Mehr gibt es für mich nicht zu sagen. Die Tatsache, dass er sich umgebracht hat, ist der Beweis für seine Schuld. Seine Seele gehört der Hölle.“

Die letzten Worte brachen geradezu triumphierend über seine Lippen, und jeder Zug in dem Jungengesicht war von einer tiefen Genugtuung geprägt.

„Der Priester hat sich vor einiger Zeit beim Bürgermeister über dich beschwert“, ergriff nun wieder die Hauptkommissarin das Wort. „Er erzählte dem Ortsvorsteher, dass du ständig den Religionsunterricht gestört hast und alles in allem ziemlich renitent gewesen seist.“

„Er hat Unsinn erzählt“, rechtfertigte sich Andreas. Sein Gesicht war wieder ausdruckslos, in den Augen war nicht die Spur einer Gemütsregung wahrzunehmen. „Der Religionsunterricht war die reinste Märchenstunde. Ich habe ihm das einige Male auch gesagt, und er nahm - es mir nicht krumm, er bestätigte sogar, dass ich recht habe, und als wir einmal alleine waren, bezichtigte er Maria sogar der Hurerei und Jesus nannte er den Bankert eines römischen Legionärs.“

„Er wollte vor Andreas cool rüberkommen“, brachte sich Sandra Brunhuber in das Gespräch ein. „Und damit verfolgte er nur ein Ziel: Er wollte meinen Jungen beeindrucken und ihn sich gefügig machen. Filser war ein pädophiler Lustmolch, der sich hinter seiner Soutane versteckte, der sonntags auf der Kanzel die Hände faltete und die Augen himmelwärts richtete, heuchlerisch, schönheilig und skrupellos. Wer weiß, an wie vielen Kindern er sich vergangen hat. Andreas fand als erster den Mut, den Mund aufzumachen. Der Dank dafür ist, dass ihn jetzt der halbe Ort anfeindet und uns das Leben hier geradezu unerträglich macht.“

Johanna Rubenbauer hatte sich ein Bild gemacht. Ihr war klar, dass Andreas Brunhuber bei seiner Version der Vorfälle bleiben würde und beschloss, ihn bei der Suche nach der Wahrheit künftig außen vor zu lassen. „Das wäre es fürs Erste gewesen“, erklärte sie und erhob sich. „Oder hast du noch Fragen, Bernd?“

Ziegler schüttelte den Kopf und drückte sich ebenfalls hoch. „Im Moment nicht.“

Wie zufällig streifte sein Blick Andreas Brunhuber, und er war sich sicher, dass das Glitzern in dessen dunklen Augen der Ausdruck eines boshaften Hohns war und eines grenzenloses Triumphes. Er verspürte plötzlich Gänsehaut und ein jähes, beklemmendes Gefühl schien seine Brust einzuengen.

4

„Mit diesem Burschen stimmt etwas nicht“, gab der Kommissar zu verstehen, nachdem sie den Grund und Boden der Familie Brunhuber verlassen und einige Male tief durchgeatmet hatten. Unwillkürlich drehte Ziegler den Kopf und schaute über die Schulter nach hinten, und er sah am Fenster das bleiche Gesicht mit den dunklen Augen und den schwarzen Haaren darüber. Sofort verspürte er wieder Unbehaglichkeit.

„In der Tat“, stimmte die Hauptkommissarin zu, „ein seltsamer Junge. Ich habe die Vernehmungsprotokolle der Polizei von Niederaudorf durchgelesen. Die Aussage, dass Pfarrer Filser gegen Maria und Jesus gelästert haben soll, ist in keiner einzigen der Niederschriften erschienen.“

„Andreas wird sie sich aus den Fingern gesaugt haben. Er kann jetzt erzählen, was er will - Filser kann sich nicht mehr wehren. - He, sieh mal dort ...“

Ziegler wies mit dem Kinn schräg über die Straße, Johanna Rubenbauer folgte mit dem Blick dieser Geste und - staute einen Moment lang den Atem. Im Schatten einer Garage stand ein junger Mann und starrte zu ihnen herüber - und er hätte ein Bruder von Andreas Brunhuber sein können. Er lehnte mit der Schulter an der Garagenwand und hielt die Arme vor der Brust verschränkt.

Die Ähnlichkeit mit Andreas Brunhuber war in der Tat frappierend.

Unwillkürlich blieb die Hauptkommissarin stehen und fixierte wie gebannt den Burschen, der ihren Blick sekundenlang erwiderte, plötzlich aber die Arme aus der Verschränkung nahm, sich ruckartig abwandte und hinter der Garage verschwand.

Ziegler räusperte sich, dann stieß er hervor: „Das war sicher auch eines von den Kindern, die vor über fünfzehn Jahren gezeugt wurden, als der Ort von der Außenwelt abgeschnitten war. Wenn man dem Bürgermeister glauben darf, dann sehen auch alle anderen dieser Kinder so ähnlich aus. Wenn es so ist, könnte man fast annehmen, dass in dieser Woche damals ein und derselbe Kerl am Werk gewesen ist.“

„Kaum vorstellbar“, versetzte die Hauptkommissarin nachdenklich. „Der müsste in dieser Woche ja zwölf Mal zugeschlagen haben. Don Juan wäre gegen ihn ja ein Waisenknabe gewesen. - Komm. Der Bursche scheint da zu wohnen. Sehen wir uns das Haus etwas näher an.“

Sie überquerten die Straße und erreichten nach etwa fünfzehn Metern die Hoftür des Grundstücks, auf dem die Garage errichtet war, bei der der Junge gestanden hatte. Hinter der Garage erhob sich das Wohnhaus; ein wuchtiger Balkon, so breit wie die Giebelseite des Hauses, war mit Blumenkästen bestückt, die mit Geranien bepflanzt waren, die sich allerdings erst in der Anfangsphase ihrer Entwicklung befanden. An den Latten der Gartentür war ein Tonschild befestigt, in das eingraviert war: ‚Familie Prem’.

Die Hauptkommissarin kramte kurz in ihrer Erinnerung, dann sagte sie: „Sprach der Bürgermeister nicht von einer Gerlinde Prem, die damals auch geschwängert wurde und die später Zwillinge gebar?“

„Ja, einen Jungen und ein Mädchen. Das eben war wohl der Junge.“

Johanna Rubenbauer nickte. „Irgendwie kommt mir das alles recht seltsam vor. Irgendetwas stimmt in diesem Ort nicht. Läuten wir doch einfach mal und sprechen wir mit den Leuten.“

Die Hauptkommissarin wollte schon den Daumen auf den Klingelknopf drücken, als der Bursche wieder erschien. Er musste hinter der Garage gestanden haben. „Was wollen Sie denn?“, fragte er, blieb aber am Ende der Garage stehen und taxierte abwechselnd die beiden Kriminalbeamten.

„Ist deine Mutter zu sprechen, Junge?“, fragte Johanna Rubenbauer.

„Was wollen Sie denn von ihr?“

„Oh, entschuldige, ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen. Mein Name ist Rubenbauer, ich bin Kriminalbeamtin bei der Polizeiinspektion in Rosenheim. Das ist Kommissar Ziegler.“

„Ich habe Sie aus dem Haus der Brunhubers kommen sehen“, versetzte der Bursche und überkreuzte wieder die Arme vor der Brust. „Sie ermitteln wieder in der Sache Filser, nicht wahr?“

„Was weißt du denn über die Angelegenheit?“, hakte die Hauptkommissarin sofort nach. „Können wir miteinander reden?“

Der Bursche verzog den Mund und blaffte: „Der Filser war ein heuchlerischer Drecksack. Jetzt ist er dort, wo er hingehört. Er ist dem Andreas an die Wäsche gegangen, und als er nicht mehr ein noch aus wusste, hat er sich aufgehängt.“

„Hast du auch den Religionsunterricht bei ihm besucht?“

„Ja.“

Einer jähen Eingebung folgend fragte Bernd Ziegler: „War Michael Hubertaler euer Lehrer?“

„War er. Aber auch er ist bereits den Weg alles Vergänglichen gegangen.“ Die Mundwinkel des Burschen zuckten spöttisch nach unten. „Sie mussten ihn von der alten Eiche am Ortsrand kratzen.“

In dem Moment verließ eine Frau - sie mochte Mitte dreißig sein -, das Wohnhaus, sah die beiden Beamten bei der Hoftür und hielt abrupt an. „Wer sind diese Leute, Simon?“

„Polizisten aus Rosenheim“, antwortete der Bursche, ohne den Kopf zu drehen. „Sie sind wegen dem Filser hier. Vielleicht ist man in Rosenheim auch zu dem Schluss gekommen, dass beim Tod des Heuchlers alles nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.“

Die Hauptkommissarin wurde hellhörig. „Wer ist denn noch dieser Meinung?“, rief sie fragend.

Jetzt setzte sich die Frau wieder in Bewegung, als sie an dem Jungen vorbeiging stieß sie hervor: „Geh ins Haus, Simon, und bleib drin.“ Einen Schritt vor der Hoftür hielt sie schließlich an. „Wenn Sie von der Polizei sind, dann wissen Sie sicher, was man Filser vorgeworfen hat.“

„Man?“ Die Hauptkommissarin wiegte skeptisch den Kopf. „Man ist Mehrzahl; die Vorwürfe kamen aber lediglich von Andreas Brunhuber.“

Die Frau winkte ab. „Filser hat allen hier Sand in die Augen gestreut. Seine Frömmigkeit war nur Mittel zum Zweck. Das Leben als Pfarrer hier verlief für ihn ruhig und war ziemlich einträglich, er lebte hier wie die Made im Speck und frönte seinem unseligen Trieb. Viele Bürger der Gemeinde schenken den Aussagen Andreas’ Glauben.“

„Haben Sie unter anderem dem Pfarrer nicht sehr viel zu verdanken, Frau Prem?“, fragte die Hauptkommissarin.

„Was meinen Sie?“

„Nachdem bekannt wurde damals, dass Sie und elf weitere Frauen schwanger waren, ging das Gerücht durch den Ort, dass das Teufelswerk sei, dass man Dämonen gesehen habe, die die Häuser aufsuchten, und ...“

„Es ist richtig“, fiel Gerlinde Prem der Hauptkommissarin ins Wort. „Es artete fast in eine Hexenjagd aus. Der Bürgermeister und einige beherzte Bürger verhinderten es. Natürlich heftete sich auch Filser den Erfolg an seine Fahnen, denn er hatte sich, als sich die Wogen längst geglättet hatten, dem Bürgermeister und den anderen mutigen Männern und Frauen hinzugesellt. In Wirklichkeit - und davon bin ich fest überzeugt -, hätte er uns liebend gerne brennen sehen. Ich denke sogar, dass er das Gerücht in die Welt setzte, dass in jener Woche damals, als das Schneechaos über uns hereinbrach, der Satan und sein dämonisches Gefolge unseren Ort heimgesucht hat.“

„Vermuten Sie das nur, oder haben Sie einen konkreten Anlass, der Sie diesen Verdacht hegen lässt?“, fragte die Hauptkommissarin.

„Er - Filser - war ein Teufel!“, knirschte die Frau. „Und sein Vermächtnis ist - das Böse. Es wird von hier aus in die Welt getragen - und die Zeit ist nicht mehr fern ...“

Es hatte wie ein unheilvolles Omen geklungen. Der Blick der Frau schien sich nach innen verkehrt zu haben, sie schien die beiden Polizisten gar nicht mehr wahrzunehmen. Mit geradezu marionettenhafter Bewegung wandte sie sich ab und ging zur Haustür.

Verständnislos starrten ihr die Hauptkommissarin und deren Kollege hinterher.

5

Die beiden Kriminalbeamten ließen sich noch einmal beim Ersten Bürgermeister anmelden. Der Ortsvorsteher - sein Name war Alois Kugler -, musterte die Polizisten mit erwartungsvoll-fragendem Blick.

Johanna Rubenbauer und Bernd Ziegler nahmen Platz, die Hauptkommissarin lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, schaute das Gemeindeoberhaupt mit einem scharfen, prüfenden Blick an und fragte schließlich: „Was stimmt nicht in Ihrem Ort, Herr Kugler?“

Mit einer solchen Frage schien der Bürgermeister nicht gerechnet zu haben. Verstört irrte sein Blick ab, er begann seine Hände zu kneten, setzte zum Sprechen an, überlegte es sich aber anders, erhob sich, ging zum Fenster und schaute hinaus, seine Finger hatten sich hinter seinem Rücken ineinander verkrampft. „Ich weiß nicht was Sie meinen“, murmelte er.

Details

Seiten
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783738902433
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Februar)
Schlagworte
erben bösen

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Titel: Die Erben des Bösen