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Sieben glorreiche Western #10

von Alfred Bekker (Autor:in) Pete Hackett (Autor:in)
©2016 700 Seiten

Zusammenfassung

Sieben glorreiche Western #10

von Alfred Bekker, Pete Hackett,



Der Umfang dieses Buchs entspricht 680 Taschenbuchseiten.



Dieses Buch enthält folgende sieben Western:





Alfred Bekker: Ein Strick für Lee Callahan

Pete Hackett: McQuade und die Claimwölfe

Pete Hackett: McQuade und die Revolverlady

Pete Hackett: McQuade und die Apachenjäger

Pete Hackett: Der Verfemte

Pete Hackett: Härter als Stahl

Pete Hackett: Walker, der Verfemte



Lee Callahan fühlte den harten Faustschlag an seinem Kinn.

Er flog in den Staub und als er dann den Kopf hob, sah er in grimmige, entschlossene Gesichter, sowie eine Revolvermündung.

"Lee!"

Das war Madeleine.

Sie wollte zu ihm eilen, aber zwei kräftige, hart zupackende Männerhände hielten sie unerbittlich an den Handgelenken.

"Sie lassen in Zukunft die Finger von meiner Tochter, Callahan!", zischte der alte McGregor. Das Haar an seinen Schläfen war schon lange ergraut, aber in der Mitte seines braungebrannten Gesichts befanden sich zwei zornig blitzende blaue Augen. Er war ein Rancher. Rechts und links von ihm standen einige der Cowboys, die er in Lohn und Brot stehen hatte.

"Dad, er hat mir doch nichts getan!"

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Sieben glorreiche Western #10

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von Alfred Bekker, Pete Hackett,

Der Umfang dieses Buchs entspricht 680 Taschenbuchseiten.

Dieses Buch enthält folgende sieben Western:

––––––––

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Alfred Bekker: Ein Strick für Lee Callahan

Pete Hackett: McQuade und die Claimwölfe

Pete Hackett: McQuade und die Revolverlady

Pete Hackett: McQuade und die Apachenjäger

Pete Hackett: Der Verfemte

Pete Hackett: Härter als Stahl

Pete Hackett: Walker, der Verfemte

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Authors/Cover Firuz Askin

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Ein Strick für Lee Callahan

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Western von Alfred Bekker

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1

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Lee Callahan fühlte den harten Faustschlag an seinem Kinn.

Er flog in den Staub und als er dann den Kopf hob, sah er in grimmige, entschlossene Gesichter, sowie eine Revolvermündung.

"Lee!"

Das war Madeleine.

Sie wollte zu ihm eilen, aber zwei kräftige, hart zupackende Männerhände hielten sie unerbittlich an den Handgelenken.

"Sie lassen in Zukunft die Finger von meiner Tochter, Callahan!", zischte der alte McGregor. Das Haar an seinen Schläfen war schon lange ergraut, aber in der Mitte seines braungebrannten Gesichts befanden sich zwei zornig blitzende blaue Augen. Er war ein Rancher. Rechts und links von ihm standen einige der Cowboys, die er in Lohn und Brot stehen hatte.

"Dad, er hat mir doch nichts getan!"

Verzweiflung stand in Madeleines feingeschnittenem Gesicht. Ein paar Tränen waren ihr bereits über die Wangen gerollt.

"Ha!", machte McGregor. "Das wäre ja auch noch schöner!"

"Wir haben uns nur...unterhalten!"

"Schlimm genug! Ich will, dass das aufhört! Ein für allemal!"

Lee lag noch immer im Staub.

So, wie die Situation war, konnte er nichts machen. Der Revolver des Ranchers war nach wie vor auf ihn gerichtet und die Zornesröte, die in McGregors Gesicht gestiegen war, sprach für sich.

Wäre McGregor nicht der Vater jener Frau gewesen, die er liebte, so hätte er unter Umständen versucht, selbst zum Colt zu greifen.

Aber so, wie die Dinge nun einmal lagen, widerstrebte es ihm, auf Madeleines Vater zu schießen. Und wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, würde er es auch nicht tun.

Lee wischte sich das Blut von der Lippe. Die paar Schläge, die die Kerle ihm verabreicht hatten, konnte er leicht wegstecken.

Und er würde nicht so leicht aufgeben.

"Vielleicht stecken Sie erst einmal das verdammte Eisen weg, Mr. McGregor!", schlug Lee so ruhig wie möglich vor. "Dann können wir uns besser unterhalten..."

Der Rancher machte die Augen schmal.

"Es gibt nichts mehr zwischen uns zu sagen!", fauchte er. "Wenn Sie sich noch einmal mit Madeleine treffen, dann kann ich für nichts mehr garantieren! Ich werde nicht zulassen, dass meine Tochter an einen Bastard, ein Halbblut gerät!"

Ein Zucken ging durch Lees ganzen Körper. Jetzt war es also endlich heraus. Lee hatte es die ganze Zeit über erwartet. Er hatte gewusst, dass eine solche Bemerkung kommen würde.

Aber als sie dann kam, tat es trotz alledem weh.

Seine Züge verfinsterten sich.

Einige Sekunden lang trafen sich seine Blicke mit denen McGregors.

Dann durchbrach plötzlich eine autoritätsgewohnte Stimme das Schweigen.

"Irgendwelche Probleme?"

Es war Morris, der Sheriff von Bellfort, und Lee war froh, dass er endlich auftauchte.

McGregor musste seinen Grimm sichtlich zügeln und mit einiger Mühe gelang ihm das auch. Er schluckte und steckte dann die Waffe zurück ins Holster.

Lee erhob sich.

"Was ist los?", erkundigte sich Sheriff Morris. Und dabei glitt sein Blick prüfend an den Männern entlang. Madeleine konnte sich in diesem Moment losreißen und lief zu Lee. Ihre schlanken Arme schlangen sich um seinen Hals.

"Ist dir was passiert, Lee?"

"Nein, nichts Ernstes."

"Ich will nicht, dass meine Tochter sich mit diesem... diesem Hundesohn von einem Halbblut trifft!", schimpfte McGregor und spuckte zu Boden. "Das ist doch wohl kein übertriebener Wunsch, oder Sheriff?"

Morris zuckte mit den Schultern.

McGregors Mund verzog sich grimmig. "Im Übrigen ist das hier eine reine Familienangelegenheit! Und die geht Sie nichts an, Sheriff!"

"Wenn es sich wirklich nur um eine Familienangelegenheit handeln würde, dann ginge mich das tatsächlich nichts an. Aber wenn hier Schießeisen gezogen werden, dann wird daraus etwas anderes - und dann ist das meine Angelegenheit!"

"Er hat meine Tochter belästigt, Morris!", zischte der Rancher wutentbrannt.

"Nein, Dad! Das ist nicht wahr!"

Morris schob sich den Hut in den Nacken.

"Nehmen Sie Ihre Tochter und reiten Sie mit Ihren Leuten nach Hause!", meinte er. "Ich schätze, dass ist erst einmal das Beste!"

Einen Augenblick lang herrschte gespanntes Schweigen. Dann brummte McGregor: "Komm, Madeleine!"

Sie sah zu Lee auf.

"Ich gehe jetzt wohl besser mit ihm."

Lee nickte und um seinen Mund spielte ein leises Lächeln.

"Ja."

Sie strich ihm noch einmal mit der Hand durch die wirren Haare. Dann ging sie zu ihrem Vater, der sie ärgerlich anfunkelte und am Handgelenk packte.

Als McGregor mit seiner Meute davonzog, wandte Madeleine sich noch einmal kurz um.

Lee sah ihr nach.

"Die kleine McGregor ist nichts für Sie, Callahan!", meinte Morris. "Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: Lassen Sie die Finger von ihr! McGregor versteht in diesen Dingen keinen Spaß und wenn Sie nicht lockerlassen und sich anderswo, als ausgerechnet auf seiner Ranch nach einer Frau umsehen, dann..."

Morris zögerte.

"Was dann?"

"Dann wird es unweigerlich Ärger geben."

Lee hob seinen Hut vom Boden auf.

"Er denkt, dass jemand wie ich weniger wert ist, als jemand wie er, nur weil meine Haut ein bisschen dunkler ist! Ist das richtig so?"

"Es ist mir gleichgültig, weshalb McGregor Sie als Mann seiner Tochter unpassend findet. Und wenn es nur deshalb wäre, weil Ihr Hut ein paar Flecken hat... Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt. Ich will keinen Ärger in Bellfort. Alles andere ist mir gleich!"

Aber Lee winkte ab.

"Ich kann Ihnen nichts versprechen, Morris!"

Dann ging er an dem Sheriff vorbei, ohne noch einmal zurückzublicken.

"Callahan!", rief Morris ihm nach.

Lee blieb kurz stehen.

"Was ist noch, Sheriff?"

"Ich habe nichts gegen Sie, Callahan, aber ich kann Ihnen ebenfalls nichts versprechen! Wenn Sie Dummheiten machen und keine Vernunft annehmen wollen, dann kann ich Ihnen zum Beispiel nicht versprechen, rechtzeitig zur Stelle zu sein, um Sie vor McGregors Jähzorn zu schützen!"

Lee zuckte gleichgültig mit den Schultern.

"Ich kann auf mich selbst aufpassen!"

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Lee Callahan hatte darauf verzichtet, noch auf einen Drink in den Saloon zu gehen. Vielleicht waren noch einige von McGregors Leuten dort und denen wollte er besser aus dem Weg gehen.

Nicht, dass er sich vor ihnen fürchtete, aber er wollte den Ärger auch nicht mutwillig heraufbeschwören. Außerdem hatte es davon heute schon mehr als genug gegeben.

Und so hatte er sich auf seinen Gaul gesetzt und war aus der Stadt geritten.

Vor ihm lagen sanfte Grashügel, in der Ferne lagen bewaldete Berghänge.

Es war gutes Land, hier rund um die Stadt Bellfort herum.

Land, um Rinder oder Schafe zu züchten oder Korn anzubauen.

Nach einer Weile sah Lee hinter einer Hügelkette eine kleine Ranch auftauchen.

Sie gehörte Luke und Mildred O'Kensey.

Vor vielen Jahren waren die beiden mit einem Planwagen und einem kleinen Baby hier aufgetaucht, hatten sich Land gekauft und dort mit ihrer Hände Arbeit aus dem Nichts etwas geschaffen.

Aus dem Baby war ein Mann geworden, Joel hatte er geheißen.

Bei einer Schießerei hatte ihn eine verirrte Kugel niedergestreckt und getötet.

Joel O'Kensey hatte mit der Sache, um die es ging, überhaupt nichts zu tun gehabt. Er hatte einfach zur falschen Zeit am falschen Tisch im Saloon gesessen.

Ein Zufall, aber für Joel schicksalhaft.

Die O'Kenseys hatten den Tod ihres einzigen Sohnes nur schwer verwinden können.

Und dann war eines Tages ein halbwüchsiger Junge in Bellfort aufgetaucht.

Ein Halbblut, zur einen Hälfte Cheyenne, zur anderen Weißer, das sich mit Diebstählen durchzuschlagen versuchte.

Der Name des Kleinen war Lee gewesen. Lee Callahan.

Die O'Kenseys hatten ihn bei sich aufgenommen und wie einen Sohn großgezogen. Er war ihnen sehr dankbar dafür. Jetzt arbeitete er auf ihrer Ranch.

Und wenn die O'Kenseys starben, so hatten sie es bestimmt, würde er die Ranch erben.

Sie waren dafür eigens zu einem Notar gegangen, um das schriftlich festhalten zu lassen.

"Leider haben Mildred und ich keine weiteren Kinder", hatte Luke O'Kensey damals zu Lee gesagt. "Aber du bist uns in all den Jahren wie ein Sohn gewesen und deshalb finden wir es richtig, wenn du alles erbst! Weiß Gott, wer sich dieses schöne Stückchen Land vielleicht sonst unter den Nagel reißen würde! Möglicherweise dieser gierige, unersättliche McGregor!"

Die Small-Ranch der O'Kenseys erlaubte ihren Bewohnern kein Leben in Luxus, aber sie ernährte sie.

Sie waren bereit, hart zu arbeiten, was ihnen damit vergolten wurde, dass sie immer ihre eigenen Herren geblieben waren.

Als Lee die Ranch-Gebäude erreichte, sah er Mildred O'Kensey vor dem Wohnhaus. Als sie hochblickte und ihn sah, lächelte sie.

Lee kam heran, stoppte dann sein Pferd und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Das Tier machte er dann am Gatter des Corrals fest.

"Lee! Schön, dass du wieder da bist!"

"Ja..."

Sie sah die Schrammen, die ihm McGregors Leute zugefügt hatten. Ihr Gesicht wurde ernster.

"Hast du Ärger in der Stadt gehabt?"

Er nickte.

"Ja."

"McGregor?"

"Ja."

"Man darf nie aufgeben, Lee!", meinte sie dann. "Eines Tages wirst du Madeleine über die Schwelle tragen!"

"Leider mag McGregor mich nicht besonders." Dann lächelte er. "Aber so leicht bin ich nicht von dem abzubringen, was ich mir vorgenommen habe!"

"Das ist gut so, Junge." In ihren Augen begann es plötzlich zu funkeln. "Übrigens... Mein Dad hat damals auch nicht viel für Luke übrig gehabt. Er hielt ihn für einen ausgemachten Taugenichts..." Sie zuckte mit den Schultern. "Aber er hat Unrecht gehabt."

Sie fasste ihn flüchtig bei der Schulter. Sie wusste, dass er es nie einfach gehabt hatte.

Von Anfang an nicht.

Immer waren da Leute gewesen, die ihn einfach schon deswegen nicht mochten, weil eine Hälfte von ihm ein Indianer war. Und obgleich der letzte Krieg mit den Cheyennes schon ein paar Jahre zurück lag, hatte man sie doch noch immer in überaus unangenehmer Erinnerung.

Kaum jemand hatte Lee zum Freund haben wollen, und daran hatte sich bis heute nicht viel geändert.

So hatte er gelernt, auf sich allein gestellt zurecht zu kommen.

Diejenigen, denen er vertrauen konnte, ließen sich leicht an den Fingern einer einzelnen Hand abzählen.

Es war für Lee Callahan nicht einfach, aber es war ihm klar, dass es wenig Sinn machte, einfach davonzulaufen und wegzuziehen, um sich anderswo eine neue Existenz aufzubauen.

Es würde überall gleich sein.

Ein Halbblut war nirgends beliebt.

"Willst du etwas essen, Junge?"

"Ja, gerne."

"Ich habe etwas Stew auf dem Herd stehen! Luke ist draußen beim Zäune reparieren. Er bittet dich, dort auch hinzukommen, um ihm zur Hand zu gehen."

Er nickte.

"Gut."

"Er sagte, du wüsstest, wo die Stelle ist..."

"Ja, das stimmt. Ich weiß Bescheid."

Aus der halboffenen Tür des Wohnhauses kam ein angenehmer, würziger Geruch. Erst jetzt wurde Lee wirklich bewusst, wie sehr ihm der Magen schon knurrte.

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Als Lee aufgegessen hatte, ritt er hinaus zu Luke O'Kensey.

O'Kensey, der gerade eine Rolle mit Stacheldraht von dem groben Kastenwagen nahm, sah ihn schon weitem kommen.

Er mochte Lee.

Ein wirklich feiner Kerl war er geworden, dachte O'Kensey.

Als Lee herangekommen war, sprachen sie kurz über den Ärger, den er in der Stadt mit McGregor und seinen Leuten gehabt hatte.

O'Kensey konnte da nur mit den Schultern zucken. Er klopfe Lee auf die Schulter, als dieser aus dem Sattel gesprungen und zum Wagen gekommen war.

"Dieser McGregor glaubt, etwas Besseres zu sein!", meinte der Kleinrancher. "Er hat das meiste Land, die meisten Rinder und die meisten Cowboys in der Gegend. Das war schon so, als Mildred und ich damals hier angefangen haben..."

O'Kensey war stolz auf Lee.

Als stehlendes, schmuddeliges Etwas war er gekommen, verschlagen, misstrauisch und kaum zugänglich. Es hatte damals lange gedauert, bis er überhaupt einem Menschen zu trauen bereit gewesen war.

Gut, dass wir damals nicht aufgegeben haben!, überlegte Luke O'Kensey, während sie sich jetzt beide an dem Stacheldraht zu schaffen machten.

Und was war jetzt für ein Kerl aus ihm geworden!

O'Kensey war sich sicher, dass Lee seinen Weg machen würde.

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Einige Tage gingen ins Land, ohne, dass etwas Besonderes geschah. Lee sah und hörte nichts von Madeleine und im Grunde hatte er auch kaum etwas anderes erwartet.

Er ritt zwar mehrmals zu dem Treffpunkt, unten am Fluss, an dem sie sich oft gesehen hatten, aber sie war nie dort.

Kein Wunder.

Fürs Erste würde der alte McGregor gut auf seine Tochter aufpassen und sie kaum aus den Augen lassen.

Lee war ungeduldig, aber er wusste, dass er abwarten musste.

Der alte Rancher hatte zwar ein cholerisches Temperament, aber irgendwann würde er sich wieder beruhigen. Was das anging, war Lee zuversichtlich.

Während dieser Tage war auch einmal mit Luke O'Kensey in der Stadt. Sie hatten den Kastenwagen genommen, um Werkzeug und Baumaterial laden zu können, dass sie für ein neues Gatter einkaufen wollten.

Als sie beladen aus dem Drugstore traten, kam ein Trupp von Reitern die Main Street entlanggeritten.

Es waren sieben, acht Mann, schwer bewaffnet und mit staubigen Kleidern. Sie schienen einen langen Ritt hinter sich zu haben.

Sie waren nicht aus der Gegend, sonst hätte Lee sie gekannt. Hier kannte jeder jeden. Bellfort war keine Großstadt.

Aber einer der Kerle fiel ihm auf.

Er ritt an der Spitze des Trupps, trug einen schwarzen Vollbart und hatte eine hässliche, rote Narbe quer über der Stirn. Sie sah aus, als hätte ihn jemand mit einem Säbel getroffen.

Vielleicht hatte er im Bürgerkrieg gekämpft. Der Mann mit der Narbe blickte sich immer wieder um und taxierte die Menschen, die zu beiden Seiten der Main Street auf den Sidewalks dahergingen.

In Richtung von Lee und O'Kensey blickte er nicht, aber als der Kleinrancher den Mann sah, schien er förmlich zu erstarren.

Sein Gesicht wurde farblos.

Lee hatte ihn noch nie zuvor so gesehen. O'Kensey war kein Mann, der sich leicht Angst einjagen ließ. Er starrte zu dem Kerl mit der Narbe hin, wie ein Kaninchen zur Schlange. Als die Straße entlang bis zum Saloon geritten waren und sich nicht mehr umwandten, atmete er etwas auf.

Dort machte der Trupp halt.

Die Männer ließen sich aus den Sätteln gleiten und machten ihre Pferde fest. Keine Frage, sie wollte auf einen Drink in den Saloon.

"Was ist?", fragte Lee.

O'Kensey schluckte. Dann packte er wortlos die Sachen aus dem Drugstore auf den Kastenwagen und Lee folgte seinem Beispiel.

"Kennst du diese Männer?", bohrte Lee nach, aber er bekam keine Antwort.

Stattdessen meinte O'Kensey leise und mit kraftlos klingender Stimme: "Lass uns aus der Stadt fahren, Junge!"

Lee akzeptierte das zunächst.

Sie schwangen sich beide vorne auf den Bock und dann ging es los. O'Kensey schien es ziemlich eilig zu haben, aus der Stadt zu kommen.

Lee sah das nachdenkliche, in sich gekehrte Gesicht des anderen und wusste, dass etwas nicht in Ordnung war.

Erst als die Häuser von Bellfort bereits in ihrem Rücken hinter ein paar Hügeln verschwunden waren, kam er damit heraus.

"Ich muss etwas mit dir besprechen, Junge", sagte er und Lee wusste am Tonfall, dass es sich um etwas sehr Ernstes handeln musste. "Aber sag Mildred nichts davon. Sie wird sich nur aufregen. Und vielleicht geschieht ja auch nichts..."

Lee nickte.

"In Ordnung", sagte er.

"Es ist eine lange Geschichte, Lee..."

"Hat sie mit diesem Kerl zu tun, den wir in der Stadt gesehen haben? Ich meine den, mit dieser hässlichen Säbelnarbe über der Stirn..."

O'Kensey nickte.

"Der Mann heißt Liam Shorter und ist sehr gefährlich... Nimm dich vor ihm in Acht, solltest du ihm begegnen, hörst du?"

"Na, klar."

"Es ist schon viele Jahre her... Es war noch bevor ich meine Frau kennenlernte. Da traf ich auf ein paar Typen, üble Kerle, aber ich war jung und unerfahren. So merkte ich das nicht gleich. Liam Shorter war auch darunter und noch ein paar andere von denen, die du gerade über die Main Street hast reiten sehen. Die Kerle hatten ein krummes Ding ausgeheckt. Einen Postkutschenüberfall. Mir war von Anfang an nicht wohl bei der Sache und dann bin ich im letzten Moment abgesprungen..."

"Das wusste ich nicht", stieß Lee erstaunt hervor.

O'Kensey lächelte schwach.

"Das weiß nicht einmal meine Frau. Ich habe es niemandem erzählt. Wozu auch? Ich dachte die alten Geschichten wären aus und vorbei. Ein für allemal vergessen." Er seufzte. "Aber ein Mann wie Liam Shorter kann nicht vergessen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er meinetwegen hier ist..."

Lee zuckte mit den Schultern.

"Das verstehe ich nicht. Was hat er gegen dich?"

"Das wirst du gleich begreifen! Ich bin also im letzten Moment aus der Sache ausgestiegen. Die Kerle haben zwar gemurrt, es aber geschluckt. Abblasen wollten sie das Ding auch nicht, sie hielten es für eine einmalige Gelegenheit. Es war mein Glück, dass ich ausgestiegen bin, sonst hätte ich einen Großteil meines Lebens im Gefängnis verbracht... Shorter und die anderen zogen die Sache durch, der Kutscher wurde dabei sehr schwer verletzt und Phil Shorter, Liams Bruder, der auch bei der Sache dabei war, bekam eine Kugel in den Kopf. Die Beute war mäßig. Ein Aufgebot wurde schnell zusammengestellt und man hat sie alle gekriegt. Einige sind bei der Verfolgung erschossen worden. Der Rest wanderte für viele Jahre ins Loch. Shorter auch. Er hat den anderen weisgemacht, dass ich die Sache verraten hätte. Zumindest müsste ich die Namen der Beteiligten dem Sheriff gesagt haben, sonst hätte man sie nicht so schnell kriegen können... Schließlich waren sie maskiert!"

"Und?", fragte Lee. "Hast du sie ans Messer geliefert?"

"Nein, habe ich nicht." Er zuckte mit den Schultern. "Aber Liam Shorter wollte einfach nicht wahrhaben, dass er selbst vielleicht daran Schuld gewesen sein könnte, dass die Sache schiefging. Es ist eben einfacher, wenn man einen Sündenbock hat, auf dem man alles abschieben kann."

"Du weißt, dass ich ganz ordentlich mit dem Schießeisen umgehen kann!", meinte Lee. "Wenn diese Kerle auftauchen sollten, stehe ich an deiner Seite..."

"Das ist gut zu wissen. Obwohl ich eigentlich lieber niemanden mit hineinziehen möchte." Und dann, mehr zu sich selbst, als zu Lee: "Aber es lässt sich jetzt wohl kaum noch vermeiden. Zum Davonlaufen ist es zu spät."

"Du bist dir sicher, dass Shorter deinetwegen in Bellfort aufgetaucht ist?"

"Weswegen sonst?", fauchte O'Kensey etwas unwirsch und viel heftiger, als er es eigentlich geplant hatte. "Ich bin als Zuschauer bei der Gerichtsverhandlung gegen ihn gewesen. Als Liam mich unter den Leuten gesehen hat, ist er aufgesprungen und hat zu mir herübergebrüllt, dass er mich kaltmachen würde, wenn er wieder draußen wäre! Für mich hätte er immer eine Kugel übrig... Er hat damals zwanzig Jahre gekriegt, die sind eigentlich noch nicht ganz vorbei. Aber bei guter Führung... Vielleicht hat man ihn früher gehen lassen."

"Oder er ist ausgebrochen...", vermutete Lee.

O'Kensey zuckte mit den Schultern.

"Kann mir gleich sein. Jetzt sind sie im Saloon und werden Slimmy, den Barkeeper ausquetschen. Und der wird ihnen arglos, wie er ist - alles sagen, was sie wissen wollen... Vielleicht sind sie schon auf dem Weg zur Ranch!"

Dieser Gedanke schien ihm schier den Verstand zu rauben.

Lee sah die Veränderung in O'Kenseys Gesicht.

O'Kensey trieb die Pferde voran. Der Wagen ächzte und rumpelte halsbrecherisch über den unebenen Boden.

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Als der Wagen die Ranch erreichte, schien dort noch alles in Ordnung.

Mildred kam gerade von den Hühnern.

Sie lächelte freundlich, als sie die Männer kommen sah, aber ihr Mann lächelte nicht zurück.

Sein Gesicht war sehr ernst.

Er sprang vom Bock herunter und nahm sie in den Arm. Dann meinte er: "Geh ins Haus, Mildred!"

"Aber, Luke!"

Natürlich verstand sie nichts. Sie konnte gar nichts begreifen. Ihr Gesicht drückte Verwirrung aus, während sie sich ein paar Haarsträhnen zurückstrich.

"Frag jetzt nicht, tu was ich dir sage!"

"Luke, was ist los!"

"Ich erkläre es dir gleich. Jetzt muss ich mich erst um die Pferde kümmern..."

"Aber..."

"Nun mach schon! Geh zum Gewehrschrank. Du kannst schonmal die Winchesters laden."

Sie sagte nichts mehr, sondern tat, was ihr Mann ihr gesagt hatte.

Es würde irgendwelchen Ärger geben.

Sie wusste nicht, worum es ging, aber es musste ernst sein.

So hatte sie Luke O'Kensey noch nicht erlebt... Sie hoffte nur, dass sie die Gewehre nicht brauchen würden!

Lee nahm unterdessen seinen Revolver aus dem Holster und überprüfte die Ladung.

Alles in Ordnung.

Dann blickte er hinaus über die sanften Grashügel.

Er sah in jene Richtung, in der Bellfort lag und aus der die Kerle kommen mussten, wenn sie wirklich aufgetaucht waren, um Luke O'Kensey aufzuspüren und zur Strecke zu bringen.

Es war noch nichts zu sehen.

Lee rollte die Revolvertrommel herum und steckte die Waffe dann wieder ein.

Die O'Kenseys hatten viel für ihn getan.

Alles, was er war, verdankte er im Grunde ihnen und das wusste er auch. Er fühlte die Verpflichtung, ihnen in dieser Stunde beizustehen.

Und das würde er auch tun, das war für ihn keine Frage.

Sollten sie nur kommen, diese Hunde! Sollten sie sich blutige Nasen holen!

Lee folgte Mildred O'Kensey ins Wohnhaus.

Sie hatte einige Winchester-Gewehre auf den Tisch gelegt und war jetzt dabei, eine der Waffen mit Patronen vollzustopfen.

"Weißt du, worum es geht?", fragte sie.

Erst zögerte er.

Sie blickte zu ihm auf. Ihr Blick war voller Angst und Verwirrung. Sie spürte, dass irgendetwas Schreckliches unmittelbar bevorstand, aber das war nicht mehr, als eine unbestimmte Ahnung.

Lee fand eigentlich, dass es die Aufgabe ihres Mannes war, ihr diese Sache zu erzählen.

Luke O'Kensey hatte es bisher nicht getan und dafür sicher auch einleuchtende Gründe gehabt.

Aber jetzt blieb vielleicht nicht mehr allzu viel Zeit, um irgendetwas zu erklären.

So machte Lee dann doch den Mund auf. In knappen Worten berichtete er ihr, was los war.

"Und ihr meint, dass diese Männer auf dem Weg hier her sind?", fragte sie, als er geendet hatte.

Lee nickte.

"Ja."

Dann nahm er sich ebenfalls eine der Gewehre und lud es mit einer energischen Bewegung durch.

Sie waren zu dritt.

Mildred konnte fast ebenso gut mit einer Waffe umgehen, wie die Männer. Luke O'Kensey hatte es ihr beigebracht, denn hier draußen musste auch eine Frau wissen, wie man sich gegen Gesindel zur Wehr setzen konnte.

Drei gegen wie viele?

Lee hatte nicht genau gezählt.

Gleich, ob es nun sieben oder acht Mann waren, ihre Chancen waren nicht besonders gut.

Aber sie würden sich so teuer wie möglich verkaufen.

Eine andere Wahl blieb ihnen auch gar nicht.

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Luke O'Kensey hatte die Pferde vom Wagen abgespannt und aus ihren Geschirren entlassen.

Als er dann in Richtung des Wohnhauses ging, sah er sie hinter den Hügeln auftauchen.

Acht Reiter waren es.

Einige von ihnen hatten die Gewehre aus den Sattelholstern gezogen. Es lag auf der Hand, dass sie üble Absichten hatten.

O'Kensey erstarrte einen kurzen Augenblick lang und blickte zu ihnen hinüber.

Sie kamen schnell heran.

Es gefiel ihm nicht, dass Lee und Mildred nun in die Sache hineingezogen wurden. Aber was hätte er dagegen tun können?

So wie die Dinge standen, rein gar nichts.

Sicher, er hätte seinen Gaul besteigen und davonreiten können, in der Hoffnung, möglichst schnell ein paar Meilen zwischen sich und die Wölfe zu legen.

Aber er kannte Liam Shorter nur zu gut. Er war eine Bestie und ein Menschenschinder, der seinen Ärger auch an Mildred, seiner Frau, oder an Lee auslassen würde, wenn er den, nach dem er eigentlich suchte, nicht vorfand...

In der Stadt hatte Shorter irgendwie erfahren, dass diese Ranch Luke O'Kensey gehörte. Und jeder, der sich jetzt dort aufhielt, war nun ein mögliches Ziel von Shorters Rachsucht.

Er würde Mildred ohne mit der Wimper zu zucken etwas antun, nur um ihren Mann damit zu treffen...

Unter diesen Umständen war es besser, dass O'Kensey hier war, um die Seinen zu beschützen.

Der Kleinrancher lief jetzt zum Haus und stürzte durch die Tür. Er nahm sich eines der Gewehre auf dem Tisch und lud es durch. Dann stellte er sich an die halboffene Tür.

Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden.

Noch war alles ruhig. Es war die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm.

"Sie sind im Anmarsch!", zischte er. "Es wird gleich losgehen!" Dann wandte er sich an seine Frau. "Mildred, ich müsste dir vielleicht erklären, worum es hier eigentlich geht..."

"Lee hat es mir bereits gesagt."

Er wechselte mit Lee einen kurzen Blick.

Dann nickte er.

"Es ist gut", sagte er. "Es sind acht Mann. Sie müssen jeden Moment auftauchen!"

Lee stellte sich mit dem Gewehr im Anschlag an Fenster. Er schob die Scheiben hoch und steckte den Lauf ein Stück hinaus.

O'Kensey selbst stand noch immer an der halb geöffneten Tür und wartete ungeduldig.

Er biss sich kurz auf die Unterlippe.

Dann hörten sie alle das Geräusch galoppierender Pferde, das schnell anschwoll. Die Reiter waren heran, allen voran Liam Shorter mit der Narbe auf der Stirn.

Er gebot seinen Männern mit einer Handbewegung zu halten und sie taten es.

"Kennst du noch weitere von den Kerlen?", erkundigte sich Lee, ohne dabei zu O'Kensey hinüberzublicken und die Männer aus den Augen zu lassen.

O'Kensey nickte.

"Ja, der mit der braunen Jacke. Der war damals auch dabei. Sein Name ist Matt Grant. Und dann ist da dieser Kerl ganz in Schwarz."

"Der mit dem Doppelholster?"

"Ja, genau der. Das ist Roy Mulligan. War damals ein ganz junger Kerl, genau wie ich."

"Kann er wirklich mit beiden Händen schießen?"

"Ich weiß nicht, Lee. Damals konnte er es nicht. Aber vielleicht hat er dazugelernt."

"Was ist mit dem Rest der Halunken?"

"Kenne ich nicht, Lee. Vermutlich hat Shorter 'ne neue Bande aufgemacht und den Kerlen weismachen können, dass es auf dieser Ranch irgendetwas zu holen gibt..."

Sie sahen angestrengt hinaus und warteten ab, was geschehen würde. In den Augen dieser Männer blitzte es, besonders bei Shorter und Mulligan.

Mordlust stand in diesen Gesichtern.

Dennoch meinte O'Kensey: "Lee, wir schießen erst, wenn es keinen anderen Weg mehr gibt!"

"Aber es liegt doch klar auf der Hand, was die vorhaben!", protestierte Lee energisch. "Was glaubst du denn, wozu die ihre Gewehre aus den Sätteln gezogen haben?"

"Keine Widerrede! Wenn wir die Sache anders regeln können, ist das besser für uns!"

Unterdessen schob sich Shorter den Hut in den Nacken.

"Luke!", rief er. "Luke O'Kensey oder wie immer du verdammter Hund dich jetzt auch nennen magst! Bist du hier?"

Shorters Stimme war voll von abgrundtiefem Hass.

"Ich bin hier!", rief O'Kensey zurück.

"Das hättest du nicht gedacht, dass du mich noch einmal wiedersiehst, nicht war? Mich und den guten Roy und Matt! Du erinnerst dich doch, oder? Du verdammter Verräter!"

"Ich habe eich damals nicht verraten, Leute!", rief O'Kensey, obwohl ihm klar war, dass das wenig nützen würde.

Shorter lachte rau.

"Das würde ich an deiner Stelle auch behaupten, Luke!"

"Es ist die Wahrheit! Ihr wart stümperhafte Anfänger, jawohl! Die Tour habt ihr euch durch eure Ungeschicklichkeit selbst vermasselt, aber das willst du einfach nicht in deinen ramponierten Schädel reinlassen, Liam Shorter!"

Shorter verzog den Mund und bleckte dabei die Zähne wie ein Raubtier.

Lee bemerkte, wie Shorters Nasenflügel bebten.

"Genug geredet, Luke. Kommst du freiwillig raus, oder müssen wir dich holen?"

O'Kensey brauchte einen Moment um zu überlegen.

Er war durchaus bereit, in den sicheren Tod zu gehen, wenn sie Lee und Mildred dafür verschonten.

Aber er kannte seine Gegenüber und wusste, dass ihnen nicht über den Weg zu trauen war. Sie waren so falsch wie die Schlangen und Luke O'Kensey musste sich sehr wohl überlegen, ob er den einzigen Trumpf, den er besaß, so frühzeitig ausspielen sollte: sein Leben.

Das war es zweifellos, was diese Geier wollten. Die Frage war nur, ob sie sich damit auch zufrieden gaben!

"Ganz gleich, was sie sagen: Geh nicht darauf ein!", warf Mildred ein.

Sie hatte ihr Winchester-Gewehr fest mit beiden Händen gepackt und sich neben Lee an die andere Seite des Fensters gestellt.

O'Kensey atmete tief durch.

Dann rief er hinaus: "Hier drinnen befinden sich meine Frau und mein Sohn!"

Shorter grinste hässlich, wobei er zwei Reihen gelber Zähne entblößte.

"Na, und?"

"Wenn ich rauskomme, dann möchte ich euer Wort, dass ihr ihnen nichts tut!"

"Ha!" Shorter schlug sich auf die Knie. "Familiensinn hat er gekriegt! Was sagt ihr dazu, Leute?"

Die Männer quittierten das mit einem unbestimmten Raunen.

"Dad!", rief Lee verzweifelt. "Du darfst diesen Männern nicht trauen!"

"Sei still, Junge!"

"Du darfst nicht zu ihnen hinausgehen! Wenn sie es so haben wollen, dann werden wir kämpfen!"

"Und sterben, Lee. Und sterben!"

Lee schluckte.

"Vielleicht auch das, Dad!"

"Aber das will ich nicht, Junge! Ihr beide bedeutet mir alles, du und Mildred!"

Die beiden Männer wechselten einen kurzen Blick miteinander und in seinem Innersten ahnte Lee, dass die Würfel gefallen waren.

Shorter wandte sich wieder an O'Kensey.

"Wenn du ein ganzer Kerl bist, dann komm raus, Luke! Oder bist du immer noch so eine feige Memme wie damals?"

"Nicht, Luke!"

Das war Mildred, die angstvoll zu ihrem Mann hinüberblickte. Sie wollte nicht, dass er sich für sie und Lee opferte. Eher wollte sie an seiner Seite gegen diese Schakale kämpfen und zu Grunde gehen!

"Ich komme nur, wenn ihr mir euer Wort gebt!"

Shorter lächelte dünn.

Dann nickte er.

"Okay...", brummte er.

"Kann ich mich darauf verlassen?"

"Wir konnten uns damals auf dein Wort nicht verlassen, Luke... Es ist deine Sache, ob du in diesem Fall von dir auf andere schließen willst..."

"Das ist nicht wahr!", sagte O'Kensey, obwohl er insgeheim wusste, dass es keinen Sinn machte.

"Die werden dich einfach über den Haufen schießen!", meinte Lee. "Hör nicht auf sie!"

"Ihr habt mit dieser Sache nichts zu tun. Und es ist nur fair, wenn ich euch da heraushalte. Jeden holt eines Tages die Vergangenheit ein. Und heute ist das bei mir der Fall, Junge!"

"Das kannst du nicht machen Luke!", rief Mildred, aber es war bereits zu spät.

Sie wollte sich ihrem Mann in den Weg werfen, aber der war schon hinausgetreten, den Wölfen entgegen, die bereits blutgierig die Zähne fletschten.

Luke O'Kensey hatte einen Revolver an der Seite und in den Händen seine Winchester, die er halb gesenkt im Anschlag hielt.

Der Kleinrancher sah in kalte, mitleidslose Augen, die ihn zynisch abtaxierten. Vor ihm standen Männer, denen ein Menschenleben nichts bedeutete...

Zwei, drei Schritte trat er aus der Tür heraus.

Lee hielt im selben Moment den Atem an. Der Puls schlug ihm bis zum Hals, aber im Moment konnte er nichts tun.

Im gleichen Augenblick schienen sich die Waffenarme der Reiter deutlich anzuspannen. Zeigefinger legten sich fast unmerklich um die Abzüge von Winchester-Gewehren, Hände berührten die Griffe von Revolvern...

"Hier bin ich, Liam Shorter!"

In O'Kenseys Stimme lag nicht ein Gran Furcht. Sie klang fest und bestimmt, so als wüsste er genau, was er tat.

Er wechselte einige Sekunden lang mit Shorter einen schwer zu deutenden Blick. Und während dieser Zeit geschah überhaupt nichts.

Niemand rührte sich, kein Blei flog durch die Luft.

"Auf diesen Tag habe ich lange warten müssen!", zischte Shorter kaum hörbar. Seine Stimme klang gefährlich und hatte etwas Schlangenhaftes an sich.

Lee beobachtete aufmerksam, was vor sich ging. Er versuchte abzuschätzen, wer von den Kerlen als Erster zur Waffe greifen und feuern würde...

Schwer zu beurteilen. Aber lange konnte es nicht mehr dauern.

In Shorters Gesicht zuckte es.

Dann ging es los.

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7

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Als das Bleigewitter losbrach, kam es keineswegs aus heiterem Himmel.

Alle Beteiligten hatten es lange erwartet.

Und mit einem fairen Duell oder etwas Ähnlichem hatte das ganze nicht im Entferntesten etwas gemein.

Es war, wie Mildred O'Kensey prophezeit hatte: Sie wollten ihn einfach über den Haufen schießen.

Dem ersten, der sein Gewehr hob, jagte Lee vom Fenster aus eine Kugel in den Arm, so dass er laut aufschrie. Der Schuss, der sich aus der Waffe des Kerls löste, ging nun ins Leere und schlug irgendwo in ein Scheunentor ein.

Dann prasselte ein wahrer Hagel von Bleigeschossen in die Richtung des Ranchhauses.

Lee musste sich gezwungenermaßen in seine Deckung zurückziehen. Das Feuer der Banditen war zu mächtig. Doch immer wieder tauchte er hervor, um Schuss um Schuss zurückzugeben.

Er wusste, dass O'Kensey sich noch immer da draußen befand, schutzlos dem Bleihagel ausgeliefert, und er hoffte, ihm damit etwas helfen zu können.

Es war eine verzweifelte Hoffnung und sie war trügerisch.

Luke O'Kensey gab ebenfalls ein paar Schüsse zurück in Richtung von Shorter und seinen Leuten ab, aber gleichzeitig taumelte er rückwärts zur halb geöffneten Tür des Ranchhauses.

Da konnte es kaum einen Zweifel geben: Es hatte ihn schlimm erwischt.

Er feuerte noch einige mehr oder weniger schlecht gezielte Schüsse aus der Hüfte, aber was war seine Winchester gegen dieses geballte Sperrfeuer aus mehr als einem halben Dutzend Rohren?

Als er durch die Tür ins Innere stürzte, blutete er aus mindestens drei Wunden, die über seinen Oberkörper verteilt waren.

Und das linke Hosenbein war rot verfärbt.

"Oh, Luke!", rief Mildred bestürzt.

Lee feuerte unterdessen unverdrossen weiter in Richtung der Angreifer. Einem holte er das Pferd unter dem Gesäß weg, so dass er ziemlich unsanft zu Boden kam.

Aber alles in allem war das Feuer der Banditen so stark, dass er es kaum wagen konnte, sich auch nur für Sekundenbruchteile aus der Deckung zu bewegen.

Die Kugeln schlugen wütend das Holz, rissen kleine Löcher hinein und gingen weiter in die Möbel. Das Geschirr in den Regalen schepperte, manches Teil wurde zertrümmert und landete in tausend Scherben zersplittert auf dem Bretterboden.

Die Lage war verzweifelt.

Und die vier Kugeln, die Luke O'Kensey von ihnen abbekommen hatte, schien Shorter und seinen Komplizen keineswegs zu genügen!

Sie waren von ihren Gäulen gesprungen, hatten sich bei der Scheune und hinter den Pferdetränken Deckung gesucht und ballerten unverdrossen drauf los.

Luke O'Kensey lag stöhnend am Boden.

Er hielt die Winchester fest umklammert, als hinge an dieser Waffe sein Leben. Aber es war nicht mehr viel Kraft in ihm, das war für jeden offensichtlich.

Mildred legte das Gewehr zur Seite und beugte sich über ihren Mann.

"Oh, Luke... Diese Hundesöhne..."

Sie nahm ihn in ihre Arme und achtete nicht auf die Kugeln, die durch die halboffene Tür hereinkamen. Einige von ihnen schlugen gegen den gusseisernen Herd, was ein seltsames, gespenstisches Geräusch verursachte.

"Mildred...", hauchte O'Kensey sehr schwach. Es war bei dem Geballer der Revolver und Gewehre kaum zu hören. "Mildred, du warst du Frau meines Lebens. Ich möchte, dass du das weißt..."

Es war das Letzte, was er herausbringen konnte.

Dann kam das Ende.

Er drehte den Kopf zur Seite und seine Augen erstarrten.

Mildred fuhr mit der Hand über sein Gesicht und schloss sie ihm behutsam. Tränen rannen über ihr Gesicht, Tränen unsagbaren Schmerzes.

Dann wurde auch sie von zwei Kugeln erfasst. Sie kam nicht einmal dazu, einen Schrei auszustoßen, so schnell ging es.

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Lee Callahan schnürte es schier die Kehle zu, als er Mildred O'Kenseys Körper über dem ihres Mannes zusammensinken sah.

Grimm erfasste ihn, und eine Art von Wut und Verzweiflung, die er bisher nicht gekannt hatte. Er feuerte Schuss um Schuss hinaus, aber er hatte nicht viel Erfolg dabei.

Dann sah er Rauch von den Stallungen der Pferde auftauchen.

Die Tiere wieherten verzweifelt, durchbrachen dann das Gatter und galoppierten davon.

Es schien tatsächlich Shorters Absicht zu sein, hier keinen Stein auf dem anderen zu lassen und alles mehr oder weniger dem Erdboden gleich zu machen Die Scheune stand unterdessen auch schon in hellen Flammen.

Dann hörte Lee Schritte in der Nähe des Wohnhauses. Jemand strich um die Holzwände herum.

Auf der Hinterseite war irgendwas los.

Scheiben klirrten.

Vermutlich war einer von diesen Hunde durch das Schlafzimmerfenster ins Haus gekommen. Da war auch schon der Erste von ihnen durch die Tür zur Wohnstube geschnellt.

Aber er zog sich sofort wieder zurück, denn Lee wirbelte augenblicklich herum und verpasste ihm eine Kugel. Der Schuss riss ihn zurück, tötete ihn aber nicht.

Lee hörte, wie der Mann auf der anderen Seite der Tür zu Boden kam, schwer auf die Fußbretter fiel und sich dann wieder hochzurappeln versuchte.

Dann wurde es schwarz vor den Augen des Halbbluts. Er spürte gerade noch den Schlag, der auf seinem Hinterkopf landete.

Es war Matt Grant, der sich von der Seite ans Fenster herangeschlichen hatte. Der Kolben seiner Winchester schickte Lee ins Land der Träume - oder vielleicht auch noch weiter.

Es war ein sehr harter Schlag gewesen. Lee sackte in sich zusammen und sackte dumpf und ohne noch einen Laut von sich zu geben, nieder.

"Alles klar!", rief Matt Grant und wischte sich mit dem Ärmel seiner braunen Jacke über die schweißtriefende Stirn.

"Kommt her, Jungs, es hat sie wohl alle erwischt!"

Der Kerl, der durch das Schlafzimmer gekommen war, wankte jetzt durch die Tür.

Er hielt sich die Seite.

Sein Hemd war blutverschmiert.

Unterdessen sprang Matt Grant mit einem Satz durch das Fenster.

"Wie geht's, Brownie?", erkundigte er sich.

"Dieser Hundesohn hat mir eins verpasst. Aber ich glaube, es ist halb so schlimm, Matt!"

"Kannst du reiten?"

"Ich denke schon." Brownie kam näher heran und drehte Lees reglosen Körper mit dem Fuß herum. "Hast du ihm den Rest gegeben?"

Grant zuckte mit den Schultern, während Shorter, Mulligan und die anderen hereinkamen hereinkamen.

"Ich weiß nicht..."

Roy Mulligan drehte angeberisch seine beiden Revolver um die Zeigefinger und ließ sie dann in den Holstern verschwinden.

Als er Luke O'Kenseys Leiche sah, spuckte er aus.

"Jetzt hat es ihn endlich erwischt, diesen verdammten Verräter!"

"Ja, wegen ihm haben wir Steine klopfen müssen und die besten Jahre unseres Lebens verloren!", brummte Shorter hasserfüllt.

Brownie zog indessen den Colt aus dem Holster und richtete ihn auf den Kopf des wehrlosen Lee Callahan. Bewusstlos und mit geschlossenen Augen lag er auf den Fußbodenbrettern der Wohnstube. Nicht ein Muskel bewegte sich an ihm.

Brownie spannte den Hahn.

"Lass das!", meinte Shorter barsch und Brownie sah ärgerlich von seinem Opfer auf.

"Was soll das? Tut dir dieser rotgesichtige Bastard etwa leid?" Er spuckte aus und in seinen Augen blitzte es kalt.

"Er hat mir eine Ladung Blei verpasst und die tut verdammt weh!"

"Du kannst dir deine Kugel sparen!", meinte Shorter. Er nahm ein Streichholz hervor und riss es mit großer Geste an der Stiefelsohle an.

Dann hielt er es in die Höhe und grinste.

Brownie grinste auch.

"Na gut, eine Einäscherung ist ja auch was Feines!"

Er steckte seinen Revolver zurück in das Holster an seiner Seite und lachte grimmig.

"Hey, warte noch!", meldete sich Roy Mulligan zu Wort.

Shorter verzog den Mund.

"Was ist noch?"

"Bevor wir hier alles anzünden, sollten wir die Schränke durchwühlen. Vielleicht finden wir noch etwas, was sich lohnt mitzunehmen!"

Shorter schüttelte die Hand mit dem Streichholz, so dass es erlosch.

Dann fielen sie wie die Hyänen über die Schubladen der Schränke her, rissen sie heraus, wühlten alles durch und durchsuchten es nach Wertvollem. In einer Büchse fanden sie Mildreds Haushaltsgeld.

Auch die Leichen der O'Kenseys wurden nicht verschont. Sie wurden auseinandergerissen. Shorter sah die Kette einer Taschenuhr an der Weste des toten Kleinranchers. Er riss sie heraus.

Wahrscheinlich echt Gold.

Er ließ sie in seiner Westentasche verschwinden.

Als sie dann endlich fertig waren, zündeten sie alles an.

Dann schwangen sie sich auf die Rücken ihrer Pferde und preschten davon, ohne noch einmal einen Blick zurück zu werfen.

Hinter ihnen stieg eine Säule schwarzen Rauchs gen Himmel.

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Erst war da nichts als Dunkelheit und abgrundtiefe Schwärze.

Dann spürte er den Schmerz. Sein Kopf war ein einziges dröhnendes, pulsierendes Etwas.

Er hustete

Rauch biss in seiner Lunge.

Er hörte es knistern und langsam kehrten die Erinnerungen zurück und die furchtbare Gewissheit, dass nichts davon Traum gewesen war.

Plötzlich fühlte, er wie der rechte Ärmel seines Hemdes Feuer gefangen hatte.

Es tat verdammt weh. Lee stieß einen kurzen, ärgerlichen Schrei aus, schlug mit dem Arm um sich und löschte die Flammen. Aber dieser Schmerz war es letztlich, der ihn wieder an die Oberfläche des Bewusstseins gezogen und ihm damit vielleicht das Leben gerettet hatte.

Er versuchte, sich zu bewegen, blickte auf und sah überall Flammen.

Das Wohnhaus würde nicht mehr zu retten sein. Man würde die Ranch ganz von vorn aufbauen müssen.

Er nahm die Winchester, die eine Handbreit von ihm entfernt lag und kroch etwas vorwärts. Ihm schwindelte und er fühlte sich alles andere als prächtig.

Er räusperte sich und hustete. Ein brennender Balken krachte mit einem fürchterlichen Geräusch hernieder und schlug dicht neben ihm auf. Ein weiterer kam herunter und und noch einer und noch einer.

Der gesamte Dachstuhl schien jetzt Balken für Balken auseinanderzugehen. Es war Lee klar, dass er nicht mehr viel Zeit hatte, seine Sinne zu ordnen und hier heraus zu kommen.

Sonst würde es um ihn geschehen sein.

Er kroch weiter.

Die Körper der O'Kenseys lagen noch immer in der Nähe der Tür, ihre Kleider hatten bereits Feuer gefangen.

Er konnte nichts mehr für sie tun.

Und doch wollte er sie nicht so den Flammen überlassen.

Sie sollten ein ordentliches Begräbnis haben.

Dafür wollte er sorgen.

Aber er würde auch alles in seiner Macht Stehende tun, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für diesen feigen Mord verantwortlich waren.

Lee biss die Zähne aufeinander und kroch Meter um Meter vorwärts. Er nahm den toten Körper Mildred O'Kenseys und zog ihn mit sich. Es war ihm so schwindelig, dass überhaupt nicht daran zu denken war, auf die Beine zu kommen. Er wäre sofort wieder der Länge nach hingeschlagen.

Stück für Stück brachte er hinter sich, aber dann wurde ihm klar, dass er die Toten nicht würde bergen können. Seine Kraft reichte einfach nicht.

Er hörte sein eigenes, erbärmliches Röcheln. Der Rauch war so dicht, dass man kaum Luft bekam. Und dann war er endlich im Freien.

Hinter sich hörte er das Knistern von brennendem Holz. Es ächzte laut, wenn Balken herniedersausten und andere mit sich rissen.

Nicht mehr lange und alles würde wie ein schlecht gebautes Kartenhaus in sich zusammenbrechen.

Lee robbte noch etwas vorwärts.

Er blickte sich kurz um.

Er konnte noch immer die Hitze spüren.

Die Kerle waren natürlich längst über alle Berge. Aber er kannte ihre Gesichter und wusste einige Namen. Das war immerhin ein Anfang, an dem man ansetzen konnte.

Lee atmete tief durch.

Er versuchte, trotz allem auf die Beine zu kommen. Seine Armmuskeln spannten sich. Er knickte aber gleich wieder ein.

Dann lag er reglos im Gras.

Alles drehte sich vor seinen Augen. Dunkelheit senkte sich über ihn; tiefe, bewusstlose Dunkelheit.

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Das Getrappel von Pferdehufen ließ Lee wieder zu sich kommen. Er rieb sich die Augen, kam unter großen Mühen schließlich auf die Beine und taumelte dann einige Meter vorwärts.

Beim Pferde-Corral blieb er stehen und stützte sich am Gatter.

Ein kurzer Blick zum Wohnhaus war deprimierend für ihn. Es brannte zwar kaum noch, aber es würde viel Arbeit erfordern, bis es wieder bewohnbar war.

Hier und dort waren noch kleinere Brandherde zu sehen und der schwarze Rauch stieg nach wie vor in die Wolken.

Er schien jetzt noch schwärzer zu sein als vorher.

Dann sah er die Reiter herankommen.

Lee blinzelte.

Einen der Männer glaubte er zu erkennen. Es war Morris, der Sheriff von Bellfort.

Als sie näher herangekommen waren, erkannte er auch andere Gesichter. Es waren alles Männer aus der Stadt. Er kannte jeden einzelnen von ihnen, wenn er auch nicht behaupten konnte, dass sie seine Freunde waren.

Aber wer mochte schon der Freund eines halben Cheyenne-Indianers sein?

Da gab es nicht allzu viele.

Der Trupp kam heran, die Männer sprangen aus den Sätteln.

Morris erreichte ihn als Erster.

"Hey, Callahan, was ist los? Den Rauch konnte man bis in die Stadt sehen! Ich dachte mir, es könnte nicht schaden, mit ein paar Leuten herbeizukommen, um beim Löschen zu helfen!"

Er blickte sich stirnrunzelnd um. Die Ranch bot ein Bild schlimmster Verwüstung.

Nein, es sah hier nicht wie nach einem Feuer aus, das versehentlich ausgebrochen war!

Schließlich fragte der Sheriff mit deutlichem Misstrauen in der Stimme: "Wo sind die O'Kenseys?"

Unterdessen waren einige der Leute zum ausgebrannten Wohnhaus gelangt. Sie fanden zwei halbverkohlte Leichen. Die Schusswunden waren aber noch erkennbar.

"Hey, Sheriff!"

"Ja, gleich."

"Sie sind tot", erklärte Lee schwach. "Diese Geier haben sie einfach erschossen..."

Morris ging zu den anderen. Als er zurückkam, war sein Gesicht sehr ernst.

"Wissen Sie, wie es da drinnen aussieht, Callahan?"

"Ja."

"Was haben Sie dazu zu sagen?"

Lee erzählte seine Geschichte. Die Männer umringten ihn jetzt. In ihren Gesichtern standen Zweifel und Unglauben, aber das sah Lee zunächst nicht. Er blickte zu Boden und sprach mit fast tonloser Stimme.

"Das ist doch alles gelogen!", meinte plötzlich Dickson, der lange schlaksige Mietstallbesitzer aus Bellfort. Er hatte Lee nie leiden können.

Ein Cheyenne, so hatte er immer behauptet, blieb immer ein Cheyenne, auch wenn nur eine Hälfte von ihm ein Indianer war. Und die Cheyennes kannte er aus den Kriegen, die die Weißen gegen sie geführt hatten. Für Robby Dickson waren sie hinterhältig und falsch. Und Lee Callahan machte da keine Ausnahme.

"Hat irgendjemand von euch diese Kerle gesehen, die hier angeblich einen Überfall verübt haben sollen?", höhnte Dickson. "Wahrscheinlich hat er sich die Sache nur ausgedacht!"

"Warum sollte er das tun?", fragte Lawton, einer der anderen Männer. "Die O'Kenseys haben Lee wie einen Sohn behandelt!"

"Ja!", meinte Dickson. "Und das war vermutlich auch ihr größter Fehler!" Er spuckte verächtlich aus. "Luke hast mir erzählt, dass sie eigens zu einem Notar gefahren sind, um Lee Callahan als Erben einzusetzen! Wisst ihr, was ich glaube, Männer?" Er deutete auf Lee. "Dieser Bastard hat die O'Kenseys umgebracht, weil er es nicht abwarten konnte, hier der Herr im Haus zu sein! Jawohl, so war es! Den Überfall hat er nur vorgetäuscht."

"Hier sind Hufspuren!" Das war der Sheriff. Er sah auf den Grasboden, beugte sich und da kurz nieder und untersuchte einige Stellen mit der Hand.

"Ha!", machte Dickson. "Was erwarten Sie - auf einer Ranch!"

"Das leuchtet ein!", nickte Lawton zustimmend.

Lee fühlte sich benommen. Der Kopf schmerzte noch immer höllisch, von dem Schlag, den er bekommen hatte. Aber er spürte nun, dass sich langsam eine Schlinge um seinen Hals zu legen begann.

Er versuchte den Nebel aus Schmerz und Benommenheit so gut es ging zu vergessen.

"Ich habe die O'Kenseys nicht umgebracht!", sagte er. "Einer der Kerle hatte eine Narbe quer über der Stirn! Es wird sich bestimmt jemand in Bellfort an ihn erinnern!"

"Ich habe einen mit so einer Narbe gesehen!", meldete sich einer der Männer.

"Das sagt gar nichts!", meinte Dickson. "Das dieser Mann existiert, heißt nicht, dass er die O'Kenseys erschossen hat. Vermutlich hat er sich den Kerl seiner auffälligen Narbe wegen ausgeguckt, um ihn später anschwärzen zu können! Jeder würde so jemanden wiedererkennen können, das liegt doch auf der Hand!"

"Und was ist mit dem Schlag auf meinen Schädel?"

"Den könnten Sie sich auch selbst zugefügt haben, Callahan. Oder etwa nicht?"

Die anderen Kerle nickten zustimmend.

"Die O'Kenseys waren nette Leute, die keiner Fliege etwas zu Leide getan haben!"

"So ein perfider Mord!"

"Vermutlich wollte Callahan, dass die Leichen verbrennen, bevor jemand eintrifft!", setzte Dickson hinzu. "Wir sind ihm dazwischen gekommen!"

"Moment!", rief Lee. "Hört mich an! In diesem Lande ist man so lange unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen, ist, oder etwa nicht?"

"Sie müssen zugeben, dass einiges dafür spricht, dass es so gewesen ist, wie Mr. Dickson das gerade dargestellt hat", meinte Morris.

Er trat nahe an Lee heran und musterte ihn abschätzend.

Was geht hinter seiner Stirn vor?, fragte sich Lee.

Es war mehr als ein zynischer Witz, dass man ihn, Lee Callahan, jetzt für den Mörder der O'Kenseys hielt!

"Für Ihre Geschichte gibt es allerdings kaum Anhaltspunkte!", setzte der Sheriff schließlich hinzu. Das kam schon fast einer Art Urteilsverkündung gleich.

"Sie kennen mich, Morris. Seit vielen Jahren."

"Ja, das stimmt, Callahan!"

"Glauben Sie wirklich, dass ich dazu fähig wäre, die Menschen umzubringen, die Vater und Mutter für mich waren?"

Morris zuckte mit den Schultern.

Er blickte zur Seite.

"Ich weiß es nicht", murmelte er.

"Sie müssen ihn festnehmen!", meinte Dickson drängend. "Am besten gleich an den Galgen mit ihm!"

"Jawohl, baumeln soll der Bastard!"

"Hängt ihn!"

Einige der Männer waren ziemlich aufgebracht. Zwar hatten die meisten nicht verstehen können, weshalb die O'Kenseys den jungen Lee damals bei sich aufgenommen hatten, aber das hatte ihrem Ansehen unter den Leuten in der Gegend nie irgendwelchen Abbruch getan.

Sie waren in Bellfort gut geachtet und hatten viele Freunde dort.

Die Stimmung unter den Männern wurde bedrohlich.

Aber Morris gebot diesen aufgebrachten Stimmen mit einer energischen Handbewegung Einhalt.

"Nach dem Gesetz entscheidet ein Richter über solche Angelegenheiten!"

Darauf sagte niemand etwas.

Lee spürte die feindseligen Blicke der Leute fast körperlich. Für sie gab es keine Zweifel mehr.

Ein paar von den Männern grollten leise vor sich hin. Aber Morris war der Sheriff und er hatte es letztlich in diesen Dingen zu sagen. Und das wussten sie.

Morris wandte sich an Lee.

"Sie bekommen einen fairen Prozess, Callahan!"

Sie wechselten nachdenklichen Blick.

Lee ließ ein heiseres, freudloses Lachen hören.

"Pah!", machte er. "Für welches Halbblut hat es so etwas schon einmal gegeben?"

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Einen kurzen Moment lang überlegte Lee, ob er es wagen sollte, den Revolver zu ziehen. Diese Stadtleute waren weit weniger gefährlich, als die finsteren Schurken, die unter Liam Shorters Führung die Ranch in Schutt und Asche gelegt hatten.

Für gewöhnlich waren sie im Umgang mit Waffen nur mittelmäßig geübt. Der Sheriff war eine Ausnahme, aber auch mit dem traute er sich zu, im Notfall fertig zu werden.

Doch insgesamt waren es einfach zu viele. Nüchtern betrachtet hatte er keine Chance, auch wenn er ein besserer Schütze war, als die meisten von ihnen.

Lee brauchte nur in die Gesichter dieser Männer zu sehen, um zu wissen, dass einige von ihnen mit Freude und Genugtuung jede Gelegenheit wahrnehmen würden, um ihm ein paar Bleikugeln in den Körper zu jagen.

Und wenn das Gesetz sogar noch auf ihrer Seite war: um so besser!

Nach Selbstmord stand Lee nicht der Sinn, deshalb ließ er die Waffe stecken.

Aber selbst wenn er es geschafft hätte, sie alle zu überwinden... Was kam dann?

Eine heillose Flucht ins Nirgendwo?

Lee wurde klar, dass man ihm das als Eingeständnis seiner Schuld anrechnen würde. Nicht lange und sein Kopf würde sich auf Steckbriefen wiederfinden. Und dann würden die Leute noch weniger geneigt sein, ihm seine Geschichte abzukaufen.

Er dachte an Madeleine.

An ein Leben mit ihr war unter solchen Umständen nicht zu denken. Ohne sie, wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen, aber so, wie die Dinge lagen, musste er in den sauren Apfel beißen.

So ließ er sich ohne Widerstand von Morris abführen und in die einzige Zelle des Gefängnisses von Bellfort bringen.

Es konnte einige Zeit dauern, bis der Richter kam. Aber vielleicht würde der für ihn Gerechtigkeit bringen.

Vielleicht auch nicht.

Die Geschworenen würden jedenfalls aus Bellfort und Umgebung kommen.

Lee musste davon ausgehen, dass ganz gleich, wie Jury zusammengesetzt war - ihn die meisten nicht mögen würden.

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Am nächsten Tag bekam er gegen Mittag Besuch.

Es war Madeleine.

Ihr Vater hatte ihr gestattet, zusammen mit ihrer Mutter in die Stadt zu fahren, um Besorgungen zu machen. Sie hatte sich kurz davonstehlen können.

"Oh, Lee!", rief sie aus. "Die ganze Stadt redet über dich!"

"Ich weiß, Madeleine!"

"Ich kann nicht glauben, was sie über dich sagen!" Sie schüttelte sehr energisch den Kopf und fasste durch die Gitterstäbe nach seiner Hand. "Ich glaube es einfach nicht!"

"Es ist auch nichts davon wahr!"

Lee erzählte ihr seine Version der Geschichte und sie nickte.

"Ich glaube dir", sagte sie, ohne einen Augenblick zu zögern. "Ich liebe dich und weiß, dass ich dir vertrauen kann."

Lee Callahan lächelte schwach.

"Es ist gut, das zu wissen. Leider werden die Geschworenen wohl nicht so leicht zu überzeugen sein wie du!"

"Kann ich irgendetwas für dich tun, Lee?"

Er zuckte mit den Schultern.

"Nein", sagte er dann. "Ich glaube nicht." Dann umklammerte er in ohnmächtiger Wut die Gitterstäbe. "Wenn ich nur nicht in diesem verdammten Käfig eingesperrt wäre!"

"Oh, Lee, wenn ich dir nur helfen könnte..."

"Das einzige, was mir helfen könnte, wäre, wenn die wahren Täter gefasst und überführt würden..."

Die Tür, die das Sheriff-Büro vom Zellentrakt trennte, öffnete sich in diesem Moment und Sheriff Morris trat ein.

"Ma'am..."

"Ist die Zeit um, Sheriff?"

"Ich fürchte ja. Ich muss rüber, zum Drugstore und ich möchte Sie ungern allein hier mit dem Gefangenen lassen..."

Sie nickte.

"Ja", sagte sie. "Das verstehe ich."

In Wahrheit verstand sie gar nichts.

Sie wusste nur eines: Lee Callahan war unschuldig. Das stand für sie so fest, wie das Amen in der Kirche.

"Ein Mann wie Lee ist nicht fähig dazu, seine Pflegeeltern zu ermorden - nur einer Erbschaft wegen!", stieß sie dann in Richtung von Morris aus.

Dieser zuckte mit den Schultern.

"Ich habe schon so viele Mörder gesehen, die den Eindruck machten, als wären sie lammfromm und könnten keiner Fliege was zu Leide tun... Urteilen Sie nicht nach dem äußeren Anschein!"

Sie hob stolz den Kopf.

"Sie auch nicht, Sheriff!", versetzte sie spitz. "Sie auch nicht!"

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Es war Abend geworden. Die Cowboys kamen nach und nach von den umliegenden Ranches, um die paar Dollars in ihren Taschen zu vertrinken und so war es mittlerweile ziemlich voll im Saloon geworden.

Slimmy Harris, dem vierschrötigen Barkeeper mit der dem unbändigen roten Haarschopf, gefiel es so. Das Geschäft ging gut. Er kam mit dem Einschenken von Whisky und Bier kaum nach.

Es kam nicht oft vor, dass in einem kleinen Nest wie Bellfort etwas geschah, was es wert war, vermerkt zu werden.

Doch heute war etwas passiert, was die Gemüter am Schanktisch erhitzte.

"Hey, habt ihr schon von dieser Sache mit den O'Kenseys gehört?"

"Schreckliche Geschichte."

"Da haben die diesen Bastard nun jahrelang großgezogen und wie dankt er ihnen das? Indem er sie zur Hölle jagt!"

"Die Cheyenne-Seite war eben doch stärker in ihm."

"Verdammt, ich habe Luke damals gewarnt, als er den Bengel zu sich genommen hat! Ich habe ihn gewarnt! Callahan war schon als kleiner Knirps ein falscher Hund! Und er hat sich nie geändert! Nie!"

Jemand rülpste ungeniert.

"Ich mochte Callahan von Anfang an nicht!"

Die Männer standen der Theke beisammen und mit jedem Glas Whisky lockerten sich ihre Zungen um so mehr.

Robby Dickson saß etwas abseits an einem Tisch, vor sich ein halbleeres Whisky-Glas. Als er hörte, worüber die Männer an der Theke redeten, gesellte er sich zu ihnen.

"Wenn ihr mich fragt, dann haben die O'Kenseys damals einen schweren Fehler begangen, als sie den weiten Weg nach Green River City zu einem Notar machten!"

Ein bärtiger Mann mit langen, strähnigen Haaren nickte.

"Klar, wenn sie ihn nicht als Erben eingesetzt hätten, dann hätte es sich für Callahan auch nicht gelohnt, die O'Kenseys umzubringen!"

"Genau!"

"Ein verdammter Aasgeier, diese Rothaut!"

Dann durchdrang erneut Robby Dicksons sonore Stimme das allgemeine Gerede.

"Ich bin dafür, dass dieses Halbblut noch heute aufgehängt wird!", rief er und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. "Noch heute, verdammt noch mal!"

Die Männer blickten zu ihm herüber und hörten interessiert zu.

Aber schon nach wenigen Augenblicken meldeten sich die ersten, die lauthals zustimmten.

"Ein abscheuliches Verbrechen!", meinte einer von ihnen.

"Für so etwas gibt es nur eine Strafe: Den Galgen!"

"Hey, hey, das ist Sache eines Richters!", wandte der Barkeeper ein.

"Pah!", machte Dickson spöttisch. "Wie lange wird es dauern, bis der Bezirksrichter endlich einmal Zeit findet, hier vorbei zuschauen!" Er schlug nochmals mit der Hand auf den Schanktisch, diesmal so heftig, dass der Whisky aus den Gläsern spritzte. "Bis dieser Richter kommt, hat Lee Callahan einen langen, weißen Bart!"

Die Männer fielen brüllendes Gelächter.

In dieser Art ging es noch eine ganze Weile lang weiter.

Dann kam einer auf die glorreiche Idee, vor das Sheriff-Büro zu ziehen und zu verlangen, dass der Gefangene aufgeknüpft wurde.

"Wozu warten!", meinte einer. "Die Schuld dieses Cheyenne steht doch fest!"

"Jawohl! Zum Teufel mit diesen langwierigen Prozeduren!"

"Hat einer von euch einen Strick dabei, Männer?", fragte Dickson, dem die Entwicklung, die das Gespräch genommen hatte, nur recht war.

"An meinem Sattel ist ein Lasso!", meinte einer der Cowboys.

"Los! Zum Sheriff-Büro!"

"Jawohl! Gehen wir!"

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Draußen war es schon fast dunkel geworden.

Sheriff Morris saß in seinem Büro bei einer Tasse Kaffee und hörte es auf der Main Street rumoren.

Stimmen drangen von dort herein, wütende, aufgebrachte Männerstimmen. Morris ahnte, dass das nichts Gutes bedeuten konnte.

Er nahm den Revolvergurt vom Haken und schnallte ihn sich um die Hüften. Er hoffte, dass alles friedlich abging, aber in solchen Situationen konnte man das nie vorhersehen.

Selbst dann nicht, wenn die Leute vor der Tür allesamt seine Freunde und Bekannten waren.

Morris ging zur Tür und öffnete sie.

Er blieb kurz im Rahmen stehen und trat dann zwei Schritte hinaus.

Dort waren sie alle: Dickson, Lawton, und all die anderen Männer, die er kannte und mit denen er befreundet war.

Morris hoffte, dass er nicht auf sie schießen musste.

Als die Männer ihn sahen, verstummten sie für kurze Zeit.

Der Sheriff hatte die Daumen hinter die Schnalle seines Revolvergurts geklemmt und stand breitbeinig da. Schon diese Haltung sollte ihnen deutlich machen, dass er nicht gewillt war, auch nur einen von ihnen durchzulassen.

"Was liegt an, Männer?", fragte Morris gelassen. Die Leute tauschten ein paar ratlose Blicke untereinander. Dann brach es aus ihnen heraus.

"Das Halbblut soll hängen!"

"Jawohl, Sheriff! Warum noch auf den Richter warten und ihn so lange auf Kosten der Stadt durchfüttern?"

"Verdammt, an den Galgen mit ihm!"

"So ein perfider Mord! Das darf nicht ungesühnt bleiben!"

Morris hob die Hand und gebot ihnen damit Einhalt.

Zufrieden stellte er fest, dass er noch einen Rest von Autorität bei ihnen zu genießen schien.

"Noch ist nicht erwiesen, ob Lee Callahan wirklich der Mörder der O'Kenseys ist", stellte Morris fest. "Er ist ein Verdächtiger und damit der sich nicht aus dem Staub macht, sitzt er hier bei mir im Loch! Aber aufgehängt wird er erst, wenn ein Richter und eine Geschworenen-Jury zu einem Urteil gekommen sind!"

"Lass uns vorbei, Morris!", rief Dickson. "Wir haben ein Strick und werden deinen Schützling jetzt am nächsten Baum aufknüpfen, ob dir das nun passt oder nicht!"

"Jawohl!"

"Das Urteil steht sowieso fest!"

"Vorwärts, Männer!"

"Halt!"

Morris hatte blitzschnell zum Revolver gegriffen, die Waffe aus dem Holster gerissen und abgefeuert.

Dickson war als Erster herangestürmt. Die Kugel schlug dicht vor seinen Füßen in den Boden ein und wirbelte Staub zu einer kleinen Fontäne auf.

Der Mietstallbesitzer erstarrte augenblicklich und auch von den anderen Männern bewegte sich im Moment niemand.

"Jeder, der versucht, hier herein zu kommen, bekommt von mir eine Kugel!"

Dickson schluckte. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass Morris es dermaßen ernst meinte.

"Wie können Sie sich vor einen Mörder stellen!", schimpfte er und spuckte verächtlich vor ihm aus. Morris nahm das gelassen hin. Dickson war ein Hitzkopf, der würde sich auch wieder beruhigen, so glaubte er.

"Gegen uns alle kommen Sie nie an, Morris!", rief jemand anderes. "Sie haben keine Chance! Also machen Sie den Weg frei!"

Das war nichts anderes, als eine ungeschminkte, nackte Drohung und der Sheriff begann zu ahnen, dass jetzt eine kritische Phase eintrat.

"Freunde...", sagte Morris fast verzweifelt. "Wir haben uns immer gut verstanden. Ich möchte nicht, dass es dazu kommt, aber wenn doch, dann werden einige von euch ins Gras beißen müssen..."

Er hielt noch immer den Revolver in der Hand, der noch dem ersten Warnschuss, den er abgegeben hatte, rauchte.

Mit den Augenwinkeln sah er dann einen der Kerle ein Gewehr heben und in Anschlag bringen.

Morris wirbelte zur Seite und war schneller. Er verpasste ihm eine Kugel in die Schulter. Der Schuss, der sich daraufhin aus Gewehr des Mannes löste, schlug irgendwo mehr oder weniger ungezielt in die Bretterwände des Sheriff-Büros ein.

Die anderen waren wie gelähmt, während der Getroffene laut vor Schmerz aufschrie und die Waffe seiner Hand entglitt und zu Boden polterte.

Mit dem Revolver in der Hand musterte Morris die Männer.

Diese blickten zu Boden.

"Ich habe gut gezielt!", erklärte der Sheriff dann. "Curley wird den Treffer überleben, bei dem nächsten, der irgendwelche Dummheiten versucht, kann ich für nichts garantieren!"

Gemurmel entstand unter den Leuten.

Sie waren verärgert.

"Bis Morgen früh geben wir Ihnen Zeit, Sheriff! Entweder, es gibt dann eine zünftige Hinrichtung, oder..."

Dickson stockte und schluckte.

"Oder was, Robby?", fragte Morris kalt.

"Oder wir stürmen dein verdammtes Gefängnis und holen uns den Kerl!"

"Jawohl!", rief einer der anderen. "Wir holen uns Dynamit von den Minen und sprengen alles in die Luft!"

Fäuste wurden geballt. Die Männer zogen wütend ab und Morris atmete auf.

"Bis morgen, Sheriff!"

"Ja, bis morgen!"

"Dafür werden Sie noch zahlen, Morris!", Das war der angeschossene Curley, der mit einiger Mühe sein Gewehr vom Boden aufhob und mit den anderen davonzog.

Als die Leute in der Dunkelheit verschwunden waren, wandte sich Morris wieder zur Tür.

Eine verfahrene Situation, dachte er.

Gegenwärtig hatte er keinen Deputy.

Er konnte unmöglich Tag und Nacht auf den Gefangenen aufpassen, wie ein Kindermädchen. Aber Dickson und die anderen würden wiederkommen, dass fühlte er. Zu tief war der Hass in ihnen.

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Lee war durch Krach auf der Straße geweckt worden.

Er hatte sich von seiner Pritsche erhoben und versucht, durch das kleine vergitterte Fenster etwas zu erkennen.

Aber das Geschehen spielte sich offenbar auf der anderen Seite des Hauses ab und so sah er gar nichts. Er hörte nur die wütenden Stimmen der Männer.

Jener Männer vor allem, die ihn noch nie hatten leiden können und die ihn jetzt um jeden Preis hängen sehen wollten.

Für sie war er ein gemeiner Mörder, der die Menschen umgebracht hatte, die am meisten für ihn getan hatten. Und sie machten sich nicht einmal die Mühe, ernsthaft über seine Lees - Version der Ereignisse nachzudenken.

In diesem Augenblick ging die Tür auf, die den aus Stein gebauten Gefängnistrakt von dem in Holz gehaltenen Sheriff-Office trennte.

Morris trat ein.

Sein Gesicht war ernst.

Lee fühlte fast so etwas wie Respekt vor dem Sternträger.

Morris hatte Lee nie besonders gemocht, darin unterschied er sich nicht von den anderen Leuten in Bellfort. Sein Vater war von Cheyenne-Indianern getötet worden und das hatte er allen Cheyenne und allen Rothäuten bis heute nicht verzeihen können.

Aber trotz alledem war Morris immer fair zu ihm gewesen und das schätzte Lee an ihm.

Und jetzt hatte er ihm das Leben gerettet und sich selbst damit in eine schwierige Situation gebracht. Das war ihm hoch anzurechnen.

Höher als persönliche Abneigungen standen für Morris die Gesetze, denen er verpflichtet war.

"Haben Sie mitgekriegt, was draußen vor sich gegangen ist, Callahan?", fragte Morris.

Lee nickte.

"Ja", sagte er. "Es war unüberhörbar."

"Die wollen Sie aufhängen!"

"Das wollten sie vorhin schon." Lee zuckte mit den Schultern. "Aber Sie sind ja ein integerer Mann, Sheriff..."

Morris ließ ein heiseres Lachen hören.

Dann bemerkte er rau: "Ja, Callahan, aber ich glaube nicht, dass Sie das allein auf die Dauer schützen wird! Morgen früh wollen die Kerle wiederkommen, um Sie baumeln zu sehen!"

Lee fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und überlegte.

Seine Lage war mehr als verzweifelt.

Das Ende schien nahe und jede Minute, die verrann, schien es unwiderruflich näher zu bringen.

Was konnte ihn jetzt noch retten? Es war schließlich nicht zu erwarten, dass Liam Shorter plötzlich nach Bellfort zurückkehrte, weil ihn die Reue gepackt hatte, um sich zu stellen und zu sagen: "Hey, Leute, ihr habt euch geirrt! Ich war's!"

Morris bedachte Lee mit ernsten Blick.

"Sie bleiben bei ihrer phantastischen Geschichte, Lee?"

"Ja. Es ist nicht mehr und nicht weniger, als die Wahrheit!"

"Die Umstände sprechen gegen Sie."

"Ich weiß", sagte Lee gelassen. "Und ich weiß auch, dass ich daran nichts ändern kann, solange ich in diesem verdammten Käfig sitze." Er umfasste wütend die Gitterstäbe. "In der Zwischenzeit reiten diese Hunde, die wahren Schuldigen über alle Berge Sheriff! Das ist es, was mich am meisten ärgert!"

"Hm..."

Morris wirkte nachdenklich.

"Fragen Sie Slimmy Harris, den Barkeeper! Die Kerle sind in den Saloon gegangen, bevor sie bei der Ranch auftauchten! Sie werden sich bei Slimmy nach dem Weg erkundigt haben! Und an einen Mann mit einer Narbe quer über der Stirn - daran wird Slimmy sich erinnern!"

Morris runzelte die Stirn, so als wüsste er nicht so recht, was er von Lee Callahans Worten zu halten hatte. Jedenfalls waren ihm Zweifel gekommen, ob alles so seine Richtigkeit hatte.

Er wandte sich zur Tür.

"Gute Nacht, Callahan."

Dann verschwand er wieder im Büro.

Lee hörte ihn eine Winchester durchladen und nervös auf und ab laufen. Er schien nachzudenken; verzweifelt nachzudenken, wie er diese verfahrene Lage auflösen konnte.

Mehrere Stunden lang geschah gar nichts.

Natürlich war unmöglich für Lee, Schlaf zu finden. Er blickte hinaus durch das vergitterte Fenster und sah ein paar Sterne funkeln.

Er besaß keine Uhr, aber sein innerer Zeitsinn sagte ihm, dass es jetzt bereits weit nach Mitternacht sein musste.

Dann hörte er, wie der Sheriff das Office verließ. Wo mochte hingehen? Wollte er sich einfach aus dem Staub machen und ihn den Hyänen überlassen? Augen zu. Nichts sehen und nichts hören.

Natürlich!, dachte Lee. Das wäre das Einfachste für ihn.

Aber so kannte er Morris nicht.

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Als Morris zurückkehrte, war Lee dann doch etwas eingenickt. Die ruckartige Bewegung, mit der der Sheriff die Tür zum Gefängnistrakt öffnete, ließ ihn ein wenig hochschrecken.

Lee blinzelte, dann begegneten sich ihre Blicke. Morris wirkte entschlossen.

Er hatte den Zellenschlüssel dabei, steckte ihn ins Schloss und drehte ihn herum.

"Was machen Sie da?", fragte Lee überflüssigerweise.

Morris gab darauf keine Antwort.

Er öffnete einfach die Zellentür und bedeutete Lee mit einer Handbewegung, aus seinem Eisenkäfig herauszukommen.

"Ich war kurz bei Slimmy", erklärte er. "Er war ziemlich wütend, weil ich ihn aus dem Schlaf geweckt habe. Aber immerhin hat er den Kerl mit der Narbe gesehen."

"Hat er nach O'Kensey gefragt?"

"Ja. Und er hat ziemlich wüst über ihn geschimpft und alles Mögliche angedroht. Slimmy hat das für nicht so wichtig gehalten."

"Dann glauben Sie mir jetzt?"

"Nun, ich denke, dass Ihre Story nun etwa ebenso plausibel ist wie die, an die ich bisher geglaubt habe!"

Lee verzog den Mund.

"Ich schätze, im Moment hilft mir das nicht viel."

"Kommen Sie mit mir, Callahan!"

"Was haben Sie vor?"

"Das werden Sie gleich sehen. Es ist das erste Mal in meiner ganzen Zeit als Sheriff, dass ich so etwas mache. Das erste Mal! Aber ich sehe keine andere Möglichkeit..."

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Lee folgte Morris ins Sheriff-Office, in dem ein schwaches Licht brannte. Morris holte Lees Revolvergurt aus der Schublade des Schreibtischs und legte ihn auf die Tischplatte.

"Hier", sagte er. "Nehmen Sie das!"

"Sie lassen mich laufen?"

"Draußen vor der Tür steht ein gesatteltes Pferd. Im Sattel steckt eine Winchester. Steigen Sie in den Sattel und sehen Sie zu, dass Sie fortkommen."

Lee schnallte sich den Revolvergurt um.

Er fühlte sich besser jetzt. Nicht mehr so ohnmächtig und einem blinden Schicksal hilflos ausgeliefert. Jetzt konnte er selbst in die Sache eingreifen.

"Ich werde die Mörder stellen. Die wahren Mörder! Nur auf diesem Wege lässt sich vermutlich meine Unschuld beweisen!"

Morris zuckte mit den Schultern.

"Tun Sie,was Sie wollen, Callahan. Jedenfalls wird man Sie ab morgen jagen wie einen Coyoten."

Lee zögerte einen Moment.

"Wen ich jetzt verschwinde, dann werden alle denken, dass ich es wirklich war. Alle werden es als Eingeständnis meiner Schuld ansehen..."

Morris winkte ab.

"Ich finde das ist das kleinere Übel. Im anderen Fall sind Sie vielleicht morgen früh schon ein toter Mann!"

Lee ging zur Tür.

Kurz bevor er hinausging, fragte er den Sheriff noch: "Warum tun Sie das, Morris?"

Er verzog den Mund.

"Kann Ihnen doch egal sein, oder? Sie haben die Chance, Ihre Haut zu retten. Damit sollten Sie zufrieden sein, Callahan!"

"Es interessiert mich aber."

"Also gut: Ich möchte nicht das Blut eines Unschuldigen an den Fingern kleben haben! Ich weiß nicht, ob Sie wirklich unschuldig sind, Callahan. Vielleicht ist das auch ein verdammter Fehler, den ich hier mache und es wäre besser, ich würde Sie den Schakalen überlassen. Aber es besteht ja immerhin die Möglichkeit, dass Ihre Geschichte stimmt." Er zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn mir Slimmy Harris etwas anderes erzählt hätte..."

"Danke, Sheriff!"

Morris winkte ab.

"Bevor Sie mir danken, sollten sie erst einmal abwarten, was Ihnen alles noch bevorstehen kann!"

Lee öffnete die Tür und ging hinaus.

Die Nacht war kühl, am Himmel blinkten die Sterne. Es war ein gutes Pferd. Mochte der Teufel wissen, wo Morris es so schnell herbekommen hatte.

Lee konnte das im Moment gleichgültig sein.

Er schwang sich in den Sattel und preschte in die Dunkelheit davon.

Morris sah ihm nach; sah, wie Lee Callahan von der Finsternis verschluckt wurde und fragte sich, ob es nicht doch ein Fehler war, ihn laufen zu lassen.

Er würde den Leuten am Morgen ein schönes Märchen erzählen müssen. Aber da hatte er keine Sorge. Ihm würde schon etwas Passendes einfallen.

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Lee Callahan hetzte seinen Gaul durch die sternklare Nacht.

Die sanften, grasbewachsenen Hügel waren im hellen Mondlicht dunkle, formlose Erhebungen.

Die Häuser von Bellfort waren längst in seinem Rücken verschwunden.

Plötzlich zügelte er sein Pferd und stoppte.

Ihm war klar, dass er zunächst einfach nur ziellos davongeeilt war. Aber jetzt musste er seinen Verstand gebrauchen.

Er wollte Shorter und seine Komplizen stellen.

Er konnte nur raten, wohin sie sich gewandt haben mochten.

Das Risiko, nochmals in Bellfort aufzutauchen, waren sie jedenfalls nicht eingegangen.

Die nächste Stadt hieß Caldwell und lag südwestwärts, hinter den Bergen. Fast einen halben Tag brauchte man bis dahin.

Vielleicht waren Shorter und seine Meute dorthin geritten.

Lee fasste den Entschluss, sich dort einmal umzuhören.

Es wäre logisch, wenn sie sich nach Caldwell gewandt hätten, dachte Lee.

Dort gab es den nächsten Doc. Die Bande hatte schließlich ein paar Verletzte bei sich.

Aber selbst wenn er sie dort nicht vorfinden würde, so hatte er doch wenigstens ein paar Meilen zwischen sich und seine Verfolger gelegt.

Ein Mann mit einer Narbe, wie Shorter sie hatte, fiel überall auf.

Wenn die Kerle also durch Caldwell gekommen waren, dann würde sich das feststellen lassen.

Lee kannte den Weg einigermaßen. Er war schon ein paar Mal dort gewesen und glaubte, ihn auch bei Nacht finden zu können.

Dann dachte er an Madeleine.

Nein, überlegte er. Er konnte sich nicht einfach so davonmachen, ohne ihr eine Nachricht zukommen zu lassen und sich von ihr zu verabschieden. Schließlich wusste er nicht, wie lange er auf der Flucht sein würde und wann sie sich wiedersehen konnten.

Er musste zu ihr gelangen!

Lee überlegte kurz.

Es war jetzt tiefste Nacht. Alles schlief jetzt.

Kaum anzunehmen, dass von McGregors Cowboys noch einer auf den Beinen war.

Und wenn er sich nicht allzu lange aufhielt, war sein Vorsprung immer noch groß genug.

Kurz entschlossen riss er sein Pferd herum und machte sich auf in Richtung der McGregor-Ranch.

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Wenig später tauchten schattenhaft die Gebäude der McGregor-Ranch auf.

Lee sah die Umrisse des großzügigen Wohnhauses. Daneben die Pferdeställe, die Scheunen und die Baracken der Mannschaft.

Es war ein prächtiges Anwesen, angelegt auf einer Anhöhe, von der aus man bei Tag das gesamte Umland übersehen konnte.

Lee kam vorsichtig heran.

Frühzeitig stieg er aus dem Sattel und führte das Pferd am Zügel hinter sich her.

Er durfte nicht zu viel Lärm machen, sonst hatte er nicht nur ein Aufgebot aus Bellfort im Nacken, sondern zusätzlich noch zwei Dutzend raue Cowboys der McGregor-Mannschaft. Und dann war er am Ende gar noch schneller am Galgen, als wenn er in der Zelle bei Morris geblieben wäre!

Lee machte das Pferd in der Nähe des Wohnhauses an einem Strauch locker fest.

Er wusste, wo sich Madeleines Zimmer befand.

Er nahm sich einen kleinen Stein vom Boden und warf ihn gegen ein bestimmtes Fenster im Obergeschoss. Es geschah nichts.

Er versuchte es ein zweites Mal.

Dann, nach ein paar Augenblicken, erschien eine Gestalt in einem weißen Nachthemd am Fenster.

Es war Madeleine.

Sie schob mit raschen Bewegungen das Fenster hoch.

"Lee!"

"Ich habe nicht viel Zeit, Madeleine!"

"Warte, ich komme 'raus!"

Es dauerte keine halbe Minute und Lee hörte ein Geräusch beim großen Portal. Die Tür ging auf, Madeleine kam herausgerannt. Sie rannte ihm direkt in die Arme. Lee erzählte ihr in knappen Worten, was passiert war. Ehe sie etwas dazu erwidern konnte, sagte er dann: "Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden, Madeleine!"

"Verabschieden? Was soll das heißen? Wann kommst du zurück?"

"Ich weiß es nicht."

"Lee, ich komme mit dir!"

"Nein, das geht nicht!"

"Warum nicht?"

"Weil ich es nicht will, deshalb!" Er machte eine hilflose Geste.

"Madeleine, dies ist eine böse Geschichte, in die ich dich nicht mit hineinziehen möchte. Das muss ich allein zu Ende bringen."

"Was hast du jetzt vor?"

"Ich folge den Männern, die die wahren Schuldigen sind!"

"Wenn ich dir irgendwie helfen kann..."

"Nein..."

"Lee, ich liebe dich."

"Das zu wissen, bedeutet mir schon eine ganze Menge." Er drückte sie an sich.

"Ich werde auf dich warten, Lee."

Dann lösten sie sich voneinander.

Nur widerstrebend gab sie ihn frei. Er lief zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel.

Ein letztes Mal blickte er zurück, sah, wie sie ihm zuwinkte.

Dann riss er das Pferd beim Zügel und preschte davon. Schon wenige Augenblicke später war er in der Dunkelheit verschwunden.

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Madeleine hatte die vergangene Nacht über kaum eine Auge zugedrückt.

Die ganze Zeit über, diese vielen langen Stunden, bis der Morgen endlich graute, waren ihre Gedanken bei Lee gewesen.

Sie schien die einzige weit und breit zu sein, die ihm seine Geschichte abkaufte, ja, die überhaupt bereit dazu war, ihm wirklich zuzuhören und ernstzunehmen, was er sagte.

Sie glaubte an seine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit.

Die Sonne war aufgegangen und ihre Strahlen hatten bereits die Nachtkühle vertrieben.

Sie sah vom Portal des Ranch-Hauses aus hinaus auf das Weideland der McGregors.

An einem klaren, sonnigen Tag wie heute, hatte man eine gute Sicht.

Von weitem sah sie einen Reitertrupp herankommen.

Erst schienen sie kaum mehr als keine, sich bewegende Punkte zu sein, aber sie wurden rasch größer.

In diesem Moment tauchte hinter ihr der alte McGregor auf, ihr Vater. Er stellte sich neben sie und ließ ebenfalls den Blick über das Land schweifen.

Über sein Land.

Es war sein kleines Königreich und er war stolz darauf.

McGregor wandte seiner Tochter einen nachdenklichen Blick zu. Er kannte sie gut genug, um, zu ahnen, was in ihrem Kopf vor sich ging.

"Du denkst an Callahan, nicht wahr?"

Sie machte einen etwas trotzigen Eindruck und antwortete nicht. So fuhr der Rancher schließlich fort: "Ich verstehe, dass es schwer ist, begreifen zu müssen, das man sich in einem Menschen getäuscht hat..."

"Ich habe mich in Lee nicht getäuscht!"

"Er hat seine Pflegeeltern umgebracht! Das ist eine Tatsache!"

"Nein, Dad, das ist keine Tatsache! Es ist das, was alle glauben wollen, weil ihnen seine Haut nicht passt!"

McGregor machte eine Pause.

Madeleine sah kurz zu ihm hin und bemerkte sein wütendes, rot angelaufenes Gesicht. Aber er versuchte redlich sein Temperament zu zügeln.

"Er ist ein Cheyenne, Kind", gab er dann zu bedenken.

"Ein Cheyenne? Er ist ebenso wenig ein Cheyenne, wie du einer bist, Dad! Seine Mutter, die ihn die ersten Jahre großgezogen hat, bevor sie an einer Krankheit zu Grunde ging, war eine Weiße! Er hat in seinem ganzen Leben kein Cheyenne-Tipi betreten!" Ihre Augen funkelten angriffslustig.

Sie muss mein Temperament geerbt haben!, durchfuhr es McGregor aufgebracht.

"Aber selbst wenn er ein Cheyenne wäre, wie du ihn dir vorstellst - vielleicht mit Federschmuck und Kriegsbemalung - hätte er nicht ein Recht darauf, so fair behandelt zu werden, wie jeder andere?"

McGregor schnaubte wütend.

Und dann hatte er keine Gelegenheit mehr, ihr zu antworten, denn inzwischen war Reitertrupp herangekommen.

Es war Morris, der Sheriff. Ihm hinterdrein ritt ein Trupp von Bürgern aus Bellfort.

Jeder konnte sofort sehen, dass es sich um ein Aufgebot handeln musste.

McGregor runzelte die Stirn.

Es musste etwas geschehen sein!, überlegte er.

Madeleine hingegen wusste im Voraus, was jetzt folgen würde.

Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie sich die Leute aus Bellfort jetzt die Mäuler zerrissen.

"Lee Callahan ist aus dem Gefängnis verschwunden!", kam es prompt aus Dickson heraus, der seinen Mund einfach als Erster offen hatte; noch bevor Morris selbst etwas sagen konnte.

"Sheriff Morris hat gesagt, der Bastard hätte wohl irgendetwas bei sich gehabt, womit man ein Schloss öffnen kann... Dann hat er dem Sheriff eins über den Kopf gegeben... Und jetzt ist er weg! Über alle Berge wahrscheinlich, wenn ich das richtig einschätze." Er zuckte mit den Schultern. Ich hoffe, dass wir den Halunken wieder einfangen und ihn seiner gerechten Strafe zuführen!"

"Lee ist kein Halunke!", beharrte Madeleine fest. Sie sagte das im Brustton tiefer Überzeugung und das ließ McGregor dann doch die Stirn runzeln.

"Du nimmst ihn noch immer in Schutz? Selbst nach dieser furchtbaren Sache?" Dann sah der Rancher aufgebracht zu Morris. "Warum kommen Sie hier her, wenn Sie Callahan suchen." Er zog die Augen zusammen und machte sie jetzt sehr schmal. Es schien ihm etwas zu dämmern, etwas, dass ihm überhaupt nicht gefiel! "Sie... Sie denken, dass er hier sein könnte?"

"Offen gestanden: Ja."

"Denken Sie, ich würde einen Mörder decken, Morris?"

Der Sheriff schüttelte den Kopf.

"Sie nicht, Sir."

Er blickte zu Madeleine.

McGregor verzog das Gesicht.

"Ich könnte das als persönliche Beleidigung nehmen, Morris!"

Der Sheriff zuckte nur mit den Schultern.

"Hätte doch sein können, dass er hier vorbeigeritten ist oder sich irgendwelche Hilfe erhofft hat!"

McGregor ballte die Hände zu Fäusten.

"Wie Sie sehen, ist er nicht hier! Sie können meinetwegen das Haus auf den Kopf stellen! Ich bin selber daran interessiert, dass dieser Mörder so schnell wie möglich dingfest gemacht wird!"

Morris nickte versöhnlich.

"Wenn Sie wollen, dann steigen Sie auf ihren Gaul und kommen mit uns!"

McGregor überlegte keine Sekunde.

"Genau das werde ich tun!", rief er grimmig.

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Lee Callahan war die ganze Nacht über scharf geritten, als schließlich der Morgen graute.

Nicht mehr lange und eine blutgierige Meute würde sich auf den Weg machen, um ihn zu suchen und zur Strecke zu bringen.

Aber er war wild entschlossen, es ihnen so schwer wie möglich zu machen.

Lee hatte nicht eine einzige Pause eingelegt. Die Hufe seines Pferdes ließen ihn über die grasbewachsenen Hügel fliegen.

Stunde um Stunde verging.

Die sanften Hügel gingen langsam in Bergland über.

Schroffe Felsen ragten aus dem Gras heraus. Jetzt, bei Dunkelheit waren es kaum mehr als drohende, finstere Umrisse.

Es war nachts schwierig, sich in dieser Gegend nicht zu verirren.

Lee war nicht allzu oft hier gewesen.

Nur manchmal, wenn sie ausgezogen waren, um Holz zu schlagen, dann war er mit Luke O'Kensey hier hergekommen und sie hatten sich ein paar schöne Bäume ausgesucht.

Als diese Erinnerungen, diese Bilder aus glücklicheren Tagen, vor seinem inneren Auge abliefen, ballte er unwillkürlich die Hände zu Fäusten.

Diese Schurken hatten kein Recht gehabt, dies alles einfach mit ein paar Bleikugeln zu zerstören!

Aber Shorter und seine Leute würden nicht so davonkommen, dafür würde er schon sorgen!

Lee Callahan hatte einen tiefen Glauben an die Gerechtigkeit und daran, dass sie sich letztlich durchsetzen würde selbst wenn es im Moment nicht danach aussah.

Er gönnte weder sich noch dem Pferd irgendeine Pause, denn er wusste, dass er sich das nicht leisten konnte.

Als der Morgen graute, hatte er die Bergkette überquert.

Das Land dahinter war deutlich karger, fast eine Einöde.

Lee wusste nicht, was der neue Tag für ihn bringen würde, aber er hoffte, dass die Verfolger nicht allzu schnell auf seine Spur stießen.

Langsam begann er den Hunger ins sich zu spüren.

Der Magen knurrte ihm und hatte keinerlei Proviant bei sich.

Alles, was er in dieser Richtung vorweisen konnte, war eine halbvolle Feldflasche mit Wasser, die am Sattelknauf hing.

Aber der Hunger war nicht das Schlimmste. Er würde noch eine ganze Weile lang ertragen können.

Die Zeit verstrich und Lee verlor allmählich das Gefühl dafür, wie lange er schon im Sattel saß. Die eintönige Landschaft, die sich vor ihm ausbreitete, tat ein übriges dazu.

Dann tauchte vor ihm eine Farm am Horizont auf.

Dort würde er vielleicht Wasser für sich und Pferd und im günstigsten Fall sogar etwas Proviant bekommen. Er ritt näher heran und verlangsamte etwas das Tempo.

Es war nicht zu sehen, ob jemand da war. Die Farm machte alles in allem einen recht heruntergekommenen Eindruck. Aber sie schien noch bewohnt.

Lee hatte sich bis auf eine Entfernung von vielleicht vier Dutzend Schritt genähert, da pfiff ihm plötzliche Kugel um die Ohren und er zog unwillkürlich den Kopf ein.

Seine Hand fuhr zur Hüfte, um nach dem Colt zu greifen.

"Sie lassen besser Ihr Eisen da, wo es jetzt ist!", war eine rauchige Männerstimme zu hören.

Ein weiterer Schuss wurde abgefeuert und peitschte dicht neben Lee den Sand zu einer kleinen Fontäne auf.

Lees Pferd wieherte laut und stellte sich kurz auf die Hinterhand, bevor sein Reiter es wieder unter seine Kontrolle zwingen konnte.

"Das war ein Warnschuss!", rief die Stimme. "Die nächste Kugel sitzt, darauf können Sie Gift nehmen, Mister!"

"Was soll das!", rief Lee. "Ich hege keinerlei feindliche Absichten!"

"Verdammt nochmal, das kann jeder sagen!"

Lee Augen wurden schmal, er nahm die Hand wie einen Schirm vor die Augen, um sich vor der blendend hellen Sonne zu schützen.

Der Mann, der auf ihn gefeuert hatte, befand sich an einem der Fenster.

Lee bemerkte den Lauf eines Gewehrs.

"Vielleicht hätten Sie mal die Güte, Ihr Gewehr in eine andere Richtung zu halten", schlug Lee vor. "Dann können wir uns besser unterhalten!"

"Was wollen Sie hier?"

"Ich würde gerne etwas Wasser aus ihrem Brunnen schöpfen. Ich und mein Gaul sind ziemlich durstig!"

"Hm!", brummte der Mann. Er schien zu überlegen und etwas unschlüssig darüber zu sein, was er tun sollte. Hier draußen in der Wildnis einem Mann das Wasser zu verweigern, das war gegen alle ungeschriebenen Gesetze.

"Ich bin bereit, dafür zu zahlen!", rief Lee ihm zu, als keine Antwort kam.

"Wollen Sie mich beleidigen?", kam es dann sehr ärgerlich zurück. "Ich bin bestimmt kein sanfter Engel, aber ein Halsabschneider bin ich auch nicht. Gehen Sie an den Brunnen und bedienen Sie sich!"

Lee zögerte einen Moment.

Er fragte sich, ob er dem Frieden trauen konnte.

Aber dann stieg er mit entschlossenen Bewegungen aus dem Sattel und zog das Pferd hinter sich her zum Brunnen. Mit den Augenwinkeln sah er einen Mann aus dem Haus treten, der eine Winchester im Anschlag hielt. Seine Haut war an Gesicht und Armen von der Sonne verbrannt.

Die Sachen, die er trug, waren kaum mehr als Lumpen. Auf dem Kopf trug er einen fleckigen Strohhut.

Diese kleinen Farmer hier draußen hatten es weiß Gott nicht einfach...

Lee gab zuerst dem Pferd Wasser, trank dann selbst und füllte zum Schluss die Feldflasche auf.

Unterdessen wurde er von dem Farmer einer eingehenden und misstrauischen Musterung unterzogen.

"Hier draußen ist das Leben nicht einfach!", meinte er. "Es läuft 'ne Menge Gesindel in der Gegend herum. Da muss man schon auf der Hut sein!"

"Dafür habe ich Verständnis."

"Wie heißen Sie, Mister?"

"Ich frage Sie auch nicht nach Ihrem Namen, oder?"

"Sie können ihn gerne wissen: Ich heiße Myers!" Er wirkte nachdenklich. "Haben Sie irgendwelchen Ärger?"

"Was meinen Sie damit?"

Das Gespräch nahm eine Wendung, die Lee nicht gefiel.

"Sie sehen aus, wie einer, der auf der Flucht ist!" Myers, der Farmer, spuckte in den Sand. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und Lee ahnte bereits, was jetzt kommen würde.

"Vor wem laufen Sie davon, Mister? Vor der Justiz?"

Myers' Haltung verkrampfte sich ein wenig. Einen Moment lang machte es fast den Anschein, als überlegte er, den Lauf des Winchester-Gewehrs in die Höhe zu reißen und seinem Gegenüber ein paar Kugeln in den Pelz zu brennen.

"Na los! Reden Sie schon!"

Lee gab darauf keine Antwort, sondern stellte seinerseits eine Frage.

"Haben Sie auch etwas Essbares? Irgendwelchen Proviant? Ich bin ziemlich abgebrannt, was diese Dinge angeht und würde es Ihnen für einen guten Preis abkaufen! Umsonst will ich nichts!"

Das Gesicht des Farmers entspannte sich ein wenig. Er hob den Gewehrlauf und legte ihn dann über die Schulter, allerdings ohne dabei den Finger vom Abzug zu nehmen.

"Haben Sie überhaupt Geld?"

Lee holte ein paar Dollars aus der Hosentasche und zeigte sie dem Farmer.

"Zufrieden?"

"Junge, Junge, Sie müssen ganz schön in der Bredouille stecken..."

"Verkaufen Sie mir nun was oder nicht?"

Der Farmer machte eine Bewegung mit dem Kopf.

"Wir werden uns schon einig werden!", meinte er. "Kommen Sie mit mir ins Haus."

Er lächelte gekünstelt.

Lee runzelte verwundert die Stirn und folgte ihm.

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Das Farmhaus war eng und schmucklos. Und das, was Myers an Vorräten anzubieten hatte war auch nicht gerade so, dass Lee dabei das Wasser im Munde zusammenlief.

Aber er konnte in seiner Lage schließlich nicht wählerisch sein.

Die ganze Zeit über nahm Myers seine Winchester nicht aus der Hand. Er misstraute Lee zutiefst und dieser konnte das durchaus verstehen.

Aber es schien noch mehr dahinter zu stecken.

Lee konnte nicht sagen, was es war.

Es war nur eine Empfindung, die ihm der Instinkt schickte.

Ein ungutes Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit.

Erst schacherte er um das Dörrfleisch, von dem man nicht mehr mit Sicherheit sagen konnte, ob es noch genießbar war.

Er ahnte, dass Lee sich in verzweifelter Lage befand und das nutzte er rücksichtslos aus.

Lee sah einmal kurz zur Seite und diesen Augenblick nutzte der Farmer.

Vielleicht dachte er, dass eine Belohnung auf Lees Kopf ausgesetzt war. Tot oder lebendig! Irgend so ein Gedanke musste ihm im Kopf herumschwirren.

Jedenfalls riss er die Winchester hoch und feuerte völlig unvermittelt in Lees Richtung.

Im letzten Moment hatte dieser die Gefahr erkannt.

Mit den Augenwinkeln nahm Lee die Bewegung des Farmers wahr.

Er warf sich blitzschnell mit einem Hechtsprung auf den harten, ungehobelten Bretterboden des Farmhauses, so dass der Schuss über ihn hinwegdonnerte und ein Loch in die Holzwand hinter ihm riss.

Dabei kam Lee unglücklich mit Kopf gegen einen Stützpfeiler, so dass er ein paar Sekunden lang benommen war.

Er wollte zum Revolver greifen, aber da war Myers schon über ihm und hielt ihm die Winchester unter die Nase.

"Revolver weg, du Halunke!"

Lee blinzelte.

Er hatte den Colt zur Hälfte aus dem Holster gezogen gehabt und dann, als er plötzlich in die Gewehrmündung geblickt hatte, mitten in der Bewegung innegehalten.

Lee gehorchte.

Er ließ die Waffe zurück ins Holster gleiten und schnallte sich den Revolvergürtel ab.

Der Farmer nahm ihn an sich und warf ihn in die andere Ecke des Raumes.

Dann zeigte er ein breites Grinsen. Er schob sich den Hut in den Nacken, während die Winchester weiterhin auf Lee gerichtet blieb.

Lee wischte sich mit der Hand über die Augen.

"Was wollen Sie? Ich habe Ihnen nichts getan!"

Der Farmer verzog höhnisch den Mund, während es nun in Lees Kopf wieder völlig klar wurde.

Myers zuckte mit den Schultern.

"Irgendwer ist Ihnen auf den Fersen, guter Mann! Irgendein Sternträger oder Kopfgeldjäger oder sonstwer! Ich habe einen Blick für solche Sachen!"

Lee Callahan runzelte die Stirn.

"Was werden Sie tun?"

Der Farmer lachte schallend und schlug sich mit einer Hand auf den Schenkel, während sich der Zeigefinger der anderen nach wie vor am Abzug der Winchester befand.

"Wer immer auch hinter Ihnen her ist, er wird es mir sicher vergüten, dass ich Sie geschnappt und festgehalten habe!" Er spuckte aus. "Ich werde sicher mehr bekommen, als die paar Kröten, die ich von Ihnen für den Proviant bekommen hätte..."

"Und wenn niemand kommt?"

"Das glaube ich nicht."

Lee wusste, dass er schnell handeln musste.

Er packte völlig unverhofft den Lauf der auf ihn gerichteten Winchester und drückte ihn nach oben. Der Farmer feuerte einen Schuss ab, der aber in die Decke ging.

Ein Tritt in die Magengegend ließ Myrers aufstöhnen. Die Waffe fiel zur Seite.

Lee rappelte sich hoch und dann standen sie sich Auge in Auge gegenüber, zu ihren Füßen die Winchester.

Myers wollte sich bücken und nach ihr greifen, aber Lee war schneller.

Er stellte blitzartig seinen Fuß auf den Gewehrlauf.

Der Farmer fluchte lautstark.

Der Haken, den Lee ihm dann versetzte, gab ihm erst einmal den Rest. Er fiel wie ein nasser Sack in sich zusammen.

Ein bisschen Schlaf wird ihm guttun und ihn wieder zu Verstand kommen lassen!, dachte Lee. Er nahm die Lebensmittel an sich, die er Myers abgekauft hatte.

Das Geld legte er ihm auf den groben Holztisch.

Dann lief er hinaus, packte alles in die Satteltaschen und preschte wenige Augenblicke später in scharfem Galopp davon.

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Morris hatte den Suchtrupp am Morgen zusammengestellt, weil er sehr wohl wusste, dass es ihm nie gelingen würde, die Männer aufzuhalten und von ihrem Vorhaben abzubringen.

Dickson und die anderen Hitzköpfe wären auch ohne ihn losgeritten, um Callahan zur Strecke zu bringen.

Da war es besser, dabei zu sein.

Wenn sie unter seiner Führung ritten, so war sein Gedanke gewesen, konnte er sie vielleicht von den gröbsten Dummheiten abhalten...

Morris hatte darauf verzichtet, ihnen zu sagen, dass der Barkeeper den Narbenmann gesehen hatte und damit zumindest ein Punkt in Callahans Geschichte belegt war.

Sie hätten ihm gar nicht zugehört.

Es war inzwischen ziemlich warm geworden und die Männer des Aufgebots hatten erbärmlich zu schwitzen begonnen.

Die Berge hatten sie hinter sich gebracht und dazu auch lange genug gebraucht.

Viel zu lange, wenn man nach Robby Dicksons Meinung ging.

"Verdammt, wir könnten schneller sein!", schimpfte Robby Dickson mit hochrotem Kopf.

Morris nahm das scheinbar gelassen hin.

"Wir dürfen die Pferde nicht überanstrengen!", brummte er.

Dickson war hochgradig erregt und auch der anstrengende Ritt den sie bisher hinter sich gebracht hatten, hatte sein Temperament nur wenig dämpfen können.

"Callahan wird uns am Ende gar noch durch die Lappen gehen!"

"Er wird uns durch die Lappen gehen, wenn die Pferde nicht mehr mitmachen!", gab Morris zurück. "Sie können mir glauben, Dickson. Das ist nicht die erste Verfolgung, die ich mitmache!"

Dickson verzog grimmig das Gesicht.

"Wenn dieser Mörder entkommt, dann werde ich Sie dafür verantwortlich machen, Morris! Sie persönlich!"

"Sie haben ein Mietstall und ich trage den Stern. Jedenfalls so lange, bis er jemand anderem an die Brust geheftet wird!"

"Mein Junge wurde von Cheyennes umgebracht!", murmelte Dickson. "Er war mein einziger Sohn." Seine Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten. "In jedem Cheyenne steckt ein Mörder!"

"In jedem Weißen nicht auch?"

Dickson zügelte sein Pferd und stoppte. Die anderen folgten seinem Beispiel.

"Was wollen Sie damit sagen, Morris?"

Der Sheriff registrierte sehr wohl, dass die Hand seines Gegenübers zur Hüfte ging. Aber das war für ihn kaum Grund, einen Schreck zu bekommen.

Dickson war zwar ein guter Schütze, aber nicht sehr schnell. Auf jeden Fall jedoch langsamer als Morris, da war der Sternträger sich ziemlich sicher.

"Hey, macht keinen Unsinn, Leute!", rief der alte McGregor irritiert.

Die anderen Männer sagten gar nichts, sondern warteten ab, was noch geschah.

Dicksons Kopf war krebsrot geworden.

"Na, los! raus damit! Was wollten Sie damit andeuten, Morris?"

"Haben Sie schon vergessen, was gestern Nacht beinahe passiert wäre?"

"Pah, was soll das!"

"Wenn Callahan jetzt noch in seiner Zelle säße, wären Sie jetzt vielleicht schon ein Mörder!"

"Das ist etwas anderes!"

"Nein, das ist es nicht, Dickson!"

Sie wechselten einen etwas längeren Blick, der auf der Seite des Mietstallbesitzers ziemlich giftig war.

"Schluss jetzt damit, Männer!", rief McGregor. "Wir haben einen Mörder zu fangen und uns nicht mit solchem Gerede aufzuhalten!"

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Caldwell war deutlich kleiner, als Bellfort. Ein paar schnell zusammengehauene Häuser aus rohen Brettern, eine Kirche, die vermutlich kleiner war, als die Wohnstube im Haus der McGregors, ein Sheriff-Office - und ein Saloon.

Der Saloon war das Herz der Stadt und dorthin wandte Lee Callahan sich als Erstes, als er die Stadt erreichte und über die Main Street ritt.

Wenn Shorter und seine Leute durch Caldwell gekommen waren, dann wohl kaum, ohne im SILVERDOLLAR einen Schluck zu sich zu nehmen.

Lee Callahan ließ sich vor dem SILVERDOLLAR aus dem Sattel gleiten und machte sein Pferd neben ein paar anderen fest. Es waren nicht viele. Um diese Zeit konnte kaum viel Betrieb sein, denn der Großteil der Kundschaft hatte jetzt zu arbeiten.

Die Schwingtüren flogen auseinander, als Lee den Schankraum betrat. Der Barkeeper, ein dicker, rotgesichtiger Mann, blickte gelangweilt auf. Lee trat zu ihm an die Theke, während er kurz den Blick durch den Raum schweifen ließ. Ein paar unentwegte Zecher, die bereits zu dieser Tageszeit halb betrunken und dumpf hinter ihren leeren Gläsern saßen.

Lee bestellte einen Drink und fragte nach Shorter, dem Mann mit der Narbe.

Der Keeper schien froh darüber zu sein, eine Abwechslung zu bekommen. Und so sprudelte es nur so aus ihm heraus.

"Die Kerle waren hier", meinte er. "Da kann es keinen Zweifel geben. Männer mit einer so hässlichen Narbe gibt es nicht allzu viele..." Dann runzelte er die Stirn. "Ein Freund von ihnen?"

Lee blickte in sein Glas.

"Nein."

"Die Kerle sahen nicht gerade wie brave Bürger aus. Schienen von einer Schießerei zu kommen. Zwei waren ziemlich schwer verletzt. Sie wollten zu Doc Wallace."

"Das ist doch der alte Ire, nicht wahr? Paddy Wallace!"

"Ja. Kennen Sie den?"

"Nicht direkt. Ich habe von ihm gehört. Er soll besonders gut im Zähne ziehen sein!"

"Oh, ja, das ist er!" Dann verengten sich die Augen des Keepers zu schmalen Schlitzen. "Diese Männer wollten nicht damit rausrücken, was passiert ist. Haben sie etwas ausgefressen?"

"Sie haben meine Eltern umgebracht", flüsterte Lee fast tonlos und der Keeper machte ein betroffenes Gesicht.

"Oh... Der Sheriff ist für ein paar Tage in die Distriktshauptstadt unterwegs."

Der würde mir auch kaum helfen!, dachte Lee bitter.

"Wissen Sie, wo Doc Wallace wohnt? Es ist etwas außerhalb..."

"Ja, ich kenne sein Haus. Ich bin schon dran vorbeigeritten..."

"Wenn Sie sich beeilen, dann kriegen Sie die Kerle vielleicht noch! Es sei denn, die Halunken haben ihre verletzten Komplizen einfach zurückgelassen..."

Lee nickte. Dann trank er mit einem Schluck sein Glas aus und stellte es hart auf den Tisch.

"Ich danke Ihnen..."

"Keine Ursache."

Lee warf eine Münze auf den verkratzten Schanktisch und eilte nach draußen.

Er hatte keine Zeit zu verlieren.

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Als er wenig später das Haus von Doc Wallace erblickte, sah er dort keinen Pulk von gesattelten Pferden, die an irgendeinem Gatter oder den Unterstützungspfeilern der Veranda festgemacht waren.

Da der Pferdestall des Docs viel zu klein war, um die Pferde der gesamten Bande beherbergen zu können, konnte das nur bedeuten, dass sie sich bereits davongemacht hatten.

Aber Lee beschloss, trotz alledem auf der Hut zu sein. Man konnte nie wissen.

Als er näher kam, ließ er den Blick aufmerksam über die Gebäude schweifen, die der Doc sein Eigen nannte. Aber nirgends konnte er etwas Verdächtiges entdecken.

Er lenkte sein Pferd zur Veranda, stieg aus dem Sattel und band das Pferd provisorisch fest.

Er hatte sich kaum den Staub von den Kleidern geklopft, da ging die Tür auf. Lees Hand war instinktiv an der Hüfte, aber als er dann das bärtige Gesicht des Doktors sah, entspannte sich seine Haltung sofort wieder.

"Wer sind Sie?"

"Lee Callahan."

Der Doc runzelte die Stirn. Dann blitzte es plötzlich in seinen Augen.

"Bist du etwa das Halbblut, dass die O'Kenseys vor Jahren bei sich aufgenommen haben?"

"Ja."

Lee hielt sich nicht lange mit Vorreden auf.

Er fragte Wallace nach Shorter und seinen Komplizen. Und er sagte dem Doc auch gleich, weswegen er hinter den Kerlen her war.

Wallace machte ein ernstes Gesicht.

"Diese Männer waren hier", sagte er. "Zwei von ihnen hatte es erwischt. Schusswunden, meine ich damit. Einer liegt bei mir im Bettenzimmer. Sie haben ihn hier zurückgelassen." Der Doc zuckte mit den Schultern. "Der Mann hat kaum eine Chance, den morgigen Tag zu überleben."

"Wo sind die anderen?"

"Ich weiß nicht. Und ich habe sie auch nicht danach gefragt. Sie kamen herein, haben mir eine Pistole unter die Nase gehalten und mir befohlen, die Verletzten wieder zusammenzuflicken. Bei dem einen ist es mir gelungen." Er machte eine Bewegung mit dem Kopf, die Hände hielt er dabei in den Hosentaschen. "Kommen Sie 'rein, Callahan. Vielleicht sagt er Ihnen, wo die anderen hin sind."

"Das wäre wohl ziemlich unwahrscheinlich...", murmelte Lee.

Der Doc schüttelte den Kopf.

"Das würde ich nicht sagen."

Lee zog die Augenbrauen in die Höhe und bedachte den Doc mit einem nachdenklichen Blick.

"Wie kommen Sie darauf?"

"Er hat eine ziemliche Wut auf seine Leute. Sie haben ihn hier sich selbst überlassen." Er zuckte mit den Schultern, ohne dabei die Hände aus den Taschen zu nehmen. Dann setzte er noch hinzu: "Niemand stirbt gern allein, Callahan. Niemand, auch so ein Schurke wie der da nicht!"

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Lee folgte dem Doc in sein Bettenzimmer. Der Mann, den er dort vorfand, lag im Sterben.

Lee musterte ihn. Zunächst fühlte er Hass, denn ihm war klar, dass dies einer jener Mörder war, denen er nachjagte, weil sie ihm die Menschen genommen hatten, denen er alles verdankte.

Vielleicht hatte dieser Mann sein Schicksal verdient. Aber Lee war nicht der Mann, der das beurteilen mochte.

Die Augen der beiden Männer begegneten sich, ihre Blicke bohrten sich ineinander. Lee sah Furcht in den Augen seines Gegenübers. Furcht und nacktes Entsetzen.

Er weiß, das seine Stunde geschlagen hat!, dachte Lee. Viele Tiere hatten dafür einen sechsten Sinn. Manche Menschen auch.

Aber was diesen Mann anging, so war ein solcher Sinn nicht von Nöten. Es lag auf der Hand, wie es um ihn stand.

Der Sterbende ließ ein erbärmliches Röcheln hören.

Er wirkte müde und kraftlos.

Schweiß stand ihm auf der Stirn.

"Ich dachte, du wärst tot, du Bastard", hustete er.

Lee blieb gelassen.

Der tiefe Grimm, der ihn soeben noch erfüllt hatte, verflog ein wenig im Angesicht dieses Elends. Er atmete tief durch und sagte dann kühl: "Wie du siehst, lebe ich noch!"

"Ich dachte, du wärst verbrannt..."

"Es hätte auch nicht viel gefehlt."

Er hustete erbärmlich und spuckte etwas Blut auf das längst nicht mehr weiße Kissen.

"Sie haben mich hier zurückgelassen, diese Hunde!", brüllte es aus ihm heraus. Bisher hatte er sehr leise gesprochen, fast geflüstert. Lee zuckte fast etwas zusammen, als er dann plötzlich aufschrie.

Im Angesicht des Todes, dachte Lee dann, sollte man keinem Menschen Respekt und Achtung versagen! Auch einem ausgemachten Schurken nicht!

"Wo sind sie, diese Hunde, wie du sie jetzt nennst?"

Sein Gesicht verzog sich zu einer seltsam verzerrten Maske, schon vom Tode gezeichnet und voller Hass.

Aber dieser Hass richtete sich im Augenblick nicht so sehr gegen Lee.

"Das möchtest du wohl gerne wissen, was?"

Lee nickte.

"Natürlich!"

"Was wirst du machen, wenn du sie in die Finger kriegst, die Schurken?"

Lee schwieg.

Er hatte darüber kaum nachgedacht, wie er jetzt feststellte. Der Sterbende machte unterdessen eine wegwerfende Handbewegung und ächzte dann fürchterlich.

"Du wirst sie zur Strecke bringen, nicht wahr? Du wirst sie abknallen wie tolle Hunde, habe ich Recht?"

Lee musterte ihn nachdenklich.

Er sagte nichts, sondern wartete einfach nur ab.

Der Mann wusste die Antwort ohnehin im Voraus und antwortete an Lees Stelle.

"Natürlich wirst du! Natürlich! Jeder würde das an deiner Stelle!" Er lachte heiser. "Ich hoffe jedenfalls, dass du es tust", setzte er flüsternd hinzu. "Diese Aasgeier haben es verdient! Sie haben mich einfach hier zurückgelassen, wie einen lahmen Gaul, der zum Abdecker kommt!"

"Wo sind Shorter und die anderen?", drang Lees feste Stimme nun dazwischen.

"Green River City", hauchte er. "Das war unser Ziel. Dahin wollten wir. Shorter hatte das vorgeschlagen. Eine schöne Stadt, in der man sein Geld gut ausgeben kann. Nicht so ein kleines Dreckloch, in dem es nicht einmal ungepanschten Whisky gibt..."

Lee überlegte einen Moment, ob man der Aussage dieses Mannes trauen konnte. Der Hass gegen seine ehemaligen Kameraden schien echt, weshalb sollte es also nicht stimmen?

Der Sterbende fing jetzt an, irgendwelche wirren Dinge zu erzählen. Vergangenheit, Gegenwart, alles gemischt. Er hatte Fieber und verlor ganz offensichtlich den klaren Verstand.

"Leben Sie wohl, Sir", murmelte Lee. Der Sterbende schien es nicht zu hören.

Dann wandte sich Lee zur Tür.

Der Doc brachte ihn hinaus.

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Während Lee das Haus von Doc Callahan schnell hinter sich ließ, überlegte er, wie sehr ihm seine Verfolger wohl schon auf den Fersen waren.

Es lag für ihn auf der Hand, dass sie bald auf seine Spur stoßen würden.

Der Barkeeper im SILVERDOLLAR würde ihnen sagen, dass er zum Haus von Doc Wallace geritten war und von dort aus würden sie ihn nach Green River City verfolgen.

Vielleicht würden sie sich hier oder dort etwas aufhalten, vielleicht würden sie sich auch an der einen oder anderen Stelle einmal irren...

Lee musste seine ganze Hoffnung darauf setzen, denn ansonsten würde er kaum genug Zeit haben.

Es war bereits früher Abend, als er Green River City erreichte. Die Sonne war bereits milchig geworden und stand schon tief.

Diese Stadt war um einiges größer, als Bellfort oder Caldwell.

Das letzte Mal war Lee zusammen mit den O'Kenseys hier gewesen. Es war, als sie zum Notar gefahren waren. Green River City hatte den einzigen Notar in weitem Umkreis, vielleicht sogar im ganzen County. Es hatte eine Eisenbahnstation, mehrere Hotels, unzählige Saloons und Spielhöllen und stellte für jemanden, der die meiste Zeit seines Lebens in kleinen Nestern wie Bellfort verbracht hatte, ein unüberschaubares Gewimmel von Menschen und Häusern dar.

Seit die Eisenbahn an Green River City vorbeiführte, war die Stadt wild in das Umland hinein gewuchert. Innerhalb weniger Jahre hatte sie sich von ihrer Ausdehnung her verdoppelt.

Für Lees Zwecke war es vorteilhaft, dass Green River City eine gewisse Größe hatte. Wenn seiner Verfolger ihm tatsächlich bis hier her nachspürten, dann hatte er immer noch eine Chance, unterzutauchen und sich eine Weile versteckt zu halten.

Andererseits machte es auch seine Suche nach Shorter und seinen Komplizen schwieriger.

Als Lee Callahan über die Main Street ritt, von der Dutzende kleinerer und größerer Straßen abzweigten, steuerte er zielsicher einen Saloon an, der ihm als der größte hier erschien.

Mehr als zwei Dutzend gesattelte Pferde waren vor den Schwingtüren festgemacht und Lee stellte sein eigenes dazu.

Lautes, bisweilen zänkisches Stimmengewirr und raues Gelächter drangen hinaus auf die Straße.

Als Lee die Schwingtüren passieren wollte, flogen sie zu urplötzlich zur Seite und eine Gestalt taumelte ihm entgegen.

In der einen Hand hielt der Mann eine halbleere Flasche.

Lee musste ihm ausweichen.

Als er den Schankraum betrat, musterte er ausgiebig die anwesenden Männer. Aber es war keiner von denjenigen darunter, die er suchte.

Nun, das wäre auch fast zu viel des Guten gewesen. Er würde es anderswo versuchen, sich umhören und die Spur der Bande irgendwo wieder aufnehmen.

Lee Callahan hatte einen eisernen Willen, wenn es sein musste.

Und er war zäh.

Es würde ihnen nicht so schnell gelingen, ihn abzuhängen.

Lee stellte sich zu den Männern an die Theke, bestellte sich einen Drink und leerte ihn gleich in einem Zug.

Dann fragte er den Keeper nach Shorter, dem Mann mit der Narbe.

"Tut mir Leid", sagte er. "Hier gehen viele Leute ein und aus..."

Lee Callahan lächelte dünn.

"Kann ich mir denken, Mister, aber ich schätze es werden wohl nicht allzu viele sein, die eine derartige Narbe haben, oder?"

Der Keeper verzog das Gesicht.

"Das ist richtig. Aber genauso richtig ist, dass es in dieser Stadt 'ne Menge Gesindel gibt, seit die Eisenbahn da ist." Er zuckte mit den Schultern. "Zu dumm, aber ich lebe von diesem Gesindel und kann es mir nicht leisten, meine Kundschaft zu verprellen! Sehen Sie sich diese Männer hier gut an! Mindestens jeder zweite von ihnen hat irgendetwas auf dem Kerbholz und wenn die rauskriegen würden, dass ich Auskünfte über meine Gäste erteile, dann trinken die ihr Zeug in Zukunft bei der Konkurrenz! Und das möchte ich vermeiden!"

Lee schlug ärgerlich mit der flachen Hand auf den Schanktisch.

Er wusste, dass es wenig Sinn hatte, weiter nachzubohren.

Der Kerl wollte seinen Mund nicht aufmachen und das war leider nicht zu ändern.

"Wie steht es mit etwas zu Essen, Keeper?"

"Ich habe ein paar Steaks da!"

"Okay."

"Ist aber nicht billig."

"Das lassen Sie meine Sorge sein!"

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Lee musste etwas warten, bis das Essen kam.

Der Magen knurrte ihm bereits seit einiger Zeit, aber er hatte keine Gelegenheit gehabt, etwas zu sich zu nehmen.

Er schlang es in großen Bissen hinunter und so war der Teller ziemlich schnell leer.

Gerade noch rechtzeitig, wie er feststellte, als er einen flüchtigen Blick seitwärts richtete.

Drei Männer waren durch die Schwingtüren getreten, drei Männer, deren Blicke zu erstarren schienen, als sie Lee Callahan bemerkten.

Einer von ihnen war Roy Mulligan, der Mann mit den zwei Revolvern, der ganz in Schwarz gekleidet war.

Seine Augen wurden schmal, sein Gesicht drückte Unglauben und Verwunderung aus.

Auch an die beiden anderen Männer erinnerte sich Lee.

Sie waren auch bei dem Überfall gewesen.

Lee kannte ihre Namen nicht, aber ihre Gesichter hatten sich ihm ins Gedächtnis gebrannt. Er würde sie nie mehr vergessen!

Lee blieb ganz ruhig und gelassen. Er wandte sich wieder zum Schanktisch und schob den Teller etwas zur Seite. Dann legte er dem Keeper eine Münze hin.

"Hier", sagte er. "Das dürfte reichen."

Der Barkeeper nahm das Geldstück ohne Kommentar und steckte es in die Westentasche. Auch er hatte die drei Neuankömmlinge bemerkt und es war ihm auch nicht entgangen, dass sie wie gebannt auf Lee starrten.

"Haben Sie Ärger mit den Herren dort drüben?"

"Wie man's nimmt."

"Ich hätte eine Bitte an Sie..."

"Die wäre?"

"Machen Sie die Sache draußen ab. Meine Einrichtung soll noch ein bisschen halten..."

Lee murmelte: "An mir soll's nicht liegen..." Mit den Augenwinkeln sah er, wie Roy Mulligans Hände zu den Revolvern an der Hüfte gefahren waren.

Lee drehte sich herum.

"Du bist der junge Kerl von der O'Kensey-Ranch, nicht wahr?

Ich hätte nicht gedacht, das wir dich noch einmal sehen würden..."

Lee verengte ein wenig die Augen.

Seine Blicke trafen sich mit Mulligans und er fühlte nackten Hass in sich aufsteigen.

Ruhig Blut!, versuchte er sich selbst einzureden. Er musste sein Temperament und seine Gefühle zu zügeln versuchen, wenn er gegen diese Männer eine Chance haben wollte.

Er atmete tief durch.

Dann sagte er: "Bei mir liegt die Sache genau umgekehrt! Ich wusste genau, dass ich euch Schurken noch einmal Auge in Auge gegenüberstehen würde!"

Die drei näherten sich ein paar Schritte und blieben dann in einigem Abstand stehen. Sie bauten sich breitbeinig auf und hielten die Hände in der Nähe ihrer Colts.

Einige der anwesenden Zecher, erhoben sich von ihren Plätzen und gingen hinaus, andere wichen in Erwartung der kommenden Auseinandersetzung ein wenig zur Seite.

In Roy Mulligans Augen glitzerte es kalt.

Er wandte sich an den rechts von ihm Stehenden, einem Mann mit unrasierten Wangen und einem fleckigen Hut.

"Was denkst du, Barney? Was machen wir jetzt mit diesem Kerl?"

Barney zuckte mit den Schultern.

"Ich bin dafür, die Sache sofort, hier und jetzt zu regeln!", meinte er. "Sonst sitzt er uns bis zum Ende unserer Tage im Nacken!"

"Hm...", machte Mulligan. "Vielleicht hast du Recht..."

Einen Moment lang sagte niemand etwas und alles schien in der Scheibe zu hängen.

Dann zischte Mulligan: "Zieh, Kleiner!"

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Es war Lee Callahans erstes Revolverduell und es überraschte ihn selbst, wie ruhig und gelassen er bis jetzt geblieben war.

Seine Gedanken waren trotz der Anspannung, die auf ihm lastete, sehr klar.

Lee wusste, dass er in dem Moment, in dem er den Revolver aus dem Holster riss, vermutlich ein toter Mann sein würde.

Die Kerle warteten nur darauf.

Und während es in seinem Gehirn noch fieberhaft arbeitete, war seine Rechte bereits instinktiv zur Hüfte gegangen und berührte jetzt den Coltgriff.

Er war bereit, wenn sie es nicht anders wollten und ihm keine Wahl ließen.

Lees Blick fiel kurz auf Mulligans Doppelholster und er fragte sich, welchen seiner Colts sein Gegenüber als Erstes herausreißen und abfeuern würde.

Vielleicht auch beide.

Das waren vier Rohre gegen eins. Keine gute Chance.

Dann ging es los.

Ein Gewitter aus Blei ging in dem Schankraum des Saloons nieder. Haufenweise gingen Flaschen und Gläser in den Regalen hinter dem Schanktisch zu Bruch, ebenso ein großer Spiegel, der dort angebracht war.

Barney, der Mann rechts von Roy Mulligan hatte als erster die Nerven verloren und gezogen.

Aber Lee war schneller.

Er hatte bereits seine Waffe abgefeuert, als sein Gegenüber gerade erst den Hahn gespannt hatte. Barney bekam einen Treffer mitten in die Brust und wurde rückwärts gerissen.

Ein Schuss löste sich noch aus seiner Waffe. Lee sah das Mündungsfeuer kurz aufblitzen, aber die Kugel verfehlte ihr Ziel.

Barney hatte nicht mehr richtig zielen können.

Er schlug rückwärts zu Boden und riss dabei einen Tisch mit sich, dessen Beine aus dem Leim gingen und einknickten.

Kaum war das geschehen, da warf Lee sich zur Seite, während zur gleichen Zeit eine Salve von Bleikugeln den Schanktisch dort zerfetzte, wo er gerade noch gestanden hatte.

Lee rollte sich herum, feuerte dem links von Mulligan stehenden Kerl eine Kugel in die rechte Schulter, die ihn herumriss und kampfunfähig machte und schnellte dann hinter einen Tisch, den zu Boden riss.

Die Tischplatte hielt er wie eine Art Schutzschild vor sich. Die Saloongäste sahen zu, dass sie aus der Schusslinie des unverdrossen weiter feuernden Mulligan kamen.

Der Mann in Schwarz nahm nicht die Geringste Rücksicht auf Unbeteiligte.

Er feuerte wild um sich, während Lee zögerte.

An den Tischplatten hatte der Saloonbesitzer offensichtlich nicht gespart. Es handelte sich um gediegene Qualität, schließlich mussten sie auch einiges aushalten.

Einige Schüsse wurden abgehalten, andere schlugen durch und Lee konnte von Glück sagen, bis jetzt nichts abbekommen zu haben.

Er versuchte, einen Blick hinter der Tischplatte hervor zu wagen und vielleicht selbst wieder zum Schuss zu kommen.

Aber Lee gab den Gedanken daran erst einmal wieder auf. Das Gegenfeuer des Mannes in Schwarz war einfach zu gefährlich.

Mulligan feuerte aus beiden Revolvern in seine Richtung, wobei er sich in Richtung der Schwingtüren bewegte und sie schließlich rückwärts passierte.

Lee gelang es schließlich doch noch, einen Schuss anzubringen, aber der ging dicht neben Mulligans Kopf in den Türrahmen und ließ ihn splittern.

Dann war Mulligan verschwunden.

Lee hörte ein Pferd wiehern und wie jemand davonritt.

Er erhob sich und atmete auf.

Dann steckte er den Revolver zurück ins Holster und wandte sich an den Barkeeper.

"Gibt es hier so etwas wie einen Sheriff in der Stadt?"

Der Keeper war soeben erst aus seinem Versteck hinter dem Schanktisch hervorgekommen und schüttelte sich jetzt die Scherben vom Spiegel aus den Haaren und Kleidern.

"Wir hatten sogar zwei, einen Sheriff und einen Deputy. Bis vorgestern."

Lee runzelte die Stirn.

"Was soll das heißen?"

"Drüben bei der Konkurrenz - im Long Branch-Saloon - hat es eine Schießerei gegeben, da haben sie beide ins Gras gebissen." Er zuckte mit den Schultern. "Bis jetzt ist noch kein Nachfolger eingesetzt worden."

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Doc Wallace hatte damit begonnen, ein Grab auszuheben. Er war ein wenig ärgerlich darüber, dass diese traurige Pflicht nun an ihm hängenblieb, aber was sollte er machen?

Er fluchte laut vor sich hin, aber natürlich half das alles nichts. Ein verdammter Mist war das!

Der Kerl in seinem Bett war tot und er konnte ihn dort, wo er jetzt war nicht ewig liegenlassen.

Wer würde es sonst tun?

Niemand.

Seine Komplizen waren längst über alle Berge und dachten sicher nicht im Traum daran, zu diesem Zweck zurückzukehren.

Der Doc blickte kurz auf und sah einen Trupp von Reitern, die in scharfem Galopp herankamen.

Doc Wallace blinzelte zu ihnen hinüber.

Er er kannte Morris den Sheriff von Bellfort sowie Charles McGregor, den größten Rancher in der Gegend.

Als sie herangekommen waren, rissen sie an den Zügeln ihrer Pferde und stoppten hart.

"Tag, Doc!", meinte Morris. Und der Doc nickte ihm freundlich zu. Gleichzeitig fragte er sich, ob Morris dienstlich zu ihm rausgeritten war. Er vermutete es.

"Tag, Sheriff. Was gibt's? Großes Aufgebot?"

"Sie wissen, wer Lee Callahan ist?"

"Ja. Der Junge, den die O'Kenseys damals aufgenommen haben. Inzwischen ein erwachsener Mann."

"Wir haben gehört, dass er hier hin reiten wollte. War er hier?"

Doc Wallace nickte sofort.

"Er war hier, ist aber schon weitergeritten." Dann runzelte der Arzt die Stirn. "Wollen Sie ihm dabei helfen die Mörder der O'Kenseys zu stellen?"

Einige der Männer sahen sich verwundert an.

Dann sagte McGregor: "Callahan ist der Mörder der O'Kenseys!"

"Wahrscheinlich hat er Ihnen auch diese wilde Geschichte erzählt", meinte Robby Dickson sarkastisch. "Diese Story von einem Mann mit einer Narbe auf der Stirn und seinen Komplizen, die die O'Kensey-Ranch überfallen und angezündet haben..."

"Ja", murmelte der Doc. "Das stimmt. Einer von den Kerlen liegt übrigens bei mir im Bettenzimmer. Tot. Ich schaufle gerade an seinem Grab. Und was den Kerl mit der Narbe angeht, der existiert wirklich! Ich habe ihn gesehen. Ich weiß nicht, was er ausgefressen hat, aber wie ein Chorknabe wirkte der nicht gerade! Und eine Märchengestalt ist der Kerl auch nicht!"

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"Das könnte Clyde Morley sein", meinte Morris.

Sie standen alle um des Bett des Toten herum, der Sheriff drehte das Gesicht etwas zur Seite. "Die Bilder auf den Steckbriefen sind nicht immer die besten, aber ich glaube nicht, dass ich daneben liege..."

"Wer ist Clyde Morley?", wollte McGregor wissen, der sich nachdenklich den Hut in den Nacken schob.

"Ein Bandit", meinte Morris. "Posträuber, Bankräuber, da kommt einiges zusammen. Er hat bei verschiedenen Banden mitgemacht. Das er neuerdings hier in der Gegend arbeitet, ist mir neu."

"Was halten wir uns hier auf!", schimpfte Dickson. "Fangen wir Callahan." Er wandte sich an den Doc, der mit hereingekommen war. "Wohin wollte Callahan reiten? Green River City?"

Der Doc schwieg.

"Natürlich! Wohin sonst?", gab Dickson sich selbst die Antwort. Er sah zu Sheriff Morris und musterte ihn misstrauisch. "Sie glauben doch jetzt nicht auch an Callahans Story, oder? Was ist das hier schon? Eine Leiche, die nichts mehr sagen kann! Was beweist das? Das der Narbenkerl hier gewesen ist, beweist noch nicht, dass er auch in Bellfort war oder dass er das Land der O'Kenseys betreten hat!"

"Zuerst dachte ich auch, dass Lee Callahan unser Mann wäre", sagte Morris daraufhin. "Ich war fest überzeugt.Alles passte zusammen und schien dafür zu sprechen. Aber dann kamen mir Zweifel."

"Was Sie nicht sagen, Sheriff! Mir scheint, Sie sind jetzt Callahans Seite übergewechselt!" Er kniff die Augen zusammen.

"Vielleicht haben Sie uns deshalb zuerst zu McGregors Ranch geführt, um Callahans Vorsprung größer werden zu lassen! Vielleicht haben Sie ihm sogar zur Flucht verholfen..."

Obwohl Dickson der Wahrheit gefährlich nahe kam, verzog Morris keine Mine.

Er ließ sich nicht das Geringste anmerken.

"Der Mann mit der Narbe war in Bellfort. Und er hat ziemliche Drohungen gegen O'Kensey ausgestoßen!", erklärte er sachlich.

"Woher wollen Sie das wissen?", fauchte Dickson.

"Von Slimmy, dem Barkeeper!"

"Hm", machte McGregor. "Ich weiß nicht, was ich noch glauben soll!"

"Seit wann wissen Sie das, Morris?", fauchte Dickson.

"Seit gestern Abend."

"Warum haben Sie es uns nicht gesagt?"

"Hättet ihr es mir geglaubt? Hättet ihr überhaupt zugehört?" Er deutete auf den Toten. "Jetzt, wo einer der Kerle vor euch liegt, ist das was anderes. Aber gestern Abend und und heute Morgen, als ihr halb wahnsinnig vor Durst nach Rache wart..."

Dickson blickte zur Seite und wich den Augen des Sheriffs aus. Die Männer schwiegen eine Weile.

Morris musterte sie einen nach dem anderen. Und sie fühlten sich im Moment nicht sehr wohl in ihrer Haut.

Der Sheriff sah, wie es in ihnen arbeitete und nagte.

Sie hatten Lee Callahan hängen sehen wollen.

Um jeden Preis.

Aber jetzt schien der Glaube, das Richtige zu tun, in ihnen zu wanken. Einige von ihnen wirkten jetzt ein bisschen wie begossene Pudel.

"Scheint, als hätten wir gestern Abend beinahe den Falschen gehenkt, was Robby?", brachte es schließlich einer der Männer auf einen Nenner.

Robby Dickson machte eine wegwerfende, ärgerliche Handbewegung.

"Das wird sich noch herausstellen!", schimpfte er. Er würde noch etwas Zeit brauchen, seine Niederlage einzugestehen.

Morris wandte sich unterdessen an den Doc.

Wenn Lee tatsächlich der Bande des Narbigen nachgeritten war, dann steckte er womöglich in großer Bedrängnis. Diese Kerle würden kurzen Prozess mit ihm machen.

"Er ist nach Green River City geritten, nicht wahr? Sie können es uns ruhig sagen, Doc."

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Sie waren wieder draußen bei den Pferden, aber sie hatten sich noch nicht in die Sättel geschwungen, da sahen sie die Gestalt eines Reiters herankommen.

Charles McGregor glaubte seinen Augen nicht zu trauen.

Es war niemand anderes, als seine Tochter Madeleine, die da heranpreschte.

Den Männern stand der Mund offen.

Madeleine kam heran, zügelte ihr Pferd und blickte heraus-fordernd in die Runde der Verfolger.

Sie trug ein kariertes Männerhemd und eine Drillichhose, die ihr einige Nummern zu groß war und von einem breiten Ledergürtel zusammengehalten werden musste.

An der Hüfte trug sie ein Revolverholster, aus dem ein Coltgriff ragte.

Einige Augenblicke lang sagte niemand ein Wort.

Schließlich fasste McGregor sich.

"Madeleine, was machst du hier!"

"Ich bin euch gefolgt, Dad!"

"Schicken Sie Ihre Tochter nach Hause, McGregor! Das hier ist reine Männersache!", meinte Dickson.

Aber da hatte Madeleine bereits zur Hüfte gegriffen, den Colt herausgenommen und abgefeuert. Sie war nicht besonders schnell, aber sehr zielsicher.

Der Schuss pfiff über Dicksons Kopf hinweg und riss ihm den Hut herunter.

McGregor machte ein ziemlich verdutztes Gesicht.

"Madeleine!"

Sie steckte die Waffe wieder ein.

"Ich kann ebenso gut schießen, wie die meisten von euch Kerlen!", rief sie mit heller Stimme. "Und ich werde nicht tatenlos zusehen, wenn ihr Lee zur Strecke bringen wollt!"

Der Männer schienen beeindruckt.

Der erste, der sich zu Wort meldete, war Morris.

"Ma'am, ich glaube die meisten hier haben ihre Meinung zu dieser Sache inzwischen geändert."

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Green River City war im Augenblick eine Stadt ohne Gesetz.

Lee konnte es nicht ändern. Er wusste nicht, ob die Sache dadurch leichter oder schwieriger wurde. Beides konnte der Fall sein.

Lee Callahan war hierhin und dorthin gegangen, um sich nach Shorter umzuhören. Aber alles in allem mit wenig Erfolg.

Entweder hatte er in Green River City nur Freunde (was unwahrscheinlich war) oder es gab einfach zu viele merkwürdige Gestalten, so dass jemand wie er an einem Ort wie diesem nicht weiter auffiel.

Unterdessen war es dunkel geworden.

Aber die Lichter in den Saloons und Bars schienen hinaus auf die sandigen Straßen.

Lee Callahan hatte bereits einige von ihnen abgeklappert, aber der narbige Shorter und seine Bande schienen wie vom Erdboden verschluckt.

Vielleicht haben sie sich auf und davon gemacht!, überlegte Lee. Aber war das nicht reichlich unwahrscheinlich? Sicher, Mulligan würde den anderen erzählt haben, das er zwei von ihnen niedergestreckt hatte. Aber deshalb würden sie nicht gleich vor Furcht erzittern.

Sie waren immer noch fünf Mann, einer von ihnen verletzt, aber offensichtlich nicht so schwer, dass sie ihn bei Doc Wallace hatten zurücklassen müssen.

Nein, etwas anderes lag viel deutlicher auf der Hand: Die Halunken würden ihn - Lee - aufsuchen, um sich ihn endgültig vom Halse zu schaffen.

Lee lenkte sein Pferd durch eine dunklen, unbeleuchteten Nebengassen, die die Hauptstraßen miteinander verbanden.

Er hörte irgendwo einen Pfiff, maß dem aber keinerlei Bedeutung zu.

Aber das war ein Fehler, wie er schon wenige Sekunden später feststellen musste.

Aus dem Dunkel heraus sah er Mündungsfeuer aus zwei oder drei Waffen aufblitzen aufblitzen. Wie Blitz und Donner in einer finsteren Gewitternacht.

Die Kerle hatte ihn offensichtlich beobachtet und hatten einen günstigen Ort ausgesucht, um ihm endgültig den Garaus zu machen.

Lees Pferd stellte sich auf die Hinterhand, er selbst hatte den Revolver längst aus dem Holster gerissen und feuerte nun ungefähr in die Richtung aus der Schüsse gekommen waren. Aber da er kaum etwas sehen konnte, war es unwahrscheinlich, dass er jemanden traf.

Er versuchte, dass Pferd herumzureißen, um aus dieser Gasse herauszukommen, die sich für ihn als Mausefalle entpuppt hatte.

Das Pferd wieherte erbärmlich.

Lee spürte, wie es unter ihm nachgab und ihm war sofort klar, was geschehen sein musste! Die Kerle hatten dem Tier eine Kugel verpasst, vielleicht auch mehrere.

Einen Schritt machte es noch, dann strauchelte es und taumelte zu Boden. Lee sah zu, dass er aus dem Sattel kam. Er hatte wenig Lust, von dem Pferdekörper begraben zu werden. So warf er sich auf den sandigen Boden, rollte sich ab und blickte sich um.

Zuerst wollte er wild um sich schießen, aber dann überlegte er sich, dass es besser war, sich ruhig zu verhalten und erst einmal einen Moment abzuwarten.

Ein Schuss hätte seinen Gegnern sofort verraten, wo er sich befand. Vielleicht sahen sie ihn gar nicht oder waren sich nicht ganz sicher...

Diesen Trumpf durfte er nicht vorzeitig ausspielen.

Das Pferd strampelte unterdessen am Boden. Es war nicht vielmehr, als ein großer schwarzer Umriss, der sich mit einem markerschütternden Wiehern bewegte.

Lee konnte froh sein, dass es ihn nicht erwischt hatte.

"Siehst du ihn, Matt?"

"Nein, Roy. Aber er kann sich nicht in Luft aufgelöst haben!"

Dann hörte Lee die Stimme von Shorter. Er würde diesen Klang nie vergessen.

"Er muss noch hier sein, Jungs!"

"Vielleicht haben wir ihn erwischt!"

"Wäre zu schön, um wahr zu sein! Seid vorsichtig Leute, dieses Halbblut ist gefährlich!"

Dann war alles stumm.

Die Stimmen der Männer waren aus verschiedenen Richtungen gekommen. Lee musste davon ausgehen, mehr oder weniger eingekreist zu sein.

Das hatten sie schlau eingefädelt, diese Schakale!

Irgendwo auf einem der benachbarten Hausdächer bewegte sich etwas. Ein schwarzer Schatten, der sich gegen das Mondlicht abhob.

Lee erhob sich vorsichtig, in der Hand den Revolver. Im Rücken wusste er die Bretterwände einer Häuserzeile. Es war eine Seitenfront, fast ganz ohne Fenster. Sehr behutsam setzte Lee einen Fuß vor den anderen. Er befand sich im schwärzesten Schatten, konnte also hoffen erst einmal ungesehen zu bleiben.

Er wusste nicht, was genau es war,aber irgendetwas musste ihn dann doch verraten haben.

Jedenfalls wurde vom Dach aus plötzlich in seine Richtung gefeuert.

Lee warf sich in den Sand und rollte sich herum. Fast im selben Augenblick war zu hören, wie dort, wo er sich gerade noch befunden hatte, die Bleikugeln in die Bretterwand einschlugen und das Holz splittern ließen.

Am Boden liegend feuerte Lee zurück.

Das Mündungsfeuer auf dem Dach zuckte noch einmal durch die Nacht, dann folgte ein Schrei. Lee sah, wie sich ein Schatten bewegte.

Er hatte einen der Kerle erwischt und nun purzelte er kopfüber mit einer Kugel im Körper vom Dach herunter. Schwer schlug er in den Staub der Straße.

Wenn der Schuss ihn nicht umgebracht hatte, dann mit Sicherheit dieser Sturz.

Lee verlor keine Sekunde.

Er wusste, dass dieser Schuss ihn verraten hatte. Aus mehreren Rohren hagelte es plötzlich Blei. Lee rappelte auf, kam auf die Beine und hetzte in geduckter Haltung voran.

Er musste aus dieser verdammten Seitengasse heraus. Während er lief sah er es durch die Nacht blitzen. Links und rechts von ihm schlugen die Kugeln ein. Er machte einen Haken, feuerte zurück und hatte dann fast den Ausgang der Gasse erreicht.

Dann fühlte er plötzlich einen Schmerz an der linken Seite. Es hatte ihn erwischt.

Die Wucht des Schusses riss ihn etwas zur Seite und ließ ihn taumeln.

Er keuchte und kam gerade noch hinter die Hausecke, bevor er zu Boden ging und an einer Bretterwand hinunterrutschte.

Er befühlte kurz seine Seite.

Blut hatte bereits sein Hemd durchtränkt. Aber er konnte sich jetzt nicht weiter darum kümmern. Er griff zu den Patronen an seinem Revolvergürtel und schob ein paar davon mit schnellen, sicheren Bewegungen in die Trommel seines Colts.

Die Wölfe hatten Blut geleckt, sie würden nicht so schnell aufgeben! Ein paar Augenblicke, dann würden sie auftauchen und ihn wieder unter Feuer setzen.

Es konnte sogar jemand zusehen, Shorter und seinen Schergen brauchte das nicht viel auszumachen, solange kein neuer Sheriff in der Stadt für Recht und Ordnung sorgte.

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Lee Callahan ließ den Blick kreisen. Noch war keiner der Halunken aufgetaucht.

Sie schienen inzwischen gehörigen Respekt vor ihm zu haben.

er konnte schießen und war schnell, das hatte er ihnen bewiesen. Sie wussten, dass es nicht so leicht war, ihn unter die Erde zu bringen.

Dann sah Lee das Fenster.

Vielleicht ließ es sich hochschieben.

Er fühlte den Schmerz an seiner Seite und es war ihm klar, dass er so nicht weitermachen konnte. Ein Doc musste da ran und ihn verbinden. Vielleicht auch die Kugel rausholen, sofern sie noch in ihm steckte. Er konnte das nicht beurteilen, aber er spürte, wie seine Kräfte zu schwinden drohten.

Mit einiger Mühe richtete er sich auf und wankte zum Fenster. Er blickte sich mehrmals um, dabei hielt er den Revolver stets schussbereit in der Rechten.

Das Fenster war einfach konstruiert. Es steckte in einer Schiene und ließ sich mit deren Hilfe hochschieben und besaß keinerlei Sicherungen.

Lee drückte gegen den Rahmen.

Das Fenster gab nach.

Als der Spalt groß genug war, schlüpfte er hindurch und drückte es wieder nach unten.

Noch gerade rechtzeitig!, durchfuhr es ihn, als er dann die Stimmen seiner Verfolger hörte.

"Wo ist der Hund?"

"Keine Ahnung, er muss hier irgendwo sein!"

"Ich meine sogar, dass ich ihn erwischt habe!" 

"Bist du sicher, Roy?"

"Nein, sicher nicht..."

"Hier ist Blut! Roy hat ihn wirklich erwischt!"

Lee Callahan schielte hinaus auf die nächtliche Straße.

Dort sah er sie alle: Shorter, Mulligan, Grant und die anderen, die die O'Kensey-Ranch überfallen hatten.

Sie schienen ziemlich ratlos zu sein.

"Ach, verdammt, was soll denn diese Jagd auf Lukes Jungen!", meinte Matt Grant. "Es gibt verdammt nochmal Wichtigeres für uns!"

"Wie kannst du so etwas sagen!", meinte Roy Mulligan. "Er hat einige von uns auf dem Gewissen. Pete liegt dahinten im Staub - mit einer Kugel von diesem verfluchten Halbblut!"

"Ja", brummte eine andere Stimme, die Lee nicht kannte.

"Dieser Kerl wird uns ewig im Nacken sitzen!"

"Im Moment wird er nicht allzu viel tun können", gab Grant zu bedenken. "Er muss einiges an Blut verloren haben! Aber morgen kommt der Zug mit den Lohngeldern und der ist doch wohl wichtiger, als irgendwelche Rachegefühle!" Grant machte eine ärgerliche Geste. "So eine Gelegenheit kommt nicht wieder, sag ich euch! Und wir brauchten eigentlich jeden Mann!"

Shorter verzog zynisch den Mund.

"Je weniger wir sind, desto mehr bleibt am Ende für den Einzelnen!", meinte er kalt und kratzte sich dabei an der Narbe über der Stirn. Er zuckte mit den Schultern. "Geben wir die Jagd nach Halbblut erst einmal auf. Wir erwischen ihn ein anderes Mal, da bin ich sicher."

Shorter steckte seine Waffe zurück ins Holster, zuvor drehte er sie allerdings noch einmal kunstvoll um den Zeigefinger der rechten Hand.

"Reiten wir..."

"Wohin? Zur alten Silbermine?"

"Ja, die anderen Jungs müssten eigentlich schon da sein, wenn sie sich an die Abmachungen gehalten haben!"

Grant lachte hässlich.

"Sie werden es kaum wagen, uns draufzusetzen!"

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Die Tür ging auf, Licht fiel vom Nebenraum herein und Lee sah den Umriss eines Mannes, der ein Gewehr in der Hand hielt.

Hinter dem Rücken des Mannes drückte sich dann eine Frauengestalt herum, die eine Lampe in der Rechten hielt.

Sie traten ein paar Schritte in den Raum ein.

"Ist da wer?"

Die Frau entzündete ein Streichholz und machte dann Licht.

Als der Mann dann Lee unter dem Fenster liegen sah, wirbelte er herum und hob seine Waffe.

Aber Lee war deutlich schneller.

Ehe der Mann sein Gewehr richtig in Anschlag gebracht hatte, blickte er bereits in die Mündung von Lees Revolver.

Der Hahn war bereits gespannt.

"Tun Sie das nicht", beschwor ihn Lee. "Ich will nichts von Ihnen, aber wenn Sie mich dazu zwingen sollten, dann bekommen Sie eine Kugel von mir verpasst!" Als er dann sah, dass der Mann noch zögerte, setzte er hinzu: "Ich bin ein guter Schütze, Sir. Darauf können Sie Gift nehmen!"

Der Mann schien dasselbe von sich selbst nicht behaupten zu können. Jedenfalls nickte er und senkte seine Waffe.

"Schon gut, Mister, aber vielleicht können Sie mir erklären, was Sie hier suchen! Dies ist mein Haus! Ich habe zwar nicht viel an Reichtümern, aber die wenigen, die ich mein eigen nenne, werde ich bis zum letzten Blutstropfen verteidigen!"

"Ich will Ihnen nichts wegnehmen. Ich war nur auf der Flucht vor ein paar üblen Kerlen."

Lee erhob sich und warf einen flüchtigen Blick hinaus auf die Straße.

Von Shorter und seiner Bande war nichts mehr zu sehen. Lee atmete erleichtert auf.

"Rudy! Sieh nur! Der Mann ist verletzt!"

Lee presste unwillkürlich die Linke an seine schmerzende Seite. Aber das Blut rann ihm zwischen den Fingern hindurch.

"Die scheinen Ihnen ziemlich zugesetzt zu haben", meinte Rudy, der Mann. Er stand in Unterhemd und Hosenträgern da.

Lee deutete auf das Gewehr.

"Kann ich darauf verlassen, dass Sie nicht gleich auf die Idee kommen, mir doch noch eins auf den Pelz zu brennen?"

Rudy nickte.

"Können Sie."

Lee entschloss sich, dem Mann zu trauen. Das waren keine gefährlichen Schurken, so wie Shorter und seine Bande. Das waren einfache Bürger, die im Grunde nichts anderes wollten, als in Ruhe und Frieden ihren Geschäften nachzugehen.

"Seit Sheriff Kendell und Deputy Broderick erschossen wurden, kann man es in dieser verfluchten Stadt kaum noch aushalten!", brachte die Frau heraus. Sie atmete tief durch.

"Warum ist nicht längst ein neuer Sternträger eingesetzt worden?"

"Es gibt ein paar Banden, die sich hier seit längerem in der Gegend breitgemacht haben. Die sehen das nicht so gerne, wenn da einer ist, der gleich ein Aufgebot zusammenstellt, wenn irgendwo was passiert! Und diese Leute üben Druck auf die Bürger aus!", berichtete der Mann. "Sagen Sie, Sie sind nicht von hier, nicht wahr?"

"Nein. Eine Frage: Heißt einer dieser Bandenbosse Shorter? Liam Shorter? Ein Mann mit einer Narbe auf der Stirn..."

Rudy nickte.

"Ja. Aber der ist erst seit kurzem hier. Es geht das Gerücht um, dass er für irgendeine Sache lange in den Steinbrüchen brummen musste..."

"Sie brauchen einen Arzt, Mister!", meinte die Frau.

Lee wusste, dass sie recht hatte, obwohl ihm der Gedanke nicht gefiel.

"Gibt es hier in der Nähe eine Silbermine?", fragte Lee dann und sah, wie der Mann im gleichen Moment die Stirn runzelte.

"Eine Silbermine?"

"Ja, ganz recht."

"Ich kenne hier keine", meinte die Frau.

"Es gab früher mal eine", meinte schließlich der Mann nach einigem Nachdenken. Aber die ist stillgelegt. Schon seit vielen Jahren. Stammt aus der Anfangszeit von Green River City..."

"Kennen Sie den Weg dorthin?"

"Nun..."

"Beschreiben Sie ihn mir!"

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Lee glaubte, dass ihm nicht mehr genug Zeit blieb, um sich die Wunde an der Seite noch von einem richtigen Doc versorgen zu lassen.

Und so ließ er sich von der Frau einen notdürftigen Verband anlegen. Die Blutung war fürs Erste gestoppt, alles andere würde man später sehen.

Es war bereits weit nach Mitternacht.

Wenn der Zug im Laufe des nächsten Tages in Green River City eintreffen sollte, dann musste er längst aufgebrochen sein. Es hatte also wenig Sinn, jetzt noch ein Telegramm abzuschicken und die Eisenbahngesellschaft zu warnen.

Und irgendeinen Vertreter des Gesetzes, dem er sich anvertrauen konnte, den gab es ja nicht.

Nachdem die Frau ihm den Verband angelegt hatte, knöpfte er sein Hemd zu und wankte zur Tür.

"Ich danke Ihnen, Ma'am", sagte er. "Und Ihnen auch, Sir."

"Ich hoffe nicht, dass wir das eines Tages bereuen", meinte der Mann. "Oft dauert es eine Weile, bis man feststellt, dass man dem Falschen geholfen hat..."

"Er ist nicht der Falsche!", meinte die Frau im Brustton der Überzeugung. "Glaub mir, Rudy, er ist ein anständiger Kerl. Ich habe das im Gefühl."

Dann ging Lee hinaus.

Er fühlte sich müde und zerschlagen und an seiner Seite schmerzte es höllisch.

Aber er musste jetzt durchhalten.

Seine Schritte führten ihn zu einem Mietstall, dessen Besitzer er aus dem Schlaf weckte.

Der Mann, mit dem er es dann zu tun bekam, hieß Quincy und war ein giftiger, alter Zwerg, der in einem fort vor sich hin schimpfte.

Er verfluchte Gott und die Welt und vor allem Lee Callahan, seinen späten, unerwünschten Gast. Dabei paddelte er aufgeregt mit seinen kurzen, aber kräftigen Armen.

Erst als Lee ihm anbot, den doppelten Preis zu zahlen, wurde er etwas umgänglicher.

"Zuzüglich einem Dollar extra!", fauchte er listig.

"Wofür?"

"Für den Sattel." Quincy grinste unverschämt. "Oder brauchen Sie keinen?"

Lee musterte den Kerl ärgerlich.

Quincys Blick wiederum blieb an Lees blutverschmiertem Hemd hängen.

Der Kerl ist nicht auf den Kopf gefallen!, erkannte Lee. Der kann eins und eins zusammenzählen und sich denken, wie wichtig es für mich ist, einen Gaul unter den Hintern zu bekommen!

"Gut", meinte Lee dann.

Es hatte keinen Sinn, zu handeln.

Alles, was er jetzt noch besaß, waren ein paar Cents, die kaum für ein Glas Whisky reichen würden. Aber egal. Es war nicht zu ändern.

Er hatte einfach keine andere Wahl.

"Wohin reiten Sie, Mister?"

Lee runzelte die Stirn. Eine solche Frage gefiel ihm nicht.

"Was geht das Sie an?"

"Nur in sofern, als Sie auf meinem Gaul reiten werden! Und da möchte ich gerne wissen, wo es hingeht - und ob eine Aussicht besteht, dass Sie mir das Tier eines Tages zurückbringen!"

"Ich reite zur alten Silbermine", sagte Lee schließlich.

Es konnte ihm kaum irgendwie schaden, wenn er es den griesgrämigen Mietstallbesitzer wissen ließ. Hauptsache, dieser Kerl machte nicht noch irgendwelche Schwierigkeiten...

Quincy ließ ein freudloses Lachen zwischen seinen Lippen hindurchkommen.

"So, zur alten Silbermine wollen Sie..."

"Was dagegen?"

Er zuckte mit den Schultern.

"Das ist ein übler Ort geworden", brummte er.

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Die alte Silbermine war schon seit Jahren außer Betrieb.

Es gab einfach nicht genug von dem Edelmetall hier, als das der Abbau lohnend sein konnte.

Die Besitzer hatten diese bittere Wahrheit erkennen müssen und waren schließlich fortgezogen. Die Gebäude und auch einen Teil der Gerätschaften hatten sie zurückgelassen.

Es war eine kleine Geisterstadt.

Der Wind pfiff über die Baracken der früheren Mannschaft und ließ hier und da Türen klappern. Dieser Ort hatte etwas Unheimliches an sich.

Jetzt diente er vorzugsweise als Treffpunkt und Quartier für umherziehendes Gesindel.

Der Reitertrupp war scharf geritten und nun, als die zum Teil halb verfallenen Gebäude als schattenhafte Umrisse vor den Männern auftauchten, stoppten sie und zügelten ihre Pferde.

Ein Lagerfeuer war ziemlich heruntergebrannt.

In einem der Baracken kam Bewegung auf.

Schritte waren zu hören.

"Bist du es, Shorter?", rief eine raue Reibeisenstimme zu dem Reitertrupp herüber.

"Ja."

"Du hast dir diesmal ziemlich viel Zeit gelassen - du und deine Jungs!"

"Sonst ist es umgekehrt und wir wissen nicht, ob wir mit euch noch rechnen können. Also reg dich ab, Fernandez!"

"Habt ihr irgendwelchen Ärger gehabt?"

"Ja. So kann man's nennen. Aber lassen wir jetzt die Quatscherei. Morgen haben wir einen anstrengenden Tag vor uns und bis dahin sollten wir uns noch ein bisschen aufs Ohr legen, Männer!"

Shorter stieg ab. Fernandez trat jetzt in den Schein des Lagerfeuers.

Er war ein hochgewachsener Mexikaner, dessen Sombrero hier oben im Norden eine wirkliche Besonderheit war.

"Am frühen Nachmittag soll der Zug in Green River ankommen!", murmelte Shorter. "Ich habe inzwischen schon ein schönes Plätzchen ausgesucht, an dem wir auf ihn warten können!"

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Die Nacht war sternenklar und sehr kalt.

Die Kälte fuhr ihm durch die Kleider, als wären sie gar nicht vorhanden.

Lee Callahan fror ganz erbärmlich, aber wenn man alles in allem betrachtete, dann war das noch das Geringste seiner Probleme.

Er folgte der Wegbeschreibung, die man ihm gegeben hatte, aber es war nicht leicht, bei Dunkelheit den richtigen Weg zu finden. Die Landschaft wurde zerklüfteter, schroffe Felsen ragten in den Nachthimmel.

Bald schien es Lee, als befände er sich in einem einzigen Labyrinth.

Einmal glaubte er gar, den Weg schon völlig verloren zu haben, aber glücklicherweise bestätigte sich das nicht. Nach gut zwei Stunden schließlich kam er in die Nähe der alten Mine und der dazugehörigen Barackensiedlung.

Er näherte sich sehr vorsichtig, führte das Pferd ein Stück am Zügel, um es dann an einem Strauch festzumachen. Dann ging es zu Fuß weiter.

Das Tier sollte ihn nicht verraten.

Die meisten der Baracken waren leer und unbewohnt, sah man von ein paar streunenden Hunden und jeder Menge Ratten einmal ab. Aber beim Haupthaus, da war es anders.

Ein heruntergebranntes Lagerfeuer hatte noch einen Rest von Glut.

Aber nirgends waren Pferde zu sehen.

Lee verzog grimmig das Gesicht. Wie es schien, war er zu spät gekommen. Weit und breit keine Menschenseele!

Die Kerle waren schon aufgebrochen!

Er ging über den verlassenen Lagerplatz.

Lee blickte kurz hinüber zum Horizont, wo bereits die ersten Strahlen der Sonne blutrot über die Hügel krochen. Sie hatten noch keine Kraft, es war noch immer kalt, aber der neue Tag war nicht mehr fern.

Er suchte nach Spuren und fand auch welche.

Ich werde ihnen folgen!, dachte Lee bei sich. Was sollte er auch anderes tun? Er kannte nicht die Stelle, an dem der Überfall stattfinden sollte.

Es blieb ihm also gar nichts anderes übrig.

Er würde ihnen folgen und im entscheidenden Moment die Tour vermasseln!

Lee lief zu seinem Pferd zurück und schwang sich in den Sattel. Dann trieb er den Gaul vorwärts und folgten den Hufspuren am Boden.

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Die Männer saßen in ihren Sätteln und warteten. Ihre Blicke gingen die Gleise entlang, die sich irgendwo am Horizont verloren.

Nebeneinander, fast in einer Reihe, warteten sie auf dem Hügelkamm. Am Fuß des Hangs waren die Gleise. Matt Grant war war dort und lag mit dem Ohr am Metall, in der Hoffnung irgendetwas hören zu können.

Lange Zeit, viel zu lange für die ungeduldigen, geldgierigen Seelen der Wölfe, hörte Grant gar nichts. Aber dann gab er schließlich ein Zeichen zu den anderen oben auf dem Kamm.

Shorter nickte zufrieden.

Ein zynisches Lächeln spielte um seine Lippen. In seinen tiefliegenden Augen blitzte es gefährlich.

Einige der Männer nahmen jetzt die Winchestergewehre aus den Sätteln, andere griffen zu den Revolvern.

Grant kam endlich vom Boden hoch, blickte in die Richtung, aus der der Zug kommen musste, ohne etwas zu sehen und schwang sich dann in den Sattel. Dann ritt er den steilen Hang hinauf zu den anderen.

"Was ist, Amigo?", rief Fernandez, der Mexikaner. "Kommt dieser verfluchte Zug heute noch?"

"Er kommt", nickte Grant. "Er muss jetzt irgendwann dahinten um die Ecke kommen. Sperrt eure Augen ein bisschen auf!"

Das taten sie ohnehin bereits die ganze Zeit über, denn sie konnten es kaum erwarten. Aber es dauerte dann doch noch einige lange Augenblicke, ehe der Zug wie eine dünne, schwarze Schlange über den Horizont kroch.

"Los Männer! Sehen wir zu, dass die zwanzigtausend Dollar an Lohngeldern nicht an uns vorbei fahren!", rief Shorter.

Sie trieben ihre Pferde den Hang hinunter auf die Gleise zu. Der Zug dampfte ratternd über die Gleise, während die Reiter auf ihn zuhielten.

Als sie ihn erreicht hatten, ritten sie parallel zu den Gleisen. Der erste, dem es gelang, vom Sattel auf ein Trittbrett am Wagenende zu gelangen, war Fernandez.

Eigentlich hatte Shorter vorgehabt, ihn mit der Aufgabe zu betrauen, die Pferde einzufangen, aber das hatte er vehement von sich gewiesen! Und so musste das jetzt Matt Grant machen, der nichts dagegen hatte.

Wenig später war auch Shorter auf dem Zug.

Einer nach dem anderen folgte.

Fernandez war keine Sekunde mehr zu halten, seitdem er Räder unter den Füßen hatte.

Er stürmte mit der Winchester im Anschlag ins Wagenabteil, fuchtelte mit der Waffe herum und versetzte alle Anwesenden in Angst und Schrecken.

Eine Frau stieß einen spitzen Schrei aus, ein paar Kinder brüllten, Stimmen redeten aufgeregt durcheinander.

"Hände hoch und Ruhe!", brüllte der Mexikaner während von der anderen Seite des Wagens Roy Mulligan hereinkam.

Ein gutgekleideter Herr mit Stetson und Krawatte versuchte, mit der Rechten unter die Jacke zu greifen, aber Mulligan war schneller.

Blitzschnell hatte er seine beiden Colts abgefeuert.

Die Kugeln nagelten den Mann förmlich an seinen Sitz.

In seinem Gesicht stand namenloser Schrecken. Mit weit aufgerissenem Mund sank er blutüberströmt in sich zusammen.

Die Frau neben ihm, wurde bleich.

Sie sagte kein Wort. Fast schien es, als wagte sie es nicht einmal, zu atmen.

Während Fernandez mit seiner Winchester die zutiefst erschütterten Leute in Schach hielt, steckte Mulligan seine Revolver ein und widmete sich dem Toten. Der schöne Stetson war ihm vom Kopf gefallen und lag jetzt auf dem schmierigen Boden.

Mulligan packte ihn beim Haarschopf, richtete ihn auf und schaute nach, was der Mann unter der Jacke hatte hervorholen wollen.

Der Revolvermann kniff ärgerlich die Augen zusammen.

Es war ein Taschentuch.

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Es war nicht festzustellen, ob der Zug irgendwie in seiner Geschwindigkeit nachgelassen hatte.

Nach Shorters Gefühl raste er noch immer mit unvermindertem Tempo über die Schwellen. Und in diesen Dingen konnte Shorter sich auf sein Gefühl verlassen.

Er war auf das Dach eines Wagons geklettert und arbeitete sich jetzt zur Lok vor.

Wagon für Wagon überlief er, sprang dann zum nächsten, bis da nur noch die Lok und der Kohlentender waren.

Einen Moment lang zögerte er dann.

Er überlegte, zu springen, entschied sich schließlich aber dagegen. Er war zwar alles andere als ein Dandy, aber auf der anderen Seite besaß er im Moment nur eine einzige Hose und die wollte er nicht noch dreckiger machen, als sie ohnehin schon war.

Es musste auch so gehen!

Er zog den Colt und schoss zweimal in die Luft. Lokführer und Heizer zuckten förmlich zusammen und sahen verängstigt zu ihm hinüber Liam Shorter sah die Winchester, die die beiden neben dem Heizofen stehen hatten.

Der Lokführer warf einen verstohlenen Blick zu Waffe, sah dann wieder zu dem Mann auf dem Wagendach und schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob er schnell genug sein würde...

Natürlich hatte er nüchtern betrachtet keine Chance, das Gewehr zu ergreifen, durchzuladen und abzufeuern, bevor Shorter seinen Zeigefinger gekrümmt und geschossen hatte.

Vielleicht spekulierte er darauf, dass sein Gegenüber ein schlechter Schütze war...

Aber da sollte er sich verrechnet haben.

Noch ehe es ihm überhaupt gelungen, war, die Waffe auch nur anzufassen, hatte Shorter bereits zweimal geschossen.

Die erste Kugel fuhr in den hölzernen Kolben der Winchester und ließ ihn splittern.

Das Gewehr sackte zu Boden.

Die Zweite traf den Lokführer an der Schulter und riß ihn fast aus dem Zug.

Die Dampfmaschine der Lok machte viel Krach und so war eine Verständigung mit Worten auf diese Entfernung schlecht möglich.

Shorter bedeutete dem - offenbar etwas ängstlicheren Heizer, das Gewehr aus dem fahrenden Zug zu werfen.

Der Heizer machte keinesfalls den Eindruck, als wollte er das Eigentum der Union Pacific so verteidigen, als wäre es das Seinige gewesen - notfalls mit dem Leben! Und so führte er den Befehl anstandslos aus.

Dann deutete Shorter auf die Bremse.

Der verletzte Lokführer tat erst so, als würde er nicht verstehen; der Heizer verstand hingegen sofort und wenig später stand der Zug.

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Der Safe mit den Lohngeldern befand sich im Gepäckwagen.

Dessen Schloss sprengte Einer der Männer kurzerhand auf.

Nachdem der Safe auf ähnliche Weise geknackt worden war, packten sie die fein säuberlich aufgeschichteten Bündel von Banknoten und steckten sie in handliche, grobgewebte Leinensäcke.

Matt Grant kam mit den Pferden heran.

"Hey, endlich fertig?"

"Hier, fang auf!" Jemand warf Grant einen der Geldsäcke zu.

Unterdessen war Liam Shorter vom Zugdach gestiegen. Den Colt hielt er nach wie vor schussbereit in der Rechten. Aber niemand schien da zu sein, der Lust hatte, den Heldentod zu sterben.

Fernandez' Stimme war deutlich zu hören, so deutlich, dass Shorter gequält das Gesicht verzog.

Wie ein bissiger Hund kläffte er die Fahrgäste an, während er von einem Abteil ins andere stürmte, stets mit der Winchester im Anschlag.

Das Geld war schnell eingepackt und wurde auf die verschiedenen Pferde verteilt.

Shorter gab einen Schuss in die Luft ab.

"Los, kommt raus!", rief er den anderen zu. "Wir verschwinden jetzt!"

Fernandez kam aus einem der Wagons.

Er war kaum einen Schritt im Freien gelaufen, da weiteten sich seine Augen vor Verwunderung. Sein dunkler Teint verlor sich plötzlich in nichts und er wurde mit einem Mal bleich wie ein weißes Laken.

"Was ist das für ein Kerl da vorne?", rief er.

Shorter wirbelte herum und erschrak.

Der Reiter, der da herangeprescht kam, war kein anderer, als Lee Callahan.

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Liam Shorter griff sofort zur Waffe, als er Lee erblickte.

Sein Gesicht verzog sich zu einer grimmigen Maske, während sein Zeigefinger den Abzug betätigte.

Lee presste sich an den Hals seines Pferdes und ballerte gleichzeitig zurück.

Zwei von der Bande streckte er mit gezielten Schüssen nieder. Die Antwort bestand in einem wütenden Bleifeuer von mehreren Seiten.

Matt Grant versuchte, die Pferde zu halten, die durch die beginnende Schießerei halb wahnsinnig wurden. Sie stellten sich wiehernd auf die Hinterhand und rissen an ihren Zügeln.

Ein paar Schüsse noch hin und her und sie rissen sich los.

Grant konnte sie nicht mehr halten, er musste vielmehr froh sein, noch immer im Sattel zu sitzen, denn auch sein eigener Gaul spielte nun mehr oder weniger verrückt.

Die Pferde preschten mit Schaum vor dem Mund davon.

Shorter fluchte lautstark.

Im Umkreis von einer halben Meile würde man sie mühsam wieder einfangen müssen. Das war ein unvorhergesehenes Ärgernis, aber jetzt nicht wieder rückgängig zu machen.

Währenddessen war Lee bis zu den Wagons vorgedrungen, hatte sich aus dem Sattel gleiten und zu Boden fallen lassen, wo er sich blitzschnell herumdrehte.

Fernandez, der Mexikaner, hatte seine Winchester auf ihn angelegt und bereits mehrere Schüsse abgegeben, die allesamt in Boden schlugen.

Lee setzte zu einem schnellen, aber sicheren Revolverschuss an und feuerte. Fernandez bekam eine Kugel in den Bauch und klappte in sich zusammen, wie ein Taschenmesser.

Ein dumpfes Grunzen war das letzte, was er von sich gab.

Als er schwer auf den Boden schlug, war er bereits tot.

Lee sah hinüber zum Gepäckwagen, wo Shorter und einige seiner Leute sich verschanzt hatten. Er rappelte sich auf und hetzte zum nächsten Wagon. Mit raschen, sicheren Bewegungen erklomm er die Trittbretter, während rechts und links von ihm die Kugeln einschlugen.

Er spürte den Schmerz an seiner verletzten Seite, aber er biss die Zähne zusammen. Dann hatte er es geschafft und befand sich im Inneren des Waggons.

Aber zum Aufatmen blieben Lee Callahan kaum mehr als eine halbe Sekunde.

Kaum war er eingetreten, da sah er am anderen Ende des Waggons den schwarzgekleideten Roy Mulligan.

Von einem Moment zum anderen blickte er in die Mündungen zweier Revolver. Es lief Lee kalt den Rücken herunter.

Was dann geschah, ging mit unglaublicher Schnelligkeit vor sich. Es dauerte kaum länger als einen Augenaufschlag.

Lee war sich sofort darüber im Klaren gewesen, dass er nicht mehr schnell genug sein konnte, um Mulligan zu erwischen, bevor dieser seine beiden Waffen abgedrückt hatte.

So warf er sich zur Seite, zwischen zwei Sitzbänke. Ein älteres Ehepaar saß dort und die Frau stieß einen spitzen Schrei des Entsetzens aus, während ihrem Mann einfach nur der Mund offenstand.

Sie duckten sich schnell und der Alte legte seinen Arm um die Frau, obwohl ihm sicher klar war, dass sie das nicht schützen konnte.

Mulligan schoss.

Die Kugeln brannten sich in die Waggontür, fast genau dort, wo Lee sich noch einen Sekundenbruchteil zuvor befunden hatte.

Lee wusste, dass ihm wahrscheinlich nur eine einzige Chance, ein einziger Schuss bleiben würde.

Blitzschnell tauchte er hinter der Sitzbank hervor und feuerte fast gleichzeitig.

Roy Mulligan gab auch noch einen Schuss ab, aber der ging in die Decke. Die Kugel, die ihn in die Brust getroffen hatte, riss ihn zurück. Er taumelte nach hinten und fiel dann der Länge nach hin.

Mit ausgestreckten Armen und weit aufgerissenen Augen lag er da. Mausetot. Die Revolver hielt er nach wie vor fast wie im Krampf umklammert.

"Dieser Kerl hat meinen Mann auf dem Gewissen!", sagte eine gutgekleidete Frau, während sie voller Hass und Verachtung auf den toten Mulligan blickte.

Sie wandte sich an Lee Callahan.

"Ich weiß nicht, wer Sie sind, Sir, aber ich möchte Ihnen danken! Diese Teufel haben hier gewütet wie Tiere!" Dann schluchzte sie.

Lees Blick fiel auf die Leiche ihres Mannes, die noch immer auf ihrem Platz saß. Die Augen waren ihm gnädigerweise geschlossen worden.

"Die Sache ist noch nicht zu Ende!", erklärte Lee fest. "Die meisten von den Kerlen sind jetzt beim Gepäckwagen!"

"Sollen sie sich das Geld nehmen und verschwinden!", meinte jemand "Ich habe nichts dagegen, wenn dadurch kein Blut mehr vergossen wird!"

"Sie werden nicht verschwinden", sagte Lee ruhig und gelassen. "Sie können es gar nicht."

"Warum nicht? Was sollten sie sonst wollen?"

"Ihre Pferde sind abgehauen."

"Was schlagen Sie vor, Mister..."

"Callahan."

"Wie auch immer! Was sollen wir tun?"

"Diesen Kerlen muss das Handwerk gelegt werden!", erklärte Lee. "Wenn mir jemand helfen will, so mag er sich einen der Revolver dieses Mannes hier", Lee deutete auf Mulligan, "nehmen, sofern er damit umzugehen versteht!"

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Sie hatten sich im Gepäckwagen verschanzt und hörten die Schüsse aus den Waggons.

Einer der Geldsäcke war hinausgefallen und aufgegangen.

Bündel von Geldscheinen lagen jetzt im Gras. Der Wind spielte mit Dollarnoten.

Shorter verzog bei diesem Anblick grimmig den Mund.

Nein, er würde sich durch dieses dahergelaufene Halbblut nicht diesen Coup vermasseln lassen. Es war mehr Geld da, als er je in seinem Leben auf einem Haufen gesehen hatte. Endlich das große Ding, von dem er so lange geträumt hatte!

"Ich hau ab!", hörte er dann eine ihm wohlbekannte Stimme neben sich.

Er wandte sich zur Seite.

"Ruhig Blut, Jimmy!"

"Ich werde gehen!", kam es noch einmal.

"Wie denn, du Hornochse?"

"Zu Fuß. Hauen wir zu Fuß ab. Wir werden unsere Pferde schon wieder einfangen."

Shorter wagte sich hervor und gab ein paar wütende Schüsse ab. Ohne allzu viel Erfolg allerdings.

Die Antwort kam postwendend in Form eines kurzen Bleigewitters. Dann war vorerst wieder Ruhe.

"Ich halte das nicht aus!", schimpfte Jimmy und raffte ein paar Bündel mit Geldscheinen zusammen, die er sich hinter sein Hemd steckte.

Jimmy war einer von Fernandez' Leuten und denen hatte Shorter von Anfang an misstraut. Fernandez hatte noch nie einen Blick für Menschen gehabt. Meistens fiel ihm viel zu spät auf, wenn jemand dabei war, dessen Nerven für so ein Unternehmen nicht geschaffen waren.

"Von einem einzigen Desperado lässt du dir die Butter vom Brot nehmen?", höhnte Shorter.

"Dieser eine kann verdammt gut schießen! Ganz gleich, wer das ist, ob Marshal oder Kopfgeldjäger, er ist verdammt gefährlich! Außerdem ist er wohl offensichtlich nicht mehr allein. Ist dir nicht aufgefallen, dass aus mehreren Rohren auf uns geschossen wurde?"

Shorter nickte.

Vermutlich waren einige der Fahrgäste übermütig geworden und hatten sich auf die Seite des Halbbluts geschlagen.

Vielleicht waren Mulligan und die anderen, die sich noch in den Waggons befanden, längst tot.

Es war nicht auszuschließen.

"Diese verdammten Feiglinge!", zischte Shorter dann in ohnmächtigem Zorn, als er sah, wie irgendwo vorne eine Waggontür aufgemacht wurde und Zwei von seinen Männern ins offene Feld davonrannten.

Niemand schoss auf sie.

Sie rannten davon, in der Hoffnung, irgendwo ihre Pferde wieder unter das Hinterteil zu bekommen und möglichst schnell ein Meilen zwischen sich und diesen Ort legen zu können.

"Ich gehe auch!", sagte Jimmy. Er wusste wohl selbst nicht mehr, zum wievielten Mal er das bereits angekündigt hatte, aber diesmal schien er es ernst zu meinen.

Er wollte aus dem Gepäckwagen klettern, da hielt Shorter ihm seinen Revolverlauf entgegen.

Jimmy wurde bleich.

"Du wirst doch nicht..."

"Wenn du schon gehen willst, dann lass das Geld hier, dass du eingesteckt hast!"

"Aber Shorter, dass ist doch noch nicht einmal mein Anteil..."

"Gleichgültig."

Shorter spannte den Hahn seiner Waffe. Jimmy versuchte in einem Akt der Verzweiflung, zu ziehen, hatte aber selbstverständlich nicht den Hauch einer Chance. Getroffen sackte er nach hinten und fiel der Länge nach ins Gras. Die Dollars, die er sich hinter das Hemd gesteckt hatte, waren nach wenigen Augenblicken rot durchtränkt.

"War das wirklich nötig?", raunte Matt Grant.

Shorter warf ihm einen ärgerlichen Blick zu.

"Willst du meine Entscheidungen in Frage stellen?"

"Nein."

"Wir kaufen uns das Halbblut! Los, vorwärts, Männer!"

Aber dann hielt ihm Matt Grant plötzlich seinen Revolver unter die Nase.

"Hey... Was soll das, Matt!"

"Ich habe keine Lust, mich für deinen Rachedurst verheizen zu lassen!"

Shorter blickte in die Runde. Fünf Mann waren sie noch in dem Gepäckwagen. Und wenn Shorter richtig in ihren Gesichtern las, dann teilten sie alle Matt Grants Meinung zu diesem Punkt.

"Matt! O'Kensey hat dich genauso ins Loch gebracht wie mich!"

"Das sind alte Geschichten, Liam!" Ohne den Revolver zur Seite zu nehmen nahm Grant einen der Geldsäcke. "Das hier, ist die Gegenwart!"

"Dieses Halbblut hat schließlich ein paar von uns auf dem Gewissen!" Shorter war schier außer sich vor Wut. Aber das klickende Geräusch, das entstand, als Grant den Hahn seines Colts spannte, ließ ihn schnell wieder ruhiger werden.

"Keine falsche Bewegung!"

"Mit uns kannst du nicht dasselbe machen, wie mit Jimmy!"

meinte einer der anderen Kerle. Sie nahmen Shorter die Waffe ab.

"Freunde, das könnt ihr mir mir nicht machen!"

"Natürlich können wir! Schließlich will keiner von uns von hinten eine Kugel in den Pelz gebrannt bekommen!"

Grant grinste breit.

Sie nahmen an Geld mit, was sie tragen konnten und dann stürmten sie wild um sich schießen hinaus, den Hang hinauf.

Aber ihre Flucht ging kaum über mehr als zwei Dutzend Schritte. Denn Männern fielen vor Schreck die Kinnläden nach unten, als die Reiterschar über den Kamm der Hügelkette kommen sahen.

Bei einem der Reiter blinkte etwas an der Brust.

Ein Blechstern!

Einen Augenblick lang geschah nichts. Matt Grant war der Erste, der den Schrecken überwand und einfach drauflos ballerte.

Ein Bleihagel kam zurück. Grant wurde von mehreren Kugeln erfasst und lag einen Augenblick später tot im Gras.

"Waffen fallenlassen!", kam reine barsche Anweisung.

Die anderen Kerle leisteten dem sofort Folge, denn es war ihnen klar, dass sie gegen diese Übermacht keine Chance hatten, zumal auf freiem Feld und ohne irgendwelche Deckung.

"Callahan! Lee Callahan, sind Sie hier irgendwo?"

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44

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Lee kam aus einem der Waggons heraus. Einige der Fahrgäste folgten seinem Beispiel, als auch sie merkten, dass die Sache zu Ende war.

Die Männer von Sheriff Morris' Aufgebot nahmen die Zugräuber ohne größer Schwierigkeiten fest und entwaffneten sie.

Robby Dickson machte große Augen, als er Liam Shorter zum ersten Mal zu Gesicht bekam.

"Bis jetzt habe ich nicht wirklich geglaubt, dass dieser Kerl existiert!", meinte er an McGregor gewandt.

Der Rancher nickte nachdenklich.

"Ja", meinte er. "Wir alle irren uns irgendwann einmal..."

"Verdammt, ich war mir so sicher!"

McGregor schlug sich mit der flachen Hand auf die Schenkel.

"Mir geht es genauso, Robby!"

Dann sah der Rancher, wie Madeleine die Zügel ihres Pferdes herumriss und Lee Callahan entgegenpreschte. Kaum war sie in seine Nähe gekommen, da sprang sie aus dem Sattel, ließ die Zügel fahren und lief ihm in die Arme.

"Oh, Lee!"

"Madeleine! Du bei einem Aufgebot des Sheriffs?"

"Lee, jetzt ist wirklich nicht die Zeit, um dumme Witze zu machen!", schalt sie ihn mit gespieltem Ärger. Sie war überglücklich. "Ich bin ihnen gefolgt und habe sie bei Doc Wallaces Haus eingeholt. Inzwischen glaubt wohl kaum noch einer von ihnen ernsthaft, dass du die O'Kenseys umgebracht hast"

"Nein", sagte Lee. "Das habe ich auch nicht..."

"Ich weiß, Lee. Und ich wusste es von Anfang an..."

Er drückte sie kurz an sich und dann fiel ihr Blick auf sein blutdurchtränktes Hemd.

"Du bist verletzt..."

"Ach, halb so wild! Aber wie habt ihr mir bis her folgen können? Woher wusstet ihr...?"

"Von einem ekelhaften Giftzwerg!", war nun Sheriff Morris' Stimme zu vernehmen. Er war bis auf gut ein Dutzend Schritte herangekommen. "Er heißt Quincy und ist der Besitzer des Mietstalls in Green River City..."

"Der wusste von dem Überfall auf den Zug mit den Lohngeldern?"

"Nein, aber er hat uns verraten, dass Sie - oder doch zumindest ein Mann, auf den Ihre Beschreibung passte - zur alten Silbermine geritten ist. Als wir Sie dort nicht vorfanden sind wir dann den Hufspuren gefolgt!"

Der Sheriff hatte die ganze Zeit etwas in der Hand gehalten. Es war etwas kleines, in der Sonne Blinkendes, das an einer Kette hing.

Er hob es hoch, trat dann nahe an Lee Callahan heran und reichte es ihm.

Es war eine Taschenuhr.

"Das habe ich gerade dem Mann mit der Narbe angenommen. Es gehört jetzt Ihnen. Und wenn es noch eines Beweises dazu bedurft hätte, dass Ihre Story der Wahrheit entspricht: Hier ist er!"

Lee runzelte die Stirn.

Er nahm die Uhr an sich und klappte sie auf.

Eigentlich war dort ein Bild gewesen - ein Bild, das Mildred O'Kensey in einem hellen Spitzenkleid zeigte. Aber offensichtlich hatte Liam Shorter es entfernt.

Jetzt war dort nur noch eine winzige, kunstvoll gemachte Gravur: Für Luke F. O'Kensey, meinen Mann. In Liebe.

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45

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Es war an einem wunderschönen, sonnigen Tag im Frühling, einige Jahre später.

McGregor saß jetzt mehr so gerne im Sattel wie früher; wenn es eben ging, dann benutzte er den sportlichen Zweispänner.

Er war alt genug und hatte es sich verdient, wie er fand.

McGregor lenkte den Wagen über die sanften, grasbewachsenen Hügel. Neben ihm saß ein Mann namens Simpson, der sein neuer Vormann werden sollte.

Simpson hatte sein Pferd hinten am Wagen festgemacht, aber es war ihm unschwer anzumerken, dass er lieber im Sattel gesessen hätte.

"Ist das hier bereits Ihre Weide, Mr. McGregor?"

Der Rancher sah versonnen in die Ferne und schüttelte dann den Kopf.

Er lachte.

"Nein, Simpson, dies ist nicht mein Land, bis dahin ist es noch ein Stück. Dieses Land gehört Lee Callahan, dem Mann meiner Tochter..."

"Sind Sie etwa auch schon Großvater?", fragte Simpson.

McGregor nickte.

"Bin ich! Zwei Enkel leben dort auf der Callahan-Ranch. Beides feine Jungs! Wir kommen gleich an der Ranch vorbei. Sie war einmal fast völlig niedergebrannt, aber Lee hat sie wieder aufgebaut. Sie ist gut in Schuss. Ein halbes Dutzend Cowboys stehen dort mittlerweile in Lohn und Brot!"

McGregor hatte das fast mehr zu sich selbst als zu seinem Gegenüber gesagt, aber jetzt wandte er sich zu Simpson um und funkelte ihn an.

"Wussten Sie, dass ich ursprünglich der Meinung war, dass dieser Callahan nichts für meine Tochter sei?" Er schlug sich mit der Rechten auf den Schenkel und lachte fröhlich. "Ich habe ihn sogar von meinen Leuten verprügeln lassen! Vielleicht erzähle ich Ihnen die Geschichte bei passender Gelegenheit einmal, Simpson!"

ENDE

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McQuade und die Claimwölfe

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Western von Pete Hackett

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Nathan Pattens Spur führte in die Wildnis der Chiricahua Mountains. Patten hatte drei Männer ermordet, auf seinen Kopf war eine Belohnung von tausend Dollar ausgesetzt. Auf dem Steckbrief stand tot oder lebendig.

Seit über zwei Wochen war McQuade hinter dem Mörder her. Es war, als würde er ein Phantom jagen. Aber der Kopfgeldjäger gab nicht auf. Vor ihm buckelten die zerklüfteten Berge. Er hatte den Falben angehalten und ließ seinen Blick schweifen. In der Ödnis war die tödliche Gefahr, die von Cochises aufrührerischen Chiricahuas ausging, allgegenwärtig.

Das Land schien der Satan persönlich geschaffen zu haben. Felsen, Geröll, Staub und Hitze, Klapperschlangen, Eidechsen und Skorpione trieben hier ihr Unwesen, die Vegetation war dürftig; dornige Comas, ungenießbares Büschelgras, Mesquites und Ocotillos.

Gray Wolf hatte sich auf die Hinterläufe niedergelassen und die Nase erhoben.

Über den Bergen spannte sich von einem Horizont zum anderen der ungetrübte, blaue Himmel. Die Sonne stand fast senkrecht über dem Texaner und brachte die flirrende Luft regelrecht zum Kochen. Kein Windhauch regte sich. Das Gebiet vor McQuade mutete an wie leergefegt, wie ausgestorben. Doch der Kopfgeldjäger gab sich keinen Illusionen hin. Ruhe und Frieden waren trügerisch.

McQuade ruckte im Sattel und schnalzte mit der Zunge. Der Falbe setzte sich in Bewegung. Gray Wolf erhob sich, streckte den muskulösen Körper, gähnte und folgte schließlich dem Pferd. Dumpf pochten die Hufe, kleine Staubfahnen wirbeln um sie herum.

Der Kopfgeldjäger ließ keinen Moment in seiner Aufmerksamkeit nach. Seit Jahren führte Cochise mit seinen Kriegern einen regelrechten Guerillakrieg gegen die Armee. Die Apachen überfielen Wagenzüge, Postkutschen, Postreiter und Farmen. Die Apacheria war getränkt mit dem Blut seiner Bewohner, ob rot oder weiß. Es gab weder Gnade noch Erbarmen, und es gab kein Verständnis und kein Entgegenkommen. Der Hass saß tief, und er fand immer wieder neue Nahrung.

Stunde um Stunde zog McQuade zwischen Felsen und Hügeln dahin. Gray Wolf, der Nathan Pattens Spur bei Benson aufgenommen hatte und ihr seitdem folgte, lief immer einige Yards vor dem Kopfgeldjäger, die Nase dicht über dem Boden, unbeirrbar und mit untrüglichem Instinkt.

Die Sonne stand weit im Westen, die Schatten waren lang, die Hitze war lähmend und unerträglich und sogar das Atmen bereitete Mühe. Über einen Hügel sah McQuade mehrere Rauchsäulen steigen. Sie wurden nicht unterbrochen und dem Kopfgeldjäger wurde sehr schnell klar, dass es sich nicht um irgendwelche Rauchsignale handelte, die von Apachen zum Himmel geschickt wurden, sondern dass sich auf der anderen Seite des Hügels ein Camp befinden musste, in dem einige Lagerfeuer brannten.

Der Abhang war nicht besonders steil. Dennoch musste der Falbe die Hinterbeine wie Säulen gegen das Zurückgleiten stemmen. Der Untergrund bestand aus Sand und Geröll und war ziemlich lose. Das Pferd schnaubte und prustete.

McQuade hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. War er auf einen Schlupfwinkel der Apachen gestoßen? Er schloss aber auch nicht aus, dass es sich um ein Goldgräbercamp handelte. Viele Jahre hatte Cochise die Goldgräber in der Apacheria geduldet. Schließlich aber hatte er den Bleichgesichtern ewige Feindschaft geschworen und das Kriegsbeil ausgegraben. Seitdem waren auch die Prospektoren und Digger nicht mehr sicher. Aber oftmals überwog die Habgier die Angst.

Auf dem Hügelrücken saß McQuade ab. Einige haushohe Felsen schützten ihn vor Blicken von unten. Er ließ den Falben zurück und pirschte soweit vor, bis er in die Senke blicken konnte, aus der die Rauchsäulen in die Höhe stiegen. Der Kopfgeldjäger sah mehr als zwei Dutzend Zelte und Zweighütten. In einigen Seilcorrals standen Pferde. Bärtige Männer in grober Kleidung hockten an den Lagerfeuern, von eisernen Dreibeinen hingen Töpfe in die Flammen.

McQuade vermutete, dass es sich um Goldsucher handelte. Er holte sein Pferd, saß auf und ritt hinunter. Auf halber Höhe des Abhanges wurde er angerufen: „Stopp, Hombre! Wer bist du und wohin willst du?“

Ein Gewehr wurde durchgeladen und unterstrich den Befehl, anzuhalten, mit einem metallischen Knacken.

Der Kopfgeldjäger zerrte den Falben in den Stand. Gray Wolfs Nackenhaare sträubten sich und aus seiner Kehle stieg ein drohendes Knurren. „Ruhig, Partner“, gebot der Texaner und legte die Hände übereinander auf das Sattelhorn, dann rief er: „Mein Name ist McQuade. Ich reite auf der Fährte eines Mannes, der in der Gegend von Tucson drei Männer ermordet hat.“

„Ich sehe keinen Stern an deiner Brust.“

„Weil ich keinen Stern trage. Der Bursche, den ich suche, ist dunkelhaarig, Mitte dreißig, mittelgroß und hager. Sein Name ist Nathan Patten.“

„Alleine durch die Chiricahua Mountains zu reiten ist Selbstmord, McQuade. Hat man dir das nicht gesagt? Oder gibt es einen besonderen Grund, der dich veranlasst, dein Leben in die Waagschale zu werfen und diesen Patten zu jagen?“

„Er ist ein Mörder und muss für seine Taten sühnen. Ist Patten hier aufgetaucht? Befindet er sich vielleicht sogar in dem Camp da unten?“

„In den Bergen hier gibt es verschiedene Camps“, antwortete der Wachposten. „Ich gehöre zu einer Gruppe von Freiwilligen, die die Digger gegen eventuelle Übergriffe der Apachen sichern. An die Camps, in denen sich dreißig oder vierzig Männer aufhalten, wagen sich die verdammten Rothäute nicht ran.“

Der Mann zeigte sich. Er hielt ein Gewehr an der Seite, hatte sich den Kolben unter die Achsel geklemmt und sein gekrümmter Zeigefinger lag locker um den Abzug der Waffe. Ein schiefes, aufgesetzt anmutendes Grinsen zog seinen Mund in die Breite. „Da du keinen Stern trägst, ist es sicher eine persönliche Rechnung, die dich hinter diesem Patten hergetrieben hat.“ Der Bursche zuckte mit den Schultern. „Ich hab nichts von dem Kerl gesehen, McQuade. Aber das muss nichts heißen. Reite hinunter und erkundige dich bei den Männern. Wenn Patten hier aufgetaucht ist, dann hat ihn sicher jemand gesehen.“

McQuade tippte lässig mit dem Zeigefinger seiner Rechten an die Krempe des schwarzen, flachkronigen Stetsons, dann trieb er den Falben an. Der Vierbeiner trug ihn den Berg hinunter. Die Männer in dem Camp wurden auf ihn aufmerksam, einige erhoben sich und näherten sich ihm. Er wurde angestarrt, die Kerle erforschten ihn regelrecht mit ihren taxierenden Blicken und versuchten, sich ein Bild von dem verstaubten und verschwitzten Reiter zu machen, der von einem großen, grauen Wolfshund begleitet wurde. „He, Mister, bist du gekommen, um hier nach Gold zu suchen?“

„Ich suche einen Mann“, versetzte McQuade.

Weitere der Digger erhoben sich und kamen näher. Bald war der Kopfgeldjäger von ihnen eingekreist. Er zog den Steckbrief Nathan Pattens aus der Tasche seines zerschlissenen, braunen Staubmantels, faltete ihn auseinander und reichte ihn einem der Männer. Der schaute sich das Bild an, las, gab ihn weiter und sagte: „Den hab ich hier nicht gesehen. He, Mister, weißt du, auf was du dich einlässt, wenn du alleine durch die Chiricahua Berge ziehst?“

„Ja, das weiß ich“, versetzte der Kopfgeldjäger nickend. „Treiben sich etwa in der Nähe eures Lagers Apachen herum?“

„Keine Ahnung. Möglich, dass uns Cochises Späher beobachten. Aber wir werden gut bewacht. Und sollten sich die roten Amigos herwagen, dann werden wir ihnen die heilige Mannesfurcht einjagen.“

Bald war klar, dass Nathan Patten dieses Camp nicht angeritten hatte. McQuade fragte die Goldgräber, ob er die Nacht in ihrem Lagen verbringen durfte. Niemand hatte etwas einzuwenden.

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Es war Nacht. McQuade saß am Lagerfeuer eines Mannes namens Dave Proctor. Der Goldsucher war schon über fünfzig Jahre alt und verfügte über eine Menge Lebenserfahrung. Er sagte: „Einer wie Patten fehlt uns gerade noch hier in den Goldgräberkolonien. Wir müssen ständig mit einem Überfall durch die Chiricahuas rechnen, außerdem treibt eine Bande von Halsabschneidern ihr Unwesen, die die Digger auf ihren Claims überfällt und ausraubt. Einige der armen Kerle haben es nicht überlebt. Diesen niederträchtigen Claimwölfen ist nichts heilig.“

„Ich denke, ihr werdet bewacht“, versetzte McQuade.

„Das ist richtig. Da die Armee jedoch nicht über die nötigen Kapazitäten verfügt und keine Leute für unsere Bewachung abstellt, haben wir Freiwillige angeheuert. Die Kerle nennen sich ‚Arizona Guards’. Es sind Söldner, die für Geld die Seele ihrer Großmutter dem Satan verkaufen würden, hartbeinige, falkenäugige Burschen, die sich das Kämpfen und Töten gut entlohnen lassen.“

„Und dennoch kann eine Bande Überfälle verüben? Schlafen denn die Kerle, die ihr bezahlt?“

„Manche haben schon den Verdacht geäußert, dass die Banditen Angehörige der ‚Arizona Guards’ sind. Laut wagt sich das natürlich keiner auszusprechen, denn mit diesen zweibeinigen Wölfen ist nicht gut Kirschen essen.“

„Wer führt die Guards an?“, wollte McQuade wissen.

„Sein Name ist Ambrose Bailey. So viel ich weiß, lebte er zuletzt in Tucson.“

„Wo finde ich Bailey?“

Dave Proctor beschrieb McQuade den Weg zu dem Camp, in dem die ‚Arizona Guards’ hausten. Am Morgen ritt der Kopfgeldjäger hin. Auch hier wurde er, ehe er den Lagerplatz betrat, von einem Wachposten angerufen und befragt. Er durfte passieren, nachdem er erklärt hatte, dass er sich um einen Job bei den ‚Arizona Guards’ bewerben wolle. Dass er Nathan Patten suchte, erwähnte er nicht. Denn nachdem er von der Existenz dieser Freiwilligentruppe erfahren hatte, schloss er nicht aus, dass Patten versuchte, bei ihr anzuheuern. In die Chiricahua Mountains verirrte sich kein Gesetzeshüter, der ihn möglicherweise erkannt hätte. McQuade sagte sich, dass er anstelle Pattens versuchen würde, bei den ‚Arizona Guards’ unterzuschlüpfen.

In dem Camp fragte er einen Mann nach Ambrose Bailey, und eine Minute später stand der Texaner dem Anführer der Freiwilligenschar gegenüber. Bailey war Ende dreißig, dunkel, und gewiss sehr hart. Alles an ihm mutete gefährlich und raubtierhaft an, sein Blick war stechend, seine Lippen waren schmal wie Striche, in seinen Mundwinkeln hatte sich ein brutaler Ausdruck festgesetzt.

Er fixierte McQuade ohne die Spur von Freundlichkeit, schoss Gray Wolf einen Blick zu und sagte: „Ich weiß wer du bist, Hombre. Kaum vorstellbar, dass du zu mir kommst, um bei meiner Truppe anzuheuern. Was also willst du, Menschenjäger?“

Das letzte Wort kam verächtlich über seine Lippen. Geringschätzig musterte er McQuade. Der war vom Pferd gestiegen und hielt den Falben am Kopfgeschirr fest. Gray Wolf drängte seinen Körper gegen die Beine des Texaners.

„Gut“, knurrte der Kopfgeldjäger, „ich will dir nichts vormachen, Bailey. Ich suche einen Burschen namens Nathan Patten. Patten ist ein dreifacher Mörder und auf seinen Kopf ist eine Belohnung von tausend Dollar ausgesetzt. Seine Spur führt hierher, und ich vermute, dass er sich an dich gewandt hat, möglicherweise sogar unter falschem Namen.“

In Baileys Gesicht zuckte kein Muskel. Sein Blick blieb unergründlich. „Hast du einen Steckbrief?“

McQuade holte das abgegriffene Blatt Papier aus der Manteltasche, legte es auseinander und hielt es dem Führer der ‚Arizona Guards’ hin. Der schaute sich das Bild an, dann schüttelte er den Kopf und sagte: „Nein, der war nicht bei mir. Tut mir leid, McQuade.“

Der Kopfgeldjäger nahm den Steckbrief wieder, faltete ihn zusammen und steckte ihn ein. „In den Camps soll eine Bande von Claimwölfen am Werk sein“, murmelte er. „Dave Proctor hat mir davon erzählt.“

Baileys Brauen schoben sich zusammen, über seiner Nasenwurzel bildeten sich zwei senkrechte Falten. „Das ist richtig. Leider haben wir nicht die geringste Ahnung, wer hinter den Überfällen stecken könnte. Diese Banditen sind mit allen Wassern gewaschen.“

„Wie viele Männer gehören zu den Guards?“

„Über sechzig. Wir können natürlich nicht überall sein. Die Claims sind über ein großes Gebiet verstreut. Dieses Gebiet sichern wir. Einzelne Grabungsstätten können wir nicht überwachen. – Es müssen welche von den Goldsuchern sein, die sich zu der Bande zusammengeschlossen haben. Nun, eines Tages erwischen wir die Hundesöhne, und dann ...“

Bailey ließ den Rest offen. Aber seine nicht ausgesprochenen Worte beinhalteten eine tödliche Drohung.

„Was dagegen, wenn ich mich ein wenig in dem Camp umsehe?“, fragte der Kopfgeldjäger.

„Ich mag Schnüffler von deiner Sorte nicht, McQuade. Außerdem habe ich es dir doch gesagt – dieser Patten ist hier nicht aufgekreuzt. Glaubst du mir nicht?“

„Du musst mich nicht mögen, Bailey“, versetzte der Kopfgeldjäger ruhig, fast gelassen, dann wandte er sich ab, stieg in den Sattel, zerrte den Falben um die linke Hand und trieb ihn an. „Go on, Partner!“

Gray Wolf gehorchte aufs Wort.

McQuade spürte geradezu körperlich den sengenden Blick, mit dem ihm Ambrose Bailey hinterher schaute. Er wusste nicht, was er von dem Führer der ‚Arizona Guards’ halten sollte. Bailey gehörte zu der Sorte, die aus Härte und Kompromisslosigkeit zusammengesetzt war, und die für Geld in die Hölle ritt und dem Satan ins Maul spuckte. Er war sicher nicht wählerisch, wenn er Männer für seine Revolvergarde einstellte, und ihm ging es gewiss nur darum, dass diese Kerle ohne groß nachzudenken schossen.

McQuade ritt zwischen die Hügel und Felsen, konzentrierte sich auf eine Anhöhe, auf der hohe Büsche standen und sich einige turmartige Felsen erhoben und von der aus er das Camp beobachten konnte.

Der Kopfgeldjäger bezog dort oben Stellung. Sein Pferd stand hinter den Felsen und war vor Blicken aus dem Lager geschützt. McQuade setzte sich an einen Felsen. Nach einiger Zeit kamen Reiter. Bailey empfing sie, dann versorgten die Männer ihre Pferde und trieben sie in einen Corral. Eine andere Gruppe ritt aus dem Camp. Es war wahrscheinlich die Wachablösung.

Und in dieser Gruppe glaubte McQuade den Burschen erkannt zu haben, den er suchte.

Der Kopfgeldjäger folgte den Reitern und beobachtete, wie bei einer der Goldgräberkolonien ein halbes Dutzend zurückblieb und sich um das Terrain, in dem die Digger den Boden aufwühlten, verteilte.

Der Rest der Horde ritt weiter bis zum nächsten Goldfeld, und wieder blieben sechs der Guards zurück. Unter ihnen war Nathan Patton.

Um McQuades Mund setzte sich ein entschlossener Zug fest.

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McQuade wartete, bis sich die Wachposten verteilt hatten. Sie hatten ein weitläufiges Gebiet zu kontrollieren. Die Claims waren ziemlich verstreut zwischen den Hügeln und Felsen, viele der Digger hatte sich sogar primitive Hütten gebaut oder Zelte aufgestellt, um auch die Nächte auf ihren Grabungsstellen verbringen zu können.

Es waren viele Gescheiterte und auch Gestrauchelte, die hier ihr Glück suchten. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Für viele von ihnen wurden die Chiricahua Mountains zum Schicksal.

McQuade folgte Nathan Patten und einem zweiten Mann. Die beiden Männer waren arglos. Langsam ritten sie um das Gebiet herum, das sie zu bewachen hatten. Die Gewehre hatten sie aus den Scabbards genommen. Patten hielt seine Henrygun am Kolbenhals fest, mit der Kolbenplatte hatte er sie auf seinem Oberschenkel abgestellt. Der andere Reiter hatte die Waffe quer über den Mähnenkamm seines Pferdes gelegt, auch seine Rechte umklammerte den Kolbenhals.

Ab und zu hielten sie bei einem der Claims an und wechselten ein paar Worte mit dem Digger. Als sie auf eine Schlucht zuhielten, beschloss McQuade, sie zu überholen und am Ende der Schlucht auf sie zu warten.

Ihm war klar, dass Nathan Patten nicht auf die leichte Schulter genommen werden durfte. Der Bandit war unberechenbar und tödlich gefährlich. Auf ihn fiel der Schatten des Galgens, bei ihm ging es um Kopf und Kragen, er hatte nichts mehr zu verlieren. Auch konnte der Texaner nicht abschätzen, wie sich der andere Mann verhalten würde, der mit Patten ritt. Der Kopfgeldjäger stellte sich auf Kampf ein.

Er ließ den Falben galoppieren und umrundete in verhältnismäßig kurzer Zeit den Felsen, der von der engen Schlucht gespalten wurde. Als er das Ende der Schlucht sehen konnte, saß er ab, die Henry Rifle flirrte aus dem Scabbard, entschlossen riegelte der Kopfgeldjäger eine Patrone in den Lauf, dann ging er hinter einem Felsklotz in Deckung. Gray Wolf verschwand zwischen den Felsen.

Da Nathan Patten und sein Begleiter nicht schnell ritten, dauerte es einige Zeit, bis McQuade die Hufschläge ihrer Pferde vernehmen konnte. Zwischen den Felsen hörten sich die Geräusche überlaut an, sie schienen sich zwischen den hochragenden, fast senkrechten Wänden zu stauen.

Die beiden Reiter zogen in McQuades Blickfeld. Jetzt sah er Patten von vorne und aus der Nähe. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Der Bandit war Mitte dreißig, dunkel und ein unstetes Leben jenseits von Recht und Ordnung hatte unübersehbare Spuren in seinem Gesicht hinterlassen.

Als der Kopfgeldjäger hinter dem Felsen hervortrat, parierten die Reiter die Pferde, sie kamen aber nicht dazu, ihre Gewehre auf den so unerwartet erschienenen Mann zu richten, denn der Texaner zielte auf sie und seine Stimme klirrte: „Keine falsche Bewegung! Lasst die Gewehre fallen! Hände hoch!“

Pattens Miene war von jäher Rastlosigkeit gezeichnet, sein unsteter Blick wirkte gehetzt, seine Backenknochen mahlten.

Der andere der Reiter überwand seinen Schreck, seine Schultern entspannten sich, er rief: „Was soll das werden, Fremder?“

„Von dir will ich nichts, mein Freund“, versetzte der Kopfgeldjäger. „Dein Gefährte ist es, hinter dem ich her bin. Er ist ein Mörder und wird vom Gesetz gesucht. – Weg mit den Gewehren!“

„Du musst mich verwechseln“, stieß Nathan Patten hervor. „Wer bist du überhaupt? Du trägst ja nicht mal einen Stern.“

„Hat dir Bailey nicht von mir erzählt, Patten?“

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Mein Name ist Stanton – Bill Stanton.“

„Sicher, Patten. Ich zähle jetzt bis drei, und wenn dann dein Gewehr nicht am Boden liegt, schieße ich. Du weißt sicher, dass auf deinem Steckbrief tot oder lebendig steht. Es ist also egal, in welchem Zustand ich dich beim nächsten Sheriff oder Armeeposten abliefere.“

Der andere Mann rief: „Ich hab damit nichts zu tun. Also reite ich weiter.“

„Beantworte mir vorher eine Frage“, sagte McQuade.

„Welche Frage?“

„Seit wann gehört Patten zu eurem Verein?“

„Er ist vorgestern angekommen. Bailey hat ihn eingestellt und mir als Partner zugeteilt. Er hat bei uns unter dem Namen Stanton angeheuert.“

„Okay, mein Freund, du kannst reiten. Ich hoffe, du versuchst nicht, mir in den Rücken zu fallen.“

„Warum sollte ich?“

In dem Moment zog Patten den Gewehrkolben an die Seite. Als sich McQuade mit dem anderen Mann unterhielt, glaubte er ihn abgelenkt und er witterte seine Chance. Der Kopfgeldjäger feuerte. Der Knall stieß auseinander, Nathan Patten zuckte zusammen, drückte ab, doch er hatte verrissen, als er getroffen wurde, und so verfehlte sein Geschoss den Texaner.

Im nächsten Moment vollführte das erschreckte Pferd des Banditen einen Satz nach vorn. Nathan Patten verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings aus dem Sattel. Als er am Boden aufprallte, verlor er die Waffe. Ein Stöhnen entrang sich ihm, dann rollte sein Kopf zur Seite.

McQuade hatte gedankenschnell repetiert und das Gewehr auf den anderen Reiter angeschlagen. Doch der machte keinerlei Anstalten, sich einzumischen. Bei den ‚Arizona Guards’ war sich jeder selbst der Nächste. Es gab keine Kameradschaft unter ihnen. Sie waren ein zusammen gewürfelter Haufen aus Abenteurern, Revolvermännern und anderen zwielichtigen Zeitgenossen. Der Bursche sagte lediglich: „Es wird Bailey ganz und gar nicht gefallen, dass du einen seiner Männer ausgeschalten hast. Er bekommt für jeden Reiter, den er einsetzt, von den Diggern einen Haufen Geld, und jeder Ausfall schmälert sein Einkommen.“

„Bailey sollte sich die Leute besser ansehen, die er einstellt“, riet McQuade unbeeindruckt.

Der Guard spornte sein Pferd an und ritt an dem Kopfgeldjäger vorbei. Wenig später war er zwischen den Anhöhen untergetaucht und McQuade schwang sich vom Pferd.

Patten lebte noch, war aber ohne Besinnung. Die Kugel des Kopfgeldjägers war ihm in die rechte Brustseite gedrungen. Blut pulsierte aus der Wunde. McQuade stopfte ein Stück zusammengerollte Binde wie einen Pfropfen in den Wundkanal, um die Blutung zu stillen, dann flößte er dem Banditen Wasser zwischen die trockenen Lippen. Irgendwann begannen Pattens Lider zu zucken, schließlich öffnete er die Augen und schaute mit dem stupiden Ausdruck des Nichtbegreifens in das hohlwangige, stoppelbärtige Gesicht über sich.

„Du hast es dir selbst zuzuschreiben, Patten“, sagte McQuade ohne die Spur einer Gemütsregung. „Ich habe die Blutung zum Stillstand gebracht. Bis Fort Bowie sind es gut und gerne zwanzig Meilen, die du in deinem Zustand kaum schaffen wirst. Also werde ich dich in Dave Proctors Camp bringen, und wenn du über den Berg bist, machen wir uns auf den Weg nach Fort Bowie. Von dort aus wird man dich nach Tucson schaffen und dem dortigen Sheriff übergeben.“

Während McQuade sprach, hatte sich bei dem Banditen die Erinnerung eingestellt. Er knirschte mit den Zähnen, in seinen Augen tobte der Schmerz, in seinem Gesicht zuckten die Muskeln. „Die Hölle verschlinge dich dreckigen Skunk!“

„Dort wirst du vor mir ankommen, Patten, und zwar mit einem soliden Strick um den Hals.“

McQuade machte sich daran, aus zwei armdicken Stangen, einigen Ästen, der Decke des Banditen und dessen Lasso, das er zerschnitt, eine Schleppbahre anzufertigen, die er am Sattel des Banditenpferdes befestigte. Er legte den Verwundeten vorsichtig darauf, stieg auf sein Pferd und nahm das andere Tier am langen Zügel. Dann trieb er den Falben an. Gray Wolf kam aus einem Felsspalt, bellte einige Male, dann lief er dem Kopfgeldjäger hinterher.

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Bailey hat ihnen den Halsabschneider also ausgehändigt“, meinte Dave Proctor.

„Hat er nicht“, versetzte der Kopfgeldjäger. „Nun ja ... Patten wollte auf mich schießen, und ich musste ihm ein Stück Blei verpassen. In diesem Zustand schafft er es nicht bis Fort Bowie, schon gar nicht bis Tucson. Gibt es etwas dagegen einzuwenden, wenn ich hier im Camp darauf warte, dass er transportfähig wird?“

„Sie sind willkommen“, erklärte Dave Proctor. „Allerdings vermute ich, dass Ambrose Bailey ziemlich sauer auf Sie ist. Er wird in Erfahrung bringen, wo er Sie suchen muss, McQuade. Sie sollten auf der Hut sein.“

„Ich kann auf mich aufpassen“, murmelte der Texaner. „Gibt es im Camp so etwas wie einen Arzt?“

„Nein. Wir behelfen uns, so gut es geht, selbst. Nur im äußersten Notfall holen wir den Armeearzt aus dem Fort.“

McQuade schnallte sein Campzeug vom Sattel und stellte das kleine Zelt auf. Nachdem er Patten in dem Zelt auf eine weiche Unterlage aus Zweigen und Laub gelegt hatte, verband er den Banditen neu. Da die Kugel in der Brust steckte, war zu befürchten, dass sich Wundbrand hinzu zog. Der Kopfgeldjäger hatte die Wunde zwar mit Peroxyd desinfiziert, aber das schloss eine Blutvergiftung nicht aus.

Um die Mitte des Nachmittags erschien Ambrose Bailey. Zwei hartgesichtige Burschen begleiteten ihn. Sie verhielten ihre Pferde nebeneinander und musterten den Kopfgeldjäger ohne die Spur von Freundlichkeit. McQuade stand vor dem Zelt, in dem er Nathan Patten untergebracht hatte.

„Man hat mir berichtet, dass ich dich hier im Camp finde, McQuade“, begann Bailey mit grollender Stimme.

„Weshalb suchst du mich überhaupt?“, fragte McQuade.

„Du hast einen meiner Männer vom Pferd geschossen.“

„Ich habe einen Banditen gestellt, der drei Männer ermordet hat und der vom Gesetz gejagt wird.“

„Das Gesetz, von dem du sprichst, zählt hier in der Wildnis nicht. Hier gilt das Gesetz des Stärkeren. In den Chiricahua Mountains treiben einige hundert Chiricahuas ihr blutiges Unwesen. Mein Job ist es, die Goldgräber vor den Übergriffen der Rothäute zu schützen. Ich bin auf jeden Mann angewiesen.“

„Auf Patten wirst du verzichten müssen, Bailey.“

In diesem Moment entstand ein ganzes Stück entfernt Geschrei. Bailey und seine Begleiter zerrten die Pferde herum, um sehen zu können, was sich zutrug. Auch McQuade schaute in die Richtung, aus der die lauten Stimmen heranwehten, und er sah eine Gruppe von Männern, die sich ins Lager schob.

Bailey und seine Begleiter setzten ihre Pferde in Bewegung, der Kopfgeldjäger folgte ihnen, Gray Wolf wich nicht von seiner Seite. Die Gruppe der Digger hielt an. Ein Mann rief: „Ah, Bailey! Wofür bezahlen wir dich? Heute wurde Sam Potter auf seinem Claim überfallen. Es waren vier. Sie haben ihm das ganze Gold, das er bisher gefunden hat, gestohlen und Sam mit seiner eigenen Schaufel fast erschlagen.“

Jetzt traten die Männer etwas auseinander und McQuade konnte sehen, dass vier von ihnen eine schlaffe Gestalt trugen. Er ging an Bailey und dessen Begleitern vorbei, trat zwischen die Digger und schaute in das Gesicht Sam Potters. Es war blutüberströmt. Das Blut stammte aus einer klaffenden Wunde an Potters Stirn, die von einem Schlag mit einer Schaufel stammen konnte.

„Schlagen die Claimwölfe denn am helllichten Tag zu?“, fragte McQuade ungläubig.

„Ja“, antwortete einer der Männer. „Man ist vor diesen Halunken zu keiner Tageszeit sicher. Vor drei Tagen hat Potter eine Goldader gefunden und Gold für einige tausend Dollar herausgebrochen. Es hat sich herumgesprochen. Und wie es scheint, ist es auch an die falschen Ohren gelangt.“

„Das bedeutet, dass sich die Banditen ziemlich sicher fühlen“, murmelte McQuade.

„Ja, und das, obwohl wir eine Horde von Kerlen bezahlen, die sich großkotzig ‚Arizona Guards’ nennt und die uns beschützen soll. Wahrscheinlich stimmen die Gerüchte, dass ...“

Der Mann brach ab und schoss Ambrose Bailey einen verunsicherten Blick zu. Als Bailey seinem Blick begegnete, zog er den Kopf zwischen die Schultern und schaute betreten zur Seite.

„Welche Gerüchte, Rhody?“, kam es fast sanft über Baileys schmale Lippen.

Der Digger schwieg.

Ambrose Bailey sprang vom Pferd, ging zu ihm hin und packte ihn mit beiden Fäusten an der Hemdbrust. Mit einem Ruck zog er ihn dicht an sich heran, und sein Atem schlug dem Mann ins Gesicht, als er hervorpresste: „Sag es schon, Rhody – welche Gerüchte?“

„Es – es ist nichts, Bailey“, entrang es sich dem Mann, und es war offensichtlich, dass er hündische Angst hatte.

Bailey versetzte ihm einen Stoß, der Rhody zurücktaumeln ließ, dann stieß der Führer der ‚Arizona Guards’ hervor: „O verdammt, Leute, ich weiß, welche Gerüchte umgehen. Ich habe es satt, ja, es steht mir bis hier!“ Bailey fuhr sich mit der flachen Hand quer über die Oberlippe. „Und darum will ich heute ein für alle mal klar stellen, dass meine Leute mit den Überfällen nichts zu tun haben. Und sollten diese Unterstellungen nicht aufhören, verlassen wir das Goldland. Ich möchte nichts mehr hören.“

Sam Potter öffnete die Augen und röchelte. Sein Kehlkopf rutschte hinauf und hinunter, als er würgend schluckte. „Wasser“, keuchte er, „gebt mir Wasser.“

Jemand brachte eine Wasserflasche und ließ den schwer Verletzten Digger trinken. Wasser rann über sein Kinn und seinen Hals. Aus einem Einschnitt zwischen den Hügeln kam eine Gruppe von Diggern. Dave Proctor schritt ihnen voraus. Als sie heran waren, sagte Proctor: „Das ist der achte Überfall innerhalb von zwei Wochen. Fünf Männer starben. Wir können das nicht mehr länger hinnehmen, Leute.“

„Was willst du denn dagegen unternehmen, Dave?“, rief jemand.

Proctor gab keine Antwort sondern heftete den Blick auf Ambrose Bailey und knurrte: „Wir zahlen dir eine Menge Geld, Bailey, damit du uns und unsere Claims bewachst. Von Bewachung kann allerdings keine Rede sein. Daher bin ich nicht länger bereit, zu dem Sold, den du von uns kassierst, auch nur noch einen einzigen Dollar beizusteuern.“ Proctor drehte sich um und wandte sich an die Digger, die seinen Worten hinterher zu lauschen schienen. „Wir investieren unser sauer verdientes Geld in eine Sache, Leute, die es nicht wert ist, von uns finanziert zu werden. Ich für meinen Teil werde aus der Goldgräber-Vereinigung austreten und mich von nun an selbst beschützen. Und diejenigen von euch, die auch nur einen Funken Verstand haben, folgen meinem Beispiel. Ich ...“

Bailey trieb sein Pferd auf Dave Proctor zu und warf sich vom Pferderücken aus auf ihn. Sie gingen beide zu Boden. Eng umklammert wälzten sie sich einige Male herum, dann gelang es Proctor, sich zu befreien. Er kam auf die Beine, aber auch Ambrose Bailey kämpfte sich hoch. Sein Gesicht hatte sich verzerrt, die wilde Wut flackerte in seinen Augen. „Wir haben euch Dummköpfe vor den Apachen beschützt!“, zischte er. „Vor euren eigenen Leuten können wir euch nicht schützen. Denn dann müsste ich statt der sechzig Leute, die auf meiner Lohnliste stehen, die zehnfache Anzahl beschäftigen. Zur Hölle mit dir, Proctor! Ich prügle dich bis nach Feuerland, wenn du die Leute hier gegen mich aufhetzt. Also halt die Fresse und fordere mich nicht heraus. Ich warne dich.“

Dave Proctor starrte den Führer der ‚Arizona Guards’ gehässig an, plötzlich schwang er herum und eilte mit langen Schritten davon.

Ambrose Bailey ging zu seinem Pferd, stellte den linken Fuß in den Steigbügel, griff nach dem Sattelhorn und riss sich in den Sattel, dann rief er mit klarer, präziser Stimme: „Ihr solltet vergessen, was Proctor von sich gegeben hat, Männer. Ihr habt mich und meine Leute engagiert, damit wir euch vor den Apachen beschützen. Dieser Aufgabe sind wir hundertprozentig gerecht geworden. Wenn irgendwelche verbrecherischen Subjekte aus euren eigenen Reihen eure Kameraden auf ihren Claims überfallen und ausrauben, können wir das kaum verhindern. Ich rate euch, bei der Arbeit das Gewehr oder den Colt griffbereit zu halten.“

Gemurmel erhob sich.

Nach seiner kurzen Ansprache zog Bailey sein Pferd etwas um die rechte Hand und ritt vor McQuade hin, zügelte und sagte kehlig: „Dir rate ich, sobald wie möglich aus der Gegend zu verschwinden, Menschenjäger. Du hast mich herausgefordert, und ich bin bereit, die Herausforderung anzunehmen. Nimm dir die Warnung zu Herzen und verschwinde. Solltest du länger hier bleiben, begegnen wir uns sicherlich wieder. Und dann ...“ Bailey schnippte mit Daumen und Mittelfinger, dass es knallte. Eine Geste, die alles beinhaltete, was er mit Worten nicht zum Ausdruck brachte.

Ambrose Bailey spornte sein Pferd an und ritt, gefolgt von den beiden Männern, die er mitgebracht hatte, davon.

McQuade ging zu seinem Zelt, und während sich Gray Wolf davor auf den Boden legte und seinen mächtigen Kopf zwischen die Vorderläufe bettete, kroch der Kopfgeldjäger hinein. Nathan Patten schaute ihn aus fiebrig glänzenden Augen an. „Die Schmerzen in meiner Brust sind kaum noch auszuhalten“, ächzte er. „Ich habe das Gefühl, innerlich zu verbrennen. O verdammt, McQuade, warum holst du nicht den Arzt aus Fort Bowie? Willst du, dass ich hier kläglich vor die Hunde gehe?“

„Natürlich bereitet die Verwundung Schmerzen. Du musst sie ertragen, Patten. Erwarte nur nicht, dass ich Mitleid mit dir empfinde. In zwei oder drei Tagen wirst du dich besser fühlen, und dann bringe ich dich nach Fort Bowie.“

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Als die Abenddämmerung kam, beobachtete McQuade, dass sich einige Männer vor Dave Proctors Hütte einfanden. Ein Feuer wurde angezündet, die Männer setzten sich, eine Flasche Whisky machte die Runde. Dave Proctor gesellte sich ihnen hinzu. Er sprach leise. Was er von sich gab, konnte der Kopfgeldjäger nicht hören. Im Grunde seines Herzens interessierte es ihn auch gar nicht. Wahrscheinlich versuchte Proctor die anderen Digger davon zu überzeugen, dass sie wohl besser fuhren, wenn sie in Zukunft selbst für ihren Schutz sorgten.

Die Dunkelheit nahm zu, der Mond schob sich über die Berge im Osten, hell funkelten die Sterne und streuten bleiches Licht aus. Die Versammlung vor Proctors Hütte löste sich auf, die Digger schritten in die Nacht hinein. Im Camp wurde es ruhig. Die Männer, die tagsüber auf ihren Claims hart gearbeitet hatten, waren müde und begaben sich bald zur Ruhe. Auch McQuade versuchte zu schlafen. Irgendwann – er wusste nicht, wie spät es war -, schreckte er hoch. Das Pochen von Hufen sickerte an sein Gehör, das Wiehern eines Pferdes, dann ein leises Klirren. Die Geräusche versanken nach kurzer Zeit in der Stille der Nacht, und nur noch das Säuseln des Nachtwindes erfüllte die Dunkelheit.

McQuade spürte es ganz deutlich. Irgendetwas lag in der Luft; Tod und Unheil. Er vermutete, dass Dave Proctor und einige weitere Goldsucher auf ihren Pferden davon geritten waren. Auf die Frage nach dem Ziel ihres Rittes erhielt er keine Antwort. Da waren nur Ahnungen, und an ihrem Ende stand etwas Dunkles, Verhängnisvolles. Es war etwas, das im Hintergrund seines Bewusstseins lauerte, das ihn zutiefst beunruhigte -  das sich allerdings seinem Verstand entzog. Der Kopfgeldjäger erhob sich, nahm sein Gewehr und ging zum Rand des Camps, lauschte und witterte in die Nacht hinein und fühlte sich irgendwie ohnmächtig, weil er ahnte, dass Schreckliches geschah und er es nicht verhindern konnte.

Gray Wolf fiepte leise und drängte sich gegen seine Beine. Minutenlang harrte der Kopfgeldjäger aus, dann kehrte er zu seinem Zelt zurück. Durch die Zeltwand konnte er das leise Schnarchen des verwundeten Banditen vernehmen. McQuade legte sich wieder auf den Boden und wickelte sich in seine Decke. Er fand keinen Schlaf mehr. Die Zeit schien stillzustehen. Irgendwann aber lichtete sich die Dunkelheit, die Sterne begannen zu verblassen, über den östlichen Horizont kroch rosafarben die Morgenröte.

Hufgetrappel wehte heran. Es wurde schnell deutlicher, und schließlich erklang es ganz nah. McQuade richtete sich auf und drehte das Ohr in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Schließlich endete das Pochen, raue Stimmen waren undeutlich zu vernehmen, und nach wenigen Minuten näherten sich Schemen dem Lager. Es waren fünf Männer. Am Lagerrand gingen sie auseinander. Eine der schemenhaften Gestalten schritt auf Dave Proctors Hütte zu und verschwand darin.

Als die Sonne aufging und ihre ersten wärmenden Strahlen ins Land schickte, erhob sich McQuade. Er ging zu dem Bach, an dem das Camp errichtet worden war, wusch sich das Gesicht und wartete, bis Gray Wolf seinen Durst gestillt hatte, dann begab er sich zu seinem Zelt und schaute nach Nathan Patten. Der Bandit war wach. „Wie fühlst du dich?“, wollte der Kopfgeldjäger wissen.

„Elend“, erhielt er zur Antwort. Die Stimme des Banditen klang gepresst, in seinen Augen glomm der Hass.

„So schlimm kann es nicht sein“, sagte McQuade ungerührt. „Ich denke, dass wir morgen Früh aufbrechen. Auf der Schleppbahre kannst du es schaffen.“

„Noch sind wir nicht in Fort Bowie!“, schnarrte Patten.

„Ich denke, dir geht es recht gut“, stieß McQuade hervor, dann kroch er aus dem Zelt und sagte zu Gray Wolf: „Gib auf ihn acht, Partner. Er denkt über einen Ausweg nach. Das habe ich ihm vom Gesicht ablesen können. Also gib gut auf ihn acht.“

Im Camp wurde es lebendig. Die Digger, die die Nacht hier verbrachten, marschierten zu ihren Claims. Auch Dave Proctor verließ seine Hütte. McQuade steuerte den alternden Goldgräber an, und als er einen Schritt vor ihm anhielt, fragte er: „Wart ihr erfolgreich in der Nacht, Proctor? Habt ihr die Claimwölfe auf frischer Tat ertappt?“

Proctors Gesichtszüge entgleisten regelrecht. „Was hast du gesehen, McQuade?“

„Dass du und eine ganze Reihe anderer Männer weggeritten und erst viele Stunden später zurückgekehrt seid. Ich vermute, es hängt mit deiner Erklärung zusammen, dass du nicht mehr für die Bewachung durch die ‚Arizona Guards’ bezahlen willst und selbst für eure Sicherheit Sorge tragen möchtest.“

Proctor stieß scharf die Luft durch die Nase aus und fauchte: „Halt du dich raus, McQuade. Was hier abläuft, geht dich nichts an. Wer hier lebt und arbeitet, steht mit einem Bein im Grab. Da sind zum einen die verdammten Apachen, die am liebsten jeden Weißen massakrieren würden, und da sind zum anderen die Goldlandhyänen, die die Digger überfallen, ausrauben und sie brutal zusammenschlagen, wenn nicht gar töten. Es ist an der Zeit, einige Exempel zu statuieren und jedem die Lust, seine schmutzigen Hände nach den Früchten der Arbeit anderer auszustrecken, gründlich zu verleiden.“

„Das ist Vigilantentum“, gab McQuade zu verstehen. „Du bist weder Richter, noch bist du Henker, Proctor. Wenn ihr Männer lyncht, dann ist das Mord.“

„Wir verteidigen uns lediglich“, versetzte Proctor grollend, dann wandte er sich ab und stapfte davon.

Das Lager leerte sich. McQuade brachte seinem Gefangenen einige Stücke Pemmican zum Frühstück, und auch er aß etwas von der getrockneten Mischung aus Dörrfleisch und Fett und trank dazu Wasser. Danach drehte er sich eine Zigarette, und in dem Moment, als er sie anzündete, trieben ein halbes Dutzend Reiter ihre Pferde aus einer Hügellücke. Im Schritttempo kamen sie näher. McQuade sah, dass vor drei der Reiter schlaffe Gestalten über den Rücken ihrer Pferde hingen.

Einer der Reiter war Ambrose Bailey. Die Mienen verhießen nichts Gutes.

McQuade ging dem Trupp entgegen. Düstere Ahnungen erfüllten ihn. Bailey hob die linke Hand, zügelte sein Pferd und der Pulk kam zum Stehen. Die Reiter warfen die drei leblosen Gestalten von den Pferden. Sie krachten auf den Boden und blieben verrenkt liegen. Ambrose Bailey ließ seine Stimme erklingen, indem er heiser sagte: „Wir hatten in der Nacht höllischen Besuch. Ein halbes Dutzend meiner Männer, die auf dem Weg zum Camp waren, wurden abgefangen und ohne jede Vorwarnung zusammengeschossen. Drei sind tot – diese drei da am Boden. Zwei wurden derart schlimm verwundet, dass sie den Sonnenuntergang am heutigen Tag wohl nicht mehr erleben werden. Einer kam mit einem Schulterdurchschuss davon.“

Details

Seiten
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783738902075
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Mai)
Schlagworte
sieben western

Autoren

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Titel: Sieben glorreiche Western #10