Zusammenfassung
In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...
Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.
Dieses Buch enthält folgende drei Romane:
Terrifors Geschichte
Erstes Kommando
Chronik der Sternenkrieger 1: Captain auf der Brücke
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Chronik der Sternenkrieger: Drei Abenteuer #1
von Alfred Bekker
Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.
In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...
Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.
Dieses Buch enthält folgende drei Romane:
Terrifors Geschichte
Erstes Kommando
Chronik der Sternenkrieger 1: Captain auf der Brücke
IMPRESSUM
Ein CassiopeiaPress Buch
© by Author
© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Der Umfang dieses Buchs entspricht 326 Taschenbuchseiten.
Terrifors Geschichte
Ein Extra-Roman aus der Serie “Chronik der Sternenkrieger”
Dies ist die Geschichte von Raggie S. Terrifor, einem genetisch optimierten Corporal der Einheit von Space Marines an Bord des Raumschiffs STERNENKRIEGER. Seine Story beginnt auf Maldena 22b, einer Supererde mit hoher Schwerkraft. Als das System von Aliens überfallen wird, muss Raggie um sein Überleben kämpfen - zusammen mit zwei umweltangepassten Supererden-Zwergen und einem für die planetaren Verhältnisse viel zu schwachen Normalmenschen-Mädchen.
Erfolgsaussichten: Null Prozent.
Die Hauptpersonen der Geschichte:
Raggie S. Terrifor - später Space Marine auf der STERNENKRIEGER (um 2254 n. Chr), zur Handlungszeit der Geschichte das Kind von gen-optimierten Eltern auf der Supererde Maldena 22b (etwa 2238 n. Chr.).
Naomi - ein Normalmensch unter Schwerkraftmonstern. Sie stammt vom Merkur.
Joey - ein umweltangepasstes Zwergenmädchen.
Jorian Kelly - später Taktikoffizier an Bord der ODYSSEUS, zur Handlungszeit noch jugendlicher Bewohner einer Adaptionisten-Siedlung auf Maldena 22b, der sich die Zeit mit dem Schleudern großer Steine vertreibt.
Fähnrich Rena Sunfrost - kommandiert eine Shuttle-Mission.
1
Mein Name ist Raggie S. Terrifor. Was das S. bedeutet, dazu kommen wir später mal. Manche, die mich gut kennen, sagen, das steht für ‘sehr bescheuert’. Aber da gibt es durchaus auch andere Auslegungen.
Aber die meisten Leute nennen mich sowieso einfach Raggie.
Und inzwischen werde ich wohl überwiegend mit Corporal angeredet. Das bin ich nämlich. Corporal der Einheit von Space Marines an Bord des Raumschiffs STERNENKRIEGER unter dem Kommando von Captain Sunfrost.
Aber damit hat es nicht begonnen.
Es hat alles seine Geschichte. Und wenn auch manches ohne Grund zu geschehen scheint, ohne eine Vorgeschichte geschieht fast nichts. Das ist jetzt nicht philosophisch gemeint, sondern einfach nur so, wie ich es sage. Ich denke, Sie verstehen das schon richtig.
Aber ich will die Dinge von vorne berichten.
Meine Story beginnt eigentlich mit meiner Geburt. Aber daran habe ich keine Erinnerung, obwohl ich von genetisch optimierten Typen weiß, bei denen das exakt so passiert ist.
Wie schon erwähnt, so optimiert bin ich nicht. Nur ein bisschen. Geboren wurde ich auf einer Planeten der Drei Systeme. Und meine Eltern waren beide optimiert. Das S. in unserem Namen steht für Soldier. Eigentlich hätten wir Soldaten werden sollen. Oder im Fall meiner Eltern: Bleiben sollen.
Dass ich es später doch noch wurde und dem Space Army Corps der Humanen Welten beitrat, war mir nicht in die Wiege gelegt. Aber ich will Ihnen gerne erzählen, wie es dazu kam.
Die Drei Systeme waren damals noch fester Bestandteil jenes sich gerade erst bildenden Sternenreichs, das man als den Bund der Humanen Welten bezeichnet. Ein Sternenreich, das vielleicht gar nicht mehr bestehen würde, wenn es nicht einen übermächtigen äußeren Feind gegeben hätte. Jeder weiß, wovon ich rede: Von den erbarmungslosen Qriid, die ihren Einflussbereich unbarmherzig voranzutreiben versuchten und sich mit der Menschheit immerhin inzwischen zwei Kriege geliefert haben. Verrückte Glaubenskrieger, die angeblich von Gott den Auftrag haben, dem Universum eine Ordnung zu geben. Dabei ordnet sich das Universum prima von selbst. Das braucht es solche Bekloppten einfach nicht.
Aber die Idee an sich ist ja nicht neu. Und sie ist noch nichtmal typisch extraterrestrisch. Es soll ja auch schon Menschen gegeben haben, die mit ähnlichen Begründungen Kriege angezettelt haben. Ob Gott das überhaupt will, dass jemand für ihn irgendeine Ordnung aufbaut, scheint diese angeblich religiös motivierten Krieger gar nicht weiter zu kümmern.
Vielleicht träumen solche Fanatiker auch nur insgeheim davon, selbst Gott zu sein und wagen das nur nicht öffentlich zu äußern - weil in jeder Kultur, die ich kenne, egal ob außerirdisch, menschlich oder genetisch optimiert - so jemand für verrückt gehalten wird. (Bis auf den kleinen Rest, der sich durchsetzt. Die nennt man dann Propheten. Aber das ist ein anderes Thema.)
Dass die Qriid inzwischen als Verbündete angesehen werden, ist für mich nach wie vor schwer verständlich.
Schwer verständlich und auch schwer erträglich, denn ich denke dann immer an die Toten, die diese Kriege gekostet haben. Und das waren nicht wenige. Einige von ihnen standen mir sehr nahe und ich denke bis heute jeden Tag an sie. Und was die Qriid betrifft: Ich traue ihnen bis heute nicht. Mag sein, dass das wenig großherzig klingt. Mag auch sein, dass es besser wäre, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen und in die Zukunft zu sehen. Und abgesehen von den zwei Kriegen, die unsere Völker gegeneinander geführt haben, hat es ja inzwischen auch einen Konflikt gegeben, in dem wir als Verbündete kämpften. Und das kann in Zukunft durchaus wieder geschehen, denn ob die Gefahr durch die Etnord wirklich endgültig gebannt ist, da möchte ich lieber keine Prognosen wagen.
Aber egal.
Alles beginnt mit der ersten Erinnerung.
Und meine erste Erinnerung spielt schon auf Maldena 22b.
Maldena 22b ist das, was man eine Supererde nennt. Fünfmal so schwer wie die Alt-Erde. Der Planet liegt eigentlich außerhalb der habitablen Zone seiner Sonne. Aber weil seine Schwerkraft so groß ist, ist das Wasser trotzdem flüssig, denn Siede- und Schmelzpunkte gelten immer nur für einen spezifischen Druck in Verbindung mit einer spezifische Temperatur.
Es ist also sehr kalt auf Maldena-22b, aber der Ozean gefriert nicht, wobei sicher auch die enthaltenen Salze ganz hilfreich sind. Aber im Wesentlichen liegt das wohl an den anderen Faktoren, die ich bereits erwähnte.
Es gibt einen Ozean und ein paar Kontinente, wenn man zugesteht, dass Felswüsten als Kontinente zählen. Aber das tun sie wohl. Wirklich schöne Orte zum Leben sind sie nicht. Aber zumindest einer dieser Kontinente ragt hoch genug aus dem Wasser, um von den Gezeiten des Ozeans nicht regelmäßig völlig überspült zu werden und deswegen kann man dort auch Gebäude hinstellen, Siedlungen errichten und alle möglichen anderen Dinge, die Menschen für notwendig halten, wenn sie einen Planeten besiedeln.
Das Problem auf Maldena 22b ist natürlich, dass normale Menschen dort eigentlich nicht leben können, es sei denn, sie tragen andauernd ein Antigrav-Pak. Und zwar auch im Schlaf, sonst drückt ihnen das Gewicht ihres eigenen Brustkorbs noch die Luft ab. (Es sei denn, man lebt in einem Habitat mit Erd-Norm. Das ist aber eher was für die Reichen. Die mit den guten Jobs hier auf Maldena.)
Für Normalmenschen ist das Leben hier kein Vergnügen, denke ich. Außerdem brauchen normale Menschen Atemgeräte, sobald sie ins Freie gehen, weil die Luft zwar ausreichend Sauerstoff enthält, aber der Druck so hoch ist, dass das den Normalos schlecht bekommt.
Bei uns war das anders.
Meine Familie bestand ja aus Soldiers.
Da sind wir dann übrigens wieder bei der Bedeutung des “S.” in der Mitte zwischen Raggie und Terrifor. Meine Eltern trugen es auch.
Dieses “Soldier-S” bedeutet: Genetisch optimiert für den Krieg, ausgestattet mit körperlichen Merkmalen, die das Überleben erleichtern, zusätzlicher Kraft und Ausdauer und solchen Dingen halt. Damit kann man Krieg führen. Das erleichtert die Bedienung schwerer Kampfanzüge und hilft einem, wenn man auf einem unwirtlichen Planeten abstürzt.
Und es ermöglicht einem, auf einer Welt wie Maldena 22b zu leben. Und zwar ohne irgendwelche Hilfsmittel, die ja auch immer mal versagen können, wie jeder weiß, der sich nur ein bisschen mit der Materie befasst hat.
Mein Vater bekam ein gutes Angebot bei einer guten Company.
Maldena 22b hat vielleicht keinen großen Erholungswert, aber große Vorkommen von Deuterium und Schwerem Wasser. Und beides ist sehr begehrt. Also gibt es jede Menge Firmen, die bereit sind, es sich zu holen.
Und eine davon engagierte meine Eltern, die irgendwann einfach den Entschluss gefasst hatten, dass ihr Leben vielleicht doch etwas anderes beinhalten sollte, als sich für einen Krieg vorzubereiten, der vielleicht nie stattfinden würde.
Damals dachte noch niemand an die Qriid-Gefahr.
Genau genommen wusste man noch nicht einmal etwas von der Existenz der Qriid.
Aber so ist das eben: Die Biologie scheint Menschen für etwas Bestimmtes vorgesehen zu haben und dann entscheidet der Mensch einfach, dass er mit seinen Gaben auch etwas völlig anderes anfangen kann. Und genau das haben meine Eltern getan. Schwierigkeiten, Befehle zu befolgen oder dergleichen Skrupel können es eigentlich nicht gewesen sein, die sie dazu bewogen haben, eine andere Bestimmung zu suchen. Denn normalerweise beinhaltet eine genetische Optimierung auch psychische Faktoren.
Zumindest in der Tendenz.
Aber anscheinend ist das, was man die Psyche nennt - oder um das altertümlich klingende Wort dafür zu benutzen: Die Seele! - doch sehr viel unberechenbarer, als sich das so die Gen-Ingenieure vorstellen.
2
Ich wuchs also in Far Galaxy City auf.
So hieß das Camp des Far Galaxy Konzerns auf Maldena.
Meine Eltern arbeiteten zwar nicht für diesen interstellaren Riesen-Konzern, sondern für eine kleine, aber feine Deuterium-Company, aber Far Galaxy stellte nahezu die gesamte Infrastruktur der Kolonie auf Maldena. Und da hatten sie vielleicht auch das Recht, Far Galaxy City eben so zu nennen, wie sie es getan haben.
Von dem Zusatz “City” mal abgesehen.
Das war ein Witz.
Vielleicht auch ein Anfall von akutem Wunschdenken, wie es an einem Ort, der so weit von der Erde und den anderen zivilisierten, angenehmen gut erschlossenen Kolonien entfernt ist.
Ich sage deswegen auch bewusst nicht Stadt oder Ort. Denn Camp bezeichnet es eigentlich besser. Es waren provisorische Gebäude für einen provisorischen Aufenthalt, bei dem es nur darum ging, so viel an wertvollen Schätzen zu plündern, wie man finden konnte. Und dieser Planet war reich an diesen Schätzen.
Die hohe Schwerkraft erschien mir normal. Ich erinnerte mich nicht daran, jemals unter anderen Bedingungen gelebt und geatmet zu haben. Und dasselbe gilt für den Luftdruck und die Kälte. Damit wuchs ich auf und es war für mich so normal, wie es für die Bewohner der Erde die Bedingungen auf dem blauen Planeten sind.
Auch wenn es für jeden, der Maldena 22b kennt, eigenartig klingen mag: Dieser größtenteils von mehr oder weniger Schwerem Wasser (ja, man beachte das Wortspiel! Space Marines sind nämlich keinesfalls per se nur dumm und gewalttätig!) bedeckte Gesteinsbrocken war meine Heimat. So habe ich diese Welt empfunden.
Und wenn da nicht ein paar andere, nicht so erfreuliche Dinge wären, die alle in der einen oder anderen Form mit dem Krieg zu tun haben, dann würde ich mich ausschließlich positiv an diese Zeit und an diese Welt erinnern.
––––––––
Der erste Krieg gegen die Qriid begann im Jahr 2236 und endete drei Jahre später. Niemand weiß, warum dieser Krieg letztlich begann und genauso unklar ist, weshalb er so plötzlich endete. Dass der Krieg 2236 begann, ist insofern richtig, als es für die Humanen Welten insgesamt zutrifft.
Aber Maldena 22b ist ein abgelegener Hinterweltlerplanet. Es ist nicht übertrieben, wenn ich das sage. Und auf Maldena begann der Krieg erst 2238. Vorher hatten wir nichts damit zu tun. Es gab ein paar Meldungen darüber, aber bis zu dem erwähnten Jahr war das etwas, was in weit entfernten Regionen des Universums stattfand. Wie eine ferne Bedrohung, von der man hoffte, dass sie vielleicht doch noch einfach so verschwinden würde, ohne, dass man noch extra etwas dazu tun musste.
Ein Unwetter, das vielleicht im letzten Moment doch noch einen anderen Weg nimmt, sodass man nicht davon betroffen ist.
In jenem Jahr, als der Krieg dann um so heftiger nach Maldena kam, war ich zwölf. Es sollte sich alles ändern. In meinem Leben gab es ein Davor und ein Danach. Nichts war danach noch so, wie es vorher gewesen war. Das ist nun mal so.
Aber ich will mich nicht allzu sehr darüber beklagen.
Es gibt schließlich genug Leute, für die endete das Davor einfach und ein Danach hat es für sie nie gegeben. Insofern bin ich eigentlich ganz gut aus der Sache herausgekommen. Besser als viele andere, die damals auch auf Maldena waren.
––––––––
Da war ein Mädchen in meinem Alter, das ich gut leiden konnte. Das Mädchen hieß Naomi und sie war nicht nur das einzige Mädchen in meinem Alter auf Maldena, sie war genau genommen sogar der einzige Teenager überhaupt in Far Galaxy City. Vielleicht mochten wir uns in erster Linie deswegen, weil wir quasi die einzigen unserer Art und damit extrem aufeinander angewiesen waren. (Ich weiß, da gab es noch die Zwerge. Aber das ist ein anderes Thema, zu dem ich noch komme. Und außerdem gab es keine Zwerge in Far Galaxy City. Auch keine Zwergen-Teenager.)
Der Punkt, der Naomi und mich verband war einfach dieser: Die Auswahl an möglichen Gesprächspartnern war wirklich sehr bescheiden.
Und so teilten wir vieles miteinander, was wir unter anderen Umständen ganz sicher nicht getan hätten.
Naomi hatte es auf Maldena schon deswegen sehr viel schwerer als ich, weil sie ein Normalo-Mädchen war. Ohne Antigrav-Pak und Atemmaske konnte sie nicht einmal richtig atmen, geschweige denn aufrecht gehen. Sie war einfach nicht geschaffen für diese Supererde mit ihrer hohen Schwerkraft. Und was die Kälte betraf, trug sie eine Gesichtsmaske aus Neopren, um Erfrierungen zu vermeiden. Vor allem dann, wenn Wind aufkam. Und Maldena 22b ist nun einmal eine Welt, auf der auf Grund der besonderen Druckverhältnisse, schon geringe Windgeschwindigkeiten erhebliche Auswirkungen haben können. Was anderswo ein laues Lüftchen ist, kann hier die Auswirkung eines irdischen Hurrikan haben. Liegt am höheren Luftdruck.
Von dem sogenannten Windchill-Faktor will ich gar nicht erst gar nicht erst reden. Schon deshalb nicht, weil ich den kaum spüre - Normalo-Menschen wie Naomi allerdings schon.
3
Ich weiß noch, wie ich das erste Mal bei Naomi zu Hause war. Ihr Vater war nämlich ein wichtiges Tier bei Far Galaxy. Zumindest wichtig für Maldena, vielleicht nicht ganz so wichtig für den Far Galaxy Konzern als ganzen.
Jedenfalls wohnten sie in einem Habitat-Ressort am Rande von Far Galaxy City, in dem durch Antigrav-Aggregate Erdschwere herrschte. Natürlich auch Erdatmosphäre und der Luftdruck der Erdnorm. So wie es Standard für alle Raumschiffe war und man es auch in zahllosen Habitaten finden konnte, die Menschen der Alt-Erde oder ihre Abkömmlinge errichtet hatten, um dort zu siedeln.
Ich gestehe, dass mein Körper erst Mühe hatte, sich mit diesen Bedingungen anzufreunden. Mit einer harmlosen Bewegung landete ich bereits schmerzhaft an der niedrigen Decke des Ressorts. Ich war es schließlich gewohnt, sehr viel mehr Kraft aufzuwenden. Und da ich unter der normalen mittleren Fallgeschwindigkeit auf Maldena 22b das Fünffache wog, hatte das natürlich die entsprechenden Folgen.
Die Luft erschien mir dünn und ich dachte für einige Augenblicke, dass mein Brustkorb auseinandergerissen würde. Für mich war die Atmosphäre im Ressort Unterdruck.
Dass ich später als Space Marine an Bord von Schiffen des Space Army Corps andauernd unter solchen Bedingungen leben würde und eigentlich auch keine Probleme damit verbunden sind, konnte ich mir in diesem Augenblick noch nicht vorstellen.
“Das muss doch schrecklich hier für dich sein, Naomi”, meinte ich.
“Wieso?”
Sie sah mich verständnislos an. “Wieso sollte es schrecklich auf Maldena für mich sein?”
“Naja, hier tobt nicht gerade der Bär, oder?”
“Nein, das ist richtig.”
Die Redewendung hat sich immer noch erhalten. Aber sie zeigt auch, wie sehr die Menschen selbst jetzt, da sie sich in der Weite des Kosmos ausgebreitet haben, immer noch am Standard der Erde hängen. Selbst jemand wie ich, auf den das in anderer Hinsicht doch gar nicht zutrifft.
“Genau genommen tobt hier gar nichts”, sagte ich. “Es gibt noch nichtmal Tiere hier auf Maldena.”
“Da, von wo ich herkomme, gibt es noch weniger als nichts”, sagte sie.
“Wo kommst du denn her?”
“Von Merkur.”
“Ist das nicht im Sol-System?”
“Richtig.”
Ich war nie im Sol-System gewesen.
Die Erde war für mich eine ferne Welt.
Der Ursprung der Menschheit und so weiter, Sie wissen ja.
Genau genommen ist die Erde ja nichtmal das Zentrum des Bundes der Humanen Welten, denn der Humane Rat tagt ja auf dem Mars.
Aber ich glaube, das ist nur eine kosmetische Maßnahme, die das Übergewicht der Erde gegenüber ihren Kolonien etwas abdämpfen und auf ein erträgliches Maß zurückstutzen soll.
Egal.
Von Merkur hatte ich noch nichts gehört.
Schien trotz seiner Nähe zur Erde auch nicht wirklich ein wichtiger Planet zu sein. Auf jeden Fall nicht wichtig genug, dass sich ein umfangreiches Terraforming gelohnt hätte.
Aber Naomi erzählte mir einiges über den Merkur.
Und dann verstand ich auch besser, was sie mit ihrer Bemerkung gemeint hatte.
Ich erfuhr, dass der Merkur so langsam rotiert, dass drei seiner Jahre zwei seiner Tage entsprechen. Und dass es auf der einen Seite dieser Welt sehr heiß und auf der anderen sehr kalt ist.
“Wir wohnten in einem Krater in der Nähe des Pols”, sagte Naomi mir. “Da war es minus 170 Grad kalt, weil nie ein Sonnenstrahl dort hinfiel. Das muss man sich vorstellen! Ein paar Kilometer weiter konnten während des Tages über 400 Grad erreicht werden. Aber in dem Krater gab es sogar dauerhaft gefrorenes Eis. Deswegen sind die ersten Siedler überhaupt zum Merkur gekommen, weil man dort genug Wasser hatte!”
“Klingt ja auch nicht unbedingt, wie ein Ort, an dem es sich gut gehen lässt!”
“Wieso nicht? Wir hatten ein Habitat nach Erdnorm.”
“Also genau wie hier.”
“Exakt.”
“Dann kann man sagen, für dich hat sich nichts verändert.”
Naomi nickte. “Könnte man so sagen - bis auf eine Sache.”
“Und die wäre?”
“Hier brauche ich keinen Raumanzug, wenn ich rausgehe. Und ich kann auch den Krater verlassen, ohne befürchten zu müssen, lebendig gekocht zu werden.”
“Den Krater?”
“Naja, wir lebten doch in einem Krater. Crator Town, Merkur. Allerdings war das kulturelle Angebot dort trotz der ungemütlichen Lage deutlich besser, als hier auf Maldena. Das muss ich schon sagen.”
“Ich nehme an, das wird noch besser. Mit der Zeit.”
“Glaube ich nicht.”
“Wieso nicht?”
“Mein Vater meint, Far Galaxy würde da in nächster Zeit nicht weiter investieren. Und wer sollte das hier auf Maldena denn sonst machen? Die kleine Company, für die dein Vater arbeitet ja wohl nicht.”
“Stimmt auch wieder.”
Deuterium und Schweres Wasser ernährten uns alle. Aber so richtig reich hatten sie weder uns noch unsere Company noch die planetare Kolonie insgesamt gemacht. Diese Welt hatte einfach einen Makel, den ich gar nicht als solchen empfand: Die hohe Fallgeschwindigkeit. Fast 5 g sind einfach kein Pappenstiel und nicht jeder Normal-Erdmensch hat Lust, andauernd mit einem Antigrav-Pak herumzulaufen.
Naomi war in dieser Hinsicht ja nicht gefragt worden.
Sie war einfach mit ihren Eltern mitgezogen.
Und jetzt war sie nunmal hier.
Aber wie gesagt, ich begrüßte das.
Als einziger Teenager in einem Camp wie diesem, das sich City nennt, wäre es vielleicht doch am Ende etwas arg langweilig geworden.
––––––––
Ein ganzes Stück von Far Galaxy City entfernt lag die Siedlung der Adaptionisten.
Oder besser gesagt: Die nächste Siedlung der Adaptionisten, denn es gab mehrere davon und irgendwie betrachteten sie sich wohl auch als eine Art Ureinwohner des Planeten. Es gibt ja grundsätzlich zwei Ansatzpunkte, wie man die Besiedlung fremder Planeten durch die menschliche Spezies angehen kann. Möglichkeit eins ist, man passt den Planeten dem Menschen an. Man errichtet habitable Zonen, künstliche Lebensräume oder betreibt sogar Terraforming.
Die andere Möglichkeit ist, dass sich der Mensch dem Planeten anpasst.
Durch genetische Manipulationen ist das innerhalb einer Generation möglich. Ein paar DNA-Schalter werden umgelegt und schon hat man unter Umständen eine sehr große Wirkung. Schließlich ist in unserem Erbmaterial alles drin, was uns unsere Vorfahren so hinterlassen haben: Vom Einzeller über Fische, Reptilien, Säugetiere bis zu unserer heutigen Ausstattung.
Terraforming ist langwierig.
Habitate zu errichten ist kostenaufwändig und erfordert sehr viel technischen Aufwand, wenn die Lebensbedingungen auf der betreffenden Welt extrem sind.
Die Adaptionisten sind deswegen immer den Weg der Anpassung gegangen.
Sie stammen meistens von den frühen menschlichen Auswanderern ab.
Die umweltangepassten Real Martians auf dem Mars kann man dazuzählen, auch wenn sie nie eine Ideologie daraus gemacht haben, dass sich ihre Körper an die geringere Marsschwerkraft anpassten.
Den Siedlern der ersten Auswanderungswellen ins All fehlten häufig die technischen Mittel, um ihre Umgebung den eigenen Bedürfnissen anzupassen.
Schon ihre Raumschiffe waren in aller Regel primitiv. Sie haben schlicht aus der Not eine Tugend gemacht - und selbst die einfache Gen-Technik des 21. Jahrhundert war schon zu erstaunlichen Anpassungen des Menschen an seine Umgebung fähig.
Spätere Adaptionisten-Generationen machten daraus so etwas wie eine Ideologie.
Die Anpassung sei ein Prinzip des Lebens überhaupt und so.
Ich sehe das alles pragmatischer.
Ich bin zwar genetisch optimiert, aber nicht deshalb, um auf einer bestimmten Welt leben zu können, sondern um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Das ist schon noch ein kleiner Unterschied, wie ich finde. Aber wie auch immer.
Es ist leider so, dass auf vielen Menschheitswelten die Adaptionisten, die in einer ersten Welle der Besiedlung kamen, von nachfolgenden Wellen in die Rolle einer Minderheit gedrängt wurden.
Denn diejenigen, die später kamen, dachten nicht im Traum daran, sich anzupassen. Sie errichteten Habitate und Ressorts.
Orte, an denen man leben konnte, wie auf der Erde. Die Erfindung des Antigravs und der künstlichen Schwerkraft machten es möglich.
Es ist kein Problem mehr, auf einer Welt zu leben, die einen normalerweise zerquetschen würde. Sie kann mit Hilfe von Antigrav-Aggregaten zu einem ganz angenehmen Ort werden.
Zumindest zu einem, an dem man überleben kann. Und wenn es einen auf eine Welt mit geringerer Schwerkraft verschlagen hat, dann nimmt es niemand mehr in Kauf, dass die Muskeln schrumpfen, der Körper länger und graziler wird und man nach einer oder zwei Generationen ein Antigrav-Pak braucht, um unter den sogenannten Normalbedingungen noch existieren zu können.
4
Die Art und Weise, wie Naomi und ich uns fortbewegten, war schon sehr eigenartig. Zumindest, wenn ich das aus heutiger Sicht betrachtet.
Damals kam es mir vollkommen normal vor.
Naomi schwebte mit ihrem Antigrav-Pak in gemäßigtem Tempo daher. Die Dinger sind zwar nicht in erster Linie zum Fliegen konstruiert, aber aber sie lassen sich auch dafür benutzen. Vor allem in unwegsamen Gelände, wo es zu Fuß etwas schwierig wird.
Das Gelände war hier unwegsam, aber das war natürlich nicht der Grund dafür, dass sie das Antigrav-Pak zum fliegen benutzte. Zu Fuß wäre sie wohl kaum hundert Meter weit gekommen. Die Normalmenschen sind einfach zu schwach für Maldena 22b. Es ist keine geeignete Welt für sie. Aber ich war trotzdem froh, dass Naomi hier war.
Die Gründe habe ich ja schon erläutert.
Aber der wichtigste Grund war wohl, dass ich sie einfach gut leiden konnte.
Während Naomi also mit dem Antigrav-Pak daherschwebte und immer wieder mal eine Düse zündete, lief ich im Dauerlauf daneben her. Meinen Antigrav hatte ich so heruntergeregelt, dass ich zwar ein bisschen schneller laufen konnte, als es normalerweise auf dieser Supererde möglich gewesen wäre, aber immer noch ein gewisser sportlicher Ehrgeiz befriedigt wurde.
Genau genommen hatte ich den Antigrav nur deshalb mitgenommen, weil es auf dem Weg zur nächsten Adaptionisten-Siedlung eine Felsspalte gab, die man ohne technische Hilfe einfach nicht überwinden konnte. Selbst ich nicht.
Wir müssen auf irgendwelche Beobachter wie ein äußerst seltsames Paar gewirkt haben. Aber das war mir schon deswegen egal, weil es auf Maldena kaum Beobachter gab.
Hatte man Far Galaxy City erstmal hinter sich gelassen, dann gab es da zunächst einmal nichts mehr. Nur eine kahle Steinwüste. Oder eine Steinküste, an der sich die Wellen brachen.
Es gab noch nicht einmal Moose und dergleichen. Das Leben hatte sich auf Maldena einfach noch nicht aus dem Wasser herausgewagt.
Naomi sagte mir irgendwann einmal, dass man Maldena mit der frühen Erde vergleichen konnte, und zwar in der Zeit als sich gerade die Landmassen gebildet hatten und es einzelliges Leben nur im Ozean gab, während das Land noch steril und tot war.
Genau so war es hier.
"Wir hätten doch einen Gleiter nehmen sollen", meinte Naomi schließlich nach einer Weile.
"Wieso, wir kommen doch super voran", sagte ich. "Abgesehen davon, wer sollte uns einen Gleiter überlassen?"
"Far Galaxy hat genug davon. Und wenn ich meinen Eltern plausibel machen kann, dass ich so ein Ding unbedingt brauche..."
"So geht ihr mit wertvollem Firmeneigentum um?"
"Far Galaxy ist froh, wenn sie überhaupt jemanden finden, der für den Konzern nach Maldena geht", sagte Naomi. "Da würde nie jemand einen Aufstand deswegen machen, nur weil ein Gleiter vielleicht etwas zweckentfremdet wurde."
"Tja, da kann man mal wieder den Unterschied sehen."
"Welchen Unterschied, Raggie?"
"Na, der Unterschied, ob man für eine reiche und mächtige Konzernfirma wie Far Galaxy arbeitet, die wahrscheinlich reicher ist als die gesamten Humanen Welten, oder nur für eine kleine, arme Deuterium Company, wie das bei meinen Eltern der Fall ist."
“Jetzt tu mal nicht so, als wärt ihr arme Schlucker, Raggie.”
“Sind wir nicht?”
“Deine Eltern werden sich eine goldene Nase verdient haben, wenn sie diese Welt mal verlassen!”
“Ich glaube nicht, dass sie Maldena je wieder verlassen werden”, sagte ich.
“Wieso nicht?”
“Ich habe den Eindruck, dass sie hier genau das gefunden haben, was sie suchen. Ein Business, das sie aufbauen können und das sie erfüllt. Und was die Umweltbedingungen hier angeht, sind sie dafür ja ähnlich passend optimiert wie ich. Also das ist kein Problem.”
“Und du?”
“Was meinst du?”
“Ich nehme an, du willst irgendwann mal hier weg.”
“Habe ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken drüber gemacht.”
“Aber du musst doch irgendwelche Pläne haben.”
“Habe ich nicht. Und du?”
“Wenn alles gut geht, studiere ich irgendwann mal auf der Erde oder wenigstens Wega oder New Hope.”
“Und was?”
“Keine Ahnung. Irgend etwas, was sich mal zu Geld machen lässt.”
5
Wir setzten unseren Weg fort.
So unterhielten wir uns oft.
Über Gott und die Welt und die Zukunft.
Darüber, wie es sein könnte und darüber, wie man auf keinen Fall werden durfte.
Aber das alles war mit einem Schlag zu Ende.
Doch ich will nicht vorgreifen.
Der Grund dafür, dass wir die Adaptionisten-Siedlung aufsuchten war, dass es sonst keine anderen Ziele gab, wo man hätte hingehen können.
Der ganze Kontinent war nichts anderes als eine kahle Steinwüste. Und es ab noch zwei weitere Kontinente, die genauso aussahen.
Es gibt ein paar Stellen, an denen wertvolle Bodenschätze aus dem Boden geholt werden. Man hat nämlich vor kurzem erkannt, dass man auf Maldena nicht nur schweres Wasser und Deuterium gewinnen kann, sondern dass offenbar schier unerschöpfliche Vorräte von Gold, Platin und einigen anderen wertvollen Stoffen vorhanden sind.
Und dann erreichten wir schließlich die Siedlung der Adaptionisten.
Wir nannten sie auch das Dorf der Zwerge. Das ist nicht böse gemeint.
Schließlich wohnten dort ein paar Freunde von uns. Aber im Prinzip ähnelten die Adaptionisten von Maldena den Zwergen der irdischen Sagen.
Sie waren klein, gedrungen, sehr stämmig und sehr stark.
Eben den Gegebenheit dieses Planeten angepasst. Es gibt Supererden-Zwerge nicht nur auf Maldena, muss man dabei erwähnen.
Man findet sie auf zahlreichen anderen Welten innerhalb und außerhalb des Gebietes der Humanen Welten. Niemand weiß schließlich genau, wie weit die frühen Adaptionisten-Siedler kamen.
Manche sagen: sehr weit. Aber ich persönlich bin da etwas skeptischer. Das klingt nämlich immer auch ein bisschen nach Propaganda für ihre quasi-religiöse Weltanschauung von der Anpassung des Lebens an den Kosmos und so weiter.
Wie auch immer, wir hatten bei den Maldena-Zwergen ein paar Freunde.
Auch welche in unserem Alter. Mag ja sein, dass uns genetisch kaum etwas von denen trennt. Und es ist sicher kaum zwei Generationen her, dass sie sich von uns so deutlich unterscheiden. Aber ich glaube, Alienkinder hätte nicht unterschiedlicher sein können. Ich weiß nicht, was Qriid-Kinder in ihrer Freizeit so treiben. Ich nehme mal an, sie beten viel, da die Qriid doch sehr religiös sein sollen und ihre Eroberungspläne angeblich nichts anderes als eine Art Heiliger Krieg sind.
Die Supererden-Zwerge-Teenager von Maldena vertrieben sich ihre Zeit mit Steine-Werfen.
Steine-Werfen auf Maldena ist etwas vollkommen anderes, als auf einer Welt mit einer geringeren Schwerkraft, etwa auf der Erde. Ich habe das auch erst kapiert, als ich nicht mehr auf Maldena war und die sogenannten “Normalbedingungen” kennengelernt habe, die eigentlich (wenn man sich mal unseren Sektor der Milchstraße statistisch ansieht) gar nicht so “normal” im Sinne von “zahlenmäßig vorherrschend” sind.
Und was Naomi mir dazu sagte, habe ich damals gar nicht richtig verstehen können, sondern nur achselzuckend zur Kenntnis genommen.
Zum Beispiel erzählte sie mir, dass es in den Habitaten auf Merkur Sportareale gäbe, in denen die reduzierte Schwerkraft des Planeten vorherrschen würde. Offenbar haben Normalmenschen dort viel Freude daran, unter einer Mini-Schwerkraft mit sportlichen Höchstleistungen aller Art zu glänzen.
Die Zwerge von Maldena würden darüber natürlich nur lachen.
Wenn sie einen Stein werfen, dann ist die Schwerkraft gegen sie. Aber nicht nur die.
Zum Beispiel ist die Oberflächenspannung des Wassers größer als unter den sogenannten Normalbedingungen. Und das bedeutet, man kann Steine schier unendlich weit darüberflitschen lassen.
Selbst mit faustdicken Brocken geht das, vorausgesetzt natürlich, man schleudert sie auch mit genug Kraft. Und dazu sollte man natürlich unter den Bedingungen einer Supererde am besten ein Maldena-Zwerg sein.
Am zweitbesten ist man ein Genetic, wie ich.
Oder vollständig ein Genetically Optimized Individual, auch GENOPI genannt. Ich weiß, es gibt mindestens eine altirdische Sprache, in der diese Abkürzung etwas eigenartig klingt und deswegen sagt man ja auch meistens nur einfach Genetic. (Oder man spricht von “den Optimierten”). Aber das ist ein anderes Thema. Es gibt wirklich schlimmere Geburtsfehler als eine dämlich klingende Abkürzung, kann ich Ihnen sagen.
Aber ganz ehrlich, gegen die Maldena-Zwerge hätte ich im Um-die-Wette-Steineflitschen keine Chance gehabt, obwohl ich mir von klein auf immer wieder mühe gegeben habe, an sie heranzukommen.
Das Dorf der Zwerge lag an einem Binnengewässer, das ungefähr zehn Quadratkilometer groß war. Also groß genug, um Steine über die Wasseroberfläche flitschen zu lassen und nicht gleich das andere Ufer damit zu bombardieren.
Bei den Zwergen gab es eine richtige Liga mit verschiedenen Wettkämpfen. Und sich die anzusehen hatte schon einen gewissen Unterhaltungswert.
Ansonsten gab es auf diesem Planeten ja nicht allzu viel, was einen wirklich umwerfenden Schau-Wert gehabt hätte. Manche behaupteten, diese Liga sei nur entstanden, weil es bei den ersten Siedlern auf Maldena einen gewissen Mangel an Unterhaltungselektronik und Spiele-Software gegeben hätte.
Ehrlich, ich glaube, da ist in der Tat etwas dran.
6
Als Naomi und ich eintrafen, waren einige unserer Freunde gerade dabei zu trainieren. Die Steine sprangen nur so über die Wasseroberfläche. Manche schienen gar nicht mehr untergehen zu wollen. Und wenn einer dieser Brocken einfach auf der Wasseroberfläche liegen geblieben wäre - es hätte irgendwie ins Bild gepasst.
Das ist natürlich ein Scherz.
So groß ist dann die Oberflächenspannung des Wassers auch auf Maldena nicht. Und auch wenn die Zwerge so muskulös und stämmig sind, dass selbst ich dagegen wie ein Hänfling aussehe, sind sie eben auch nicht kräftig genug, um einen Stein ewig über Wasser zu halten. Irgendwann gehen sie alle unter. Das ist einfach das Gesetz der Schwerkraft. Die zieht jeden dieser Brocken irgendwann doch in die Tiefe.
7
"Hey, wie geht’s?", rief uns Joey zu. Joey hieß eigentlich Josephine. Und Josephine war eine ziemlich gute Flitscherin. Sie hatte richtige Kunststückchen drauf. Zum Beispiel zwei Steine auf die Reise zu schicken und sich dann treffen zu lassen. Ein lautes klackendes Geräusch gab es dann. Und wenn die Richtung traf, war das ein Knall, den man meilenweit hören konnte.
Es ist übrigens nur ein Gerücht, das Zwergenmädchen auch Bärte haben. Sie sind nur ziemlich kräftig.
(In einigen antiken Computerspielen tragen Zwergenmädchen Bärte. Angesichts der Kälte auf Maldena 22b habe die Adaptionisten da vielleicht beim weiblichen Teil ihrer Bevölkerung den allerletzten genetischen Optimierungsschritt noch vor sich... Aber der würde sich natürlich krass mit gewissen, überall innerhalb der Humanen Welten verbreiteten Ideale von Schönheit und Weiblichkeit beißen. Und so vermute ich mal, die Zwerginnen auf dieser Supererde frieren lieber im Gesicht, anstatt sich Bärte wachsen zu lassen. Und nein: Eine ‘Neopren-Burka’, wie Erdmenschen sie tragen müssen, würden echte, im Reagenzglas optimierte Adaptionisten niemals anlegen. Das würde ja zeigen, dass sie nicht so richtig an ihre Welt adaptiert wären.)
"Alles wie immer", sagte ich.
Joey sah sich Naomi ziemlich skeptisch an.
"Eine Normal-Irdische", meinte sie staunend. Ich war zwar vorher auch schon mit Naomi im Dorf der Zwerge gewesen, aber Joey war eigenartigerweise nie mit ihr zusammengetroffen. So war es jetzt das erste Mal. "Ist ziemlich selten, so ein Anblick."
"Kein Grund, rassistisch zu sein", sagte ich.
"Ist sie Muslimin?"
"Wieso?"
"Weil sie ihr Gesicht verdeckt hat."
"Sie friert."
"Oh."
"Nichts oh", äffte ich die Maldena-Zwergin nach.
"Ist wohl empfindlich", meinte Joey.
"Sie kann übrigens selbst reden, Joey."
Vielleicht hätten sich die beiden sogar noch unterhalten. Vielleicht...
Aber es geschahen zwei Dinge fast gleichzeitig, die dafür sorgten, dass die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf etwas anderes gelenkt wurde.
8
Das Erste was geschah, war, dass Jorian Kelly einen Stein flitschen ließ. Das ist der Jorian Kelly, der später Taktikoffizier an Bord des Zerstörers ODYSSEUS unter Captain Wong wurde. Der erste Supererden-Zwerg, der in der Flotte der Humanen Welten einen hohen Offiziersrang erreichte, war er nicht. Das war Admiral Müller von der Supererde New Paraguay im Mondahar-System. Aber bei Müller sind die genetischen Veränderungen zumindest äußerlich moderat. Manche strengen Adaptionisten zählen ihn deswegen gar nicht als richtigen Superden-Zwerg.
Ein etwas hutzelig und gedrungen geratener Erdmensch eben.
Trotzdem - Jorian Kelly war später nicht mehr der erste Zwerg im Offiziersrang. Aber er war immerhin der erste Maldena 22b-Zwerg, der das schaffte. Und er war vielleicht auch derjenige, dem man das unter seinesgleichen besonders übel nahm. Jedenfalls unter den Adaptionisten von Maldena, denn da herrschte bis dahin eine ziemlich große Abneigung gegen alles Irdische, gegen die Humanen Welten, gegen das Space Army Corps, gegen die Flotte und gegen die Konzerne, die diesen Gesteinsbrocken zu einer Gold- (ja, und auch Platin-)Grube gemacht hatten und dafür sorgten, dass hier mit dem Verkauf von Deuterium und Schwerem Wasser ein bisschen Wohlstand einzog.
Jorian Kelly war damals eigentlich nicht mehr richtig zu den Jugendlichen der Adaptionisten-Siedlung zu zählen.
Er stand kurz davor, einen Job bei einer der Companies anzunehmen. Und er wäre dann Bergbauingenieur geworden, was hier vielleicht nicht so ganz dasselbe ist, wie man sich das auf der Erde oder auf Erdnorm-Planeten vorstellt. Aber Jorian hatte nie besonders viel Lust dazu. Nur Pech, wenn man auf einem Planeten lebt, auf dem es eigentlich keine anderen Jobs gibt. Dass er dann für die verhassten Companies hätte arbeiten müssen, hätten ihm seine Zwergenverwandten wohl noch nichtmal so besonders übel genommen.
Die meisten von ihnen begingen diesen Verrat ja inzwischen selbst, weil man dann ein viel einfacheres Leben hatte, als es die Adaptionisten in der Zeit davor gewohnt gewesen waren. Vor der Besetzung, wie sie die Ansiedlung von Erdnorm-Menschen nannten. Oder auch von Optimierten wie meiner Familie. Da machten sie keinen Unterschied. Fremde waren wir in den Augen der besonders Strengen so oder so. Besatzer sagten sie manchmal auch.
Die wussten noch nicht, was Besatzer wirklich waren.
Aber das sollten sie bald besser kennenlernen, als es ihnen lieb war. Sie alle.
Zumindest dir, die mit dem Leben davon kamen. Und das waren nicht allzu viele, wie ich leider sagen muss.
9
Der Reihe nach: Jorian Kelly flitschte seinen Stein über den See. Und der Stein war erstens der größte Stein, den wir alle jemals einen der Zwergen-Teenager hatten schleudern sehen. Und zweitens schien er gar nicht mehr versinken zu wollen.
Ich habe so etwas nie zuvor und nie wieder danach gesehen. Ein Stein, der nicht untergehen wollte. Und die Oberflächenspannung des Sees wirkte so bretthart, dass ich heute immer noch kaum Worte dafür finde. Die Wasseroberfläche reagierte fast wie ein Trampolin. (Sowas gibt es natürlich auf Maldena 22b nicht. Das lernte ich erst in den Sport-Kursen beim Space Army Corps kennen. Im Sol-System, auf einem Jupitermond namens Ganymed. Allerdings sind die Ausbildungsstätten der Akademie des Space Army Corps allesamt in Habitaten mit Erdnorm untergebracht. So wie man das eben kennt. Also herrschten auch Bedingungen, unter denen ein Trampolin irgendeinen Sinn macht.)
Aber genau so sah es aus.
Ich muss allerdings gestehen, dass ich in jenem Moment noch nicht die Assoziation eines Trampolins hatte, denn so etwas kannte ich damals ja noch nicht. Dieser Bezug kommt mir erst heute in den Sinn. Aber er passt.
So ein Wurf, wie er Jorian Kelly gelang, den bringt man vielleicht einmal im Leben zustande. Selbst wenn man ein Maldena-Zwerg ist und selbst dann, wenn man Jorian Kelly heißt und wahrscheinlich der talentierteste Steine-Flitscher der gesamten Humanen Welten ist.
Es war sein Pech, dass er diesen Anblick nicht bis zum Ende genießen konnte. Wir alle konnten das nicht.
Denn in diesem Augenblick geschah noch etwas anderes.
10
Ein Strahl schoss durch die Atmosphäre. Grünlich schimmerte er in den Wolken und zog sich wie ein gerader Strich an einen Punkt jenseits des Horizontes, der hinter schroffen Felsmassiven verborgen lag.
Genau dort hin, wo Far Galaxy City lag.
Ich konnte mich gut orientieren. Die Fähigkeit dazu hatte wohl etwas mit meiner Optimierung zu tun. Naomi hingegen hatte noch Hoffnung, weil sie ahnungslos war. Und vielleicht auch bleiben wollte. Der gewaltige Trichter aus Feuer und Staub erhob sich dort, wo Far Galaxy City gewesen war.
“Gut, dass das nicht dort war, wo unsere Eltern sind”, sagte Naomi.
Keiner der Maldena-Zwerge sagte was dazu. Sie sahen Naomi an und dann mich. Die Zwerge können sich auch gut orientieren. Vor allem in solchen schroffen, vegetationslosen Felslandschaften, wie es sie hier gibt. Landschaften, die Erdmenschen oft als eintönig oder gleichförmig empfinden. Zumindest sagen sie das so, dabei stimmt das nicht. Nicht, wenn man auf die Kleinigkeiten achtet, die den Unterschied machten.
Joey sah erst Naomi an und dann mich.
Und Jorian Kelly starrte zum Horizont.
“Far Galaxy City gibt es nicht mehr”, sagte ich. Es war ein Satz wir eine automatische Analyse. Ein Satz, der mir wie von selbst über die Lippen kam, als hätte ihn ein anderer gesprochen. Die Erfassung der Lage, die Analyse der Situation - das alles muss funktionieren, auch wenn man sich in einer emotional außergewöhnlich belastenden Gesamtsituation befindet. Heute weiß ich, dass auch dies Teil eines genetisch fixierten Programms ist, das bei einer Ausschüttung von Adrenalin und einigen anderen körpereigenen Drogen automatisch abzulaufen beginnt.
"Weg hier!", rief ich.
Es war der Instinkt für die Gefahr, der mich dann automatisch handeln ließ. Ein Instinkt, der genetisch angelegt, aber kaum trainiert war, denn ich hatte bislang kaum gefährliche Situationen erlebt. Um ehrlich zu sein, hatte ich bis dahin keine Ahnung davon, dass ich diesen Instinkt überhaupt besaß. Erst später, als ich mich mal genauer mit meinem genetischen Optimierungsprogramm beschäftigt habe, wurde mir klar, weshalb ich genau so handelte, wie es mir einfach selbstverständlich erschien.
Ich packte Naomi, aktivierte ihren Antigrav und schaltete den Regler auf den größten Wert. Sie wurde dadurch emporgeschleudert wie in einem Raketensitz. Und auch wenn die Gravitation durch das Antigravgerät auf den Wert nahe Null abgesenkt wurde, war ihr empfindlicher Normalmenschen-Körper doch erheblichen Beschleunigungskräften ausgesetzt.
Sie stieß einen Schrei aus.
Einen Schrei der Überraschung, denn sie hatte nicht damit gerechnet, was ich tat. Und dann wandt ich noch innerhalb desselben Bewegungsablaufs Jorian Kelly und Joey zu. Ich packte die beiden Maldena-Zwerge an ihren Schulterriemen. Die Zwerge tragen sowas. Da sind jede Menge Karabinerhaken und Magnethalterungen dran. Das ist praktisch, wenn man die Hände frei haben will und alle möglichen Gegenstände am Körper befestigt haben möchte.
Die Steuerung meines Antigravgürtels war auf das Sprachmenü umgeschaltet. Das habe ich routinemäßig so eingestellt. Ich will die Hände freihaben, wenn ich laufe und springe. Und auf dem Weg hier her, wäre es sehr lästig gewesen, bei jeder kleinen Justierung erstmal nach Schaltern zu suchen oder das Display aktivieren zu müssen - so komfortabel das auch sein mag.
Im nächsten Moment flog ein zwölfjähriger (wenn auch gen-optimierter) Junge in die Luft und an ihm hingen zwei Halbwüchsige, aber trotzdem ziemlich kompakte und dementsprechend schwere Maldena-Zwerge, die ebenfalls vollkommen überrascht waren.
Ich sah mich um und suchte Naomi, und fand sie schließlich. Sie war noch in der Luft. Ich vertraute einfach darauf, dass sie ihr Antigrav-Pak gut genug bedienen konnte, um keine allzu harte Landung hinzulegen.
Aus der Höhe war im Übrigen zu sehen, was für eine gewaltige Explosion den Landstrich, auf dem sich Far Galaxy City bis dahin befand, verwüstet hatte.
Beziehungsweise verwüstet haben musste - denn ich war überzeugt davon, dass es so war und dass dort nichts mehr existierte.
Im nächsten Augenblick kam ein weiterer grünlicher Strahl aus dem wolkenverhangenen Himmel. Er schnitt sich durch die dichte Atmosphäre. Und er traf diesmal nicht Far Galaxy City, sondern das Dorf der Zwerge.
Ich hatte von den qriidischen Traser-Strahlen gehört.
Auch davon, wie gewaltig die Energiemengen waren, die mit Ihnen transportiert werden konnten. Sie stellten eine Waffe dar, die zwar nicht die Durchschlagskraft irdischer Gauss-Geschütze und Railguns besaß, sich in diesem speziellen Fall aber wohl als sehr viel verheerender auswirkte. Denn während ein Gauss-Projektil durch die besonders dichte Atmosphäre einer Supererde wie Maldena 22b zweifellos stark abgebremst und vermutlich sogar verglüht wäre, ohne den Boden zu erreichen, war das bei den Traser-Strahlen der Qriid anders. Eine dichte Atmosphäre war offenbar kein Garant dafür, dass die Strahlen genug Energie verlieren, um nicht trotz allem noch größere Zerstörungen anrichten zu können.
Allerdings schossen die Qriid wohl kaum aus dem freien Weltall. Ich nahm an, dass ihre Schiffe bereits tief in die Atmosphäre eingesunken waren und wir sie nur wegen der Wolkendecke nicht sehen konnten.
In diesen Augenblicken, da wir so durch die Luft schwebten, ging mir einiges durch den Kopf. Ich sah weitere Strahlen vom Himmel schießen. Sie verwandelten einen ganzen Landstrich in eine Feuerhölle. An einigen Stellen schien mir die Energieeinwirkung so stark zu ein, dass selbst das Gestein aufgeschmolzen wurde.
Mir war es vielleicht in dem Augenblick noch nicht klar oder ich weigerte mich einfach, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen, was vielleicht auch ein Teil des genetisch implementierten Schutz-Mechanismus war.
Auf eine kalte, distanzierte Art war mir klar, dass mein bisheriges Leben in diesem Augenblick vorbei war und kaum noch jemand lebte, den ich je gekannt hatte.
Die Emotionen kamen später.
Und dafür umso schlimmer.
11
Die Landung war hart.
Selbst für mich.
Das lag wohl daran, dass ich diese beiden Zwerge am Hals hatte, was man in diesem Fall wohl auch wirklich wörtlich verstehen sollte, denn die klammerten sich natürlich an mich. Nur, dass ich von allen die mit Abstand geringste Körpermasse hatte.
Jedenfalls ist es nicht so ganz einfach, die Landung mit einem Antigrav-Aggregat sauber und einigermaßen sanft hinzubekommen, wenn man mit einer solchen Last herumfliegt.
Ich war etwas benommen. Der Untergrund war hartes Gestein, ohne irgendeinen Bewuchs, so wie er für die Landmassen von Maldena 22b eben typisch ist. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich wieder richtig zu mir kam. Vielleicht wäre ein Normalmensch tatsächlich erst einmal ohnmächtig gewesen und hätte sich bei der Landung darüber hinaus alle Knochen im Leib gebrochen. Mir passiert sowas nicht so schnell. Und wenn doch, dann heilt es ziemlich schnell wieder.
Von Naomi hatte ich nichts mehr gesehen. Ich wusste nicht, ob und wo sie gelandet war oder ob vielleicht die Strahlen der Qriid sie erfasst hatten.
Jorian Kelly und Joey waren hart im nehmen. Aber diesmal stöhnten sie ganz schön.
“Was fällt dir ein!”, schrie Joey.
Es kann anstrengend sein, ein Zwergenmädchen schreien zu hören. Vor allem bei dem hohen Luftdruck auf dieser Welt.
Im Gegensatz zu ihr bin ich ja an Maldena nicht angepasst, sondern ich habe mich an diese Welt lediglich auf Grund meiner genetischen Disposition ganz gut gewöhnen können.
Aber das das natürlich ein Riesen-Unterschied ist, das zeigte sich in diesem Moment. Ich zuckte regelrecht unter ihrem Schrei zusammen und die Ohren taten mir weh.
“Lass ihn!”, sagte Jorian Kelly.
“Er hätte uns fast umgebracht, dieser Verrückte!"
"Er hat uns das Leben gerettet, würde ich eher sagen", widersprach Jorian Kelly.
Joey stand da und rieb sich die Schulter. Ein paar Meter bevor ich gelandet war, war sie schon abgesprungen. Und bei der auf Maldena 22b herrschenden Fallgeschwindigkeit bedeutet so ein Sprung etwas ganz anderes, als unter der Erdnorm, wie ich sie später an Bord von Raumschiffen kennenlernte.
“Was zum Teufel war das?", fragte Joey, als sie sich etwas beruhigt hatte.
"Qriid", sagte ich.
"Ich habe gedacht, dass uns das Space Army Corps der Humanen Welten schützt", meinte Jorian Kelly.
"Und ich dachte, ihr Zwerge habt euch immer selbst schützen wollen und denkt, die Humanen Welten seien nichts anderes als ein Imperium der Unterdrückung durch die Erdmenschen", sagte ich. War vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt für so einen polemischen Ton. Aber ich hatte mir diese Bemerkung nicht verkneifen können. Schließlich waren diese Sprüche immer im Dorf der Zwerge zu hören gewesen. Und natürlich ganz besonders in meiner Gegenwart, denn für die Zwerge war ich genauso ein Erdmensch wie Naomi. Meine genetische Optimierung sieht man mir schließlich nicht an. Darauf haben die Gen-Ingenieure, die die S-Klasse entwickelt haben, peinlich genau geachtet. Es sollten schließlich keine Monster geschaffen werden. Und es ging auch nicht darum, sich ohne Rücksicht auf irgend etwas einer fremden Welt oder einer besonderen Aufgabe anzupassen, wie es der Ideologie der Adaptionisten entspricht, die die Supererden-Zwerge hervorgebracht hat. Die Genetic Optimized Soldiers sollten vor allem auch Menschen bleiben. Erdmenschen, wenn man so will und wenn man unter diesem Begriff nicht nur Bewohner der Erde versteht, sondern alle Menschen, die der Erdnorm entsprechen. Manche sagen auch ursprüngliche Menschen.
Die Idee dahinter war, dass es schon schwer genug sein wurde, Akzeptanz für gen-optimierte Supermenschen zu finden. Aber Akzeptanz für ein Geschlecht von genmanipulierten Super-Monstern zu finden, schien vollkommen ausgeschlossen zu sein. Inzwischen hat man in dieser Hinsicht auf den Welten der Genetikerföderation im Übrigen längst jede Zurückhaltung aufgegeben. Ich weiß von methanatmenden Bergbauingenieuren mit infrarotsichtigen Facettenaugen, deren DNA ebenfalls menschlich ist - bis auf ein paar klitzekleine Modifikationen und Ergänzungen.
Dagegen bin ich richtig normal.
Was immer dieser Begriff eigentlich bedeuten mag.
Ich denke, es ist einfach so: Der Mensch entwickelt sich. Und er breitet sich im Kosmos aus. So wie er sich einst von Afrika aus auf die anderen Kontinente der Erde ausbreitete. Und auf dieser Wanderschaft veränderte er sich. Je weiter der Mensch in die Unendlichkeit des Alls vordringt und je andersartiger die Welten sind, auf denen er sich ansiedelt, desto mehr wird er sich verändern und sich schließlich vollkommen von dem unterscheiden, was er mal war.
Irgendwann, so stelle ich mir manchmal vor, wird eines sehr fernen Tages ein Mensch, der auf einer sehr fernen Welt gesiedelt hat, einem anderen Menschen begegnen und nicht einmal mehr durch einen genetischen Scan erkennen, dass er seinesgleichen gegenübersteht. Umgekehrt sind wir schon Wesen begegnet, die rein äußerlich den Erdmenschen beinahe vollkommen zu gleichen scheinen und doch nicht im geringsten mit ihnen verwandt sind. Ergebnisse einer parallelen Evolution, die ähnliche Anforderungen in einer ähnlichen Umwelt an völlig unterschiedliche Kreaturen stellte und sie so formte. Es gibt viele Beispiele dafür. Irdische Vögel und die Qriid, Menschen und K’aradan...
Aber zurück zu dem Augenblick, in dem wir uns gerade gerettet hatten. Was mit Naomi war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Niemand konnte das wissen. Ich hoffte zumindest, dass sie auch noch lebte.
“Es hat immer geheißen, dass sie kommen werden - und jetzt sind sie da, die verdammten Qriid”, meinte Jorian Kelly.
“Wir sollten zurück zum Dorf gehen, um zu sehen, ob noch jemand lebt”, sagte Joey.
Das Zwergenmädchen hatte auf mich immer sehr robust gewirkt. Aber das betraf wohl nur die äußerliche, physische Erscheinungsform und es zeigte wieder einmal, wie trügerisch es sein konnte, von der einfach auf die psychische Verfassung zu schließen.
“Da lebt niemand mehr”, sagte Jorian Kelly. Und um etwas von seiner Wut und Verzweiflung loszuwerden, nahm er einen Stein und schmetterte ihn mit ganzer Kraft auf den Boden. Ein faustdicker Brocken war das. Und er zerbrach. Er hätte am liebsten wohl auch noch einen Schrei ausgestoßen, wie er es tat, wenn er solche Brocken über den See flitschen ließ. Aber das unterließ er. So weit hatte er sich dann doch in der Gewalt. Dass bereits Qriid-Truppen gelandet waren, das nahm niemand von uns an. In so fern hätte er sich den Schrei vielleicht erlauben können. Andererseits wusste auch niemand, wie empfindlich die Sensoren der Qriid waren. Und Geräusche übertrugen sich nunmal in einer Atmosphäre wie der von Maldena 22b besonders gut.
“Sie sind alle tot”, sagte Jorian Kelly, so als würde er das ganze Ausmaß der Tragödie erst jetzt, in diesem Moment so richtig begreifen. “Alle. Hast du das eigentlich schon in dein Hirn hineingelassen, du Super-Gen-Monster?”, fragte er dann an mich gewandt.
“Ich habe es erfasst”, sagte ich.
“Es lebt niemand mehr, nicht von deinen Leuten und auch nicht von meinen.”
“So wird es sein.”
“Das nimmst du einfach so kalt hin?”
“Nein”, sagte ich.
“Aber es scheint dir gar nichts auszumachen.”
“Es macht mir was aus”, sagte ich.
“Sieht man nicht unbedingt!”
“Ich versuche, die Verarbeitung meiner Emotionen zu verschieben”, sagte ich.
“So reden doch nur Bekloppte”, meinte Jorian Kelly.
“Wir müssen Naomi finden. Vielleicht lebt sie noch.”
“Und nachsehen, ob von unseren Leuten noch jemand lebt”, warf Joey ein.
“Nein, ganz sicher nicht”, sagte ich. “Das wäre das Dümmste, was wir tun könnten. Die Qriid scheinen es auf die Siedlungen abgesehen zu haben. Also müssen wir uns von Siedlungen fern halten. Auch von denen, die sie bereits zerstört haben, denn ich glaube, dass sie dort in Kürze vielleicht selbst nachsehen werden, wie die Wirkung ihrer Treffer gewesen ist.”
Die beiden Maldena-Zwerge sahen mich erstaunt an.
Irgendjemand musste die Initiative ergreifen.
Ich war der Jüngste in dieser Dreiergruppe. Zwölf Jahre. Und abgesehen davon war ich für Jorian Kelly und Joey wohl immer in erster Linie einfach nur ein eigenartiges Phänomen gewesen. Nicht nur so eigenartig, wie für sie ein Normalmensch war, sondern noch weit darüber hinausgehend.
Aber im Moment hatte ich einfach das Gefühl, dass strategisches Denken und eine kalte Analyse der Situation gefragt war, wenn wir überleben wollten. Denn das war unter den gegebenen Umständen mit Sicherheit nicht einfach.
Ich hatte das Gefühl, zu wissen, was ich richtig war und getan werden musste.
Sehr eigenartig war das. Ich fragte mich, was davon aus mir selbst kam und was vielleicht dem genetischen Optimierungsprogramm entsprang, das in meiner Doppelhelix eingearbeitet worden war.
Für das Überleben war das im Moment vielleicht zweitrangig.
“Du willst nichtmal den Kommunikator benutzen, um zu überprüfen, ob von deinen Leuten noch jemand da ist?”, fragte Joey überrascht.
“Nein”, sagte ich. “Es könnte uns verraten und dafür sorgen, dass man auf uns schießt.”
“Aber du musst doch Naomi anpeilen”, meinte Jorian Kelly.
Er kannte sich ganz gut mit der irdischen Kommunikationstechnik aus. Normalerweise ist das bei Maldena-Zwergen anders. Unter ihnen war es lange verpönt, Kommunikatoren zu benutzen oder andauernd über ein Datennetz zu kommunizieren. Das hängt mit der Zeit zusammen, in der die Zwerge die Herrschaft über den Planeten verloren, wie sie es ausdrücken. Die Zeit, in der die ersten Nicht-Adaptionisten auf Maldena 22b gesiedelt haben und die Companies kamen, weil sie hinter dem Schweren Wasser und dem Deuterium her waren wie der Teufel hinter der armen Seele. Die Zwerge sahen die Datennetze immer als ein Instrument der Kontrolle an. Es ist nicht so, dass sie keine Funk- und Computertechnik benutzen. Aber ganz generell bevorzugen sie eine Low Tech-Umgebung. Zu komplexe Systeme machen abhängig und anfällig für Krisen, so lautete wohl die gebündelte Erfahrung der Adaptionisten, die einst nach Maldena kamen, um sich dieser Welt anzupassen und hier ein neues Leben zu beginnen. Die Technik, die sie benutzten, war gerade komplex genug, um zu überleben und für das Notwendigste zu sorgen. Und anstatt ihre Energie und ihren Forschungsdrang darauf zu verwenden, diese Systeme zu verbessern und komplexer werden zu lassen, hatten die Zwerge das Gegenteil getan. Sie hatten versucht, so einfache Lösungen wie möglich zu finden, um ihr Überleben zu sichern. Stattdessen hatten sie auf etwas anderes sehr viel mehr Wert gelegt.
Sie hatten versucht, sich von Generation zu Generation ihrer Umgebung immer besser anzupassen. Denn je mehr sie sich an den Planeten, auf dem sie lebten, anpassten, desto weniger abhängig waren sie von der Funktionsfähigkeit ihrer Technik.
Gegen einen Volltreffer einer Siedlung mit einem qriidischen Traser-Geschütz half das alles natürlich überhaupt nichts.
Auf Maldena gab es Asteroideneinschläge, Stürme von ungeheurer Gewalt, Gezeitenkräfte, die für die Überflutung ganzer Kontinente sorgten - aber den Beschuss mit Traser-Waffen hatten die Adaptionisten seinerzeit bei ihrer Koloniegründung wohl nicht bedacht.
Wir hätten sie auch!
“Wie willst du Naomi finden?”, fragte Jorian Kelly.
“Durch Berechnung. Ich kann mir ungefähr denken, wo sie gelandet sein muss. Und da wir alle gut zu Fuß sind und nicht solche Normalmenschenschwächlinge, für die die hiesige Schwerkraft ein Problem darstellt, werden wir sie bald gefunden haben.”
“Du fliegst mit deinem Antigrav-Gerät zu ihr, Raggie?”
“Um Himmels willen, nein! Das wäre Selbstmord. Wir gehen alle drei.”
“Zu Fuß?”
“Zu Fuß.”
Jorian Kelly runzelte die Stirn und seine sehr buschigen Augenbrauen zogen sich dabei zusammen. Er sah Joey an und die nickte.
“Gut”, sagte sie.
"Also gehen wir", sagte ich.
"Du bist wirklich ein Soldier", meinte Joey.
"Wie meinst du das?"
Wir hatten natürlich auch mal über die Bedeutung des Buchstabens S zwischen meinem Vor- und meinem Nachnamen gesprochen. Aber in diesem Augenblick konnte ich mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen, was sie damit sagen wollte.
Joey zuckte ihre überaus breiten Zwergenschultern.
"Du kannst ja noch nicht in irgendeiner Armee gewesen sein."
"Natürlich nicht."
"Aber du gibst Befehle, als hättest du nie was anderes gemacht."
Sie hatte recht.
Ich hatte nicht einmal darüber nachgedacht.
Vielleicht musste ich in Zukunft etwas mehr Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der beiden Maldena-Zwerge nehmen, um ihre Kooperationsbereitschaft nicht zu beeinträchtigen. Denn auch davon hing unser Überleben vielleicht noch ab.
12
Wir kletterten durch die zerklüftete Landschaft.
Stundenlang.
Das Antigrav-Aggregat benutzte ich dabei nicht.
Auch nicht, um hier und da meinen Aufstieg etwas zu erleichtern. Ich hatte Kraft genug und ich glaube, es war ganz gut, dass ich die Möglichkeit hatte, mich etwas zu verausgaben. Das hielt meine Psyche besser im Gleichgewicht. Ein gutes Mittel irgendwie aufkommende Gedanken, die sich irgendwann natürlich ihre Bahn brachen. Meine toten Eltern, die Bilder von der Flammenhölle, in der Far Galaxy City zweifellos aufgegangen war - all das brodelte in mir und ich konnte das am besten im Zaum halten, wenn ich etwas tat. Denn so lange das der Fall war, war ich vollkommen fokussiert.
Für die Trauer war immer noch Zeit, dachte ich damals.
Für die Trauer. Und die Wut. Und vielleicht auch für den blanken Hass. Hass auf diejenigen, die mir mein bisheriges Leben genommen hatten. Hass auf diejenigen, die all diejenigen getötet hatten, die mir etwas bedeuteten.
Die Zeit verrann. Und wir redeten nicht viel. Aber ich kannte die beiden Zwerge immerhin gut genug, um zu wissen, dass sie ebenfalls sehr litten. Viel mehr, als es ihre raue Fassade wohl erahnen ließ.
Über uns sahen wir Shuttles der Qriid am Himmel. Es waren unterschiedliche Flugobjekte und ich will nicht behaupten, dass ich sie richtig zu identifizieren vermochte. Gleiter, Landefähren, Raumshuttles, Kampfdrohnen - von allem ein bisschen, so schien es mir.
Aber natürlich hatte ich noch keine qriidische Waffenkunde gehabt. Das war später, bei den Marines des Space Army Corps. Wissen über die Waffensysteme des Feindes ist nicht Teil des Optimierungsprogramms, das meine DNA durchlaufen hatte. Wie hätte das auch geschehen sollen? Die Ursprünge des Soldier-Programms auf den Genetiker-Welten ging schließlich auf die Zeit vor der ersten Begegnung zwischen Menschen und Qriid zurück. Eine Zeit, in der man sich nicht vorstellen konnte, dass die Menschheit auf einen Feind stoßen würde, der mit so brutaler Entschlossenheit auf ihre Vernichtung hinarbeitete. In diesem Krieg ging es um den rechten Glauben und die Errichtung einer göttlichen Ordnung, wozu die Qriid angeblich einen Auftrag von ganz ganz oben hatten. (Das war uns damals auf Maldena alles noch nicht bekannt. Erst später stellten sich die Dinge so dar, als man mehr über die Feinde erfuhr und es schließlich sogar dazu kam, dass man sich mit ihnen im Krieg gegen die Etnord verbündete.
Sie merken, dass ich über diesen Punkt immer noch nicht so einfach hinweggehen kann. Aber das ist ein anderes Thema.
Damals, auf Maldena, waren die Qriid noch die mysteriösen, nahezu unbekannten Feinde, die sich ausgerechnet unseren Teil der Galaxis dazu ausgesucht hatten, ihr Heiliges Imperium auszudehnen und einer ominösen göttlichen Ordnung anzugliedern, der wohl niemand sonst irgend etwas Positives abgewinnen kann.
13
Wir fanden Naomi schließlich in einer Senke, aus der sie vermutlich auch allein nie wieder herausgekommen wäre. Die Senke wurde von schroffen Felsmassiven begrenzt. Die Kletterfähigkeiten eines Normalmenschen reichen nicht aus, um sie zu übersteigen. Jedenfalls nicht wenn dieser Normalmensch ein zwölfjähriges Mädchen ohne jegliches Training ist, dass sich ansonsten lieber von einem Antigrav-Aggregat über solche Hindernisse tragen lässt.
Aber das hatte sie sich in diesem Fall nicht getraut - bei all dem, was am Himmel zurzeit los war.
Und daran hatte sie gut getan.
Vor allem auch deshalb, weil sie mit den Energiezellen ihres Antigrav-Paks sehr sparsam sein musste. Für sie war dieses Antigrav-Pak nämlich lebenswichtig. Für mich hingegen war es nur Luxus.
Allerdings wussten wir nicht, wann und wo wir eventuell wieder an eine vollgeladene Energiezelle herankamen.
Naomi kauerte unter einem Felsvorsprung. Ein guter Ort, um sich zu verbergen, dachte ich. Jedenfalls der Beste weit und breit.
Sie stand auf, als sie uns bemerkte. Es dauerte eine Weile, bis wir sie erreicht hatten.
"Hi ", sagte ich. "Ich hoffe, du hattest eine weiche Landung."
"Nachdem ich schon einen ziemlich abrupten und unfreiwilligen Start hatte, war die Landung eine Kleinigkeit”, sagte sie.
Ich sah kaum mehr als ihre Augen. Denn mehr ließ die Neopren-Maske, die sie gegen die Kälte trug, nicht erkennen. Aber ich kannte sie gut genug, um daraus alles lesen zu können, was wesentlich war. Mehr als andere Leute vielleicht aus einem vollständigen Gesicht mit ausgeprägter Mimik hätten erkennen können. Ich sah ihre Trauer. Ich sah, dass sie geweint hatte und dass sich ihre Augen deshalb entzündet hatten, denn in einer Umgebung, die so kalt ist wie Maldena 22b, sollte man besser nicht weinen. Unter keinen Umständen. Und ich sah, dass sie vollkommen verzweifelt war. Verzweifelt wegen dem, was mit ihren Eltern und allen, die sie kannte, geschehen sein musste und ebenso wegen ihres eigenen ungewissen Schicksals.
Die Verzweiflung, die ich in diesen Augen sah, war der, die ich selbst fühlte so ähnlich, dass ich ihren Blick so schnell es ging auswich.
Denn ich hatte irgendwie das Gefühl, dass ich mich mit diesen Gefühlen jetzt besser nicht auseinandersetzen sollte. Es war besser, nicht weiter darüber nachzudenken. Nicht denken, sondern einfach handeln. Das war das Gebot der Stunde. Oder vielleicht auch das Gebot des immanenten Programms, das in mir wirkte. Spielte im Moment aber keine Rolle, woher das kam. Ob es nur Ausprägung eines individuellen Charakters oder einer genetisch fixierten Routine war, die einfach ablief, ohne dass man etwas dagegen tun konnte.
Ich war mir im übrigen inzwischen auch nicht mehr sicher, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, uns vor dem Qriid-Angriff zu retten. Zumindest, wenn man das Ganze unter dem Aspekt betrachtete, dass wir vielleicht nur einen schnellen Tod durch Traser-Strahlen gegen einen langsamen durch die Natur dieses Planeten eingetauscht hatten.
Und es gab zahllose unangenehme Todesarten für jemanden, der versuchte, auf Maldena 22b ohne besondere technische Unterstützung zu überleben.
“Hast du dir irgendwas gebrochen?”, fragte ich.
“Ich glaube nicht”, sagte Naomi. “Raggie...”
“Ja?”
Ich wusste, was sie fragen wollte.
Nein, eine Frage war es eigentlich nicht, was da nun kommen würde. Es war mehr ein Ausdruck dafür, dass sie sich noch weigerte, die Wahrheit zu akzeptieren. Sie war über dieses Stadium noch nicht hinaus. Ich konnte das verstehen.
“Es lebt niemand mehr in Far Galaxy City”, sagte ich. “Jedenfalls wäre das äußerst unwahrscheinlich. Und im Dorf der Zwerge sowieso nicht. Vermutlich sind auch einige andere Siedlungen getroffen worden, die es noch gibt. Die Qriid haben wirklich ganze Arbeit geleistet...”
“Habt ihr das gesehen?”, fragte sie.
“Nein.”
“Dann glaube ich es auch nicht.”
“Naomi...”
“Wir sollten nachsehen, ob...”
“Das hat keinen Sinn. Wir würden uns nur unnötig in Gefahr bringen.”
Sie schwieg. Eigentlich wusste sie, dass ich recht hatte. Denn selbst sie, mit ihren Normalmenschenaugen, die nicht ganz so leistungsfähig wie meine optimierten Sehorgane sind und nichtmal die Fernsicht der Maldena-Zwerge erreichten, hatte während ihres Antigrav-Pak-Fluges genug gesehen, um die Lage einschätzen zu können. Das war ein Inferno. Ein Höllenfeuer. Und wenn man nicht hinsah, änderte das einfach nichts an den Tatsachen. Leider. Ich hätte mir nichts so sehr gewünscht, als dass das alles nicht passiert wäre, aber so war es nunmal nicht. Die Würfel waren gefallen. Leider auf eine Weise, die keinem von uns gefallen konnte.
Ich bemerkte, dass Naomi zitterte.
Das fiel nicht sofort auf, weil sie wirklich gut eingepackt war. Aber jetzt sah ich es sehr deutlich - trotz der Neopren-Maske.
“Frierst du?”, fragte ich.
“Nicht so schlimm”, log sie.
“Du hast dich zu wenig bewegt.”
“Ich bin völlig erledigt, wie soll ich mich noch bewegen?” Sie machte eine Pause. “Vielleicht war es keine gute Idee, mich mit dem Anti-Grav-Pak fort zu katapultieren. Ich bin nunmal an das Wetter auf diesem Planeten nicht so richtig gewöhnt.”
“Dann wärst du tot”, sagte ich.
“Ja, ich weiß”, sagte sie. “Aber das bin ich so vielleicht auch bald. Nur, dass es länger dauert.”
Wir hatten kaum unser Leben gerettet und uns wiedergefunden, da fingen die Probleme schon an.
14
Irgendwo hinter den Anhöhen sahen wir weitere grüne Blitze herabschießen. Sie kamen aus kleinen Flugobjekten, die zu weit entfernt waren, um sie aus der Entfernung identifizieren zu können.
“Ich glaube, die nehmen sich jetzt jede einzelne Station vor”, sagte ich. “Und jede Anlage der Companies, jeden Sender...”
“...und jede Adaptionisten-Siedlung”, sagte Jorian Kelly.
“Aber wieso?”, fragte ich. “Das ist doch vollkommen sinnlos?”
“Für die muss es irgendeinen Sinn machen“, sagte Jorian Kelly.
“Haben die keine Fusionsreaktoren? Brauchen die kein Deuterium? Kein Schweres Wasser? Wieso haben sie diese Welt überhaupt angegriffen, wenn sie hier nichts suchen? Und wieso zerstören sie dann alle Anlagen?”, fragte ich kopfschüttelnd.
Naomi war nicht in der Lage, dazu etwas zu sagen, obwohl ich glaube, dass sie sicherlich eine Meinung dazu gehabt hätte. Aber es ging ihr einfach zu schlecht. Und wir zerbrachen uns die Köpfe dieser Aliens über die Frage, was sie wohl mit dieser Welt anfangen wollten.
Das erschien mir im Augenblick grotesk. Und falsch. Und doch hatte auch das wohl einen Sinn. Es fiel in die Rubrik ‘irgend etwas tun’, damit man nicht den Verstand verlor. Denn es mochte ja sein, dass es Naomi auf Grund ihrer schwachen Normalmenschen-Konstitution im Moment am schlechtesten von uns ging. Aber wenn man die Lage nüchtern betrachtete, dann hatten wir alle keine rosigen Zeiten vor uns. Überlebenswahrscheinlichkeit Null Prozent - auf diesen finsteren Nenner konnte man es wohl vereinfacht gesagt bringen.
Zumindest dann, wenn nicht noch irgend etwas vollkommen Unvorhergesehenes geschah. Zum Beispiel eine Landung von Space Marines des Space Army Corps der Humanen Welten. Aber das setzte voraus, dass der Humane Rat unseretwegen eine Flotte ins Maldena-System entsandte, die groß genug war, um die Qriid-Invasion zurückzuschlagen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange es dauern konnte, bis dafür genug Schiffe zusammengezogen waren. Aber es konnte Wochen dauern, bis sie eintrafen. Vorausgesetzt natürlich, Maldena war überhaupt wichtig genug, um ihre Entsendung zu rechtfertigen. Schließlich wurde auch anderswo gekämpft und die Kapazitäten des Space Army Corps waren ja keineswegs unbegrenzt. Ganz im Gegenteil. Eine Raumarmee im Aufbau war das. Damals war mir das noch nicht so wirklich klar. Der Krieg war bis dahin ja weit weg von uns gewesen und schien mit dem Leben auf dieser Supererde nicht so viel zu tun haben. Und nach allem was, ich von den Zwergen über das Space Army Corps gehört hatte, war das eher der übermächtige Waffenarm der Humanen Welten. Ein Unterdrückungsinstrument, vor dem man sich fürchten sollte.
Aber dass die Perspektive der Zwerge da vielleicht etwas tendenziös war, war mir schon damals klar.
Jetzt wünschte sich vielleicht auch mancher Zwerg, dass das Space Army Corps der Humanen Welten doch bitteschön etwas mächtiger sein möge, als es der Realität entsprach.
So paradox ist das manchmal.
Aber im Moment, das schien klar zu sein, waren wir auf uns allein angewiesen. Und unsere Zeit lief ab.
Ich hatte trotzdem nicht vor, einfach aufzugeben.
Wenn wir auch keine Chance hatten, so war es doch vielleicht das Beste, die nicht vorhandene Chance zu nutzen.
Sie verstehen sicher, was ich meine, oder?
15
Ich schaffte es, etwas an den Energiezellen und deren Einstellung zu verändern, die in Naomis Kleidung eingearbeitet waren. Sie trug Thermokleidung, die sie eigentlich warm halten sollte. Aber anscheinend hielt sie sich schon zu lange im Freien auf. Die körpereigene Wärme sollte durch die in die Kleidung eingewebten Thermoelemente eigentlich zum Großteil bewahrt werden. Ein vollständiges Recyclen der Energie geht natürlich nicht. Das Verbieten die thermodynamischen Gesetze. Aber man kann den Verlust minimieren.
Das geht allerdings nur, wenn der Körper auch noch Wärme produziert und an dieser Stelle beißt sich dann die Katze in den Schwanz, wie man, glaube ich, auf der Erde sagt. (Ich glaube, nur da ergibt dieser Satz auch irgendeinen Sinn, weil es abgesehen vom Mutterplaneten aller Menschen ziemlich wenige Orte im Universum gibt, an dem es Katzen gibt. Jedenfalls solche, die sich so eigenartig verhalten.)
"Wird es wärmer?", fragte ich.
"Wo hast du das gelernt?", fragte Naomi.
"Sowas lernt man, wenn man nicht in einem Habitat unter Erdnorm aufwächst, sondern in einer etwas weniger perfekten Umgebung, in der nicht immer alles so funktioniert, wie es soll und man sich dann zu helfen wissen muss."
"Angeber."
"Wie? "
"Trotzdem danke."
"Na, dann..."
"Es wird etwas besser. Also dies ist ja nun wirklich kein warmer Planet, aber so habe ich wirklich noch nie gefroren."
"Auf die Dauer ist das keine Lösung", sagte ich. Aber das wäre eigentlich überflüssig gewesen, denn das wussten wir beide. Aber was gab es schon für dauerhafte Lösungen unter den Umständen, die wir gerade erlebten? Ich hatte Unsinn geredet und war in dem Moment nur einigermaßen dankbar dafür, dass das offenbar niemandem aufgefallen war. Glück muss man eben haben. Selbst im Unglück.
"Die Energieversorgung wird irgendwann den Geist aufgeben, nicht wahr?", meinte Naomi.
“Ja”, bestätigte ich.
"Und das wird früher sein, als wenn du die ursprünglichen Einstellungen belassen hättest?"
“Das ist nicht zu vermeiden. Aber sonst kühlst du zu sehr aus.”
“Ein Feuer machen ist wohl nicht drin, oder?”
“Wenn du hier irgendwo etwas siehst, was sich verbrennen lässt - wieso nicht? Davon abgesehen würden wir damit aber auf uns aufmerksam machen.”
“Die werden uns sowieso entdecken”, meinte Jorian Kelly. “Früher oder später.”
“Dann besser später”, sagte Naomi.
“Wenn es dunkel wird...”, begann Jorian Kelly, aber ich unterbrach ihn.
“Wenn es dunkel wird, sind wir keineswegs sicher, denn ich gehe jede Wette ein, dass auch die Qriid so etwas wie Infrarotkameras besitzen.”
“Und was schlägst du vor?” Der Zwerg verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust und seine sehr buschigen Augenbrauen waren jetzt steil nach oben gerichtet. Ich fragte mich, was diese Augenbrauen wohl mit dem genetischen Anpassungsprogramm der Adaptionisten zu tun hatten. Oder ob sie überhaupt etwas damit zu tun hatten. Vielleicht war das auch einfach nur ein unbeabsichtigter Nebeneffekt. Jedenfalls gab es auf Maldena 22b nun wirklich nicht so viel Staub, dass man sich unbedingt dermaßen buschige Augenbrauen wachsen lassen musste. Aber vielleicht hatte ich auch einfach nur noch nicht kapiert, wozu die gut waren und weshalb jeder Maldena-Zwerg nur froh sein konnte, sie zu haben.
“Keine Ahnung.”
“Ich dachte, das gehört zu einem genetischen Überlebensprogramm: Immer eine Idee haben, immer etwas tun, immer überleben...”
“Hörmal, ich bin zwölf und kein diensterfahrener Raumsoldat, der weiß, wie er mit einer Backe voll Atemluft im freien Weltraum überleben kann."
"Ich dachte nur, du hättest eine Idee, wie wir vielleicht doch noch am leben bleiben", sagte Jorian Kelly.
"Auf jeden Fall werden wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir etwas zu essen, etwas zu trinken und warme Sachen bekommen", sagte ich.
Das waren die wesentlichen Dinge, um die es immer ging. Schon bei den Homo-erectus-Horden, die vor zwei Millionen Jahren Afrika verließen, um zu sehen, ob es auch anderswo noch ein nettes Plätzchen gibt, an dem man gut leben kann.
Ich persönlich hätte auch noch eine ganze Weile ohne Nahrung und Wasser auskommen können. Auch das gehört nämlich zu meiner Gen-Optimierung. Mein Körper schaltet dann in eine Art Sparmodus, der Stoffwechsel wird auf ein Minimum reduziert. Allerdings hat das den Nachteil, dass auch weniger Energie zur Verfügung steht. Im Extremfall falle ich in eine Art Winterschlaf. Das lässt sich sogar willentlich beeinflussen, obwohl ich nie besonders gut darin war und das auch nie wirklich geübt hatte. Wozu auch? Es bestand ja nie zuvor die Notwendigkeit dafür. Aber ich weiß, dass meine Mutter ziemlich gut darin war. Zumindest wurde das erzählt. Sie hat sich ihren Stoffwechsel als Kind auf das Niveau eines katatonischen Scheintodes herabgefahren, nur um sich der Zumutung zu entziehen, bestimmte Ausbildungsprogramme durchlaufen zu müssen. Manchmal auch einfach nur, um ihren Willen durchzusetzen.
Die Erinnerungen stiegen in mir auf.
In diesem Moment hätte ich mir sehr gewünscht, dass es in meinem Leben überhaupt noch jemanden gegeben hätte, gegen den ich meinen Willen hätte durchsetzen können, ob nun durch einen todesähnlichen Winterschlaf, nerviges Teenager-Gequatsche oder einfach nur durch Geschrei, das wäre mir egal gewesen.
Ich schluckte und unterdrückte die Tränen.
Und während wir noch immer unter dem Felsvorsprung kauerten, sahen wir ein gewaltiges Luftfahrzeug durch die Atmosphäre gleiten. Einen Transportgleiter, so nahm ich an, der vermutlich von einem ihrer größeren Raumschiffe ausgeschleust worden war.
Soldaten in schweren, raumtauglichen und vermutlich servoverstärkten Kampfanzügen sprangen ab. Die Antigrav-Paks auf ihrem Rücken verhinderten, dass sie wie Steine vom Himmel fielen. Sie würden sanft landen, das stand außer Frage.
Es handelte sich offenbar um Truppen, die mit den Space Marines der Humanen Welten vergleichbar waren. Ich zählte fast einhundert Absprünge. Man konnte an den Helmen eine leichte Ausbuchtung sehen, die wohl Platz genug für die Schnäbel der Qriid bieten sollte. Und wenn man davon absah, dass ihre Knie genau andersherum einknicken ließen als es bei Menschen der Fall war und sie natürlich mit Traser-Waffen anstatt mit Gauss-Gewehren und Nadel-Strahlern ausgerüstet waren, dann gab es kaum Unterschiede. De Ähnlichkeiten waren erschreckend.
So viel unterschied uns vielleicht gar nicht von ihnen.
Dieser Gedanke war jetzt einfach da. Und obwohl er mir nicht gefiel und ich ihn eigentlich auch am liebsten aus meinem Kopf verbannt hätte, erwies er sich doch als ziemlich hartnäckig.
“Hast du mal darüber nachgedacht, ob es nicht vielleicht das Beste wäre, sich einfach zu ergeben?”, fragte Joey.
Sie sprach Jorian Kelly an, nicht mich.
Aber ich antwortete, weil es mir einfach auf der Zunge lag und Jorian Kelly einfach etwas zu lange gebraucht hatte, um seine Gedanken zu ordnen.
“Kommt nicht in Frage”, sagte ich. “Du kannst ihnen ja gerne entgegengehen. Die haben schon so viele umgebracht, da wird ihnen ein dickes, ungläubiges Zwergenmädchen auch nichts mehr ausmachen! Im Gegenteil.”
“Wir sollten das als letzte Option sehen”, meinte Jorian Kelly. “Aber wirklich nur als letzte.”
“Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt eine ist”, sagte Naomi.
Und ich hatte das Gefühl, dass sie mit dieser Einschätzung richtig lag.
Irgendwie schienen sämtliche Bewohner von Maldena 22b der göttlichen Ordnung der Qriid schlicht und ergreifend im Weg zu sein. Es war gar nicht vorgesehen, dass wir ein Teil davon werden könnten. In so fern war es folgerichtig, uns zu vernichten - und nicht etwa zu einem Glauben zu bekehren, den man offensichtlich nur teilen konnte, wenn man einen Schnabel besaß.
Und das war leider bei keinem von uns Vieren der Fall. Ich fragte mich, ob die Adaptionisten es wohl zurechtbekommen hätten, sich innerhalb von ein, zwei, drei Generationen auch optisch an das Leben unter Qriid anzupassen. Möglicherweise ja. Und vielleicht war das irgendwo anders sogar schon geschehen. Schließlich hatten die Adaptionisten bereits vor der Erfindung des Sandström-Antriebs die Weiten des Alls erforscht, um sich an allen möglichen und unmöglichen Orten anzusiedeln. Es war nicht ausgeschlossen, dass vereinzelte Gruppen unter ihnen sogar schon Kontakt zu den Qriid gehabt hatten, lange bevor sich Menschen und diese vogelartigen Kriegerspezies überhaupt offiziell begegnet waren.
16
Der riesige Transporter klappte Fortsätze und Greifarme aus. Teleskopartige Verlängerungen schoben sich hervor.
“Das ist die ganze Industrieanlage”, stellte ich fest.
“Eine Anlage zur Gewinnung von Deuterium”, meinte Naomi. “Dachte ich es mir doch, die Qriid sind auf dieselben Dinge scharf, deretwegen auch die Menschen hier sind.”
“Nur solche Menschen wie du und Raggie”, sagte Joey daraufhin. “Für uns Zwerge gilt das nicht.”
“Ja, ja, das alte Zwergen-Gelaber”, sagte Naomi. “Ganz nach dem Motto: Wir waren schon immer hier und haben die Bodenschätze immer im Boden und die Wasserschätze immer im Ozean gelassen.”
Die gewaltige Flugmaschine nahm nun eine Kurskorrektur vor.
Wenn dieser Gleiter tatsächlich eine Anlage zur Gewinnung von Deuterium beherbergte, dann konnte das nur bedeuten, dass sie zum Meer fliegen musste.
Aber das war ja nicht weit entfernt.
Mir fielen an der Unterseite des Riesengleiters mehrere Blöcke auf und ich fragte mich, ob das wohl die Antigrav-Aggregate der Fremden waren, auf deren Kraftfeldern das Gefährt durch die dichte Atmosphäre von Maldena 22b glitt.
Es gab auch Schubdüsen. Und eine davon wurde jetzt gezündet, um den Kurs noch etwas schneller und nachhaltiger zu verändern. Ein zischender Laut, so schneidend, dass es wehtat, drang nun an unsere Ohren. Und dann schoss plötzlich eine Feuerzunge hervor. Sie leckte an der Außenhülle des Gleiters entlang und reichte schätzungsweise eine halbe Meile weit. Mindestens zwei der abgesprungenen Qriid-Marines, die noch mit Hilfe ihrer Antigrav-Paks zu Boden schwebten, wurden davon erfasst. Und dann explodierte der ganze Gleiter. Er verwandelte sich in einen sich ausdehnenden Ballon aus purer Glut. Fast so, als wäre plötzlich eine zweite Sonne am Himmel von Maldena 22b erschienen.
Glühende Trümmerteile flogen durch die Luft.
Wie Sternschnuppen.
Wir gingen in Deckung, um nichts von alledem abzubekommen. Die Hitzewelle war deutlich zu spüren. Und das will auf einem Planeten mit so niedrigen Durchschnittstemperaturen schon etwas heißen!
Diese Idioten!, dachte ich, denn die Ursache für die Explosion lag auf der Hand. Niemand war verrückt genug, bei einem Landeanflug auf Maldena 22b Schubdüsen zu benutzen. Da konnte man auch gleich einen Raketenantrieb verwenden oder sich selbst anzünden.
Der Grund dafür ist der hohe Luftdruck in Verbindung mit einem Sauerstoffanteil, der weit über der sogenannten Erdnorm liegt. Dieser hohe Sauerstoffanteil erleichtert es natürlich, dass Erdmenschen hier überhaupt atmen können. Und auch die Anpassung der Adaptionisten-Zwerge war sicher leichter dadurch. Muskeln lassen sich nunmal besser mit Sauerstoff versorgen, wenn mehr davon da ist. Und unter einer so hohen Supererden-Schwerkraft kommt man ohne eine gut ausgebaute Muskulatur nunmal nicht aus. Die Alternative ist nur ein Antigrav-Pak.
Aber der hohe Sauerstoffanteil hat auch seine Schattenseite. Alles entzündet sich schneller und verbrennt leichter. Sauerstoff fördert die Verbrennung, so heißt es. Und genau das war soeben mit dem qriidischen Gleiter geschehen.
Wer Maldena 22b anflog, der musste auf Schub und Steuerung verzichten und setzte am besten ausschließlich auf eine Manövrierung anhand der Regler für die Antigrav-Aggregate. Piloten mögen sowas nicht. Aber, wer auf Maldena landen will, der hält sich besser dran, sonst geht er mitsamt seinem Gefährt genauso schnell in Flammen auf, wie das soeben mit dem Gleiter der Qriid geschehen war.
So schrecklich es war, was mit den Qriid an Bord des Gleiters geschehen war, so hielt sich mein Mitgefühl in diesem Fall in engen Grenzen.
Ehrlich gesagt, empfand ich eher so etwas wie Genugtuung. Zumindest für einen kurzen Moment. Sie hatten es verdient, in dieser Flammenhölle unterzugehen. Denn schließlich hatten sie etwas ganz ähnliches unseren Eltern und allen anderen Leuten von Far Galaxy City angetan.
17
“Wir sollten versuchen, die Höhlen zu erreichen”, meinte Jorian Kelly.
“Welche Höhlen?”, fragte ich.
“Hast du noch nie von den Höhlen gehört?”
“Nein. Meinst du die Platin und Goldminen? Die liegen so weit entfernt, dass wir einen Monat brauchen, um dorthin zu gelangen.”
Die Arbeiter der Company erreichten diese Minen mit Hilfe eines Gleiters innerhalb einer Dreiviertelstunde. Aber für uns sah die Lage natürlich ganz anders aus. Ich fragte: “Meinst du, dass bei den Minen jemand überlebt hat?”
“Wäre nicht ausgeschlossen”, sagte Jorian Kelly. “Aber ehrlich gesagt, meinte ich nicht die Minen, sondern richtige Höhlen. Das ist unter euren Leuten nicht so bekannt, weil ihr mit den Höhlen nichts anfangen könnt. Es gibt da kein Schweres Wasser, kein Deuterium. Aber wahrscheinlich war bislang auch noch niemand dort, um nachzusehen, ob es da nicht noch irgend etwas anderes geben könnte, was man plündern kann.”
“Es soll hier tatsächlich Höhlen geben”, meinte Naomi. “Jedenfalls nach meinem planetaren Holo-Atlas, den ich zu Hause hatte.” Sie schwieg einige Augenblicke. Ihr Blick traf meinen. Sie war wieder an das erinnert worden, was sie verloren hatte. So würde es uns von nun an wohl noch lange gehen. Man erwähnte beiläufig irgendeine Kleinigkeit und war gleich mitten im Sumpf der Traurigkeit. Dagegen schien nicht einmal eine genetische Optimierung so richtig gut zu helfen. Vielleicht war das einfach unabänderlich menschlich. Etwas, von dem man sagen konnte: Da musst du durch. Aber sowas hätte ich in dem Augenblick nicht hören wollen und Naomi mit Sicherheit auch nicht. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme belegt. “Meine Eltern dachten immer, dass das mein Interesse an der Geologie dieses Planeten wecken könnte”, sagte sie. “Naja, ich habe ein bisschen mit dem Programm herumgespielt... Es sind sehr tief Höhlen. Und es gibt Wasser dort.”
“Ja, und eine konstante Temperatur von plus 12 Grad Celsius”, ergänzte Jorian Kelly.
“Hast du auch einen Holo-Atlas?”, fragte ich.
“Nein.”
“Ich dachte.”
“Sowas ist was für fantasielose Außenweltler, die sich das nicht vorstellen können.”
“Ach so.”
“Die Höhlen waren früher wichtig für unsere Leute.”
“Sag nicht, dass ihr dort gelebt habt.”
“Zeitweilig schon.”
“Ich dachte, deine Vorfahren wären adaptionistische Weltraumpioniere gewesen - und keine Höhlenmenschen.”
“Unsere Vorfahren haben unter sehr schwierigen Bedingungen ihr Leben hier auf Maldena 22b begonnen. Sie hatten nichts, was mit der heutigen Technik vergleichbar wäre. Und es kam immer wieder zu katastrophalen Zwischenfällen.”
“Was für Zwischenfälle?”
“Zum Beispiel ein koronarer Massenauswurf unseres Zentralgestirns vor fast 80 Jahren.”
“Ich dachte, die dichte Atmosphäre und das Magnetfeld von Maldena schützt uns vor so etwas.”
“Nicht vor einem Sonnensturm dieser Stärke. Dazu ist dieser Planet zu nahe an einer Sonne. Solche Ausbrüche kommen unregelmäßig vor. Wenn es soweit ist, dann braucht man einen sehr guten Strahlenschutz. Den hatten unsere Vorfahren nicht. Darum flüchteten sie in die Höhlen - für ein halbes Jahr.”
“Ein halbes Jahr?”
Jorian Kelly nickte. “So lange dauerte diese Flare-Phase immer wiederkehrender Ausbrüche. Unsere Sonne hat während dieser Zeit ein Drittel an Helligkeit zugenommen und man konnte Polarlichter am Äquator sehen.”
Ich war perplex.
“Davon wusste ich gar nichts.”
“Ihr wisst vieles über diese Welt nicht, obwohl ihr hier lebt.”
“Dann wird es irgendwann wieder so einen Ausbruch geben.”
“Irgendwann—ja.”
Ich fragte mich, ob die Companies diesen Fall überhaupt in ihre Notfallplanungen einbezogen hatten. Eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass den Astronomen von Far Galaxy und den anderen Firmen, die Maldena 22b erschlossen hatten, diese naturwissenschaftlichen Fakten unbekannt waren. Oder kümmerten sich die Konzernvertreter einfach nicht darum? War es ihnen gleichgültig, dass diese Zeitbombe tickte? Ging es ihnen nur um die Maximierung ihrer Gewinne und nahmen sie dafür in Kauf, dass vielleicht die ganze Kolonie von einem solchen koronaren Masseausbruch getroffen wurde?
All das konnte man jetzt wohl kaum noch feststellen. Denn von der Kolonie war nichts geblieben. Far Galaxy City gab es auch nicht mehr. Und wenn die Qriid mit derselben Gründlichkeit auf dem Rest des Planeten gewütet hatten, dann waren selbst die Wetterstationen und die Stationen an den Minen vernichtet worden. Vielleicht hatten sich irgendwo ein paar Zwerge in die Höhlen retten können - so wie damals, vor achtzig Jahren, als die Strahlung des Zentralgestirns die ursprünglichen Siedler dieser Welt bedrohte.
Ich hatte von weit abgelegenen Zwergen-Siedlungen gehört, deren Bewohner vielleicht und mit viel Glück Zeit genug gehabt hatten, sich zu retten. Anders als die Bevölkerung von Far Galaxy City und dem Dorf, aus dem Jorian Kelly und Joey stammten.
Aber wir rechneten besser nicht damit. Und wir taten wohl auch gut daran, uns nicht auf Hilfe zu verlassen, die vielleicht von diesen wenigen Überlebenden kommen konnte.
Das war mindestens so unwahrscheinlich wie ein schnelles Eingreifen des Space Army Corps.
Alles in allem, war unsere Lage wirklich alles andere als rosig.
“Vielleicht ist es keine schlechte Idee, so eine Höhle aufzusuchen”, meinte ich.
“Gut. Dann sollten wir uns auf den Weg machen”, sagte Jorian Kelly.
“Und du kennst den Weg?”
“Ich denke, dass ich einen der Höhleneingänge finden kann. Aber es ist ein kleiner Marsch dort hin.”
Wenn ein Maldena-Zwerg von einem kleinen Marsch sprach, dann war es wirklich ein ziemlich anstrengendes Wegstück. Und wahrscheinlich weiter, als ich mir im Moment vorstellen wollte. Und davon abgesehen waren auf diesem zerklüfteten Kontinent schon ein paar Meilen unter Umständen eine sehr anstrengende, langwierige Reise - es sei denn, man konnte mit einem Antigrav-Aggregat herumfliegen und die Klippen, die einem lästig waren, einfach überfliegen. Aber genau das war im Moment ja nicht möglich.
“Hauptsache wir sind nicht alle verhungert und verdurstet, bevor wir diese Höhle erreichen”, sagte Naomi.
Und natürlich sprach sie dabei vor allem von dem, was ihr bevorstand. Denn sie konnte Hunger und Durst am schlechtesten aushalten und würde als erste dadurch außer Gefecht gesetzt werden.
Das wusste sie natürlich.
“Keine Sorge, so weit ist es nun auch wieder nicht”, meinte Jorian Kelly. “Ich war zuletzt dort, als ich noch sehr klein war. Zusammen mit meinem Großvater.”
“Hatte der den koronaren Masseausbruch vor 80 Jahren noch erlebt?”, fragte Naomi.
Jorian Kelly nickte. “Ja, hatte er. Und er fand, ich sollte wissen, wohin man flüchten könnte, wenn es mal schlimm kommen sollte.”
“Dabei dachte er wohl kaum an die Qriid, oder?”, meinte Naomi.
“An die Qriid hat damals niemand gedacht.”
“Nein, das stimmt.”
“Unser Dorf lag früher woanders”, sagte jetzt Joey. “Es wurde verlegt - so zwanzig oder fünfundzwanzig Erdjahre vor unserer Geburt. Und seitdem dürfte der Weg zu den Höhlen etwas weiter sein.”
“Wieso hat man es verlegt?”, fragte Naomi.
“Das hatte mit euch zu tun.”
“Mit uns?”
“Natürlich nicht mit euch persönlich, sondern mit euren Leuten. Der Far Galaxy Konzern hat es angeordnet. Ich kann dir die Gründe dafür nicht sagen.”
“Die Grund dafür war die Nähe zu Far Galaxy City”, sagte Jorian Kelly. “Man wollte in der Nähe der Stadt sein, weil sich unsere Leute daran gewöhnt hatten, dort zu arbeiten oder sich mit Dingen zu versorgen, die es bei uns nicht gab.”
In der Nähe der Stadt.
Diese Worte aus Jorian Kellys Mund echoten noch in meinem Kopf. Und wenn es nicht so traurig gewesen wäre, hätte ich darüber schmunzeln können. Die Stadt. Ja, so hatte man Far Galaxy City oft genannt. Und damals als das Zwergendorf verlegt worden war, war die Stadt ganz sicher nicht größer gewesen, als in der Zeit, die ich erlebt hatte. Ganz sicher nicht.
Ein Camp, aus dem mit der Zeit ein befestigtes Camp wurde und dessen Bewohner sich als Stadt bezeichneten. So konnte man es zusammenfassen.
Und jetzt?
Nichts. Nur eine Wüste des puren Grauens und die Asche von Leichen, verbrannt in einem grausamen Strahlenfeuer.
18
Wir machten uns auf den Weg. Das bedeutete zunächst einmal, dass wir ziemlich mühselig in den Felsen herumkletterten und Naomi ihr Antigrav-Pak nur dann zum Schweben benutzte, wenn es unerlässlich war und sie diese zusätzliche Hilfe einfach brauchte. Man musste stets abwägen, welche Energie man sparen wollte: Die ihres schwachen Menschenkörpers, der für diese Schwerkraft einfach nicht gemacht war oder die der Energiezellen des Antigrav-Aggregats auf ihrem Rücken, das sie aber dringend brauchte, um überhaupt überleben zu können.
Ich versuchte ebenfalls mein Antigrav-Pack so wenig wie möglich zu benutzen. Aber es war trotzdem ein gutes Gefühl, das Ding bei sich zu haben. Zum Beispiel für den Fall eines Absturzes.
Ich bildete mir zwar ein, dass mir nichts passieren könnte und wenn ich heute daran denke, dann kann ich über meine Naivität in dieser Hinsicht nur den Kopf schütteln. Ich fühlte mich wie ein Maldena-Zwerg. Genauso sicher, genauso angepasst, genauso gut im Klettern und genauso stark. Aber all das war ich nicht. Da gab es einfach einen Unterschied. Einen Unterschied, den ich mich damals einfach weigerte zu sehen. Aber er war da. Ich war zwar auf Maldena 22b aufgewachsen und groß geworden, aber Jorian Kelly und Joey waren an diese Welt angepasst. Und das war nochmal eine ganz andere Nummer.
Manchmal sahen wir zum Horizont, wenn wir einen Platz mit guter Aussicht erreichten. Zum Beispiel das Hochplateau, von dem aus man bis zum Ozean sehen konnte.
Einen Ozean, dessen Gezeiten so verheerend waren, dass es unmöglich war, auf den anderen Kontinenten des Planeten eine Siedlung zu errichten. Selbst die Adaptionisten waren daran gescheitert. Dann hätten sie wohl Fische werden müssen anstatt Zwerge.
Vom Gen-Pool her wäre das ja durchaus drin gewesen.
Jeder Mensch hat schließlich während der Schwangerschaft für eine Weile Kiemen und letztlich sind Fische auch nur Vorfahren von uns. Wir, so könnte man sagen, sind gen-optimierte Fische. Oder Fisch-Adaptionisten, die sich an das Leben auf festem Boden optimiert haben. Das hätten die Adaptionisten-Siedler von Maldena 22b ja schließlich auch wieder rückgängig machen können.
Darüber, wieso sie es nicht getan hatten, gibt es verschiedene Theorien.
Die eine ist, dass die gentechnischen Fähigkeiten der ersten Siedler eben doch relativ begrenzt waren. Mit den Möglichkeiten, die es heute auf den Welten der Genetiker-Föderation gibt, hätten sie sowieso niemals mithalten können. Das meine ich auch nicht.
Aber selbst die durch ethisch Gängelei eingeschränkte Gentechnologie auf der Erde oder den Wega-Welten würden die Möglichkeiten der Adaptionisten von damals in den Schatten stellen.
Vielleicht waren die einfach nur etwas skrupelloser darin, das, was ihnen möglich war, auch einfach durchzuführen und auszuprobieren. Darauf läuft es wohl hinaus, denke ich. Und das wiederum spricht dafür, dass sie es einfach nicht konnten - Menschen in Fische zu verwandeln.
Es gibt auf Maldena allerdings auch eine Legende.
Eine Legende, die sich sehr hartnäckig unter den Zwergen hält und die man manchmal sogar von den Bewohnern von Far Galaxy City hören konnte.
Sie besagt, dass die frühen Siedler es doch geschafft hätten und dass es jetzt im südlichen Teil des Supererdenozeans ein paar Exemplare einer sehr seltsamen, fischähnlichen Spezies gäbe, die genetisch immer noch als menschlich durchgehen würde. Die Erbinformation wäre der eines ganz gewöhnlichen Erdmenschen um den Faktor tausend ähnlicher als ein Gorilla oder Schimpanse, die man doch sonst immer als unsere nächsten Verwandten ansieht. (Seit beide Arten auf New Hope II ausgewildert wurden, sieht man sie wohl eher als eine Landplage an, glaube ich. Aber dazu gibt es unterschiedliche Ansichten).
Weit draußen auf dem Meer sah ich immer wieder die Gleiter der Qriid. Sie flogen sehr tief. Ihre Antigrav-Aggregate drückten teilweise die Wasseroberfläche ein, so dass sich dort muldenartige Strukturen auf dem Wasser bildeten.
“Sie scheinen wirklich keine Zeit verlieren zu wollen”, meinte Naomi.
“Was meinst du jetzt genau?”, fragte ich, da ich nicht sicher war, sie richtig verstanden zu haben.
“Na, mit der industriellen Ausbeutung dieses Planeten! Sieh dir das doch mal mit Verstand an. Sie sammeln Deuterium ein. Die Companies und vor allem Far Galaxy haben auch sehr leistungsstarke Gleiter, mit denen man ganz bequem die verschiedensten Dinge von der Oberfläche abernten kann.”
Die Qriid waren keine Idioten ohne Technik. Sie wussten genau, was sie wollten und wie sie es bekommen konnten. Unglücklicherweise war ihnen dabei eine ungläubige planetare Bevölkerung anscheinend nur im Weg. Und so war es auch folgerichtig, dass sie uns einfach jagten und auszurotten versuchten. So, wie wir es vielleicht hin und wieder mit Schädlingen zu tun pflegten, die aus dem Nichts aufgetaucht waren.
19
Als wir auf einer Felsenkanzel mit guter Aussicht eine Pause einlegten, sagte Joey: “Hört ihr das eigentlich auch alle?”
“Was meinst du?”, fragte Naomi.
“Dich meinte ich nicht.”
“Wieso nicht?”
“Deine Ohren sind nicht zu gebrauchen. Du kannst das nicht hören.” Sie deutete auf mich. “Du vielleicht schon.”
Zu meiner genetischen Optimierung gehörten verbesserte Sinne, so viel war klar und soviel wusste auch Joey darüber. Ich hatte mich den Zwergen gegenüber zu diesem Thema immer sehr bedeckt gehalten. Schließlich war ich keineswegs darauf aus, den Übermenschen hervorkehren zu wollen. Und insbesondere die Maldena-Zwerge können da sehr empfindlich werden. Dabei spielt es dann auch keine Rolle, dass sie selbst ja gewissermaßen auch ein Produkt eines genetischen Optimierungsprogramms sind, auch wenn das bei ihnen mit einem anderen Ziel durchgeführt wurde als bei mir. Aber lassen wir das. Das ist ein unerschöpfliches Thema. Ein weites Asteroidenfeld sozusagen. Wenn ich damit anfange, dann komme ich nicht mehr zu den wesentlichen Dingen, die ich erzählen will und die es verdient haben, dass sich jemand an sie erinnert. Auch dann, wenn ich oder irgend jemand anderes, der dies miterlebt hat, schon längst nicht mehr am Leben bin. Ewiges Leben gehört leider nicht zu den Verbesserungen, die man bei mir durchgeführt hat. Und ich schätze, es wird noch ein bisschen dauern, bis man da so etwas wie einen Zustand der Unsterblichkeit erreichen könnte.
Dann, so kann man sagen, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Menschen und dem, was sie sich früher unter ihren Göttern vorstellten. Allmächtig und unsterblich, das ist schon fast ein bisschen viel auf einmal. Nett wäre es aber trotzdem, finde ich.
Mir waren die Geräusche auch schon aufgefallen, die aus der Richtung des Ozeans kamen.
Wie soll ich mich da ausdrücken? Manche davon waren in einem sehr exotischen Frequenzbereich, der nur zum Teil von meinem Gehör noch abgedeckt wurde.
Mit den Bewohnern des Ozeans von Maldena 22b hatte ich mich nie sehr beschäftigt - außer, dass ich die eine oder andere lebende Spezies, die in dem wahrscheinlich mehr als 15000 Kilometer tiefen Ozean von Maldena schonmal auf dem Teller und gut durchgebraten genossen hatte. Aus manchen wurden auch Nahrungskonzentrate oder Rohmasse für Syntho-Steaks oder dergleichen gemacht.
Aber mir war klar, dass es da draußen auf dem Ozean etwas gab, was man zusammenfassend als fliegende Fische bezeichnen könnte. Auf der Erde und vielen anderen erdähnlichen Planeten ist das Leben aus dem Meer irgendwann ans Land gekrochen, um es als Lebensraum zu erobern, um sich danach in die Lüfte zu erheben. Auf Maldena ist der evolutionäre Zwischenschritt des Lebens an Land irgendwie ausgefallen. Es gibt keine hier beheimatete Spezies, die an Land lebt. Dafür aber um so mehr, die sich gleich aus dem Wasser in die Lüfte erhoben haben, sei es, um ihren Jägern auszuweichen oder um selbst besser jagen zu können.
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass das Fliegen auf Welten mit hoher Gravitation schwieriger sei als auf solchen mit niedriger Schwerkraft.
Das Gegenteil ist häufig der Fall.
Hohe Gravitation bedeutet im allgemeinen eine dichtere Atmosphäre mit einem hohen atmosphärischen Druck. Und ein hoher Luftdruck erleichterte das Gleiten mit Hilfe von Flügeln. Der Unterschied zwischen schwimmen und fliegen ist dann gar nicht so groß. Man braucht zwar auf Grund der hohen Schwerkraft etwas mehr Kraft, um sich in die Luft zu erheben, als unter Erdnorm - aber viel weniger Kraft, um sich in der Luft zu halten. Und darauf kommt es an. Abertausende von Kilometern lassen sich auf diese Weise mit sehr geringem Energieaufwand bewältigen.
Unzählige Spezies hatten auf Maldena die Lüfte erobert. Aber nur die Lüfte über den Ozeanen. Keinem dieser Geschöpfe wäre es eingefallen, unter normalen Umständen über einen der Kontinente zu fliegen, denn das waren für sie nur nahrungsmittelfreie Wüsten.
Ein Flug über Land war daher nicht empfehlenswert für sie.
Aber jetzt hatte sich das geändert.
Denn jetzt waren sie auf der Flucht, und da zählten andere Gesetze als sonst.
"Die Landegleiter der Qriid müssen die fliegenden Fische aufgescheucht haben", meinte Joey.
"Ja, und jetzt fliegen sie genau auf uns zu", stellte Jorian Kelly fest.
"Wir sollten sehen, dass wir ein paar von diesen fliegenden Steaks einfangen und gut braten", meinte ich. "Wer weiß schon, wann wir an dem nächsten planetaren Schnellrestaurant vorbeikommen."
"Ich fürchte, sowas gibt es leider auf dem ganzen Planeten nicht mehr", sagte Naomi.
"Ich weiß", murmelte ich. "Verdammt, ich weiß das." Und eigentlich wollte ich nicht andauernd daran erinnert werden. Aber, das war wohl nicht zu vermeiden.
20
“Was glaubst du, wie lange diese Viecher brauchen, bis sie hier in der Gegend ankommen?”, fragte Jorian Kelly.
Details
- Seiten
- Erscheinungsjahr
- 2015
- ISBN (ePUB)
- 9783738901719
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2017 (September)
- Schlagworte
- chronik sternenkrieger drei abenteuer