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Dunkle Flüche #2: Drei Romantic Thriller

Cassiopeiapress Spannung

von Alfred Bekker (Autor:in) Mara Laue (Autor:in) Ann Murdoch (Autor:in)
©2015 340 Seiten

Zusammenfassung

Drei dramatische Romantic Thriller in einem Band: Dunkle Geheimnisse, übernatürliche Bedrohungen, mysteriöse Begebenheiten - und eine Liebe, die sich dem Grauen widersetzt. Darum geht in den packenden romantischen Spannungsromanen von Alfred Bekker, Mara Laue und Ann Murdoch.

Dieses Buch enthält folgende drei Romane:
Alfred Bekker: Der See des Unheils
Mara Laue: Die Banshee von Blackmore
Ann Murdoch: Nur die Liebe ist unsterblich

Cover: STEVE MAYER

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Dunkle Flüche #2 - Drei Romantic Thriller

von Alfred Bekker & Mara Laue & Ann Murdoch

––––––––

Drei dramatische Romantic Thriller in einem Band: Dunkle Geheimnisse, übernatürliche Bedrohungen, mysteriöse Begebenheiten - und eine Liebe, die sich dem Grauen widersetzt. Darum geht in den packenden romantischen Spannungsromanen von Alfred Bekker, Mara Laue und Ann Murdoch.

Dieses Buch enthält folgende drei Romane:

Alfred Bekker: Der See des Unheils

Mara Laue: Die Banshee von Blackmore

Ann Murdoch: Nur die Liebe ist unsterblich

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch

© by Authors

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Der See des Unheils

von Alfred Bekker

Ein schrecklicher Fluch droht aus der Tiefe eines Sees im schottischen Hochland. Eine übersinnlich begabte junge Frau gerät an die Grenzen der Wirklichkeit und begegnet dem Grauen.

1

Es war eine kalte, stürmische Nacht. Das Wasser des Sees war aufgewühlt, und die sieben kleinen Ruderboote, die sich in dieser schrecklichen Nacht hinaus auf das Wasser gewagt hatten, schwankten bedenklich.

Finstere Gestalten in dunklen Mönchskutten saßen an den Rudern. Die Kapuzen hingen ihnen tief in den Gesichtern.

Man hätte sie für Mönche halten können.

Wäre da nicht ein winziges Detail gewesen, das sie von gewöhnlichen Mönchen unterschied.

Um den Hals trugen sie umgedrehte Kreuze aus Holz. Das Zeichen Satans und der Mächte der Finsternis.

Nur eine Person war anders gekleidet. Es war eine junge Frau mit vom Wind zerzausten dunklen Haaren. Sie trug ein rotes Kleid, an dem der Wind heftig zerrte. Sie zitterte leicht vor Kälte. Ihr Blick wirkte beinahe wie in Trance. Sie schien in die Ferne zu sehen.

Ins Nichts.

Der Wind pfiff den Ruderern um die Ohren und riss an ihren schweren Kutten. Der Anführer stand ruhig im Bug eines der etwas schwerfälligen Boote. Die Schwankungen schienen ihm nichts auszumachen. Er stand da und sein Blick wanderte über den Horizont.

Dies war Loch Maree, ein uralter See im Norden Schottlands.

Umgeben von Bergen, die sich jetzt wie düstere Schatten abhoben.

Ein tiefer See...

Und diese Tiefe mochte seit Äonen die Heimat von Kreaturen sein, die den Menschen unter normalen Umständen mieden.

Schrecklichen Geschöpfen der Finsternis...

"Wir sind weit genug!", schrie der Anführer dann plötzlich mit rauer, kehliger Stimme. "Bildet einen Kreis mit den Booten!" Er hatte Mühe, den Wind zu übertönen und versuchte, sich zusätzlich mit Handzeichen verständlich zu machen.

Das war nicht schwer, denn sie alle wussten, worum es hier ging und was nun zu geschehen hatte.

Die Erfüllung einer alten Weissagung...

Sie hatten wegen des rauen Seegangs große Schwierigkeiten, die Boote einigermaßen in Kreisform zu bringen und sie dann dort auch zu halten. Wie Nussschalen schaukelten sie, Spielbälle in der Gewalt der Natur...

Die falschen Mönche erhoben sich. Sie standen schwankend auf ihren Booten und breiteten die Arme aus. Dann begannen sie mit einem Singsang in einer uralten, längst vergessenen Sprache. Raue, kehlige Laute waren es, die über ihre Lippen kamen. Ein Beschwörungsritus.

Ein Singsang entstand. Und der Anführer wandte sich an die Frau im roten Kleid. Diese hatte sich ebenfalls erhoben. Sie sah den Anführer an.

"Jetzt ist der Augenblick, auf den es ankommt", sagte der Anführer und schlug seine Kapuze zurück. Ein scharf geschnittenes, von dunklem Haar umrahmtes Gesicht kam zum Vorschein. Der schwarze Bart gab ihm etwas Düsteres. Sein Blick fixierte die Frau. "Jahrhunderte mussten vergehen, ehe das möglich wurde, was wir jetzt tun", murmelte er dann.

"Ich weiß, Hugh", erwiderte die Frau, aber der tosende Wind verschluckte das Meiste ihrer Worte.

"Mara!", sagte Hugh dann geradezu beschwörend. "Es kommt jetzt auch auf dich an."

"Ja."

"Du bist das Medium, Mara."

"Ich weiß."

Ihre Sprache war seltsam schleppend, wie unter Hypnose.

In Hughs Augen blitzte es.

"Lass uns beginnen, Mara. Ehe der Zeitpunkt verstrichen ist, an dem diese Beschwörung möglich ist."

Sie stand neben ihm und schloss die Augen. Hugh presste seine Daumen gegen die Schläfen und Maras zarte Züge sahen nun aus wie unter einer schier übermenschlichen Anstrengung.

Hugh murmelte einige Worte. Worte in jener vergessenen Sprache, die auch die anderen bei ihrem Singsang benutzten und deren wahre Bedeutung keinem von ihnen bekannt war.

Der Singsang schwoll an, vermischte sich mit dem Rauschen der Wellen und dem Heulen des Windes.

"Wir rufen dich, o Siebenarmiger!", rief Hugh dann und die anderen. "Erscheine du uns, der du seit 777 Jahren verbannt warst... Erscheine!"

Eine Wolke schob sich in diesem Moment vor den fahl vom Himmel scheinenden Mond. Einen Augenblick lang wurde es nahezu stockdunkel.

Dann begann es aus der Tiefe des Sees heraus zu leuchten.

Erst war es nur ein matter Schimmer, doch rasch wurde das Leuchten intensiver. Im Wasser bildete sich ein Strudel und das leuchtende Etwas tauchte bis an die Oberfläche. Mit einem ohrenbetäubenden und selbst die Geräusche des wütenden Windes übertönenden Zischen sprang eine Kaskade von Lichtfunken aus dem Wasser heraus.

Hughs Augen waren schmal geworden. Er schützte sich mit der Hand vor der Helligkeit und sah fasziniert auf das, was nun geschah. Mitten im Wasser hatte sich ein Tunnel aus Licht gebildet. Eine Öffnung, die weit hinab in die unergründliche Tiefe des Loch Maree führte. Etwas Dunkles stieg daraus hervor. Ein formloser Schatten, der nach wenigen Augenblicken das Licht überdeckte.

Dann war da nur noch Dunkelheit.

Hugh blickte angestrengt in das Wasser.

Irgendetwas schwamm dort, reckte dunkle Arme aus dem Wasser und bewegte sich seitwärts. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Hugh ein Paar katzenhaft blitzende Augen zu sehen.

"Siebenarmiger! Wir sind es, die dich gerufen haben!", rief Hugh mit vibrierender, brüchiger Stimme. Mara hatte indessen noch immer die Augen geschlossen. Ein beinahe wimmerndes Stöhnen entrang sich ihren Lippen.

Hugh flüsterte besorgt ihren Namen.

Das finstere, schattenhafte Wesen, das durch den Lichttunnel aus der Tiefe heraufgekommen war, bewegte sich auf Hughs Boot zu.

Im nächsten Moment fasste eine dunkle, monströse Pranke nach einem der Ruder.

Hugh stockte der Atem.

Eine Hand mit sieben Fingern!

Er schluckte. Dann erschien auf seinem Gesicht für einen kurzen Moment ein triumphierendes Lächeln, das jedoch schon im nächsten Augenblick einen Ausdruck des Schreckens wich.

Das Wesen zog sich zurück. Die Hand ließ das Ruderblatt los.

Ein katzenhaftes Augenpaar starrte Hugh noch einen Moment lang an, dann tauchte das unheimliche Wesen unter und verschwand in den Tiefen des Loch Maree.

"Was ist geschehen?", fragte Mara indessen.

Sie hatte die Augen geöffnet.

Hugh blickte hinab in das dunkle Wasser, in dem sich nun für einen kurzen Moment das fahle Mondlicht spiegelte.

"Er ist weg!", flüsterte er. Furcht war aus seinen Worten herauszuhören.

Der Singsang der anderen war längst verstummt. Sie starrten ihren Anführer an und schienen ziemlich ratlos zu sein.

Dann deutete plötzlich einer von ihnen zum Ufer und rief: "Seht, dort!"

Sie wandten die Blicke und sahen, wie eine unheimliche Gestalt den Fluten des Loch Maree entstieg und sich als dunkler Schatten gegen steinigen Strand abhob. Als das Mondlicht wieder einmal für Augenblicke zwischen den Wolken hindurchschien und den Unheimlichen in sein kaltes Licht tauchte, ging ein Raunen durch die Kuttenträger auf den Booten.

Sie schauderten, als sie einen Moment lang die Gestalt erkennen konnten.

Sieben Arme!, durchfuhr es Hugh. Er hat wirklich sieben Arme, so wie die Legenden es berichten...

2

Es war schon ziemlich spät und ich hatte einen ziemlich harten Tag in der Redaktion des London City Observers hinter mir, jener großen Boulevardzeitung, bei der ich seit einiger Zeit als Reporterin arbeitete.

Eigentlich hätte ich längst zu Hause sein wollen.

Aber wie so oft war im letzten Moment etwas dazwischengekommen. Irgendeine aktuelle Meldung hatte noch kurz vor Redaktionsschluss ins Blatt hineingemusst und so hatte ich meinen Artikel noch einmal umschreiben und kürzen müssen. Die Fotos, die mein Kollege Jim Barry gemacht hatte, wurden um die Hälfte verkleinert, dann war Platz genug.

Solche Überraschungen liebe ich nicht gerade.

Aber als Journalistin muss man wohl oder übel damit leben.

Schließlich richtet sich das Weltgeschehen nicht nach den Redaktionszeiten des London City Observers. Und irgendwo auf der Welt ist immer etwas los, das wichtig genug ist, um auf die Seiten unseres Blattes zu kommen.

Ich seufzte, atmete dann tief durch und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich irgendwann aus meiner Frisur herausgestohlen hatte und mir seitdem ständig in die Augen fiel.

Ich schloss die Augen.

Einen Moment lang Kraft schöpfen, dachte ich. Ich war so gut wie fertig mit meiner Arbeit. Wenn nicht noch irgendetwas dazwischenkam.

"Einen Kaffee?", fragte eine Stimme.

Ich riss die Augen auf und blickte in das zwar unrasierte, aber dafür sympathische Gesicht meines Kollegen Jim Barry.

Jim war im selben Alter wie ich und Fotograf. Wir arbeiteten oft zusammen und bildeten dann ein hervorragendes Team.

Ich hob erstaunt die Augenbrauen und musterte Jim etwas verwundert. Seine äußere Erscheinung mit den etwas zu langen blonden Haaren, der verwaschenen, museeumsreifen Jeans, die er sich in mühevoller Handarbeit selbst immer wieder geflickt hatte und dem abgetragenen Jackett passten zu seiner unkonventionellen Art.

Der Kragen seines Jacketts war von den Riemen seiner Kamera derart ruiniert, dass man es wohl nie wieder in seine ursprüngliche Form bringen konnte. Das Jackett hatte Fischgrätmuster und sein Hemd war kariert.

Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten und wahrscheinlich hinkte Jim der aktuellen Herrenmode derart weit hinterher, dass er ihr fast schon wieder voraus war.

Wenn man lange genug wartete, wurde eben alles irgendwann einmal wieder modern.

Er hielt zwei Pappbecher mit dampfendem schwarzen Kaffee in den Händen und reichte mir einen davon.

"So etwas nenne ich Gedankenübertragung", meinte ich.

Er lachte.

"Genau das richtige jetzt, was?"

"Kann man wohl sagen." Ich nippte an meinem Becher und verbrannte mir beinahe die Lippen dabei. Immerhin war der Kaffee stark genug, um nach diesem Tag wieder ein paar Lebensgeister in mir zu wecken.

Jim setzte sich halb auf meinen Schreibtisch und ich befürchtete schon, dass er mir irgendwelche wichtigen Unterlagen zu Boden riss. Aber das passierte zum Glück nicht.

Er sah mich mit blitzenden Augen an.

Himmelblau waren sie.

"Tja, du nimmst meine Fähigkeiten als Gedankenleser viel zu selten in Anspruch, Jessica", flachste er. Er hob die Augenbrauen.

"Wer weiß?", sagte ich. "Vielleicht komme ich darauf zurück."

"Das lässt mich hoffen! Soll ich dir sagen, was du dir im Moment am allersehnlichsten wünschst?"

"Also..."

"Ein Abendessen mit Londons Starfotograf Nummer eins!"

Ich sah ihn mit gespieltem Erstaunen an. "Wer ist das denn? Kenne ich ihn?"

"Kleiner Tipp: Er arbeitet für dieselbe Zeitung wie du, im selben Großraumbüro und wurde von dir immer schmählich übersehen!"

"Oh, Jim, du Ärmster!"

Wir lachten beide.

Aber ein Quäntchen Ernst steckte schon hinter dieser ausgelassenen Flachserei. Insgeheim war Jim nämlich immer ein bisschen verliebt in mich gewesen, was ich allerdings nie erwidert hatte. Seine etwas jungenhafte, unkomplizierte und oftmals witzige Art machten aus ihm einen angenehmen Kollegen. Und die Tatsache, dass wir schon so manche heikle Situation zusammen überstanden hatten, schweißte uns natürlich zusammen. Als Freunde allerdings nur. Ein Paar würde aus uns nicht werden. Den Mann meiner Träume stellte ich mir einfach anders vor.

Jim wusste, wie ich darüber dachte.

Und im Grunde akzeptierte er das auch.

Allerdings unternahm er immer wieder mal einen Versuch, mich davon zu überzeugen, dass ich es war, die sich irrte.

"Ich bin gleich fertig hier", sagte ich, nachdem ich die Hälfte des Kaffees aufgetrunken hatte. "Und dann geht es nach Hause. Ein heißes Bad und..."

"Nichts da!", sagte Jim. "Nach all dem Spaß kommt jetzt die schlechte Nachricht, die ich dir bringen muss."

Ich sah ihn an.

"Was für eine schlechte Nachricht?"

"Naja, ob sie wirklich schlecht weiß ich natürlich noch nicht..."

"Nun sag schon, worum geht es!"

Er wollte mich noch ein bisschen auf die Folter spannen. Das sah ich seinem schelmischen Gesicht deutlich an.

"Ich sage nur: Rone", meine er dann.

Rone - der Name unseres manchmal etwas bärbeißigen Chefredakteurs, chronisch überarbeitet und nichts so sehr hassend wie schlechte Artikel, die ihn zur Weißglut treiben konnten.

"Wir sollen zum Chef?", vergewisserte ich mich. "Jetzt noch?"

Jim schüttelte den Kopf. "Nicht sofort. Er hat gerade noch den Verleger bei sich im Büro..."

3

"Ich muss Sie loben", begrüßte Martin T. Rone mich zu meiner Überraschung, als wir sein Büro betraten. Er hatte sich aus seinem Drehsessel erhoben und umrundete den überquellenden Schreibtisch.

Rone war ein breitschultriger, etwas untersetzter Mann. Er konnte manchmal aufbrausend sein, aber im Grunde war er ein netter Kerl. Auch wenn er das oft wirkungsvoll zu verstecken wusste.

Ich sah ihn erstaunt an.

"Wovon sprechen Sie, Mr. Rone?"

"Na, von ihrem letzten Artikel. Sehr gut geschrieben und sauber recherchiert. Das nenne ich gute Arbeit!"

Ich glaubte schon beinahe, mich verhört zu haben. Denn überschwängliches Lob gehörte eigentlich nicht zu den Dingen, die für Rone typisch waren. Er hatte sehr strenge Maßstäbe.

Schließlich war es sein erklärtes Ziel, den London City Observer dort zu halten, wo er Rones Meinung nach hingehörte: ganz oben.

Jim schloss die Tür und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich sah kurz zu ihm hinüber und konnte ihm die Gedanken förmlich an den Falten auf seiner Stirn ablesen.

Worum geht es hier wirklich?, schien dort geschrieben zu stehen.

"Haben Sie beide heute Abend irgendetwas vor?", fragte Rone dann und fuhr ohne eine Antwort abzuwarten fort: "Gut, Sie haben Zeit..."

"Dachte ich mir doch, dass ich nicht nur deswegen hier bin, damit Sie mir sagen können, wie toll mein Artikel ist", seufzte ich.

Rone nickte.

"So ist es."

"Worum geht es?"

"Um diese seltsamen Vorfälle rund um das schottische Loch Maree", eröffnete Rone. In letzter Zeit hatte es dort eigenartige Todesfälle gegeben, die von manchen in Zusammenhang mit einem unheimlichen, nichtmenschlichen Wesen gebracht wurden, das einer Sage nach den Tiefen des Loch Maree entstammen sollte. Jedenfalls waren zwei Menschen und einige Tiere getötet worden. In der Nähe der Tatorte waren eigenartige Fußabdrücke von einem Tier gefunden worden, das auf zwei Beinen ging und an jedem Fuß sieben Krallen zu haben schien.

Die Polizei tappte ganz offensichtlich im Dunkeln.

Keiner dieser Mordfälle war bislang auch nur halbwegs aufgeklärt worden.

Seitdem war eine regelrechte Hysterie in der Gegend ausgebrochen und die absonderlichsten Geschichten machten die Runde. Das meiste bestand jedoch wohl nur aus Vermutungen und Gerüchten.

"Es ist wieder jemand umgekommen", erklärte Rone. "Ein Fischer, der am Ufer sein Boot reparierte. Er wurde erwürgt. Und angeblich hat man in der Nähe wieder diese eigenartigen Fußspuren gefunden."

"Ob sich da wohl jemand einen schlechten Scherz erlaubt?", meinte Jim.

Rone zuckte die Achseln.

"Die Story ist jedenfalls brisant. Alle schreiben darüber, aber niemand weiß im Grunde etwas. Das hindert unsere Konkurrenz natürlich nicht daran, in ihren Schlagzeilen von einem Monster zu sprechen - obwohl ihre Reporter vermutlich noch nicht einmal in einem Atlas nachgeschlagen haben, wo dieser See mit dem Namen Loch Maree eigentlich liegt!" Rone atmete tief durch. Solche Dinge konnten ihn stets aufregen: Er hasste es, wenn Journalisten sich aus dem hohlen Bauch heraus irgendetwas zusammenreimten, ohne sauber recherchiert zu haben. Da hatte er strenge Maßstäbe.

Und was das anging, konnte ich ihm nur zustimmen.

"Um es kurz zu machen: Ich möchte, dass Sie beide nach Schottland fahren, um der Sache auf den Grund zu gehen."

So etwas hatte ich mir schon gedacht.

"Gut", sagte ich.

"Sie mögen ja Themen, die in Bereiche des Ungewöhnlichen hineinreichen", meinte Rone. Er sah mich mit nachdenklichem Gesicht an und kratzte sich dann am Kinn. "Aber vergessen Sie nicht, dass alles, was Sie in unser Blatt bringen, belegbar sein muss!"

"Natürlich!", versicherte ich.

"Schließlich ist der Observer kein Revolverblatt!"

Mit diesen Worten ging er einen Schritt zurück und wühlte etwas auf seinem Schreibtisch herum. Schließlich hatte er einen dünnen Pappordner gefunden, den er mir übergab. "Hier ist alles drin, was bislang an Meldungen über die Sache hereingekommen ist! Es sind auch ein paar Fotos dabei, die uns heute Abend erst zugefaxt wurden."

"Fotos?", fragte Jim.

Rone nickte.

"Von einem Amateur. Er will das Ungeheuer angeblich fotografiert haben."

Ich seufzte und wechselte mit Jim einen Blick. "Das bedeutet wohl, dass wir gleich an die Arbeit gehen, was?"

Rone zuckte die Schultern.

"Es wäre sicher nicht schlecht, wenn Sie sich schon mal ein bisschen auf den neuesten Stand bringen, bevor Sie morgen nach Schottland aufbrechen."

"Auf die Idee, dass einer von uns nein sagen könnte, kommen Sie wohl gar nicht!", erwiderte ich.

Rone schüttelte den Kopf.

"Aber doch nicht zwei Journalisten von Ihrem Kaliber! Die lassen sich eine solche Story doch nicht entgehen! Übrigens brauchen Sie sich um nichts weiter zu kümmern. Ihr Flug nach Edinburgh ist schon gebucht. Wenn Sie dort ankommen, steht ein Leihwagen für Sie bereit!"

4

Es war spät am Abend, als ich nach Hause kam. Zu Hause, das war die Villa meiner Großtante Mildred Bronwick, bei der ich nach dem frühen Tod meiner Eltern aufgewachsen war.

Tante Milly - so nannte ich sie - war noch wach.

Ich fand sie in der Bibliothek ihrer auf jeden Besucher sicherlich recht eigenartig wirkenden viktorianischen Villa.

Das Haus beherbergte eines der größten Privatarchive zum Bereich Okkultismus und übersinnliche Wahrnehmung, die es in ganz England gab.

In mühevoller Kleinarbeit hatte Tante Milly Tausende von obskuren Schriften, Zeitungsartikeln und Büchern zu diesem Thema zusammengetragen. Zusammen mit den zahlreichen archäologischen Fundstücken und exotischen Kultgegenständen, die ihr verschollener Mann Franklin Bronwick von seinen Forschungsreisen mitgebracht hatte, ergab sich ein seltsames Bild.

Das Innere der Villa glich einer Art Okkultismus-Museum.

Lediglich meine Räume, die im Obergeschoss lagen, waren frei davon.

Dort war mein Reich und dafür hatte ich mir ausbedungen, ohne den Anblick von Pendeln, Geistermasken oder Fetischen irgendwelcher exotischer Kulte ins Bett gehen zu können.

Tante Milly begrüßte mich voller Herzlichkeit und sah von den staubigen Folianten auf, in die sie sich vertieft hatte.

Das Übersinnliche war ihre Leidenschaft, der sie sich in den letzten Jahren ganz gewidmet hatte.

Durch ihr Archiv war sie auf diesem Gebiet zu einer gefragten Instanz geworden. Schließlich gehörte sie nicht zu jenen, die leichtgläubig alles für bare Münze nahmen, was irgendwelche geldgierigen Scharlatane als übernatürliche Phänomene ausgaben.

Sie versuchte, den Dingen auf den Grund zu gehen.

"Du siehst müde aus, mein Kind", sagte sie.

"Das bin ich auch!", erwiderte ich und warf meine Handtasche und meinen Regenmantel in einen der Sessel. "Aber das bedeutet leider noch nicht, dass dieser Tag schon für mich zu Ende wäre!"

"Ach!"

Ich erzählte ihr von meiner bevorstehenden Reise. Tante Milly war nicht begeistert von der Aussicht, die nächste Tage allein in ihrer Villa zu bleiben. Andererseits wusste sie, dass es zu meinem Job gehörte. Daran war nichts zu ändern.

"Ich habe die Loch Maree-Geschichte verfolgt", sagte sie. "Obwohl es kaum lohnte, das was in der Presse darüber erschien, ins Archiv einzuordnen!" Sie machte eine wegwerfende, fast verächtlich wirkende Handbewegung. "Kaum mehr als in reißerische Sätze gefasstes Hörensagen war das, wenn du mich fragst!"

Ich zuckte die Achseln.

"Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Angeblich will ein Amateur dieses Ungeheuer fotografiert haben. Aber auf den Bildern ist kaum mehr als ein dunkler Schatten zu sehen, der alles Mögliche sein könnte. Jim versucht, herauszufinden, ob möglicherweise sogar daran manipuliert wurde."

"Hat man nicht Spuren gefunden?", meinte Milly.

"Ja, Spuren eines Wesens, mit sieben Krallen an jedem Fuß... Aber das kann auch eine Fälschung sein."

"Natürlich!", nickte Tante Milly und fuhr dann nach kurzer Pause fort: "Wie gesagt, ich habe die Geschichte recht intensiv verfolgt und in meinem Archiv nach entsprechenden Quellen gesucht."

Ich sah Tante Milly dann gespannt an und fragte: "Was weißt du über Loch Maree?"

"Ein schottischer See in der Nähe der kleinen Stadt Kinlochewe in den Northwest Highlands gelegen. Er hat einen Zufluss zum Meer. Das Klima dürfte dort recht ungemütlich sein. Jedenfalls ist dieser See seit vermutlich Jahrtausenden ein uraltes spirituelles Zentrum. Immer wieder gab es Legenden von geheimnisvollen Wesen, die den Tiefen des Sees entstiegen. Mal wurden sie als Götter verehrt, mal als Ungeheuer gefürchtet. Bis heute ist Loch Maree ein Anziehungspunkt für Okkultisten und Geistergläubige, die glauben, dass der See einen Ort darstellt, an dem sich magische Energien konzentrieren. Ein Schnittpunkt zwischen den Dimensionen, ein Tor in eine fremde Welt..." Tante Milly zuckte die Schultern. "Es gibt viele solcher Orte, Jessi..."

"Ja, ich weiß."

"Orte, über die seltsame Geschichten im Umlauf sind und von denen seit Generationen geglaubt wird, sie besäßen eine gewisse Magie."

Ich sah sie beschwörend an.

"Tante Milly, weißt du irgendetwas über ein Wesen, an dessen Füßen sich sieben Krallen befinden?"

Sie seufzte.

"Ich weiß nur das, was in den alten Sagen dieser Gegend berichtet wird. Und diese Sagen kann man vermutlich in jeder schottischen Gemeindebibliothek finden - nicht nur in meinem Okkultismus-Archiv!"

"Was berichten die Sagen darüber?"

"Es gibt da die Legende von einem Wesen, das der Siebenarmige genannt wird. Ein Dämon, der alle 777 Jahre nur mit Hilfe bestimmter Rituale beschworen werden kann. Der Siebenarmige ist ein mächtiger Diener, der die Fähigkeit besitzt, die Gestalt jedes beliebigen Menschen anzunehmen. Es bedarf der Legende nach großer magischer Kräfte, um ihn unter Kontrolle zu halten. Andernfalls wird er zum blindwütigen Mörder. Und um ihn wieder zu bannen, ist unter Umständen ein Menschenopfer nötig." Tante Milly lächelte. "Aber das ist nur eine Legende. Eine Legende, die sich vielleicht jemand zu Nutze macht, der aus Gründen mordet, die nichts mit der Sage zu tun haben!"

In diesem Moment ging das Telefon.

Allerdings nicht Tante Millys altmodischer Apparat mit Wählscheibe und knochenförmigen Hörer, sondern das Funktelefon in meiner Handtasche.

Ich nahm den Apparat heraus und klappte ihn auf.

"Wer kann das noch sein?", meinte Tante Milly kopfschüttelnd.

Es war niemand anderes als mein Kollege Jim Barry.

"Hallo, Jessi! Ich hoffe, du hast noch nicht geschlafen!"

"Nein, habe ich nicht. Was gibt es?"

"Ich rufe wegen der Fotos an, die dieser Amateur gemacht hat..."

"Und?"

"Es spricht einiges dafür, dass das Fälschungen sind. Zum Beispiel stimmen die Schatten nicht! Ein bisschen verstehe ich ja von der Sache...Da wollte sich wohl jemand wichtig machen. Im übrigen habe ich die Dinger auf Postergröße vergrößert und man braucht wirklich schon eine Menge Fantasie, um dort überhaupt irgendetwas zu erkennen. Von einem Ungeheuer mal ganz zu schweigen."

Ich atmete tief durch. "Das wäre ja auch zu schön gewesen", murmelte ich vor mich hin. "Danke für den Anruf."

"Ich wollte, dass du Bescheid weißt."

"Okay, Jim."

"Bis morgen, Jessi!"

"Bis morgen."

5

Ehe ich zu Bett ging, packte ich noch meine Sachen für die Reise nach Schottland.

Ein seltsame Unruhe hatte mich dabei befallen, die ich nicht erklären konnte. Vielleicht war an diesem ereignisreichen Tag einfach zu viel auf mich eingestürzt.

Ich war todmüde und dennoch schlief ich in dieser Nacht unruhig.

Immer wieder wälzte ich mich von der einen auf die andere Seite, ehe ich in einen unruhigen Schlaf fiel.

Ich hatte einen Traum und wusste vom ersten Moment an, dass es einer jener Träume war, die in Verbindung mit meiner leichten seherischen Gabe standen. Ich hatte diese Gabe von meiner Mutter geerbt.

Durch Träume, Visionen und Ahnungen konnte ich hin und wieder einen schlaglichtartigen Blick auf das erhaschen, was in der Zukunft auf mich wartete.

Vor meinem inneren Auge sah ich einen See.

Es war Nacht.

Sturm wühlte die Wasseroberfläche aus und am Ufer brachen sich die Wellen an den Felsen. Es rauschte und der Wind heulte schauderhaft zwischen den Felsen hindurch.

Der fahl vom Himmel leuchtende Mond verschwand für einen Moment hinter den schnell daherziehenden dunklen Wolken.

Am Ufer stand eine Frau mit bleichem, aber sehr feingeschnittenem Gesicht.

Sie trug ein langes, bis zu den Knöcheln reichendes Kleid, an dem wütend der Wind zerrte.

Das Kleid war rot wie Blut.

Sie hatte dunkles Haar. Den Pagenschnitt hatte der Wind längst zerzaust. Ihr Blick wirkte abwesend. Sie machte den Eindruck, als ob sie in Trance wäre.

Ihr volllippiger Mund bewegte sich. Sie murmelte Worte vor sich hin. Worte, die sich mit dem Heulen des Windes mischten und daher nicht zu verstehen waren.

In unglaublicher Intensität stand mir diese Szene vor Augen.

Schweißgebadet erwachte ich.

Ich saß in meinem Bett und vergewisserte mich der Tatsache, dass ich nur geträumt hatte. Ich stand auf und ging zum Fenster. Als ich hinaus in Tante Millys Garten blickte, sah ich, wie der Wind die nahen Baumkronen heftig und her bewegte.

Wieder stand mir das Gesicht jener Frau in Rot vor Augen.

Ich wusste, dass dieser Traum etwas zu bedeuten hatte...

Unbehagen machte sich in mir breit.

Schließlich legte ich mich wieder hin und fiel schließlich in einen traumlosen Schlaf der Erschöpfung.

6

"Ich kenne die Frau nicht, die ich im Traum gesehen habe", sagte ich am nächsten Morgen beim Frühstück zu Tante Milly.

Sie zuckte die Schultern und meinte daraufhin: "Vielleicht wirst du sie bald kennenlernen..."

Tante Milly war die Erste, die mich auf meine Gabe hingewiesen hatte. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich sie als Tatsache akzeptiert hatte. Leider konnte ich sie kaum kontrollieren. Visionen überfielen mich und oft genug konnte ich zunächst nichts mit ihnen anfangen.

"Es ist seltsam", murmelte ich, beinahe mehr zu mir selbst als zu Tante Milly.

"Wovon sprichst du?"

"Weißt du Tante Milly, ich weiß, dass es ein bedeutender Traum war, den ich heute Nacht hatte. Daran gibt es für mich nicht den geringsten Zweifel. Aber ich habe nicht die keine Ahnung, was er bedeuten mag."

Tante Milly lächelte milde.

"Ich kann mir vorstellen, wie dir zu Mute ist."

Ich zuckte die Achseln.

"Jedenfalls freue ich mich auf die Aufgabe in Schottland."

"Das ist gut."

"Die Sache wird mich sicher etwas ablenken..." Ich seufzte.

Tante Milly sah mich an.

"Du denkst noch oft an Harold Benbow, nicht wahr?"

Ich nickte leicht und schluckte unwillkürlich. "Ja..."

Ich hatte mich in Harold Benbow, einen geheimnisvollen Archäologen und Gentleman verliebt. Doch nun war Harold tot. Er starb, weil er mir in letzter Sekunde das Leben gerettet hatte.

Doch ich war noch nicht darüber hinweg.

"Das Leben geht weiter", erklärte Tante Milly.

"Ja, ich weiß", erwiderte ich. Ich wusste, dass sie recht hatte und in manchen Augenblicken hatte ich auch bereits geglaubt, die Phase der Trauer endgültig hinter mir gelassen zu haben. Doch dann kehrte der Schmerz in meinem Herzen unvermittelt zurück.

"Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis du es wirklich überwunden hast", sagte Tante Milly ruhig. "Und ich denke, das ist ganz normal..."

"Sicher."

Ich sah auf die Uhr.

"Du musst jetzt los, nicht wahr?", erriet Tante Milly.

"Ja."

"Pass gut auf dich auf. Immerhin sind dort oben am Loch Maree schon einige Menschen umgekommen!"

Ich lächelte matt und erwiderte: "Mach dir keine Sorgen!"

Tante Milly zuckte die Achseln.

"Ich kann nicht anders, Jessi!" Und dann zog sie plötzlich die Augenbrauen zusammen und machte ein angestrengt wirkendes Gesicht. "Da war noch was... Ich habe dir noch einen Artikel aus dem Archiv gesucht."

"Sag mal, wann schläfst du eigentlich, Tante Milly?"

"Dann, wenn Reporterinnen arbeiten beispielsweise."

"Ich verstehe..."

"Jessi, in meinem Alter braucht man nicht mehr soviel Schlaf. Einer der wenigen Vorteile des Älterwerdens." Sie zwinkerte mir vergnügt zu und fügte dann noch hinzu: "Ein kleiner Ausgleich dafür, dass man andere Dinge nicht so gut und schnell hinbekommt, wie früher. Aber du kommst ja auch irgendwann mal in den Genuss..." Sie erhob sich und ging ins Nachbarzimmer. Einen Augenblick später war sie zurück mit einem zusammengefalteten Zeitungsartikel. "Der Artikel ist zwar bei eurer Konkurrenz erschienen und auch schon ein paar Jahre alt, aber er fasst alles Wesentliche über die alte Sage zusammen. Und was noch wichtiger ist: Der Verfasser wohnt am Loch Maree..."

"Ach!" Ich nahm den Artikel und sah auf die Autorenzeile.

"Hugh McMorn", las ich dann. In einem kleinen bunten Kasten war ein passfotogroßes Bild dieses McMorn, das einen Mann in den Vierzigern zeigte. Er trug einen dunklen Bart, hatte ein feingeschnittenes, markantes Gesicht, und einen sehr intensiven, fast hypnotischen Blick.

Ein Blick, der den Zeitungsleser zu fixieren schien.

Daneben standen einige Zeilen über ihn. McMorn war danach ein ehemaliger Oxford-Professor, dessen Spezialgebiet zunächst die Literatur des Mittelalters gewesen war, bis er sich vornehmlich dem Studium okkulter Schriften gewidmet und sich aus dem Lehrbetrieb zurückgezogen hatte. Der Autor lebt heute zurückgezogen auf einem ererbten Familienbesitz bei Kilochewe am Loch Maree und ist als Verfasser populärwissenschaftlicher Bestseller hervorgetreten, stand dort noch.

"An deiner Stelle würde ich diesen Mann mal aufsuchen", schlug Tante Milly vor. "Ein Treffen unter 'Kollegen', wenn man das so nennen kann, kann er ja wohl kaum ablehnen!"

7

Tante Milly brachte mich zum Flughafen, wo Jim bereits etwas ungeduldig auf mich wartete.

Dann ging es mit einer Linienmaschine nach Edinburgh, wo ein Leihwagen für uns parat stand. Es war ein Land Rover. Ich hatte einen Blick auf die Landkarte geworfen und vermutlich hatte Rone das auch getan, bevor er uns den Wagen besorgt hatte. Die Northwest Highlands, das Gebiet, in das wir fahren würden, war ziemlich gebirgig und dünn besiedelt. Mit breiten geraden Straßen konnte man wohl nur in Ausnahmefällen rechnen.

Da war ein geländegängiges Fahrzeug mit Allradantrieb sicher das Richtige.

Von Edinburgh aus hatten wir noch eine ziemlich weite Strecke quer durch Schottland vor uns. Zunächst ging es nach Norden Richtung Perth, Inverness und Dingwall.

Ab Dingwall ging es dann nach Westen über Garve und Achnasheen. Die Straßen wurden kleiner. Dazu kam die einsetzende Dämmerung, die es uns auch nicht gerade erleichterte, den richtigen Weg zu finden.

Je weiter wir in die Highlands hineinkamen, desto einsamer wurde es. Wir passierten nebelverhüllte Berge, fuhren an steilen Flusstälern und grauen Seen vorbei, während am Horizont die Sonne als glutroter Ball versank.

"Eine eigenartige Landschaft", meinte Jim, der von Dingwall an am Steuer gesessen hatte. "Wie aus einer Märchenwelt entsprungen... Kein Wunder, dass die Leute hier sich alle möglichen Geschichten über phantastische Begebenheiten und Zauberei ausgedacht haben..."

Ein unwegsames Land war es.

Aberglaube und heidnische Kulte hatten sich hier länger halten können als anderswo. Und manche sagten, dass das bis heute so geblieben war.

Als wir endlich die Ortschaft Kinlochewe am Südufer des Loch Maree erreichten, war es bereits dunkel.

Wind war aufgekommen und heulte zwischen schroff wirkenden, als riesige Schatten rund um den See aufragende Bergen hindurch.

Kinlochewe war wirklich alles andere als eine Großstadt oder eine Touristenhochburg. Ein paar wie dahingeworfen aussehende Häuser, das war das Bild, das sich uns bot. Und diese Häuser wirkten in Anbetracht des Sees und der zum Teil recht schroff in die Höhe ragenden Berge noch kleiner, als sie ohnehin schon waren.

Der Kinlochewe Inn befand sich ganz am Ende der Ortschaft.

Es war ein kleiner Pub mit ein paar Fremdenzimmern im Obergeschoss. Dort waren zwei Zimmer für uns reserviert.

Wir stellten den Wagen vor dem Gasthaus ab und stiegen aus.

Der Mond stand jetzt hoch über dem See. Die Wolken wurden vom Wind in einem atemberaubenden Tempo vor sich hergetrieben. Die Wellen schlugen sanft an den flachen, aber steinigen Strand des Loch Maree, an dem einige Dutzend Boote lagen.

Die meisten davon gehörten vermutlich Fischern.

Jim stemmte die Arme in die Hüften und blickte bewundernd auf diese urtümlich wirkende Landschaft. "Bei Tag dürfte es hier lohnende Fotomotive geben", meinte er.

"Arbeitest du immer noch nebenbei für Kalenderverlage?", fragte ich und genoss den frischen Wind, der mir durch das Haar fuhr. Ich sog die Luft in tiefen Zügen ein.

Jim nickte.

"Ja, aber sag es auf keinen Fall Rone!"

Ich lächelte.

"Nein, natürlich nicht."

"Unser Chef glaubt schließlich, dass wir ihm mit Leib und Seele gehören... Aber ich leiste immer noch genug für den Observer. Auch wenn ich zwischendurch mal ein paar Landschaftsaufnahmen mache!"

"Solange du die Spesen dabei sorgfältig trennst", neckte ich ihn, denn ich wusste genau, dass er die Unkosten bei diesen Nebenjobs dem Observer in Rechnung stellte.

"Du wirst doch nicht päpstlicher als der Papst sein wollen", erwiderte er.

"Vorsicht!"

"Wieso?"

Ich lächelte ihn augenzwinkernd an. "Schottland ist ein katholisches Land, da solltest du dir solche Bemerkungen besser verkneifen!"

Er lachte. "Du musst auch immer das letzte Wort haben, was?"

"So bin ich nun mal..."

Ich stockte mitten im Satz. Mein Blick blieb bei ein paar Lichtern mitten auf dem See hängen, die wie schwankende Sterne wirkten...

Jim bemerkte das.

"Ist irgendetwas?", fragte er trocken.

Ich streckte den Arm aus und deutete in die Ferne.

"Siehst du das dort?"

Jim schwieg, zog die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und zuckte dann die Achseln.

"Was weiß ich? Vielleicht sind das Fischer, die in der Nacht hinausfahren..."

8

Als wir das Gasthaus betraten, drehten sich die Männer an der Theke nach uns um und sahen uns an, als wären wir exotische Tiere. Die Gespräche verstummten ziemlich abrupt.

"Sie sind die Journalisten aus London?", meinte der etwas füllige Mann hinter dem Tresen, nachdem wir ihm unsere Namen gesagt hatten.

Er sagte es so laut, dass es alle im Raum deutlich hören konnten.

Ich nickte.

"Ja, so ist es."

"Mein Name ist Carson. Ich zeige Ihnen die Zimmer."

Nachdem er noch einige seiner Gäste nachgeschenkt hatte, nahm er dann zwei Schlüssel von der Wand hinter dem Tresen und ging mit uns die Treppe hinauf.

Als wir den Treppenabsatz erreichten, fiel mein Blick dort auf einen Zinnteller, der an an der Wand hing. In diesen war ein kunstvolles Bild eingraviert. Ich stutzte, als ich die Szene sah, die dort dargestellt war.

Ein Seeufer mit flachem Strand und Booten. Zu beiden Seiten die Berge. Das musste Loch Maree sein.

Eine seltsam unförmige Gestalt stieg aus dem Wasser. Sie ging leicht gebeugt auf zwei Beinen und war nur als eine Art Schemen dargestellt. Lediglich die katzenhaften Auge waren detaillierter gezeichnet.

Die Gestalt hatte sieben Arme, drei auf einen, vier auf der anderen Seite.

Carson blieb stehen, als er mein Zögern bemerkte.

Jim machte ein etwas ungeduldiges Gesicht. Er war an dem Zinnteller achtlos vorbeigelaufen.

"Was ist das?", fragte ich.

Carson machte eine wegwerfende Handbewegung.

"Kunsthandwerk, wie man es in dieser Gegend überall erwerben kann", meinte er.

Ich deutete auf die Gestalt. "Das ist der Siebenarmige, nicht wahr?"

Das Gesicht des Wirts erstarrte jetzt. Er verlor seine joviale Art und atmete tief durch. Jetzt machte er einen etwas nervösen Eindruck.

"Eine Fabelgestalt der hiesigen Sagenwelt."

Ich nickte. "Ja, ich weiß."

"Vielleicht hätte ich den Teller dort abnehmen sollen", meinte Carson dann.

"Weswegen?"

"Nun..."

"Sie meinen, wegen der Morde?"

Er zuckte die Achseln und fühlte sich sich jetzt sichtlich unwohl in seiner Haut.

"Naja", meinte er. "Vielleicht ist es im Moment etwas geschmacklos, diesen Teller dort hängen zu lassen. Sie sind doch wegen der Todesfälle hier, nicht wahr?"

"Und wegen der Fußspuren eines siebenkralligen Wesens, ja."

"Sicher nur ein übler Scherz von jemandem."

"Meinen Sie?"

Er zuckte die breiten Schultern.

"Oder der kranke Geist eines wahnsinnigen Mörders..."

"...der vielleicht irgendwelchen okkultistischen Kreisen nahesteht!"

Er seufzte. "Ich sage nichts mehr", sagte er dann. "Und unterstehen Sie sich, meinen Namen in ihrem Blatt zu erwähnen!"

Er nahm den Teller von der Wand und führte uns dann zu unseren Zimmern. Sie lagen nebeneinander. "Vielleicht nicht ganz der Luxus, den Sie aus London gewöhnt sind, aber..."

"Es ist in Ordnung", sagte ich.

Carson nickte. "Schön, dass Sie zufrieden sind. Wollen Sie geweckt werden?"

"Danke, aber das schaffe ich schon selbst."

"Wie Sie wollen. Frühstück gibt es aber nur bis elf Uhr!"

9

Wir brachten unser Gepäck auf die Zimmer, aber ich vergaß meine Handtasche im Wagen und so musste ich noch einmal zurück.

Bevor ich die Treppe zum Schankraum hinunterging, stutzte ich.

Ich hörte, wie die Männer am Tresen mit dem Wirt redeten.

Es ging um Jim und mich, das war unschwer herauszuhören.

"Reporter sind das?"

"Die beiden werden uns sicher nur Ärger machen!"

"Carson, wie konntest du sie hier nur unterbringen!"

"Bin ich die Queen oder Prince Charles und schwimme im Geld? Ihr wisst, was für ein einsames Nest das hier ist und da brauche ich jeden Penny!"

"Sie werden Fragen stellen..."

"Ihr braucht ihnen ja nicht zu antworten..."

"Da hat er nun auch wieder recht..."

"Keiner von uns sagt etwas!"

"So ist es. Geheimnisse muss man bewahren können."

"Auch solche?"

"Gerade solche..."

"Mir ist die Sache nicht mehr geheuer..."

"Hör zu, Roy! Wer quatscht, macht alles nur noch schlimmer, hast du gehört?"

"Ja."

Dann herrschte Schweigen im Schankraum. Ich konnte hören, wie Carson frisches Bier zapfte und die Gläser auf den Schanktisch stellte.

Es wird sicher nicht gerade leicht werden, hier etwas herauszubekommen, ging es mir durch den Kopf. Und ich fragte mich, was die Leute da unten zu verbergen hatten.

Als ich die Treppe hinunterkam, ging ein Raunen durch den Raum. Ich fühlte die misstrauischen Blicke der Anwesenden auf mir, während ich den Schankraum durchquerte und zur Tür ging.

Draußen war es frisch. Ich ging zum Land Rover, holte meine Handtasche heraus und blickte dann zum nahen See, auf den das fahle Mondlicht fiel. In der Ferne waren immer noch die eigenartigen Lichter zu sehen...

Kein Wunder, dass die Menschen vergangener Zeiten Loch Maree für einen heiligen Ort hielten, dachte ich bei mir. Selbst jetzt, bei Dunkelheit, bot sich hier ein beeindruckendes Panorama. Eine Landschaft, die einen in ihren düsteren Bann ziehen konnte.

Ich sog die frische Luft in mich hinein und ging dann ein Stück auf den steinigen Strand zu. Mehr als hundert Meter waren es nicht bis zum Wasser.

Ich schlenderte weiter. Nach der anstrengenden Reise, die ich ja größtenteils sitzend verbracht hatte, eingezwängt in den engen Sitzreihen des Linienfliegers nach Edinburgh oder im Landrover, war es recht angenehm, ein paar Schritte zu laufen.

Ich genoss es regelrecht.

Am Strand sah ich dann eine Gestalt. Sie musste eine ganze Weile völlig reglos dagestanden haben, denn ich bemerkte sie erst durch eine Bewegung.

Ich blieb stehen und sah einen Augenblick lang in die Dunkelheit hinein. Ich war unschlüssig darüber, was ich tun sollte. Vielleicht ein Angler!, dachte ich, sah aber nicht mehr als ein formloses, dunkles Etwas, das etwa die Größe eines Menschen hatte. Zumindest schätzte ich das.

Hin und wieder sah ich einen Arm.

Oder glaubte es zumindest.

Dann - Schritte auf dem steinigen Untergrund. Die seichten Wellen verursachten nur ein leises Rauschen, das aber die Schritte beinahe verschluckte.

Die Schritte schienen sich zu nähern und dann trat die Gestalt ins Mondlicht.

Es war ein Mann.

Er sandte einen verwunderten Blick in meine Richtung, blieb dann stehen und drehte sich wieder zum See herum. Um den Hals trug er ein Fernrohr, das er jetzt an die Augen setzte. Er starrte auf den See hinaus. Zu den Lichtern...

Ich ging auf ihn zu. Als ich nahe genug herangekommen war, begrüßte ich ihn. "Guten Abend."

"Guten Abend", murmelte er.

"Was ist das da draußen?"

"Die Lichter?"

"Ja."

Er gab mir keine Antwort, sondern starrte weiter hinaus. Im Mondlicht konnte ich ihn jetzt recht gut sehen. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig, groß und breitschultrig. Der Anorak, den er trug, war sicher nicht der letzte modische Schrei, aber für diese sturmgepeitschte Gegend sicher praktisch.

"Sind das Fischer?", versuchte ich erneut mit ihm ins Gespräch zu kommen.

Er schüttelte den Kopf. "Nein, das glaube ich nicht", erklärte er.

"Wieso?"

"So rückständig sind nicht einmal die Fischer vom Loch Maree, dass sie mit Fackeln ausfahren..."

"Fackeln?", echote ich erstaunt.

Er setzte das Fernglas ab, nahm den dazugehörigen Riemen von seinem Hals und reichte es mir entgegen. Er sagte kein Wort dazu, sondern sah mich nur an. Er trug sein Haar sportlich kurz. Die Augenbrauen waren kräftig und gaben seinem Gesicht Ausdrucksstärke.

In seinen Zügen sah ich einen Hauch von Melancholie.

Ich nahm das Fernglas und warf selbst einen Blick hindurch. Es war ein sehr gutes Glas. Weit draußen auf dem See waren Boote zu sehen, auf denen düstere Gestalten standen.

Schattenhafte Gestalten, mit brennenden Fackeln in den Händen.

Anders waren die flackernden Lichter nicht zu erklären.

"Was spielt sich da ab?", fragte ich.

"Sie sind nicht von hier", stellte indessen der Mann fest.

Ich nahm das Glas von den Augen und gab es ihm zurück.

"Woher wissen Sie das?"

"Sie würden sonst so etwas nicht fragen. Sie würden es nicht einmal denken."

Ich musterte ihn erstaunt.

"Dann sind Sie auch nicht von Kinlochewe", stellte ich fest.

Die Ahnung eines Lächelns ging über sein Gesicht. Auf seiner rechten Wange bildete sich dabei ein Grübchen, was ihn sympathisch erscheinen ließ.

"Ich bin Andrew Boland", sagte er. "Dr. Andrew Boland. Ich bin Biologe und untersuche hier die Fauna des Loch Maree. Und und mit wem habe ich bei Ihnen das Vergnügen?"

"Jessica McAllister, London City Observer!"

"Dann kann ich mir schon denken, weswegen Sie hier auftauchen." Er lachte kurz auf. "Es ist schon seltsam. Da interessiert sich jahrzehntelang kein Mensch für diese Gegend. Und dann geschehen einige geheimnisvolle Morde und irgendjemand findet angeblich Fußabdrücke eines Wesens, das irgendeiner der zahlreichen hiesigen Sagen entsprungen zu sein scheint und schon ist Kinlochewe auf den Titelseiten der Zeitungen..." Er zuckte die Schultern. "Aber das ist natürlich auch interessanter, als wenn der Fischbestand zurückgeht und vielleicht in den Tiefen des Loch Maree noch eine Spezies entdeckt wird, die noch nicht in den einschlägigen Fachbüchern steht..."

Ich deutete hinaus auf den See.

"Was wissen Sie über diese Leute dort?"

"Die Fackelträger?" Sein Gesicht wurde etwas ernster. "Es wimmelt hier nur so von Okkultisten und Geisterbeschwörern. Leute, die sich für Druiden oder Hexen halten und alle möglichen seltsamen Rituale durchführen..." Er deutete zu den Lichtern hinüber. "Ich habe diese Leute schon einmal bei einer ihrer eigenartigen Zeremonien beobachtet, als ich des Nachts versuchte, Vogelstimmen aufzunehmen. Sie tragen Mönchskutten und murmeln irgendwelche Beschwörungen..." Er zuckte die Achseln. "Aber es gibt viele hier, die das sehr ernstnehmen." Er sah auf die Uhr und machte mir irgendwie einen ungeduldigen Eindruck.

"Wohnen Sie auch bei Mr. Carson?", fragte ich.

"Ja."

"Naja, viel Auswahl gibt es hier ja auch nicht, was die Unterkunft angeht."

"Das stimmt allerdings."

"Dann haben wir ja denselben Weg..." Mir war kalt geworden und ich wollte zurück ins Haus.

Andrew Boland sah mich an. Ein mildes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

"Ich bleibe noch."

"Wegen der Lichter dort draußen?"

"Nein." Sein Lächeln wurde breiter. "Um ehrlich zu sein, ich bin hier verabredet. Aber wie es scheint, hat mich die Dame versetzt..."

Während er das sagte, wurde sein Blick besorgt.

"Gute Nacht", sagte ich.

"Gute Nacht, Miss McAllister."

10

Ich war von der Anreise todmüde. Bevor ich zu Bett ging, sah ich noch einmal aus dem Fenster meines Zimmers, durch das man direkt auf den See blicken konnte.

Und dort sah ich Andrew Boland noch immer am Strand auf-und abgehen und warten.

Die Frau, die ihn versetzt hatte, schien ihm wirklich etwas zu bedeuten.

Einen Augenblick noch sah ich ihn im Mondlicht. Er wandte den Kopf in Richtung des Gasthauses, aber er konnte mich natürlich unmöglich sehen.

Dann ging er ein paar Schritte und verschwand im Schatten.

Ich legte mich zu Bett und hoffte auf einen tiefen, traumlosen Schlaf. Als ich die Augen schloss, erschien in meiner Vorstellung wieder das Gesicht der Frau in Rot, die ich im Traum gesehen hatte.

Wer ist sie?, ging es mir durch den Kopf. Immerhin war ich mir ziemlich sicher, sie hier am Loch Maree zu treffen. Denn die Landschaft im Hintergrund erkannte ich wieder...

Jener Traum hatte mir zweifellos den See gezeigt, den ich nun bei einem Blick aus dem Fenster sehen konnte.

Und dann übermannte mich die Müdigkeit.

11

Gegen Morgen schreckte ich schweißgebadet aus dem Schlaf hoch und riss die Augen auf. Ein Traum von schier unglaublicher Intensität lag hinter mir und verblasste bereits.

Da war ein Boot gewesen.

Eines jener Fischerboote, die ich am Strand gesehen hatte.

Es lag draußen auf dem spiegelglatten und jetzt nebelverhangenen Loch Maree. Langsam kam es näher, von einer geheimnisvollen, unheimlichen Kraft getrieben.

Ich stand derweil am Ufer und glaubte zu wissen, dass mit jenem Boot der Tod kam...

Und dann war ich erwacht.

Ich ging instinktiv, wie von einem unheimlichen Sog gezogen, zum Fenster. Der Morgen graute längst. Dicke Nebelschwaden standen grau auf dem Loch Maree und krochen über das Wasser. Langsam näherten sie sich dem Ufer, um dann vielleicht wie Gespenster dem See zu entsteigen...

Der Wind hatte aufgehört und die Wasseroberfläche war jetzt beinahe spiegelglatt.

Und dann sah ich das Boot, das sich dunkel gegen den Nebel abhob.

Es trieb scheinbar herrenlos im Wasser und näherte sich zusammen mit den wabernden Nebelschwaden dem Ufer. Mir stockte beinahe das Herz, als ich die Szenerie aus meinem Traum wiedererkannte.

Das darf nicht wahr sein!, ging es mir verzweifelt durch Kopf. Ich begann dunkel zu ahnen, was dort draußen mit dem Boot ans Ufer geschwemmt werden würde und schluckte.

Ich war sehr schnell angezogen. Ein Paar Jeans, Turnschuhe und ein Pullover. Die Sachen waren rasch übergestreift. Dann ging ich hinaus auf den Flur und überlegte einen Moment, ob ich Jim wecken sollte.

Aber ich entschied mich dagegen.

Was hätte ich ihm sagen sollen? Von meiner übersinnlichen Begabung wusste er nichts und das sollte auch in Zukunft so bleiben.

Das war ein Geheimnis zwischen Tante Milly und mir.

Ich hatte genug damit zu tun, mit dieser Gabe, die oft genug eher einem Fluch glich, zu leben. Die verständnislosen Fragen von Menschen, die sich nicht vorstellen können, was es bedeutet, zukünftige Ereignisse vorauszusehen, wollte ich nicht auch noch ertragen.

Ich ging also den Flur entlang, dann die Treppe hinunter.

Schnell durchquerte ich den Schankraum bis zur Tür.

Sie war abgeschlossen, aber der Schlüssel steckte von innen. Ich ging ins Freie. Draußen war es kühl. Eine Kälte, die wie ein Messer durch meinen Pullover schnitt und mich frösteln ließ. Eine Gänsehaut überzog meinen gesamten Körper.

Ich setzte zu einem kleinen Spurt in Richtung Seeufer an und hatte den steinigen Strand des Loch Maree dann innerhalb weniger Augenblicke erreicht. Man konnte nur wenige Dutzend Meter auf das Wasser hinausblicken, denn der undurchdringliche Nebel, der wie eine rauweiß geputzte Wand wirkte und breitete sich immer näher zum Ufer hin aus.

Das Boot war inzwischen auf Grund gelaufen.

Es lag am Strand und rührte sich nicht mehr.

Ich stand da und presste die Lippen aufeinander. Das Herz schlug mir bis zum Hals und ich fühlte mich wie gelähmt.

Einige schreckliche Augenblicke lang war ich unfähig, mich zu rühren. Wie eine Salzsäule stand ich da und starrte das Boot an.

Es bringt den Tod!

Dieser furchtbare Gedanke beherrschte mich.

Um hineinsehen zu können, musste ich mich noch ein paar Meter nähern. Doch ich zögerte. Ich fürchtete den Anblick des puren Grauens.

Da musst du durch, sagte eine Stimme in mir.

Vorsichtig näherte ich mich dann dem Boot.

Dann sah ich den Toten, der darin lag.

12

Einen Augenblick lang stand ich einfach nur fassungslos da und glaubte, mich vielleicht noch immer in einem Traum zu befinden. Einen Traum, aus dem es vielleicht noch ein Erwachen gab...

Aber dem war nicht so.

Dies war die Realität.

Ich erreichte nach einigen zögernden Schritten das Ruderboot und dessen Spitze, die sich ein paar Zentimeter ins Ufer gegraben hatte. Der Mann, der ausgestreckt im Inneren lag, war wohl ein Angler, der des Nachts hinausgefahren war.

Zumindest hatte er eine vollständige Ausrüstung dabei.

Allerdings war er wohl nicht mehr dazu gekommen, etwas zu fangen...

Ich umrundete das Boot. Der Untergrund war weich, ich sank etwas ein und bekam nasse Füße. Aber das kümmerte mich im Moment nicht. Auf der anderen Seite des Bootes sah ich seltsame Kratzer.

Sieben beinahe parallele Spuren, die sich fast einen halben Meter lang durch den Lack zogen, so als ob...

Eine riesige Pranke mit sieben Krallen, durchzuckte es mich.

"Guten Morgen!", sagte in meinem Rücken jemand. Ich zuckte zusammen und wirbelte herum. "Ich dachte eigentlich, dass ich der einzige bin, der um diese Zeit schon auf den Beinen ist!"

Es war Andrew Boland.

Sein Gesicht veränderte sich, als er auf den Toten sah.

"Oh, mein Gott", flüsterte er.

"Seit wann sind Sie schon hier draußen?", fragte ich.

In Bolands Gesicht zuckte es. Auf seiner Stirn bildeten sich ein paar Falten. Schließlich sagte er: "Seit etwa einer Stunde. Ich war in die andere Richtung unterwegs. So früh am Morgen lassen sich interessante Beobachtungen machen..."

"Sie haben nichts gesehen?"

"Was sollte ich gesehen haben?"

"Auf dem See, meine ich!"

"Sehen Sie den Nebel dort, Miss McAllister! Wie soll ich da etwas gesehen haben! Was soll die Fragerei überhaupt?"

Ich atmete tief durch.

"Entschuldigen Sie. Vermutlich sind wir beide etwas gereizt!"

"Wir müssen die Polizei rufen."

"Ja." Dann zeigte ich ihm die Kratzspuren. "Sie sind Biologe. Kennen Sie ein Tier, das solche Spuren verursachen könnte?" Er sah sie sich an und schüttelte dann den Kopf.

"Das könnte schon alt sein."

"Sieht mir nicht so aus", versetzte ich.

"Woher wollen Sie wissen, dass das ein Lebewesen war?"

"Können Sie es ausschließen, Mr. Boland?"

Er stemmte die Arme in die Hüften und sah mich nachdenklich an. "Wenn es so ist, dann handelt es sich um keine Spezies, die ich kenne." Bevor ich etwas sagen konnte, fuhr er bereits fort und hielt mir den Zeigefinger belehrend entgegen. "Hören Sie, ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Sie wollen hier ein Monster finden. Aber Sie werden vergeblich danach suchen - so wie man schon seit Generationen nach dem Ungeheuer von Loch Ness vergeblich fahndet!"

"Ich wollte nur eine Auskunft", erwiderte ich.

"Sie denken an den Siebenarmigen. Aber vergessen Sie nicht, dass das eine Sagengestalt ist! Ein Fabelwesen, über das man sich grausige Legenden erzählt - aber kein wirklich existierendes Wesen. Was weiß ich, womit der Kerl sein Boot zerkratzt hat! Vermutlich war er ungeschickt beim Beladen!"

Ich zuckte die Schultern.

"Sie werden es mir nicht glauben, ich hoffe wirklich, dass Sie recht haben", erwiderte ich.

Und das meinte ich so.

Denn eine sensationelle Zeitungsstory war für mich noch nie das Maß aller Dinge.

Obwohl ich Reporterin war.

Aber eine Sensation um der Sensation willen, das war nicht meine Sache. Und glücklicherweise war ich bei einer Zeitung angestellt, deren Chefredakteur in diesem Punkt dieselbe Auffassung vertrat.

13

Ich ging zum Gasthaus zurück, weckte Jim und rief dann per Handy die Kriminalpolizei in Dingwall und den örtlichen Notruf an.

Jim hatte Zeit genug, alles eingehend zu fotografieren, bevor die Polizei auftauchte.

"Es muss irgendwo dort draußen auf dem See passiert sein", murmelte ich vor mich hin.

"Ist es nicht genauso möglich, dass man den armen Kerl erst umgebracht hat, und er dann ins Boot gelegt wurde", gab Boland zu bedenken, der die ganze Zeit über bei dem Boot ausgeharrt hatte.

Der Nebel hüllte jetzt auch Teile des Strandes ein.

Die Sicht wurde immer schlechter.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die Kriminalpolizei aus Dingwall endlich eintraf. Zuvor erschien ein gemütlich wirkender Officer aus Achnasheen, der zwar sehr auskunftsfreudig war, aber leider nicht sehr gut informiert.

Mehr, als bereits in der Zeitung stand, wusste er auch nicht.

Irgendwann tauchte dann ein Gerichtsmediziner auf.

Etwas später traf ein Inspektor Gray von der Mordkommission zusammen mit einem Team des

Erkennungsdienstes ein. Gray war ein kleiner, untersetzter Mann mit breiten Schultern, der etwas gereizt wirkte. Seine bereits etwas schütteren Haare hatten einen deutlichen Rotstich.

Mit nachdenklichem Gesicht vernahm er erst Boland, dann mich und nahm die Personalien auf.

"Sonst ist Ihnen nichts aufgefallen?", vergewisserte er sich noch einmal.

"Ich hätte keinen Grund, es Ihnen zu verschweigen."

"Das hoffe ich", versetzte er kühl.

Ich ließ mich von seiner etwas abweisenden Art nicht beeindrucken und fragte: "Haben Sie schon irgendeine Spur, was diese Mordserie angeht?"

Er zuckte die Schultern.

"Das ist der eigenartigste Fall meiner Karriere", bekannte Gray und kratzte sich dabei am Kinn. "Leider tappen wir noch immer im Dunkeln. Ich nehme an, dass es sich um einen psychisch gestörten Täter handelt."

"Einen Menschen?", vergewisserte ich mich.

Er sah mich überrascht an. Dann lachte er heiser auf. "Ja, Ihnen wäre wahrscheinlich ein Ungeheuer lieber. Dann hätten Sie eine bessere Schlagzeile..."

Der Gerichtsmediziner winkte indessen Gray herbei. Ich folgte ihm, während Boland stehenblieb.

"Der Mann wurde erwürgt, das steht zweifelsfrei fest. Aber es gibt auch eigenartige Kratzspuren..."

"Wodurch könnten die verursacht worden sein?"

"Vielleicht durch ein Tier. Aber das ist alles Spekulation."

Jetzt rief einer der Erkennungsdienstleute, der nur als vager Umriss in einiger Entfernung zu sehen war, aus vollem Hals: "Heh Inspektor! Sehen Sie sich das mal an!"

"Was gibt es denn?", rief Gray und sah suchend in den dichter werdenden Nebel hinein.

"Spuren am Strand! Es sind die gleichen, die wir schon einmal gefunden haben... Mit sieben Krallen an jedem Fuß!"

Inspektor Gray seufzte und ging in den Nebel hinein auf seinen Kollegen zu. "Machen Sie Abdrücke davon", knurrte er.

Jim und ich folgten ihm.

Mit einiger Verzögerung kam auch Boland hinter uns her.

Und dann sahen wir sie in dem weichen Uferboden.

Riesengroß waren sie und unwillkürlich erfasste mich kaltes Grauen bei dem Anblick dieser unheimlichen Spur.

"Das müssen Fälschungen sein", hörte ich Boland kopfschüttelnd sagen. "Eine solche Spezies gibt es nicht."

"Es scheint aus dem See gekommen und an Land gegangen zu sein", stellte Jim indessen fest und deutete dabei auf den Verlauf der Spur. Dort, wo der Untergrund steiniger und härter wurde, verlor sie sich.

Jim ließ seine Kamera mehrfach hintereinander knipsen.

Ich ließ derweil den Blick schweifen.

Was war hier geschehen?, so fragte ich mich.

14

"Ja, es geschieht schon mal, dass man in den Tiefen eines Gewässers wie dem Loch Maree eine unbekannte Art entdeckt", gestand Andrew Boland beim Frühstück ein. "Ich selbst habe hier schon getaucht! Es ist eine faszinierende, urtümliche Welt dort unten. Aber ein Wesen dieser Größenordnung..." Er schüttelte den Kopf. "Das halte ich für ausgeschlossen. Und warum dann diese Morde?"

"Es hat sowohl Menschen als auch Tiere angefallen", gab ich zu bedenken.

"Aber es hat sie nicht gegessen", erwiderte Boland. "Tiere töten, um zu essen, einzig und allein der Mensch hat noch ganz andere Gründe, um vor allen Dingen seine eigenen Artgenossen umzubringen."

"Sie glauben also auch an einen Psychopathen", stellte ich fest.

Er zuckte die Achseln.

"Jedenfalls lassen sich solche Abdrücke leicht herstellen", erklärte er. "Und da es sich um Abdrücke handelt, bei denen die Zahl sieben eine gewisse Rolle spielt, würde ich den Täter unter diesen Okkultisten und Möchtegern-Magiern vermuten. Wer weiß schon, was für finstere Rituale in diesen Kreisen durchgeführt werden! Teuflische Beschwörungen, Anrufungen irgendwelcher Dämonen..." Er zögerte, bevor er weitersprach. "Auch Opferrituale... Sie sollten darüber besser Bescheid wissen als ich, Miss McAllister! Schließlich sind Sie die Journalistin und die Zeitungen sind heutzutage voll von derartigen Meldungen."

"Wissen Sie zufällig, wer zu diesen Leuten gehört?", erkundigte sich Jim.

"Ja", sagte Andrew Boland knapp.

Ich wollte gerade noch einmal nachhaken, da ging die Tür auf und eine Frau betrat den Schankraum des Kinlochewe Inns.

Sie trug ein lindgrünes Kleid von schlichter Eleganz das für diese Gegend entschieden zu vornehm war. Aber sie wusste sich perfekt darin zu bewegen. Ihr Blick war etwas verträumt. Sie trug das schwarze Haar in einem sportlichen Pagenschnitt und war alles in allem eine sehr grazile, hübsche Erscheinung.

Andrew Boland starrte die junge Frau entgeistert an und als diese ihn an unserem Frühstückstisch entdeckte, ging ein Lächeln über ihr feingeschnittenes, helles Gesicht.

Aber nicht nur Andrew starrte sie an.

Auch mein Blick wurde wie magnetisiert von ihr angezogen.

Ich schluckte, als ich sie erkannte.

Sie war niemand anderes, als die Frau, die ich im Traum gesehen hatte.

Andrew erhob sich von seinem Platz und ging ihr entgegen.

"Mara", entfuhr es ihm.

Das Lächeln stand noch immer in ihrem Gesicht. In ihren Augen blitzte es jetzt auf. "Andrew", begrüßte sie ihn. Er nahm sie in seine Arme und sie küssten sich.

Dann sah sie ihn verliebt an.

"Ich freue mich so, dich zu sehen, Andrew. Ich habe mich so nach dir gesehnt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie", hauchte sie ihm zu.

Andrew hatte jedoch die Stirn in Falten gelegt. Sein Blick drückte Zweifel aus. Eine Frage stand ihm im Gesicht geschrieben und einen Augenblick später sprach er sie auch auf. "Wo warst du gestern Abend?"

Sie legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen, lächelte so charmant sie es nur konnte und schüttelte dann mit formvollendeter Eleganz den Kopf.

"Nicht jetzt", flüsterte sie.

"Ich habe auf dich gewartet, Mara."

"Ich weiß..."

"Was ist geschehen?"

"Gar nichts, Andrew. Gar nichts."

"Mara..."

Sie fasste ihn am Arm, blickte kurz in unsere Richtung und fragte dann: "Möchtest du mich nicht deinen Freunden vorstellen, Andrew?"

"Ja, sofort."

"Sag mal, weißt du, was da draußen los ist?"

Andrew atmete tief durch.

"Es hat wieder einen Toten gegeben", erklärte er dann düster.

Ein Schatten schien über das Gesicht der jungen Frau zu fallen. Sie presste die Lippen aufeinander.

15

"Mara McMorn?", echote ich, nachdem sich die junge Frau an unseren Tisch gesetzt und wir uns vorgestellt hatten. "Sind Sie zufällig mit einem Hugh McMorn verwandt?“

Sie sah ich mit einem Gesicht an, das Verwunderung ausdrückte.

"Das bin ich", sagte sie. "Hugh ist mein Bruder."

"Ihr Bruder hat sich immer wieder mit okkulten Studien befasst. Ich habe einen Artikel von ihm gelesen und würde ihm dazu gerne ein paar Fragen stellen."

Mara zuckte die Schultern. "Versuchen Sie Ihr Glück. Unser Haus können Sie gar nicht verfehlen, wenn Sie einfach die Hauptstraße weiterfahren. Es liegt auf einer Anhöhe, direkt am See."

"Danke."

Mara beugte sich etwas vor. "Ich muss Sie allerdings warnen."

"Wovor?"

"Nun, mein Bruder ist nicht gerade ein geselliger Mensch - wenn Sie verstehen, was ich meine. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen, das, was er zum Inhalt seines Lebens gemacht hat, für reinen Unsinn halten und sich selbst durch Tatsachen nicht von dieser Meinung abbringen lassen..."

"Was mich betrifft, braucht er sich da keine Sorgen zu machen", versprach ich. Mara sah mich prüfend und hob dabei die Augenbrauen.

"Ach, nein?"

"Ich habe selbst schon Reportagen zu diese Themenbereich geschrieben."

"Oh, wie interessant..."

Jetzt kam Carson an unseren Tisch. Der Wirt des Kinlochewe Inns musterte uns nacheinander mit einem Blick voller Misstrauen. Besonders eingehend wandte er sich Mara zu.

"Hallo, Mr. Carson" sagte diese.

Carson räusperte sich verlegen und wandte dann kurzen Blick zu Andrew Boland hinüber, der neben Mara saß. "Ihrem Bruder wäre es sicher nicht recht, wenn er Sie hier zusammen mit..."

"Was mein Bruder dazu sagt, geht Sie überhaupt nichts an, Mr. Carson", erwiderte Mara mit einer Schärfe, die man ihr auf den Blick gar nicht zutraute.

Carson zuckte die Achseln.

"Ich meine ja nur..."

"Ich treffe mich, mit wem ich will. Und Hugh muss das endlich begreifen!" Sie lächelte Andrew verliebt an und ihr Gesichtsausdruck wurde wieder weich dabei. Andrew erwiderte dieses Lächeln.

Carson fragte indessen: "Möchte jemand von Ihnen noch etwas Tee?"

"Nein danke", sagte ich.

Und Jim fügte hinzu: "Sie werden Ihren Tee sicher noch den Polizisten los, die draußen bei der Arbeit sind!"

Carson nickte düster.

"Ja", meinte er. Sein Blick ging zum Fenster hinaus und dann meinte er in sich gekehrt: "Es ist schrecklich, wie unsere kleine Ortschaft gestraft wurde..." Und seine Stimme war brüchig dabei. Die Furcht, die in den Worten des Wirtes mitschwang, war nicht zu überhören.

Mara wandte sich indessen an mich. "Wollen Sie heute noch meinen Bruder besuchen?"

Ich nickte.

"Ich denke, wir brechen gleich auf, es sei denn hier bei der Untersuchung am Strand ergibt sich noch etwas Neues."

"Ich verstehe. Seien Sie doch bitte so nett und erwähnen Sie nicht, dass Sie mich gesehen haben."

"So ein Geheimnis?", fragte ich.

Sie schüttelte de Kopf.

"Er weiß, dass Andrew und ich uns lieben, auch wenn er es missbilligt. Und es gibt auch nichts, was er dagegen unternehmen könnte. Aber andererseits muss er sich ja nicht unnötig aufregen, finden Sie nicht?"

Ich zuckte die Achseln. "Wenn Sie meinen..."

Mara wandte sich an Andrew: "Lass uns in die Stadt fahren. Nach Dingwall zum Beispiel! Oder noch weiter! Etwas bummeln, ausgehen..."

Andrew zögerte einen Augenblick.

"Ich weiß nicht", sagte er. "Eigentlich wollte ich heute Wasserproben nehmen..."

"Das Wasser des Loch Maree ist seit der Eiszeit hier! Es wird auch noch da sein, wenn wir zurückkehren!" Sie sah ihn erwartungsvoll an. Ihre Augen leuchteten. Ihr Gesichtsausdruck war erfüllt von Liebe und Zärtlichkeit.

Sie strich ihm sanft über die Außenseite der Hand. "Komm", flüsterte sie.

"Also gut", sagte er.

"Dann lass uns keine Zeit verlieren." Sie stand auf und zog ihn mit sich.

"Meinst du nicht, ich sollte mir etwas Anständiges anziehen?"

Sie sah an ihm herab und lächelte. Andrews Sache waren praktisch aber nicht besonders fein.

"Okay", sagte sie. "Ich warte auf dich.“

Sie küsste ihn auf den Mund.

"Jedenfalls werde ich dich nicht versetzen", erwiderte er.

"Andrew, ich konnte nicht... Bist du wirklich beleidigt deswegen?"

Er schüttelte den Kopf.

"Nein", sagte er. "Das ist es auch gar nicht, sondern..."

"Lass uns später darüber reden, ja?"

Andrew atmete tief durch.

"Meinetwegen", murmelte er.

16

Wir warteten erst ab, bis wir sicher waren, dass sich am Tatort nichts mehr tun würde. Aber von Inspektor Gray und seinem Team waren im Moment keine neuen Erkenntnisse zu erwarten. Die Polizei stand dieser rätselhaften Mordserie mehr oder minder völlig ratlos gegenüber.

So machten wir uns schließlich zum Wohnsitz der McMorns auf.

Der Nebel hatte noch zugenommen, hatte sich im gesamten Tal festgesetzt und war inzwischen auch auf die etwas niedrigeren Anhöhen gestiegen. Man konnte kaum zwanzig Meter weit sehen und es war unter diesen Umständen alles andere als ein Kinderspiel, sich in dieser Gegend zu orientieren.

Jim saß am Steuer des Land Rovers, während ich hinaus in die nebelverhangene, urtümlich wirkende Landschaft blickte.

"Ich schätze, das wird einer der Fälle sein, die am Ende in den Annalen als Kuriositäten geführt, aber nie aufgeklärt werden", meinte er irgendwann einmal, als wir schon ein paar Meilen auf der Hauptstraße gen Westen hinter uns gebracht hatten.

"Das will ich nicht hoffen", erwiderte ich.

Die Hauptstraße, die zuvor am See entlanggeführt hatte, ging jetzt steil bergauf. Jim fuhr sehr langsam, denn an den Seiten gab es gefährliche Abbrüche und der Verlauf der Fahrbahn war im Nebel kaum auszumachen.

Immer steiler ging es bergauf.

Bei klarem Wetter hatte man von hier aus sicher eine fantastische Aussicht über den See. Jetzt war dort nichts weiter als ein graues Nichts aus wabernden Nebelschwaden.

Ein formloses Chaos, in dem sich immer neue, geisterhaften Gestalten zu bilden schienen.

Und dann tauchte vor uns ein dunkler Schatten auf, der sich in die grauen, abweisend wirkenden Mauern eines Landhauses verwandelten, als wir uns weiter näherten. Es war zweistöckig und dem viktorianischen Stil nachempfunden. Seitwärts befand sich ein sehr viel kleineres Nebengebäude, von dem anzunehmen war, das es jetzt als Garage oder Abstellraum diente.

"Das muss es sein!", meinte Jim und parkte den Wagen. Wir stiegen aus.

Ich fror etwas und rieb die Hände gegeneinander.

Das graue Gemäuer vor mir wirkte einschüchternd. Moos wuchs an den großen, quaderförmigen Steinen empor und hatte sich insbesondere in Fugen festgesetzt.

"Scheint so, als hätte dieses Haus schon bessere Tage gesehen", meinte Jim.

"Allerdings..."

Ich sah mich etwas um. Das Landhaus stand auf einer Art Plateau, hoch über dem See gelegen. Ein steiler Weg führte hinab zum Wasser und verlor sich im Nebel. Möwen kreischten.

Aber es es war nirgends etwas von ihnen zu sehen.

Wir gingen zum Eingang, einer großen, dunklen zweiflügligen Tür, deren Lackierung wohl schon Jahrzehnte zurücklag.

Unübersehbar nagte das Alter an diesem Haus. Der Besitz eines Mannes, dem andere Dinge wichtiger sind, ging es mir durch den Kopf.

Zudem waren seine Buchtantiemen und die Honorare für Artikel sicher weit weniger einträglich, als es seinerzeit das Gehalt eines Professors gewesen war.

Es gab keine Klingel an der Tür und so klopfte Jim dagegen.

Als keine Reaktion erfolgte, versuchte er es ein zweites Mal kräftiger.

"Heh, Sie!", krächzte eine ziemlich unfreundliche Stimme von der Seite.

Aus dem Nebengebäude war ein etwas gebeugt gehender Mann aufgetaucht.

Er war hager und so um die fünfzig. Sein kariertes Jackett hatte Lederflicken an den Ärmeln. Auf dem Kopf trug er eine graue Schiebermütze.

Er bedachte uns mit einem misstrauischen Blick und kam näher. Sein Gang wirkte dabei irgendwie schleppend. Er zog das rechte Bein ein wenig nach.

Ich wandte mich ihm zu und erklärte: "Wir wollen zu Mr. Hugh McMorn. Dies ist doch sein Haus..."

Der Mann nickte.

"Das ist richtig", knurrte er. Und was wollen Sie von ihm?"

"Das möchten wir ihm schon gerne selbst sagen."

"Hm", knurrte er. Sein Blick blieb einige Augenblicke lang an Jims zerschlissenen Jeans hängen. Offensichtlich missbilligte er solche Kleidung, enthielt sich aber eines Kommentars

Er atmete tief durch.

"Mein Name ist Slater. Ich kümmere mich ein wenig um Mr. McMorn und arbeitete als Mädchen für alles hier auf seinem Besitz... Sie können mir ruhig sagen, worum es geht.“ Er machte die Augen schmal und hielt mir dann seinen knorrigen Zeigefinger entgegen. "Und Sie beide müssen diese Journalisten aus London sein..."

Carsons Gasthaus schien eine gute Informationsbörse zu sein, ging es mir etwas ärgerlich durch den Kopf. Immerhin war Kinlochewe ein wirklich kleines Nest, da machten Neuigkeiten eben schnell die Runde.

"Jessica McAllister vom London City Observer", stellte ich mich vor. "Und dies ist mein Kollege Jim Barry. Er ist für die Bilder verantwortlich."

"Ah, ja", murmelte er.

"Ich bin hier, um mit Mr. McMorn über einen seiner Artikel zu sprechen..."

"Fragt sich nur, ob Mr. McMorn auch mit Ihnen sprechen will, Miss McAllister!"

"Ist er im Haus?"

"Das ist er. Aber Hugh McMorn lebt sehr zurückgezogen und die Tatsache, dass er zu Hause ist, ist für ihn noch lange kein Anlass, auch Besucher zu empfangen."

"Vielleicht könnten Sie..."

"Was?", unterbrach er mich scharf.

Er sah mich mit einem durchdringenden Blick an.

"Wie wäre es, wenn Sie Mr. McMorn Bescheid sagen, und ihm unser Anliegen vortragen?"

Slater lachte heiser auf.

"Mr. McMorn liebt solche Überraschungen nicht. Wenn Sie ihn besuchen wollen, dann melden Sie sich frühzeitig bei ihm an an. Schreiben Sie ihm am besten!"

"Das soll wohl ein Witz sein!"

"Sehen Sie, vielleicht schläft er jetzt. Er arbeitet oft die Nächte durch und forscht in den eigenartigen Schriften, mit denen er sich befasst... Ich werde den Teufel tun und ihn womöglich aus dem Tiefschlaf wecken!"

"Aber, Mr. Slater, wir sind eigens aus London hier her gekommen!"

"Ach, tun Sie nicht so! Sie sind wegen der Mordfälle hier! Und aus keinem anderen Grund! Ich habe mit Carson gesprochen!"

In diesem Moment ging im Obergeschoss ein Fenster auf.

Wir blickten hinauf und ich sah das Gesicht von Hugh McMorn. Das Bild, das ich von ihm in der Zeitung gesehen hatte, gab nur unzureichend die Ausdruckskraft seiner Züge wieder. Der Blick seiner Augen hatte eine beinahe beängstigende Intensität. Der schwarze Bart und das dunkle Haar gaben ihm etwas Düsteres.

McMorn hatte die Augen zusammengezogen.

Ärger stand ihm im Gesicht geschrieben.

"Slater! Was ist das für ein Krach hier!"

Slater zuckte die Achseln und wirkte sehr unterwürfig, als er erwiderte: "Tut mir leid, Mr. McMorn! Aber hier sind zwei junge Journalisten, die sich einfach nicht abweisen lassen."

McMorn musterte zunächst Jim, dann blieb sein geradezu hypnotisch wirkender Blick an mir hängen.

Ich erwiderte diesen Blick. Und einen Moment lang herrschte Schweigen. Seine Stirn glättete sich wieder etwas.

"Kommen Sie ein anderes Mal wieder!", sagte er dann knapp und wollte das Fenster zuschlagen.

"Warte Sie, Mr. McMorn!" rief ich. "Es geht um den Artikel, den Sie über den Siebenarmigen geschrieben haben... Ich hätte Sie dazu gerne einige Dinge gefragt!"

McMorn hielt mitten in der Bewegung inne. Mit dem rechten Arm stützte er sich dann auf die Fensterbank. Wieder traf mich einer seiner intensiven Blicke. Ich musste unwillkürlich schlucken.

Ein eigenartiges Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Ein Gefühl, von dem ich nicht sicher sagen konnte, ob es positiv oder negativ war. Faszination mischte sich mit Unbehagen.

Und dann fühlte ich, wie mich etwas berührte.

Nicht meinen Körper, sondern mein Inneres. Ganz kurz nur, aber ich war mir sicher, die Anwesenheit eines anderen gespürt zu haben...

Ich hatte derartige Erlebnisse bereits früher gehabt und wusste, was sie unter Umständen bedeuteten.

Hugh McMorn verfügte über eine - wenn auch vielleicht nur minimale - übersinnliche Begabung, so wie ich selbst.

Wir sahen uns an und mir war in diesem Moment vollkommen klar, dass er dasselbe über mich dachte.

"Machen Sie die Tür auf, Slater!", sagte er dann mit einem scharfen Ruck seines Kopfes.

"Was?"

Slater glaubte, sich verhört zu haben.

"Nun machen Sie schon! Und führen Sie meine Gäste in den Salon! Bieten Sie ihnen was an." Und an mich gewandt meinte er dann: "Ich werde Sie empfangen, Miss..."

"Jessica McAllister."

"Miss McAllister..." Ein Lächeln ging über ein Gesicht. Ein Lächeln, das mir einen Schauder über den Rücken jagte, denn etwas Zwielichtiges, Teuflisches schien darin zu liegen. Ein düsteres Geheimnis... Seine Augen blitzten. "Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Fragen zu beantworten!", behauptete er mit dunklem Timbre.

17

Wir wurden durch eine recht weiträumige Eingangshalle geführt, deren hohe Wände mit großformatigen Ölbildern behängt waren. Die Motive waren nicht besonders abwechslungsreich. Es waren Landschaftsbilder, die allesamt die Umgebung von Loch Maree und die einzigartige Landschaft der Highlands zeigten.

Nebelverhangene Berggipfel und tosende Stürme auf dem See.

Dazu allerlei Wesen aus der Fabelwelt dieser Gegend.

Krummnasige Hexen, Druiden bei der Durchführung von Zauberritualen und...

Auf einer der Gemälde hatte sich ein Künstler auch daran versucht, den Siebenarmigen darzustellen. Allerdings war er bei seiner Darstellung nicht sehr ins Detail gegangen. Eine schattenhafte Gestalt, die auf zwei Beinen ging und auf der einen Körperseite drei lang herunterhängende Arme und auf der anderen vier besaß. An jeder dieser Hände befanden sich sieben krallenbewehrte Finger. Dasselbe galt für die Füße...

Und dann waren da diese katzenhaften Augen, die wie Edelsteine zu funkeln schienen...

Ich sah auf die Signatur dieses Bildes und war etwas überrascht.

H.Mc. stand dort in ungelenken Buchstaben - wie Hugh McMorn!

"Kommen Sie", forderte Slater mich auf, nachdem er bemerkt hatte, dass ich stehengeblieben war.

Ich nickte nur und folgte ihm.

Slater führte uns dann in einen Salon mit hohen Fenstern.

Auch hier hing alles voller Gemälde. Romantische Landschaftsbilder mit zum Teil recht grässlichen Fabeltieren, deren fratzenhafte Gesichter wie Sinnbilder des Schreckens wirkten.

Ich trat an eines dieser Werke näher heran und entdeckte auch dort McMorns Signatur.

"Mr. McMorn betätigt sich auch als Künstler?", fragte ich an Slater gewandt.

Slater sandte mir einen schiefen Blick zu. Ein Muskel zuckte unruhig in seinem Gesicht. "Zuweilen tut er das", knurrte er dann. "Er ist ein vielseitig interessierter Mensch..."

"Das sehe ich."

"Möchten Sie beide einen Drink?"

"Gerne", sagte Jim.

"Ich ebenfalls", sagte ich.

Slater nickte zufrieden. "Mr. McMorn wird Sie sicher gleich empfangen", erklärte er.

18

Hugh McMorn ließ sich dabei allerdings einige Zeit. Slater servierte uns einen Drink, verschwand danach aber sofort wieder. Er schien nicht daran interessiert zu sein, uns Gesellschaft zu leisten, was ich auf gewisse Weise auch verstehen konnte. Schließlich wusste er durch Carson schon so gut wie alles über uns.

"Ein Haus am Ende der Welt", meinte Jim, während er am Fenster stand und hinausblickte. "Also mein Fall wäre das nicht. Ich brauche den Trubel der Großstadt."

"Vielleicht denkst du in zehn oder zwanzig Jahren anders darüber!", gab ich zu bedenken.

Er lachte.

"So lange plane ich nicht im Voraus." Jim sah auf die Uhr.

"Unser Freund scheint der Meinung zu sein, dass ein Exzentriker sich alles leisten kann..."

"So genau nimmst du es doch auch nicht immer", erwiderte ich.

"Womit?"

"Mit der Pünktlichkeit."

Jim lag noch eine Erwiderung auf der Zunge, aber er schluckte sie hinunter, als in diesem Moment sich die Tür öffnete und die hochgewachsene, imposant wirkende Gestalt Hugh McMorns den Raum betrat. Er war konservativ gekleidet und trug einen dunklen, doppelreihigen Anzug. Der einzige Farbtupfer war die Krawatte, die in einem dezent leuchtenden Blau schimmerte. Als er uns zuvor aus dem Fenster heraus angesprochen hatte, hatte er nur ein Hemd und einen Pullover getragen. Offenbar hatte er sich extra für uns umgezogen.

Ich beschloss, dass es nicht lohnte, über die Marotten dieses Exzentrikers sich weiter den Kopf zu zerbrechen.

Statt dessen wollte ich lieber die Gelegenheit nutzen, und ihm ein paar Fragen stellen.

Fragen über den Siebenarmigen...

"Miss McAllister!", sagte er und und gab mir die Hand. Ich stellte ihm Jim vor, den er höflich, wenn auch etwas steif begrüßte.

Dann wandte er sich wieder mir zu. Unsere Blicke verschmolzen miteinander und ich sah das Flackern in seinen Augen.

Ein Flackern, das mich beunruhigte.

"Es freut mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss McAllister."

"Ganz meinerseits..."

Und wieder hatte ich das Gefühl, dass etwas mein Inneres berührte. Ganz leicht nur, aber es war deutlich spürbar.

McMorn lächelte freundlich. Aber da blieb immer etwas zwiespältiges in seinen Zügen. Etwas Geheimnisvolles, nicht zu ergründendes.

"So, Sie haben einen Artikel von mir gelesen?"

"Ja..."

"Der muss schon etwas älter sein, denn ich arbeite schon seit längerem nicht mehr für die Presse..."

"Das ist richtig. Es geht in dem Artikel um die Legende des Siebenarmigen..."

Sein Gesicht erstarrte zu Eis. Das Lächeln gefror, während der Blick beinahe stechend wurde. "Ich verstehe", sagte er.

"Und jetzt, nach den Morden, die uns in Kinnlochewe heimsuchen, haben Sie den alten Fetzen Papier ausgegraben, um sich daraus selbst eine Story zusammenzubasteln!"

"Nein!", widersprach ich.

McMorn mache eine wegwerfende Geste.

"Das ist nicht böse gemeint, Miss McAllister..."

"Aber..."

"Tun das nicht alle so in diesem schmutzigen Pressegewerbe?"

"Ich nicht!", erklärte ich. "Im übrigen ist es auch kein schmutziges Gewerbe!"

"Ach, nein? Worum geht es denn dann bei Leuten wie Ihnen in erster Linie? Doch um die Sensation und die Auflage!"

"Mir geht es um die Wahrheit", sagte ich im Brustton tiefster Überzeugung.

Er sah mich an.

Sein Blick war nachdenklich geworden.

Dann atmete er tief durch und sagte in gedämpftem, versöhnlicher klingenden Tonfall: "Darum ging es mir auch immer. Um die Wahrheit. Die Wahrheit, die hinter den sichtbaren Dingen steht. Das Verborgene, das nicht zu messen und nicht zu erklären ist..."

"Und deswegen haben Sie Ihre Tätigkeit als Wissenschaftler aufgegeben?"

"Oh, Wissenschaftler bin ich nach wie vor! Nur nicht auf die Art und Weise, wie man sich das in Universitätskreisen vorstellt! Mit diesem begrenzten Horizont, der ganze Bereiche des Daseins und der Erkenntnis einfach ausspart!"

Seine Stimme vibrierte vor innerer Erregung bei diese Thema.

Dann sagte er schließlich: "Aber ich will nicht weiter darüber reden... Zu tief sitzen die Verletzungen!"

"Dann reden wir über die Morde, die sich hier in letzter Zeit ereignen!", forderte ich.

"Sie kommen immer gerne schnell zur Sache, nicht wahr, Miss McAllister?"

"Manchmal darf man keine Zeit verlieren", erklärte ich ihm.

Er zuckte die Schultern. "Zeit - das ist eine Illusion des Menschen, Miss McAllister! Wenn Sie länger an einem Ort wie dem Loch Maree leben würden, würden Sie das begreifen..."

"Möglich..."

Wieder traf mich sein Blick mit geradezu hypnotischer Kraft. Ich erschauerte unter der Energie, die von diesem Mann ausging. Einer besondere Art von geistiger Energie, die ich nicht erklären, sondern nur spüren konnte.

"Was ist nun mit den Morden?" Es war Jim. Er sprach mit einem etwas nörgelnden Unterton. Offenbar war er wegen der dauernden Abschweifungen des Okkultisten etwas ungeduldig geworden.

Hugh McMorn verharrte noch einen Moment schweigend, den Blick starr auf mich gerichtet.

Dann drehte er leicht den Kopf.

Ein dünnes Lächeln spielte um seine Lippen.

"Ich habe keine Ahnung, was dahintersteckt, Mr. Barry. Vermutlich weiß die Polizei mehr darüber..."

"Aber diese Morde hängen doch irgendwie mit der Legende vom Siebenarmigen zusammen!", erklärte ich."Diesem Dämon, der laut Ihrem Artikel alle 777 Jahre beschworen werden kann..."

"Es hat den Anschein, Miss McAllister."

"Was sagen Sie zu den Fußspuren, die man gefunden hat?"

"Nun, ein Beweis sind die nicht..."

"Glauben Sie, dass der Siebenarmige wirklich existiert?"

Seine Augen wurde schmal. Er zögerte etwas, bevor er zu sprechen begann. Dann sagte er schließlich: "Ich bin überzeugt davon."

"Hat in der Vergangenheit schon einmal jemand versucht, den Siebenarmigen zu beschwören?"

"Es gibt Legenden darüber. Im Jahre 1220 soll es ein irischer Mönch versucht haben, der hier her kam, um einen neuen Orden zu gründen.... Er hieß Seamus."

"Ist es ihm gelungen, den Siebenarmigen zu beschwören?"

McMorn nickte. "Zumindest den alten Schriften nach, die darüber bis heute noch erhalten sind... Seamus wollte diese Macht, die der Siebenarmigen darstellt, sich Untertan machen. Er war kein böser Mensch. Er wollte die Kraft des Bösen für das Gute einsetzen..." McMorns Blick wirkte auf einmal sehr in sich gekehrt, so als würde ihm die Geschichte um Seamus sehr nahe gehen.

"Was ist geschehen?", fragte ich.

"Der Siebenarmige entglitt der Kontrolle seines Meisters. Er zog mordend durch diese Gegend und sorgte für Tod und Schrecken. Der arme irische Mönch hatte wahrscheinlich nicht die nötige geistige Kraft, um diese Macht unter seinen Willen zwingen zu können..."

"Seit damals sind genau 777 Jahre vergangen!", erklärte ich.

"Legenden enthalten oft besondere Zahlen..."

"Was, wenn in diesen Tagen jemand dasselbe versucht hätte, wie jener Mönch im Jahre 1220?"

McMorn lächelte kühl.

"Eine hypothetische Frage, nicht wahr?"

"Es gibt hier Gruppen von Okkultisten, die des Nachts eigenartige Rituale durchführen...."

"Wer sagt das?"

"Mr. Boland zum Beispiel. Er hat diese Leute beobachtet, wie sie mit ihren Booten hinaus auf den See fahren."

"Hat er noch mehr dazu gesagt?"

"Nein."

McMorn atmete tief durch. Er schien fast so etwas wie erleichtert zu sein. "Ich denke, dass Mr. Boland einem Trugschluss aufgesessen ist. Es gibt Angler und Fischer, die des Nachts hinausfahren... Im Übrigen ist das auch nicht ungefährlich. Schließlich kann man bei Dunkelheit leicht die Orientierung verlieren. Alle Ufer sehen dann gleich aus. Und wenn sich dann das Wetter ändert..."

McMorn trat auf mich zu. Überraschenderweise fasste er mich bei den Oberarmen. Sein Blick hielt mich in seinem Bann...

"Jessica McAllister war Ihr Name..."

"Ja."

"Ich habe auch von Ihnen schon Artikel gelesen, die hiesige Zeitungen aus dem London City Observer übernommen haben. Sie befassen sich häufig mit Themen des Übersinnlichen."

"Das ist richtig."

Er fasste mich so fest, dass es beinahe schmerzte.

"Dann wissen Sie, dass in vielen von uns eine Kraft steckt, die stärker ist als alles, was Maschinen ausrichten können. Eine Kraft des Geistes, derer sich die meisten die sie besitzen gar nicht bewusst sind..."

Er ließ mich los.

"Sie sprechen von übersinnlichen Kräften", stellte ich fest.

"Ich sehe, dass wir uns verstehen, Miss McAllister. Und ich wusste es von Anfang an..."

"Was?"

"Sie sind etwas Besonderes. Irgendwann werden Sie das erkennen - wenn Sie es nicht schon längst wissen."

Ich sah ihn mit verständnislosem Gesicht an.

In diesem Moment betrat Slater den Raum.

"Sir, es ist Zeit! Wir müssen fahren!"

"Einen Moment!", forderte McMorn. Er sah mich an. Sein Gesicht wurde etwas weicher. "Mr. Slater und ich haben einen wichtigen Termin, sonst würde ich mich mit Ihnen jetzt gerne weiter unterhalten. Was halten Sie davon, wenn Sie heute gegen acht zum Diner kommen?"

"Gerne", sagte ich.

"Gut. Ich freue mich, Sie dann wiederzusehen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden..."

"Natürlich."

Ich nahm meine Handtasche.

Zusammen mit Jim ging ich zur Tür. Slater bedachte uns mit einem finsteren Blick. bevor wir hinausgingen, drehte ich mich noch einmal zu McMorn um und meinte: "Von dem Toten, der heute Morgen an den Strand des Loch Maree gespült wurde, werden Sie sicher schon gehört haben, nicht wahr?"

McMorns Gesicht verdüsterte sich.

"Natürlich!", brummte er.

"Glauben Sie, dass es der letzte in dieser Serie war?"

"Ich weiß nicht, was diese Frage soll, Miss McAllister!"

Der letzte Blick, mit dem er mich bedachte, war nicht zu deuten.

Aber das unangenehme Gefühl in der Magengegend war wieder da.

"Auf Wiedersehen", sagte ich.

"Bis heute Abend, Miss McAllister!"

19

"Warum halten wir uns eigentlich so lange mit diesem Kerl auf?", fragte Jim, nachdem wir wieder den Land Rover bestiegen und uns auf den Rückweg gemacht hatten. Am liebsten wäre ich McMorn jetzt gefolgt, um zu erfahren, mit wem er sich jetzt so dringend treffen musste.

Aber das wäre zu auffällig gewesen.

"Ich bin der Überzeugung, dass er irgendetwas mit dieser Sache zu tun hat. Zumindest weiß er entschieden mehr, als er zugibt!"

"Und wie kommst du darauf?"

"Jim! Ein Okkultist, der mit einem derartigen Enthusiasmus von den alten Legenden über den Siebenarmigen spricht und dann plötzlich sehr einsilbig wird, wenn es um die Vorgänge der letzten Zeit geht? Und das, obwohl es doch ganz den Anschein hat, als ob einiges aus den Legenden wahr geworden ist..."

"Du glaubst an dieses Wesen, Jessica?"

Ich seufzte und ließ die Frage unbeantwortet.

Ich wusste nicht, was ich darauf hätte sagen sollen. Aber ich hatte das Gefühl, dass mit McMorn etwas nicht stimmte.

"Zumindest hat er dich angesehen, als wollte er dich gleich verschlingen", stellte Jim fest.

"Ach, Jim!"

"Das ist die Wahrheit. Mir schien er geradezu fasziniert von dir zu sein..."

"Du übertreibst!"

"Tu nicht so, Jessi! Du weißt, dass es wahr ist!"

Er hatte recht.

Allerdings wusste ich nicht, ob es wirklich nur meine Anziehungskraft als Frau war, die McMorn faszinierte, oder vielleicht etwas ganz anderes. Die Tatsache meiner leichten übersinnlichen Begabung zum Beispiel...

Aber davon wollte ich Jim gegenüber kein Wort sagen.

Vielleicht werde ich heute Abend mehr erfahren!, ging es mir durch den Kopf.

"Was machen wir jetzt?", fragte Jim.

Ich zuckte die Schultern.

"In der Gegend herumfahren und Leute befragen", schlug ich vor.

"Wenn die alle so auskunftsfreudig sind wie die, mit denen wir es bisher zu tun hatten, können wir einpacken!", meinte Jim dann seufzend.

20

Andrew Boland und Mara McMorn hatten einen herrlichen Tag zusammen erlebt. Sie waren nach Dingwall gefahren, etwas durch die Stadt gebummelt und dann in ein vornehmes Restaurant zum Essen gegangen.

Es war ein wunderschöner Tag gewesen.

Und jetzt befanden sie sich auf dem Rückweg nach Kinlochewe am Loch Maree. Und je weiter sie sich diesem düsteren, nebelverhangenen Gewässer näherten, desto mehr veränderte sich Maras Stimmung.

In Dingwall hatte die Sonne geschienen und Mara war eine ausgelassene junge Frau gewesen, die diesen wunderschönen Tag und das Zusammensein mit Andrew einfach nur genossen hatte.

Sie hatte gescherzt und gelacht und sich voller Leidenschaft geküsst.

"Sag, dass du mich liebst!", hatte Mara immer wieder gefordert und ihn dabei auf eine Art und Weise angesehen, die ihn geradezu verzauberte.

"Ich liebe dich Mara!", hatte er immer wieder darauf geantwortet und dabei in ihre warmen Augen geschaut, die ihn mit ihrer ganz besonderen Magie fesselten.

Kein einziger Augenblick war von Disharmonie geprägt gewesen.

Aber jetzt, je näher sie dem nebelverhangenen Loch Maree kamen, desto mehr schien Maras zartes Gesicht zu verändern.

Die Farbe war aus ihm gewichen und ihr Blick wurde traurig und in sich gekehrt. Sie saß neben ihm im Wagen und blickte hinaus in den Nebel.

"Mara...", sagte er.

Sie antwortete nicht, schien nicht gehört zu haben, dass er etwas gesagt hatte.

"Mara, was ist?"

Sie wandte jetzt den Kopf. Ihr Lächeln war matt und nur noch ein Schatten jenes Gesichtsausdrucks voller Temperament, Charme und Leidenschaft, der ihn noch vor kurzem so beeindruckt hatte.

"Nichts, Andrew..."

"Aber, du..."

"Ich glaube, ich bin einfach nur ein wenig müde."

"Es ist noch früh."

"Ja, ich weiß."

"Mara - ist wirklich alles in Ordnung? Du bist so blass!"

"Sicher!"

"Wenn du es sagst."

Zweifel nagten in seinem Inneren. Manchmal verstand Andrew diese Frau einfach nicht. Sie liebten sich, aber da war etwas von ihrem Innersten, das sie stets vor ihm verborgen hielt.

Ein Geheimnis, über das sie nicht reden wollte. Aber Andrew konnte ihr ansehen, dass da etwas war.

Etwas, das Mara belastete und quälte.

Und Andrew hätte so gerne geholfen, sie so gerne erlöst...

Sie selbst war es, die das verhinderte. Es tat ihm weh, wenn er sie in dieser Verfassung sah...

Sie strich ihm über den Unterarm. Dann, als sie nach vorne blickte, runzelte sie die Stirn. "Wo fährst du eigentlich hin, Andrew? Das ist doch nicht der Weg nach Kinnlochewe!"

Er lächelte.

"Ein Umweg!"

"Andrew...", sagte sie mit einem tadelnden Unterton.

"Ich dachte mir, wir machen noch einen kleinen Spaziergang am See. Es gibt da eine sehr romantische Stelle... Sehr einsam. Niemand, der uns stört..."

Ein Lächeln glitt über Maras Gesicht.

"... und niemand, der uns beobachtet und anschließend alles brühwarm meinem ach so besorgten Bruder unter die Nase reibt!"

"Du sagst es."

Das war ein anderes Kapitel, das Andrew nicht wirklich verstehen konnte. Die Beziehung zwischen Mara und ihrem Bruder. Was hielt diese junge Frau bei dem eigenartigen Exzentriker? Warum hatte Hugh McMorn einen derart starken Einfluss auf seine Schwester? Ein Einfluss, der Andrew über jedes natürliche Maß hinauszugehen schien...

Manchmal schien sie ihm eine Gefangene zu sein, von unsichtbaren Fesseln gehalten...

"Das Wetter ist nicht gerade besonders einladend!", meinte Mara und Andrew hatte schon Sorge, dass sie jetzt einen Rückzieher machen und darauf bestehen würde, zu ihrem Bruder zurückzukehren.

"Der Ort, den ich im Auge habe, ist auch bei diesem Wetter romantisch, Mara."

"Okay", sagte sie.

Und dann tauchte vor ihnen der nebelverhangene See auf. Den ganzen Tag hatte sich der Dunst nicht aufgelöst, was er ansonsten meist bis zum Mittag tat.

Loch Maree - ein einziges Geheimnis. So mysteriös und unergründlich wie die Augen von Mara McMorn!, ging es Andrew durch den Kopf.

21

Sie mussten den Wagen bereits in einiger Entfernung zum Seeufer abstellen. Der steile Weg, der zum Strand führte, war selbst für Wanderer schon nicht ganz einfach zu passieren. Andrew nahm Mara bei der Hand.

Behutsam führte er sie hinab und als sie dann unten angekommen waren, umarmte sie ihn.

Ihre schlanken Arme schlangen sich um seinen Nacken. Ihre Hände strichen über das Haar an seinem Hinterkopf.

"Ich bin so froh, dass wir uns begegnet sind", sagte er atemlos.

"Andrew..."

"Ich könnte mir ein Leben ohne dich schon beinahe gar nicht mehr vorstellen, Mara."

"Sch...", machte sie.

"Es ist die Wahrheit!"

"Nicht reden, Andrew!"

"Mara..."

Sie verschloss ihm die Lippen mit einem Kuss voller Leidenschaft und er presste sie dabei mit seinen starken Armen an sich.

Dann legte sie ihren Kopf an seine breite Schulter und sie hielten sich eine ganze Weile schweigend fest. Sie spürte seinen Herzschlag und er den ihren. Ein Gefühl inniger Verbundenheit durchströmte sie beide.

Die ganze Zeit schon hatte Andrew ihr etwas sagen wollen.

Etwas, dass sie schon längst hätten besprechen sollen. Aber er hatte immer ein wenig Furcht davor gehabt, damit zu beginnen...

Furcht davor, damit vielleicht alles zu zerstören. Und so rang er auch in diesem Moment mit sich, während sein Blick über die Wasseroberfläche des nahen Sees glitt, von der nur wenige Meter zu sehen waren. Der Rest war von Nebel verhüllt...

"Mara", begann er dann.

Sie sah ihn an. Verliebtheit leuchtete in ihre Augen und Andrew zögerte erneut.

Wie er schon so oft gezögert hatte.

"Mara, ich muss etwas mit dir besprechen."

"Nicht jetzt, Andrew. Es ist so schön hier, mit dir zusammen..."

"Mara..."

"Ich bin glücklich, weißt du das?"

Er sah sie an und versuchte in ihren Augen zu lesen, diesen Fenstern zur Seele wie man sagt. Aber so sehr er auch versuchte, durch diese Fenster in ihr Inneres zu dringen, es wollte ihm einfach nicht gelingen.

"Mara, meine Forschungstätigkeit hier ist im Grunde genommen zu Ende. Ich werde in der nächsten Zeit abreisen. Ich habe den Zeitpunkt schon so weit wie möglich hinausgezögert, aber, das geht nicht endlos so weiter..."

Sie sah ihn an.

"Andrew..."

Ihr Gesicht veränderte sich.

Ein Schatten breitete sich über ihre feingeschnittenen, hübschen Züge aus.

"Was hältst du davon, wenn wir zusammen weggehen, Mara."

"Weggehen?", echote sie.

"Ja. Und ein neues Leben beginnen. Zusammen."

"Oh, Andrew..."

Sie sah ihn. Tränen glitzerten in ihre Augen.

"Ich liebe dich, Mara. Ich möchte, dass du meine Frau wirst und wir unser Leben zusammen teilen!"

"Ich liebe dich auch!", erwiderte sie. Ihre Stimme war brüchig. Qual stand in ihrem Gesicht. Eine Qual, deren Ursache Andrew nicht verstand.

"Was ist los?", fragte er.

"Ich kann nicht!", sagte sie.

Er schüttelte verständnislos den Kopf und fasste sie bei den Schultern.

"Was kannst du nicht?", rief er.

"Von hier weggehen! Es geht nicht. Ich würde es so gerne und du bist ein Mann, wie man ihn sich nur wünschen kann, aber..."

"Ich verstehe dich nicht!", erwiderte Andrew.

"Wir haben doch schon einmal darüber gesprochen, Andrew!"

Er versuchte sich zu erinnern. Dann sagte er: "Wir haben allgemein darüber gesprochen..."

"...ob ich mir ein Leben irgendwo anders vorstellen könnte, ja!"

Andrew stand die Szene wieder vor Augen. Mara hatte mit in sich gekehrtem Blick, fast in Trance gesagt: "Ich werde Kinlochewe nie verlassen, Andrew. Auch wenn ich mir oft nichts sehnlicher wünsche, als diesem düsteren See und das finstere Haus meines Bruders für immer den Rücken zu kehren."

Sie blickte ihn an.

Ihre Augen waren tränenverschleiert.

"Du hast es nicht wirklich ernstgenommen, was ich damals gesagt habe, nicht wahr?", fragte sie.

Andrew schluckte.

Das hatte er tatsächlich nicht. Er hatte geglaubt - oder besser: gehofft - dass es nur einer plötzlichen melancholischen Laune entsprungen war.

Er drückte ihre Hände.

"Was sind das für unsichtbare Ketten, die dich an deinen Bruder und an diesen See fesseln, Mara?"

"Ach, du würdest das nicht verstehen!"

"Hast du je versucht, es mir zu erklären?"

"Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich es selbst wirklich begreife... Es ist einfach so!"

Andrews Stimme klang jetzt beinahe ärgerlich.

"Nein!", sagte er scharf und entschieden. "Das kann ich einfach nicht akzeptieren! Ich sehe, wie du leidest! Ich sehe, wie aus einer lebensfrohen jungen Frau ein trauriges, melancholisches Wesen wird, sobald wir uns Loch Maree auch nur auf einige Meilen nähern!" Er atmete tief durch und schüttelte dann den Kopf. "Es würde dir besser gehen, wenn du nicht mehr in dieser Gegend lebtest! Komm mit mir! Mara! Ein neues Leben wartet nur auf dich! Es liegt nur an dir.."

"Ich kann nicht!", schluchzte sie "Ich kann nicht! Ich kann nicht!" Sie wiederholte es mehr als ein Dutzendmal, bis Andrew ihr den Finger auf die Lippen legte und sie damit zum Schweigen brachte.

Sie begrub ihr Gesicht an seiner Schulter und er strich ihr zärtlich über das Haar.

Sie hielt ihn fest umschlungen, so als hätte sie Angst, ihn ihm nächsten Moment zu verlieren. Er fühlte ihr Herz wie wild schlagen.

Ein tiefer Schmerz hatte ihn erfasst.

Er hielt die Frau in den Armen, von der er überzeugt war, dass sie die Liebe seines Lebens darstellte. Die, nach der er lange gesucht hatte und die seine Liebe im übrigen auch erwiderte...

Und doch - in diesem Moment erschien sie ihm so unsagbar weit entfernt.

Beinahe unerreichbar.

"Komm", sagte er und legte den Arm um sie. Schweigend gingen sie an dem steinigen Strand entlang. Sie nahm seine Hand und drückte sie. Aber seinem Blick wich sie aus. Ihre Lippen waren aufeinandergepresst und in ihrem Inneren war ein tiefer Zwiespalt.

"Andrew", hauchte sie.

Er sah sie an. Sie wollte etwas sagen, öffnete halb die Lippen, doch kein Laut war zu hören.

Sie schluckte.

"Es ist schon gut", sagte er.

"Verzeih mir, Andrew."

"Es gibt nichts zu verzeihen..."

"Andrew... Ich würde so gerne mit dir gehen!"

"Dann tu es! Nichts kann dich daran hindern. Nichts kann deinem Glück im Wege stehen, außer du selbst!"

"Vielleicht hast du recht!", sagte sie.

Sie gingen noch ein Stück weiter. Andrew nahm sie bei der Hand.

Irgendwann stutzte er plötzlich.

"Was ist los?", fragte sie.

Er deutete mit dem ausgestreckten Arm auf etwas, das sich in einer Entfernung von etwa einem Dutzend Schritten am Boden abzeichnete.

Spuren.

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2015
ISBN (ePUB)
9783738900354
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Februar)
Schlagworte
dunkle flüche drei romantic thriller cassiopeiapress spannung

Autoren

  • Alfred Bekker (Autor:in)

  • Mara Laue (Autor:in)

  • Ann Murdoch (Autor:in)

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Titel: Dunkle Flüche #2: Drei Romantic Thriller