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Kommissar Jörgensen und die Awakowitsch-Morde: Hamburg Krimi

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2023 150 Seiten

Zusammenfassung

Kommissar Jörgensen und die Awakowitsch-Morde:

Ein Killer wird, während er sich auf der Autobahn Richtung Hamburg befindet, von einem Scharfschützen erschossen. Als die Polizei den Wagen des Ermordeten untersucht, findet sie Grauenvolles in den Koffern: eingeschweißte Teile von Menschen.

Bald stellt sich heraus, dass die menschlichen Teile zu einer Serie von Mordopfern gehören, die einem Serientäter namens Awakowitsch zugeschrieben werden. Doch ist dem wirklich so? Die Kommissare Jörgensen und Müller ermitteln ...Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jenny Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author 

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Kommissar Jörgensen und die Awakowitsch-Morde: Hamburg Krimi

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von Alfred Bekker

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1

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Ich saß zusammen mit meinem Kollegen Roy Müller im Dienstwagen. Wir standen an einer Ampel und warteten darauf, dass es endlich grün wurde. Es war Rush Hour in Hamburg und das bedeutete, dass es zum einkalkulierten Verkehrsinfarkt in der Freien und Hansestadt Hamburg kam. Frei war dann niemand mehr, sondern man bewegte sich langsam als Teil einer Blechlawine.

»Hast du mal darüber nachgedacht, wie die Grünphasen eigentlich eingestellt werden?«, fragte Roy. »Das ist doch nicht zu fassen! Da stimmt doch irgendwas nicht.«

»Immer mit der Ruhe, Roy«, gab ich zurück.

Mein Kollege machte nur eine wegwerfende Handbewegung.

»Wir sollen an einem Meeting pünktlich teilnehmen, das unglücklicherweise am anderen Ende der Stadt stattfindet«, stellte Roy säuerlich fest. Er sah auf die Uhr. »Und jetzt sag mir mal, wie das noch möglich ist.«

»Ganz einfach.«

»Ach, ja?«

»Gar nicht mehr.«

Es fing nun auch noch an zu regnen, ein richtig schöner Hamburger Dauerregen, wie ihn die Bewohner dieser Stadt manchmal zu ertragen haben. Im Radio wurde ein Wetterbericht gesendet, der noch Schlimmes für den Rest des Tages befürchten ließ.

Endlich ging es dann ein Stückchen voran. Aber nicht weit.

Die Grünphase der Ampel war immer nur so kurz, dass lediglich ein paar wenige Fahrzeuge die Kreuzung passieren konnten. Zu wenige, um den inzwischen entstandenen Stau tatsächlich aufzulösen.

Meine Name ist übrigens Uwe Jörgensen. Ich bin Kriminalhauptkommissar und Teil einer Sonderabteilung, die  sich Kriminalpolizeiliche Ermittlungsgruppe des Bundes nennt. Wir kümmern uns um die Bereiche Organisiertes Verbrechen, Serientäter und terroristische Bedrohungen. Und ab und zu übernehmen wir auch Fälle aus anderen Bereichen, die besonders schwierig sind oder mehr Ressourcen brauchen, als dies sonst üblich ist.

Mein Kollege Roy Müller und ich sind schon seit vielen Jahren ein sehr gutes Zweierteam. Wir wissen beide,  dass wir uns aufeinander absolut verlassen können. Und das ist bei der Arbeit, die wir machen, von besonderer Bedeutung. Man muss sich aufeinander verlassen können, wenn es hart auf hart kommt.

Roys Telefon meldete sich.

Mein Kollege nahm das Gespräch entgegen und schaltete dabei auf laut, sodass ich mithören konnte.

»Spreche ich mit Kriminalhauptkommissar Müller?«, fragte eine weibliche Stimme.

»Am Apparat«, sagte Roy Müller

»Ich bin Frau Lennemann, Sachbearbeiterin bei der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst. Wir hatten schon ab und zu miteinander zu tun.«

»Ich erinnere mich«, sagte Roy.

Ich erinnerte mich nicht. Meiner Ansicht nach war die Dame ziemlich neu bei den Kollegen vom Erkennungsdienst. Aber vielleicht lag ich da auch falsch und es machte sich einfach nur eine Art dienstlicher Demenz bemerkbar. Man merkt sich einfach nicht mehr alle Namen. Lohnt sich nicht. Die personelle Fluktuation ist in einigen Bereichen einfach viel zu groß.

»Dr. Weinheim erwartet Sie und Herrn Jörgensen eigentlich dringend zum Fortbildungsmeeting.«

»Ja, das stimmt. Aber nach meinen Informationen sind wir auch noch nicht zu spät.«

»Herr Weinheim meint, Sie werden aber zu spät kommen.«

»Wir stehen im Stau. Es kann tatsächlich sein, dass wir uns etwas verspäten.«

»Herr Dr. Förnheim wird den Termin mit Ihnen daher um eine Stunde verschieben, um in dieser Zeit einen anderen Termin wahrnehmen zu können.«

»Aber dann werden wir warten müssen«, sagte Roy.

»Herr Dr. Förnheim meint, dass das unumgänglich ist und ich Ihnen vorab für Ihr Verständnis danken soll.«

Die Mitarbeiterin beendete das Gespräch.

Weitere Nachfragen wollte sie offenbar nicht so gerne beantworten.

Vielleicht muss man an dieser Stelle ein paar Dinge erklären. Förnheim  - genau genommen Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim - ist ein Naturwissenschaftler unserer Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst hier in Hamburg, deren Dienste unserer Abteilung zur Verfügung stehen, wann immer wir sie benötigen. Förnheim ist auf Tatortanalysen spezialisiert und hatte sich überlegt, dass es nicht schlecht wäre, uns Kommissare darin etwas nachzuschulen.

Gegen interne Fortbildung ist ja auch nichts einzuwenden.

Und das erste Meeting dazu war heute. Nur saßen wir im Moment eben im Stau fest.

»Ich frage mich, wie er das wissen konnte, Uwe«, meinte Roy.

»Ganz einfach, er hat unsere Handys getrackt«, vermutete ich. »Oder zumindest eins davon. Das würde ja ausreichen.«

»Aber...«

»Ich weiß, das ist nicht erlaubt. Jedenfalls nicht zu solchen Zwecken.«

»Das traust du ihm zu?«

»Natürlich.«

»Wir sollten ihn darauf ansprechen, Uwe.«

»Und mit welchem Ergebnis? Er wird es trotzdem bei nächster Gelegenheit wieder tun, wenn es ihm in den Kram passt.«

»Du willst ihm das durchgehen lassen?«

»Wir werden ihm das nicht nachweisen können«, sagte ich.

»Wieso nicht? Ich dachte, das ergibt sich zwingend.«

*

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Wir erreichten schließlich das Gebäude, in dem die Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst untergebracht war und mussten dann eine halbe Stunde auf den Beginn unseres Meetings warten.

Dr. Dr. Förnheim begrüßte uns.

»Guten Tag, da Sie ja nun auch hier sind, können wir dann ja beginnen.«

»Es wäre freundlich, wenn Sie in Zukunft unsere Privatsphäre respektieren würden«, meinte Roy. Er konnte es anscheinend einfach nicht lassen.

Entgegen meinem ausdrücklichen Rat im Übrigen. Aber Roy hört nicht immer auf meine Meinung. Da ist er manchmal ziemlich stur. Nun, das gilt umgekehrt sicher auch für mich.

Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim hob die Augenbrauen und musterte  Roy mit einem Blick, der gleichermaßen Irritiertheit und Geringschätzung ausdrückte.

»Ich habe leider keine Ahnung, worauf Sie mit Ihrer Bemerkung hinauswollen«, stellte er fest.

»Darauf, dass Sie unsere Handys getrackt haben. Sonst hätten Sie nicht wissen können, dass wir im Stau stehen.«

»Sie werfen mir die Verletzung Ihrer Privatsphäre vor? Was ist denn mit Ihnen? Es war zu dem Zeitpunkt absehbar, dass Sie den Termin nicht mehr schaffen würden, aber Sie haben mich davon nicht von sich aus in Kenntnis gesetzt. Und das, obwohl ein einfacher Blick auf ihr Navigationsgerät im Wagen genügt hätte, um das Ausmaß Ihrer zukünftigen Verspätung ermessen zu können. Damit haben Sie meine Privatsphäre verletzt, denn es gibt nichts Privateres als die private Zeiteinteilung und in die haben Sie auf unverantwortliche Weise eingegriffen.«

»Sie wollen damit einen datentechnischen Angriff rechtfertigen?« Roy war fassungslos. »Das ist jetzt nicht ihr Ernst?«

»Was für einen datentechnischen Angriff?«

»Auf unsre Handys!«

»Das ist lediglich eine Vermutung Ihrerseits, die durch nichts zu belegen ist.«

»Durch nichts zu belegen? Sollen wir Ihre Sachbearbeiterin holen, damit Sie uns bestätigt, dass Sie genau wussten, wo wir uns befunden haben und daher auch vorhersagen konnten, dass wir den Termin nicht halten können?«

Förnheim hob die Augenbrauen.

»Ach kommen Sie, dazu ist der Aufwand eines datentechnischen Angriffs, wie Sie das nennen, doch gar nicht notwendig.«

»Ach, nein?«

»Es reicht der gesunde Menschenverstand, der, wie ich zugeben muss, allerdings nicht ganz gleichmäßig unter der Menschheit verteilt ist.«

»Gesunder Menschenverstand?«

»Man überlegt sich: Ist vielleicht gerade Rush Hour in Hamburg, informiert sich über aktuelle Verkehrsmeldungen und die voraussichtlichen Verzögerungen, geht im Kopf kurz den Weg gedanklich durch, den Sie mutmaßlich zurücklegen werden und stellt fest, dass Sie an mehreren verkehrstechnischen Brennpunkten vorbeikommen müssen, berechnet kurz die anzunehmenden Verzögerungen und weiß, wo Sie sich ungefähr befinden und wie viel Zeit Sie mindestens noch brauchen werden, um hier zu kommen. Das nenne ich gesunden Menschenverstand. Aber, wie gesagt, die Verteilung dieses raren Guts ist... Aber lassen wir das. Sie wollten hier etwas über Tatortanalyse lernen? Ich freue mich, Ihnen etwas beibringen zu können. Die erste Lektion haben Sie gerade bekommen: Keine voreiligen Schlüsse ziehen und dann auch noch wider besseren Wissens auf ihnen beharren.«

*

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»Ich möchte gerne Ihren Führerschein sehen«, sagte der Beamte der Autobahnpolizei. Er nahm die Sonnenbrille ab.

»Kein Problem«, gab der Fahrer des SUV zurück. Er war grauhaarig und hager. Seine Hand glitt unter sein Jackett und berührte dabei leicht den Griff der Automatik, die er in einem Schulterholster trug.

Wenig später gab er dem Polizisten die Fahrerlaubnis.

»Herr Georg Kröger aus Berlin?«

»Der bin ich.«

»Sie sind zu schnell gefahren.«

Kröger hielt die Hände am Lenkrad, sodass der Polizist sie sehen konnte. Seine Muskeln waren gespannt. Kröger hätte keine Skrupel gehabt, blitzschnell unter die Jacke zu greifen, die Waffe herauszureißen und den Polizisten einfach zu erschießen.

Allerdings hätte das seine Pläne fürs Erste durchkreuzt ...

Mach jetzt keinen Fehler - sonst gibt es in zwei Sekunden einen Polizisten weniger in dieser Stadt, dachte Kröger. Der Polizist sah sich die Papiere eingehend an. »Scheint alles in Ordnung zu sein«, meinte er.

»Was muss ich bezahlen?«, fragte Kröger.

»Ich belasse es bei einer Verwarnung«, sagte der Polizist, an dessen Name Hans-Werner Schmitt laute. »Aber achten Sie in Zukunft auf das, was Ihr Tacho anzeigt!«

»Ja.«

»Wo fahren Sie hin?«

»Hamburg.«

»Privat oder geschäftlich.«

»Geschäftlich. Ich bin Handelsvertreter.«

Polizeimeister Hans-Werner Schmitt sah durch die Seitenscheiben zum Gepäckraum des SUV.

»Sie haben eine Menge Gepäck.«

»Musterkoffer. Und ein frisches Hemd und was man sonst noch so braucht.«

»Machen Sie mal einen davon auf!«

»Warum? Gibt es dafür einen besonderen Grund?«

»Die Fragen stelle ich. Machen Sie bitte einen der Koffer auf - und zwar den da!« Er deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf einen Koffer, der sich nicht im Gepäckraum, sondern zwischen Hinterbank und Vordersitzen befand. Das weiche, elastische Plastikmaterial, aus dem er bestand, beulte sich an einer Stelle auf eigenartige Weise aus.

Krögers Hand war in den letzten Momenten bereits in Höhe des mittleren Jackettknopfs gewandert. Aber jetzt knöpfte er sich die Jacke einfach nur zu, damit seine Waffe nicht zum Vorschein trat.

»Soll ich aussteigen und die Tür öffnen?«

»Bleiben Sie sitzen, Herr Kröger!«

Polizeimeister Schmitt öffnete die Tür und machte sich an dem Koffer zu schaffen. Krögers Hand öffnete unterdessen den Jackettknopf wieder und war an der Waffe.

Der Verschluss des Koffers sprang auf. Der Inhalt des überladenen Koffers platzte heraus: Boxer-Shorts, ein Pyjama, eine Zahnbürste, ein frisches Hemd, dem man jetzt nicht mehr ansah, dass es mal gebügelt worden war.

Es war undenkbar, den Koffer einfach so wieder zu schließen.

»Entschuldigung, Herr Kröger«, sagte der Polizist. »Aber der war wohl ein bisschen voll.«

»Lassen Sie einfach alles so liegen!«, sagte Kröger.

Schmitt schloss die Hintertür des SUV wieder und verhinderte gerade noch, dass ein Paar Socken auf den Asphalt fiel.

»Nichts für ungut«, sagte er. »Wir haben hier in letzter Zeit ein gehäuftes Vorkommen von Drogentransporten.«

»Und ich sehe für Sie ein Drogenhändler aus, oder was?«, fragte Kröger etwas gereizter, als er es eigentlich beabsichtigt hatte.

»Nein, Sie nicht. Aber Ihr Wagen steht auf der Liste der Fabrikate, auf die wir besonders achten sollen.«

»Na ja, ist ja sicher im Sinne der Allgemeinheit, dass Sie die Augen offenhalten.«

»Fahren Sie weiter!«

»Ja!«

Kröger startete den SUV und ließ die Seitenscheibe hochfahren. Dann verließ er den Standstreifen und fuhr weiter Richtung Hamburg.

Er drehte das Radio auf. Irgendeine Country-Schnulze lief in dem Sender, den er eingestellt hatte. Kröger atmete tief durch.

Noch mal gut gegangen!, dachte er.

Auf der linken Fahrbahnseite tauchten bereits mehrere Gebäude auf. Es handelte sich um einen gewaltigen Gebäudekomplex, der sich allerdings erst im Stadium des Rohbaus befand. Von außen waren Gerüste zu sehen. Allerdings war auf der Baustelle im Moment kein Betrieb.

DAS GRÖSSTE EINKAUFSZENTRUM ZWISCHEN KIEL UND HANNOVER stand da in

riesigen Buchstaben auf einem großen Plakat. Kröger grinste jedes Mal, wenn er hier vorbeifuhr. Ob es wirklich das versprach, was da groß auf dem Plakat angepriesen wurde, bezweifelte Kröger. Aber dass der Bau des Einkaufszentrums sich noch eine ganze Weile verzögern würde, davon hatte Kröger in den Medien jede Menge Einzelheiten mitbekommen. Die Insolvenz des Hauptinvestors legte dieses mit großem PR-Aufwand gestartete Projekt vermutlich auf Jahre hinaus lahm.

In diesem Moment brach sich für den Bruchteil eines Augenblicks ein roter Laserstrahl in der Scheibe in der Frontscheibe.

Ein Projektil schlug durch die Scheibe. Durch Krögers Körper ging ein Ruck, als die Kugel durch seinen Brustkorb schlug. Eine zweite folgte, dann eine dritte. Beide trafen ihn ebenfalls im Bereich des Oberkörpers. Sein Hemd verfärbte sich innerhalb von Augenblicken dunkelrot. Ein letzter Treffer erwischte ihn am Kopf. Zwei weitere Kugeln gingen an ihm vorbei und fetzten in die Lehne des Beifahrersitzes hinein, denn inzwischen war der Wagen von seiner Bahn abgekommen.

Mit starren, toten Augen saß Kröger hinter dem Steuer, aber trat immer noch das Gaspedal voll durch. Die Frontscheibe war inzwischen völlig zerschossen. Ausgehend von den in die Scheibe hineingestanzten Einschusslöchern verzweigten sich spinnennetzartige Rissstrukturen.

Der Wagen drehte seitwärts, kam von der Fahrbahn ab, mähte einen Begrenzungspfahl um, ehe er schließlich eine Böschung hinunterrutschte und liegenblieb. Das Fahrzeug hatte offenbar einen Heckantrieb. Die Hinterräder drehten durch und schleuderten Erde in die Höhe, aber vorne saß der Wagen fest.

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Eine halbe Stunde später waren zwanzig Einsatzfahrzeuge in der Nähe abgestellt worden. Man hatte den Autobahn-Abschnitt in beide Richtungen komplett gesperrt. Polizisten durchkämmten das Gelände rund um das unvollendete Einkaufszentrum. Dass der Killer von dort aus geschossen haben musste, lag auf der Hand. Dazu brauchte man nicht erst irgendein ballistisches Gutachten abwarten.

Ebenso klar war aber auch, dass der mysteriöse Schütze, der diesen Mord mit einer geradezu unglaublichen Präzision durchgeführt hatte, von einer Position gefeuert haben musste, die innerhalb des Gebäudekomplexes lag.

»Der Fahrer des Wagens hieß Kröger«, sagte Polizeimeister Hans-Werner Schmitt an Kommissarin Rita Kirchner gewandt. Sie war eine Beamtin der Polizei von Hamburg und leitete diesen Einsatz. »Die Papiere waren in Ordnung.«

»Er hatte eine Waffe bei sich«, sagte Kommissarin Kirchner.

»Ich habe Kröger nicht durchsucht«, sagte Schmitt. »Es bestand kein Anlass dazu. Bei seinem Gepäck habe ich eine Sichtprobe durchgeführt, aber ohne Ergebnis.«

»Sie hatten nicht den Eindruck, dass er einer von diesen Drogenhändlern sein könnte, die uns im Moment zu schaffen machen?«

»Nein, ehrlich gesagt hatte ich sehr schnell den Eindruck, dass er damit wohl nichts zu tun hat«, sagte Schmitt. Er zuckte mit den Schultern. »Kann ich jetzt auch nicht weiter erklären. Nennen Sie es Fahndungsinstinkt. Er passte einfach nicht ins Raster. Allerdings ...« Schmitt zögerte, ehe er weitersprach. »Ich hatte andererseits schon das Gefühl, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmte. Ein merkwürdiger Typ. Ich kann es nicht genauer sagen. Letztlich ist seine Überprüfung ja auch ergebnislos geblieben.«

Das Gespräch wurde unterbrochen, als sich bei Kommissarin Kirchner jemand über Funk meldete.

»Frau Kirchner, hier ist niemand mehr und es gibt auf den ersten Blick zumindest auch keinerlei Spuren des Killers«, meldete sich einer der Polizisten zu Wort, die gerade dabei waren, jeden Quadratzentimeter der Bauruine abzusuchen, aus der eigentlich das größte Einkaufszentrum am Stadtrand von Hamburg hätte werden sollen.

»Das war leider zu erwarten«, sagte Kommissarin Kirchner. »Ich werde zusätzliche Kräfte anfordern und dafür sorgen, dass der abgesuchte Radius erweitert werden kann.«

Einer der Spurensicherer, die sich an dem verunglückten Wagen zu schaffen machten, stieß jetzt einen kurzen Laut des Entsetzens aus.

»Frau Kirchner! Bitte kommen Sie mal her! Das müssen Sie sich ansehen! Ich habe gerade einen der Koffer geöffnet ... Scheiße, so etwas habe ich in all meinem Dienstjahren noch nicht erlebt ...«

Kommissarin Kirchner beeilte sich, um zu Krögers Wagen zu kommen. Hans-Werner Schmitt folgte ihr.

Der Spurensicherer trug einen weißen Schutzoverall. In Brusthöhe war das Zeichen der Polizei von Hamburg und sein Name zu sehen. Er hieß Melzer. Sein Gesicht wirkte aschfahl. Er deutete auf den geöffneten Koffer.

Das Erste, was Kommissarin Rita Kirchner und Polizist Hans-Werner Schmitt auffiel, war eine sorgfältig in transparente Plastikfolie verpackte menschliche Hand.

»Oh mein Gott«, murmelte Schmitt vor sich hin.

Und Rita Kirchner sagte trocken: »Sie hatten recht, Herr Schmitt. Ein Drogenhändler war dieser Kröger offenbar tatsächlich nicht ...«

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Als ich Roy an diesem Morgen an der bekannten Stelle abholen wollte, war er nicht da. Ich sah auf die Uhr. Nicht Roy war zu spät dran, sondern ich zu früh. Offenbar hatten es die Verkehrsverhältnisse in Hamburg an diesem Morgen möglich gemacht, dass ich den Weg von meiner Wohnung bis hierher ein paar Minuten schneller geschafft hatte als üblich.

Hinter mir hupte ein ungeduldiger Verkehrsteilnehmer und zog dann an meinem Sportwagen vorbei. Ein Rentner in einem Mercedes, der sich nicht nehmen ließ, mir während des Überholmanövers durch ein paar mehr oder minder eindeutige Gesten klarzumachen, was er von mir hielt.

Aber mir blieb keine Zeit, um mich darüber zu ärgern, denn genau in diesem Moment geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Erstens tauchte Roy jetzt auf und legte die letzten Schritte bis zu unserem Treffpunkt im Spurt zurück. Und zweitens erreichte mich ein Anruf. Ich nahm ihn über die Freisprechanlage entgegen.

»Hier Jörgensen«, sagte ich.

»Guten Morgen, Uwe«, begrüßte mich eine sonore Männerstimme mit unverkennbar bayrischem Akzent. Roy öffnete die Beifahrertür des Sportwagen und stieg ein. »Da sind eine Menge störende Hintergrundgeräusche bei euch«, stellte unterdessen die Stimme mit dem bayrischen Akzent fest. »Egal, was Sie da gerade tun, es wäre schön, wenn Sie sich einen Moment darauf konzentrieren könnten, mit mir abzusprechen, wann Sie sich zeitnah mit mir hier in St. Pauli treffen könnten, damit wir über die Sache mit den Awakowitsch-Leichen sprechen können.«

Bei dem Bayer handelte es sich um niemand anderen als Dr. Gerold M. Wildenbacher, den Pathologen des erkennungsdienstlichen Teams , dessen Dienste meinem Kollegen Roy Müller und mir jederzeit zur Verfügung standen.

Roy saß jetzt neben mir auf dem Beifahrersitz und machte ein ziemlich irritiert wirkendes Gesicht.

Ich sah unterdessen zu, dass ich mich mit dem Sportwagen wieder in den fließenden Verkehr einfädelte, was mir schließlich auch gelang.

»Habe ich mich irgendwie unverständlich ausgedrückt?«, fragte Wildenbacher auf seine hemdsärmelige Art, nachdem ich nicht sofort geantwortet hatte.

»Tut mir leid, aber ich musste meine Aufmerksamkeit für einen Moment dem Straßenverkehr widmen«, sagte ich.

»Und ich habe noch ein paar andere Leichen auf dem Tisch des Hauses, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Natürlich«, versicherte ich.

»Um ehrlich zu sein, ich weiß im Moment nicht, wo mir vor lauter Arbeit der Kopf steht und deswegen ist es umso wichtiger, dass wir uns absprechen.«

»Sie sprachen von den Awakowitsch-Leichen«, mischte sich Roy ein.

»Schön, dass man auch von Ihnen mal was hört und Sie Ihren Kollegen etwas dahingehend entlasten können, dass er sich besser auf den Straßenverkehr konzentrieren kann«, gab Wildenbacher zurück.

»Ich habe keine Ahnung, welche Laus Ihnen heute über die Leber gelaufen ist, Gerold«, sagte Roy. »Allerdings möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich keine Ahnung habe, von welchem Fall Sie gerade sprechen.« 

»Sie wollen behaupten, dass Sie noch nichts von den Awakowitsch-Morden gehört haben?«, wunderte sich Wildenbacher.

»Der Name sagt mir irgendetwas, aber ich kann ihn im Moment nicht richtig einordnen«, stellte mein Kollege klar. »Allerdings bin ich mir sicher, dass die Morde eines gewissen Awakowitsch im Moment nicht zum Aufgabenbereich gehören, um den Uwe und ich uns kümmern, geschweige denn dass wir an diesem Fall zurzeit arbeiten würden.«

»Sollte Herr Bock mich völlig falsch informiert haben?«, zweifelte Wildenbacher. »Kann ich mir ehrlich gesagt kaum vorstellen.«

»Wann haben Sie mit unserem Chef gesprochen?«, mischte ich mich ein.

»Vorhin. Und er sagte, dass ich mit Ihnen beiden in dieser Sache zusammenarbeiten würde.«

»Dann sind Sie offenbar mal wieder früher darüber ins Bild gesetzt worden als wir«, stellte ich klar. »Ich nehme an, dass Herr Bock das noch nachholen wird ...«

»Das sollte uns jetzt aber nicht davon abhalten, einen Termin festzulegen«, knurrte Wildenbacher. »Es gibt hier nämlich ein paar Dinge, die ich Ihnen gerne zeigen möchte, weil Sie sonst vielleicht nicht so richtig begreifen, worum es in diesem Fall eigentlich geht.«

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Wir vereinbarten mit Dr. Wildenbacher einen Termin für den Nachmittag. Allerdings unter Vorbehalt, denn bislang arbeiteten wir offiziell nicht an dem Fall. Schlimmer noch, weder Roy noch ich hatten auch nur ansatzweise eine Vorstellung davon, worum es dabei eigentlich ging.

Aber es war nicht das erste Mal, dass Wildenbacher früher darüber informiert war, mit welchem Fall wir als Nächstes betraut werden sollten, als mein Kollege und ich. Das lag bis zu einem gewissen Grad in der Natur der Sache, denn manchmal hing es ja erst von den Untersuchungsergebnissen des Teams vom Erkennungsdienst ab, ob ein Fall überhaupt in unsere Zuständigkeit fiel oder nicht.

»Der Name Awakowitsch kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte Roy. »Und im Zusammenhang mit dem Begriff Leichen ...«

»Da haben sich mit Herrn Bock und dem Doktor aus Bayern offenbar mal wieder zwei Frühaufsteher zu einer morgendlichen Telefonkonferenz zusammengefunden«, meinte ich. »Warte ab, Roy! Eines Tages wird man von uns erwarten, dass wir daran auch teilnehmen ...«

»Bis dahin ist das Schlafbedürfnis für uns Ermittler dann wohl durch einen Erlass offiziell außer Kraft gesetzt worden, Uwe. Aber zurück zu Awakowitsch. Hieß nicht vor Jahren so ein irrer Killer so?«

»Kann sein. Aber unser Fall war das nicht.«

»Das heißt nur, dass sein Gemetzel nicht in Hamburg stattgefunden haben kann, sonst hätten wir das ja mitgekriegt.« Roy nahm sein Smartphone. Er wischte und tippte etwas auf dem Display herum. Ich ging davon aus, dass mein Kollege eine kurze Online-Recherche durchführte. »Ich habe ihn«, stellte Roy dann fest. »Georg Awakowitsch, das sogenannte Berlin-Monster. Hat junge Männer zu sich nach Hause eingeladen, sie umgebracht, zerstückelt und die Leichenteile fein säuberlich in seiner Wohnung aufbewahrt.«

»Jetzt erinnere ich mich auch. Der Prozess hat bundesweit schlagzeilen gemacht, wie ich mich dunkel erinnere.«

Da wir nichts mit dem Fall zu tun gehabt hatten und ich wie immer eine Menge anderer Dinge um die Ohren gehabt hatte, waren mir die Einzelheiten nicht im Gedächtnis geblieben.

»Der Fall ist eigentlich abgeschlossen«, meinte Roy.

»Vielleicht sollen wir die Akte noch mal öffnen«, gab ich zurück. »Cold Cases gehören ja durchaus zu unserem Zuständigkeitsbereich.«

»Ich meinte abgeschlossen im doppelten Sinn«, sagte Roy und steckte dann sein Smartphone ein. »Das Verbrechen wurde vollständig aufgeklärt, Georg Awakowitsch hat ein umfangreiche Geständnis abgelegt, man hat die Sammlung von Leichenteilen in seiner Wohnung gefunden und es gab ein einstimmiges Urteil des Gerichts. Und einige Zeit später ist Awakowitsch dann im Knast an einer Überdosis Drogen gestorben. Ich kann mir kaum vorstellen, wieso man diese Geschichte noch einmal aufrollen sollte.«

»Auf jeden Fall scheinen einige der Leichen von damals auf dem Seziertisch von Dr. Wildenbacher gelandet zu sein«, gab ich zu bedenken.

»Wenn schon, dann Leichenteile«, korrigierte mich Roy. »Der Kerl hatte die Angewohnheit, seine Opfer zu zerteilen, weil er sie anders offenbar nicht aufbewahren konnte.«

»Wie auch immer. Warten wir einfach ab, was Herr Bock uns dazu zu sagen hat«, sagte ich.

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Wir erreichten den Bruno-Georges-Platz in Hamburg, wo sich unser Büro befand.

Wir suchten unser eigenes Dienstzimmer gar nicht erst auf, sondern begaben uns gleich zum Büro unseres Chefs.

»Guten Morgen«, begrüßte uns seine Sekretärin Mandy. »Schön, dass Sie im Haus sind. Ich hätte Sie ohnehin jetzt hergebeten.«

»Habe ich es doch geahnt.«

»Verfügen Sie über hellseherische Gaben?«

»Sagen wir so: Gewisse Umstände habe die Annahme nahegelegt, dass uns Herr Bock in Kürze sprechen möchte.«

Sie lächelte. »Gehen Sie einfach durch! Er erwartet Sie bereits.«

Wenig später begrüßte uns Jonathan D. Bock in seinem Büro mit einer Handbewegung. Er telefonierte gerade mit Sven Röttke, dem Kripo-Chef in Berlin und daher nahm ich an, dass das Gespräch mit unserem Fall zusammen hing. 

»Ich höre dann wieder von Ihnen«, sagte Herr Bock zum Abschluss des Telefonats und beendete das Gespräch. Wir hatten uns inzwischen gesetzt. »Guten Morgen«, begrüßte er uns dann knapp. »Sie haben einen neuen Fall auf dem Tisch. Dr. Wildenbacher erwartet Sie möglichst bald zu einem Termin. Bitte melden Sie sich bei ihm. Worum es dort gehen wird, werden Sie schnell erfassen, wenn ich Ihnen gesagt habe, worum es bei der Sache geht.«

Ich widerstand der Versuchung, Herrn Bock jetzt zu sagen, dass ich das schon wusste. Und Roy hielt es genauso. Unser Respekt vor ihm war einfach zu groß.

»Wir sind gespannt«, sagte mein Kollege.

»Vor kurzem hat es auf der Autobahn an der Stadtgrenze von Hamburg ein Attentat gegeben. Ein gewisser Georg Kröger ist von einem Scharfschützen erledigt worden. In seinem Wagen fand man mehrere Koffer. Einer davon enthielt Krögers persönliche Sachen, die anderen waren mit Leichenteilen gefüllt. Inzwischen ist durch genetische Untersuchungen zweifelsfrei erwiesen worden, dass es sich bei den Leichenteilen ausnahmslos um Opfer des sogenannten Berlin-Monsters handelt ...«

»Georg Awakowitsch«, murmelte Roy.

Herr Bock hob die Augenbrauen.

»Sie scheinen ein bemerkenswert gutes Gedächtnis zu haben, Roy.«

»Danke, Chef.«

»Wir hatten ja nichts mit dem Awakowitsch-Fall zu tun, aber allein die Dinge, die man damals so über die Medien mitbekommen hat, konnten dafür sorgen, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen«, fuhr Herr Bock fort. »Dieser Awakowitsch war ein psychopathischer Mörder, der junge Männer ermordet und zerstückelt hat. Die Leichenteile fand man später in seiner Wohnung.« Herr Bock atmete tief durch. Die Ärmels seines Hemdes waren wie üblich hochgekrempelt. Die Hände wanderten in die weiten Taschen seiner Flanellhose. »Spätestens mit Awakowitschs Tod während der Haft galt der Fall eigentlich als restlos abgeschlossen, sieht man mal von dem Aspekt ab, dass es wahrscheinlich nie wirklich nachvollziehbar sein wird, was einen Menschen zu einem derartigen Monster werden lassen kann. Aber durch das, was auf der Autobahn passiert ist, haben Sie jetzt den Fall auf dem Tisch.«

»Demnach ist es jetzt in erster Linie unsere Aufgabe herauszufinden, wer diesen Kröger getötet hat«, stellte ich fest.

»Er heißt in Wahrheit nicht Kröger«, sagte Herr Bock. »Auch das haben die Kollegen vor Ort recht schnell ermitteln können. Krögers Identität war falsch. Sein wahrer Name lautete Raik Mantumo. Mantumo war ein gesuchter Lohn-Killer für die Syndikate. Wir dachten bisher, dass er vor Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Aber anscheinend war dieser Unfall Teil einer Inszenierung, die dazu dienen sollte, Raik Mantumo unter einem neuen Namen ein zweites Leben zu ermöglichen.«

»Hat er in diesem zweiten Leben seine Tätigkeit als Lohnkiller für die Gangster-Bosse fortgesetzt?«, hakte Roy nach.

»Die Kollegen gehen davon aus, dass er das getan hat«, erklärte Herr Bock. »Es gibt bereits zum jetzigen Stand der Ermittlungen ein paar Indizien dafür. Unter anderem ist die Waffe, die bei Kröger alias Mantumo gefunden wurde, den ballistischen Tests nach die Tatwaffe bei einem bisher ungeklärten Auftragsmord.«

»Worum ging es da?«, fragte ich.

»Es war jemand, von dem wir annehmen, dass er im Syndikat von Rocco Bramilla in Ungnade gefallen ist«, sagte Herr Bock. »Die Daten kriegen Sie natürlich. Bramilla war mutmaßlich auch früher schon Raik Mantumos bevorzugter Auftraggeber. Insofern würde das durchaus Sinn machen.«

»Aber bewiesen ist das nicht?«

»Sie wissen doch, wie das ist, Uwe: Die Kollegen können sich einiges zusammenreimen, aber vor Gericht hätte das meiste davon keinen Bestand. Dass Bramilla Mantumo früher für Mordaufträge angeheuert hat, ist ebenso mutmaßlich wie die Annahme, dass Bramilla der Boss dieser Organisation ist, die man auch den Berlin-Trust nennt. Denn wenn das zu beweisen wäre, befände sich ein Mann wie Rocco Bramilla nicht mehr auf freiem Fuß, sondern würde seine Tage in einer JVA verbringen.«

»Was mir schon die ganze Zeit im Kopf herumschwirrt ist die Frage: Was hat ein psychopathischer Triebtäter mit dem organisierten Verbrechen in Hamburg zu tun?«, meinte Roy. »Ich meine, es ist ja wohl erwiesen, dass die Leichenteile, die man bei Kröger alias Mantumo gefunden hat, zu den Toten gehören, die man in der Wohnung dieses Irren sicherstellen konnte.«

»Das ist eine gute Frage, Roy«, stellte Herr Bock fest. »Und möglicherweise auch die entscheidende.« Er machte eine kurze Pause, ehe er schließlich weitersprach. »Ich bin überzeugt davon, dass Sie und Uwe darauf eine zufriedenstellende Antwort finden werden.«

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Roy und ich machten uns zunächst einmal mit dem vorhandenen Datenmaterial einigermaßen vertraut.

Dann trafen wir uns in Roys Dienstzimmer, um das weitere Vorgehen im Groben festzulegen. Anschließend führten wir eine Reihe von Telefonaten. Unter anderem sprachen wir mit dem Chef des Polizeipräsidiums von Berlin sowie dem Direktor der JVA Moabit, in dem Georg Awakowitsch bis zu seinem überraschenden Tod eingesessen hatte. Der überraschende Tod des Serienmörders würde voraussichtlich bei unseren Ermittlungen eine zentrale Rolle spielen.

»Also wenn Awakowitsch jetzt nicht ein psychisch gestörter Serientäter gewesen wäre, sondern sagen wir mal ein Lohnkiller der Mafia«, begann Roy.

»Was wäre dann?«, fragte ich.

»Na, was würdest du dann denken, wenn so jemand so schnell nach Haftantritt zu Tode kommt?«

»In den Akten steht, dass Awakowitsch an einer Überdosis Drogen starb«, stellte ich fest. »Es ist sogar aufgeklärt worden, von wem er die Drogen bekommen hat.«

»Von einem Kriminellen, der ohnehin keine Aussicht mehr hatte, jemals wieder auf freien Fuß zu kommen«, gab Roy zu bedenken.

»Du denkst, dass das ein Mordanschlag war?«

»Wie gesagt - wäre Awakowitsch ein Mafia-Killer gewesen oder hätte irgendetwas mit dem organisierten Verbrechen zu tun gehabt, wäre das unser erster Gedanke gewesen.«

»Ja, ich gebe ja zu, dass ich auch schon darüber nachgedacht habe.«

»Siehst du!«

»Der Gefängnisinsasse, von dem Awakowitsch den Stoff bekommen hat, ist als Knast-Dealer bekannt gewesen«, stellte ich fest. »Allerdings konnte keine Verbindung zwischen ihm und beispielsweise Rocco Bramilla und seiner Organisation damals nachgewiesen werden.«

»Wenn ich dieser Bramilla wäre, hätte ich mir meinen potenziellen Killer auch so ausgesucht, dass niemand die Befehlskette zurückverfolgen kann«, gab Roy zurück. »Und einen Punkt sollten wir auch nicht außer Acht lassen.«

Ich hob die Augenbrauen. »Welchen?«

»Ich habe die Unterlagen nach Hinweisen darauf durchforstet, ob Awakowitsch vor Antritt seiner Haft schon mal mit Drogen in Kontakt gekommen ist.«

»Ich nehme an, das Ergebnis deiner Suche war negativ.«

»So negativ, wie du es dir gar nicht vorstellen kannst! Da ist nichts bekannt. Er ist noch nicht einmal mit ein paar Gramm Hasch in seiner Jugendzeit erwischt worden oder dergleichen. Das Durchsuchungsprotokoll seiner Wohnung führt zwar jede Menge Leichenteile einzeln auf und darüber hinaus alle möglichen Werkzeuge, mit denen er dann die Toten offenbar zerteilt hat. Außerdem besaß er eine Maschine zum Vakuumverschweißen von Lebensmitteln ... Aber man hat nicht ein Gramm irgendeiner Droge gefunden! Nicht einmal irgendwelche angehäuften Vorräte an Medikamenten ...«

»Awakowitsch wäre nicht der Erste, der während der Haft mit den Drogen angefangen hat«, sagte ich.

»Das ist richtig«, gab Roy zu.

»Was auch immer für Spannungen in ihm geherrscht haben - er scheint sie durch die Ermordung junger Männer bis dahin losgeworden zu sein. Im Gefängnis musste er sich dann etwas Neues suchen ...«

»Uwe, das mag alles sein, aber auf der anderen Seite muss es irgendeinen Zusammenhang zwischen diesem Psychopathen und dem organisierten Verbrechen geben.«

Ich atmete tief durch.

»Wenn wenigstens die Waffe schon mal benutzt worden wäre, mit der Mantumo umgebracht wurde ... Dann wären wir vielleicht ein Stück weiter.«

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7

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Am Nachmittag tauchten wir wie vereinbart in den Räumlichkeiten des Erkennungsdienstes auf. Dort befanden sich auch die Labore des Teams, dessen Dienste wir bei unseren Ermittlungen in Anspruch nehmen konnten.

Ungefähr zwanzig Minuten brauchte man unter günstigen Umständen von Hamburg-Winterhude nach St. Pauli. Allerdings waren die Verkehrsverhältnisse selten günstig und so erreichten wir die Gebäudekomplexe erst gut fünfzehn Minuten später, nachdem wir vom Polizeipräsidium aus aufgebrochen waren.

Dr. Gerold M. Wildenbacher empfing uns in seinem Sezierraum. Die Tische waren mit Leichenteilen bedeckt, die er dort zu Untersuchungszwecken verteilt hatte. Ich sah Hände, Füße, einen Kopf und ein paar Dinge, von denen ich gar nicht so genau wissen wollte, was ich da genau gesehen hatte. Manche Stücke waren auch für einen Laien kaum zu identifizieren. Und da ich nirgends einen Torso erblicken konnte, nahm ich an, dass auch der Rumpf in relativ kleine Stücke zerteilt worden war.

Einige davon waren in Vakuumfolie eingeschweißt. Bei anderen hatte Dr. Wildenbacher diese Folie offenbar entfernt.

Ich sah, dass Roy der Kinnladen heruntergefallen war, so dass sein Mund erst einmal für ein paar Augenblicke offen stand. Es ging ihm offensichtlich genauso wie mir.

Roy und ich sind erfahrene Ermittler. Wir haben schon alles Mögliche mit ansehen müssen, aber der Anblick, der sich uns an diesem Nachmittag in Dr. Wildenbachers Sezierraum bot, war selbst für unsere Verhältnisse etwas Außergewöhnliches.

Details

Seiten
Jahr
2023
ISBN (ePUB)
9783738973723
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (März)
Schlagworte
kommissar jörgensen awakowitsch-morde hamburg krimi

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Kommissar Jörgensen und die Awakowitsch-Morde: Hamburg Krimi