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Dämonengrauen: 3 Gruselkrimis

von Alfred Bekker (Autor:in)
©2023 500 Seiten

Zusammenfassung

Dieser Band enthält folgende Horror-Romane:

Dämonenrache (Alfred Bekker)

Stirb in einer anderen Welt (Alfred Bekker)

Tiberius Elroy und der ewige Tod (Alfred Bekker)

Ein rätselhafter Mord weckt die Aufmerksamkeit des Parapsychologen und Dämonenjägers Luc Morell. Als "Doktor Mystery" und seine Assistentin Monique der Sache nachgehen, werden sie von übersinnlichen Kreaturen angegriffen. Die Spur führt sie schließlich in den dampfenden Dschungel von Kambodscha, wo sie auf einen uralten Götzen treffen, der den Weg zurück in die Welt der Sterblichen gefunden hat...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Dämonengrauen: 3 Gruselkrimis

Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Horror-Romane:



Dämonenrache (Alfred Bekker)

Stirb in einer anderen Welt (Alfred Bekker)

Tiberius Elroy und der ewige Tod (Alfred Bekker)






Copyright


Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen


Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Dämonenrache

von Alfred Bekker


Der Umfang dieses Buchs entspricht 120 Taschenbuchseiten.



Prolog

Es gibt so viele Welten im Polyversum... Und manchmal ist der metamagische Übergang kaum zu spüren. Die Dämonen der Dämmerung – oder welchen Namen wir dem Bösen auch immer geben mögen, existieren überall. Und bisweilen stand ich auf der Seite der Dunkelheit – oder zumindest nicht immer eindeutig dort, wo der Schein des heiligen Lichtes hinreicht... Manchmal ist die Magie eine mächtige Waffe des Guten, mitunter aber wirkt nur die Dunkle Kraft der Finsternis und ich bin gezwungen, sie einzusetzen...“


Aus den Kristalljournalen des David Corcoran, aufgefunden in der Schädelhöhle von Maskatan, irgendwo im Limbus zwischen den Dimensionen und jenseits von Raum und Zeit



1

Nacht.

Nebel hing über der San Francisco Bay und kroch vom Hafen her in die Stadt herein, quoll durch die engen Straßenschluchten wie die Tentakel eines vielarmigen Monstrums, dass es sich zum Ziel gemacht hatte, die Stadt auf seine Weise zu erobern.

Murphy hatte sich vom Taxi in der Pell Road absetzen lassen.

Dort gab es eine Latino-Bar mit dem nicht gerade fantasievollen Namen BUENA SUERTE.

Murphy sah die Neonreklame des Ladens bereits blinken.

Eine kleine Bar, in der ab und zu ein paar Schöne der Nacht nackte Tatsachen präsentierten.

Murphy erreichte das Lokal, zog sich die Jacke zu, weil es jetzt empfindlich kühl wurde. In der Seitentasche ruhte seine Hand. Normalerweise hatte er dort eine SIG Sauer P226 stecken, die sich inzwischen als Standardmodell bei den meisten amerikanischen Polizeibehörden durchgesetzt hatte. Dann war man wenigstens mit seinen potentiellen Gegnern auf gleicher Ebene, was die Feuerkraft anging!, hatte Murphy immer gedacht.

Aber jetzt hatte er die Waffe nicht bei sich.

War zu riskant, bei dem, was er vorhatte. Und außerdem brauchte er sie jetzt eigentlich auch nicht mehr. Nicht, seitdem er jenes geheimnisvolle Amulett der Dunkeldämonen besaß, dass ihm unheimliche Kräfte verlieh... Jenes Amulett mit der Seele eines Mörders. Es passt zu dir!, dachte Murphy. Du bist ja auch ein Mörder. Ein Killer, der für Lohn jeden ausknipst, von dem irgendein großer Hai glaubt, dass er es verdient hat. Hitman, so war die gängige Bezeichnung für einen wie ihn.

Nein, erinnerte sich Murphy. Das war in einem früheren Leben. Und das buchstäblich.

Aber das war ein Thema, über das er im Moment nicht näher nachdenken wollte.

Murphy betrat das BUENA SURTE, ließ sich dabei vom Türsteher geduldig filzen. Schon deswegen war es besser gewesen, keine Waffe dabei zu haben. Jaime Fernandez, der Besitzer, war in diesen Dingen nämlich ziemlich empfindlich, seit ihm vor drei Jahren der Laden von Unbekannten angezündet worden war.

Murphy betrat einen Raum im Dämmerlicht. Auf der Bühne tanzte eine barbusige Schönheit, schaukelte ihre Brüste hin und her und ließ sich von den Gästen Scheine hinter die Bänder ihres String-Tangas stecken. Die Musik war gedämpft und kam von einem ausgeleierten Band. Latino-Pop natürlich. Jaime Fernandez wusste, was er seiner Kundschaft schuldig war.

Murphy ging zur Bar.

Der Keeper war groß, bullig und wog mindestens zweihundert Kilo. Der Schnauzbart verdeckte den Mund. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Seehund.

"Einen Tequila", sagte Murphy.

"Muy bien. Wenn's weiter nichts ist!"

"Ist der Boss noch im Laden?"

"Que quieres? Was willst du von ihm?"

"Ihm ein Geschäft vorschlagen."

Der Seehund blickte zur Seite. An einem Nebenausgang stand ein schmächtiger Kerl im grauen Anzug, dessen Haar mit Pomade an den Kopf geklebt war. "Dónde está el jefe?", fragte der Seehund.

"El jefe no está allí!"

Murphys Blick wurde schmal.

Er langte über die Theke, griff nach dem Hemdkragen des Seehunds und zog ihn zu sich heran.

"Hör zu, es ist mir egal, wo Fernandez jetzt steckt, ich will, das er hier aufkreuzt und sich anhört, was ich ihm zu sagen habe! Er ist mir nämlich einen Gefallen schuldig!"

"Eres tonto!"

"Du bist tonto, wenn du nicht machst, was ich sage! Dann wird nämlich dein eigener Boss dir die Fresse so polieren, dass du nie wieder einen Zahnarzt brauchst!"

Murphy ließ ihn los.

Der Seehund rieb sich den Hals.

Der Schmächtige kam herbei.

"Hay problemas?"

"De nada!", murmelte der Seehund.

Murphy wandte sich an den Schmächtigen. "Sag Mr. Fernandez, dass Murphy hier ist. Dann wird er seinen Arsch schon hochkriegen. Comprendido?"

Der Seehund nickte dem Schmächtigen zu, unter dessen Jackett sich deutlich eine Waffe unter der Achsel abzeichnete. Wenn man wollte, dass so ein Schießeisen nicht auffiel, musste man eine Nummer größer tragen. Murphy wusste das aus seiner langjährigen Hitman-Erfahrung. Dieser Mini- Rambo offenbar nicht.

"Warten Sie hier!", sagte der Schmächtige und verschwand durch einen Nebeneingang.

Wenig später kehrte er zurück.

"Venga!"

"Wenn das heißen soll, dass Sie mich zu Fernandez führen..."

Der Schmächtige brachte Murphy in einen schmalen Korridor. Murphy kannte sich aus. Er war schon des Öfteren hier gewesen, wenn er neue Papiere brauchte. Das BUENA SUERTE diente nur der Tarnung und der Geldwäsche für Einnahmen aus dem illegalen Sektor. Fernandez' eigentliches Geschäft war nämlich das Fälschen von Dokumenten aller Art. In erster Linie natürlich Pässe, Führerscheine und Sozialversicherungskarten. Fernandez war perfekt darin, einer der Besten. Er konnte einem eine regelrechte Identität besorgen, mit der man unbehelligt existieren konnte. Immer wieder hatte Murphy in seiner Eigenschaft als Lohnkiller die Dienste dieses Mannes in Anspruch nehmen müssen.

Und jetzt brauchte er sie dringender denn je.

Schließlich war Murphy offiziell tot.

Hingerichtet mit der Giftspritze. Es gab einen Totenschein und Dutzende von Medienberichten, in denen über die Hinrichtung informiert worden war. Eine Mafia-Bestie vor dem großen Richter im Himmel... Da ließ sich eine Story draus machen.

Und wenn so jemand wieder auftauchte, machte das Aufsehen.

Es war unter diesen Umständen nicht daran zu denken, eine Wohnung zu mieten, ein Hotelzimmer zu beziehen, einen Wagen zu leihen, sich eine Waffe zu besorgen... Jedenfalls nicht ohne dass jemand Fragen stellte und versuchte, der Sache auf den Grund zu gehen.

Murphy brauchte eine Tarnung.

Und Fernandez sollte sie ihm geben.

Der Besitzer des BUENA SUERTE war auch noch aus einem anderen Grund wie prädestiniert für dieses Geschäft. Er war nämlich von der Mafia-Größe Rico Altobelli vor Jahren übel maltraitiert worden. Der Brand im BUENA SUERTE war wahrscheinlich von Altobellis Leuten gelegt worden. Das hatte erst aufgehört, als Fernandez sich vom Syndikat der Puertoricaner hatte schützen lassen.

Murphy betrat das Büro.

Es sah chaotisch dort aus. Bierdosen standen überall herum. Es roch nach Pizza. Ein halbes Dutzend Schachteln türmte sich auf dem Schreibtisch. Ein Fernseher lief.

Fernandez saß dahinter, die Füße auf dem Tisch.

Er blätterte einen Ordner mit Kontoauszügen durch, zuckte dann zusammen als er Murphy sah.

Murphy grinste.

"Du hast wohl nicht damit gerechnet, mich nochmal zu sehen, was?"

"Madre de Dios!", stieß Fernandez hervor.

"Ich wusste gar nicht, dass du religiös bist!"

"Wenn man dich so sieht, Murphy, dann wird man's wieder!!" Er blickte kurz zum Fernseher, starrte dann wieder Murphy an. "Schließlich hieß es doch ziemlich laut und vernehmlich, dass man dich für deine Schandtaten über den Jordan geschickt hat!"

"Totgesagte leben länger!"

"Hey, Hombre! Das musst du mir erklären! No puedo creerlo!"

"Ich muss gar nichts!"

"Ich kann das nicht glauben, Murphy! Du bist mit Gift vollgepumpt und von mehreren Ärzten für tot erklärt worden und stehst jetzt vor mir! Jesús! No es possible!"

Murphy dachte nicht im Traum daran, auch nur eine Silbe über das zu verlieren, was geschehen war. Kein Wort über das Eingreifen der Dunkeldämonen, die ihn auf ihre dem Untergang geeweihte Welt Lykoor geholt hatten. Kein Wort darüber, dass der Killer Murphy jetzt im Auftrag dieser fremden Wesenheiten agierte, die die Erde als ihren neue Heimat zu erobern trachteten. Diese Geschichte war so fantastisch, dass Murphy manchmal selbst Zweifel daran hatte, ob es sich um die Wirklichkeit handelte, was er erlebt hatte. Oder nur um einen eigenartigen Traum.

"Ich brauche Papiere", sagte Murphy sachlich. Seine Stimme klirrte wie Eis.

Fernandez wandte einen Blick zu dem Schmächtigen, der sich neben der Tür postiert hatte.

"Vaya!"

"Sí, Señor Fernandez!"

Der Schmächtige verließ den Raum, bedachte Murphy zuvor noch mit einem halb ungläubigen, halb misstrauischen Blick.

Fernandez lehnte sich zurück.

Murphy deutete auf die Pizza-Packungen.

"Wissen die Puertoricaner eigentlich, dass du den Fraß der Konkurrenz zu dir nimmst!"

"Mierde! Lass uns Klartext reden, Murphy!"

"Da bin ich auch immer für!"

"Also, was willst du? Que quisiera?"

"Papiere."

"Das sagtest du bereits."

"Mehrere Sätze natürlich."

"Du willst endgültig abtauchen!"

"Nein, ich habe einen Job."

Murphy genoss das Erstaunen in Fernandez' Gesicht.

"Wer dich unter diesen Umständen anheuert, muss verrückt sein!"

"Ich werde Altobelli töten. Und wenn du das herumerzählst, habe ich nichts dagegen. Er soll ruhig etwas ins Grübeln kommen..."

"Cooles Amulett hast du da am Hals..."

"Weich mir nicht aus, Fernandez!"

"Tu ich das?"

"Sag mir lieber, wann ich die Papiere bekomme!"

Fernandez schwieg.

Er starrte zum TV. Seine Augen wurden schmal. Er drehte lauter. Eine brünette Reporterin stand vor dem Bildschirm.

"...die Polizei steht vor einem Rätsel. Ich stehe hier in der Ecke Delaware/Dolores Street. Der ganze District ist abgesperrt, man kommt nicht durch, aber so viel ich erfahren konnte, verdichten sich Gerüchte, dass tatsächlich mehrere Straßenzüge in dieser Gegend komplett entvölkert sind..."

Unter der linken Brust erschien eine Einblendung.

'Sarah McCall für Frisco TV.'

Ein kleines Fenster war in der Ecke rechts oben zu sehen. Es zeigte den Moderator. Die Unterzeile lautete: 'Tom Dressel im Studio.'

"Stimmt es, dass es bislang keinerlei offizielle Verlautbarungen des San Francisco Police Department dazu gibt?", fragte Tom Dressel.

"Das ist richtig, Tom Dressel. Man scheint hier irgend etwas unter der Decke halten zu wollen. Ich habe mit Leuten gesprochen, die Angehörige in den betroffenen Straßenzügen haben und sich nicht erklären können, wo die Verschwundenen abgeblieben sind. Ein Mann sagte mir völlig aufgelöst, er sei nur kurz ein paar Blocks weiter gefahren, um sich eine Schachtel Zigaretten in einem 24 hours Supermarket zu kaufen und als er zurückkehrte, waren die Straßen wie ausgestorben. Er alarmierte dann die Polizei, die allerdings wohl erst mit erheblicher Verzögerung reagierte."

Fernandez drehte den Ton leiser.

"Kaum zu glauben", meinte er. "Da kann man glatt auf die Idee kommen, dass die sich das nur ausdenken. So wie die Story letzte Woche von dem Krokodil in der Kanalisation des Russian District..."

"Du bist 'ne feige Ratte, Fernandez!", sagte Murphy. "Du drückst dich um eine Antwort auf meine Frage herum."

"Du kennst sie doch längst, Murphy. Es gibt keine Papiere. Und wenn du versuchst, mir die Knochen zu brechen, rufe ich meine Leute."

Murphy verzog das Gesicht.

"Ich bekomme richtig Angst!"

Fernandez beugte sich vor, sprach jetzt in gedämpftem Tonfall, während Tom Dressel im TV ein paar umständliche Fragen formulierte, um damit etwas Zeit bis zur Werbung zu schinden.

"Hör mir zu, Murphy! Ich bin aus dem Geschäft! Die Bullen haben mich in der Hand."

"Du arbeitest als Spitzel für die?"

"Blieb mir nichts anderes übrig!"

"Das darf nicht wahr sein!"

"Und selbst, wenn ich noch im Business wäre, könnte ich dir nicht helfen. Aber ich geb' dir'nen heißen Tip."

"Na, großartig!"

"Geh zu einem Chinesen Namens Mr. Tang. Dessen Pässe sind auch nicht schlechter als die meinen früher waren. Aber Mister Tang kann Altobelli die Stirn bieten und wird dich nicht gleich an ihn verkaufen!"

Murphy nickte langsam. Wut kochte in ihm auf. Aber Fernandez' Argumentation leuchtete ihm ein. "Offenbar habe ich dich unterschätzt, Fernandez."

"Offensichtlich."



2

FERNANDEZ WÄRE DAS PERFEKTE OPFER GEWESEN, meldete sich eine Gedankenstimme in Murphys Bewusstsein, während er durch die nebligen Straßen des nächtlichen Frisco ging.

Murphy kannte sie nur zu gut.

Es war die Stimme YYNDRONS, dessen Seele in dem Amulett gefangen war, mit dem die Dunkeldämonen Murphy ausgestattet hatten.

Dem Abrash'dala...

In seiner Welt, der Welt der Dunkeldämonen, war Yyndron ein Mörder gewesen. Eine Gemeinsamkeit zwischen uns, dachte Murphy. Aber ansonsten empfand er dieses fremde Bewusstsein, dass sich hin und wieder erdreistete, dem Hitman Ratschläge zu geben, als einen Eindringling. Es gefiel ihm nicht, dass da jemand war, der zu seinem Innersten Zugang hatte.

Du spinnst!, antwortete Murphy in den Gedanken.

WANN WILLST DU DENN IN DER BEHERRSCHUNG DER ABRASH'DALA-KRÄFTE FORTSCHRITTE MACHEN? DU KANNST NICHT EWIG DAMIT WARTEN,MURPHY. AUCH WENN DU DAVOR ZURÜCKSCHRECKST, WEIL DU NICHT WEISST, WAS IN DIESEM AMULETT UM DEINEN HALS ALLES SCHLUMMERT.

Niemand braucht mir zu sagen, wie das Töten funktioniert!, erwiderte Murphy.

SO? WIRKLICH? GEGEN ALTOBELLI BIST DU NICHT GEWAPPNET. UND AN FERNANDEZ UND SEINEN LEUTEN HÄTTEST DU HERVORRAGEND TRAINIEREN KÖNNEN.

Ich töte nicht sinnlos.

DAS HAST DU BEREITS.

Du meinst die Dunkeldämonen, die man mir gewissermaßen als Sparring-Partner vor die Nase setzte...

JA!

Ich denke nicht gern daran.

EIN MÖRDER MIT SKRUPELN?

Ein Aspekt, der uns zu unterscheiden scheint.

WER SAGT DENN, DASS ES SINNLOS GEWESEN WÄRE, DIE ABRASH'DALA-KRÄFTE AN FERNANDEZ UND SEINEN LEUTEN ZU TESTEN?

Schweig!

Einmal hatte Murphy zuvor die Wirkung des Abrash'dala gespürt und in der Praxis ausprobiert. Die Dunkeldämonen hatten ihn dazu gezwungen, ihm einige der ihren als Gegner gegenübergestellt.

Und Murphy hatte sie besiegt.

Nahezu unglaubliche Reflexe, Schnelligkeit und Kraft hatten ihn erfüllt. Er erinnerte sich an diesen im wahrsten Sinn des Wortes mörderischen Rausch nur ungern. Wie eine vernebelte Erinnerung an ein Drogenerlebnis erschien ihm das. Vor einigen Jahren hatte ihm mal jemand, der es nicht so gut mit ihm meinte, einen Wirkstoff eingeflößt, der auch in vielen Designerdrogen vorkam und ihn dann stundenlang ziellos durch die Stadt hatte irren lassen. Ein Horrortrip, der ihm noch heute das kalte Grausen bereitete, wenn er nur daran dachte.

Er hatte damals ein verdammt großes Glück gehabt, dass er nicht umgekommen war.

Diese Stadt ist ein Dschungel, dachte Murphy. Ein Dschungel voller wilder Tiere. Und zu einem der wildesten wirst du jetzt gehen müssen, um es um einen Gefallen zu bitten...

SO DENKST DU ÜBER MISTER TANG?, kommentierte Yyndron, der Mörder einer anderen Welt mit mehr als nur einem Schuss Sarkasmus. Murphy glaubte in seinem Hinterkopf eine Art zynisches Lachen zu hören.



3

Ein paar Tage später...

Fünf Uhr morgens.

Die letzten Gäste hatten das BUENA SUERTE verlassen. Der Barkeeper saß zusammen mit dem schmächtigen Leibwächter an einem der Tische und zählte die Einnahmen.

Mona, das Strip-Girl, das zuletzt aufgetreten war, kam aus der Garderobe. Die perfekte Figur zeichnete sich deutlich unter dem engen Rolli und der Jeans ab. Fernandez stand etwas abseits, sah seinen Leuten beim Geldzählen zu. Er wirkte müde und nachdenklich.

"Was ist los, Mr. Fernandez?", fragte Mona, als sie bei ihm stehen blieb.

Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

"Lass dir dein Geld auszahlen und verschwinde!"

"War ja nur 'ne Frage!"

"Caramba! No preguntame! Geh mir mit deinen Fragen nicht auf die Eier, Muchacha!"

Mona sah ihn etwas befremdet an. Sie strich sich das schwarzblaue Haar nach hinten. Einen Augenblick lang starrte Fernandez auf ihre wohlgerundeten, üppigen Brüste, die sich unter dem Rolli hervorzeichneten. Aber im Moment hatte er nicht einmal daran Freude.

Er ahnte nämlich, dass sich ein Gewitter über ihm zusammenzog.

Alles hatte damit angefangen, dass ein gewisser Murphy quasi aus dem Jenseits zurückgekehrt war. Murphy, der hingerichtete Hitman, dessen Seele in die Hölle gehörte. Killer Murphy, gekillt von einem noch größeren Killer, der statt einer SIG Sauer P226 oder der guten alten Beretta die Justiz als Waffe benutzt hatte.

Mona ging zu dem Schmächtigen an den Tisch, ließ sich ihre Gage auszahlen, wollte dann in Richtung des Ausgangs gehen, in dessen Nähe ein riesenhafter Kahlkopf, der für Fernandez als Rausschmeißer arbeitete, an der Alarmanlage herumprogrammierte.

Was dann geschah ging sehr schnell.

Der Kahlkopf wirbelte herum.

Er zuckte wie eine Puppe.

Mehrfach.

Eine Sekunde später lag er ausgestreckt auf dem Boden, hatte ein rundes, rotes Loch zwischen den Augen, eins in der Brust. Zwei Schusswunden, aus denen Blut hervorsickerte und sich in einer immer größer werdenden Lache auf den Boden ergoss. Die Parkettlackierung verhinderte, dass es aufgesogen wurde oder versickern konnte.

Die Hand des Kahlkopf steckte unter der Jacke, hatte sich um den Griff eines 4.57er Magnum-Revolvers gekrallt, es aber nicht mehr geschafft, die Waffe herauszureißen.

Der Angriff war einfach zu schnell erfolgt.

Ein Mann mit einer Schalldämpferpistole stand in der Tür. Er trug einen dunklen Anzug, die Jacke mit fünf Knöpfen, so dass sie fast bis oben hin geschlossen war. Darunter einen ebenfalls dunklen Rolli. Er sah aus wie ein Existenzialist. Oder ein Reverend.

Der schmächtige Leibwächter sprang auf.

Der Barkeeper ebenfalls.

Der Tisch wurde angestoßen. Die Tageseinnahmen des BUENA SUERTE fielen zu Boden.

Beide Männer griffen zu den Waffen, die sie am Gürtel trugen.

Der Barkeeper hatte einen kurzläufigen Smith & Wesson-Revolver vom Kaliber 38 in der Faust. Normalerweise trug er ihn so unter seiner Weste, dass er den Gästen gleich auffiel, dennoch aber schnell zu ziehen war.

Ein Schuss löste sich aus seiner Waffe, krachte eine Handbreit über den 'Reverend' in den Türsturz hinein. Holz splitterte.

Der 'Reverend' schwenkte seine Waffe herum.

Ein Geräusch wie ein kurzes Niesen oder Schlag mit einer Zeitung, mehr nicht. Das Mündungsfeuer leckte wie die Feuerzunge eines Drachen aus dem Schalldämpfer heraus.

Der Barkeeper bekam einen Treffer ins linke Auge.

Er wurde nach hinten gerissen, taumelte und fiel dann der der Länge nach zu Boden.

Der Schmächtige bekam gar nicht erst die Gelegenheit, zu feuern.

Er hatte seine Waffe gerade in den beidhändigen Combat-Anschlag genommen, da ging ein Ruck durch seinen Körper.

Er fiel vornüber, klappte zusammen wie ein Taschenmesser.

Der Schmächtige war von hinten erschossen worden.

Auf der Bühne, auf der sonst ein paar knackige Girls ihre Reize zur Schau stellten, stand jetzt ein weiterer Mann, der wie ein Zwilling des 'Reverends' aussah. Zumindest von der Kleidung her gesehen.

Auch er hatte eine Schalldämpferwaffe in den Fingern.

Fernandez stand wie erstarrt da.

Er hatte kein Schießeisen bei sich, konnte auch nicht gut genug damit umgehen. Um sich zu schützen, hatte er schließlich Leute, die dafür bezahlt wurden.

Der zweite Mann musste durch einen der Hintereingänge hereingekommen sein.

Fernandez fragte sich, was mit seinen anderen Angestellten war, die sich zu diesem Zeitpunkt noch im Gebäude befunden hatten.

Wenn man von der kompromisslosen Art des Vorgehens ausging, die die beiden Männer in Schwarz an den Tag gelegt hatten, dann gab es nur einen logischen Schluss. Fischfutter!, dachte Fernandez. Diese Schweine haben jeden umgebracht, der sich ihnen in den Weg stellte! Er zitterte. Er ahnte, dass er der Nächste sein würde.

Mona stieß einen spitzen Schrei aus.

Ein Fehler.

Der Killer auf der Bühne brachte sie mit einem Schuss zum Schweigen.

Sie krachte auf einen der Tische, krallte sich noch an der Kante fest und riss ihn mit um.

"Unser Boss kann Krach nicht leiden!", sagte der Killer auf der Bühne.

Der 'Reverend' an der Tür trat auf Fernandez zu, postierte sich etwas seitwärts.

Er wandte sich kurz zur Tür. "Sie können hereinkommen, Mr. Altobelli!"

Der Mann, der jetzt in Begleitung von drei Leibwächtern eintrat trug ein edles Kaschmir-Jackett. Er ließ den Blick schweifen, verzog das Gesicht, als er die Leichen sah.

Dann ging Altobelli auf Fernandez zu, stellte sich neben ihn an die Bar. "War 'ne Scheiß-Idee von dir, deinen Schutz den Puertoricanern anzuvertrauen, Fernandez. Du siehst ja, dass die Brüder nicht auf Zack sind. Aber den Eindruck habe ich schon lange, das wundert mich nicht weiter."

Fernandez schluckte.

Sein Gesicht war aschfahl.

Altobelli langte blitzschnell nach vorn, erwischte Fernandez' Nase, drehte sie herum und zog den Besitzer des BUENA SUERTE zu sich heran. Fernandez knallte mit dem Kopf auf den Schanktisch, schrie auf, als es in seiner Nase knackte. Das Blut schoss nur so heraus.

Altobelli sah sich seine besudelte Hand an und wischte sie an Fernandez' Jacke ab.

"Du bist 'nen Ferkel, Fernandez!"

"Was soll das, Mann! Ich habe dir nichts getan! Was willst du überhaupt?"

"Es geht um jemanden, der eigentlich tot sein sollte!"

Fernandez hielt sich die Nase. Das Blut rann ihm am Handgelenk herunter.

"Ich glaube nicht an Zombis, Hombre!"

"Ich auch nicht. Aber dieser war hier. Er heißt Murphy und du weißt von wem ich rede!"

"Mr. Altobelli... Meine Nase! El sangre.. mierde!"

"Kümmer dich nicht um deinen verdammten Zinken. Wenn du unter der Erde liegst, brauchst du kein Riechorgan mehr! Aber je nachdem, wie auskunftsfreudig du bist, kann es sehr lange dauern, bis du im Jenseits ankommst, Fernandez!"

Der 'Reverend' steckte seine Schalldämpferpistole weg, knöpfte dafür seine Jacke auf und holte einen handelsüblichen Elektroschocker hervor.

"Soll ich anfangen, Boss?"

"Fang an!"



4

Die mit chinesischen Schriftzeichen bemalten Lampions spendeten etwas Licht. Es herrschte Halbdunkel. Der dicke Mann sah aus wie ein großer Buddha. Murphy schätzte sein Gewicht auf zweihundert Kilo. Rechts und links hinter ihm hatten sich zwei Leibwächter postiert, ausgerüstet mit Uzi-Maschinenpistolen. Ihre Gesichter wirkten ausdruckslos.

Der legendäre Mister Tang!, ging es Murphy durch den Kopf. Er hatte schon viel von ihm gehört. Und er wusste, dass Tangs Leute die Todfeinde von Rico Altobelli und seinem Clan waren. Verbissen kämpften sie um Marktanteile in den verschiedenen illegalen Geschäftszweigen: Drogen, Glückspiel, Schutzgeld, Müll...

Mister Tang legte einen braunen Umschlag auf den Tisch.

"Ihre Papiere, Mr. Murphy. Mehrere Sätze, alles so wie Sie es wünschten. Außerdem haben wir ein Nummernkonto für Sie eingerichtet. Wir haben keinen Zweifel daran, dass Sie den Mann, der Ihnen so übel mitgespielt hat, töten werden."

"Altobelli..."

"Sie haben einen guten Ruf als Profi. Ich wünsche Ihnen alles Gute bei Ihrem Vorhaben."

"Zu gütig. Sie scheinen von der Devise auszugehen, dass der Feind des eigenen Feindes ein Freund sein muss."

"Sie sagen es, Mr. Murphy. Ich gehe davon aus, dass wir von Altobellis Tod in den Medien erfahren werden. Wenn es dazu kommt, werden wir uns nochmals finanziell erkenntlich zeigen. Könnte sein, dass Sie dann etwas Hilfe brauchen, schließlich werden Altobellis Nachfolger die Sache nicht auf sich beruhen lassen können."

"Ich verstehe. Und ich weiß Ihre Großzügigkeit zu schätzen.

"Es ist im Grunde nichts weiter als wohlverstandener Eigennutz, Mr. Murphy. Ich bin keineswegs das, was man in Ihrer Kultur einen Samariter nennt."

"Das bin ich auch nicht."

"Ich sehe, wir verstehen uns."

"Daran habe ich keinen Zweifel."

"Ich weiß." Mister Tang beugte sich etwas vor. Ein Kellner brachte zwei Gläser mit Reiswein, stellte eines vor Tang hin, das andere vor Murphy. Tang scheuchte den Mann mit ein paar Worten auf kantonesisch und einer ärgerlichen Handbewegung weg wie eine lästige Fliege. Seine rabenschwarzen Mandelaugen musterten Murphy durchdringend. "Sie werden sich darüber gewundert haben, dass ich mich mit Ihnen persönlich treffen wollte. Ich hätte schließlich auch meine Leute alles machen lassen können."

"Ja, das stimmt."

Murphy nahm den Umschlag an sich, warf einen kurzen Blick hinein. Er hatte keinerlei Zweifel daran, dass alles das darin war, wovon Murphy gesprochen hatte. Mister Tang war ein Mann, der sein Wort hielt. Im Guten wie im Bösen. Vor allem im Bösen.

"Ich möchte damit die außerordentliche Wichtigkeit dieser Sache unterstreichen, Mister Murphy."

"So habe ich das auch verstanden."

"Altobelli muss ausgeschaltet werden. Aber täuschen Sie sich nicht. Dass ist ist kein Job wie Sie ihn bisher gemacht haben. Altobelli ist eine Klasse für sich!"

"Ich werde jedenfalls nicht den Fehler begehen, ihn zu unterschätzen."

"Das könnte tödlich sein!"

"Danke für die Warnung."

"Irgendjemand steht hinter Altobelli. Ich weiß nicht, wer es ist. Wir haben Spione bis in die höchsten Führungsebenen seiner Organisation, aber wir haben es nicht herausbekommen."

Murphy lächelte dünn.

Ich weiß eben etwas mehr als du!, ging es ihm durch den Kopf. Denn die Macht, die hinter Altobelli stand, waren die Daran'dreen. Die ebenfalls außerweltlichen Gegner der Dunkeldämonen, die ihrerseits die Erde für sich beanspruchten. Altobelli war nichts weiter als eine Marionette der Daran'dreen. Eine gefährliche Marionette allerdings. Und das war der Grund, weshalb die Dunkeldämonen unbedingt seinen Tod wollten.

Mister Tang war eben keineswegs der einzige, der diesen Mann aus dem Weg haben wollte.

"Und noch eine nützliche Information, Murphy!"

"Ich höre!"

"Altobelli ist schwer zu fassen, tritt nicht oft in der Öffentlichkeit auf. Er verkriecht sich häufig wochenlang in seinem Landsitz in Bodega Bay oder sonstwo. Aber ich weiß, dass in ein paar Tagen ein Deal im Hafen über die Bühne geht, bei dem er anwesend sein muss. Es geht um Kokain, dass aus Kolumbien kommt. Eine neue Geschäftsbeziehung für ihn. Alle Angaben dazu sind in dem Umschlag enthalten. Ich will mich nicht einmischen, wie Sie Ihren Job machen - aber eine so perfekte Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder!"



5

VERSUCHE, MIT DER FINSTERNIS ZU VERSCHMELZEN, MURPHY!

Wie ein fernes Echo klang die Gedankenstimme Yyndrons in Murphys Bewusstsein. Er saß da, hatte eine Hand auf das Abrash'dala um seinen Hals gelegt.

ÖFFNE DICH DER FINSTERNIS, WERDE ZU EINEM SCHATTENWESEN!

Ich kann nicht!, durchzuckte es Murphys Gedanken. Ich kann nicht...

WEIL DEIN BEWUSSTSEIN SICH NICHT GENÜGEND ÖFFNET!

Ein eisiger Schauder durchfuhr Murphy. Vielleicht wollte er sich gar nicht auf diese Weise öffnen, wie es der Geist des Mörders Yyndron verlangte und wie es zweifellos notwendig war, um das Abrash'dala zu beherrschen.

Schon das eine Mal, da er den ersten Grad der Abrash'dala-Kräfte benutzt hatte und zu einer gespenstischen Tötungsmachine mit superschnellen Reflexen und selbst den Dunkeldämonen überlegener Kraft geworden war, verfolgte ihn noch immer bis in die Träume hinein. Kein Job, den er als Hitman zu erledigen gehabt hatte, hatte ihn derart mitgenommen. Und es waren eine ganze Reihe gewesen, die ziemlich unappetitlich gewesen waren...

VERSUCH ES ERNEUT!

Reicht nicht der erste Grad?

NEIN. VIELLEICHT KANNST DU Altobelli MIT DEM, WAS DU BISHER GELERNT HAST BESIEGEN. WENN DU GLÜCK HAST. ABER ES WERDEN WEITERE AUFGABEN FOLGEN, DIE DIE DUNKELDÄMONEN DIR STELLEN WERDEN...

Diese Rolle als Werkzeug in den Händen fremder Mächte gefiel Murphy nicht. Er hatte immer auf eigene Rechnung gearbeitet. Aber andererseits reale Machtverhältnisse immer anerkannt. Es war sinnlos, sich dagegen auflehnen zu wollen. Und wer überleben wollte, musste die Kräfteverhältnisse im Auge behalten.

Und in diesem Fall waren sie nuneinmal so, dass kein Zweifel daran bestehen konnte, dass Dunkeldämonen und Daran'dreen die Erde beherrschen und sich Untertan machen würden.

Es war nur die Frage, welche der beiden Gruppen sie sich als erster unter den Nagel zu reißen wusste.

SIEH AUF DEINE HAND!, forderte die Stimme des Dunkeldämonen-Mörders in ihm. SIEH SIE DIR AN...

Murphy zögerte, bevor er gehorchte.

Er hob die Hand. Ein eigenartiges Prickeln durchfuhr ihn. Es fühlte sich an, wie ein leichter elektrischer Strom. Eine Empfindung, die ihn bis ins Innerste frösteln ließ. Warum tust du dir das an, Murphy, ging es ihm durch den Kopf. Du warst tot. Du hättest bleiben sollen. Um deiner Selbst willen...

Die kribbelnde Missempfindung verstärkte sich.

Die Hand...

Sie begann sich vor Murphys Augen langsam zu verwandeln, wurde zu etwas dunklem. Einer Art Schattenriss.

Murphy zuckte zusammen, als er es sah. Er spürte, wie eine unheimliche Kraft in ihn einströmte. Eine Kraft, die nichts gegen jene Energien war, die er schon einmal mit Hilfe des Abrash'dalas geweckt hatte. Unwillkürlich schreckte der Hitman davor zurück. Es war eine instinktive Scheu. Eine Scheu, die er nicht zu erklären vermochte.

FÜRCHTE DICH NICHT, DU NARR! NUZE DAS, WAS DIR GEGEBEN WURDE NUTZE ES UND...

...TÖTE!

Die Verwandlung ging schrittweise weiter fort. Finsternis, etwas, dass wie pure Dunkelheit aussah, eine namenlose Schwärze, die mehr war, als nur die Abwesenheit jeglichen Lichtes, fraß sich seinen Arm entlang, der jetzt wie der Arm eines Schattens wirkte.

Murphy bewegte ihn, stellte fest, dass es nicht leicht, seine Form konstant zu halten. Auswüchse bildeten sich. Der Arm wurde formlos, wie ein Tentakel.

Und dann war der Arm plötzlich weg.

Unsichtbar.

Wie amputiert.

Murphy schrie auf.

Er hatte das Gefühl zu fallen. Schwindel erfasste ihn. Alles drehte sich vor seinen Augen. Er glaubte, sein Bewusstsein würde in eine Art Strudel hineingerissen, dessen unheimliche Anziehungskraft einfach unwiderstehlich war.

NEIN, DU NARR! WAS BIST DU FÜR EIN NARR, MURPHY!

Die Stimme von Yyndron, dem abgefeimten Mörder einer anderen Welt, war zunächst wie ein gewaltiges Dröhnen zu hören. Dann verhallte sie, wurde leiser, schien sich immer weiter zu entfernen.

MURPHY, DU BIST EIN GOTTVERDAMMTER VERSAGER!, grollte sie ihm hinterher.

Ja, vielleicht, dachte Murphy. Vielleicht... Aber was spielt das für eine Rolle? Die Dunkeldämonen werden einen anderen finden, der ihre Aufträge ausfüllt. Und Altobelli...

Der Gedanke an Rache war immer noch in Cains Bewusstsein.

Aber lange nicht mehr so heiß und glühend wie zuvor. Ein Gefühl der Gleichgültigkeit und der Agonie hatte in seiner Seele um sich gegriffen, sich immer weiter ausgebreitet und inzwischen beinahe den letzten Winkel seines Bewusstseins okkupiert.

Was bedeutet schon Rache?, dachte er.

ERINNERE DICH!, krächzte Yyndron. ERINNERE DICH AN DAS, WAS DIR ANGETAN WORDEN IST!

Bilder vermischten sich mit den eher chaotischen Eindrücken, die Murphy umgaben. Bilder der Erinnerung. Der Moment, in dem er für die Hinrichtung vorbereitet worden war. Etwas ganz Banales mischte sich in diese Melange.

Warum bist du nicht längst auf dem Boden aufgeschlagen?, fragte er sich.

Oder bin ich es schon lange?

Er schien sich in einem Bewusstseinszustand außerhalb von Raum und Zeit zu befinden.

Vor seinen Augen war nichts weiter als Farben, Formen und sich drehende, verschwimmende Konturen, die immer undeutlicher wurden.

Dann erfasste ihn Dunkelheit.

Die Stimme Yyndrons verstummte.

Nacht senkte sich über Murphys Bewusstsein.

Vielleicht war es da, überlegte er. Vielleicht war dies das Ende...

Sein Bedauern hielt sich zu seinem eigenen Erstaunen in Grenzen.



6

Art Johnson betrat das Internetcafe in der Natoma Street im Stadtteil SoMa, was für South of Market stand.

"Hey, ich würde mal gerne einen von euren Rechnern benutzen", sagte Johnson zu dem schlacksigen, ziemlich hochgewachsenen Mann hinter dem Tresen, dessen Brille so dick war, dass man an Flaschengläser denken konnte.

Der Schlacksige lachte. "Klar, dazu sind wir da, Mann. Nehmen Sie die Nummer 5."

"Okay", erwiderte Johnson.

Johnson blickte sich um. Es war nicht viel los um diese Zeit, neun Uhr morgens. Da war die Computerfreakgemeinde noch in den Federn.

"Wollen Sie 'nen Kaffee?", fragte der Schlacksige.

"Lieber wär mir ein Expresso", antwortete Johnson.

Der Schlacksige verdrehte die Augen. "Sind wir ein Restaurant?"

Johnson unterdrückte ein Gähnen. Er hatte in den letzten Nächten nicht viel Schlaf mitbekommen. "Na, meinetwegen, ich nehme auch den Kaffee, aber sehen Sie zu, dass er nicht zu dünn ist."

Der Schlacksige hängte sich den Walkman-Kopfhörer wieder über die Ohren, den er bis dahin um den Hals getragen hatte und verzog das Gesicht. Es war schwer zu sagen, ob das eine Reaktion auf Johnson letzte Bemerkung war oder ein Ausdruck des Entzückens über den Sound, der ihm in die Ohren dröhnte.

Johnson ging an das Terminal, das man ihm zugewiesen hatte. Er wählte sich ins allgemeine Netz ein, wartete dann bis der Schlacksige ihm den Kaffee brachte.

So ein Mist!, dachte er, als er die dünne Brühe sah, aber vermutlich besser als gar nichts.

"Alles easy, Mann?", brüllte der Schlacksige unnötigerweise. Aber er musste ja auch die Musik in seinen Ohren übertönen. Er warf einen misstrauischen Blick auf den Bildschirm, traute Johnson offenbar nicht zu, damit richtig umgehen zu können.

Auf dem Schirm war allerdings nichts verfängliches zu sehen, nur die Homepage von Microsoft.

"Wenn Sie Hilfe brauchen, ich bin da drüben."

"Klar, ich meld mich schon." Johnson wartete bis er sich verzogen hatte. In den nächsten Augenblicken flogen seine Finger nur so über die Tasten. Er wählte sich in ein geheimes Netz ein, zu dem nicht jeder Zugang hatte. Es sei denn, man war Mitglied der Colin Drake Bruderschaft, einer Geheimloge, die sich dem Kampf gegen die Machenschaften von Daran'dreen und Dunkeldämonen verschrieben hatte. Der Computer gab den Zugang zum Intranet der Bruderschaft frei.

Art Johnson war drin. Sein Gesicht zeigte einen angestrengten Ausdruck. Er tippte eine Mail:

>Habe Spur von Murphy aufgenommen. Fahndungsobjekt hatte offenbar Kontakt zu einem gewissen Nachtclubbesitzer namens Fernandez, von dem ich bisher annahm, dass er vom Syndikat der Puertoricaner geschützt wird. Seine Leiche fand man heute in einer Nebenstraße von SoMa, eingepackt in einen Müllbeutel. Ich war gerade am nur wenige hundert Yards Quentfernten Tatort und habe einiges von den Cops aufgeschnappt. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Begleitumstände der Tat nicht David Murphys Handschrift tragen. Der Coroner war sich sicher, dass Fernandez mit Elektroschocks gefoltert wurde. Sobald ich näheres weiß, meld ich mich wieder.>

Art Johnson schickte die Mail ab. Er verließ das Intranet der Bruderschaft. Zum Schluss nahm er noch ein paar Schluck von dem dünnen Kaffee.

Nicht gerade der Saft, der Tote zum Leben erweckt, ging es ihm durch den Kopf.



7

Murphy hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als er erwachte. Er lag auf dem Boden. Der Kopf schmerzte. Sein Arm ebenfalls. Jener Arm, der sich in etwas Schattenhaftes verwandelt hatte. Etwas, wofür er keine Bezeichnung wusste.

ERWACHE, MURPHY! DU HAST LANG GENUG GESCHLAFEN.

Mir ist nicht nach einem inneren Dialog!, war Murphys kühle Erwiderung.

Die Gedankenstimme Yyndrons ging ihm mittlerweile gehörig auf die Nerven.

ICH BIN DEIN EINZIGER VERBÜNDETER, erklärte der Mörder ihm. BEDENKE DAS!

Du wirst ja nicht müde, mich ständig daran zu erinnern!

MIT GUTEM GRUND!

Ja, ja...

DENK AN DEINE RACHE! DENK AN DIE GIFTSPRITZE, DIE HINRICHTUNG, DIE ZUFRIEDENHEIT IN DEN AUGEN DER ZEUGEN... DENK AN AltobelliS ZUFRIEDENHEIT IN DIESEM MOMENT UND AN DEN SCHECKEN, DER IHM BEVORSTEHT WENN DU ALS LEIBHAFTIGER SCHATTEN AUS DEM JENSEITS VOR IHM STEHST!

Keine Sorge! Ich werde meine Aufgabe schon erfüllen. Ich bin schließlich Profi. Auch wenn du vielleicht gar nicht weißt, was das ist...

Murphy erhob sich. Er blickt sich um. Der Hitman befand sich einem Hotelzimmer im SHAPIRO, einem etwas heruntergekommenen Hotel im Russian District. Von dieser Gegend wusste Murphy jedenfalls, dass Altobelli hier keinen Einfluss hatte. Die Russen-Mafia allerdings auch nicht mehr. Sie hatte dieses Gebiet vor einiger Zeit an die ukrainische Müll-Mafia verloren, die ihr Geld damit verdiente, Giftmüll sehr preiswert und sehr illegal zu entsorgen. Ein Geschäft, dass in seinen finanziellen Dimensionen den Drogenhandel schon überholt hatte.

Murphy war das gleichgültig.

Für ihn zählte, dass die Altobelli-Leute es sich zweimal überlegen würden, bevor sie sich im Russian District sehen ließen.

Murphy streckte sich. Der Arm schmerzte noch immer, auch die Hand. Murphy starrte sie an, wirkte fast ungläubig.

Es ist nichts mit ihr geschehen!, erinnerte er sich. Er berührte sie mit der anderen Hand, so als müsste er sich dieser Tatsache erst vergewissern.

Alles in Ordnung!, durchzuckte es ihn. Glaub es endlich, Murphy! Glaub es!

Auf dem Bett lag eine Sporttasche.

Sie war geöffnet.

Murphy langte hinein, holte eine Waffe heraus.

Eine Beretta. Ein weiterer Griff förderte einen Schalldämpfer zu Tage, den er sorgfältig aufschraubte. Die Waffe lag gut in der Hand. Sie war sauber, dass hieß fabrikneu, aber nirgends registriert. Für Murphy war es keine Schwierigkeit gewesen, sich das Eisen zu besorgen. Tangs Papiere hatten ein übriges dazu beigetragen.

DU BRAUCHST SIE NICHT!, meldete sich Yyndron. DIR STEHT DIE MACHT DES ABRASH'DALA ZUR VERFÜGUNG!

Mag sein!, erwiderte Murphy. Aber solange ich diese noch nicht zur Gänze beherrsche, werde ich mich auch nicht allein auf die Kraft des Amulettes verlassen!

NARR!



8

Rico Altobelli hörte die Frühnachrichten. Die schöne Blonde, die sich nackt neben ihm im Bett räkelte, kroch zum Nachttisch. Auf dem Nachttisch lagen fünf kleine Häufchen von einem weißen Pulver.

Kokain.

Mit einem Röhrchen begann sie sich eines dieser Häufchen in die Nase zu ziehen.

Die Geräusche, die dabei entstanden, ließen Altobelli das Gesicht verziehen.

"Mach verdammt nochmal nicht so'n Krach, Baby!", grunzte er und hörte angestrengter zu.

"...gibt es nach wie vor keine Spuren von den Verschwundenen. Zahlreiche Angehörige haben sich inzwischen gemeldet und wie aus gut unterrichteten Kreisen zu erfahren war...."

Das erfuhr Altobelli nicht mehr.

Die Blonde schniefte wie ein Walross am zweiten Häufchen.

Altobelli verdrehte die Augen.

Entvölkerte Straßenzüge...

Er wusste es nicht mit hundertprozentiger Sicherheit, aber er konnte sich denken, wer dahinter steckte.

Die Daran'dreen!

Seine Herren!

Der Verschwundenen waren vermutlich als Arbeitskräfte auf ihre Welt verschleppt worden.

Sie sind völlig ohne Skrupel!, ging es ihm durch den Kopf. Noch waren die Daran'dreen, die Gegenspieler der Dunkeldämonen, seine Verbündeten, und Rico Altobelli dachte daran, aus dem Krieg zwischen ihnen, der hinter den Kulissen geführt wrde, seinen Vorteil zu ziehen.

Noch brauchen sie Leute wie mich!, rief er sich in Erinnerung. Noch... Aber das konnte sich ändern. Und vor diesem Augenblick fürchtete der Mafioso sich.

Das Handy klingelte. Es steckte noch im Jackett.

Altobelli erhob sich, ging zu dem Stuhl, über das er es am Abend nachlässig gehängt hatte und nahm den Apparat heraus. Ein Prepaid-Handy. Bei dessen Benutzung konnte man nicht vom Gesprächsteilnehmer elektronisch identifiziert werden. Gegen die Abhör-Zeugen des FBI und der DEA half nur ein fleißiges Wechseln der Sim-Cards.

Altobelli rechnete damit, dass jedes Festnetz-Telefon in seiner Villa im Nobelviertel von Frisco abgehört wurde. Und dasselbe galt aller Wahrscheinlichkeit auch für seinen Landsitz in der Nähe von Bodega Bay.

"Ja?", meldete sich Altobelli.

"Der Deal geht klar, Boss. Es ist alles arrangiert."

"Gut."



9

Die rote Morgensonne schien von der Ostseite der San Francisco Bay herüber zu den Piers. Ein kühler Morgen. Wie der glutrote Stern einer sterbenden Welt stand die Sonne direkt über dem auf der anderen Bayside gelegenen Oakland.

Ein Frachter kroch in Richtung Norden, würde an der berüchtigten und heute zum Museum gewordenen Insel Alcatraz vorbeiziehen und die Golden Gate Bridge passieren, um dann den Pazifik zu erreichen.

Murphy stand an der Ecke eines Lagerhauses. Ein gewaltiger Kran in seinem Blickfeld. Davor befand sich eine breite Asphaltfläche. Einige Container waren dort abgestellt worden.

Murphy wartete.

Genau hier war der Treffpunkt.

Es war vier Uhr morgens.

Und um diese Zeit gab es keinen einsameren Ort in der ganzen Bay Area.

Selbst auf dem Highway, der über die San Francisco-Oakland Bridge führte, über die man von Frisco aus links nach Berkeley und rechts nach Oakland gelangen konnte, wurde zur Zeit kaum befahren. Man konnte die Wagen noch zählen.

Murphy blickte auf die Uhr.

Er war früher hier als notwendig.

Das war immer das Beste.

Sich nie überraschen lassen. Eine Überlebensdevise, die er sich in seinem Job zu eigen gemacht hatte.

Unter der Lederjacke, die er trug, fühlte er den Abdruck seiner Beretta. Der Schalldämpfer war aufgeschraubt. Sicher war sicher. Auch wenn der Mörder, dessen Seele in dem Amulett namens Abrash'dala gefangen war, ihn dafür verhöhnte, dass er eine im Vergleich zum magischen Arsenal der Dunkeldämonen geradezu primitive Waffe mit sich führte, so wollte Murphy doch nicht darauf verzichten.

Alte Gewohnheiten, dachte er.

Der Schrecken, den ihm sein letzter Versuch verursacht hatte, 'mit der Finsternis zu verschmelzen', wie es von ihm gefordert worden war, saß noch sehr tief. Wie ein Stachel im Fleisch seiner Seele. Und du hast gedacht, dir kann nichts und niemand etwas anhaben, du wärst mit allen Wassern gewaschen, abgehärtet und stahlhart!, ging es ihm voller Sarkasmus durch den Kopf.

JEDER HAT SEINE GRENZEN, MURPHY.

Auf dich habe ich gewartet, meinen ungeliebten Kommentator!, war Murphys Erwiderung auf den Gedankenimpuls des Mörders Yyndron.

ES IST DIE WAHRHEIT, MURPHY!

Mag sein.

UND JEDER SOLLTE SEINE GRENZEN KENNEN UND SIE RESPEKTIEREN. WER IMMER DAGEGEN VERSTÖSST, WIRD ES BEREUEN!

Nicht ich habe versucht, meine Grenzen zu überschreiten, Yyndron! Du hast es mir eingeredet, mich quasi dazu gezwungen!

DAS IST KEIN WIDERSPRUCH. AUSSERDEM BIN ICH ÜBRZEUGT DAVON, DASS DU ES WIEDER VERSUCHEN WIRST. WIEDER UND WIEDER, BIS ES DIR GELINGT!

ÜBRIGENS - DIESER MOMENT WÄRE EINE GUTE GELEGENHEIT, EINEN ERNEUTEN VERSUCH ZU STARTEN.

Um dann im entscheidenden Moment zu versagen?

ES IST BEDAUERLICH, DASS DU DIESE MÖGLICHKEIT ÜBERHAUPT IN BETRACHT ZIEHST, MURPHY!

Hängt die Tatsache, dass du nichts weiter bist, als eine gefangene Seele in einem Amulett, vielleicht damit zusammen, dass du die Möglichkeit des eigenen Scheiterns nie genug in Betracht gezogen hast?, versetzte Murphy.

Yyndron schwieg.

Murphy hielt das für ein gutes Zeichen.

Er lächelte.

Auf der Bay nahm er eine Motoryacht wahr.

Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt, um mit seiner Yacht hinauszufahren, ging es Murphy durch den Kopf. Kurz bevor der Killer in den Diensten der Dunkeldämonen zum Hafen aufgebrochen war hatte ihn ein Anruf erreicht. Einer von Mister Tangs Handlangern hatte sich gemeldet und ihn über die genauen Umstände des Deals informiert. Und dazu gehörte, dass die Kolumbianer mit einer Motoryacht an der Pier anlegen würden.

Und noch etwas anderes hatte Murphy erfahren.

Beide Seiten hatten sich darauf geeinigt, höchstens drei Leibwächter mitzubringen.

Für Murphy eine gute Nachricht.

Er konnte nur hoffen, dass sich alle Beteiligten auch daran hielten. Sonst wurde es vielleicht doch noch eng. Trotz der Kräfte des Abrash'dala.

Eine Limousine mit Überlänge fuhr auf die Pier.

Murphy sah sie ganz deutlich.

Ein Mann stieg aus, gekleidet wie ein Reverend. Die Uzi, die er über der Schulter trug, deutete allerdings an, dass es sich keineswegs um einen Diener des Herrn handelte. Ganz im Gegenteil. Misstrauisch ließ der 'Reverend' den Blick schweifen. Als er die Yacht draußen in der Bay sah, schien er sich etwas zu entspannen.

Jedenfalls glaubte Murphy das aus seiner Körperhaltung herauszulesen.

Er ging zur Hintertür der Limousine, öffnete sie und einen Augenblick später stieg Rico Altobelli ins Freie.

Murphy griff zur Waffe unter seiner Jacke. WAGE ES! ES IST EINE EINZIGARTIGE GELEGENHEIT! ERINNERE DICH DARAN, WIE DU DIE DUNKELDÄMONEN BESIEGT HAST!, meldete sich die Stimme Yyndrons in seinem Inneren.

Murphy ließ die Beretta stecken.

Stattdessen umfasste er mit der Hand das Abrash'dala.

Eine unglaubliche Wärme ging von dem Amulett aus, durchströmte jetzt seinen gesamten Körper.

JA, SPÜRE DIE MACHT, MURPHY... FÜHL SIE UND GLAUBE AN SIE, DANN WIRST DU ES SCHAFFEN!

Er pirschte sich voran, erreichte den Kran.

Murphy duckte sich, blickte unterdem gewaltigen Gewichte- kasten des Krans hindurch.

Altobelli ging ungeduldig auf und ab. Einer seiner drei Leibwächter hatte ein Walkie-Talkie in der Hand. Möglicherweise waren sie darüber in Kontakt mit der Yacht.

DREI LEIBWÄCHTER, erinnerte ihn Yyndron. MIT HILFE DER KRÄFTE DES ABRASH'DALA WIRST DU DAMIT SPIELEND FERTIG.

Murphy legte eine Hand auf das Abrash'dala. Die eigenartige Wärme, die von diesem Amulett ausging, durchströmte ihn. Er erinnerte sich an jenen Augenblick, an dem er in eine Art Blutrausch geraten war und die Dunkeldämonen vernichtet hatte, die man ihm als Gegner vorgesetzt hatte.

Er spürte jetzt wie ähnliche Empfindungen in ihm hochkamen, spürte wie die Kräfte des Abrash'dala von ihm Besitz ergriffen. Gleichzeitig schreckte er davor zurück.

Ich kann es nicht kontrollieren, dachte er.

DU WIRST ES LERNEN, war Yyndrons kalte Antwort.

Und wenn nicht?

DIESE MÖGLICHKEIT GIBT ES NICHT. DU SOLLTEST SIE DESHALB NICHT IN BETRACHT ZIEHEN. UND AUCH ICH WERDE ES NICHT TUN, war Yyndrons Erwiderung.

Der Instinkt für Gefahr meldete sich. Dieser Instinkt hatte nichts mit den Eigenschaften des Abrash'dalas zu tun. Er war vielmehr eine Eigenschaft, die Murphy in den vielen Jahren in denen er als Killer tätig gewesen war zugewachsen war. Murphy hatte es im Gefühl, ob ein Augenpaar auf ihn gerichtet war oder vielleicht der Lauf einer Beretta.

Er wirbelte herum. Aus den Augenwinkeln heraus nahm er eine Bewegung wahr. Reflexartig hechtete er zu Boden.

Die Reflexe waren durch die Eigenschaften des Abrash'dalas offenbar um ein vielfaches beschleunigt. Er kannte dies schon durch seine Erlebnisse mit den Dunkeldämonen.

Seine Schnelligkeit war es, die ihn in der nächsten Sekunde tatsächlich rettete. Denn nur einen Augenaufschlag später zischten mehrere Projektile dicht über ihn hinweg, klackerten in das Stahlgehäuse des Krans hinein. Hier und da wurden Löcher gestanzt, Funken sprühten.

Murphy rollte sich auf dem Boden herum. Links und rechts schossen weitere Projektile kleine Stücke aus dem Asphalt, ließen sie hochspringen.

Der Mann, der auf ihn gefeuert hatte, trug eine dunkle Lederjacke. Er befand sich an der Ecke eines Containers.

Murphy konnte sich an zwei Fingern ausrechnen, dass es sich um einen von Altobellis Leuten handelte. Offenbar hatte der Mafiosi nicht vorgehabt, sich an die Abmachungen zu halten, die er mit den Kolumbianern getroffen hatte. Zwischen beiden Parteien schien es doch erheblich mehr Mißtrauen zu geben, als dass Altobelli es wirklich riskieren wollte, sich mit nur drei Leibwächtern sehen zu lassen. Offenbar hatte der große Boss vorgesorgt.

Der Geschosshagel verebbte.

"Schnappt ihn euch, Jungs!", rief jemand.

In Windeseile kamen vier Mann aus ihren Deckungen heraus. Alle bewaffnet.

"Stehenbleiben! Keine Bewegung! Zieh ganz langsam deine Waffe heraus und wirf sie herüber!"

Murphy war wie erstarrt. Es war klar, was diese Männer vorhatten. Sie wollten ihn lebend fangen. Altobelli musste unbedingt wissen, wer es war, der da auf ihn gelauert hatte und wer diesen Hitman geschickt hatte.

Die Bewaffneten kamen näher, umringten ihn. Bei der geringsten falschen Bewegung hätte ihn ein Kugelhagel durchsiebt.

Vorsichtig öffnete Murphy seine Jacke. Er kauerte noch immer am Boden. Einer der Männer bewegte seine Beretta auf und ab und deutete Murphy damit an sich aufzurichten.

Murphy ging auf die Knie, öffnete die Jacke nun vollends. Seine eigene Waffe kam zum Vorschein.

Einer der Kerle kam heran, nahm sie ihm ab. Und diesen Augenblick nutzte Murphy. Der Reflex war mörderisch. Ein wuchtiger Schlag traf den Altobelli-Killer in der Körpermitte, schleuderte ihn nach hinten. Murphy erhob sich, wirbelte herum. Der getroffene Mafia-Mobster wurde mit geradezu übermenschlicher Gewalt gegen eine Containerwand geschleudert. Es schepperte. Eine Blutspur zog der Mobster hinter sich her, als er hinabsackte und an der Wand herunter rutschte.

Einer der Killer feuerte, aber Murphy hatte sich längst geduckt. Die Schüsse gingen über ihn hinweg. Querschläger wurden auf die Reise geschickt.

Murphy schnellte mit unglaublicher Gewandheit vor. Seine Fußspitze traf einen der Kerle, schleuderte ihn einige Meter weit zurück gegen seine Komplizen.

Seine Maschinenpistole knatterte los.

Die Schüsse gingen ins Nichts.

Dann hechtete Murphy hinter einen Container. Gerade noch rechtzeitig. Die dreißig bis vierzig Schuss, die man mit einem Feuerstoß einer Maschinenpistole abfeuern konnte, knatterten hinter ihm her, stanzten Löcher in die Containeraußenhaut. Murphy rappelte sich auf.

Habe ich es dir nicht gesagt, Yyndron, ging es ihm durch die Gedanken. Ich beherrsche die Kräfte dieses verdammten Amuletts einfach noch nicht genug.

Die Seele des Mörders antwortete. WER HÄTTE AHNEN KÖNNEN; DASS ALTOBELLI SICH NICHT AN DIE ABMACHUNGEN HÄLT?

Ich, erwiderte Murphy in Gedanken. Denn ich kenne Altobelli! Murphy spürte, wie die Kräfte des Abrash'dala ihn durchströmten.

Er hörte Schritte, viele Schritte.

Er sprang in die Höhe, erreichte mit den Händen die Oberkante des Containers und zog sich hoch. Es war keine Schwierigkeit für ihn, eher eine leichte Übung. Das Abrash'dala machte es möglich. Dann legte er sich auf die Oberseite des Containers, presste sich gegen das kalte Metall.

"Der verfluchte Hund muss hier irgendwo sein!", hörte er eine Stimme. "Hast du das gesehen, wie er Toni umgebracht hat? Mammamia, ich habe noch nie gesehen wie jemand so durch die Gegend geschleudert wurde."

Murphy hörte einen aufbrausenden Motor. Das musste Altobellis Limousine sein. Der große Boss machte sich davon. Der Deal im Hafen war geplatzt, soviel stand fest.

Und wenn auch Murphys Plan, Altobelli umzubringen, fürs erste gescheitert war, so erfüllte es Murphy doch mit einer gewissen Befriedigung, dass das genauso für Altobellis neue Geschäftsbeziehungen mit den Kolumbianern galt.

Murphy wartete ab. Keiner seiner Verfolger erwartete offenbar, dass es einem Menschen möglich war sich so derart schnell an einer glatten Containerwand emporzuziehen.

ABER DU BIST AUCH NICHT MEHR NUR EIN MENSCH, kommentierte Yyndron in seinem Schädel.

Die Worte hallten noch lange in Murphys Bewusstsein wider.



10

Einen Tag später...

Murphy saß in einem Coffee Shop in Sausalito, einem nördlichen Stadtteil von San Francisco. Der Weg vom Shapiro auf dem Russian Hill nach Sausalito führte über die berühmte Golden Gate Bridge. Murphy hatte sich einen metallicfarbenen Mitsubishi geliehen. Dem Führerschein nach, der in der Brusttasche seiner Jacke steckte, hieß er Jack Seldur. Aber für den Notfall hatte er noch einige andere Identitäten, die er buchstäblich nur aus er Tasche zu ziehen brauchte. Man musste immer für jede nur erdenkliche Eventualität gerüstet sein.

Murphy hatte in Carlo's Coffee Shop einen Platz eingenommen, von dem aus man aus dem Fenster sehen konnte. Er wollte den Wagen, den er auf der anderen Straßenseite geparkt hatte im Auge behalten. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ihm jemand etwas in den Wagen legte, was dort nicht hingehörte. Einen Sprengsatz zum Beispiel.

Außerdem wollte er wissen, ob ihm jemand auf den Fersen war.

Nach dem missglückten Attentat auf Altobelli musste er damit rechnen.

Verdammt, ich hätte mich auf die herkömmlichen Methoden verlassen sollen!, ging es ihm durch den Kopf.

DU BIST ES NICHT GEWÖHNT, DICH ZU QUÄLEN, WAS?, kommentierte Yyndron, die Mörderseele in seinem Kopf, mit einer Eiseskälte, die Murphy das kalte Grausen bis ins Mark trieb. DU BIST DER TRÄGER DES ABRASH'DALA. EIN PRIVILEG, MURPHY. BEDENKE DAS.

Ich denke schon an gar nichts anderes mehr!, dachte Murphy. Sein Gesicht verzog sich dabei zu einem galligen Lächeln. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Erinnerungen an die Folter, der ihn die Dunkeldämonen unterzogen hatten und die letztlich zu dem Zweck angewandt worden war, ihn gefügig zu machen. Und sie hatten es geschaft. Ich bin ein willfähriges Werkzeug geworden, dachte Murphy. Er hatte schlicht keine andere Wahl gehabt. Die Tatsache, dass er sich kaum etwas so sehr wünschte, wie an Altobelli Rache zu nehmen, änderte daran nichts.

DU WIRST AN DIR ARBEITEN MÜSSEN, UM DICH ALS WÜRDIGER TRÄGER DES ABRASH'DALA ZU ERWEISEN, meldete sich die Stimme Yyndrons in seinem Hirn.

Klang das nicht wie eine Drohung?

Etwas davon schwang mit, kein Zweifel.

Inzwischen kannte Murphy den unsichtbaren Kommentator und Ratgeber gut genug, um dessen Gedankenimpulse richtig einschätzen zu können. Auch wenn er von einer fremden Welt stammte, auf der gewiss andere Gesetze und Regeln galten.

Yyndron beabsichtigte nichts weiter, als dem ehemaligen Hitman anzudeuten, dass die Möglichkeit bestand, ihm das mächtige Amulett wieder wegzunehmen.

Und ihn erneut zu foltern.

Schon bei dem Gedanken an die furchtbaren Schmerzen, krampfte sich alles in Murphy zusammen.

In diesem Moment fuhr ein Wagen vor dem Coffee Shop vor.

Zur gleiche Zeit erschien Carlo persönlich, ein gedrungener wirkender Amerikaner, der in Wahrheit Lew Barovsky hieß und von Italien so viel wusste wie ein toter Hund vom beißen. Aber der Espresso, den er gemacht hatte, sah gut aus.

"Danke!", sagte Murphy, beobachtete weiter die Limousine.

Ein Chinese mit schwarzblauen, hinten zu einem Zopf zusammengefassten Haaren, stieg aus.

Er knöpfte sich das dunkle Jackett zu.

Die Sekunde vorher reichte Murphy aus, um zu erkennen, das er eine Waffe unter der Jacke trug.

Ein Abgesandter von Mister Tang, das war Murphy klar.

Der große Triaden-Pate hatte Murphy hier her, nach Sausalito bestellt. In dem Moment war Murphy schon klargewesen, dass er nur mit einem der subalternen Lakaien des großen Bosses zusammentreffen würde.

Aber was konnte er auch anderes erwarten?

Schließlich hatte Murphy versagt, wenn man unter allem, was geschehen war, einen Strich machte und die Summe zog.

Altobelli lebte noch.

Und das war mehr als nur ärgerlich.

Der Chinese betrat den Coffee Shop, sah sich um. Er erkannte Murphy sofort, ging auf ihn zu, setzte sich zu ihm an den Tisch.

Ein schlechtes Zeichen, dass er mich erkannt hat, dachte Murphy. Das konnte bedeuten, dass von den Passfotos, die für die Erstellung seiner Papiere gebraucht worden waren, noch Duplikate kursierten, die der große Mister Tang dem Zopfträger gezeigt hatte.

Murphy atmete tief durch.

Damit hättest du rechnen können!, ging es ihm durch den Kopf.

Wenigstens schwieg die Mörderseele in dem Amulett jetzt. Wahrscheinlich, weil es um Dinge ging, zu denen Yyndron nicht allzuviel zu sagen hatte, mit denen er sich schlicht und einfach nicht auskannte. Sie hatten zwar gemeinsam, dass sie beide Killer waren, der eine noch aktiv, der andere nur noch als Berater-Schatten eines anderen Mörders, aber die Umstände, unter denen sie ihre Taten begangen hatten, waren einfach zu unterschiedlich.

Sie kamen eben aus verschiedenen Welten.

Und das im wörtlichen Sinn.

Das Gesicht des Chinesen blieb unbewegt. Seine dunklen Augen musterten Murphy aufmerksam.

"Das Debakel an den Piers hat Mister Tang nicht erfreut", war seine wenig diplomatische Eröffnung.

"Kann ich verstehen."

"Ach, wirklich?

"Mich hat die ganze Sache auch nicht erfreut."

"Mister Tang fragt, wie es jetzt weitergehen soll?"

"Mister Tang sollte sich darüber freuen, dass Altobelli ein Riesendeal geplatzt ist. Und der Geldkoffer ist das Organ, an dem man ihn am empfindlichsten treffen kann! Er sollte sich also freuen, dass sich sein Feind in einer geschwächten Verfassung befindet."

Der Chinese richtete sich straff auf.

"Mister Tang teilt Ihre Einschätzung nicht, Murphy! Altobelli wird sich zurückziehen wie eine Schildkröte in ihr Gehäuse. Das zweite Problem ist, das er immer mächtiger wird. Es kann sein, dass er in einigen Monaten schon vollkommen unangreifbar ist!"

"Niemand ist unangreifbar!"

"Ein eigenartiges Credo für einen Hitman, der vor kurzem kläglich gescheitert ist!"

Murphy beugte sich etwas vor, trank seinen Espesso aus.

"Was wollen Sie mir mit Ihren langatmigen Vorträgen und düsteren Andeutungen eigentlich sagen? Habe ich noch Tangs Unterstützung oder nicht?"

"Noch haben Sie sie."

"Ich mag es immer, wenn man mich ermutigt."

'Carlo' kam herbei, der Chinese wollte aber nichts bestellen.

Er winkte ab.

Ein Geräusch ließ Murphy herumfahren. Er nahm eine Bewegung war. Die Tür, die zu den Toiletten führte (oder den 'Waschräumen', wie sie in den prüden Staaten verschämt genannt wurden), wurde zur Seite gestoßen.

Ein Mann mit Basball-Cap stürmte herein, duckte sich, hielt dabei eine 45er Automatik mit aufgeschraubtem Schalldämpfer im beidhändigen Combat-Anschlag.

Es machte zweimal kurz 'klack', während das Mündungsfeuer aus dem Schalldämpfer herauszüngelte.

Der Chinese riss seine Waffe unter dem Jackett hervor.

Eine schlanke, zierliche Beretta - nicht so ein Schädelzerplatzer wie die 45er, um die der Kerl mit der Baseball-Kappe seine Hände gekrallt hatte.

Das Projektil des 45er fetzte dem Chinesen durch die Stirn.

Die Wucht des Aufpralls ließ ihn nach hinten springen.

Der durch seinen Todeskrampf verursachte Schuss aus der Beretta des Zopfträgers ging ungezielt in die Decke, fetzte ein daumengroßes Stück aus einem Holzbalken heraus.

Der Chinese knallte regelrecht auf den Boden.

Blut und Hirnmasse spritzten bis zur Tür.

Der zweite Schuss des Killers mit der Baseball-Kappe traf 'Carlo' nur einen Sekundenbruchteil später in die Brust. Eine hektische Bewegung war dem Besitzer des Coffee Shops zum Verhängnis geworden. Der Killer hatte wohl geglaubt, dass 'Carlo' eine Waffe ziehen wollte.

Die Wucht des Treffers schleuderte ihn bis zum Tresen. Er knallte mit dem Hinterkopf gegen das Holz, blieb in eigenartig verrenkter Haltung liegen.

Ein dritter Schuss war auf Murphy gemünzt.

Aber dieser wich zur Seite. Haarscharf zischte das Projektil an ihm vorbei, durchdrang die Fensterscheibe und ließ sie zerspringen.

Murphys Hand hatte für den Bruchteil einer Sekunde das Abrash'dala berührt. Die charakteristische Wärme ging von dem Amulett aus. Wahrnehmung und Schnelligkeit waren extrem beschleunigt, die Kraft um ein Vielfaches potenziert. Er griff nach dem runden Tisch vor ihm, schleuderte ihn in Richtung des Killers mit der Baseball-Kappe.

Dies geschah mit ungeheurer, übermenschlicher Wucht.

Wie ein gewaltiges Geschoss sauste die Tischplatte durch die Luft.

Sie erwischte den Killer am Hals, schleuderte ihn zurück gegen die Wand.

Ein knackendes Geräusch zeigte an, dass von seinem Kehlkopf wohl nicht viel übrig geblieben war.

Ein Komplize des Killers war inzwischen durch die Tür zu den 'Waschräumen' getreten.

Ein dunkelhaariger Lockenkopf mit einer Uzi über der Schulter.

Eine Schrecksekunde lang starrte er auf seinen getöteten Kumpanen.

Wahrscheinlich war es das erste Mal, dass er miterlebt hatte, wie jemand auf so eine Art und Weise starb.

Dann feuerte der Kerl.

Eine Garbe von dreißig oder vierzig Schüssen knatterte innerhalb eines Herzschlags aus der kurzläufigen MPi heraus.

Murphy rette sich durch einen Sprung durch das zerstörte Fenster, rollte sich auf dem Boden ab. Passanten stoben zur Seite.

Murphy war innerhalb eines Augenaufschlags wieder auf den Beinen.

Im ersten Moment wollte er über die Straße rennen, auf seinen Mitsubishi zu.

Aber er entschied sich anders.

Das hatte mit einem Chevy zu tun, der in diesem Augenblick aus der Reihe parkender Fahrzeuge ausbrach. Der Fahrer riss das Steuer herum. Ein entgegenkommendes Fahrzeug wich aus, als der Chrysler brutal die Fahrbahnseite wechselte. Eine der getönten, spiegelnden Scheiben glitt hinunter. Auf der Beifahrerseite wurde etwas durch den entstehenden Schlitz gesteckt.

Der Schalldämpfer einer Waffe.

Der erste Schuss zischte durch die Luft.

Logischerweise war kein Geräusch zu hören

Das Projektil surrte dicht an Murphy vorbei, zerstörte eine der Schaufensterscheiben ein paar Yards weiter.

Murphy spurtete. Er war durch die Kraft des Abrash'dalas schneller als ein gewöhnlicher Mensch.

Der Lockenkopf-Killer tauchte indessen am zerschossenen Fenster des Coffee-Shops auf.

WERDE EINS MIT DER FINSTERNIS! VERSCHMELZE MIT IHR!, rief die Stimme Yyndrons in Murphy.

Er rannte.

Sprintete.

Schlug einen Haken zwischen den Passanten hindurch.

Er sah die Einschüsse in den Brownstone-Fassaden.

Aus dem Coffee-Shop heraus knatterte die MPi.

Die Passanten stoben auseinander.

Reifen quietschen. Wagen verkeilten sich ineinander.

Murphy erreichte die nächste Ecke.

Er blickte auf seine Hände. Sie waren zu dunklem, schattenhaften geworden. Pure Finsteris, durchschoss es ihn. Diese Schwärze setzte sich fort, breitete sich unaufhaltsam aus. Ein eigenartiges Gefühl der Kraft durchströmte ihn, ausgehend vom Abrash'dala.

DU WIRST ZU EINEM SCHATTEN!, meldete sich Yyndron.

Murphy hatte das Gefühl, dass die Zeit sich dehnte. Alles um ihn herum schien wie ein Zeitlupe abzulaufen.

EINE ILLUSION. ES IST DEINE EIGENE SCHNELLIGKEIT, DIE DICH SO EMPFINDEN LÄSST!, vermeldete die Seele des Mörders. FÜR DEINE FEINDE BIST DU JETZT UNSICHTBAR. WENIGER NOCH ALS EIN SCHATTEN. EIN NICHTS.

Es hätte dieses Hinweises nicht bedurft.

Murphy blieb stehen, drehte sich herum.

Die Passanten hatten sich inzwischen so gut es ging in Sicherheit gebracht, hatten sich in Nebenstraßen und Hauseingänge gerettet.

Aber da war der Killer mit der Uzi, der sich fast hilfesuchend umsah. Er warf einen schulterzuckenden Blick zu dem Chevy hin, aus dem heraus auf Murphy geschossen worden war. Die Wagentür ging auf. Ein Mann mit Schnauzbart stieg halb heraus, in der Hand eine Waffe mit Schalldämpfer. Er blickte genauso orientierungslos drein, wie sein Komplize.

GEH!, riet Yyndron. DU WEISST NICHT, WIE LANGE DU DIESEN ZUSTAND DES VERSCHMOLZENSEINS MIT DER FINSTERNIS AUFRECHTERHALTEN KANNST. SCHLIESSLICH STEHST DU ERST AM ANFANG DER BEHERRSCHUNG DES ABRASH'DALA UND DER IHM INNEWOHNENDEN KRÄFTE.

Ja, dachte Murphy, du hast Recht.

Er löste sich aus seiner Erstarrung.

Ohne Eile ging er weiter.

Ein Dutzend Yards, ein weiteres Dutzend... Die Distanz wurde größer.

Der Uzi-Mann ging zu dem Chevy, der wie zahlreiche andere Fahrzeuge auch, eingekeilt war.

Dann setzte die Rückverwandlung ein. Sie kam schnell und unvorbereitet. Sein zu einem Schatten gewordener Körper verwandelte sich wieder in das, was er vorher gewesen war. In den Körper eines gewöhnlichen Menschen. Gewöhnlich, wenn man von dem Umstand absah, dass es sich um den Träger des Abrash'dala handelte.

Ein Motorrad fuhr zwischen den sich gegenseitig blockierenden Fahrzeugen hindurch, setzte dann seinen Weg über den Bürgersteig hinweg fort, brauste knapp an den Auslagen eines Gemüsehändlers entlang und hielt dann mit quietschenden Reifen neben Murphy.

Der Fahrer wirkte sehr grazil.

Murphy fragte sich, ob es eine Frau war.

Die sanften Rundungen, die sich durch die Ledermontur abhoben, sprachen dafür. Das Gesicht konnte Murphy nicht sehen. Ein Helm mit heruntergelassenem Visir verdeckte es. Nicht einmal die Augen waren sichtbar. Das getönte Plastikglas verhinderte es.

"Aufsteigen!"

Die Anweisung war knapp und unmissverständlich.

Und es handelte sich tatsächlich um die Stimme einer Frau.

Murphy zögerte nicht lange. Das beste Angebot, dass du in dieser Situation bekommen kannst!, ging es ihm durch den Kopf. Er bestieg das Motorrad, setzte sich hinter die grazile Fahrerin, der man kaum zutraute, das Motorrad beherrschen zu können, musste dann zusehen, dass er sich an ihr festhielt. Sie brauste los. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit raste sie davon. Passanten sprangen zur Seite. Dann, als es wieder möglich war, wechselte sie auf die Fahrbahn.

In den ersten Augenblicken hielt Murphy den Atem an.

Schüsse peitschten hinter ihm her.

Auch seine Verfolger hatten die Verwandlung mitbekommen, die mit dem Schattenwesen vor sich gegangen war.

Aber es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Distanz so immens war, dass die Verfolger keinerlei Gefahr mehr darstellten.



11

Das Zentrum der Bruderschaft befand sich in Los Angeles, genauer gesagt in der Villa von Colin Drake, ihrem Begründer und Mäzen.

Nach außen hin war Colin Drake nichts weiter als ein Multimillionär, der nicht so recht wußte, wie er sein Geld ausgeben sollte. Kaum jemand ahnte etwas von seinen Aktivitäten, von seinem Kampf gegen die Daran'dreen und die Dunkeldämonen, die er als Bedrohung der Erde ansah.

Die Nachrichten, die ihm sein Agent Johnson über den wiedererstandenen Murphy übermittelt hatte, beunruhigten ihn. Zweifellos lag hier irgendeine Machenschaft der Daran'dreen oder der Dunkeldämonen vor, genaueres konnte er noch nicht sagen. Dasselbe galt für einen Vorfall, den die Behörden in San Francisco offenbar tunlichst unter der Decke zu halten versuchten. Dabei ging es um die verschwundenen Bewohner einiger Straßenzüge.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Daran'dreen Menschen als Sklaven auf ihre Herkunftswelt verschleppten, ging es Colin Drake durch den Kopf. Wenn man alles in allem betrachtete und eine Summe zog, so konnte man nicht um den Schluss umhin, dass sich irgendetwas anbahnte. Soetwas wie eine Entscheidungsschlacht, dachte er.

Mit mäßigem Interesse studierte Drake die flimmernden Computerschirme, die ihn umgaben und mit deren Hilfe er seine weit verzweigte Organisation lenkte. Eine Organisation, die als einziger auf der Erde vorhandener Machtfaktor den Ernst der Lage wirklich begriffen hatte.

Denn weder Geheimdienste noch das Militär waren sich der Bedrohung unter der die Erdmenschen standen im entferntesten bewußt. Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun, dachte Colin Drake, aber sie werden ihre Unwissenheit teuer bezahlen und nicht nur ihre Unwissenheit, sondern auch ihre Arroganz.

Eine Nachricht kam über das Intranet der Bruderschaft, Art Johnson, sein Mann in San Francisco hatte sie abgeschickt. Ein Lächeln spielt plötzlich um Colin Drakes Mund, in seinen Augen blitzte es. Offenbar hatte Johnson eine ganz heiße Spur von Murphy gefunden, den wiedererstandenen Killer.

Johnson schrieb: <Murphy hat sich unter dem Namen Jack Seldur im Hotel Shapiro auf dem Russian Hill einquartiert. Wir warten nur auf seine Rückkehr. Erbitte weitere Anweisungen.<

Drake kratzte sich am Kinn. Er wirkte nachdenklich, dann flogen seine Finger über die Tastatur: <Vorerst nur beobachten!<, schrieb er, <Setzen Sie jemanden auf ihn an, der sein Vertrauen gewinnt. Bevor wir Murphy ausschalten, müssen wir genau erfahren, was seine Aufgabe ist, wer hinter ihm steckt und welche Pläne er verfolgt.<

Drake schickte die Nachricht ab. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Art Johnson seine Anweisungen haargenau in die Tat umsetzen würde.



12

Von Sausalito aus fuhr die grazile Motorradfahrerin nach Norden, schlug dann einen Bogen Richtung Berkely und Oakland auf der anderen Bayside.

Sie hatte kein Wort geagt.

Bis jetzt jedenfalls.

Und Murphy hatte nicht gefragt.

Jemand, der ihn aus der Hand von Killern rettete, bei denen es sich eigentlich nur um Altobellis Meute handeln konnte, dem konnte er vertrauen. Jedenfalls für den Augenblick, so fand Murphy. Die Verfolger waren ihm augenscheinlich dicht auf den Fersen. Es gab zwei Möglichkeiten. Die erste war, dass sich Altobellis Leute einfach an Mister Tangs Mann gehängt hatten und ihm gefolgt waren. Das war sehr plausibel. In dem Fall prophezeihte Murphy dem Tang-Syndikat keine große Zukunft. Wer sich so aufs Kreuz legen ließ, er verdiente es nicht, gute Geschäfte zu machen. In der Welt des organisierten Verbrechens galt das Recht des Stärkeren. Der Beste sollte überleben. Mister Tangs Mann hatte nicht dazu gehört, sonst wäre er nicht so dämlich gewesen, sich beschatten zu lassen!, überlegte Murphy kühl.

Die andere Möglichkeit beunruhigte Murphy weitaus mehr.

Was, wenn du es selbst warst, an dessen Fersen Altobellis Leute klebten?, ging es ihm durch den Kopf.

Völlig von der Hand zu weisen war diese Möglichkeit nicht.

Altobelli musste inzwischen wissen, wer hinter ihm her war. Und wenn tatsächlich das der Wahrheit entsprach, was die Dunkeldämonen Murphy über seinen Feind erzählt hatten und es sich bei Altobelli um einen Handlanger der Daran'dreen handelte, dann würden auch bei den außerweltlichen Verbündeten des Mafiosi die Gehirne - oder womit immer sie auch ihre Gedanken formen mochten - heiß laufen.

Sie werden darauf kommen, dass ich ein Diener der Dunkeldämonen bin, wurde es Murphy klar. Ein Träger des Abrash'dala, der im Interesse der Daran'dreen auf jeden Fall so schnell wie möglich ausgeschaltet werden musste.

Die geheimnisvolle Fahrerin lenkte ihr Motorrad auf einen Highwayparkplatz.

Sie stoppte das Gefährt.

Murphy begriff, dass die Fahrt hier zu Ende war.

Fürs Erste jedenfalls.

Er stieg vom Rücksitz hinunter, die Fahrerin ebenfalls. Sie nahm ihren Helm ab. Das Gesicht einer jungen Frau kam zum Vorschein. Schulterlanges Haar fiel herab. Ihre dunklen Augen musterten ihn.

"Wer sind Sie?", fragte Murphy.

"Jemand, der Ihnen helfen wollte."

"Als Name etwas zu lang für eine Anrede: Jemand-der-Ihnen-helfen-wollte!"

Ein Lächeln flog über ihr Gesicht.

"Nennen Sie mich Laura. Laura Wakefield."

Ein ziemlich gewöhnlicher Namem, dachte Murphy. Murphy fragte sich, wie oft er allein in San Francisco vorkam. Und zwar genau in dieser Kombination. Waren es nur einige hundert Trägerinnen oder gar einige Tausend? Der Name könnte also falsch sein, überlegte Murphy.

"Ich nehme an, Sie wissen, wer ich bin", schloss Murphy.

Ihrem Gesicht war auf diese Bemerkung keinerlei Reaktion anzusehen, so sehr Murphy auch danach suchte. Sie hat sich hervorragend unter Kontrolle, dachte er. So sehr er auch suchte, da war keine unkontrollierte Regung in ihrem Gesicht. Durch die man mehr von ihrem Innenleben hätte erfahren können, als es ihr lieb gewesen wäre.

"Sie sind Murphy."

"Eins zu null für Sie."

"Es mag Ihnen alles etwas seltsam erscheinen, aber vielleicht sollen Sie einfach froh sein, dass Sie noch leben, Murphy." Sie lächelte matt. "Dass Sie WIEDER leben..."

"Ich weiß nicht, ob ich Ihnen trauen kann."

"Ach, nein?" Sie lachte auf. "Ich habe Ihnen das Leben gerettet. Das sollte als Vertrauensbeweis doch wohl reichen, meinen Sie nicht?" Sie atmete tief durch. "Wir werden hier eine Weile warten. Man hat hier eine freie Sicht. Sowohl auf den Highway als auch auf die Umgebung."

"Was haben Sie vor?"

"Abwarten, ob uns jemand verfolgt."

"Ich denke, Sie haben mit ihrem gelinde gesagt sportlichen Fahrstil jeden Verfolger hinter sich gelassen."

"Ich nehme an, dass das ein Kompliment sein sollte."

"Nehmen Sie es, wie immer Sie wollen."

Murphy vergrub die Hände in den Taschen.

In seinem Hirn rasten die Gedanken nur so. Murphy war ein nüchterner Mann. Schon sein Job als Hitman brachte das mit sich. Er glaubte nicht an Zufälle. Er war zutiefst davon überzeugt, dass jede Wirkung ihre ganz bestimmte, genau definierbare Ursache hatte. Das, was dem Menschen als Schicksal erschien, war in Wahrheit nur etwas, dessen Ursache er nicht durchschaute.

Ein Wagen kam vorbei, raste den Highway hinunter, drosselte etwas die Geschwindigkeit. Es wirkte fast so, als würde der Fahrer einen Augenblick lang erwägen, von der Fahrbahn abzubiegen und auf dem Parkplatz anzuhalten.

Aber das war ein Trugschluss. Der Wagen beschleunigte wieder.

Ein dunkelroter Ford, in dessen Autonummer eine 333 enthalten war, wie Murphy feststellte.

MISSTRAUEN IST DIE MUTTER DES ÜBERLEBENS!, kommentierte Yyndron für Laura Wakefield unhörbar in Murphys Hirn.

Du musst es ja wissen!, durchzuckte es Murphy sarkastisch.

Laura wandte sich ihm zu und sah ihn an.

"Wir sollten jetzt weiter fahren", entschied sie.

"Ich schlage vor, dass unsere Wege sich jetzt trennen."

"Sie wollen zu Fuß laufen? In Frisco ist ein Fußgänger nicht ganz etwas so exotisches wie drüben in L.A., aber empfehlen würde ich das trotzdem nicht!"

"Ich nehme einfach mein Handy und rufe mir ein Taxi."

"Sie trauen mir nicht."

"Ich traue niemandem, über den ich nichts weiß."

"Dann hören Sie mir gut zu!"

"Ich bin gespannt!"

"Ich weiß, dass Sie versucht haben, Altobelli zu killen."

"Das wissen viele. Wird wahrscheinlich überall schon herumerzählt."

"Ich wünschte, Sie hätten es geschafft, Murphy!"

"Sie wollen seinen Tod?"

"Ja. Und das ist auch der Grund, weshalb ich Ihnen geholfen habe!"

"Woher wussten Sie, dass ich mich in Carlo's Coffee Shop mit einem Tang-Abgesandten treffen wollte."

"Das wusste ich gar nicht. Es geht mich auch nichts an. Ich wusste nur, dass Altobellis Leute sie eingekreist hatten. Alles andere war Glück und..."

Sie zögerte, sprach nicht weiter. Sie war ihm jetzt sehr nahe gekommen. Murphy sah das Spiegelbild seines Gesichts in ihren Augen.

"Und was?", hakte Murphy nach.

"Mit Ihnen ist etwas sehr seltsames geschehen, Murphy..."

"Ach, ja?"

"Sie schienen auf einmal kaum mehr als ein Schatten zu sein und dann... Ich dachte im ersten Moment, dass Sie verschwunden wären."

"So kann man sich täuschen."

"Sie sagen es."

Sie wandte sich herum, ging zu ihrem Motorrad. Sie schwang eines ihrer schlanken Beine über die Maschine, startete sie. "Wir unterhalten uns ein anderes Mal weiter!", erklärte sie. "Denn ich bin überzeugt davon, dass wir uns wiedersehen!"

"Ich hoffe unter angenehmeren Umständen!"

"Ein Rat noch, Murphy!"

"Immer gerne!"

"Gehen Sie nicht zurück in ihr Hotelzimmer auf dem Russian Hill! Und den Mitsubishi in Sausalito sollten Sie auch am besten vergessen. Ach ja, und den Namen Jack Seldur würde ich an Ihrer Stelle auch nicht mehr verwenden."

"Na, reizend!"

Sie brauste davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Murphy merkte sich die Zulassungsnummer ihrer Maschine. Eine Angewohnheit von ihm. Mochte der Teufel wissen, wozu das mal gut sein würde. Jedenfalls bot es ihm vielleicht die Chanche, mehr über seine Retterin herauszufinden.

Murphy griff zum Handy in seiner Jackentasche.

Er rief sich ein Taxi.



13

Detective Sergeant Kirkpatrick schreckte hoch. Er hatte die Füße auf dem Schreibtisch liegen und gerade im Bericht des Coroners und der Scientific Research Division of Northern California gelesen. Die SRDNC war der zentrale Erkennungsdienst, den sowohl das für die Region zuständige FBI Field Office als auch das San Franciso Police Department für ihre Ermittlungen nutzten.

In den Akten ging es um ein paar mysteriöse Blutspuren, die in einer jenen Wohnungen gefunden worden waren, deren Bewohner spurlos verschwunden waren, nur dass es sich ganz gewiss nicht um das Blut des Verschwundenen handelte. Genauer gesagt war es nicht einmal das Blut eines Menschen, zumindest der Analyse nach.

Es war noch gar nicht lange her, da waren ähnliche Proben im Zusammenhang mit einer mysteriösen Mordserie in Chinatown sichergestellt worden.

Die chemische Analyse war eindeutig. Beide Proben waren chemisch sehr ähnlich, so ähnlich, dass sie möglicherweise von demselben Individuum stammen konnten, einem Wesen, dass sich biochemisch erheblich von einem Menschen unterscheiden musste.

Der Mann, der so plötzlich in Kirkpatricks Büro getreten war, war groß, breitschultrig und hatte eine Narbe am Kinn. Das Haar war kurzgeschoren, die Augen hellblau.

Der Narbige kickte mit dem Absatz die Tür zu. Scheppernd fiel sie ins Schloss.

Kirkpatrick schnellte hoch. Er schloß die Akte und legte sie auf den Tisch.

"Ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie wollen, aber die feine englische Art ist das nicht gerade, wie Sie hier hereinkommen."

Der Narbige grinste breit. "Ach, nein?" Er trug einen langweiligen, dunklen Anzug. Die Krawatte war so 'out', dass sie schon fast wieder modern wirkte. Der oberste Hemdknopf war offen. Wie ein Strick hing ihm der Binder um den Hals. Am Jackenrevers war ein FBI-Dienstausweis angeheftet.

Er nahm ihn ab und knallte ihn Kirkpatrick auf den Tisch. "Special Agent in Charge Joel Grady vom FBI", stellte er sich vor.

Kirkpatrick hob die Augenbrauen.

"Ein Special Agent in Charge", lächelte er, "welche Ehre!" Es muss um irgendetwas Wichtiges gehen. Das stand für Kirkpatrick jetzt schon fest. Der irischstämmige Cop kratzte sich am Hinterkopf.

"Detective Sergeant Kirkpatrick, Sie werden verdächtigt, sich illegal Beweismaterial besorgt zu haben."

"Wie bitte?", fragte Kirkpatrick.

"Der Fall Delaware Street geht Sie nichts an, Kirkpatrick. Es ist nicht Ihr Fall. Und die Art und Weise wie Sie sich die Akten besorgt haben, kann ich nicht tolerieren."

"Ach, können Sie nicht." Kirkpatrick stemmte die Arme in die Hüften. "Es gibt Bezüge zwischen diesem Massenverschwinden..." Kirkpatrick wurde unterbrochen.

"Kein guter Begriff dafür", tadelte Joel Grady.

"Sorry, aber ich denke wir werden nicht dafür bezahlt, den Dingen schöne Namen zu geben", erwiderte Kirkpatrick kühl. "Jedenfalls gibt es Parallelen zu den Morden in Chinatown, die vor einiger Zeit auf meinem Schreibtisch lagen."

"Inzwischen liegen die ebenfalls auf dem unseren", erwiderte Grady. "Also halten Sie sich raus und funken uns nicht dazwischen. Schon gar nicht, indem Sie irgendwelche Akten umleiten."

Kirkpatrick grinste.

"Kann doch schon mal vorkommen, dass so eine Mappe an der falschen Stelle ankommt, oder? Sowas nennt man doch 'auf dem Dienstweg verschollen'."

"Ich hoffe, wir haben uns verstanden, Kirkpatrick."

"Vollkommen."

Joel Grady blickte auf die Akte auf dem Schreibtisch. Er schlug sie kurz auf und nahm sie dann an sich.

"Es muss ein Monstrum sein, hinter dem wir her sind", meinte Kirkpatrick.

Auf Joel Grady Stirn erschien eine tiefe Furche, fast so tief wie die Narbe an seinem Kinn. Ein Muskel zuckte unruhig. Seine wässrig blauen Augen wirkten nachdenklich. "Der Fall unterliegt strengster Geheimhaltung, Mr. Kirkpatrick. Tut mir leid, ich kann Ihnen nichts dazu sagen."

"Vestehe."

"Ich kann Ihnen nur den Rat geben sich in Zukunft aus der Sache rauszuhalten", ergänzte Grady.

Zu dumm, dass der Spürhund in dir etwas dagegen hat, dachte Kirkpatrick. Er dachte gar nicht daran klein beizugeben. Seine Neugier war nur um so mehr geweckt. Was für ein Wesen war es, das er jagte und in welchem Zusammenhang stand es mit den Morden in Chinatown. Es Sprach einiges dafür, dass es der Täter war, ein nichtmenschlicher Täter. Das stand fest.

Kirkpatrick wagte es nicht, sich vorzustellen, was mit den Verschwundenen passiert war. Vielleicht werden wir einiges Tages irgendwo einen großen Friedhof finden, dachte er.

"Ich wette, Sie haben viel zu tun, Agent Grady. Lassen Sie sich nicht aufhalten."

Grady verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln. "Unverbesserlich, was?"

"So bin ich eben."

"Verbrennen Sie sich nicht die Finger."

"Zerbrechen Sie sich Ihren eigenen Kopf, Grady."

"Ich seh' schon, gute Ratschläge sind bei Ihnen nicht gefragt."

"Sie sagen es."

"Kirkpatrick, Sie können sich in Ihrem Gehirn zurechtlegen was Sie wollen, nur respektieren Sie die Kompetenzgrenzen, sonst gibt's Ärger." Grady drehte sich um. Mit der Akte unter dem Arm ging er hinaus, schlug ziemlich grob die Tür hinter sich zu.

Kirkpatrick atmetet tief durch. Er haßte diese Kompetenzstreitigkeiten, diese kleinlichen Revierkämpfe, die den Alltag eines Cops manchmal zur Hölle machen konnten, aber wahrscheinlich war das nicht zu ändern.



14

Mr. Tang führte die Schale Reiswein zum Mund, nippte daran. Seinem feisten, ausdruckslosen Gesicht war nicht anzusehen, ob er dabei Genuss empfand. Der große Pate von Chinatown wirkte undurchschaubar. Das war eines seiner Markenzeichen und daher vielleicht auch ein Geheimnis seines Erfolges.

Das Gesicht eines Anführers sollte nicht zuviel über sein Innenleben verraten, so dachte Tang. Es ging stets darum das Gesicht zu wahren, die äußere Fassade.

Diese Fassade bildete zusammen mit den Fettschichten dieses Mannes soetwas wie eine Art Panzer, den er sich zugelegt hatte. Einen Panzer gegen all das was ansonsten auf sein ungeschütztes Inneres, seinen weichen Kern hätte einstürmen können.

Der Vorhang ging zur Seite. Ein junger Mann trat ein. Es handelte sich um Lee, einen von Mr. Tangs Neffen.

Mr. Tang betrachtete ihn als einen potentiellen Nachfolger, aber bis es soweit war, hatte Lee sich zunächst einmal zu bewähren. Und er war auch nicht die einzige Option, die sich der dicke Mann offen hielt. Es war wichtig, immer stets mehrere Möglichkeiten zu haben. Auch eine Devise nach der er herrschte.

Lee hielt den Kopf gesenkt. Er wartete bis Mr. Tang ihm gestattete, sich zu ihm zu setzen.

"Was gibt es, Lee?", fragte er.

"Unser Informant hat sich gemeldet", erklärte Lee noch immer mit gesenktem Kopf.

Mr. Tang hob die dünnen Augenbrauen, die kaum sichtbar waren. "Du meinst unseren Mann an Rico Altobellis Seite?"

"Ja."

"Und?"

"Er erweckt nach außen hin den Anschein sich auf seinen Landsitz nach Bodega Bay zurüchzuziehen. Aber das ist nicht wahr. In Wirklichkeit bleibt er hier in San Francisco."

"In seiner Villa?", hakte Mr. Tang nach.

"Ja."

Eine winzige Regung war für den Bruchteil einer Sekunde auf Mr. Tangs Gesicht zu sehen.

"Irgendwie hatte ich etwas in der Art von Altobelli erwartet", sagte er dann. "Er ist zwar einerseits ein sehr ängstlicher Mann, aber andererseits weiß er genau, wann er persönlich am Ort des Geschehens sein muss, um die Dinge zu beeinflussen. Und dies ist so ein Moment." Die Schultern des dicken Chinesen hoben sich. Er nippte noch einmal an seinem Reiswein. Sein Gesicht strahlte jetzt Gelassenheit aus.

"Murphy hat versagt", stellte Lee fest.

"Das ist richtig", erwiderte Mr. Tang. Und er setzte dann nach einer kurzen Pause hinzu: "Ich denke, wir haben diesen Mann einfach überschätzt. Vielleicht war es sogar ein Fehler ihm überhaupt zu helfen."

Lee wagte es jetzt seinen gewichtigen Großonkel direkt anzusehen.

"Soll ich alles Nötige in die Wege leiten?", fragte er schließlich.

Mr. Tang nickte düster.

"Tu das, aber enttäusch mich nicht genauso wie Murphy, dieser streunende Hund."



15

Murphy kehrte zurück zum Hotel Shapiro auf dem Russian Hill. Er ließ sich von den düsteren Andeutungen nicht abhalten, die er von Laura gehört hatte, aber er blieb wachsam.

Er bezahlte das Taxi, trat durch das Foyer und musterte mißtrauisch den Portier, so als suchte er krampfhaft nach irgendwelchen Veränderungen in seinem Gesicht, die vielleicht belegen konnten, dass er sich hatte bestechen lassen.

Wer ist sie?, dachte er. Ihr Gesicht stand ihm ständig vor seinem inneren Auge. Eine faszinierende Persönlichkeit und eine attraktive Frau.

Was hat sie vor?, dachte er. Welchen Plan verfolgt sie? Jemand, der sich mit Rico Altobellis Killern anlegt, ihnen sozusagen die Beute wegschnappt, muss einen Plan haben. Einen Plan, der zu einem großen Ziel führt. Ansonsten ist soviel Leichtsinn nicht erklärbar.

Murphy verbrachte den Rest des Tages im Zimmer. Er ging unruhig auf und ab, wie ein gefangenes Tier im Käfig. Er fragte sich, wie es weitergehen sollte.

Der Einzige, der dazu eine ganz klare Meinung hatte, war Yyndron, der Mörder in seinem Hirn.

VERVOLLKOMMENE DEINE HERRSCHAFT ÜBER DIE KRÄFTE DES ABRASH'DALA, sagte die Stimme, die nur er hören konnte. VERSCHMELZE MIT DER FINSTERNIS.

Seinen letzten Versuch mit der Finsternis zu verschmelzen, hatte Murphy noch in übler Erinnerung.

Er bestellte eine Pizza. Zehn Minuten später wurde sie ihm gebracht. Der Lieferwagen fuhr vor.

Murphy blickte aus dem Fenster, sah hinab auf die Straße. Da fiel ihm der dunkelrote Ford auf, der auf der anderen Straßenseite geparkt hatte.

Natürlich gab es tausende von dunkelroten Fords in der San Francisco Bay Area. Das war nichts ungewöhnliches, aber die Zulassungsnummer enthielt eine 333. Und das war eine Nummer, die gewiß nicht allzu häufig vergeben wurde.

Es versetzte Murphy einen Stich. Er versuchte den Fahrer zu sehen, konnte aber nichts erkennen. Die Scheiben des Fords spiegelten.

Bist du jetzt auf dem Weg in die Paranoia, fragte er sich. Er lächelte zynisch. Das wäre wahrhaftig eine ironische Wendung gewesen, dachte er, wenn ich mich jetzt jenem geistigen Zustand nähern würde, den ich Rico Altobelli gewünscht habe.

Murphy ballte die Hände zu Fäusten.

Er wartete.

Jemand klopfte an seine Tür. Murphy öffnete, nahm die Pizza Schachtel an sich, gab dem Boten ein Trinkgeld, dann war er wieder allein.

Er kehrte zum Fenster zurück, nahm sich ein Stück Pizza, riss es förmlich ab und stopfte es sich in den Mund.

Allein der Umstand, dass man sich eine Pizza hier hin bringen lassen konnte, zeigte wie heruntergekommen das Shapiro war. Früher einmal hatte es selbst eine Küche gehabt, doch das war lange her. Die besten Zeiten dieses Hotels waren längst vorbei. Die schlimmsten allerdings auch. Angeblich sollte es einige Jahre auch als Stundenhotel gedient haben. Ein paar Anzeigen wegen Förderung der Prostitution hatten den vorherigen Besitzer dann vertrieben. So jedenfalls hatte der Portier Murphy die Geschichte des Shapiro erzählt.

Murphy konnte nur erkennen, dass jemand in dem roten Ford saß, mehr nicht. Nichts vom Gesicht des Fahrers. Nur die Gewißheit, dass er dort saß und wartete.

Du bildest dir was ein, sagte er sich. Dann fuhr der Wagen los, wie zur Bestätigung von Murphys letztem Gedanken.

Der rote Ford fädelte sich in den Verkehr ein und war dann nach wenigen hundert Metern in eine Seitenstraße eingebogen.

Na, siehst du, sagte Murphy sich. Deine Sorgen waren vollkommen unbegründet.

Murphy glaubte soetwas wie ein heiseres Lachen in seinem Hinterkopf zu hören, das Lachen Yyndrons.



16

Ein Helikopter kreiste über den ziemlich unebenen Straßen von San Francisco. Er trug die Kennung des FBS, des Frisco Broadcasting Service, einem Sender dessen interessantesten Meldungen, die von den Staus auf den städtischen Highways waren. Immer aktuell. Dafür sorgten unter anderem die Helis, die über dem Stadtgebiet ihre Bahnen zogen und jeden Verkehrsinfarkt sofort weitermeldeten.

Dieser Heli flog aber nun auf die Sunset Hights zu. Der Pilot wirkte angestrengt.

Es war nicht ganz einfach sich über der Stadt zu orientieren. Noch etwa eine halbe Meile bis zu Altobellis Villa, meldete der Pilot. Der Mann auf dem Sitz neben ihm kümmerte sich um die Anzeigen eines Infrarotscanners, mit dessen Hilfe man durch Wände gucken konnte. In gewissem Sinn zumindest. Der Scanner lieferte ein Wärmebild, sodass Personen auch durch dicke Steinwände sichtbar wurden.

"Ist Altobelli zu Hause?", fragte der Pilot.

Der Mann am Infrarotscanner zuckte die Achseln. "Es ist jemand zu Hause. Etwa ein halbes Dutzend Personen befindet sich zur Zeit in der Villa. Die meisten davon werden wohl Leibwächter sein."

"Für Altobelli ist das eher ein kleines Aufgebot", gab der Pilot zu bedenken.

"Wie auch immer", sagte der zweite Mann, "bringen wir es hinter uns."

"Nichts dagegen. Ich halte jetzt noch in paar Sekunden auf das Haus zu und dann muss es über die Bühne."

"Gut."

Der Heli näherte sich. Der Mann am Scanner betätigte eine Tastatur. Unterhalb der Fahrerkabine des Helikopters wurde ein kleiner Granatwerfer ausgefahren.

Nur noch Sekunden, dachte der Mann am Scanner.

Der Helikopter hielt genau auf die mit zahlreichen Sicherheitsmerkmalen versehene Villa von Rico Altobelli zu.

Aber Panzerglas, Leibwächter und eine Alarmanlage hatten gegen den Granatwerfer an der Unterseite des Helikopters nicht den Hauch einer Chance.

"Jetzt will ich doch mal sehen, ob ich seit Vietnam etwas verlernt habe", sagte der Mann am Scanner. Er drückte auf einen Knopf.

"Feuer", murmelte er.

Etwas zischte aus dem Granatwerfer heraus und schlug Sekunden später in das Haus ein.

Eine gewaltige Detonation erfolgte.

"Volltreffer!", kommentierte der Pilot.

"Genau das, was Mr. Tang von uns erwartet hat."

"Ich hoffe nur, er zahlt auch pünktlich", sagte der Pilot. "Schließlich waren wir gezwungen mit ziemlich teurem Equipment zu arbeiten."

"Da mach dir mal keine Sorgen. Tang bezahlt seine Rechnung schon."



17

Murphy faltete die aktuelle Ausgabe des San Francisco Herald zusammen. Über den Anschlag auf Altobellis Villa wurde groß berichtet. Das FBI befasste sich mit dem Fall und ein Kommentator stellte die Frage, ob der gegenwärtig tobende Gangsterkrieg den Behörden wohl schon völlig aus dem Ruder gelaufen wäre.

Die Zahl der Toten stand noch nicht fest.

Manche der Leichen in der Altobelli-Villa waren nicht zu identifizieren, andere noch verschüttet.

Es wurde darüber spekuliert, ob Rico Altobelli selbst dabei sein Leben verloren hatte.

Zumindest hatte er sich nicht in der Öffentlichkeit oder bei den Behörden gemeldet.

Murphy ließ den Blick schweifen. Er saß in einem Straßencafé in North Beach, dem Klein-Italien von San Francisco. Er mochte das mediterrane Flair, das hier zu finden war. Ein paar Straßen weiter hatte er sich in einer kleinen, unscheinbaren Pension eingemietet. Murphy trug jetzt den Namen James Malcolm Dorland. Auch das war eine Identität die Tang ihm besorgt hatte. Im Shapiro auf dem Russian Hill war es ihm zu heiß geworden.

Murphy beobachtete die Passanten, dachte dabei über seine Situation nach.

Die entscheidende Frage war, was mit Altobelli geschehen war.

Ich wette, er war irgendwo anders, als das Attentat geschah, überlegte Murphy. Auf seinem Landsitz in Bodega Bay zum Beispiel, zwei Autostunden nördlich von San Francisco. Oder sogar schon außer Landes.

KÄME ES EINER NIEDERLAGE FÜR DICH GLEICH, WENN NICHT DU FÜR AltobelliS TOD VERANTWORTLICH WÄRST?, fragte Yyndron.

Das geht dich nichts an.

MÖGLICHERWEISE.

Murphy zuckte plötzlich zusammen, während er den Passanten nachsah.

Er hatte jemanden entdeckt, den er zu kennen glaubte.

Eine junge Frau.

Sie drehte sich herum, blickte etwas ratlos in der Gegend herum. Jetzt war Murphy sich vollkommen sicher.

Laura Wakefield.

Sie schien Murphy nicht bemerkt zu haben. Laura trug T-Shirt, Jeans und eine Jacke. Über der Schulter hing eine kleine Handtasche, die sie ziemlich verkrampft umklammert hielt. Sie ging eiligen Schrittes davon.

Murphy erhob sich.

Er legte ein paar Dollarscheine neben seinen halb ausgetrunkenen Milchkaffee und folgte ihr bis in eine Seitenstraße hinein.

Es war ziemlich schattig hier.

Laura drehte sich herum, sah Murphy offen an.

Ein überlegenes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Sie machte ein paar Schritte auf ihn zu.

"So sieht man sich wieder, Mr. Murphy."

"Was tun Sie hier?"

"Dasselbe könnte ich Sie fragen."

"Es ist nur die Frage, ob Sie eine Antwort bekämen!"

"Ich finde, die sind Sie mir schuldig."

"Ich - Ihnen etwas schuldig? Murphy, Sie machen Witze."

"Irgndwie ist es mir schon immer schwer gefallen, an Zufälle zu glauben."

"Dann machen Sie es wie ich: Nehmen Sie die Dinge einfach, wie sie kommen. Das Wetter, das Leben und alles andere."

"Vielleicht sollten wir uns etwas unterhalten."

"Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre."

"Ich habe weder Mundgeruch noch werden Sie sich den Zorn von Altobelli zuziehen, wenn er davon erfährt." Murphy hob die zusammengefaltete Zeitung, schlug sie auf, so dass Laura das Bild von Altobellis zerstörter Villa sehen konnte. Dann fuhr er fort: "Vorausgesetzt, den San Francisco Herald sendet man ihm in die Hölle nach!"

Sie atmete tief durch, verschränkte die Arme unter der Brust. Ihr Gesicht wirkte jetzt sehr ernst, sehr nachenklich. Einige Augenblicke lang schwieg sie, dann strich sie sich mit einer fahrigen Geste eine Strähne aus dem Gesicht und meinte:

"Sie scheinen nicht der einzige zu sein, der von den Toten aufersteht..."

"Ach, ja? Ich hoffe nicht, dass Sie von Rico Altobelli sprechen."

"Vielleicht..."

"...gehen Sie auf meinen Vorschlag ein?"

Sie seufzte.

"Sie sind unverbesserlich."

"Ich weiß."

Laura zuckte die Achseln.

"Warum eigentlich nicht?"



18

Die Bar lag ein paar Straßen weiter. Laura hatte sie vorgeschlagen. Sie schien sich in North Beach gut auszukennen.

"Vielleicht sollte ich Ihnen wirklich einiges erklären, Mr. Murphy."

"Nennen Sie mich Dave."

"Wie Sie wollen."

Sie nippte an ihremn Drink. Murphy ließ misstrauisch den Blick schweifen. Er wusste, dss er immer auf der Hut sein musste. In jeder Sekunde. Du solltest hoffen, dass es Altobelli wirklich erwischt hat!, dachte er. In dem Fall würde es im Altobelli-Clan erstmal um die Nachfolge gehen. Und derartige Diadochenkämpfe konnten sich erfahrungsgemäß lägere Zeit hinziehen. Murphy hatte sich an mehreren solcher Nachfolgekämpfe aktiv beteiligt. Er wusste, wie so etwas ablief. Normalerweise war eine derartige Zeit immer eine gute Gelegenheit für einen Hitman, viel Geld zu verdienen, denn meistens wurden dann die Killer knapp. Und war gut für den Preis.

"Ich muss Sie zunächst einmal warnen, Dave."

"So?"

"Altobelli ist nicht tot."

"Habe ich mir beinahe gedacht."

"Er befindet sich in seinem Landsitz in Bodega Bay. Es gibt Spione der Tang-Leute in seiner Umgebung und die wurden gezielt mit falschen Informationen gefüttert."

Murphy war sprachlos. Der Kinnladen kippte ihm nach unten. Woher hatte diese Lady derart präzise Informationen? War sie von der Polizei?

Unmöglich, dachte Murphy. Denn dann säßest du in Handschellen vor ihr - oder einem Verhörspezialisten des FBI.

"Sie scheinen Mr. Altobelli etwas näher zu kennen", murmelte Murphy dann.

"Haben Sie immer noch vor, ihn umzubringen? Solange nicht nach außen dringt, dass es ihn gar nicht erwischt hat, wird er sich sicher fühlen."

"Das ist richtig."

"Ich könnte Ihnen jede nur erdenkliche Information über die Sicherheitsvorkehrungen in seinem Landsitz bei Bodega Bay beschaffen."

"Sie können es nicht abwarten, ihn unter der Erde zu sehen, was?"

"Das stimmt."

Eine sanfte Röte übrzog ihr Gesicht. Ihre Züge wirkten angespannt. Sie schluckte. Nein, dachte Murphy, auch heute ist es kein Zufall gewesen, dass wir uns getroffen haben. Sie wusste, wo ich war, so wie sie alles über Altobelli wusste...

Wer steckte hinter ihr? Ein konkurrierendes Syndikat? Eine mächtige Organisation, von deren Existenz niemand etwas ahnte und die ihre ganz eigenen Ziele verfolgte? Ein auswärtiger Geheimdienst? In Murphys Gedanken jagten sich die Spekulationen nur so.

Es muss jemand sein, der die Möglichkeit hat, sehr weitgehend in Computersysteme einzudringen, Telefon- und Email-Verbindungen sowie sonstige Kommunikationswege abzuhören!, ging es ihm durch den Kopf. Und da gab es eigentlich nur die klassischen Kandidaten.

Murphy atmete tief durch.

Kann dir das alles nicht gleichgültig sein?, kam es ihm dann in den Sinn. Der Feind deines Feindes ist dein Freund. Und damit basta.

Es gab offenbar Kräfte, die Altobellis Tod wollten.

Kräfte, die mit den Dunkeldämonen nichts zu tun hatten, aber ebenfalls über gewisse Macht und ein offenbar sehr gut ausgebautes Informationsnetz verfügten.

Leute, die Laura geschickt hatten.

Leute, die genau wussten, wo Murphy sich aufhielt. Wo Altobelli sich aufhielt, was er vorhatte.

Ein Mann im grauen Anzug fiel Murphy auf, als er die Bar betrat. Er setzte sich an den Schanktisch, bestellte einen Drink und redete etwas mit dem Keeper. Allerdings so leise, dass Murphy kein Wort davon verstehen konnte.

"Hören Sie zu, ich kann Ihnen nicht alles sagen, Dave. Nur so so viel: Ich habe vor Jahren in einem von Altobelli kontrollierten Strip-Lokal als Table-Dancerin gearbeitet."

"War er ein so miserabler Arbeitgeber, dass Sie seinen Tod wünchen, Laura?"

"Er hat mich vergewaltigt", sagte sie tonlos.

"Das wusste ich nicht."

"Jetzt wissen Sie es."

Einige Augenblicke herrschte Schweigen. Warum erzählt sie mir das?, fragte sich Murphy. Um mein Vertrauen zu gewinnen?

"Allein kann ich meine Rache nicht vollenden", sagte sie. "Was ist? Mein Angebot von vorhin steht!"

Murphy nickte.

"Okay", sagte er.

Sie erhob sich. "Ich muss jetzt gehen, Dave."

"Wie finde ich Sie wieder?"

"Überhaupt nicht. Ich werde Sie finden, Dave."

"So etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht."

"Bye."

Sie legte das Geld für ihren Drink neben das nur halb leergetrunkene Glas und ging dann hinaus, ohne sich noch ein einziges Mal um zu drehen.

Murphy bezahlte ebenfalls, folgte ihr ins Freie.

Vor der Bar sah er sich nach allen Seiten um.

Er sah Laura gerade noch in eine Nebenstraße einbiegen, setzte zu einem kleinen Spurt an und erreichte schließlich die Ecke, hinter der er sie hatte verschwinden sehen.

Nichts.

Wie vom Erdboden verschluckt.

Die hat dich an der Nase herumgeführt!, ging es ihm durch den Kopf.

Er drehte sich herum, kehrte zurück in Richtung der Bar und bemerkte dann den dunkelroten Ford, der ganz in der Nähe abgestellt war. Die Nummer enthielt die Zahl 333. Murphy prägte sich das Kennzeichen jetzt vollständig ein.

Ein Mann stieg ein, blickte kurz zu ihm hinüber.

Es war der Mann im grauen Anzug, den er in der Bar gesehen hatte.



19

Art Johnson lenkte seinen roten Ford zum vereinbarten Treffpunkt in einem der zahlreichen unterirdischen Parkhäuser von North Beach.

Laura Wakefield setzte sich zu ihm in den Wagen.

"Wie weit bist du?", fragte er.

"Es ist nicht so einfach, das Vertrauen von jemandem wie Murphy zu erringen."

"Es hat nie jemand behauptet, dass das einfach ist."

"Er will Altobelli töten und ich habe versprochen ihm dabei zu helfen."

"Was glaubt er, wer du bist?"

"Er weiß nichts."

"Er wird sich seine Gedanken machen."

"Soll er nur. Er ist ziemich darauf fixiert, Altobelli endgültig den Garaus zu machen."

"Du hast ihm gesagt, dass er noch lebt?"

"Er hat dem Braten mit der Explosion in der Villa von Anfang an nicht getraut."

"Verstehe."

Art Johnson griff in seine Jackettinnentasche, holte einige Fotos hervor. Sie zeigten Murphy. Vergrößerungen waren dabei. Vergrößerungen, bei denen der Blick auf das Amulett fokussiert war, dass er um den Hals trug.

"Unserer Analyse nach könnte es sich bei dem Ding, was der Kerl um den Hals trägt um ein Artefakt der Dunkeldämonen handeln."

"Das würde einiges erklären", murmelte Laura.

"In der Tat! Insbesondere was Murphys Widerauferstehung angeht."

"Die Verbindungen der Dunkeldämonen müssen sehr weit reichen, wenn sie so etwas hinkriegen können!"

"Ja. Es ist beunruhigend. Und es bedeutet, dass ihre Agenten bis weit hinauf in die Justiz und die Behörden hinein platziert sind."

"Wie werden wir weiter verfahren?", fragte Laura. "Ich habe versprochen, ihm zu helfen."

"Altobelli ist noch immer in Bodega Bay, das haben wir gecheckt. Seine Telefon, Email und Faxverbindungen werden von uns abgehört. Er wird so vollständig überwacht, wie es nicht einmal das FBI zu Wege bringen würde. Aber seine Sicherheitsmaßnahmen sind sehr umfassend. Das grenzt schon an Paranoia. Sein Landsitz ist eine Festung."

"Murphy hat die Unterstützung der Dunkeldämonen. Er wird es schaffen. Zumal wenn er eines dieser Artefakte bei sich hat, dessen Funktionsweise wir ja noch nicht so recht kennen."

Art Johnson nickte langsam.

"Ich habe Anweisungen vom Anführer der Bruderschaft bekommen. Wir werden es folgendermaßen machen: Zunächst soll Murphy Altobelli aus dem Weg räumen. Er ist ein Lakai der Daran'dreen und muss beseitigt werden. Unsere Möglichkeiten dürfte das allerdings im Moment überschreiten."

"Und wenn Altobelli tot ist?"

"Dann schalten wir Murphy aus."

Laura biss sich auf die Unterlippe.

"Gut", sagte sie.

"Aber sei vorsichtig."

"Natürlich."

"Altobelli wird sehr bald wie ein verwundetes Raubtier um sich schlagen!"

"Ich weiß." Sie sah ihn an. "Ich nehme an, wir hören bald voneinander."

"Sicher!"



20

Murphy saß in dem Zimmer, das er gemietet hatte, blickte hinaus aus dem offenen Fenster. Der Straßenlärm drang hinauf. Ein eigenartiger Klangteppich aus Motorengeräuschen, Stimmengewirr und einigen kaum zu definierenden Anteilen. Eine Geräusch-Melange, die Ähnlichkeiten mit dem Rauschen des Meeres hatte.

VERSUCH ES NOCH EINMAL!, mahnte ihn die Stimme Yyndrons. VERSUCH NOCH EINMAL, MIT DER FINSTERNIS ZU VERSCHMELZEN...

Es ist so schwer...

ICH WEISS.

...und es kostet so viel Kraft!

NEIN, DAS IST EIN IRRTUM. IM ERSTEN MOMENT DENKST DU DAS VIELLEICHT, ABER IN WAHRHEIT BEKOMMST DU KRAFT DADURCH. SIE WIRD SICH UM EIN VIELFACHES POTENZIEREN... GLAUB MIR.

Du sprichst aus Erfahrung!

JA!

Eine Bilderflut ergoss sich über Murphys Bewusstsein. Bilder von Schlachten, aufgeschlitzten Körper, Blut, Blut von Wesen, die so fremdartig waren, dass gegen sie selbst Ausgeburten von Alpträumen exotisch gewirkt hätten.

Murphy schirmte sich dagegen ab. Er wusste, dass es nicht seine Erinnerungen, seine Gedankenbilder waren, sondern die des Mörders, dessen Seele in dem Amulett wohnte, dass er um en Hals trug.

Er legte die Hand auf das Abrash'dala, fühlte die Wärme. Es schien zu pulsieren wie ein schlagendes Herz. Als ob es lebt!, ging es Murphy durch den Kopf.

WIE WAHR!, kommentierte Yyndron. DAS IST DAS WESEN DER MAGIE. DER GEDANKE, DASS LETZTLICH ALLES IM UNIVERSUM LEBT... ALLES. JEDER STEIN UND JEDER GRASHALM.

Das mag für deine Welt gelten, Yyndron. Nich für die meine!

DU IRRST!

Das glaube ich nicht.

SOLANGE DU DIESE ANSICHT VERINNERLICHT HAST, WIRST DU KAUM DAS VOLLSTÄNDIGE KRAFTPOTENTIAL DES ABRASH'DALA AUSNUTZEN KÖNNEN... OH, WIE WÜNSCHTE ICH, DASS ICH AN DEINER STELLE WÄRE, MURPHY! WIE LANGE HABE ICH NICHT MEHR GETÖTET... ICH WEISS ES NICHT. MEIN GEFÜHL FÜR ZEIT... ES IST MIR ABHANDEN GEKOMMEN, SEIT ICH NICHTS WEIER BIN, ALS EINE EINSAME SEELE, EINGESPERRT IN EIN AMULETT MIT EINEM ALBERNEN NAMEN.

Murphy erschauderte, als er den überwältigenden Wunsch zu töten spürte.

Yyndrons Wunsch.

Oder Murphys?

Beides schien sich zu vermischen.

Das geschah auf eine Weise, die Murphy beunruhigte. Ein flaues Gefühl machte sich in seiner Magengegend bemerkbar. Er spürte, dass dies ein wichtiger, vielleicht ein entscheidender Augenblick war.

Ein Augenblick der Entscheidung.

JA, GENAU SO IST ES, DAS HAST DU RICHTIG ERKANNT!, meldete sich die Gedankenstimme erneut. EIN AUGENBLICK DER ENTSCHEIDUNG, DAS IST WAHR. WELCHEN WEG WIRST DU GEHEN, MURPHY? WILLST DU DIE KRÄFTE DES ABRASH'DALA NUN WIRKLICH BEHERRSCHEN ODER SCHRECKST DU DAVOR ZURÜCK? DU WEISST, WAS DIR DANN BEVORSTEHT... DU HAST ES EINMAL ERLEBT. BEDENKE, DASS DIE FOLTERHÖLLE IN DER DU WARST NUR EIN SCHWACHER ABKLATSCH DESSEN IST, WAS DEINE HERREN SONST NOCH FÜR DICH BEREIT HALTEN KÖNNTEN...

Murphy hob die Hände. Er sah, wie sie sich verwandelten. Vor seinen Augen wurde etwas Dunkeles, Schattenhaftes aus ihnen. Die Finsternis fraß sich vorwärts, ergriff seinen gesamten Körper. Einen Augenblick lang war Murphy schwindelig. Er glaubte zu fallen, zu stürzen, in einen gewaltigen Schlund hineingezogen zu werden, der sich wie aus dem nichts heraus vor ihm zu bilden schien... In diesem Moment dachte er an seinen ersten Versuch, mit der Finsternis zu verschmelzen, dachte daran, wie kläglich er dabei gescheitert war.

Soetwas durfte nicht noch einmal geschehen.

Ich muss den Weg gehen, den Yyndron mir zeigt, ging es ihm dann durch den Kopf. Eine Erkenntnis. Er schloss die Augen. Sein gesamter Körper wurde jetzt zu etwas, das wie ein Schattenriss wirkte. Und obgleich er die Augen geschlossen hatte, konnte Murphy sehen.

Ein Gefühl der Kraft durchströmte ihn. Er erhob sich, trat ans Fenster, hielt seine aus Finsternis geborenen Arme ins Licht. Aus nichts als undurchdringlicher Schwärze schienen sie zu bestehen.

Bin ich jetzt unsichtbar?, fragte er sich.

NEIN, NOCH NICHT. NOCH MICHT... DU MUSST DICH DEN KRÄFTEN DES ABRASH'DALA NOCH ETWAS WEITER ÖFFNEN...

Murphy sah, wie seine Schattenhände verblassten. Sie wirkten jetzt wie eine Schwache Dia-Projektion, wurden immer durchsichtiger.

SO IST ES RICHTIG!

Unsichtbarkeit - die Faust, die man nicht kommen sieht!, dachte Murphy.

DU SAGST ES. AUCH ALTOBELLI WIRD NICHTS AUSRICHTEN KÖNNEN! NICHTS!



21

Greyan-Kar lachte meckernd. Die gedrungene, warzenhäutige Gestalt war ein Daran'dreen, deren Heimatwelt von Vulkanen nur so übersät war. Die Heimat der Daran'dreen war ein Reich aus unterirdischen Höhlen. Um dieses Reich ständig auszubauen, sorgten sie dafür, dass ständig Sklavbenarbeiter von anderen Welten wie der Erde herangeschafft wurden. Die Erde war dafür ein zuverlässiger Lieferant geworden, ohne dass überhaupt jemand auf diesem Planeten bislang etwas davon ahnte.

Roco Altobelli wirbelte herum. Er hatte gedankenverloren vor dem Kamin gestanden und mit dem Besteck in der Glut herumgestochert, dass es zischte. Draußen regnete es. Eine Schlechtwetterfront war vom Pazifik her über Bodega Bay und die Umgegend hereingebrochen. Das Meer toste nur so. Altobellis Landsitz befand sich ein paar Meilen außerhalb des Ortes Bodega Bay an der Küste. Eine gute Gegend um sich zu entspannen und etwas Abstand zwischen sich und die geschäftige Millionenmetropole San Francisco zu legen.

Altobelli verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln, als er Greyan-Kar bemerkte, dessen grau-lederne Haut im Schein des Feuers eigenartig schimmerte.

Du wirst dich wohl nie daran gewöhnen, dass dieser Daran'dreen einfach auftaucht, wann es ihm beliebt.

"Die Dinge entwickeln sich anders, als es uns lieb sein kann", sagte Greyan-Kar.

Er schritt etwas auf Altobelli zu, schwang dabei die Arme hin und her. Wie ein hässlicher Gnom wirkte dieses Wesen. Die Augen blitzten.

"Sorry!", meinte Altobelli. "Was willst du jetzt tun? Mich in die Stollen deiner Heimatwelt Ashebana verschleppen?"

"Du solltest darüber nicht das machen, was dein Volk einen Witz nennt und wofür uns leider jedes Verständnis abgeht, Rico Altobelli!"

Altobelli zuckte die Achseln.

"Ich bin dem Schlag meiner Feinde ausgewichen. Sie halten mich für tot."

"Gut, es hätte schlimmer kommen können, das gebe ich zu. Aber es gefällt mir nicht, dass unser wichtigster Menschendiener nicht an jenem Ort ist, an dem sich zur Zeit wichtige Entscheidungen anbahnen!"

"Ich kehre zurück, wenn es möglich ist. Aber bis dahin..."

"Bis dahin muss dein Feind Mister Tang aus dem Weg geräumt sein."

"Richtig. Aber gute Hitmen sind nicht billig. Und Mister Tang ist ein Paranoiker, der extrem auf seine Sicherheit achtet."

"Ich werde mir erlauben, dir unter die Arme zu greifen."

"So?"

"Du weißt, dass die Daran'dreen sich auf die Kunst verstehen, Dämonen zu beschwören. Dämonen, mit deren Hilfe wir unter anderem von einer Welt zur anderen zu wechseln vermögen."

"Du hast mir von Yog-Sabeth erzählt..."

"Richtig. Diesmal habe ich einen seiner Artgenossen mitgebracht!" Greyan-Kar kicherte wie irre. "Yog-Taman, den zuverlässigsten aller Mörder!"

Greyan-Kar schnippste mit den Fingern.

Es flimmerte plötzlich im Raum.

Altobelli ließ vor Schreck die Kaminzange fallen, als er den lederhäutigen, mit Raubtierzähnen bewehrten Kopf sah, der zu einem Wesen gehören musste, dass die Größe eines Menschen um einiges überstieg. Der Kopf schwebte unterhalb der hohen Decke.

"Nun zeige dich vollständig, Yog-Taman! Du brauchst dich hier nicht unsichtbar machen!", rief Greyan-Kar etwas zornig. Und dann stieß er einige Worte in einer Altobelli unbekannten Sprache aus. Worte, die wie Beschwörungsformeln klangen.

Der Kopf brüllte auf. Ein Laut, der Altobelli erstarren ließ.

"Mein Gott...", flüsterte er.

Vor ihm erschien ein geflügeltes Wesen, mit Sicherheit zwei Meter fünfzig hoch und riesigen Pranken ausgestattet. Die Lederschwingen auf dem Rücken waren gefaltet.

"Das Yog-Taman", stellte Greyan-Kar noch einmal fest. "Er wird dafür sorgen, dass Mister Tangs Seele sich auf seine Wiedergeburt vorbereiten kann, wie es seinem buddhistischen Aberglauben entspricht." Greyan-Kar kicherte. "Ich denke, dass das in deinem Sinn ist, Rico Altobelli!"

"Natürlich!"

"Und danach wird er auf die Suche nach Murphy gehen, der zu einem echten Problem zu werden scheint. Ihre Leute waren bei der Suche nach ihm bislang ja nicht sonderlich erfolgreich!"



22

Murphy schreckte mitten in der Nacht hoch.

Jemand machte sich an seiner Zimmertür zu schaffen.

Murphy war sofort hellwach.

WERDE ZU FINSTERNIS!, murmelte die Stimme Yyndrons in seinem Kopf. LASS DIE INSTINKTE DES MÖRDERS IN DIR ERWACHEN! HEMME SIE NICHT!

Die Tür wurde eingetreten.

Das Licht ging an.

Ein Mann im dunklen Anzug stand da, in der Hand eine Schalldämpfer-Pistole.

Er legte an, richtete den Lauf der Waffe auf Murphy.

Das muss einer von Altobellis Killern sein!, ging es Murphy durch den Kopf.

Einen Augenblick lang lenkte den Killer etwas ab.

Es war die Veränderung, die mit Murphy vor sich ging. Innerhalb eines Sekundenruchteils wurde er zu einem dunklen Schatten und dann...

...war er verschwunden.

Die Waffe wurde abgefeuert. Der Schuss ging in die Wand, sprengte ein faustgroßes Stück aus der Wand. Ein großes Kaliber.

Schon im nächsten Moment packte den Killer etwas.

Eine unsichtbare Hand.

Murphys Hand.

Er riss den Killer herum, schleuderte ihn mit geradezu übermenschlicher Gewalt gege die Wand. Der Killer ächzte noch einmal kurz. Er rutschte an der Wand herunter, blieb in eigenartig verrenkter Haltung auf dem Boden legen. Blut rann ihm aus den Ohren und der Nase. Die Augen waren starr.

Murphy bemerkte etwas hinter sich.

Ein zweiter Killer stand in der Tür.

Wie erstarrt.

Murphy tötete ihn mit einem Handkantenschlag gegen den Hals, den der Killer nicht kommen sehen konnte. Der Killer sackte in sich zusammen. Murphy zog ihn in sein Zimmer hinein, lehnte die Tür an.

Dann atmete er tief durch. Er verwandelte sich zurück.

ES WIRD IMMER REIBUNGSLOSER GEHEN!, murmelte die Stimme Yyndrons in seinem Hirn. DU BIST AUF EINEM GUTEN WEG.

Ich weiß nicht, ob es wirklich ein 'guter' Weg ist.

DU DARFST NICHT ZWEIFELN!

Ja, das ist deine Philosophie.

DIE PHILOSOPHIE DES MÖRDERS!

Lassen wir das!

GANZ WIE DU WILLST. ABER ES SCHEINT UNS MEHR ZU VERBINDEN, ALS DU WAHRHABEN WILLST!

Das will ich nicht hoffen.

SIEH DER WAHRHEIT INS GESICHT!

Murphy ging zum Fenster, schaute hinunter.

Auf der anderen Straßenseite stand der dunkelrote Ford mit der 333 im Kennzeichen.

Wer immer der Kerl im grauen Anzug auch sein mag, ich werde ihn mir mal vorknöpfen!, nahm er sich vor.

Aber es war zu spät.

Der Wagen fuhr los, fädelte sich in den Verkehr ein.

Zeit, dass ich mich aus dem Staub mache!, dachte Murphy.



23

Das Wesen materialisierte in der großen Eingangshalle von Mister Tangs Villa auf dem Noble Hill. Wie eine Festung war diese Villa abgeschottet, umgeben von einer zwei Meter hohen Mauer, auf die noch ein gusseisernes Gitter aufgesetzt war. Im Garten patrouillierten Tag und Nacht beinahe zwanzig Leibwächter mit Maschinenpistolen und mannscharfen Hunden, die sich in insgesamt vier Schichten ablösten. Eine kleine Privatarmee hielt Mister Tang unter Waffen, alle ihm persönlich verpflichtet. Mit vielen von ihnen war Mister Tang weitläufig verwandt. Leute also, denen er absolut trauen konnte.

Aber gegen diesen Gegner hatten sie keine Chance, denn er griff hinter ihrer Verteidigungslinie an.

Yog-Taman faltete seine Lederschwingen zusammen.

Er blickte sich um.

Sog die Luft ein. Es machte fast den Eindruck, als ob er Witterung aufnehmen wollte. In Wahrheit aktivierte er seine übersinnlichen mentalen Fühler. Er wusste, dass der Mann, den er umbringen sollte, hier irgendwo zu finden war. Und jetzt gierte Yog-Taman nach der Seele dieses Mannes. Nach Tangs Seele, dessen Bild Greyan-Kar durch magische Rituale in sein Bewusstsein eingepflanzt hatte, so dass es dem Dämon ständig vor Augen stand.

Yog-Taman nahm Tangs mentale Spur auf, nahm die ersten Stufen der Freitreppe, die hinauf ins Obergeschoss führte. Die Treppe ächzte. Für ein so großes Gewicht war sie nicht konstruiert.

Oben auf dem Absatz erschien ein Leibwächter, angelockt durch den Krach.

Er schrie etwas auf kantonesisch.

Sen Gesicht verlor jegliche Fassung, wurde zu einer Maske blanken Entsetzens.

Er riss einen 45er Magnum aus dem Schulterholster unter seinem Jackett hervor und drückte kurz entschlossen ab.

Der Schuss traf das Monstrum mitten in der Brust. Der zweite Schuss brannte sich dicht daneben in die Haut des Dämons. Dieser brüllte auf.

Eine Flüssigkeit quoll aus den Wunden heraus, tropfte auf die Treppe.

Blut.

Oder das, was statt dessen in den Adern dieses Ungeheuers floß.

Ein dritter Schuss traf Yog-Taman im Auge.

Der Dämon schnellte jetzt mit einer Behändigkeit, die man diesem Koloss kaum zutraute, die Treppe hinauf. Fünf bis sechs Stufen nahm er mit einem einzigen Schritt. Dann hatte er den Leibwächter erreicht, packte ihn mit seinen gewaltigen Pranken. Ein Schrei gellte. Der Dämon schleuderte den Leibwächter wie eine Puppe durch die Eingangshalle. Der Körper klatschte gegen die Wand, fiel dann zu Boden und kam dort schwer auf. Regungslos blieb er liegen.

Der Dämon hielt einen kurzen Moment lang inne.

Die Wunden, die durch die Kugeln verursacht worden waren, schlossen sich langsam. Er verfügte über eine sehr große Regenerationsfähigkeit. Mit den primitiven Waffen der Erdbewohner konnte man ihm kaum etwas anhaben. Und was die Magie anging, so hatten die Bewohner dieses Planeten das geringe Wissen, dass sie einst darüber erworben hatten, größtenteils wieder vergessen.

Der Dämon setzte seinen Weg fort.

Er wusste genau, wo er sein Opfer finden konnte.

Die mentale Spur verriet es ihm. Ihr folgte er. Mit einem wuchtigen Tritt seines gewaltigen Fußes öffnete er die Tür eines Schlafzimmers.

Der dicke Mann, der in dem großen Bett lag, saß jetzt kerzengerade darin.

Mister Tang.

Sein feistes Gesicht wirkte verzerrt.

Die schöne Eurasierin an seiner Seite schnellte nun ebenfalls hoch, schrie laut auf. Sie stürzte aus dem Bett, drückte sich in die äußerste Ecke des Raumes.

Der Dämon beachtete sie nicht weiter.

Sein Ziel war Mister Tang.

Ehe der dicke Pate von Chinatown auch nur die geringste Reaktion zeigen konnte, war der Dämon schon über ihm, packte den Koloss, der in seinen Händen nichts weiter, als eine schlaffe Puppe zu sein schien.

Der Dämon öffnete sein Maul.

Mister Tang schrie.

Er schrie noch, als sein Kopf im Schlund des Dämons verschwand. Yog-Taman biss zu, riss dem Chinesen den Schädel von den Schultern. Das Blut spritzte bis zur Decke. Der Dämon spürte, wie die Seele des großen Bosses entwich... Und er saugte ihre mentale Energie in sich auf, stieß dabei einen grunzenden Laut aus. Die groteske Parodie auf das Schnurren einer Katze.



24

Detective Sergeant Kirkpatrick zeigte dem uniformierten Kollegen seinen Dienstausweis. Die Tang-Villa auf dem Noble Hill glich einem wahren Tollhaus. Überall standen Dienstwagen von FBI, San Francisco Police Department, dem Coroner und der Scientific Research Division of Northern California, deren Angehörige ihre Arbeit in hauchdünnen Schutzoveralls verrichteten, die verhindern sollten, dass die Spurenlage durch ihre eigene Anwesenheit in irgendeiner Weise verändert wurde.

"Kirkpatrick, SFPD!", murmelte Kirkpatrick, als er zum dritten Mal seine ID-Card vorzeigen musste.

Der Officer winkte ihn durch.

Kirkpatrick gelangte ins Haus.

Er durchquerte die Eingangshalle.

An der Freiteppe war allerdings Endstation. Die Kollegen der SRDNC waren gerade bei der Arbeit.

"Hi, Warren!", murmelte Kirkpatrick.

Einer der Männer im weißen Overall blickte auf. Es handelte sich um Warren Shrokovitz, einen Erkennungsdienstler im Rang eines Lieutenants. Shrokovitz hatte sein Chemiker-Diplom an der Unviversity of California im nahen Berkeley erworben, bevor er zur Research Division ging. Kirkpatrick kannte ihn seit langem.

"Hi, Kirkpatrick! Wusste gar nicht, dass das dein Fall ist! Ich meine, wo sich doch das FBI so hineinhängt..."

Das überhörte Kirkpatrick geflissentlich.

Statt dessen fragte er: "Was kratzt ihr da von den Treppenstufen?"

Warren Shrokovitz zuckte die Achseln.

"Könnte Blut sein. Aber auch was anderes."

"Scheiße."

"Genauer geht's erst nach der Analyse, Kilkenny."

"Du kennst die Email-Adresse meines Reviers, oder?"

"Yep."

"Sobald du was weißt, hätte ich's gerne!"

"Ich weiß nicht..."

"Du bist mir noch was schuldig, Shroko!"

"Okay, okay... Aber warum rufst du dir das Ergebnis nicht über NYSIS ab?"

"Weil es dort nicht zu finden sein wird", erwiderte Kirkpatrick mit galligem Unterton. Die Leute, die darauf Wert legten, dass der Fall Delaware Street möglichst unter der Decke blieb, würden auch zu verhindern wissen, dass die Untersuchungsergebnisse im landesweiten Datenverbundsystem NYSIS, das von allen Polizeibehörden genutzt wurde, auftauchten.

"Du glaubst mal wieder an irgenbdeine finstere Verschwörung, was?"

"So was ficht ein so sonniges Gemüt wie dich ja nicht an, Shroko!"

"Wenn du mich nochmal Shroko nennst, kannst du dir deine Ergebnisse sonstwo hinschmieren!"

Kirkpatrick verzog das Gesicht.

"Warren!"

"Na also! Geht doch!"

"Und noch was: Ich wage mal eine Vorhersage! Die Analyse wird haargenau jener entsprechen, die von diesen mysteriösen Blutspuren gemacht wurde, die man in der Dell Street und nach den Morden in Chinatown gefunden hat..."

"Bist du neuerdings Hellseher?"

"Vielleicht."

"Hier ist übrigens noch etwas, was dich interessieren dürfte, Kirkpatrick!"

"Was denn?"

"Etwas, dass wie ein riesiger Fußabdruck aussieht oder besser gesagt: ein Teil davon. Am Geländer gibt's Fingerabdrücke, die von so riesigen Pranken stammen, dass... Warte, ich mach dir ein Polaroid!"

"Hat wohl keinen Sinn, diese Prints durch AIDS zu jagen..."

"Nee!"

AIDS war die Abkürzung für AUTOMATTED IDENTIFICATION SYSTEM und bezeichnete ein EDV-Verbundsystem zur Identifizierung von Fingerabdrücken. Über 250 Millionen Prints waren dort gespeichert. Jeder, der sich bei der Army, Navy, einer Polizeieinheit oder dem Staatsdienst bewarb, musste seine Prints abgeben. Dazu kamen noch die erkennungsdienstlich behandelten Kriminellen. Die immense Zahl der gespeicherten Prints kam zu Stande, weil die Eintragungen nicht gelöscht wurden, wenn der Betreffende starb. Man konnte ja nie wissen, ob man einem Killer nicht noch Jahre nach seinem eigenen Ende einen Mord nachweisen konnte.

Warren Shrokovitz sagte: "Wenn man man sowas sieht, dann kommt man direkt auf die Idee, dass diese UFO-Freaks vielleicht doch Recht haben!"

"Man sollte AIDS erweitern und eine neue Rubrik für die Suchfunktion einfüheren: Außer CRIMINAL und NON-CRIMINAL vielleicht..."

"...TERRESTRIAN und EXTRA-TERRESTRIAN?" Warren Shrokovitz lachte heiser. "Du spinnst, Kirkpatrick." Er atmete tief durch. "Trotzdem - ich bin froh, dass ich keine Logik in diesen Mist bringen muss. Es gibt übrigens 'ne Zeugin."

"So?"

"Wird gerade von einem Special Agent in Charge verhört. Scheint aber eher ein Fall für den Psychiater zu sein. Schrie hier herum und faselte etwas von einem Monstrum mit Lederschwingen."



25

In derselben Nacht, in der ihn die beiden Altobelli-Killer überfallen hatten, hatte Murphy seine Zelte in North Beach abgebrochen, hatte einen Wagen geknackt und war hinüber nach Oakland gefahren.

Es gab dort jemanden, der ihm noch einen Gefallen schuldig war.

Er hieß Jimmy Scirea, hatte in der Cosa Nostra den Rang eines Capo.

Murphy hatte Jimmy Scirea von ein paar lästigen Verwandten befreit, die versucht hatten, Scirea aus dem Geschäft zu drängen.

Bei dem Job hatte Murphy einige Dinge erfahren, die Sciera jetzt faktisch zu seiner Geisel machten.

Scirea wusste das.

Seine Angst vor Murphy war sogar größer, als die vor Altobelli. Und so stellte Sciero dem Hitman einen Bungalow zur Verfügung. Er lag am Rande von Oakland. Scirea traf sich dort normalerweise mit seinen Mätressen.

Eigentlich hatte Murphy vorgehabt, ohne Scireas Hilfe auszukommen. Er traute ihm nämlich nicht über den Weg.

Aber andererseits war Murphys Lage seit der Nacht, in der ihn die Killer besucht hatten prekär geworden. Offenbar war Altobelli ihm ziemlich dicht auf den Fersen. Murphy fragte sich, ob der Mann im grauen Anzug auch zu Altobelli gehörte.

Und dann war da noch Laura.

Er hatte keine Möglichkeit mit ihr Kontakt aufzunehmen. War auch nicht unbedingt nötig, fand er. Das Ding mit Altobelli konnte er allein durchziehen. Er blieb zwei Tage in Oakland.

Mister Tangs Tod machte große Schlagzeilen.

Für Murphy war das der letzte Beweis dafür, dass Lauras Angaben der Wahrheit entsprachen. Altobelli lebte. Und er zog noch immer die Fäden in diesem tödlichen Spiel.

Murphy lieh sich einen Landrover und fuhr damit die zweieinhalb Stunden nordwärts bis Bodega Bay.

Das Hotel, in dem er sich einmietete hieß <Seaside<. Man hatte tatsächlich einen freien Blick auf das Meer.

Murphy hatte sich Karten der Umgebung besorgt.

Altobellis Besitz war dort eingezeichnet.

Die Sicherheitsbarrieren waren weiträumig gestaffelt.

Murphy würde keine Probleme haben, sie zu überwinden. Nicht, wenn er mit der Finsternis verschmolzen war. Für einen Schatten gab es keine wirkliche Barriere.

Murphy schlenderte etwas am Hafen von Bodega Bay herum. Der Fischereihafen war malerisch. Ein paar größere Trawler, ansonsten nur verhältnismäßig kleine Boote und ein paar Yachten. Welch ein Gegensatz zum hektischen Frisco. Murphy sog die würzige, salzhaltige Luft in sich hinein.

Er schloss einen Moment lang die Augen.

Was wirst du tun, wenn das alles vorbei ist?, fragte er sich. Wenn Altobelli tot ist. Folgt dann der nächste Job, den du für die Dunkeldämonen zu erledigen hast?

Es war anzunehmen.

Und Murphy konnte nicht sagen, dass ihm das sonderlich gefiel.

"Dave!"

Murphy wirbelte herum. Die junge Frau, die ihn angesprochen hatte, war niemand anderes als Laura Wakefield. Murphys Gesicht blieb eine Maske. Er freute sich nicht, sie zu sehen. Die Tatsache, dass sie hier war, bedeutete nur, dass er vollkommen überwacht wurde. Es wäre nicht das erste Mal, dachte Murphy. Was ihn daran wurmte war die Tatsache, dass er noch immer nicht wusste, welche Macht eigentlich dahinter steckte.

"Ich hatte Sie zwischendurch verloren, Dave."

"Ach, was Sie nicht sagen."

"Ihr Aufbruch aus North Beach war ziemlich plötzlich!"

"Leider konnte ich dort nicht bleiben, weil ich unangenehmen Besuch erhielt."

"Wo haben Sie gesteckt?"

"Das interessiert Sie nicht wirklich, Laura."

Sie atmete tief durch, griff dann in ihre Handtasche. "Sie haben recht", gab sie zu. "Wichtig ist nur, dass Sie hier sind. Ich habe erwartet, dass Sie hier irgendwann auftauchen. Bodega Bay ist kaum ein Dorf, wenn Sie wissen, was ich meine."

Sie nahm ein Couvert hervor, reichte es Murphy.

"Was ist das?"

"Alles, was Sie über Altobellis Anwesen wissen sollten, bevor Sie versuchen, ihn umzubringen."

Murphy nahm das Couvert.

Er steckte es in seine Jackentasche.

Dann fiel ihm in einiger Entfernung plötzlich ein dunkelroter Ford auf. Im Kennzeichen war die Zahlenkombination 333 enthalten. Murphy berührte mit der Hand das Abrash'dala, setzte dann zu einem Spurt an. Seine Schnelligkeit wurde durch die Kräfte des Abrash'dala gesteigert. Der Motor des Ford wurde gestartet. Der Fahrer versuchte, aus der Parklücke herauszukommen, aber Murphy war schon dort. Er versuchte, die Tür aufzureißen. Aber die Zentralverriegelung verhinderte das. Murphy riss den Türgriff ab, so brachial war die Kraft, die er einsetzte. Dann ließ er die Faust vorschnellen, zertrümmerte die Seitenscheibe. Er packte den Fahrer am Kragen.

Es war der Mann im grauen Anzug.

Murphy zog ihn zu sich heran.

Der Mann ächzte.

"Wer sind Sie?", fragte Murphy, während der Motor immer noch aufheulte.

Der Mann röchelte.

"Lassen Sie ihn los, Dave", sagte Lauras klare Stimme.

Murphy wandte den Kopf.

Laura hielt eine Beretta in den Fingern, deren Lauf auf Murphys Kopf gerichtet war.

"Na los!"

Murphy erwog einen Moment, sich in ein Schattenwesen zu verwandeln, sich für sie unsichtbar zu machen. Aber diese Option blieb ihm ja noch.

"Was wird hier gespielt?", fragte er und ließ den Mann im grauen Anzug dabei los. Der Kerl musste ersteinmal zusehen, dass er wieder zu Atem kam. Er lockerte seine Krawatte.

Laura senkte die Waffe.

"Ich werde Ihnen Ihre Fragen beantworten, Murphy!"

"Ich warte darauf! Wer ist dieser Kerl hier, der mich seit Tagen beschattet. Und wer schickt sie beide?"

"Das ist Mister Art Johnson. Wir arbeiten beide für eine geheime Bruderschaft. Eine Art Loge, wenn Sie verstehen was ich meine."

"Sorry, aber ich begreife gar nichts."

"Sie brauchen auch nicht viel mehr zu wissen, Dave."

"Ach, nein?"

"Nur, dass wir auf derselben Seite stehen. Wir kämpfen gegen die Daran'dreen und den Einfluss, den sie zu erringen versuchen und Altobelli ist der Lakai dieser warzenübersäten Gnome!"

"Sie wissen..."

"...von ihrer Existenz? Wir sind gut informiert und haben inzwischen ein weit verzweigtes Informationsnetz aufgebaut. Dass ich Sie gerettet habe, war wirklich kein Zufall, Dave."

"Ja, das Gefühl hatte ich gleich."

"Wir lassen Mr. Murphy jetzt wohl besser allein", sagte Art Johnson sachlich. "Ich denke, mit den Informationen, die wir ihm gegeben haben, ist er in der Lage, sein Vorhaben ohne unsere Hilfe durchzuführen."

"Sie sagen es", nickte Murphy.

Es gefiel ihm nicht, im Plan dieser seltsamen Organisation, von der Laura gesprochen hatte, eine fest zugewiesene Rolle zu spielen.

"Wir werden uns bestimmt wiedersehen, Mr. Murphy", meinte Johnson.

"Sie glauben wohl, dass Ihrem Netz niemand entkommt."

"So ist es."

TÖTE SIE JETZT!, meldete sich die Seele Yyndrons in Murphys Hirn zu Wort. TÖTE SIE BEIDE! SIE KÖNNTEN DIR GEFÄHRLICH WERDEN!

Nein!

Murphys Antwort war eindeutig und sehr entschieden.

Er spürte, wie Yyndron einen Moment lang versuchte, ihn zu kontrollieren. Für Augenblicke sah Murphy wieder Erinnerungen aus Yyndrons grausamen Leben vor sich. Szenen furchtbarster Metzeleien. Murphy schloss die Augen, versuchte diese Gedaken einer fremden Seele aus seinem Hirn zu verbannen. Und es gelang ihm schließlich auch.

Es gibt keinen Grund, sie zu töten!, dachte er. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt.

DU BIST UND BLEIBST EIN NARR, MURPHY!

Abwarten...

ICH HOFFE NUR, DU ERLEBST DIE BEANTWORTUNG DIESER FRAGE NOCH!

Murphy glaubte, in seinem Hinterkopf eine Art mentales Gelächter zu hören.

Laura stieg zu Johnson in den Wagen.

"Viel Glück, Murphy", sagte sie.

Die Art und Weise, wie sie das sagte, gefiel Murphy nicht.



26

Es war Nacht, als Murphy sich daran machte, Rico Altobelli zu töten.

Das Gelände, auf dem der Altobelli-Landsitz stand, war weiträumig abgeriegelt. Es gab verschiedene Barrieren. Bei der ersten handelte sich um einen zwei Meter hohen Maschendrahtzaun, der fest im Boden verankert war. Murphy verwandelte sich in einen Schatten. Er zerriss den Zaun, stieg durch das Loch und lief über die freie, deckungslose Ebene, die sich daran anschloss.

Hunde bellten.

Die Wächter blickten sich verwirrt um.

Scheinwerfer kreisten.

Gut, dass diese Leute ihren Hunden nicht voll vertrauen!, dachte Murphy. Denn die Nasen der Vierbeiner konnte man nicht täuschen. Auch durch die Verschmelzung mit der Finsternis nicht.

Alarm wurde ausgelöst. Ziemlich bald hatten die Altobelli-Leute das Loch im Zaun entdeckt.

Ihnen war jetzt klar, dass jemand im Gelände war.

Was sie nicht wussten war, dass sie diesen Gegner nicht sehen konnten.

Murphy erreichte die nächste Barriere. Die Security Guards, die überall herumpatrouillierten, blickten durch ihn regelrecht hindurch.

Ein Schatten in der Nacht, dazu war Murphy jetzt geworden.

Die zweite Barriere bestand aus einer Mauer.

Murphy nahm nicht das Tor. Es war gusseisern und verschlossen.

Murphy nahm Anlauf, zog sich an der Mauer empor, stieg mit Leichtigkeit darüber. Er sprang auf der anderen Seite hinunter, spurtete durch die Grünanlagen, die den Bungalow umgaben, der das Zentrum dieses Landsitzes bildete.

Als Murphy näher herangekommen war, sah er auf der Terrasse Rico Altobelli in Begleitung mehrerer Bodyguards.

Außerdem war da noch eine gedrungene Gestalt. Die Gartenbeleuchtung ließ Murphy die graue, von Warzen nur so übersäte Haut sehen.

Ein Daran'dreen!, dachte er.

Er war auf Lykoor, der Heimatwelt der Dunkeldämonen einigen von ihnen begegnet. Es hatte sich um Gefangene gehandelt.

Auch die außerweltlichen Verbündeten werden es nicht schaffen, dich zu retten, Altobelli!, ging es Murphy durch den Kopf. Du bist verloren, Altobelli! Rettungslos...



27

"Nichts zu sehen", murmelte Altobelli. Die Beleuchtung war jetzt überall angeschaltet worden. Es war so hell wie am Tag. Im Hintergrund war das Meeresrauschen zu hören.

Einer der Gorillas lauschte an seinem Walkie-talkie.

"Boss, es ist nirgends jemand zu finden! Wahrscheinlich ist der Kerl, der das versucht hat, wieder getürmt, als er merkte, dass der Alarm ausgelöst wurde!"

"Möglich!", murmelte Altobelli.

Er schien dem Braten nicht zu trauen.

Tang, sein Todfeind war über den Jordan geschickt worden. Aber noch lauerte irgendwo da draußen ein Killer namens Murphy. Und Altobelli konnte sich einfach nicht vorstellen, dass dieser Hitman seinen Plan aufgab, Altobelli zu töten.

"Es ist Murphy", sagte Altobelli halblaut vor sich hin. "Ich habe das im Gefühl... Auch wenn es wie eine fixe Idee klingt. Aber ich glaube, dass er hier in der Nähe ist."

"Unsere Leute hätten ihn entdeckt!", war der Gorilla mit dem Walkie-talkie überzeugt.

Greyan-Kar, der Daran'dreen meldete sich jetzt zu Wort. Er hatte bis jetzt geschwiegen.

"Es hängt davon ab, welche Machtmittel Murphy zur Verfügung stehen!", meinte er. Seine tiefliegenden Augen flackerten unruhig. Die Nasenflügel bebten.

Er murmelte einige Beschwörungsformeln vor sich hin.

Silben, die für einen menschlichen Zuhörer keinerlei Sinn ergaben. Ein Flimmern erschien in der Luft. Es war nur zu sehen, wenn man sehr genau hinschaute. Wie eine Glocke legte sich ein Schirm über die gesamte Terrasse...

...und eine schattenhafte Gestalt wurde plötzlich in diesem magischen Licht sichtbar.

Murphy.

Einer der Leibwächter ließ seine MPi losknattern. Aber entweder trafen die Kugeln nicht oder sie gingen durch das Schattenwesen hindurch.

Murphy versetzte dem Leibwächter einen Schlag, der ihn weit zurückschleuderte, ihn gegen die Hauswand krachen ließ, wo er mit gebrochenem Genick liegen blieb.

Auch den zweiten Leibwächter fegte Murphy aus dem Weg. Der dritte ballerte wie von Sinnen um sich und rannte dann ins Haus. Etwas Derartiges hatte er noch nicht erlebt.

Altobelli wirkte wie erstarrt. Seine Augen waren weit aufgerissen. Eine Maske des Schreckens.

"Murphy", flüsterte er.

Der Mafiosi wich dabei zurück.

Greyan-Kar schrillte weitere Beschwörungsformeln vor sich hin.

Details

Seiten
Jahr
2023
ISBN (ePUB)
9783738973679
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (März)
Schlagworte
dämonengrauen gruselkrimis

Autor

  • Alfred Bekker (Autor:in)

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Titel: Dämonengrauen: 3 Gruselkrimis