Zusammenfassung
Der Umfang dieses Buchs entspricht 117 Taschenbuchseiten.
Gloria Sanders ist in einem Waisenhaus aufgewachsen. Sie, die nie Mutterliebe kannte, ist für die kleinen Kinder im Waisenhaus „Sonnenblick“ so etwas wie ein „Mutterersatz“. Gloria ist ein sehr schönes Mädchen. Aber in ihrer Bescheidenheit sieht sie die bewundernden Blicke nicht, die ihrer zarten Schönheit gelten. So entgeht ihr auch, dass Joachim Graf Weilberg, der mit einer Kommission eines Tages in das Waisenhaus „Sonnenblick“ kommt, den Blick nicht von ihr wenden kann. Der junge Graf, Besitzer eines prachtvollen alten Wasserschlosses, hat sich unsterblich in die bezaubernde Gloria verliebt. Er setzt nun alles daran, das Herz dieses Mädchens zu gewinnen ...
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Gloria und der junge Graf: Geliebter Fürst Roman
Schicksalsroman von Sandy Palmer
Der Umfang dieses Buchs entspricht 117 Taschenbuchseiten.
Gloria Sanders ist in einem Waisenhaus aufgewachsen. Sie, die nie Mutterliebe kannte, ist für die kleinen Kinder im Waisenhaus „Sonnenblick“ so etwas wie ein „Mutterersatz“. Gloria ist ein sehr schönes Mädchen. Aber in ihrer Bescheidenheit sieht sie die bewundernden Blicke nicht, die ihrer zarten Schönheit gelten. So entgeht ihr auch, dass Joachim Graf Weilberg, der mit einer Kommission eines Tages in das Waisenhaus „Sonnenblick“ kommt, den Blick nicht von ihr wenden kann. Der junge Graf, Besitzer eines prachtvollen alten Wasserschlosses, hat sich unsterblich in die bezaubernde Gloria verliebt. Er setzt nun alles daran, das Herz dieses Mädchens zu gewinnen ...
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1
„Timmy, was hast du wieder angestellt? Suche nicht nach einer Ausrede! Ich sehe es deiner Nasenspitze an, dass du etwas ausgefressen hast.“ Gloria sah den sechsjährigen rotblonden Jungen streng an.
Die anderen fünfzehn Waisenkinder, mit denen Gloria an diesem Nachmittag spazieren ging, bildeten neugierig einen Kreis um das blonde Mädchen und Timmy.
Der Junge schaute Gloria mit einem Blick an, in dem eine ganze Welt von Vorwürfen lag.
„Gar nichts habe ich angestellt!“
„Timmy, die verfolgte Unschuld“, meinte Gloria. „Um nichts zu tun, warst du aber sehr lange weg. Wir warten schon eine ganze Weile auf dich. Als wir vom Spielplatz weggingen, habe ich dich zum letzten Mal gesehen. Also beichte: Was hast du angestellt?“
Gloria Sander, ein gertenschlankes und blondes Mädchen von achtzehn Jahren, war die älteste der Insassen des Waisenhauses „Sonnenblick“ und beaufsichtigte die kleineren Gefährten. Timmy war ihr ganz besonders ans Herz gewachsen. In ihm sah sie so etwas wie den kleinen Bruder, den sie sich immer gewünscht hatte. Und der Kleine wusste nur zu genau, dass er Glorias Liebling war, und nutzte das nach Kräften aus.
„Ich glaube, ich habe mir das Bein gebrochen, darum konnte ich nur langsam gehen.“
Um sein schweres Gebrechen zu demonstrieren, humpelte Timmy einige Schritte herum.
Gloria schmolz jedoch nicht wie erwartet vor Mitleid, sondern sah ihn mit einem Blick an, der ihm gar nicht behagte. Dafür bewunderten und bemitleideten - genau war da der Unterschied nicht festzustellen . ihn aber seine Kameraden.
„Timmy, tut es weh?“
„Ob du auch so einen tollen Gips bekommst wie Gerd voriges Jahr, als er den Arm gebrochen hatte?“
So schwirrten die Stimmen durcheinander, und Timmy, der strahlende Mittelpunkt des Kreises, hatte schon fast wieder den Grund seiner genialen Ausrede vergessen.
Anders Gloria. Nachdem es ihr mit viel Mühe gelungen war, sich das Lachen zu verbeißen, meinte sie streng: „Timmy, wenn du jetzt nicht sofort erzählst, wo du warst, sage ich dir heute Abend nicht gute Nacht.“
Das war schon eine schlimme Strafe für Waisenkinder, die für jedes liebevolle Wort dankbar waren. Gloria verstand es meisterhaft, ihnen das Gefühl zu geben, geliebt zu werden, denn sie war ebenso wie ihre kleinen Schutzbefohlenen mutterseelenallein auf der Welt. Glorias Mutter war bei der Geburt des Mädchens gestorben, der Vater hatte diesen Schicksalsschlag nicht überwunden. Er war seiner geliebten Frau bald gefolgt. Gloria musste ins Waisenhaus.
Als sie in Timmys Alter gewesen war, hatte es auch ein älteres Mädchen gegeben, das eine Art Mutterstelle bei ihr vertreten hatte. Und das Glück über diese Zuneigung hatte der kleinen Gloria über viele trübe Stunden hinweggeholfen. Jetzt wollte sie versuchen, anderen ebenfalls ein wenig mütterliche Wärme zu schenken.
Das Schönste für Timmy war - das wusste Gloria genau - der Gutenachtkuss. Das Mädchen setzte sich dann für eine Weile zu ihm ans Bett, und Timmy hatte die Illusion, dass Gloria ihm ganz allein gehörte.
Und diese Freude sollte heute wegfallen? Da war es schon besser, er sagte, wo er gewesen war.
„Also ...“ Er druckste noch eine Weile herum, ehe er allen Mut zusammennahm, und gestand: „Als ihr vom Spielplatz weggegangen seid, bin ich in die andere Richtung gelaufen, zum Ententeich. Da sind doch jetzt kleine Entchen ...“
Treuherzig sah er zu Gloria auf. Und das Mädchen konnte nicht widerstehen, zumal sie in den Augen ihrer übrigen Schutzbefohlenen ein neugieriges Glitzern bemerkte. Eines war Gloria klar: Wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, dass ihr in der nächsten Zeit dauernd eines der jüngeren Kinder fehlte, musste sie jetzt mit allen zum Ententeich gehen.
„Also gut, ihr sollt euren Willen haben, wir gehen alle zusammen zum Teich.“
Auf ihre Worte hin brach ein unbeschreibliches Jubelgeheul los, so dass man sich nur wundern konnte, wie ein Chor von fünfzehn kleinen Kehlen eine solche Lautstärke entwickeln konnte.
Einträchtig spazierte man zum Ententeich, einem mit Seerosen und Schilf bewachsenen kleinen See in mitten der Parkanlage. Am Ufer standen Bänke, auf denen Rentner, einige junge Liebespaare und Mütter mit ihren Kindern saßen. Gloria und ihr Gefolge erregten natürlich einiges Aufsehen, zumal die kleinen Jungen und Mädchen mit wahrem Kriegsgeschrei auf das Wasser zustürmten. Natürlich schreckten sie dadurch die Entenfamilien auf, und zum Entzücken aller schnatterten die verängstigten Entenmütter aufgeregt drauflos.
Von diesem Schauspiel wurde auch ein kleines, etwa zwei Jahre altes Mädchen angelockt, dessen Mutter auf einer der Bänke saß und sich angeregt mit ihrer Nachbarin unterhielt. Sie schien ihre Tochter vergessen zu haben. Die Kleine, die in ihrem rotblau karierten Dirndl ganz allerliebst aussah, lief jauchzend auf das schilfbewachsene Ufer des Sees zu.
Plötzlich beugte sie sich neugierig vor, um ein paar kleine Entenkinder besser sehen zu können. Doch dabei verlor sie das Gleichgewicht und fiel mit leisem Aufschrei und Klatschen ins seichte Uferwasser. Timmy, der ganz in der Nähe war, stand wie erstarrt. Doch dann kam Leben in ihn.
„Gloria!“, schrie er laut
Das junge Mädchen warf nur einen Blick in seine Richtung, und schon hatte sie das kleine strampelnde Bündel Mensch entdeckt Die Kleine schien vor Angst die Sprache verloren zu haben, denn sie gab keinen Ton von sich. Ohne sich zu besinnen, schleuderte Gloria die Schuhe von den Füßen und watete ins Wasser.
Der See war am Ufer noch nicht sehr tief, für ein zweijähriges Mädchen aber konnte ein Sturz ins Wasser den Tod bedeuten.
„Komm, mein Kleines, du brauchst keine Angst mehr zu haben. Ich bin ja schon bei dir.“ Beruhigend sprach Gloria auf das kleine Mädchen ein, während sie die Arme nach ihm ausstreckte. Und vertrauensvoll reckten sich ihr die Kinderärmchen entgegen.
Inzwischen hatte auch die junge Mutter bemerkt, was geschehen war.
„Mein Gott, Petra!“ Verzweifelt rang sie die Hände, machte aber keine Anstalten, Gloria, die sich mit ihrer Last das Ufer hinaufarbeitete, zu Hilfe zu eilen.
„So eine Ziege!“ Klaus, Timmys bester Freund, stieß den Jungen in die Seite. „Auf so eine Mutter kann ich direkt verzichten. Da ist unsere Gloria doch ganz was anderes.“
„Klar, Mensch!"
Wenn es darum ging, Gloria zu loben, war Timmy immer bei der Hand. Doch er beschränkte sich nicht nur auf Lobeshymnen, sondern lief hilfreich auf das blonde Mädchen zu, das jetzt ans Ufer watete. Das schöne Blondhaar, das Gloria sonst in weichen Wellen auf die Schultern fiel, hing ihr jetzt strähnig ins Gesicht, ihr hellblaues Kleid, ihr bestes Stück, klebte nass am Körper. Doch Gloria schien das nicht zu merken. Mit einem glücklichen Lächeln legte sie die kleine Petra in die Arme ihrer Mutter, die in erlösende Tränen ausbrach, als sie ihr Kind wohlbehalten zurückbekam.
Die kleine Petra erbrach zwar noch etwas Wasser, hatte aber, dank Glorias schneller Hilfe, keine ernsthaften Schäden erlitten.
Petras Mutter war so darin vertieft, ihr Kind zu versorgen, dass sie vollkommen vergaß, sich bei Gloria zu bedanken. Auch die anderen Passanten zeigten mehr Interesse für Mutter und Kind als für die junge Retterin. Das junge Mädchen wurde indessen von seinen kleinen Freunden umringt, die sie wie eine Heldin feierten. Ein kleines Mädchen brachte ihr die Schuhe. Und der kleine Kavalier Timmy meinte galant: „Hier, Gloria, du kannst meinen Anorak haben, du bist ja ganz nass. Nachher wirst du noch krank.“
Alle versuchten sie, Gloria etwas Gutes zu tun. Doch das junge Mädchen hatte nur einen Wunsch - so schnell wie möglich ins Waisenhaus zurück und in trockene Kleider zu kommen.
Nach einem letzten Blick auf Petra, die gerade von ihrer Mutter in den Sportwagen gesetzt und mit einer flauschigen Decke zugedeckt wurde, ging sie mit ihren kleinen Freunden davon.
2
„Ich lasse mir eine solche Unverschämtheit einfach nicht bieten!“ Wütend stampfte Vera von Gloth mit dem Fuß auf. An sich eine sehr undamenhafte Bewegung, aber in ihrem Zorn schien das schöne rothaarige Geschöpf alle gute Erziehung zu vergessen.
Vera von Gloth stammte aus guter alter Adelsfamilie, deshalb war sie Joachim Graf von Weilberg bisher als die ideale Partnerin erschienen. Zumal Vera ein rassiges und temperamentvolles Geschöpf war, das einen Mann schon an sich fesseln konnte. Doch nun kamen Graf Joachim ernsthafte Bedenken, ob er sich enger an Vera binden sollte. Bisher war der junge Graf wie ein Falter von einer Blüte zur anderen geflattert. Bei Vera jedoch hatte er zum ersten Mal an eine engere Bindung gedacht. Doch durch ihren Wutanfall schien sich die schöne Baroness selbst um die Chance zu bringen, einmal Gräfin Weilberg zu werden.
„Bitte, Vera, beruhige dich. Du hast absolut keinen Grund, dich so aufzuregen.“ Graf Joachims Stimme klang etwas nervös, er fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut, da Vera im Grunde genommen recht mit ihren Vorwürfen hatte.
Vor zwei Tagen hatte Graf Joachim einen Opernbesuch mit der schönen Baroness kurzfristig abgesagt, und zwar mit einer sehr windigen Ausrede. In Wahrheit war er mit einem entzückenden Mannequin des Hauses Dior, das er am Morgen kennengelernt hatte, zum Essen gegangen. Anschließend hatten sie eine Bar besucht und sich köstlich amüsiert. Jacqueline war eine glänzende Unterhalterin gewesen.
Unterhaltsam konnte Graf Joachim, ein großer junger Mann, dunkelhaarig und mit fast schwarzen Augen, den Auftritt mit Baroness Vera nun wirklich nicht nennen. Wenn seine Freundin auch vor Temperament nur so zu sprühen schien.
„Seit drei Monaten sind wir fast unzertrennlich, und plötzlich machst du mich in der ganzen Stadt lächerlich, nur weil du mal wieder deinen männlichen Charme ausprobieren musstest. Aber das lasse ich mir nicht bieten, mein Lieber. Ich nicht!“ Bei diesen Worten packte Vera einen schweren Kristallaschenbecher und schleuderte ihn gegen einen alten venezianischen Spiegel.
Es ärgerte sie maßlos, dass Joachim von ihrem Wutausbruch so unbeeindruckt blieb. Das musste sich doch ändern lassen! Doch sie hatte sich getäuscht. Joachim reagierte auf das Zersplittern des Spiegelglases anders als erwartet.
Mit ruhiger Bewegung ergriff er eine wertvolle Porzellanfigur aus Meißen, die Darstellung einer Schäferin der Biedermeierzeit - in Joachims Augen der größte Kitsch - und reichte sie seiner wütenden Freundin.
„Es stehen dir für weitere Zerstörungswerke noch drei Fenster und zwei Glastüren zur Verfügung. Suche dir etwas aus!“
Mit einer großzügigen Bewegung wies er durch den Raum.
Das Paar befand sich im Stammschloss der Grafen Weilberg. Es war ein romantisch gelegenes Wasserschloss, das von Kunstkennern ein Juwel genannt wurde, weil beinahe jedes Zimmer in einem anderen Stil eingerichtet war. Die Einrichtungen waren erlesen und kostbar.
Der Blaue Salon, in dem sich Baroness Vera und Graf Joachim gerade befanden, war mit grauen Chippendalemöbeln eingerichtet. Ein blaugoldener chinesischer Teppich bedeckte fast den ganzen Boden. Blaue Samtportieren umrahmten die drei großen Fenster, die den Blick auf den hinter dem Wassergraben liegenden riesigen Park freigaben.
Vielleicht war es der fantastische Ausblick, der Baroness Vera besänftigte und sie daran hinderte, das großzügige Angebot des jungen Grafen anzunehmen. Vielleicht war es auch der Blick seiner Augen, der sie davor warnte, sich von ihrem heftigen Temperament mitreißen zu lassen.
„Siehst du wenigstens ein, dass ich mit meiner Empörung recht habe?“, wandte sie sich in gemäßigterem Tonfall an Graf Joachim.
„Bedingt, meine Liebe. Denn ich möchte dich darauf aufmerksam machen, dass ich mich noch nicht an dich gebunden habe. Ich gebe zu, meine Ausrede an besagtem Nachmittag war denkbar schlecht. Diesen Vorwurf darfst du mir machen. Ich werde mir demnächst mehr Mühe geben.“
Seine Augen funkelten sie bei diesen Worten ironisch an. Doch Vera war im Augenblick nicht für seinen Humor zu haben. Zornig sagte sie: „Dann haben wir uns wohl nichts mehr zu sagen!“ Damit rauschte sie aus dem Raum.
Erleichtert atmete Graf Joachim auf. Ein Glück, dass er Veras Engherzigkeit rechtzeitig erkannt hatte. Außerdem missfiel ihm ihre Art, ihrer Wut freien Lauf zu lassen. Das einzige, was ihn an dem ganzen Vorfall ehrlich betrübte, war der Verlust des alten venezianischen Spiegels. Sein Onkel Oskar hatte ihn von seiner letzten Italienreise mitgebracht.
Oskar Graf Reuschenbach war der Bruder von Joachims verstorbener Mutter und der junge Graf hing sehr an seinen letzten lebenden Verwandten. Graf und Gräfin von Weilberg waren vor fünf Jahren tödlich verunglückt. Da Joachim damals erst zwanzig Jahre alt gewesen und noch nicht volljährig war, wurde Graf Oskar zu seinem Vormund bestimmt. Er zog in die alte Wasserburg, stand seitdem dem Neffen mit Rat und Tat zur Seite und war ihm ein wahrer Freund. Er war es auch gewesen, der Joachim in der Universitätsstadt, in der der junge Graf seinem Jurastudium nachging, eine mit allen Schikanen ausgestattete Junggesellenwohnung einrichtete.
„Herr Graf, darf ich Sie daran erinnern, dass Graf Reuschenbach Sie zu einer Schachpartie erwartet?“
Clemens, der alte und grauhaarige Diener, schreckte Joachim aus seinen Gedanken auf.
„Danke, Clemens, das hätte ich beinahe vergessen. Bitte“, er deutete auf die Glasscherben, „lassen Sie das wegräumen! Man sagt immer, Scherben bringen Glück. Ich habe das Gefühl, dass mir eben ein großes Glück widerfahren ist.“
Clemens nickte bedächtig. Er hatte im Nebenzimmer das Tafelsilber geputzt und einige Sätze der Baroness verstanden. Und da Clemens, der schon vor der Geburt Joachims im Schloss gedient hatte, seinem jungen Herrn nur das Beste wünschte, war er mit der Entwicklung der Dinge sehr einverstanden.
3
„Ich werde in diesem Haus noch wahnsinnig!“ Gloria Sander wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
„Timmy, geh endlich unter die Dusche! Jeden Freitag machst du das gleiche Theater!“
Diese Freitagnachmittage hatten es aber auch in sich: Jeden Monat kamen - stets an einem Freitag - die Herren des Aufsichtsrates, um dem Waisenhaus Sonnenblick einen Kontrollbesuch abzustatten. Und heute war Freitag - und dazu noch der dreizehnte!
Gloria als der Ältesten oblag es, für das ordentliche Aussehen der kleineren Heimbewohner zu sorgen. Diese Aufgabe war jedoch mit einigen Schwierigkeiten verbunden, wie die Szene mit Timmy wieder einmal bewies.
„Gloria, warum muss ich mir den Hals zweimal am Tag waschen? Nur weil diese Aufsichtsmenschen kommen? Die sehen uns ja doch nicht an.“ Timmy blickte treuherzig zu dem jungen Mädchen auf. Er wusste aus Erfahrung, dass dieser Blick bei Gloria ankam. Schon oft hatte er damit einige kleine Vergünstigungen herausschinden können.
Aber heute schien er seine Wirkung zu verfehlen, denn Gloria packte den Widerstrebenden an der rotblonden Mähne und schob ihn resolut unter die Dusche.
„Nichts da! Wasser hat noch niemandem geschadet. Und dir Schmutzfink bestimmt nicht.“
Timmy war heute nicht der einzige, der sich über das doppelte Waschen beklagte. Dagegen waren die kleinen Mädchen, die die Zöpfe geflochten, die Kleider zugeknöpft und Schleifen gebunden bekommen mussten, noch harmlos.
Ganz im Geheimen musste Gloria Timmy recht geben: Die Herren des Aufsichtsrates sahen sich die kleinen Waisen gar nicht so genau an. Sie beschränkten sich auf die Berichte der Heimleiterin.
Nur Gloria kam in nähere Berührung mit den wichtigen Herren. Sie hatte den ehrenvollen Auftrag, die Platte mit den Appetithappen in das Konferenzzimmer zu tragen. Auch heute begab sie sich, nach dem die Herren ihren Rundgang durch das Heim beendet hatten, mit einer geschmackvoll garnierten Platte in das Konferenzzimmer.
Tief hielt sie den Kopf gesenkt, als sie durch den Raum ging. So bemerkte sie den interessierten Blick aus schwarzen Augen nicht, der sie traf, sah nicht den jungen und gut aussehenden Mann, der das zarte blonde Mädchen wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt anstarrte.
Joachim Graf Weilberg war wie verzaubert. Dieses Mädchen im einfachen Waschkleid verkörperte genau den Typ Frau, den er sich erträumte: blond und zart, dabei jedoch keineswegs zerbrechlich wirkend.
Als Gloria den Raum wieder verlassen hatte, wandte sich der junge Graf an die Heimleiterin: „Wer ist dieses Mädchen, Frau von Pech? Die Kleine ist ja ganz reizend.“
„Die Kleine?“ Ein spöttischer Blick traf den jungen Grafen. „Die Kleine ist achtzehn Jahre alt und heißt Gloria Sander.“
Gloria - die Strahlende! Dieser Name passte nun ganz und gar nicht zu dem bescheidenen Wesen, das mit scheuer Bewegung die Platte auf den Tisch gestellt hatte. Aber, dachte Graf Joachim, wenn sie erst einmal Kleider von Dior und Esterel trägt, wenn Alexandre sie frisiert hat ...
Die Stimme Frau von Pechs unterbrach seine träumerischen Gedanken.
„Gloria wird unser Haus bald verlassen, da sie in vierzehn Tagen mit der Schule fertig ist und dann auf eigenen Füßen stehen kann - obwohl es schade ist, dass sich dieses intelligente Mädchen eine Arbeit suchen muss, statt weiter studieren zu dürfen.“
„Möchte sie das denn?“
„Nichts lieber als das. Gloria interessiert sich für Kunst. Am liebsten würde sie deshalb Kunstgeschichte studieren. Aber einem Waisenkind ist dieser Wunsch nicht zu erfüllen.“
„Doch ...“ Graf Joachim hatte dieses Wort ausgesprochen, ohne recht über die Folgen nachzudenken.
Nur ein Gedanke beherrschte sein Gehirn: Gloria will studieren - ich studiere noch - ich könnte die Studentin Gloria oft sehen ...
„Ich verstehe Sie nicht, Herr Graf. Wieso ist Gloria dieser Wunsch zu erfüllen?“
„Ich werde das tun, Verehrteste. Mit Ihrer Unterstützung! Sie werden nämlich dem Mädchen erzählen, dass ein alter Gönner ihr diesen Wunsch erfüllt hat. Hören Sie, Frau von Pech: ein alter Gönner! Ich wünsche auf keinen Fall, dass Gloria erfährt, dass ich ihr Studium finanzieren werde.“ Der junge Graf sprach so energisch und sicher über die Angelegenheit, als sei alles schon perfekt.
„Ich werde alles in der Universitätsstadt in die Wege leiten. Wie Sie vielleicht wissen, studiere ich dort selbst. Es war ja sowieso ein Zufall, dass ich heute meinen erkrankten Onkel hier vertreten habe.“
Mit tiefer Dankbarkeit dachte Joachim an Onkel Oskars Krankheit, ohne sich deshalb irgendwelche Gewissensbisse zu machen. Denn wenn der Gute sich nicht den Knöchel gebrochen hätte, wäre er - Joachim - nicht hierhergekommen und hätte wohl nie das bezauberndste Mädchen der Welt kennengelernt.
Und wie hatte er noch auf der Fahrt hierher geflucht, dass der Onkel ihn mit diesem Auftrag beehren musste. Er würde Onkel Oskar einen ganzen Lastwagen voll Austern schenken aus Dankbarkeit, weil er krank geworden war. Für Austern gab Graf Oskar Jahre seines Lebens. Überhaupt tat er für gutes Essen einiges. Stundenlang konnte er dinieren und dabei riesige Mengen vertilgen, ohne jedoch dabei dick zu werden. Eine Tatsache, die Graf Joachim wie ein Wunder vorkam.
Bei dem Gedanken ans Essen blickte Graf Joachim wieder auf die Platte mit den Appetithappen, und diese wiederum schufen eine Brücke zu Gloria.
„Also, verehrte Frau von Pech. Sie werden die Güte haben und Gloria darauf vorbereiten, dass sie zu Beginn des nächsten Semesters mit ihrem Studium anfangen kann“, wandte er sich wieder an die Heimleiterin. „Ich werde mich bemühen, ein Zimmer im Studentinnenwohnheim zu bekommen. Doch alle Einzelheiten können wir ja noch schriftlich erledigen.“
Damit verabschiedete sich Graf von Weilberg ebenso wie die anderen Herren. Sie hatten für einen Monat ihre Pflicht gegenüber dem Waisenhaus Sonnenblick getan.
Graf Joachim war sicher der einzige von ihnen, der sich auch noch auf der Heimfahrt in seinem schneeweißen Sportwagen Gedanken über das Heim machte. Doch betrafen diese Gedanken ausschließlich ein blondes Mädchen. Diese Überlegungen waren so erfreulicher Natur, dass er sogar über ihnen seinen letzten Flirt, die rothaarige und langbeinige Vera von Gloth vergaß. Und das wollte schon etwas heißen!
4
„Mäuschen, wenn wir jetzt nicht in diesem stinkvornehmen Restaurant säßen, der schreckliche Kellner nicht dauernd zu uns herübersehen würde und du nicht diesen scheußlichen Lippenstift aufgetragen hättest, würde ich dich liebend gerne küssen.“
Der junge Mann mit dem dunkelblonden Haar sah seine Begleiterin an. Offensichtlich wartete er auf eine verliebte Zustimmung. Doch er wurde bitter enttäuscht.
„Erstens“, das schwarzhaarige und zierliche Mädchen sah seinen Begleiter mit blitzenden Braunaugen an, „erstens ist der Kellner sehr nett. Er sieht - wenn er nicht gerade mich anguckt - nur auf deine Krawatte, die ja wirklich der Gipfel der Geschmacklosigkeit ist.“
„Na, erlaube mal!“
„Ich erlaube gar nichts. Vor allem nicht, dass du meinen Lippenstift bemängelst. Er passt nämlich genau zu der Farbe meines Kleides. So“, sie holte Atem, „das war Punkt zwei, und drittens - und das ist mir das Wichtigste - sollst du mich nicht immer Mäuschen nennen.“
„Aber ich finde Mäuschen schön. Wenn auch im Augenblick der Ausdruck Tigerin besser zu dir passen würde, Antonie.“ Klaus von Geldern sah das Mädchen abwartend an.
Er wusste genau: Mehr noch als den Kosenamen Mäuschen hasste seine Freundin ihren Taufnamen Antonie. Sie wurde auch von allen Freunden und Bekannten an der Universität nur Toni gerufen. Und Klaus’ Vermutung wurde bestätigt: Toni war dem Explodieren nahe. Ihre schönen Augen sprühten Blitze.
„Wenn wir jetzt nicht in diesem hocheleganten Restaurant säßen, um deinen monatlichen väterlichen Scheck in Filetsteaks umzusetzen, und wenn ich mich vor diesem reizenden Kellner nicht blamieren wollte, würde ich dir die passende Antwort auf die Antonie geben.“
Sie konnte nicht verhindern, dass ein Lächeln um ihre Lippen flog. Und sie hätte doch so gern die echt Gekränkte gespielt.
Es war ein Schicksalsschlag, dass sie sich ausgerechnet in so ein ausgemachtes Ekel wie Klaus verlieben musste. Aber wenn er sie so anschaute wie zum Beispiel jetzt - verliebt und zärtlich und doch wieder leicht ironisch - schmolz sie dahin wie Butter in der Sonne. Jeglicher Widerstand war dahin, und ihr dummes Herz begann wie wahnsinnig zu schlagen.
„Auf diese Antwort könnte ich mich direkt freuen. Zumal unsere kleinen Prügeleien ja meist in deinem Zimmer stattfinden, nicht wahr?“
„Du bist ein abscheulicher Mensch! Sagst das, als ob ...“
„Als ob was? Ich weiß selbst, dass diese Kissenschlachten genauso harmlos sind wie meine eben gemachte Bemerkung“, kam es von Klaus mit der unschuldigsten Miene.
„Zu unseren geliebten Kissenschlachten wird es in Zukunft höchstens noch in deinem Zimmer kommen - und das auch nur, wenn deine gestrenge Wirtin ihren Bridgeabend hat.“ Toni sagte das mit so traurig ernstem Gesicht, dass Klaus sofort merkte, dass sie keinen Spass machte.
„Bekommst du vielleicht eine neue Zimmernachbarin?“, fragte er.
„Genau. Zimmer im Studentenwohnheim sind knapp. Das weißt du ja aus eigener Erfahrung. Und dass ich im letzten Semester allein meine Bude bewohnen konnte, verdanke ich ja auch nur der Tatsache, dass Sabine, die bis dahin mit mir zusammen war, nach ihrer schweren Lungenentzündung in ein Sanatorium musste, wo die Arme immer noch ist. Doch jetzt, bei Semesterbeginn, kommt natürlich ein neues Mädchen. Wie ich gehört habe, heißt sie Gloria Sander.“
„Hm, Gloria! Der Name ist wie Musik in meinen Ohren!“
Klaus konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen und unterstrich sie sogar noch durch einen schwärmerischen Augenaufschlag. Zu gern sah er das Funkeln in Tonis Augen, das sie immer dann bekam, wenn sie wütend war. Ein guter Grund für Klaus, sie hin und wieder zu reizen.
Ach Toni, dachte Klaus von Geldern zärtlich, wenn du wüsstest, wie sehr ich dich liebe, wärest du sogar auf Miss Universum nicht mehr eifersüchtig. Aber er wagte es nicht, ihr das zu gestehen. Was sollte sie auch mit einem armen Medizinstudenten, der ihr noch nichts bieten konnte als jeden Ersten ein Abendessen im Restaurant - und das auch nur, weil dann gerade der reichlich knappe väterliche Scheck angekommen war.
So beschränkte er sich lieber auf verliebtes Geplänkel und harmlose, wenn auch deshalb nicht weniger liebevolle Zärtlichkeiten. Und Toni war es nur recht so. Auch sie war Klaus von Herzen gut, versteckte ihre Liebe aber ebenso wie er hinter einem burschikosen Ton.
Wie zum Beispiel jetzt, als sie wirklich wie eine Tigerin fauchte: „Musik - und dann in deinen Ohren? Dass ich nicht lache! Du kannst ja Wagner nicht von den Beatles unterscheiden. Das einzige, was dein Ohr wahrnimmt, sind Pulsschläge und Herztöne.“
„Stimmt, und am liebsten die deinen. Schade, dass du nicht auch Medizin studierst. Wir könnten uns gegenseitig Nachhilfestunden geben ...“
„Danke bestens. Ich bleibe lieber bei meiner Kunstgeschichte. Da fühle ich mich entschieden wohler.“
„Da du gerade von Wohlfühlen sprichst: Unter den kritischen Blicken dieses Kellners fühle ich mich nun wirklich nicht länger wohl. Ich schlage vor, dass wir noch ein bisschen bummeln gehen, ehe ich dich heimbringe, einverstanden?“
„Einverstanden.“
Wenig später schlenderten die beiden jungen Leute die hell erleuchteten Geschäftsstraßen entlang. Klaus hatte seinen Arm um Toni gelegt, und das Mädchen schmiegte hin und wieder ihren Kopf für einen kurzen Moment an seine Schulter. Die beiden benahmen sich wie tausend andere verliebte Paare. Sie schwiegen, um die Stimmen ihrer Herzen nicht zu übertönen.
Als sie durch eine dunkle Passage gingen, zog Klaus das Mädchen für einen kurzen Moment an sich. Zärtlich umfing er mit beiden Händen ihr schmales Gesichtchen und küsste innig ihre frischen Lippen. Jetzt störte ihn der rosafarbene Lippenstift offensichtlich nicht mehr. Und Toni dachte gar nicht daran, ihn darauf aufmerksam zu machen.
Als sie später an dem erleuchteten Schaufenster eines Pelzgeschäftes vorbeigingen, meinte Klaus ein wenig selbstquälerisch: „Es wird wohl noch einige Jahrzehnte dauern, bis ich dir einen solch fantastischen Nerzmantel kaufen kann.“
„Nerz macht dick“, beruhigte Toni ihn, „darauf würde ich sowieso verzichten.“
„Und womit könnte ich dir verwöhntem Mädchen sonst imponieren?“
„Dieser Ozelotmantel dort drüben ist einfach ein Traum“, schwärmte Toni.
„Dem Mäuschen eine Katze - wie sinnig“, spottete Klaus von Geldern. „Na, bis ich einmal wohlbestallter Chefarzt bin und dir einen solchen Traum verwirklichen kann, sind deine schwarzen Haare, zu denen das gefleckte Fell so gut harmonieren würde, schon grau, also wird es wohl nie etwas mit dem Luxus.“
Und schon waren sie wieder im schönsten Geplänkel, das erst ein Ende fand, als Klaus Toni vor das Studentinnenwohnheim gebracht hatte.
Ein letzter kleiner Kuss, ein letztes verliebtes „Gute Nacht, mein Mäuschen!“ - dann entschwand Toni hinter der großen Milchglasscheibe der Eingangstür.
5
„Gloria, du kommst doch übermorgen mit zum Medizinerball?“ Toni sah ihre neue Zimmergenossin, mit der sie sich schon angefreundet hatte, fragend an.
„Na sicher kommt sie mit!“ Klaus von Geldern lachte Gloria strahlend an. „Ich habe nämlich schon eine Karte und einen Tänzer für dich besorgt. Joachim wäre mir auf ewig böse, wenn ich ohne dich käme. Der gute Junge hat nämlich alle anderen Verpflichtungen den schönen Studentinnen gegenüber deinetwegen abgesagt.“
„Hoffentlich wird er nicht enttäuscht!“ Glorias Stimme klang etwas belegt.
So gut sie sich schon in ihr neues Leben hineingefunden hatte, ihre Schüchternheit hatte sie noch nicht abgelegt. Nur Toni und Klaus gegenüber war sie aufgeschlossen.
Diese beiden prächtigen jungen Leute waren der „Neuen“ gegenüber aber auch von einer Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, wie man sie selten findet.
Seit drei Wochen lebte Gloria jetzt in der Universitätsstadt, und sie fühlte sich ausgesprochen wohl. Von ihrem alten Gönner, den sie immer noch nicht kannte und von dem sie auch nichts Näheres wusste, war noch im Waisenhaus ein großzügiger Scheck eingetroffen. Gloria konnte ihr Glück kaum fassen und kleidete sich zunächst einmal neu ein. Einige flotte Kleider waren ihr ganzer Stolz. Ein Wermutstropfen im Becher ihrer Freude war nur die Tatsache, dass sie sich von ihren kleinen Freunden trennen musste.
Beim Abschied waren viele Tränen geflossen. Besonders Timmy war die Trennung sehr schwergefallen. Jetzt schrieb er lange Briefe an Gloria, in denen er ihr versicherte, dass sie doch die Beste und Liebste gewesen sei. Sein letzter Brief, der gestern gekommen war, hatte geendet: „Wenn Du nur wieder bei mir wärst, Gloria! Ich würde mich gern zehnmal am Tag duschen. Bald komme ich Dich besuchen!“
„Deinem Gesicht nach zu urteilen bist du mit deinen Gedanken wieder im Waisenhaus.“ Tonis Stimme riss Gloria aus ihren trüben Gedanken.
„Ja, ich habe - glaube ich - etwas Heimweh“, gestand das junge Mädchen verlegen.
„Das wird sich in dem Moment ändern, wo wir beide in einem Modesalon stehen und dir ein Tanzkleid kaufen. Denn soweit ich unterrichtet bin, hast du noch keins.“
„Wie sollte ich?“ Gloria lachte. „Im Waisenhaus gab es keine Gelegenheit, so etwas zu tragen. Aber du hast recht, wenn ich mit euch gehen will, brauche ich ein neues Kleid.“
„Und da dir der geheimnisvolle Unbekannte großzügiger Weise einen Scheck hat zukommen lassen, bist du in der Lage, dir einen Traum von Ballkleid zu kaufen“, warf Klaus ein.
Nachdem der Entschluss einmal gefasst war, schritten die beiden Mädchen auch sofort zur Tat.
Und als Klaus seine Damen zwei Abende später zum Medizinerball abholte, da kam ihm seine dunkelhaarige Toni in einem schneeweißen Seidenkleid und Gloria in einem rosenholzfarbenen Chiffonkleid entgegen, dessen plissierter Rock bei jedem Schritt um ihre langen schlanken Beine wippte.
„Ein Glück, dass ich gleich Verstärkung bekomme“, scherzte er. „So viel Schönheit ist für einen einzelnen Mann zu viel.“
Gutgelaunt machten sie sich auf den Weg zur Universität, wo ein riesiger festlich geschmückter Raum als Ballsaal diente. Eine bekannte Kapelle sorgte für die notwendige musikalische Unterhaltung, und Gloria zuckte es bei den beschwingten Rhythmen in den Beinen, obwohl sie noch nie im Leben getanzt hatte.
„Da drüben ist ja Joachim“, rief Klaus aus. „Der Gute hat uns einen Tisch reserviert. Joachim von Weilberg ist ein feiner Kerl“, wandte er sich dann an Gloria, die wieder schüchtern die Augen niederschlug, als sie die Menschenmenge sah. „Er ist beinahe so nett, wie ich“, scherzte Klaus weiter, um ihr über die Verlegenheit hinwegzuhelfen. „Der einzige, aber ganz unbedeutende Unterschied zwischen uns beiden ist der, dass Joachim bedeutend mehr Geld hat als ich. Doch darunter hat seine Freundlichkeit und Kameradschaftlichkeit zum Glück nicht gelitten.“
Während dieser Erklärung hatten sie sich bis zu dem Tisch, an dem Graf Joachim von Weilberg saß, vorgearbeitet.
Als der Graf die drei jungen Leute sah, sprang er auf, begrüßte zunächst Toni herzlich und ließ sich dann Gloria vorstellen. Sein Herz klopfte stürmisch, als er das heimlich geliebte Mädchen endlich nahe vor sich sah. Aber er musste sich beherrschen und distanzierte Freundlichkeit vortäuschen.
„Gloria, das ist Joachim von Weilberg“, machte Klaus die beiden miteinander bekannt. „Joachim, unsere neue Freundin Gloria Sander. Ich möchte vorschlagen, dass wir sie als vierte in unseren Bund aufnehmen.“
Toni und Joachim bekundeten lautstark ihre Zustimmung, und Gloria, der vor Freude und Verlegenheit das Blut in die Wangen gestiegen war, musste mit den Tränen kämpfen. Die Mitstudenten waren so nett zu ihr, wie sie es sich nie hätte träumen lassen. Sie fühlte sich schon fast wie eine von ihnen.
Klaus hatte Joachim nicht mit seinem vollständigen Titel vorgestellt. Doch diese Tatsache war einfach zu erklären. Der junge Graf lebte als schlichter Joachim von Weilberg in der Universitätsstadt. Er wollte kein unnötiges Aufsehen erregen und sich nicht selbst durch einen klangvollen Titel von den anderen Studenten distanzieren. Er fürchtete, dann nicht in ihren fröhlichen Kreis aufgenommen zu werden. So wusste noch nicht einmal sein Freund Klaus, dass er ein echter Graf war, der letzte Sproß eines uralten Geschlechtes.
Mit einem langsamen Walzer wurde der Ball eröffnet. Klaus forderte natürlich seine Toni auf, und Joachim verbeugte sich vor Gloria, die ihm zögernd auf die Tanzfläche folgte.
Der junge Mann gefiel ihr ausnehmend gut, gestand sie sich ein. Sicher würde sie alle Schritte falsch machen und ihrem Tänzer nur auf die Füße treten ...
Doch nichts dergleichen geschah. Joachim legte behutsam seinen Arm um die schlanke Taille des geliebten Mädchens und führte sie so sicher, dass Gloria seinen Schritten folgte.
Das junge Paar ließ fast keinen Tanz aus, da Joachim bald merkte, welche Freude Gloria am Tanzen fand. Völlig gelöst schwebte sie in seinen Armen über das spiegelnde Parkett. Vergessen war ihre Scheu. Mit strahlenden Augen blickte sie zu ihrem Tänzer hoch, der sie sekundenlang fest an sich presste. Und das, was Graf Joachim noch nicht zu hoffen gewagt hatte, geschah: Gloria schmiegte für einen kurzen seligen Moment ihren Blondkopf an seine Schulter. Ein ganz eigenartiges Gefühl durchströmte sie dabei. So etwas hatte sie noch nie empfunden. Ob sie sich verliebt hatte? Nein, so schnell verliebt man sich nicht!
„Darf ich Sie zu einem Glas Sekt einladen?“, fragte Joachim von Weilberg in ihre Überlegungen hinein.