Zusammenfassung
Von Alfred Bekker, Pete Hackett
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Trevellian und der Bandenkrieg in New York (Pete Hackett)
Die nackte Mörderin (Alfred Bekker)
Ein alter Fall wird wieder aktuell, und ein damals freigelassener Verdächtiger gerät erneut in in den Fokus des FBI. Als nach und nach alle Verdächtigen unter seltsamen Umständen sterben, stehen die FBI-Agenten Trevellian und Tucker vor einem scheinbar unlösbaren Rätsel.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
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Krimi Doppelband 2240

Von Alfred Bekker, Pete Hackett
Dieser Band enthält folgende Krimis:
––––––––

Trevellian und der Bandenkrieg in New York (Pete Hackett)
Die nackte Mörderin (Alfred Bekker)
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Trevellian und der Bandenkrieg in New York

Krimi von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 118 Taschenbuchseiten.
Ein alter Fall wird wieder aktuell, und ein damals freigelassener Verdächtiger gerät erneut in in den Fokus des FBI. Als nach und nach alle Verdächtigen unter seltsamen Umständen sterben, stehen die FBI-Agenten Trevellian und Tucker vor einem scheinbar unlösbaren Rätsel.
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Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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1

Es war über zehn Jahre her. Wir hatten ein Haus in Staten Island umstellt. Wenn man der Aussage des anonymen Anrufers glauben durfte, würde im Haus Nummer 165 in der Clove Road an diesem Abend ein Drogendeal stattfinden. Heroin im Wert von einigen hunderttausend Dollar sollte den Besitzer wechseln.
In dem Gebäude brannte Licht. Besitzer war ein Mann namens Adam Holbrock. Kein unbeschriebenes Blatt; Schutzgelderpressung, Körperverletzung, Nötigung, Hausfriedensbruch. Insgesamt hatte er sieben Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht. Jetzt drängte er, wie es schien, ins Drogengeschäft. Jemandem schien dies ein Dorn im Auge zu sein – sicher ein Konkurrent im Geschäft mit dem Verbrechen. Wir hatten keine Ahnung, wie sehr uns dieser Fall viele Jahre später noch einmal beschäftigen sollte.
Wegen der Frage, woher Holbrock das Geld haben sollte, um das Rauschgift zu bezahlen, hatten wir uns schon die Köpfe zerbrochen, allerdings keine Antwort darauf gefunden. Möglicherweise gab es einen Hintermann.
Wir – das waren ein halbes Dutzend G-men aus dem Field Office und eine Einsatzbereitschaft aus dem Police Department – hüllten uns in Geduld. Per Walkie-Talkie standen wir miteinander in Verbindung. Mit der Leitung des Einsatzes hatte Mr. McKee mich beauftragt. Immer wieder schaute ich auf die Uhr. Die Zeit schien stillzustehen.
Endlich! Gegen vierundzwanzig Uhr fuhr ein Mercedes der S-Klasse vor. Der Motor wurde abgestellt, die Scheinwerfer gingen aus. Zwei Männer stiegen aus dem Fahrzeug. Autotüren schlugen. Einer der beiden trug einen Aktenkoffer. Ich befand mich im Schutz einer Hecke in einem Grundstück auf der gegenüberliegenden Straßenseite und flüsterte in das Sprechfunkgerät: »Fertigmachen. Sobald sie das Haus betreten haben, warten wir noch fünf Minuten, dann greifen wir zu. Den entsprechenden Befehl werde ich erteilen.«
»Ist in Ordnung«, ertönte es aus dem Lautsprecher. »Wir warten auf Ihre Anweisung, Trevellian.«
Die beiden Männer aus dem Mercedes schritten zur Haustür. Es dauerte nicht lange, dann wurde ihnen geöffnet. Licht flutete ins Freie und umriss scharf ihre Gestalten. Sie betraten das Gebäude und die Tür wurde wieder geschlossen. Ich schaute auf die Uhr.
Schließlich waren die fünf Minuten um. Ich gab den Einsatzbefehl. In Sekundenschnelle wurde die Haustür aufgebrochen. Das Haus wurde von den Einsatzkräften besetzt. Einige Kollegen kamen durch die Hintertür. Milo führte sie an. Im Wohnzimmer befanden sich vier Männer. Einen von ihnen erkannte ich sofort. Adam Holbrock. Ich hatte seine Akte ausgiebig studiert. Auf dem Tisch stand der Koffer. Er war geöffnet und randvoll mit Plastikbeuteln voll Heroin.
In den Gesichtern der Gangster zuckten die Muskeln, die Kerle waren wie gelähmt, das alles schien ihr Begriffsvermögen zu übersteigen. Die Kollegen griffen sie nach Waffen ab und förderten zwei Pistolen zutage, dann klickten die Handschellen. Ich eröffnete den Gangstern, dass sie verhaftet seien und klärte sie über ihre Rechte auf. Dann wurden sie abtransportiert, das Heroin wurde beschlagnahmt.
Am folgenden Morgen vernahmen wir Holbrock. Wir befanden uns in einem der spartanisch eingerichteten Vernehmungsräume im Keller des Federal Building. Es gab nur einen zerkratzten Tisch, einige Stühle und eine Computeranlage. Weißes Neonlicht tauchte den Raum in gleißende Helligkeit. Ich hatte mich Holbrock gegenüber an den Tisch gesetzt. Milo war stehen geblieben und hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
Holbrock wirkte verunsichert. In seinen Augen flackerte Unruhe. Ununterbrochen knetete er seine Hände. Er kaute auf seiner Unterlippe herum.
»So haben Sie sich Ihren Ausflug ins Drogengeschäft gewiss nicht vorgestellt, Holbrock, wie?«, begann ich die Vernehmung.
»Woher wusstet ihr von dem Deal?« Holbrocks Stimme klang belegt. Er räusperte sich, dann schluckte er krampfhaft.
»Ein anonymer Anrufer«, antwortete ich. »Muss ziemlich gut Bescheid gewusst haben, der Bursche. Eigentlich müssten Sie selbst am Besten wissen, mit wem Sie darüber gesprochen haben.«
Ich beobachtete Holbrock aufmerksam, suchte nach einer Reaktion in seinen Zügen, nach irgendeinem verräterischen Zeichen. Mir war daran gelegen zu erfahren, wer der anonyme Anrufer war. Vielleicht hatte Holbrock eine Idee.
Er presste die Lippen zusammen.
»Oder in den Reihen Ihres Lieferanten gibt es eine undichte Stelle«, sagte Milo.
Holbrock zog den Kopf zwischen die Schultern und schwieg verbissen. Aber in seinen Zügen arbeitete es. Seine Backenknochen mahlten. Irgendetwas beschäftigte ihn. Ich konnte es ihm geradezu von der Nasenspitze ablesen.
»Na, fällt Ihnen nichts ein?«, ermunterte ich ihn zu sprechen.
»Das habe ich Hannagan zu verdanken!«, knirschte Holbrock. Seine Augen drückten grenzenlosen Hass aus. »Dave Hannagan. Wir sind so etwas wie Partner, aber er will mich aus dem Geschäft drängen. Dieser elende Bastard!«
»Ist er der Mann, der das notwendige Kleingeld besitzt, um das Heroin zu erwerben?«, fragte ich.
Holbrock schüttelte den Kopf. »Wir sollten das Rauschgift in Kommission übernehmen und bezahlen, wenn es verkauft ist. Ich knüpfte die Verbindung zu unserem Lieferanten. Doch jetzt, da sie geknüpft ist, braucht mich Hannagan nicht mehr. Er will den Rahm alleine abschöpfen.«
Wir führten die Vernehmung fort. Holbrock war geständig. Angesichts der Beweislage blieb ihm auch gar nichts anderes übrig. Noch am selben Tag wurde gegen ihn Haftbefehl erlassen und er wurde nach Rikers Island überführt. Aufgrund seiner Aussage kam es zu einer Reihe von Verhaftungen. Wir hatten der Drogenmafia einen empfindlichen Schlag versetzt.
Milo und ich machten uns auf den Weg zu Dave Hannagan. Er wohnte in der Upper East Side. Hannagan war Ende dreißig, ungefähr eins-achtzig groß, schlank und gut aussehend. Ein Frauentyp; dunkelhaarig, solariengebräunt, durchtrainiert, sympathisch. Er bat uns in seine Wohnung und forderte uns auf, Platz zu nehmen. »Was führt Sie zu mir, Gentlemen?«
»Wir haben in der Nacht Adam Holbrock festgenommen«, antwortete ich. »Er war dabei, eine große Menge Heroin zu übernehmen. Holbrock erzählte uns, dass Sie sein Kompagnon sind.«
Hannagans Brauen hatten sich zusammengeschoben, über seiner Nasenwurzel hatten sich zwei senkrechte Falten gebildet. Versonnen musterte er mich, schließlich fragte er: »Was reden Sie da, G-man? Ich besitze weder das erforderliche Kapital, um ins Drogengeschäft einzusteigen, noch habe ich mit Drogen überhaupt etwas am Hut.«
Hannagan wich meinem Blick nicht aus.
»Holbrock behauptet, dass Sie Partner wären«, mischte sich Milo ein. »Er erklärte, dass Sie beide ins Rauschgiftgeschäft einsteigen wollten und Kontakt zu Ramon Montego, einem kolumbianischen Drogenhändler, herstellten. Ein anonymer Anrufer verriet uns Ort und Zeitpunkt der Übergabe des Heroins. Holbrock denkt, dass Sie dieser Anrufer sind, Hannagan.«
»Unsinn. Ich kenne Holbrock von früher. Wir sind zusammen aufgewachsen.« Hannagan lachte auf. »Ich bin Geschäftsführer eines Finanzierungsunternehmens. Damit verdiene ich meine Brötchen. Holbrock habe ich seit vielen Monaten nicht mehr gesehen. Warum er versucht, mich in seine Machenschaften hineinzuziehen, weiß ich nicht.«
»Kennen Sie einen Mann namens Bill Preston?«
»Nein. Wer ist das?«
»Er befand sich in Holbrocks Haus, als wir den Drogendeal störten.«
»Kenne ich nicht.«
»Wir werden ihn befragen, ob er Sie kennt, Hannagan.«
Der Bursche zuckte mit den Schultern. »Tun Sie das, G-men.« Hannagan grinste. »Sie werden sicher sehr schnell feststellen, dass Holbrock Mist erzählt hat. Darum sehe ich davon ab, einen Anwalt zu konsultieren. Vielleicht will sich Holbrock an mir rächen, weil ich ihm in unserer Jugend doch die eine oder andere Freundin ausgespannt habe.«
»Wir werden sehen«, sagte ich, dann verließen wir Hannagan.
»Was hältst du von ihm?«, fragte Milo, als wir im roten Sportwagen saßen. Den Wagen schaffte ich mir erst einige Jahre später an.
»Ein aalglatter Bursche«, versetzte ich. »Aber wenn ihn dieser Preston wirklich nicht kennt und er nur durch die Aussage Holbrocks belastet wird, wird ihm kaum etwas am Zeug zu flicken sein.«
Nun, ich will es kurz machen. Bill Preston kannte Dave Hannagan nicht. Adam Holbrock wurde in einem späteren Verfahren zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Dave Hannagan war eine Mittäterschaft nicht nachzuweisen. Nach der Urteilsverkündung schwor Holbrock, sich an Hannagan blutig zu rächen. Wir hörten nie wieder etwas von ihm. Der Fall geriet bei mir in Vergessenheit. Ebenso der Name Dave Hannagan.
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2

Sechs Jahre später. Es ging um Schutzgelderpressung. Ein Restaurantbesitzer wandte sich an uns. Milo und ich tarnten uns als Ober. Gegen dreiundzwanzig Uhr leerte sich der Laden. Mehr als drei Stunden lang waren wir ziemlich gefordert gewesen. Mir schmerzten die Beine. Im Lokal befanden sich vielleicht noch ein Dutzend Gäste.
Schließlich kamen drei Männer, die nicht zu dem Publikum passten, das hier verkehrte. Sie trugen Jeans und Lederjacken, waren zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, hatten die Haare kurz geschoren und verströmten etwas, das mich warnte. Ich wechselte mit Milo einen schnellen Blick, und der Gesichtsausdruck meines Kollegen verriet mir, dass ihm auch nicht gefiel, was er sah.
Ich ging den dreien entgegen. »Guten Abend, Gentlemen. Haben Sie drei Plätze bestellt oder ...«
Einer der drei, ein stiernackiger Bursche mit einem brutalen Zug um den Mund, schob mich kurzerhand zur Seite und knurrte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Das Trio steuerte einen leeren Tisch an und ließ sich nieder. Ich folgte den Kerlen. »Darf ich Ihnen ...«
»Wir möchten den Chef sprechen!«, herrschte mich der Stiernackige an und grinste. Ein Grinsen, das seine Augen nicht erreichte. »Wir haben mit ihm eine Verabredung.«
»Er befindet sich in der Küche«, erklärte ich.
»Dann hol ihn, Dummkopf!«
»Ich darf doch sehr bitten«, gab ich mich entrüstet.
»Schwirr ab und hol deinen Boss. Oder muss ich dir Beine machen?«
Er sprach gerade so laut, dass ich ihn verstehen konnte.
Ich gab mich eingeschüchtert und wandte mich ab. Die drei Kerle lachten. Von den Gästen, die noch anwesend waren, hatte niemand etwas vom rüpelhaften Verhalten des Burschen mitbekommen. Sie aßen und unterhielten sich.
Der Name des Restaurantbesitzers war Gus Walker. Er war zugleich erster Koch in dem Betrieb. Ich klopfte an die Tür zur Küche, öffnete sie, schob den Kopf durch den Türspalt und rief: »Mister Walker, jemand wünscht Sie persönlich zu sprechen.«
Walker drehte das Gesicht zu mir her und schaute mich erwartungsvoll an. Ich nickte. Seine Züge versteinerten, ein herber Ausdruck kerbte sich in seine Mundwinkel. Er wischte sich die Hände an einem Handtuch ab, ich hielt ihm die Tür auf, er ging zu dem Tisch, an dem die drei Schlägertypen saßen. Der Mund des Stiernackigen bewegte sich. Der Wirt hörte schweigend zu, und als der Stiernackige endete, schüttelte er den Kopf. Der Stiernackige sagte noch etwas. Gus Walker antwortete. Die drei Kerle erhoben sich abrupt und strebten dem Ausgang zu.
Walker kam zu mir her. »Sie wollten abkassieren«, sagte er. »Die beiden, die vor einer Woche hier waren und Schutzgeld forderten, sind nicht unter den dreien.«
»Was sagte der Stiernackige, als Sie ablehnten?«, fragte ich.
»Dass ich mir das, was auf mich zukäme, selbst zuzuschreiben hätte.« Walker machte ein säuerliches Gesicht. »Wahrscheinlich schicken sie mir ein Rollkommando, das hier das Oberste zuunterst kehrt. Wenn es nur kein Fehler war, sich an die Polizei zu wenden.«
»Ganz sicher nicht«, versprach ich.
Es dauerte keine fünf Minuten, dann kamen die Kerle zurück. Aber jetzt trugen sie Baseballschläger. Ein entschlossener Ausdruck prägte die Gesichter. Einige der Gäste begriffen schlagartig und sprangen entsetzt auf. Ehe jedoch die drei Kerle ihr Werk der Zerstörung beginnen konnten, zog ich die Dienstwaffe unter meiner Jacke hervor und rief: »Ganz ruhig, Jungs. FBI. Mein Name ist Trevellian. Legt die Schläger weg und nehmt die Hände hoch.«
Die drei starrten mich an wie einen Außerirdischen, in den Augen den stupiden Ausdruck des Nichtbegreifens. Währenddessen zog sich Milo zur Tür zurück, um den Kerlen den Fluchtweg zu verlegen. Auch er hatte die Waffe gezogen.
Plötzlich lief der Schimmer des Begreifens über das Gesicht des Stiernackigen. Er riss die Hand mit dem Baseballschläger hoch und stürmte mit einem wilden Schrei auf den Lippen heran. Meine Worte schienen in seinem Kopf einen Kurzschluss ausgelöst zu haben. Und sein Reflex war schneller als sein Verstand.
Als er zuschlug, glitt ich behände zur Seite. Der Baseballschläger hatte mir wahrscheinlich den Schädel zertrümmert, wenn er mich getroffen hätte. Wenn! Infolge meiner blitzschnellen Reaktion verfehlte er mich. Von der Wucht seines Schlages getrieben taumelte der Stiernackige einen Schritt nach vorn, und ehe er wieder festen Stand errang, schlug ich ihm die Waffe gegen den Kopf. Mit einem ersterbenden Ächzen ging er auf die Knie nieder, sein Kinn sank auf die Brust, sein Kopf wackelte vor Benommenheit.
Aus den Augenwinkeln sah ich seine Kumpane. Von ihnen fiel jetzt der Bann ab. Einer machte einen Schritt in meine Richtung. Ich richtete die Pistole auf ihn. Da hörte ich Milo mit klirrender Stimme rufen: »Steht nur still, ihr beiden Traumtänzer. Oder müssen wir euch auch ein paar Kopfnüsse verpassen?«
Die beiden riss es regelrecht herum. Ihre Schultern strafften sich, sprungbereit standen sie da.
»Ich bin Special Agent Tucker«, erklang wieder Milos Stimme. »Und jetzt lasst endlich eure Keulen fallen. Ihr habt doch nichts an den Ohren.«
In dem Moment schien der Stiernackige seine Betäubung überwunden zu haben. Er kam hoch, ein Grunzen entrang sich seiner Kehle, er sprang mich an. Er schien sich nicht damit abfinden zu können, diesen Ring als Verlierer zu verlassen. Ich unterlief seinen Schlag und drehte mich in ihn hinein, griff über meine Schulter und erwischte ihn am Revers seiner Lederjacke. Ein Ruck, und er flog über mich hinweg und landete der Länge nach auf dem Fußboden. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen. Er japste wie ein Erstickender, sein Gesicht lief rot an, die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Den Baseballschläger hatte er verloren. Er war unter einen Tisch gerollt.
Ich fackelte nicht lange, steckte die Pistole ein und fesselte mit den Handschellen, die ich in der Tasche hatte, seine Hände auf den Rücken. Dann zerrte ich ihn auf die Beine.
Jetzt ließen seine Kumpane ihre Schläger fallen und hoben die Hände. Milo fesselte die linke Hand des einen an die Rechte des anderen, dann mussten sie sich setzen. Ringsum herrschte Atemlosigkeit. Abgesehen von den Geräuschen, die wir verursachten, war es in dem Restaurant still wie in einem Mausoleum.
Milo nahm sein Handy und rief Verstärkung.
Ich hatte auch dem Stiernackigen geboten, sich zu setzen. Seine Augen waren blutunterlaufen, er atmete rasselnd. So ganz schien er noch nicht auf der Höhe zu sein. Wahrscheinlich hatte er gegen eine ziemliche Not anzukämpfen.
»Wie heißen Sie?«, fragte ich.
Er glotzte mich an.
»Ihren Namen!«, forderte ich mit Nachdruck und rüttelte ihn leicht an der Schulter.
»Fuller – Dan Fuller«, sagte er.
Ich erklärte ihm, dass er verhaftet sei, dass er das Recht habe zu schweigen und einen Anwalt seiner Wahl konsultieren könne – kurz, ich betete den Spruch herunter, der bei jeder Verhaftung vorgeschrieben war. Dabei hatte ich das Gefühl, gegen eine Wand zu sprechen. Der Kerl zuckte nicht mal mit der Wimper. Vielleicht mangelte es bei ihm auch am notwendigen Aufnahmevermögen. Daran war vielleicht der Schlag mit der Pistole gegen den Kopf schuld.
Nach einer halben Stunde etwa kamen einige Kollegen. Sie übernahmen die drei Gefangenen und transportierten sie ins Federal Building.
Am Morgen nahmen wir uns Dan Fuller zur Brust. Sein Blick hatte sich wieder geklärt. Trotzig schaute er uns abwechselnd an. Er hatte sich auf dem Stuhl zurückgelehnt und die Beine weit von sich gestreckt. Dort, wo ich ihn über dem Ohr mit der Pistole getroffen hatte, waren unter den kurzen Haaren eine Beule und ein dunkler Bluterguss zu sehen. Sicher brummte ihm noch der Schädel von dem Schlag. Aber er gab sich lässig.
»In wessen Auftrag haben Sie Walker erpresst?«, fragte ich.
»Das geht dich einen Dreck an, Bulle.«
»Nicht frech werden!«, knurrte Milo gereizt. »Wir können auch anders.«
»Von mir erfahrt ihr kein Wort.«
»Nur nicht so cool«, stieß Milo hervor. »Bewaffneter Angriff auf einen Bundesbeamten. Bist du immer noch so cool, wenn ich dir sage, was darauf steht?«
»Geh zur Hölle, Bulle.«
»Ich schätze mal fünf Jahre«, sagte Milo, und ein spöttisches Grinsen umspielte seine Lippen. »Da du aber schon einiges auf dem Kerbholz hast ...«
»Woher weißt du das?«, schnappte Fuller.
»Wir haben uns deine Strafakte angesehen. Denkst du, wir kommen unvorbereitet zur Vernehmung? Wir wissen genau, was für ein übler Zeitgenosse du bist. Willst du wirklich den Kopf allein in die Schlinge stecken?«
Fuller zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Er kämpfte mit sich. Das war deutlich. Seine Lippen sprangen auseinander, es sah aus, als wollte er etwas sagen. Dann presste er sie zusammen, dass sie nur noch einen dünnen Strich bildeten. Stoßweise atmete er durch die Nase. Seine Hände öffneten und schlossen sich. Schließlich presste er hervor: »Der Bursche, der uns beauftragte, heißt Ballard. Er zahlte jedem von uns hundert Dollar. Wir sollten den Wirt nur fragen, ob er bereit sei, zu zahlen. Wenn nicht, sollten wir den Laden kurz und klein schlagen.«
»Ballard also«, wiederholte ich. »Wie ist sein Vorname?«
»Tyler.«
»Wo wohnt er?«
»Ich habe keine Ahnung. Er nimmt mit uns, wenn er uns braucht, telefonisch Verbindung auf.«
»Und wie kommt ihr zu eurem Geld?«, fragte Milo.
»Wir vereinbaren einen Treffpunkt.«
»Wie sieht Ballard aus?«
Fuller lieferte uns eine Beschreibung, die auf hunderttausende Amerikaner gepasst hätte. Damit war kaum etwas anzufangen.
»Sie und Ihre Kumpane werden also nur von Fall zu Fall angeheuert«, sagte ich, und es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Ja.«
»In welchen Läden wart ihr schon tätig?«, wollte Milo wissen.
Fuller nannte uns die Namen einiger Etablissements. Mir war nicht bekannt, dass auch nur in einem einzigen Fall Strafanzeige erstattet worden wäre. Wahrscheinlich hatten die Betroffenen gekuscht und gezahlt.
Nachdem wir wieder in unserem Büro waren, bemühte ich NCIC 2000, das Fahndungsarchiv des FBI, das an die vierzig Millionen Akten und Bilddateien enthält. Und wir hatten Glück. Es gab zwar eine ganze Reihe von Ballards, aber nur einen mit dem Vornamen Tyler. Er war vorbestraft wegen Drogenhandels, Förderung der illegalen Prostitution und Nötigung. Die letzte bekannte Anschrift war East 93rd Street, Nummer 184.
»Stellen wir fest, ob der Knabe dort noch wohnt«, sagte Milo und griff zum Telefonhörer. »Wenn ja, dann nehmen wir ihn uns innerhalb der nächsten zwei Stunden zur Brust.«
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3

Tyler Ballard wohnte noch in der 93rd Street. Wir fuhren nach Norden. Ich fand in der Nähe des Gebäudes mit der Nummer 184 einen Parkplatz. Wenig später betraten wir das Gebäude. Es gab weder einen Portier noch einen elektronischen Wegweiser. Eine Holzstiege schwang sich nach oben. Auf jedem Treppenabsatz gab es ein Fenster. Das Haus hatte vier Stockwerke. Es handelte sich um einen renovierten Altbau. Es roch nach Braten.
Wir stiegen die Treppe empor. Manchmal knarrte eine Stufe unter unserem Gewicht. Ballard wohnte in der dritten Etage. Es gab auf jedem Stockwerk vier Apartments. Das Namensschild zeigte uns an, hinter welcher der Türen Ballard wohnte. Milo legte den Daumen auf den Klingelknopf. Die Glocke war durch die Tür zu hören. Es dauerte nicht lange, dann wurde die Tür einen Spaltbreit aufgezogen und eine dunkle Stimme fragte: »Was kann ich für Sie tun?«
»Sind Sie Tyler Ballard?«, fragte ich.
»Ja.«
»Ich bin Special Agent Trevellian, FBI New York. Wir möchten mit Ihnen sprechen, Mister Ballard.«
Rumms! Die Tür war zu. Drinnen waren hastige Schritte zu vernehmen.
»Die Feuerleiter!«, knirschte ich, und Milo rannte schon los. Seine Schritte polterten die Treppe hinunter. Ich warf mich gegen die Tür. Krachend flog sie auf, und ich sprang in den Schutz der Wand. Im letzten Augenblick. In der Wohnung krachte ein Schuss und die Kugel pfiff durch die Tür, meißelte aus der der Tür gegenüberliegenden Wand ein handtellergroßes Loch und heulte als Querschläger durch das Treppenhaus.
»Geben Sie auf, Ballard!«, gebot ich. »Legen Sie die Waffe weg und kommen Sie mit erhobenen Händen aus der Wohnung.«
»Was wollt ihr von mir?«
»Es geht um Schutzgelderpressung. Dan Fuller hat uns Ihren Namen genannt.«
»Wenn du mich willst, musst du mich schon holen, Bulle. Und bilde dir nur nicht ein, dass ich es dir besonders einfach machen werde. Ich habe mir geschworen, nie mehr ins Gefängnis zu gehen.«
»Nehmen Sie Vernunft an, Ballard. Zwingen Sie mich nicht, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Die ganze Sache ist es nicht wert, dass Blut fließt. Geben Sie auf, Ballard.«
Er jagte eine Kugel durch die Tür. Und wieder hämmerte das Geschoss ein Loch in die Wand. Putz und Mauerwerk spritzten. Ohrenbetäubendes Heulen folgte der Detonation.
Ich wirbelte um den Türstock und ging auf das linke Knie nieder, schwenkte die Hand mit der Pistole im Halbkreis und sah meinen Gegner neben einem Sessel kauern. Wahrscheinlich hatte ich ihn mit meiner Aktion für einen Moment überrumpelt, denn er starrte mich nur ungläubig an.
»Waffe runter!«, peitschte meine Stimme. Meine Pistole deutete auf ihn. Er ließ die Hand mit der Waffe sinken. Die Mündung starrte mich bedrohlich an. So belauerten wir uns gegenseitig. Es war ein stummes Duell. Ich war angespannt bis in die letzte Faser meines Körpers. Die Atmosphäre schien vor Spannung zu knistern und war kaum noch zu ertragen. Würde der Gangster die Nerven verlieren und schießen?
In seinen Augen blitzte es auf. Seine Mundwinkel sanken nach unten. Ich warf mich zur Seite und feuerte im Fallen. Ballards Kugel verfehlte mich. Die Detonationen beider Schüsse verschmolzen ineinander und drohten den Raum aus allen Fugen zu sprengen. Ballard kippte nach hinten um. Ein ersterbendes Röcheln war zu hören. Mir stieg der Geruch von verbranntem Pulver in die Nase. Sekundenlang lag ich auf der Seite und hielt die Pistole auf Ballard gerichtet. Aber der Bursche rührte sich nicht mehr. Ich erhob mich und ging zu ihm hin. Seine Hand umschloss noch den Griff der Pistole. Ich entwand ihm die Waffe. Meine Kugel hatte ihn in die Brust getroffen. In seinen Mundwinkeln zuckte es. Sein Gesicht war krankhaft bleich.
Ich spürte einen bitteren Geschmack in der Mundhöhle. Meine Kehle war wie trocken. Ich hasste es, auf Menschen schießen zu müssen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass ich in Notwehr handelte. Ballard hatte mir keine andere Wahl gelassen. Dennoch war ich betroffen. Das waren die Augenblicke, in denen ich meinen Beruf hasste.
Ich versenkte die Pistole im Holster und zog mein Handy aus der Tasche, um den Emergency Service zu informieren.
In diesem Moment bäumte sich Ballard auf. Er fiel zurück. Einige Silben brachen über seine bebenden Lippen. Ich ließ die Hand mit dem Mobiltelefon sinken und kniete bei Ballard ab. Er keuchte. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Seine Augen waren glasig. »Was haben Sie gesagt?«
»Han – na – gan«, murmelte Ballard mit erschreckend schwacher Stimme.
Ich war wie elektrisiert. Erinnerungen stürmten auf mich ein. Aus den Nebeln der Vergangenheit stieg die Sache von vor sechs Jahren. Der Name Holbrock geisterte durch meinen Verstand. Bilder erstanden vor meinem geistigen Auge. Das habe ich Hannagan zu verdanken, hatte Holbrock damals behauptet. Dave Hannagan. Wir sind so etwas wie Partner, aber er will mich aus dem Geschäft drängen. Die Worte hallten trotz der langen Zeit, die vergangen war, in mir nach.
Meinte Ballard denselben Hannagan?
»Von wem sprechen Sie?«, fragte ich eindringlich. »Von Dave Hannagan?«
Die Lider Ballards zuckten. Seine Lippen formten tonlose Worte. Ich wählte die Nummer des Notrufs und ging auf Verbindung. Sofort hatte ich jemanden an der Strippe. Ich bat, eine Ambulanz in die 93rd Street zu schicken und erklärte dem Mann, dass es um Leben oder Tod ging. Dann rief ich Milo an, klärte ihn mit knappen Worten auf und gab ihm zu verstehen, dass er in die Wohnung kommen könne. Schließlich widmete ich mich wieder dem Verwundeten. Seine Brust hob und senkte sich unter keuchenden Atemzügen.
»Von welchem Hannagan sprachen Sie?«, hakte ich noch einmal nach und verlieh meiner Stimme einen beschwörenden Klang. »Reden Sie, Ballard. Sprachen Sie von Dave Hannagan?«
Ich bekam keine Antwort.
Wenig später erschien Milo.
»Er hat den Namen Hannagan genannt«, sagte ich.
»Hannagans gibt es in New York wahrscheinlich einige hundert«, erwiderte Milo.
»Ich denke an einen bestimmten Hannagan«, versetzte ich. »Erinnerst du dich an Adam Holbrock? Es ist sechs Jahre her.«
Milo schaute mich versonnen an. Dann sagte er: »Sicher. Dave Hannagan. Holbrock bezichtigte ihn damals der Komplizenschaft, doch Hannagan war nichts zu beweisen. Ja, ich erinnere mich an diesen aalglatten Typen. Ob Ballard ihn meinte, als er den Namen Hannagan nannte?«
»Hoffen wir, dass Ballard durchkommt und uns weitere Auskünfte erteilen kann.«
Eine Viertelstunde später kam die Ambulanz. Ballard wurde erstversorgt und schließlich abtransportiert. Milo informierte die SRD, damit die Kollegen die Wohnung auf den Kopf stellten und gegebenenfalls Beweismittel gegen Ballard sicherten.
Milo und ich fuhren ins Federal Building. Ich holte mir die Akte Holbrock auf den Bildschirm. »Hannagan wohnte damals in der Upper East Side«, sagte ich nach kurzem Studium des Akteninhalts. »Vierundsiebzigste Straße.«
Milo schaute zweifelnd. »Wir haben nicht den geringsten Hinweis, dass Ballard von Dave Hannagan sprach. Außerdem wissen wir nicht, in welchem Zusammenhang er den Namen nannte.«
Ich klickte das elektronische Telefonbuch New Yorks an. Es gab mehr Hannagans, die mit Vornamen Dave hießen, als mir lieb sein konnte. »Fahren wir einfach mal in die vierundsiebzigste Straße«, schlug ich vor.
»Wir machen uns lächerlich«, knurrte Milo wenig begeistert.
Ich setzte meinen Willen durch. Hannagan wohnte nicht mehr in der 74th Street. Der Nachmieter seiner Wohnung konnte uns auch nicht sagen, wohin er verzogen war. Also legte ich meine Nachforschungen zunächst mal auf Eis.
Die Ärzte brachten Tyler Ballard durch. Und nach einer Woche war er vernehmungsfähig. Ich konfrontierte ihn mit dem Namen Hannagan.
»Sie müssen sich verhört haben«, sagte Ballard. »In meinem Bekanntenkreis gibt es niemanden mit diesem Namen.«
Und dabei blieb er. Auch, als er einige Monate später vor Gericht stand und ihm der Prozess gemacht wurde, bestritt er, jemand mit dem Namen Hannagan zu kennen. Er wurde wegen Schutzgelderpressung verurteilt und verschwand für die nächsten Jahre hinter den Mauern von Rikers Island.
Wir konnten den Fall ad acta legen.
Den Namen Dave Hannagan behielt ich noch einige Zeit im Gedächtnis, dann aber versank er im Unterbewusstsein.
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4

Dave Hannagan besaß in der Greenwich Street eine luxuriöse Penthouse Wohnung. Bei ihm lebte Susan Olbright, ein neunundzwanzigjähriges, wenig erfolgreiches Model; blondhaarig, langbeinig, willig und ausgesprochen geldgierig.
Hannagan sichtete seine Post. Ein Brief, der keine Absenderangabe trug, erregte seine Aufmerksamkeit. Es handelte sich um ein weißes Kuvert, das in New York abgestempelt worden war. Hannagan riss es auf und nahm ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus. Er faltete es auseinander.
Da standen nur drei Worte: Du wirst sterben.
Die Mitteilung war mit dem Computer geschrieben; große, schwarze Buchstaben, die für einen Moment vor Dave Hannagans Augen verschwammen, so sehr erschrak er. Das Herz schlug ihm hinauf bis zum Hals, seine Atmung beschleunigte sich.
Aus dem Badezimmer kam Susan Olbright. Sie war mit einem weißen Bademantel bekleidet. Ihre langen Haare waren nass. Sie lächelte, und zwischen ihren roten Lippen schimmerten strahlend weiße Zähne. Hannagan hielt die Nachricht in der Hand, die ihn so sehr erschreckt hatte. Er wirkte verstört, und Susan Olbright entging es nicht. Ihr Lächeln verflüchtigte sich.
»Was ist los? Schlechte Nachricht? Du siehst aus, als wäre dir der Leibhaftige begegnet.«
Hannagan reichte ihr wortlos das Blatt Papier. Sie warf einen Blick darauf und hielt den Atem an, schluckte würgend, stieß die verbrauchte Atemluft aus und sagte mit belegter Stimme: »Von wem kann das kommen?«
»Ich weiß es nicht.« Hannagan, der im Wohnzimmer auf einem Sessel saß, erhob sich abrupt und nahm eine unruhige Wanderung auf. »Ein Konkurrent wahrscheinlich«, murmelte er wie im Selbstgespräch und mahlte mit den Zähnen.
Susan Olbright legte das Blatt Papier auf den Tisch. »Oder ein Witzbold, der dich erschrecken will.«
»Nein! Diese Mitteilung ist ernst gemeint. Verdammt ernst. Ich muss telefonieren.« Hannagan schnappte sich den Telefonhörer, tippte eine Nummer, hörte das Freizeichen, und schließlich meldete sich eine männliche Stimme: »Lavender.«
»Hallo, Steve, ich bin es – Dave.«
»Hallo, Onkel. Was gibt es?«
»Jemand droht mir mit dem Tod.«
»Sag das noch mal.«
»Ich habe eine Nachricht erhalten. Sie beinhaltet nur die drei Worte: Du wirst sterben. Der Brief wurde in New York abgestempelt. Ich denke, dass Matt Coburn dahintersteckt. Der verdammte Aasgeier drängt ins Geschäft und versucht, uns fertig zu machen.«
»Hast du schon mit Robert darüber gesprochen?«
»Nein.«
»Was wirst du tun? Auf die leichte Schulter darfst du die Drohung nicht nehmen.«
»Auf keinen Fall. Ich nehme sie sogar verdammt ernst.«
»Warum versuchst du nicht, Coburn zuvorzukommen?«, fragte Steve Lavender.
»Du weißt wohl nicht, was das nach sich ziehen würde«, stieß Hannagan hervor. »Krieg, blutigen Krieg.«
»Coburn hat im Hinblick darauf scheinbar weniger Skrupel als du«, versetzte Steve Lavender. Er war Hannagans Kronprinz und sollte einmal dessen Erbe als Kopf einer Organisation antreten, die sich dem Drogenhandel und der illegalen Prostitution verschrieben hatte, wenn Hannagan sich irgendwann zur Ruhe setzen würde.
Dave Hannagan hatte in den vergangenen drei Jahren eine steile Karriere als Bandenboss hingelegt. Er hatte sich in Manhattan einen Platz erobert und es geschafft, ihn zu behaupten. Das Geschäft mit dem Verbrechen hatte ihn innerhalb kürzester Zeit steinreich gemacht. Er selbst brauchte das Geld nur noch auszugeben. Für die Schmutzarbeit hatte er seine Leute.
»Ich vermute nur, dass Coburn dahintersteckt«, brummte Hannagan. »Aber ich bin jetzt gewarnt und werde mich mit einigen Bodyguards umgeben. Und ich werde herausfinden, ob es Coburn auf mich abgesehen hat. Du weißt jetzt Bescheid. Jemand versucht, uns gegen den Karren zu fahren. Vorsicht ist angesagt.«
Hannagan verabschiedete sich von seinem Neffen, unterbrach die Verbindung und wählte eine andere Nummer. Robert Anderson, Hannagans Stellvertreter, meldete sich. Hannagan berichtete ihm von der Drohung.
»Holbrock!«, stieß Anderson hervor, nachdem Hannagan geendet hatte.
»Was?«
»Adam Holbrock. Er müsste vor einigen Wochen aus dem Gefängnis entlassen worden sein. Er hat dir damals Rache geschworen. Die zehn Jahre sind um.«
»O verdammt!« Hannagan fiel es wie Schuppen von den Augen. »An Holbrock habe ich überhaupt nicht mehr gedacht. Du denkst, dass die Drohung von ihm kommt?«
»Von wem sonst? Coburn riskiert keinen Krieg mit uns. Er weiß genau, dass er den Kürzeren ziehen würde.«
»Finde heraus, wann Holbrock aus dem Gefängnis entlassen wurde«, gebot Hannagan. »Und finde auch heraus, wo er sich aufhält. Ich werde nicht warten, bis er zuschlägt. Wenn du weißt, wo er untergeschlüpft ist, schickst du ihm Wayne auf den Hals. Wenn Wayne mit ihm fertig ist, muss Holbrock tot sein.«
»Geht in Ordnung, Dave. Ich schicke dir Butch und Milt, damit sie auf dich aufpassen. Holbrock ist so gut wie tot. Sobald die Sache erledigt ist, rufe ich dich an. Solange solltest du es vermeiden, deine Wohnung zu verlassen. Vor einer Kugel aus dem Hinterhalt können dich auch Butch und Milt nicht beschützen.«
Dann war die Leitung tot. Dave Hannagan legte das Telefon auf den Tisch. Susan Olbright beobachtete ihn. »Wer ist Holbrock?«, erkundigte sie sich.
Hannagan ließ sich in den Sessel fallen. Er griff nach der Packung Zigaretten, die auf dem Tisch lag, schüttelte einen der Glimmstängel heraus und zündete ihn an. Tief inhalierte er den ersten Zug, stieß den Rauch durch die Nase aus und erwiderte: »Holbrock und ich stiegen vor über zehn Jahren zusammen ins Drogengeschäft ein. Wir verdienten nicht schlecht, aber für uns beide reichte es nicht. Nachdem wir Fuß gefasst hatten, fädelte ich einen Deal ein, den Holbrock abwickeln sollte. Die Polizei bekam Wind davon und schnappte Holbrock. Er war davon überzeugt, dass ich ihn ans Messer geliefert habe und schwor mir Rache. Holbrock wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Diese zehn Jahre sind um. – Robert hat Recht. Wahrscheinlich kommt die Drohung von Holbrock. Nun, ich habe die Jagd auf ihn eröffnet. Er hat keine Chance.«
»Hast du Holbrock damals ans Messer geliefert?«, fragte die Frau.
»Ich wollte ihn loswerden. Einen Mord wollte ich mir nicht leisten.« Hannagan zuckte mit den Schultern. »Ich selbst war nicht gefährdet. Holbrock versuchte zwar, mich in die Sache hineinzuziehen. Aber es gab keinen Beweis gegen mich. Und so wurden die Ermittlungen eingestellt.«
Susan Olbright verzog angewidert das Gesicht. »Du bist noch skrupelloser, als ich dachte.«
»In unserem Geschäft gibt es kein Entgegenkommen. Man muss sich behaupten. Nur der Starke überlebt. Die Schwachen bleiben auf der Strecke. So ist das nun einmal. Jeder ist sich selbst der Nächste. Und du brauchst dich überhaupt nicht zu beklagen, Susan. Bei mir hast du ausgesorgt. Und sollte mir etwas zustoßen, erhältst du aus meinem Vermögen eine Million. Damit kannst du dich über Wasser halten, bis du Ersatz für mich gefunden hast.«
»Hast du das testamentarisch verfügt?«
»Ja.«
»Und wer erbt den Rest?«
»Steve. Er ist der Sohn meiner verstorbenen Schwester. Gott hab sie selig. Der Junge ist mir ans Herz gewachsen. Und er ist mein einziger Verwandter, zu dem ich Kontakt habe. Er wird nicht nur den Löwenanteil meines Vermögens erben, sondern auch meine Stelle in der Organisation einnehmen. Robert akzeptiert das. Er wird die Rolle der Grauen Eminenz übernehmen. Es ist alles geregelt.«
Susan Olbright musterte Hannagan mit einem unergründlichen Blick. »Ich würde im Falle des Falles also mit einer Million auf der Straße stehen«, konstatierte sie.
»Die Wohnung vermache ich dir obendrein«, versetzte Hannagan, und seine Stimme wies einen grimmigen Unterton auf. »Was sie wert ist, brauche ich dir ja nicht zu sagen. – Wir warten auf Butch und Milt. Packe ein paar Klamotten zusammen. Wenn die beiden hier sind, fahren wir zu meinem Wochenendhaus an der Jamaica Bay. Dort bleiben wir, bis ich die Meldung erhalte, dass Holbrock bei seinen Ahnen weilt.«
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5

Das Oldsmobile stand in der Tiefgarage des Gebäudes, in dem Dave Hannagan wohnte. Er, Susan Olbright und die beiden Bodyguards fuhren mit dem Lift nach unten. Milt Stanford und Butch Benson trugen jeweils einen großen Koffer. Zuerst verließ Stanford den Aufzug. Den Koffer hatte er zurückgelassen. Seine rechte Hand war unter der Jacke verschwunden. Er sicherte um sich, konnte aber nichts entdecken, was auf Gefahr hingedeutet hätte.
»Die Luft ist rein«, sagte er, holte den Koffer und trug ihn zum Oldsmobile. Hannagan und Susan Olbright folgten ihm. Das Gesicht Hannagans verriet Anspannung. Der Gangsterboss fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Die Angst vor einem Anschlag auf sein Leben hatte sich mit dumpfem Druck auf seinen Magen gelegt und ließ ihn nicht mehr los. Sein unruhiger Blick irrte in die Runde. Auch die Anwesenheit der beiden Bodyguards konnte die Angst nicht von ihm nehmen.
Butch Benson bildete den Schluss. Den Schlüssel zum Oldsmobile hatte Stanford. Er öffnete die Zentralverriegelung, Hannagan und Susan Olbright setzten sich in den Fond des Wagens. Die beiden Leibgardisten verstauten die Koffer im Kofferraum, dann setzte sich Benson hinter das Steuer, Stanford nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
Die Ausfahrt aus der Tiefgarage mündete in die Greenwich Street. Butch Benson steuerte das Fahrzeug nach Osten. Der Tag war grau und regnerisch. Tief hingen die Wolken über dem Big Apple. Der Straßenbelag war feucht. Ein kalter Wind pfiff durch die Straßenschluchten. Auf den Gehsteigen bewegten sich Passanten. Sie fuhren die Greenwich Street hinunter bis zur Harrison Street und bogen dort nach Osten ab.
Eine ganze Weile später – auf Manhattans Straßen war wieder einmal der Teufel los – überquerten sie den East River. Sie benutzten die Brooklyn Bridge. In Brooklyn wandten sie sich südostwärts. Hier war der Verkehr bei Weitem nicht so dicht wie in Manhattan. Sie kamen zügig voran. Immer wieder schaute Butch Benson in den Rückspiegel, um festzustellen, ob sie verfolgt wurden.
Dave Hannagan war ausgesprochen schweigsam. Susan Olbright schoss ihm hin und wieder von der Seite einen Blick zu. Plötzlich sagte sie: »Du bist in dem Wochenendhaus in Sicherheit, Dave.«
Es sollte beruhigend klingen. Hannagan drehte das Gesicht zu ihr herum. Sie liebte ihn wirklich, und auch sie machte sich Sorgen. Sie war ein wenig enttäuscht von ihm, weil er sie in seinem Testament nur mit einer Million bedachte. Er war fast fünfzig, und sie hatte ihm fünf Jahre ihres jungen Lebens geopfert. Dafür hatte sie eigentlich mehr Dankbarkeit erwartet.
Das sagte sie ihm natürlich nicht. Denn Hannagan war ein ziemlich unduldsamer Zeitgenosse. Wenn jemand seinen Unwillen erregte, ließ er ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Das wollte Susan nicht herausfordern. Denn wenn er sie zum Teufel jagte, dann mit leeren Händen.
»Die Drohung geht mir an die Nieren«, gab er unumwunden zu. »Wir nehmen an, dass sie von Holbrock kommt. Was aber ist, wenn dem nicht so ist? Ich kann mich nicht ewig in dem Wochenendhaus oder in meiner Wohnung verkriechen. Mein Gegner – wer immer es auch ist – hat Zeit. Er kann einen günstigen Augenblick abwarten. Und er wird zuschlagen, wenn ich am wenigsten damit rechne.«
»Du verunsicherst dich selbst mit solchen Gedanken«, erwiderte die Frau. »Alles spricht dafür, dass die Nachricht von Holbrock gekommen ist. Auf ihn hast du Robert angesetzt. Und auf Robert kannst du dich verlassen.«
»Ich weiß. Trotzdem quält mich die Unruhe. Wie ich schon sagte: Die Drohung muss nicht von Holbrock kommen. Vielleicht hat er sogar bei Coburn Anschluss gesucht und diesen gegen mich aufgehetzt. Wer weiß es denn? Coburn wird nichts unversucht lassen, um mich aus dem Geschäft zu drängen.«
Susan lehnte sich gegen Hannagan. »Sobald wir in dem Wochenendhaus angekommen sind, werde ich dich auf andere Gedanken bringen, Dave«, versprach sie. »Ich liebe dich.«
In seinen Augen flackerte jähes Misstrauen. »Ist es nicht nur mein Geld, das du liebst?«, grollte er.
Ihre Miene verschloss sich. »Wie kannst du so etwas denken?«, schmollte sie. »Ich würde auch bei dir bleiben, wenn du arm wärst wie eine Kirchenmaus.« Sie sagte es, ohne mit der Wimper zu zucken. Fest schaute sie ihn an.
Hannagan winkte ab. »Ich habe im Moment andere Sorgen.«
Das Gespräch schlief wieder ein. Susan Olbright setzte sich wieder aufrecht. Sie machte ein beleidigtes Gesicht. Trotz aller Liebe, die sie für Dave Hannagan empfand: Manchmal hasste sie ihn regelrecht. Er verletzte sie immer wieder und zeigte ihr, dass er nicht auf sie angewiesen war. Des Öfteren hatte sie ihn Verdacht, dass er sich nur mit ihr schmückte und sie ihm lediglich zur Befriedigung seines Sexualtriebs diente. Dann aber sagte sie sich, dass er, was Frauen anbetraf, sozusagen die freie Auswahl hatte, und dass er sie wohl längst davongejagt hätte, wenn er nicht mehr für sie empfunden hätte. Sie war in sich zerrissen. Das ging soweit, dass sie Depressionen empfand. Einmal himmelhoch jauchzend, dann wieder völlig am Boden zerstört. Ihre Stimmungen wechselten und waren unbeständig wie das Wetter im April.
Sie fuhren auf der Flatbush Avenue. Hier herrschte reger Verkehr. Hannagans Handy klingelte. Er zog es aus der Jackentasche und drückte den grünen Knopf, dann fragte er: »Was willst du?«
»Ich wollte nur nachfragen, ob alles in Ordnung ist.«
»Ja. Aber ich mache mir Gedanken. Was ist, wenn sich Holbrock auf Coburns Seite geschlagen hat? Wenn ihn Coburn in Schutz nimmt, haben wir ein Problem.«
»Das wir meistern werden. Du bist auf jeden Fall fürs Erste in Sicherheit. Ich rate dir davon ab, mit irgendjemandem Kontakt aufzunehmen, außer mit mir. Ich werde die Angelegenheit in deinem Sinne regeln.«
»Wer war das?«, fragte Susan, nachdem Hannagan das Gespräch beendet hatte.
»Robert.« Hannagan seufzte. »Im Moment bin ich soweit, dass ich mich frage, ob ich überhaupt noch jemand vertrauen kann.«
»Du denkst ...«
»Nicht wirklich. Ich glaube, meine Psyche ist ziemlich angeschlagen. Verfolgungswahn. Das ist es. Ich muss mich zur Ruhe zwingen, sonst mache ich mich selber fertig. Ja, Darling, du kannst mir dabei helfen. – Verdammt, warum geht es so langsam voran, Butch?«
»Ich muss mich dem Verkehr anpassen, Boss«, antwortete Benson. »Wobei ich finde, dass wir ganz gut vorankommen.«
»Schon gut.«
Beim Prospect Park bogen sie ab auf die Empire Avenue, befuhren diese ein ganzes Stück und gelangten schließlich auf die Remsen Avenue, die beim Canarsie Beach Park in der Jamaica Bay endete.
Hannagans Wochenendhaus war ein luxuriöser Bungalow, der von einem großen Grundstück umgeben war, in dem dicht an dicht Bäume und Sträucher wuchsen. Milt Stanford stieg aus und schloss das schmiedeeiserne Tor auf, öffnete es und wartete, bis sich der Wagen auf dem Grundstück befand, dann schloss er das Tor wieder und sperrte es ab, setzte sich wieder auf den Beifahrersitz und nickte Stanford zu. Die Zufahrt zum Haus war geteert. Daneben verlief ein Fußweg, der mit Betonplatten ausgelegt war. Vor der Doppelgarage bremste Benson den Wagen ab. Milt Stanford zog seine Pistole und stieg aus. Sein hellwacher Blick schweifte in die Runde. Dann schritt er zur Haustür und schloss sie auf, drehte sich um und winkte.
Butch Benson stellte den Motor ab und verließ das Fahrzeug. Er schob seine Hand unter die Jacke. Sie schloss sich um den Griff der Beretta, die im Schulterholster steckte. Dave Hannagan und Susan Olbright stiegen aus.
»Schnell!«, rief Milt Stanford, der die Haustür geöffnet hatte.
Ein heller, trockener Knall ertönte. Dave Hannagans Kopf wurde in den Nacken gerissen, wie vom Blitz getroffen brach er zusammen. Ein entsetzter Aufschrei entrang sich Susan. Benson benötigte nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu begreifen und zu reagieren. Er riss die Pistole heraus und ging bei dem Oldsmobile in Deckung. »Runter, Susan!«, peitschte seine Stimme. Aber die Frau war wie zu einer Salzsäule erstarrt.
Milt Stanford rannte geduckt an der Front des Hauses entlang und erreichte die Ecke, äugte um sie herum, drehte den Kopf und rief: »Der Schütze befindet sich tiefer im Garten. Die Pest an seinen Hals. Er hat hier auf uns gewartet. Was ist mit dem Boss?«
»Er hat ein Loch in der Stirn«, antwortete Butch Benson mit heiserer Stimme. »Und ihm fehlt der halbe Hinterkopf.«
»Versuchen wir, dem verdammten Killer den Arsch aufzureißen!«, stieß Stanford hervor. »Komm her, Butch. Du musst mir Feuerschutz geben.«
Butch Benson verließ die Deckung des Autos und huschte zum Haus, schmiegte seinen Körper hart an die Wand und knurrte: »Wahrscheinlich ist der Kerl schon im Rückzug begriffen. Er hat seinen Abgang sicher gut vorbereitet.«
»Das werden wir gleich sehen.« Milt Stanford glitt um die Hausecke. Jeder seiner Sinne war aktiviert, die Anspannung, die seine Nerven zum Schwingen brachte, sprach aus jedem Zug seines Gesichts. Er stieß sich ab und hetzte in die Deckung eines Strauchs, kauerte nieder und starrte durch das Zweiggespinst, das er mit der linken Hand etwas auseinanderbog.
Da peitschte es erneut. Die Kugel pfiff durch das Gebüsch und riss Stanford um. Ein gurgelnder Aufschrei stieg ihm in die Kehle und erstickte. Er spürte keinen Schmerz, nur eine grenzenlose Schwäche. Dunkle Schleier woben vor seinen Augen. Er hatte das Gefühl, von einer weichen Wolke erfasst und weggetragen zu werden. Die Welt um ihn herum versank in einer undurchdringlichen Finsternis. Der Tod griff mit gebieterischer Hand nach Milt Stanford.
Das Entsetzen schnürte Butch Bensons Kehle zusammen. Sein Herz raste und jagte das Blut durch seine Adern. Als er wieder einen Gedanken fassen konnte, jagte er eine Serie von Schüssen in den Garten hinein. Dann rannte er zu Susan Olbright hin, die noch immer wie gelähmt neben dem Oldsmobile stand, packte sie am Oberarm und zerrte sie hinter sich her ins Haus. Krachend flog die Tür hinter ihnen zu. Benson angelte sein Handy aus der Tasche und holte eine eingespeicherte Nummer auf das Display. Dann stellte er die Verbindung her.
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6

Ich erhielt einen Anruf. Es war der stellvertretende Direktor des Gefängnisses. Er sagte: »Einer unserer Gefangenen möchte Sie sprechen, Mister Trevellian. Er meint, es wäre sehr wichtig.«
»Um wen handelt es sich?«, wollte ich wissen.
»Sein Name ist Tyler Ballard. Er wurde vor vier Jahren verurteilt. Vielleicht erinnern Sie sich. Schutzgelderpressung.«
Ich dachte kurz nach. »Gewiss. Nannte er einen Grund?«
»Es hängt mit dem Fall von damals zusammen und betrifft einen Mann namens Dave Hannagan.«
Da war der Name wieder. Zehn Jahre lag es zurück, dass wir zum ersten Mal mit ihm konfrontiert wurden. Natürlich war mein Interesse schlagartig geweckt.
»Wir kommen«, erklärte ich, und wenige Minuten später waren wir auf dem Weg in die Tiefgarage. Eine Reihe von Fragen waren offen, Fragen, auf die wir im Moment noch keine Antwort fanden. Ich war mir sicher, an diesem Tag die Wahrheit über die Rolle Hannagans in dem Schutzgelderpressungsfall zu erfahren. Was hatte diesen plötzlichen Gesinnungswechsel bei Ballard ausgelöst?
Wir kämpften uns durch das Verkehrschaos in Manhattan, überquerten den East River und erreichten nach über einer Stunde die Gefängnisinsel. Tyler Ballard wurde vorgeführt. Er trug Anstaltskleidung. Ein Vollbart zierte sein Gesicht, und ich erkannte ihn kaum wieder.
»Sie wollten uns sprechen, Mister Ballard«, begann ich, nachdem sich der Häftling gesetzt hatte.
Ballard nickte. »Ich möchte Sie über Hannagan aufklären.«
»Jetzt, nach vier Jahren?«
»Ja. Ich habe ihn damals gedeckt und den Kopf allein in die Schlinge gesteckt. Aber jetzt, nachdem Hannagan tot ist, gibt es für mich keinen Grund mehr, ihn zu schützen.«
Es durchfuhr mich wie ein Stromstoß, und ich prallte regelrecht zurück. »Hannagan ist tot?«, entfuhr es mir verdutzt.
»Wissen Sie das denn nicht? Er wurde erschossen. Es stand in der Zeitung und wurde auch in den Lokalnachrichten von New York One ausgestrahlt.«
Ein Blick in Milos Gesicht zeigte mir, dass er ebenso betroffen war wie ich. Nun, in New York geschahen täglich derart viele Verbrechen, über die die Medien berichteten, dass es unmöglich war, sie in ihrer Gesamtheit zu erfassen und zu registrieren.
»Sie wissen es also nicht«, stellte Ballard fest. »Aber es ist so. Jemand hat Hannagan das Licht ausgeblasen. Es war damals seine Idee, von den Geschäftsleuten Schutzgeld zu erpressen. Er war besessen von der Idee, in New Yorks Unterwelt eine führende Rolle einzunehmen. Von einigen Leuten, die nach mir nach Rikers Island kamen, habe ich erfahren, dass Hannagans Bestreben zum Erfolg geführt hat. Er hat es zum Kopf einer Gang gebracht, die sich im Drogengeschäft und im Geschäft mit der illegalen Prostitution ziemlich erfolgreich behauptete.«
Ich hatte keine Ahnung.
»Jetzt wissen Sie Bescheid«, sagte Ballard. »Ich arbeitete vier Monate mit Hannagan zusammen. Wir kannten uns von früher. Ich weiß auch über die Sache mit Adam Holbrock Bescheid. Hannagan hat es zwar nie zugegeben, aber ich bin davon überzeugt, dass Holbrock damals die Wahrheit sagte.«
»Holbrock hat gedroht, sich an Hannagan zu rächen«, sagte Milo.
»So ist es. Und vor wenigen Wochen wurde Holbrock aus dem Gefängnis entlassen. Er hat seine Strafe bis auf den letzten Tag abgesessen. Geht Ihnen ein Licht auf?«
»Ein ganzer Kronleuchter«, knurrte Milo. »Wer war noch dabei damals?«
»Robert Anderson. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Er fraß Hannagan aus der Hand. Wahrscheinlich gehört er nach wie vor zu Hannagans Gang. Wie gesagt: Er war Hannagan geradezu hörig.«
Nachdem wir wieder im Field Office waren, nahm ich Verbindung mit der Mordkommission auf. Ich sprach mit Ed Schulz, dem stellvertretenden Leiter des Homicide Squad Manhattan. »Ja«, sagte Ed, »es gibt einen Mordfall Hannagan. Er wurde vor vier Tagen im Garten seines Wochenendhauses an der Jamaica Bay erschossen. Einer seiner – hm, Leibwächter fand ebenfalls den Tod.«
»Was habt ihr herausgefunden?«, fragte ich.
»Wir haben Hannagans zweiten Leibwächter vernommen. Es fielen Namen. Adam Holbrock, Matt Coburn. Hannagan erhielt eine Nachricht, mit der ihm sein Tod angekündigt wurde. Du wirst sterben!, stand auf dem Briefbogen. Hannagan befand sich auf der Flucht. Er wollte sich in seinem Wochenendhaus verstecken.«
»Das hat er sicher nicht an die große Glocke gehängt«, sagte ich. »Ihn kann nur jemand erschossen haben, der über seine Absicht Bescheid wusste. Habt ihr dahingehend Ermittlungen angestellt?«
»Wir haben versucht, mit Hannagans Lebensgefährtin zu sprechen. Ihr Name ist Susan Olbright. Sie liegt mit einem Schock im Bellevue Hospital und war nicht vernehmungsfähig. – Hannagan war kein unbeschriebenes Blatt. Er war im Drogenhandel und im Geschäft mit der illegalen Prostitution aktiv. Die Jungs vom Narcotic Squad und von der DEA waren an ihm dran. Es gibt einige Erkenntnisse. Doch es reichte nicht, um Hannagan festzunageln.«
»Viel spricht dafür, dass Holbrock seine Drohung von damals wahr gemacht und Hannagan ermordet hat«, erklärte ich. »Was hat es mit diesem Matt Coburn auf sich?«
»Coburn ist Kopf einer anderen Gang, ein Konkurrent Hannagans. Die Kollegen vom Organized Crime Control Bureau wissen es zwar, doch kamen sie bisher nicht an Coburn heran. Der Mord an Hannagan kann auf einen Bandenkrieg zurückzuführen sein. In erster Linie ist jedoch Holbrock verdächtig, den Mord begangen zu haben. Er ist nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis untergetaucht. Wir haben die Fahndung nach ihm eingeleitet. Bis jetzt ohne Erfolg.«
Ich streute meine Zweifel aus. »Woher sollte Holbrock wissen, dass Hannagan zu seinem Wochenendhaus flieht?«
»Frag mich was Leichteres, Jesse«, grollte Ed. »Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen.«
»Da nicht auszuschließen ist, dass es sich um organisiertes Verbrechen handelt, könnten wir den Fall übernehmen«, gab ich zu verstehen.
»Eine gute Idee«, schnappte Ed. »Ich überlasse ihn euch mit Freuden.«
Es war eine reine Formsache, dann hatten wir den Fall. Das Police Department überließ uns die bisherigen Ermittlungsergebnisse. Zuerst vernahmen wir Butch Benson. Er erzählte uns, dass er und Milt Stanford Hannagan und dessen Lebensgefährtin in der Greenwich Street abholten und zur Jamaica Bay brachten und schilderte das Drama, das sich auf dem Grundstück Hannagans abgespielt hatte.
»Wer wusste Bescheid, dass Hannagan sein Wochenendhaus aufsuchte?«, fragte ich.
Benson zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ob Hannagan mit jemandem darüber gesprochen hat.«
»In welchem Verhältnis standen Sie und Stanford zu Dave Hannagan?«, wollte Milo wissen.
»Wir waren Freunde.«
»Sie und Stanford arbeiteten für Hannagan«, verbesserte ich und beobachtete die Reaktion Bensons.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Die Spatzen pfeifen es von den Dächern«, versetzte Milo. »Hannagan verdiente sein Geld mit Drogenhandel und illegaler Prostitution.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Natürlich nicht. Was sagt Ihnen der Name Robert Anderson?«
»Auch das ist ein Freund von uns.«
»Und wie ist es mit dem Namen Coburn?«
Benson biss die Zähne zusammen. Seine Backenknochen traten scharf hervor. »Der Name sagt mir nichts«, schnarrte er nach kurzem Zögern. »Aber ich weiß, wer Hannagan erschossen hat«, fügte er hinzu und sprach sogleich weiter. »Es war Holbrock. Er hat Hannagan vor zehn Jahren blutige Rache geschworen. Holbrock wurde vor Kurzem aus dem Gefängnis entlassen. Und er hat sein Versprechen in die Tat umgesetzt.«
»Kann sein«, antwortete ich, dann verabschiedeten wir uns von Benson.
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7

Matt Coburn war einschlägig vorbestraft. Kreditkartenbetrug. Er hatte drei Jahre dafür abgebrummt. Aber das lag sieben Jahre zurück. Seitdem war er nicht mehr in Erscheinung getreten. Ich betrachtete das Polizeifoto und prägte mir das Gesicht gut ein. Dann fuhren wir in die 7th Street, wo Coburn laut Akte wohnen sollte.
Er wohnte nach wie vor da. Eine Frau öffnete uns. Sie war um die dreißig und ziemlich attraktiv. Fragend schaute sie uns an. Ich sagte: »Mein Name ist Trevellian. Das ist mein Kollege Tucker. Wir sind Special Agents und kommen vom FBI New York. Ist Mister Coburn zu sprechen?«
»Was wollen Sie denn von ihm?«
»Wir möchten ihm ein paar Fragen stellen.«
In der Wohnung erklang eine männliche Stimme. »Lass die Gentlemen herein, Liz. Der Bundespolizei stehe ich immer zur Verfügung.«
Die Lady vollführte eine einladende Handbewegung und trat zur Seite. Wir gingen an ihr vorbei in die Wohnung und betraten ein riesiges Wohnzimmer. Hier war alles vom Feinsten. In den Vitrinen glitzerte Bleikristall, an den Wänden hingen Gemälde in schweren Rahmen. Die Einrichtung verriet, dass der Besitzer der Wohnung nicht gerade zur notleidenden Bevölkerungsschicht New Yorks gehörte.
Ich erkannte Matt Coburn. Seine Haare waren nicht mehr so voll wie auf dem Bild in der Polizeiakte, und sein Gesicht wies ein paar Furchen mehr auf, aber es handelte sich unverkennbar um Coburn. Ich wusste, dass er neununddreißig Jahre alt war. Er sah aber älter aus. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Sein Blick war stechend. Ein dunkler Schnauzbart zierte sein Gesicht. Bekleidet war er mit einer blauen Jeans und einem schwarzen Hemd.
Coburn erwiderte meinen Gruß, dann fragte er: »Was kann ich für Sie tun, G-men?« Er verriet nicht die Spur von Unsicherheit.
»Sie sollen uns ein paar Fragen beantworten«, versetzte ich.
»Natürlich, wenn ich dazu in der Lage bin.« Mir entging nicht das ironische Funkeln in seinen Augen. »Aber setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Nein, danke.« Ich ließ mich auf einen der schweren Ledersessel nieder, und Milo folgte meinem Beispiel. Die Frau, die uns geöffnet hatte, verschwand in einem Nebenraum und schloss hinter sich die Tür. »Es geht um die Ermordung Dave Hannagans.« Ich redete nicht lange um den heißen Brei herum. »Es wird gemunkelt, dass Sie in Konkurrenz zu ihm standen.«
Coburn lachte fast amüsiert auf. »In welcher Hinsicht sollten wir Konkurrenten gewesen sein?«
»Drogenhandel, illegale Prostitution.«
Das Grinsen in Coburns Zügen erlosch. Mit den kalten Augen eines Reptils schaute er mich an. »Das sind schwerwiegende Vorwürfe. Ich werde meinen Anwalt verständigen.«
Mit dem letzten Wort erhob sich Coburn.
»Bleiben Sie sitzen«, sagte ich. »Sie brauchen keinen Anwalt. Wir wollen von Ihnen nur wissen, ob Adam Holbrock nach seiner Haftentlassung mit Ihnen Verbindung aufgenommen hat.«
»Wer ist Adam Holbrock?«
»Ein ehemaliger Drogenhändler. Er hat zehn Jahre in Rikers Island abgerissen und steht im Verdacht, der Mörder Dave Hannagans zu sein.«
»Diesen Mann kenne ich nicht.«
»Aber Sie bestreiten nicht, Hannagan gekannt zu haben«, mischte sich Milo ein.
»Hannagan und ich kennen uns von früher. Ich habe von seiner Ermordung gehört. Womit er sein Geld verdiente, weiß ich nicht. Es interessiert mich auch gar nicht.«
»Waren Sie Freunde?«
Coburn schüttelte den Kopf. »Das möchte ich nun nicht gerade behaupten. Dave war eine miese Ratte, ein Egoist, einer, der über Leichen ging, wenn es seinen Belangen dienlich war. Ich habe ihn sehr schnell durchschaut und die Finger von ihm gelassen.«
Als wir Coburn verließen, wussten wir zwar nicht mehr als vor unserem Besuch bei ihm, doch wir konnten uns ein Bild von ihm machen. Wir fuhren ins Bellevue Hospital. An der Rezeption brachten wir in Erfahrung, auf welcher Station und in welchem Zimmer Susan Olbright lag.
Die Frau war krankhaft bleich. Mit erloschenem Blick musterte sie uns. Als ich ihr erklärte, dass wir vom FBI kamen, zeigte sie nicht die geringste Reaktion. Ed Schulz hatte erklärt, dass sie wegen ihres Gesundheitszustandes noch nicht vernommen werden konnte. Dennoch fragte ich: »Sind Sie in der Verfassung, uns einige Fragen zu beantworten?«
Susan Olbright senkte die Lider, was ich als Zustimmung wertete.
»Sie waren Augenzeugin des Mordes an Dave Hannagan«, begann ich. »Wer wusste, dass er seine Stadtwohnung verlassen hatte, um sich in sein Wochenendhaus zurückzuziehen?«
Sekundenlang schwieg Susan Olbright, und ich befürchtete schon, dass sie meine Frage nicht verstanden hatte. In dem Moment, als ich sie noch einmal stellen wollte, bewegte sie die Lippen und ihre Stimme erklang: »Robert Anderson und Steve Lavender.«
Den Namen Anderson hatte uns auch Tyler Ballard genannt. Der Name Steve Lavender war neu. »Wer sind die beiden?«
»Anderson war Daves bester Freund«, antwortete die Frau mit schwacher Stimme. »Steve ist Daves Neffe. Dave hat mit ihm telefoniert, ehe wir zur Jamaica Bay aufbrachen. Er hatte große Angst. Die Morddrohung machte ihm schwer zu schaffen.«
»Hatte er eine Vermutung, von wem sie kam?«, fragte Milo.
»In erster Linie von Adam Holbrock.«
»Und in zweiter Linie?«, stieß ich hervor.
»Matt Coburn.« Susan Olbright schwieg sekundenlang. Dann sprach sie weiter: »Was Holbrock anbetrifft, hat Dave mir erzählt, dass er vor über zehn Jahren ...«
Susan Olbright brach ab. Ihr Blick irrte zur Seite, ihre Hände, die auf der Bettdecke lagen, zuckten.
»Warum sprechen Sie nicht weiter?«
»Es ist unwichtig.«
»Jedes Detail ist wichtig«, versetzte ich. »Aber ich weiß, was Sie sagen wollten. Hannagan hat Holbrock damals ans Messer geliefert, und Holbrock wurde für zehn Jahre hinter Gitter geschickt. Er hat geschworen, sich an Hannagan zu rächen.«
Susan Olbright schwieg. Sie vermied es, mich anzusehen.
»Erzählen Sie uns mehr über Matt Coburn«, forderte Milo.
»Er und Dave waren verfeindet.«
»Es waren Konkurrenten im Geschäft mit den Drogen und der illegalen Prostitution, nicht wahr?«, sagte ich. »Es ist kein Geheimnis, womit Hannagan sein Geld verdiente. Und Sie als seine Lebensgefährtin haben sicher einiges mitbekommen.«
»Sie täuschen sich. Dave war Inhaber eines Inkassounternehmens und handelte mit Immobilien. Seine Geschäfte waren jedoch für mich tabu. Ich weiß nur, dass er eine Menge Geld verdiente. Ich habe nie irgendwelche Fragen gestellt.«
»Hatten Sie nie den Verdacht, dass er sein Geld mit illegalen Machenschaften verdienen könnte?«, fragte Milo.
»Ich habe darüber nie nachgedacht.«
»Werden Sie jetzt, da Hannagan tot ist, sein Vermögen erben?«
»Sein Erbe ist Steve Lavender. Er ist der Sohn von Daves verstorbener Schwester. Er hat ihn behandelt wie seinen leibhaftigen Sohn.«
Ich nagte an meiner Unterlippe, dann verlieh ich meinen Gedanken Ausdruck, indem ich sagte: »Nach allem, was Sie uns erzählt haben, kommen für den Mord auch Robert Anderson und Steve Lavender in Frage.«
»Robert war Daves bester Freund. Er hätte für Dave sein Leben gegeben. Er hatte kein Motiv.«
»Aber Lavender. Hannagan war noch nicht einmal fünfzig Jahre alt. Um ihn zu beerben, hätte Lavender wohl noch zwanzig oder dreißig Jahre warten müssen.«
»Steve fehlte es an nichts«, murmelte die Frau und ließ ihre Lider über die Augen sinken. »Ich bin müde. Darum bitte ich Sie, zu gehen.«
»Nur eine Frage noch. Wo wohnen Robert Anderson und Steve Lavender?«
»Robert wohnt in der Wooster Street.«
»Wissen Sie die Nummer?«
»Nein.«
»Wo wohnt Lavender?«
»West siebenundzwanzigste Straße, beim Chelsea Park, Nummer hundertsechsunddreißig.«
Ich wünschte der Lady gute Besserung, legte ihr eine von meinen Visitenkarten auf den Nachttisch, dann gingen wir.
Als wir in Richtung Federal Office fuhren, sagte Milo: »Jetzt haben wir vier Kerle, die für den Mord in Frage kommen. Wobei Anderson und Lavender meine Favoriten sind. Nur sie wussten, dass Hannagan zu seinem Wochenendhaus wollte.«
»Der Mörder kann Hannagans Wohnung beobachtet haben und Hannagan zur Jamaica Bay gefolgt sein«, gab ich zu bedenken.
»Wir werden uns Anderson und Lavender zu Gemüte führen müssen. Außerdem würde mich interessieren, was Adam Holbrock zu sagen hat.«
»Der ist in der Versenkung verschwunden.«
»Vielleicht führt die Fahndung nach ihm zu einem Erfolg«, knurrte Milo.
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8

»Hat Wayne endlich herausgefunden, so sich Holbrock verkrochen hat?«, fragte Steve Lavender.
»Nein«, antwortete Robert Anderson. »Holbrock scheint sich nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Luft aufgelöst zu haben. Aber Wayne versucht es weiter.«
»Ich will nicht, dass er Holbrock umlegt, wenn er ihn aufstöbert.«
»Ich höre wohl nicht richtig«, kam es von Anderson. »Er ist Daves Mörder und hat den Tod verdient.«
»Wir werden ihn der Polizei ausliefern«, erklärte Steve Lavender. »Wir überlassen es dem Gesetz, ihn zu bestrafen. Wenn wir ihn umlegen, stehen innerhalb kürzester Zeit die Bullen vor unserer Tür. Ich will aber nicht ins Fadenkreuz der Polizei geraten. Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich leicht die Finger. Darum werden wir nichts herausfordern.«
»Wie du meinst, Steve. Du bist jetzt der Boss. Aber wahrscheinlich hast du Recht. Es wäre ein Fehler, die Aufmerksamkeit der Bullen auf sich zu ziehen. Ich werde Wayne entsprechend instruieren.«
»Es freut mich, dass du mit mir einer Meinung bist, Robert«, gab Lavender zu verstehen. »Und noch etwas, Robert. Es bleibt natürlich alles beim Alten. Du übernimmst weiterhin die Koordination. Von Dave weiß ich, dass ich mich auf dich hundertprozentig verlassen kann. Ich werde nichts anleiern, ohne vorher mit dir darüber gesprochen zu haben.«
»Das ist sicher auch im Sinne deines Onkels, Steve«, antwortete Robert Anderson, dann verabschiedete er sich, und im nächsten Moment war die Leitung tot. Lavender starrte sekundenlang auf einen unbestimmten Punkt, dann legte er den Telefonhörer weg, ging zu einem Schrank und öffnete ihn. Da standen etliche Flaschen Schnaps und Likör. Er schenkte sich einen Bourbon ein und trank einen Schluck. Die scharfe Flüssigkeit brannte seine Kehle hinunter und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er hüstelte. Dann rief er die Telefonauskunft an und ließ sich die Nummer des Bellevue Hospitals geben. Wenig später hatte er die Telefonvermittlung des Krankenhauses an der Strippe. Er ließ sich mit Susan Olbright verbinden.
Als sie sich meldete, sagte er: »Hallo, Susan. Ich bin es, Steve. Ich hoffe, du bist auf dem Weg der Besserung.«
»Ach, Steve, es ist alles so schrecklich. Ja, ich fühle mich besser. Langsam begreife ich, was vorgefallen ist. Dave ist tot. Es übersteigt meinen Verstand. Aber irgendwie beginne ich es dennoch zu akzeptieren. Bei mir waren zwei Agenten vom FBI. Ich habe ihnen erzählt, dass Dave mit dir telefonierte, ehe wir die Wohnung verließen, um zur Jamaica Bay zu fahren.«
»Verdammt! Warum? Du denkst doch nicht etwa, dass ich etwas mit Daves Tod zu tun habe. Er war zu mir wie ein Vater.«
»Ich habe Dave geliebt«, sagte Susan dumpf. »Und ich will, dass sein Mörder bestraft wird. Nur du und Robert wusstet, dass wir zur Jamaica Bay fahren.«
»Himmel, Susan, vergiss das. Nie hätte ich Dave etwas antun können. Mir fehlte es an nichts. Warum also sollte ich ihn umbringen?«
»Um sein Erbe anzutreten.«
»Ich muss dir etwas gestehen, Susan«, sagte Lavender nach kurzer Zeit des Schweigens und wechselte so abrupt das Thema.
»Was?«
»Du bedeutest mir sehr viel.«
»Heißt das, dass du, was mich betrifft, auch Daves Erbe antreten möchtest?«
»Ich bin dir doch auch nicht egal, Susan. Die Blicke, die du mir immer zugeworfen hast, waren deutlich genug. Ja, ich will dich. Ich mache kein Hehl daraus. Dave hat dir eine Million Dollar vermacht. Das ist viel Geld, aber nichts gegen das, was ich dir bieten kann. Überdies bin ich im Gegensatz zu meinem Onkel jung. Ich kann dir in jeder Hinsicht mehr bieten als er.«
»Du bist pietätlos, Steve. Dave ist noch nicht einmal richtig kalt.«
»Dave ist Vergangenheit«, versetzte Steve Lavender ungerührt. »Die Zukunft gehört den Lebenden.« Seine Stimme sank herab. »Ich kann dir eminente Probleme bereiten, Susan. Ob du die Million je in die Hände bekommst, ist fraglich. Und ich verfüge auch über eine Reihe anderer Möglichkeiten, dich kleinzukriegen. Du solltest dir das gut überlegen.«
»Was ist plötzlich in dich gefahren, Steve?«, stöhnte die Frau. Eine unsichtbare Hand schien sie zu würgen. Ihr Herz raste und hämmerte einen wilden Rhythmus gegen ihre Rippen. Sie war fassungslos.
»Ich begehre dich schon, seit ich dich kenne. Und jetzt will ich nicht länger warten. Dave ist tot. Er steht mir nicht mehr im Weg. Friede seiner Asche. Nun bin ich der Boss. Nur noch mein Wille gilt. Robert hat das schon begriffen. Und auch du wirst das begreifen, Süße. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Und wer gegen mich ist, den mache ich fertig.«
Steve Lavender unterbrach die Verbindung. Susans Hand, die den Telefonhörer hielt, zitterte. Sie legte wie im Trance auf. Nur nach und nach verarbeitete sie das Gehörte.
»Du kleines, fieses Schwein«, entrang es sich ihr dann. In ihren Augen flackerte der jähe Hass. Er ließ sie innerlich erbeben. Schließlich besann sie sich, dass einer der FBI-Agenten seine Visitenkarte auf den Nachttisch gelegt hatte, und sie entschloss sich von einem Augenblick zum anderen. Eine halbe Minute später war sie mit Jesse Trevellian verbunden. »Der Mörder von Dave Hannagan ist Steve Lavender«, sagte sie mit verstellter Stimme, dann legte sie auf.
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9

Ich lauschte den Worten hinterher. Im Äther war es still. Der Anrufer hatte die Verbindung unterbrochen. Die Stimme klang in mir nach. Es könnte die Stimme eines Mannes gewesen sein. Sie hatte rau und verzerrt geklungen. Sicher war ich mir allerdings nicht.
Ich legte den Hörer auf den Apparat.
Milo musterte mich fragend. »Wer war das? War ja ein kurzes Gespräch.«
»Ein anonymer Anrufer. Er sagte, dass der Mörder von Dave Hannagan Steve Lavender ist.«
»War das alles?«
Ich nickte und schaute auf die Uhr. Es war sechzehn Uhr vorbei. Der Wind trieb Regentropfen gegen das Fenster. Laut Meteorologen war es viel zu kalt für die Jahreszeit. »Sprechen wir mit Lavender«, schlug ich vor. »Er hätte auf jeden Fall ein Motiv gehabt, seinen Onkel aus dem Weg zu räumen. Und er wusste, dass sich Dave Hannagan in dem Wochenendhaus an der Jamaica Bay verkriechen wollte.«
Wir zogen unsere Jacken an und verließen das Büro. Zwanzig Minuten später parkte ich den Wagen in der 27th Street und wir stiegen aus. Es war ein mehrstöckiges Gebäude, in dem Steve Lavender wohnte. Sein Apartment lag in der fünften Etage. Das erfuhren wir von dem Portier, der in der Eingangshalle Dienst versah. Ich klingelte, gleich darauf wurde die Tür geöffnet, und ein Mann von ungefähr dreißig Jahren zeigte sich uns.
»Mister Lavender?«, kam es fragend von Milo.
»Richtig.« Sein Blick löste sich von Milo und heftete sich auf mich. »Wer sind Sie, und was wollen Sie?«
Ich stellte uns vor. Lavenders Miene schien zu versteinern. »Sie kommen sicher wegen der Ermordung meines Onkels.«
»So ist es. Dürfen wir eintreten?«
»Bitte.«
Lavender drückte die Tür zu, nachdem wir uns in der Wohnung befanden, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es will mir noch immer nicht in den Sinn, dass mein Onkel tot sein soll. Ich wurde von der Mordkommission bereits vernommen. Wieso ist plötzlich das FBI im Spiel?«
»Wir haben den Fall übernommen«, erklärte ich ausweichend. Es lag mir fern, Lavender einen Vortrag über Zuständigkeiten innerhalb des Polizeiapparates zu halten. »Ihr Onkel hat mit Ihnen telefoniert, ehe er zu seinem Wochenendhaus in Brooklyn aufbrach.«
»Das stimmt.«
»Der Mörder, der bei dem Wochenendhaus wartete, muss das Ziel Ihres Onkels gekannt haben«, sagte ich.
Lavender schürzte die Lippen. »Sagens Sie‘s schon. Sie haben mich im Verdacht. Aber ich muss Sie enttäuschen. Auch Robert Anderson kannte Daves Ziel.«
»Mit ihm werden wir uns auch noch unterhalten«, knurrte Milo. »Wir wissen, dass Ihr Onkel Sie zu seinem Erben bestimmt hat. Es gab also auch ein Motiv.«
»Mein Onkel war ein reicher Mann. Allerdings hat eine Testamentseröffnung noch nicht stattgefunden. Vielleicht gibt es noch eine Überraschung. Sie haben sicher längst in Erfahrung gebracht, dass er seit einigen Jahren mit Susan Olbright liiert war. Es ist also nicht auszuschließen, dass er sie zu seiner Erbin bestimmt hat.«
»Wie erwarb Ihr Onkel denn seinen Reichtum?«, fragte Milo lauernd.
»Er war Geschäftsmann. Früher arbeitete er mal als Geschäftsführer für ein Finanzierungsunternehmen. Aber dann machte er sich selbstständig. Er gründete ein Inkassounternehmen und handelte mit Immobilien. Er unterstützte mich. Ich konnte ein Leben in Saus und Braus führen. Es gab für mich also keinen Grund, meinen Onkel umzubringen.«
»Wie ist ihr Verhältnis zu Susan Olbright?«, fragte ich.
»Sie ist eine schöne und begehrenswerte Frau«, antwortete Steve Lavender. »Als Geliebte meines Onkels war sie für mich natürlich tabu. Die Arme hat einen Schock davongetragen. Ich hoffe, sie übersteht das alles unbeschadet.«
»Sie ist auf dem Weg der Besserung«, sagte ich. »Wir haben bereits mit ihr gesprochen.«
»Und?«
»Sie nannte den Namen Matt Coburn. Von ihr wissen wir auch, dass Sie Dave Hannagan beerben werden.«
»Wer ist Matt Coburn?«
»Ein Gangsterboss«, warf Milo ein. »Und Dave Hannagans Konkurrent.«
Lavender schob das Kinn vor. Er erinnerte jetzt an ein trotziges Kind. »Ich verstehe nicht.«
»Das ist auch gar nicht nötig«, versetzte Milo bissig. »Hauptsache wir wissen, wovon wir reden.«
»Sie sprechen in Rätseln«, blaffte Lavender.
Als wir im Wagen saßen und nach Süden fuhren, fragte ich: »Was hast du für einen Eindruck von ihm?«
»Er kommt ganz nach seinem Onkel. Ein aalglatter Bursche und sicher ein würdiger Nachfolger.«
»Ich bin auf die Testamentseröffnung gespannt«, sagte ich.
»Erwartest du auch eine Überraschung?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn Hannagan seine Lebensgefährtin als Haupterbin eingesetzt hat, was durchaus im Bereich des Möglichen liegt, dann hatte auch sie ein Motiv, im Garten des Wochenendhauses an der Jamaica Bay einen Killer zu postieren.«
»Was bedeutet, dass sich der Kreis der Verdächtigen um eine Person erweitert«, knurrte Milo ohne die Spur von Begeisterung.
Details
- Seiten
- Erscheinungsjahr
- 2023
- ISBN (ePUB)
- 9783738972603
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2023 (März)
- Schlagworte
- krimi doppelband