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Chiricahua - Die Gejagten der Sierra Madre: Pete Hackett Western Edition 120

von Pete Hackett (Autor:in)
©2023 130 Seiten

Zusammenfassung

Duncan McGrady und zwei seiner Kumpane saßen im Presidio Saloon in El Paso an einem Tisch. Sie tranken Bier und rauchten. Um sie herum war es still, denn sie waren um diese Tageszeit – es war kurz vor Mittag -, die einzigen Gäste. Die drei Kerle waren in düsteres Schweigen versunken. Sie vermittelten den Eindruck von Männern, die auf irgendetwas warteten.

Der monotone Lärm, den das Leben in der Stadt verursachte, drang an ihr Gehör. Es war ein Tag in der zweiten Junihälfte des Jahres 1885. Die Sonne schien, es war heiß, keine Wolke trübte den Himmel. Die Zeit schien stillzustehen.

McGrady zog an der Zigarette, tief inhalierte er den würzigen Rauch, dann stieß er ihn durch die Nase aus und sagte knurrend: »Ich werde nicht zulassen, dass die beiden Marshals den Hundesohn nach Tombstone bringen.« Er sprach gerade so laut, dass seine beiden Gefährten ihn verstehen konnten. Der Keeper, der hinter dem Tresen stand und in einer vergilbten Zeitung las, die er auf der Theke ausgebreitet hatte, vernahm nur undeutliches Gemurmel. »Whitlock hat meine Freunde erschossen, und wir haben uns die Hintern wund geritten auf der Suche nach ihm. Ich -« McGrady tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust, »- werde ihn in Tombstone abliefern, und zwar tot. Das Geld, das auf seinen Kopf ausgesetzt ist, steht mir zu.«

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Alfred Bekker

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Chiricahua - Die Gejagten der Sierra Madre: Pete Hackett Western Edition 120

Chiricahua

Band 7


Western von Pete Hackett


Über den Autor

Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.

Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."

Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.







Die Gejagten der Sierra Madre


Duncan McGrady und zwei seiner Kumpane saßen im Presidio Saloon in El Paso an einem Tisch. Sie tranken Bier und rauchten. Um sie herum war es still, denn sie waren um diese Tageszeit – es war kurz vor Mittag -, die einzigen Gäste. Die drei Kerle waren in düsteres Schweigen versunken. Sie vermittelten den Eindruck von Männern, die auf irgendetwas warteten.

Der monotone Lärm, den das Leben in der Stadt verursachte, drang an ihr Gehör. Es war ein Tag in der zweiten Junihälfte des Jahres 1885. Die Sonne schien, es war heiß, keine Wolke trübte den Himmel. Die Zeit schien stillzustehen.

McGrady zog an der Zigarette, tief inhalierte er den würzigen Rauch, dann stieß er ihn durch die Nase aus und sagte knurrend: »Ich werde nicht zulassen, dass die beiden Marshals den Hundesohn nach Tombstone bringen.« Er sprach gerade so laut, dass seine beiden Gefährten ihn verstehen konnten. Der Keeper, der hinter dem Tresen stand und in einer vergilbten Zeitung las, die er auf der Theke ausgebreitet hatte, vernahm nur undeutliches Gemurmel. »Whitlock hat meine Freunde erschossen, und wir haben uns die Hintern wund geritten auf der Suche nach ihm. Ich -« McGrady tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust, »- werde ihn in Tombstone abliefern, und zwar tot. Das Geld, das auf seinen Kopf ausgesetzt ist, steht mir zu.«

»Es steht uns zu«, verbesserte Ronald Bent seinen Kumpan und sprach mit besonderer Betonung des Wortes ‚uns’.

McGrady schoss Bent einen unergründlichen Blick zu, verzog den Mund, und dann nickte er. »Natürlich.«

»Das solltest du niemals vergessen«, brummte Ronald Bent.

Auf dem Vorbau erklangen polternde Schritte, gleich darauf wurden die Türpendel nach innen aufgestoßen, und einer von McGradys Kumpanen – sein Name war Shawn Doherty -, betrat den Schankraum. Er kam zum Tisch, legte seine beiden Hände auf den oberen Rand einer Stuhllehne und sagte: »Die beiden Sternschlepper sind zum Mietstall gegangen. Ich bin ihnen gefolgt. Sie sind jetzt dabei, die Pferde vor das Fuhrwerk zu spannen. Ich denke, es geht los.«

McGrady drückte seine Zigarette in den Aschenbecher und erhob sich mit einem Ruck. »Verlieren wir keine Zeit.«

Sie bezahlten ihre Zeche, holten aus dem Boardinghouse ihre Gewehre und Satteltaschen, und schlugen den Weg zum Mietstall ein. Nachdem sie die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, kam ihnen das Gespann entgegen. Es handelte sich um einen Gefängniswagen, der von zwei Pferden gezogen wurde. Eine Längswand des Wagenaufbaus bestand aus zolldicken Gitterstäben. An der anderen Längswand – sie war aus soliden Bohlen gefertigt und fensterlos -, befand sich eine Holzbank. Von der Wand hingen an Ketten Handschellen. Das Gefährt erinnerte an einen Raubtierkäfig.

Man hatte diesen rollenden Gefängnissen einen besonderen Namen gegeben. Er lautete 'Tumblewed-Wagon' .

Auf dem Wagenbock saßen zwei Männer. Der eine war um die vierzig, der andere höchstens fünfundzwanzig. An ihren Westen funkelten die Sterne von U.S. Deputy Marshals. Der Ältere der beiden lenkte die Pferde.

Tief sanken die eisenumreiften Räder des Fuhrwerks in den Staub auf der Straße ein. Die Hufe der Pferde rissen Staubfontänen in die heiße Luft. Die beiden Beamten achteten nicht auf das Quartett am Fahrbahnrand. Während McGrady und seine Freunde ihren Weg zum Mietstall fortsetzten, war ihr Ziel das Sheriff’s Office. Wenige Minuten später erreichten sie es und Mitchel O’Keefe, der die Zügel führte, zerrte die Pferde in den Stand. Er zog die Bremse an, schlang die Zügel um den Bremshebel, dann stiegen die beiden Männer vom Wagenbock.

»Herein!«, ertönte es, nachdem O’Keefe an die Tür geklopft hatte. Er öffnete und die beiden Deputy Marshals traten in das Büro. Hinter seinem Schreibtisch erhob sich Sheriff Wayne Overmill, erwiderte den Gruß, den O’Keefe murmelte, und sagte dann nach einem Blick auf den Regulator, der an der Wand hing und monoton tickte: »Sie sind pünktlich, Gentlemen. Die Papiere habe ich schon vorbereitet. Es braucht nur noch einer von Ihnen unterschreiben, dann können Sie Whitlock haben.«

»Gut«, antwortete O’Keefe. »Ich werde meinen Namen unter das Übergabeprotokoll setzen. Geben Sie mir das Dokument und einen Stift.«

Overmill holte einen Bogen Papier aus dem Schreibtischschub. Ein Tintenstift lag auf dem Schreibtisch. Er reichte beides dem Bundesmarshal, dieser las, dann legte er das Papier auf den Schreibtisch, befeuchtete mit der Zunge die Mine des Tintenstifts und setzte seinen Namen unter das, was Overmill verfasst und selbst bereits unterschrieben hatte.

»Damit hat die Sache ihre Ordnung«, gab der Sheriff zu verstehen. »Folgen Sie mir.«

Sie begaben sich in den Zellentrakt. In einer der Zellen war Tyler Whitlock eingeschlossen. Er lag auf der Pritsche, hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und starrte hinauf zur Decke. Jetzt erhob er sich, kam zur Gitterwand und seine Hände umklammerten zwei der dicken Eisenstangen. Weiß traten seine Knöchel unter der Haut hervor.

»Es ist so weit, Whitlock«, knurrte der Sheriff und sperrte die Zellentür auf. »Heraus mit Ihnen.«

Der Angesprochene holte tief Luft, dann setzte er sich in Bewegung. Adam Slaughter, der andere U.S. Deputy Marshal, ging voraus, Whitlock folgte ihm, hinter dem Gefangenen kam Mitchell O’Keefe, den Schluss bildete der Sheriff. Sie durchquerten das Office, traten hinaus auf den Vorbau, stiegen die vier Stufen hinunter und befanden sich auf der Straße, die im hellen Sonnenschein lag. Von irgendwo her erklang klirrendes Hämmern. Zwei Frauen, die in Richtung des Store gingen und sich angeregt unterhielten, blieben stehen und beobachteten, was sich vor dem Sheriff’s Office abspielte. Slaughter öffnete die Tür des Gefängniswagens. Sie quietschte leise in den Angeln. »Da hinein, Whitlock.«

Tyler Whitlock wandte sich an Wayne Overmill: »Sie haben mir erzählt, dass sich McGrady und seine Kumpane noch in El Paso aufhalten. Ich glaube nicht, dass McGrady tatenlos zuschaut, wie mich die beiden Marshals nach Arizona bringen.«

»Ich werde ein Auge auf die Kerle haben«, versicherte der Sheriff und wandte sich an Mitchell O’Keefe. »Es ist nicht auszuschließen, dass McGrady und seine Kumpane versuchen, Ihnen den Gefangenen abzujagen. Seien Sie auf der Hut.«

»Was sind das für Leute?«, fragte der Bundesbeamte.

Wayne Overmill klärte die beiden Deputy Marshals auf. Als er geendet hatte, knurrte O’Keefe: »Wir werden die Augen offen halten. – Vorwärts, Whitlock, einsteigen!«

Tyler Whitlock stieg in den Wagen und setzte sich auf die Bank. Adam Slaughter folgte ihm und legte ihm Handschellen an. Dann verließ er den Wagenaufbau und schloss die Tür.

In der Zwischenzeit hatten sich einige Neugierige eingefunden und vor dem Fuhrwerk zusammengerottet. Sie starrten zwischen den Gitterstäben hindurch auf den Gefangenen.

Wayne Overmill reichte Mitchell O’Keefe die Hand. »Es bleibt mir nur, Ihnen eine gute Reise zu wünschen. Denken Sie daran, die Augen offen zu halten. Whitlock hat recht, wenn er vermutet, dass McGrady versucht, Ihnen den Gefangenen abzujagen. McGrady hat Monate damit verbracht, Whitlock zu suchen. Ein Mann, der so viel an Zeit, Mühen und Strapazen investiert hat, gibt nicht so ohne weiteres auf.«

»Wir werden auf der Hut sein«, wiederholte O’Keefe.

Overmill verabschiedete sich auch von Adam Slaughter. Die beiden Marshals stiegen auf den Bock, O’Keefe wickelte die Zügel vom Bremshebel, löste die Bremse, dann trieb er die Pferde an. Die Tiere legten sich in die Geschirre. Die Räder begannen sich zu drehen. Feiner Sand knirschte.

Der Sheriff stiefelte zu der Pension, in der McGrady und Anhang wohnten, und erfuhr, dass die Kerle vor wenigen Minuten ihre Habseligkeiten abgeholt und die Rechnung beglichen hatten. Overmills nächster Weg führte zum Mietstall. Als er ihn betrat, kam der Stallmann aus dem Verschlag, der ihm als Aufenthaltsraum und Stalloffice diente. »Waren McGrady und die anderen drei Galgenvögel bei Ihnen, um ihre Pferde abzuholen?«

Der Stallbursche nickte. »Sie sind vor fünf Minuten vom Hof geritten.«

Overmill zerkaute eine Verwünschung, dachte kurz nach und entschloss sich. »Satteln Sie mir ein Pferd. Ich hole währenddessen mein Gewehr. Beeilen Sie sich.«

Der Gesetzeshüter eilte davon.

Der Stallmann machte sich an die Arbeit.


*


Sie fuhren an der Grenze entlang nach Westen. Das Land, durch das sie zogen, war karg, unwirtlich und von der Sonne ausgebrannt. Es gab Felsen, Hügel, Geröll, Staub, dorniges Gestrüpp und riesige Kakteen. Klapperschlangen, Eidechsen und Skorpione trieben hier ihr Unwesen. Die staubige Straße wand sich wie der riesige Leib einer Schlange zwischen den Hügeln hindurch. Am Straßenrand wuchsen Büsche. Ihr Blattwerk war mit dem gelblichen Staub, den der Wind aus der Felswüste Mexikos heraufgetragen hatte, gepudert.

Das Fuhrwerk rumpelte. Unter den Rädern wurden kleine Steine zermalmt. Die beiden Männer auf dem Bock schwitzten. Sie waren der prallen Sonne schutzlos ausgeliefert. Seit etwa einer Stunde befanden sie sich auf dem Boden von New Mexiko. In ihrer Achtsamkeit hatten sie nicht nachgelassen. Die Gefahr, die von Duncan McGrady und seinem Verein ausging, hing wie ein Damoklesschwert über ihnen. Ununterbrochen sicherten sie um sich. Doch war ihnen klar, dass es tausend Möglichkeiten für einen Hinterhalt gab. Die beiden Gesetzeshüter fühlten sich nicht wohl in ihrer Haut. Ihre Instinkte meldeten Gefahr.

Adam Slaughter knotete sein Halstuch auf und wischte sich damit Staub und Schweiß aus dem Gesicht. »Verdammtes Land!«, stieß er krächzend hervor.

»Vor uns liegen noch gut und gerne hundertsiebzig Meilen bis Tombstone«, versetzte O’Keefe bissig grinsend. Die feine Schmutzschicht in seinem Gesicht brach. »Wenn du jetzt schon schlapp machst …«

»Ich mache nicht schlapp!«, regte sich der jüngere Mann auf. »Dass das ein verdammtes Land ist, werde ich doch wohl …«

O’Keefe sank plötzlich in sich zusammen. Der verwehende Klang eines Schusses trieb heran. Der Deputy Marshal kippte nach vorn und die Zügel entglitten seinen Händen. Ehe O’Keefe kopfüber vom Bock stürzen konnte, riss ihn Adam Slaughter zurück. Im nächsten Moment aber traf es den jüngeren der beiden Beamten. Mit einem verlöschenden Laut auf den Lippen fiel er auf die Seite. Die Pferde hielten an, die Geräusche brachen ab, die Detonation verwehte raunend und bedrückende Stille kehrte ein.

Tyler Whitlock war an der Bohlenwand angekettet und konnte seinen Platz nicht verlassen. Nach einer Weile vernahm er pochende Hufschläge. Das Wiehern eines Pferdes vermischte sich mit dem Pochen. Whitlock schluckte würgend, denn er ahnte, wer das Fuhrwerk gestoppt hatte. Die Unruhe, die ihn erfüllte, ließ sein Herz rasen. Hart atmete er durch die Nase.

Vier Reiter zogen in sein Blickfeld und zügelten ihre Pferde. Der Triumph stand Duncan McGrady ins Gesicht geschrieben. »Hallo, Whitlock.« Der Bandit grinste hämisch.

Tyler Whitlock biss die Zähne zusammen und schwieg. Ein eisiger Wind schien ihn zu streifen und ihn fröstelte es. Aus McGradys Augen blickte ihm der Tod entgegen.

»Durchsuch die Marshals, Allan«, gebot McGrady. »Einer von ihnen hat den Schlüssel für den Käfig und den Handschellenschlüssel. Du, Ronald, spannst eines der Pferde aus. Wir brauchen es für Whitlock.«

»Warum erschießt du ihn nicht gleich?«, fragte Ronald Bent.

»Sollen wir seinen Leichnam nach Arizona schaffen? Bei dieser Hitze! Spätestens übermorgen geht er in Verwesung über. Den Gestank möchte ich nicht ertragen.«

Was er sprach, war erschreckend in seiner verbalen Brutalität.

Allan Saddler und Ronald Bent sprangen von den Pferden.

McGrady ließ noch einmal seine Stimme erklingen. »Ich werde dir erst einen Tagesritt vor Tombstone eine Kugel in den Kopf schießen, Whitlock. Du hast also noch drei Tage Galgenfrist. Vielleicht solltest du schon mal zu beten beginnen.«

Ein teuflisches Grinsen zog nach diesen Worten die Lippen des Banditen in die Breite. Die Augen blieben kalt wie Eis.

»Sheriff Behan wird Fragen stellen«, sagte Tyler Whitlock.

Das Grinsen in McGradys Zügen erlosch. »Und ich werde ihm eine schöne Geschichte erzählen. Man wird dich auch für den Tod der beiden Sternträger verantwortlich machen. Für dich wird das allerdings keine Rolle spielen. Denn sie können dich nicht mehr aufhängen. Du wirst nämlich tot sein.«

Allan Saddler hatte die Schlüssel in Adam Slaughters Westentasche gefunden und öffnete den Käfig. Gleich darauf befreite er Whitlock von den Handschellen. »Aussteigen, Whitlock. Und versuch lieber nichts. Deine Chancen wären die eines Regentropfens im Ozean.«

Tyler Whitlock ging zur Tür und sprang aus dem Wagen. Ronald Bent führte eines der Pferde heran, die den Wagen gezogen haben und grinste niederträchtig. »Mit Sattel und Zaumzeug kann ich nicht dienen, Whitlock. Du musst dich eben am Hals des Gauls festhalten.«

»Steig auf, Whitlock!«, befahl McGrady. »Vor uns liegt ein weiter Weg.«

Tyler Whitlock trat an das Pferd heran, griff mit der linken Hand in die Mähne des Tieres und stieß sich ab. Geschmeidig landete er auf dem Pferderücken. Das Tier scheute zur Seite. Aber Whitlock legte die Oberschenkel fest an und brachte das Pferd unter Kontrolle.

Saddler und Bent saßen auf. In dem Moment, als sie anreiten wollten, knallte es. McGradys Pferd brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Der Bandit fand keine Zeit, die Steigbügel abzuschütteln und abzuspringen. Sein rechtes Bein wurde unter dem Pferdeleib begraben. Allan Saddler und Ronald Bent wirbelten herum und starrten in die Richtung, aus der der Knall gekommen war. Der vierte der Kerle sprang aus dem Sattel und griff nach der Winchester, die im Scabbard an seinem Sattel steckte.

Die Banditen waren abgelenkt.

Tyler Whitlock ergriff die Chance, die sich ihm bot, hämmerte dem Pferd die Fersen in die Seiten und umklammerte mit beiden Armen den Hals des Tieres. Der Vierbeiner stob los. Whitlock beugte sich weit nach vorn auf den Pferdehals und hielt auf einen Einschnitt zwischen zwei Felsen zu.

Hinter sich vernahm er das Donnern von Schüssen. Er hatte keine Ahnung, ob die Banditen hinter ihm her schossen oder ob sie den Schützen, der McGradys Pferd tötete, unter Feuer genommen hatten. Mit schrillen Schreien und den Fersen versetzte er das Pferd unter sich regelrecht in Panik, und es lief, als säße ihm ein hungriges Raubtier auf den Fersen.

Die Entfernung bis zu den Felsen schrumpfte. Die Lücke zwischen den Felsen schien auf Whitlock zuzufliegen. Nach wie vor wurde hinter ihm geschossen, doch die Detonationen waren durch das Trappeln der Hufe kaum noch zu hören, und als Whitlock zwischen die Felsen jagte, waren sie überhaupt nicht mehr zu vernehmen.

Tyler Whitlock hielt nicht an. Er donnerte zwischen den Felsen dahin, erreichte eine weitläufige Ebene, die rundum von Hügeln und Felsen begrenzt war, und lenkte das Pferd in sie hinein.

Ein steiniger Arroyo zerschnitt das Terrain, über das Whitlock stob. Bevor er das Pferd die sandige Böschung hinuntertrieb, um das ausgetrocknete Flussbett zu durchqueren, warf er einen Blick nach hinten. Und ihm entgingen nicht die beiden Reiter, die zwischen den Felsen hervorkamen. Einzelheiten konnte Whitlock nicht erkennen, aber er war sich sicher, dass es sich um zwei der Banditen handelte, die seine Verfolgung aufgenommen hatten.

Er konnte sich ihnen nicht stellen, denn er besaß keine Waffen. Ihm blieb nur die Flucht. In der Felswüste Mexikos hoffte er seine Spur zu verwischen. Entschlossen trieb er das Pferd an. Das Tier rutschte mehr als es ging den Abhang hinunter. Steine polterten in den Arroyo. Staub wurde aufgewirbelt. Wenig später erklomm das Tier die Böschung auf der anderen Seite. Ehe Whitlock seine Flucht fortsetzte, hielt er noch einmal Ausschau nach seinen Verfolgern. Sie ließen ihre Pferde galoppieren und zogen eine dichte Staubfahne hinter sich her. Und nun sah Whitlock einen weiteren Reiter, der aus einer Felslücke sprengte.

»Lauf!«

Das Tier unter Tyler Whitlock streckte sich. Dem Mann war klar, dass es sich um alles andere als um ein gutes Reitpferd handelte. Außerdem ritt er ohne Sattel und Zaumzeug. Besorgt fragte er sich, ob er überhaupt eine Chance hatte.

Wie von Furien gehetzt jagte er auf das felsige Terrain im Süden zu. Er befand sich bereits in Mexiko. Ein schneller Blick über die Schulter ließ ihn erkennen, dass seine Verfolger bei dem Arroyo angelangt waren.

Alles hing von der Schnelligkeit und der Ausdauer des Pferdes ab. Aber Tyler Whitlock wurde enttäuscht. Schon nach einigen hundert Yard verlangsamte sich der Hufewirbel. Schaum bildete sich auf den Nüstern des Tieres, den der Reitwind fortriss. Bis zu den Felsen waren es noch an die zweihundert Yard. Whitlock schaute zurück und erkannte, dass die beiden Verfolger aufgeholt hatten. Weit hinten kam der dritte Reiter. Whitlock hatte keine Ahnung, ob es einer der Banditen war, oder ob es sich um den Mann handelte, der McGradys Pferd erschoss. Ein Name drängte in Whitlocks Denken: Wayne Overmill! Hatte er McGrady und seinem Verein in die Suppe gespuckt?

Das Pferd taumelte zwischen die Felsen. Es röchelte und röhrte. Das Tier war fertig.

Whitlock sprang ab. Rechterhand schwang sich ein terrassenförmiger Felsen nach oben. Links von Whitlock waren die Felswände steil und unüberwindbar. Ohne lange nachzudenken begann der Gejagte, den Felsen zu seiner Rechten zu erklimmen. Er überwand den untersten Steilhang und erreichte die erste Terrasse, auf der bis zu mannshohe Felsklötze lagen.

Als Whitlock auf den nächsten Steilhang kletterte, konnte er die Hufschläge der Verfolgerpferde vernehmen. Sie sickerten an sein Gehör wir eine Botschaft von Untergang und Tod. Rastlosigkeit trieb ihn, da waren aber auch Angst und der Ansatz von Verzweiflung. Die Chance, ihnen zu entkommen, war gering. Sollte er hier sterben und den Makel, ein skrupelloser Mörder zu sein, mit ins Grab nehmen? Alles in ihm bäumte sich gegen diesen Gedanken auf, und Whitlock war bemüht, ihn zu verdrängen. Es gelang ihm nicht.

Er riss sich am scharfen Gestein die Hände wund, rutschte aus und stieß sich das Knie an; eine schmerzhafte Prellung, die ihn die Zähne zusammenbeißen ließ, dennoch konnte er ein gepresstes Stöhnen nicht unterdrücken. Das Hufgetrappel brach ab, eine raue Stimme erklang, dann peitschte ein Schuss. Unwillkürlich zog Whitlock den Kopf ein. Da klatschte neben ihm auch schon das Projektil gegen den Felsen, wurde platt gedrückt und quarrte als Querschläger davon. Gesteinssplitter spritzten wie kleine Geschosse und verletzten Whitlock im Gesicht und am Hals.

Die Finger des Flüchtlings verkrallten sich an einem Felsvorsprung. Kraftvoll zog er sich höher. Die Hufschläge kamen wieder auf. Whitlock schaute über die Schulter nach unten. Die beiden Banditen hatten ihre Pferde wieder in Bewegung gesetzt. Wahrscheinlich war ihnen jener Mann, der ihrer Spur folgte, und den Whitlock für den Sheriff von El Paso hielt, zu nahe auf den Leib gerückt.

Verbissen kämpfte sich Whitlock weiter nach oben. Blut und Schweiß rannen über sein Gesicht. Die kleinen Wunden brannten. Schweiß rann ihm in die Augen und entzündete sie. Doch dann kroch er über den Abbruch der Felsterrasse und blieb keuchend auf dem Bauch liegen. Seine Hände zitterten von der Anstrengung.

Unten krachten und klirrten Hufe. Dann erklang eine Stimme: »Können Sie mich hören, Whitlock?«

Tyler Whitlock erkannte die Stimme. Sie gehörte Wayne Overmill. Die Hufschläge, die die Pferde der beiden Banditen verursachten, waren kaum noch zu vernehmen.

»Sicher!«, rief Whitlock. »Haben Sie nun begriffen, von welcher Sorte McGrady und seine Kumpane sind?«

»Sie haben einen der Marshals getötet, den anderen schwer, wahrscheinlich sogar tödlich verwundet. Schätzungsweise habe ich einen großen Fehler begangen, als ich mich entschloss, Sie nach Arizona auszuliefern, Whitlock. Nun, einen der Kerle habe ich in die Hölle geschickt. Der andere wird den morgigen Tag kaum noch erleben.«

»Glauben Sie mir nun, dass ich kein Mörder bin?«

»Ja, ich zweifle an Ihrer Schuld. Doch nun …« Der Sheriff brach ab und trieb sein Pferd an. Die Hufschläge entfernten sich schnell.

Bei Tyler Whitlock beruhigten sich Herzschlag und Atmung und er richtete seinen Oberkörper auf. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß aus den Augenhöhlen. In dem Moment, als er sich erheben wollte, sickerte der ferne Knall eines Schusses heran. Mit geisterhaftem Geflüster verhallten die Echos.


*


McGradys eiskaltes Auge ruhte über Kimme und Korn der Winchester hinweg auf der Brust Wayne Overmills.

»Warum schießt du nicht?«, fragte Allan Saddler ungeduldig.

»Nur nicht hetzen«, knurrte McGrady. »Der Dummkopf ist uns sicher.« Er krümmte langsam den Zeigefinger. Als der Abzug den Druckpunkt erreichte, hielt er die Luft an. Dann zog er durch. Es knallte, der Oberkörper des Sheriffs sackte zusammen, kippte nach vorn, und dann stürzte der Gesetzeshüter kopfüber aus dem Sattel. Das Pferd ging noch einige Schritte weiter und schleifte die reglose Gestalt am Steigbügel neben sich her. Dann hielt das Tier an, warf den Kopf in den Nacken und wieherte.

Die beiden Banditen warteten sekundenlang. »Sehen wir nach«, murmelte McGrady schließlich und trat hinter dem Felsen hervor, aus dessen Schutz er den heimtückischen Schuss auf den Sheriff abgegeben hatte. Vorsichtig, das Gewehr an der Hüfte im Anschlag, schritt er zu der leblos anmutenden Gestalt am Boden hin. Allan Saddler hatte den Revolver gezogen. Sein Daumen lag quer auf der Hammerplatte. Die Winchester hielt er in der linken Hand.

Die beiden Banditen erreichten Wayne Overmill. Ohne jede Gemütsregung starrten sie auf ihn hinunter. Auf der Hemdbrust des Gesetzeshüters vergrößerte sich schnell der Fleck dunklen Blutes, das aus der Wunde pulsierte.

»Der braucht nichts mehr«, knurrte Saddler und stieß den Revolver ins Holster. »Verschwinden wir.«

»Ich will Whitlock!«, erklärte McGrady mit Nachdruck im Tonfall, legte sich das Gewehr auf die Schulter und hielt es am Schaft fest. Herausfordernd fixierte er seinen Kumpan.

»In dieser Wildnis finden wir ihn niemals«, gab Allan Saddler zu bedenken. »Wir laufen höchstens Gefahr, dass er uns mit einem Steinbrocken den Schädel einschlägt, wenn wir ihm zu nahe kommen.

McGradys Gesicht verzerrte sich gehässig, der Bandit knirschte eine lästerliche Verwünschung und versetzte dem Sheriff einen derben Tritt gegen die Rippen. »Das haben wir diesem verdammten Schnüffler zu verdanken. Die Hölle verschlinge ihn!«

»Verschwinden wir!«, wiederholte Allan Saddler und wandte sich ab.

McGrady rührte sich nicht, zog die Unterlippe zwischen die Zähne und nagte versonnen darauf herum. Schließlich sagte er: »Whitlock hat kein Pferd und ist waffenlos. In New Mexiko und Arizona kann er sich nicht blicken lassen. Möglicherweise versucht er, sich zu Geronimo und dessen Bande durchzuschlagen. Das sind doch seine Freunde, bei ihnen hat er schon einige Zeit gelebt.«

»Was willst du damit zum Ausdruck bringen?«, fragte Allan Saddler, der sich seinem Gefährten wieder zugewandt hatte.

McGrady winkte ab. »Ich habe nur laut gedacht. Aber du hast recht. Whitlock ist viel zu gefährlich, als dass wir irgendetwas herausfordern sollten. Verschwinden wir.«

Sie liefen zu ihren Pferden, die hinter einem Felsen an einen Strauch gebunden waren, und gleich darauf ritten sie davon. Während sie zwischen den Felsen dahinzogen, sicherten sie ununterbrochen um sich. Obwohl sie wussten, dass Tyler Whitlock unbewaffnet war, verursachte seine Nähe bei den beiden Banditen Nervosität. Doch das Wild, das sie gejagt hatten, und das ihnen im letzten Moment entkommen war, zeigte sich nicht.

Als sie auf die Ebene ritten, atmeten sie auf. Sie versetzten die Tiere in eine schnellere Gangart, überquerten die freie Fläche, folgten den Windungen zwischen den Felsen und Steilhängen und erreichten den Gefängniswagen. Ein gesatteltes Pferd äugte ihnen entgegen und spielte mit den Ohren. Ein weiteres Tier lag leblos am Boden. Eine Wolke von Fliegen, die vom süßlichen Blutgeruch angelockt worden waren, schwebte über dem Kadaver.

McGrady und Saddler saßen ab. Während McGrady zu Ronald Bent hinging, beugte sich Saddler über Shawn Doherty. Er fühlte den Puls seines Gefährten, richtete sich auf und rief: »Shawn ist tot.«

»Ronald hat eine Kugel in die Brust bekommen«, gab McGrady zu verstehen. »Ich denke, dass seine Stunden gezählt sind.« Er ging zum Fuhrwerk. Mitchell O’Keefe saß zurückgelehnt auf dem Bock. Sein Kopf war in den Nacken gefallen. Seine Augen waren halb geöffnet, ebenso sein Mund. Adam Slaughters Oberkörper hing über die Seitenlehne der Sitzbank. Ohne die Spur einer Gemütsregung fixierte McGrady die beiden Marshals. »Machen wir, dass wir wegkommen«, rief er schließlich.

»Willst du Ronald einfach so liegen lassen?«

»Wir können ihm nicht helfen. Wenn wir ihn mitnehmen, ist er für uns nur ein Klotz am Bein. Außerdem glaube ich nicht, dass ihm überhaupt noch jemand helfen kann. Den Abend wird er wohl nicht mehr erleben.«

Der Mörder stapfte zu seinem Pferd, stellte den linken Fuß in den Steigbügel, griff mit beiden Händen nach dem Sattelknauf und schwang sich auf den Pferderücken. »Das war nicht unser Tag«, knirschte er. »Aber die Jagd geht weiter. Und am Ende wird Whitlock tot sein.«

Allan Saddler rannte zu seinem Pferd …


*


Tyler Whitlock war dem Klang des Schusses gefolgt. Als sich ihm Hufschläge näherten, versteckte er sich in einem Felsspalt. Die beiden Banditen ritten in Steinwurfweite an ihm vorüber. Als sie aus seinem Blickfeld verschwunden waren, setzte er seinen Weg fort. Und er fand den verwundeten Sheriff. Bei der wie leblos daliegenden Gestalt ging Whitlock auf das linke Knie nieder und stellte fest, dass Overmill noch lebte. Er zog den Revolver aus dem Holster des Verwundeten und schob ihn in seinen Hosenbund. Dann holte er die Wasserflasche vom Sattel des Pferdes, das nur wenige Schritte abseits stand, schraubte sie auf, kniete erneut bei dem Reglosen ab, hob seinen Kopf mit der linken Hand etwas an und setzte ihm die Flaschenöffnung an die Lippen.

Wasser rann über das Kinn des Sheriffs. Dann aber begannen seine Lider zu flattern, er schluckte automatisch, und schließlich schlug er die Augen auf. Verständnislos starrte er in Tyler Whitlocks Gesicht. Aber schon nach wenigen Sekunden schien sich bei ihm die Erinnerung einzustellen. »Sie, Whitlock!«, stieg es heiser aus seiner Kehle.

»Ich bringe Sie nach El Paso zurück, Sheriff«, erklärte Tyler Whitlock.

»Nach allem, was geschehen ist, wollen Sie mir helfen?«

Whitlock nickte. »Ich bin kein Mörder.«

Er schraubte die Wasserflasche zu, warf sie zu Boden, und holte Verbandszeug aus der Satteltasche. Vorsichtig zog er Overmill die Weste und das Hemd aus, verband ihn und half ihm dann, aufs Pferd zu steigen. »Versuchen Sie, sich im Sattel zu halten, Sheriff. Ich bringe Sie zum Fuhrwerk.«

Whitlock führte das Pferd am Kopfgeschirr. Sie erreichten den Platz, an dem er das Tier zurückgelassen hatte, auf dem ihm die Flucht zwischen die Felsen geglückt war. Whitlock nahm das Pferd bei der Mähne. Bereitwillig ging es mit dem Mann. Von Wayne Overmill kam hin und wieder ein gequältes Stöhnen. »Halten Sie durch, Sheriff«, sagte Whitlock eindringlich. »Sie sind hart und schaffen es.«

Overmills Gesicht war bleich, sein Mund schmerzverzerrt. Schmerzen wühlten auch in der Tiefe seiner Augen. Der Oberkörper des Sheriffs war auf den Pferdehals gesunken, mit beiden Armen klammerte sich der Verwundete fest. Er nahm alles nur noch wie im Trance wahr. Nur ein eiserner Wille verhinderte ein Abgleiten in die Besinnungslosigkeit.

Als Whitlock die Satteltaschen nach Verbandszeug durchsucht hatte, war ihm das Fernglas des Sheriffs nicht entgangen. Ehe er den Schutz der Felsen verließ, setzte er es an die Augen und beobachtete die Hügel und Felsen, die die Ebene säumten. Er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Aber Whitlock traute dem Frieden nicht. Also beschloss er, die Ebene nicht zu betreten, sondern im Schutz der Felsen zu bleiben. Den Umweg nahm er in Kauf.

Overmill hielt durch. Ungeschoren erreichten sie den Gefängniswagen. Whitlock half dem Verwundeten vom Pferd. Overmills Beine knickten ein und er sank zu Boden. Whitlock konnte nichts tun. Er untersuchte die beiden Marshals. Beide waren tot. Der Beamte, der noch lebte, als der Sheriff beim Fuhrwerk war, hatte in der Zwischenzeit seinen letzten Atemzug getan. Whitlocks Kehle war wie zugeschnürt. Die Skrupellosigkeit McGradys und seiner Kumpane war erschreckend.

Whitlock legte die toten Gesetzesmänner und den Banditen, dessen Leben die Kugel des Sheriffs ein Ende gesetzt hatte, in den Wagen, dann versorgte er Ronald Bent, und als die beiden Verwundeten ebenfalls auf dem Fuhrwerk lagen, schirrte er das Pferd ein, das ihm als Reittier gedient hatte, leinte das Pferd des Sheriffs und das andere Tier hinten am Wagen an, schwang sich auf den Bock und angelte sich die Zügel.

Eine halbe Meile vor El Paso hielt Whitlock das Gespann an, sprang vom Bock und band die beiden gesattelten Pferde los. Dann stieg er auf den Wagen und durchsuchte die Taschen der beiden Banditen. Was er an Geld fand, steckte er ein. Er empfand es nicht als Diebstahl. Schließlich schwang er sich auf das Tier des Sheriffs. Vom Sattel aus versetzte er einem der beiden Pferde, die das Fuhrwerk zogen, mit der flachen Hand einen Schlag auf die Kruppe. Erschreckt setzte sich das Tier in Bewegung. Das andere Pferd wurde mitgezerrt. Die Leinen strafften sich, das Fuhrwerk begann zu rollen.

Tyler Whitlock nahm das andere Pferd am langen Zügel und ritt an. Die Sonne stand jetzt im Südwesten. Das war auch die Richtung, die der einsame Mann einschlug. Schon bald befand er sich in der mexikanischen Provinz Chihuahua. Steinige, staubige Wildnis umgab ihn.

In Esperanza hatte er von einem Texas Ranger erfahren, dass Geronimo zusammen mit einer kleinen Schar von Kriegern White Mountain verlassen hatte und nach Mexiko geflohen war. Bei den Chiricahuas wollte er Zuflucht suchen. Sein Schicksal war eng mit dem ihren verknüpft. Geronimo war ihm ein guter Freund geworden.

Schatten legten sich in die Senken zwischen den Felsen. Die himmelstürmenden Massive nahmen Whitlock die Sicht auf den Sonnenuntergang, er sah lediglich den purpurnen Himmel im Westen, vor dem einige Wolkenbänke standen, die vor dieser rotleuchtenden Kulisse zu glühen schienen.

Dann kam die Dunkelheit. Am Firmament glitzerten einige Sterne. Der Mond war noch hinter den Felsen im Osten. Kein Licht drang zwischen die Felsen, und wenn Whitlock nicht riskieren wollte, dass sich eines seiner Pferde ein Bein brach, musste er kampieren. Am Fuße einer Steilwand saß er ab. Die Flasche am Sattel seines Reservepferdes war fast voll. Whitlock trank einen Schluck. Das Wasser schmeckte brackig, belebte ihn aber dennoch. Einen Hut, aus dessen Krone er die Pferde hätte tränken können, besaß er nicht. Also kratzte er mit den Händen den Staub aus einer kleinen Mulde im steinigen Boden und schüttete Wasser hinein. Whitlock sorgte dafür, dass jedes der Pferde die gleiche Wasserration bekam, dann lockerte er die Bauchgurte und band die Tiere an einen Strauch. Wenig später lag er in die Decke des Sheriffs von El Paso gerollt am Boden und versuchte, Schlaf zu finden.

Doch Schlaf wollte sich trotz seiner Erschöpfung nicht einstellen. Gedanken kamen und gingen. Und am Ende seiner Gedanken stand immer wieder die Frage, ob er noch eine Zukunft hatte. Er erhielt keine Antwort darauf. Bilder stiegen vor seinem geistigen Auge aus den Nebeln der Vergangenheit. Unschöne Bilder, an die sich Tyler Whitlock nicht gerne erinnerte; Bilder von Tod und Untergang, von Leid und Schmerz. Jane Randall kam ihm in den Sinn. Die Erinnerung an sie quälte ihn. Er hatte sie geliebt – mehr als sein Leben. Aber unglückliche Ereignisse rissen eine tiefe Kluft zwischen ihm und der schönen Frau auf. Ob Jane schon mit Captain Bailey verheiratet war?


*


Über eine Woche lang zog Tyler Whitlock kreuz und quer durch die Sierra Madre und lebte von dem, was ihm die Natur bot. Patrouillen der mexikanischen Grenzpolizei und des Militärs wich er geschickt aus. Mehr und mehr begann er die Hoffnung aufzugeben, Geronimo in dieser endlosen Einöde zu finden.

Am Rio San Pedro stieß Whitlock auf einen einsamen Handelsposten. Alles wirkte grau in grau. Es gab zwei flache Baracken, einen Schuppen, einen Corral, in dem sich drei Pferde tummelten, und eine Koppel, auf der zwei Milchkühe weideten. Vor einer der Baracken zügelte Whitlock das Pferd und saß ab. Lose schlang er den Zügel um den Holm. Auch das Reservepferd band er an, dann reckte er die Schultern.

Aus der Tür des anderen Gebäudes trat eine Frau von ungefähr fünfundvierzig Jahren. Ihre schwarzen Haare waren streng zurückgekämmt und am Hinterkopf zu einem Zopf geflochten. Wortlos musterte sie den Ankömmling.

Whitlock zog das Gewehr aus dem Scabbard und stakste mit steifen Beinen zu der Frau hin. »Guten Tag, Señora«, grüßte er staubheiser. »Ich wagte schon gar nicht mehr zu hoffen, in dieser gottverlassenen Gegend auf Menschen zu stoßen.«

»Wir werden nicht mehr lange hier sein, Americano«, erklärte die Frau mit hartem Akzent. »Seit die Apachen wieder ihr Unwesen in diesem Landstrich treiben, kommt niemand mehr zu uns, der uns unsere Waren abkauft. Mein Mann ist entschlossen, aufzugeben und in irgendeiner größeren Stadt einen Neuanfang zu versuchen.«

»Kann ich etwas zu essen haben?«

»Können Sie denn bezahlen?«, fragte die Mexikanerin und schaute argwöhnisch.

Whitlock nickte. »Ich bitte Sie auch, meine Pferde zu versorgen. Wir sind seit vielen Tagen in der Wüste unterwegs. Die Tiere sind ziemlich verausgabt.«

»Alfonso!«, rief die Frau.

Aus der anderen Baracke trat ein Halbwüchsiger. Die schwarzen Haare gingen ihm bis auf die Schultern. Schnell näherte sich.

»Versorge die Pferde des Gringos, Alfonso«, gebot die Frau. Und an Whitlock gewandt sagte sie: »Treten Sie näher, Americano.« Sie vollführte eine einladende Handbewegung.

Sie betraten einen Raum, in dem einige Tische standen, um die Stühle gruppiert waren. Durch die kleinen Fenster fiel nur wenig Tageslicht herein, und so war es ziemlich düster. An der Längswand befand sich eine grob aus ungehobelten Brettern zusammengenagelte Theke, in dem Regal dahinter standen Schnaps- und Weinflaschen.

»Setzen Sie sich, Americano«, forderte die Frau Whitlock auf, Platz zu nehmen. »Was möchten Sie trinken? Wir haben guten Rotwein.«

Whitlock setzte sich an einen der Tische, lehnte das Gewehr gegen die Kante der Tischplatte und nickte. »Seguro, Señora, schenken Sie mir ein Glas voll.«

Nachdem ihm die Frau das Glas mit der blutroten Flüssigkeit gebrachte hatte, verschwand sie durch eine Tür neben der Theke in einen anderen Raum. Whitlock nippte an dem Wein. In dem Moment kam ein etwa fünfzigjähriger Mann herein. Ein dicker Schnurrbart verdeckte seinen Mund. Tagealte Bartstoppeln wucherten auf seinen Wangen und seinem Kinn. Er kam zu Whitlocks Tisch und sagte: »Ich bin Manuel Fernandez. Meine Frau haben Sie schon kennen gelernt. Sind Sie vor dem Gesetz in den Staaten auf der Flucht?«

»Ich suche Geronimo und seine Krieger«, antwortete Whitlock und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Seit über einer Woche stöbere ich durch die Felswildnis auf der Suche nach ihm. Ich bin …« Whitlock zögerte ein wenig, dann sprach er weiter: »Ich bin Angehöriger des U.S.-Armee. Mein Dienstrang ist Lieutenant, stationiert bin ich in Fort Apache.«

Glatt kam die Lüge über Tyler Whitlocks Lippen.

»Warum tragen Sie keine Uniform?«

»Um in Ihrem Land nicht allzu sehr aufzufallen, Señor. Mein Auftrag lautet, Geronimo und die anderen Häuptlinge zu überreden, nach White Mountain zurückzukehren.«

»Diese blutrünstigen Heiden werden Ihnen das Fell über die Ohren ziehen!«, stieß der Mexikaner hervor. »Sie überfallen Haziendas und kleine Dörfer, töten die Menschen, zünden die Häuser an und stehlen Vieh. Ihnen ist nichts heilig.«

»Dem soll ich ein Ende bereiten«, murmelte Whitlock.

»Die mexikanische Armee hat die Felswüste wochenlang nach den rothäutigen Halsabschneidern durchkämmt«, knurrte Fernandez. »Ehe sie die Grenze überquerten, lockten sie eine Kompanie amerikanischer Soldaten in einen Hinterhalt und schossen sie gnadenlos zusammen. Sie zerschnitten die Telegrafenleitungen. Ich glaube nicht, dass Geronimo und Chihuahua freiwillig ins Reservat zurückkehren. Sie müssen nämlich befürchten, dass man sie aufhängt.« Der Mexikaner kniff die Lider zusammen. »Ich habe mir Ihre Pferde angesehen, Americano. Sie tragen nicht das Brandzeichen der U.S.-Armee.«

»Das Tier, das ich ritt, brach sich ein Bein und ich musste es erschießen. Die beiden Pferde habe ich mir besorgt, bevor ich über die Grenze ging.«

»Es ist hunderten von Soldaten nicht gelungen, den Schlupfwinkel der Apachen zu finden«, murmelte der Mexikaner. »Auch Sie werden kein Glück haben, Americano.«

»Wir werden sehen. Vielleicht finden die Apachen mich.«

»Sie werfen sich diesen Wölfen regelrecht zum Fraß vor, Americano. Ich kann Ihnen nur raten, aufzugeben und in die Staaten zurückzukehren. Ihre Vorgesetzten werden sicher Verständnis dafür haben.« Manuel Fernandez zuckte mit den Schultern. »Aber Sie werden wohl selbst wissen, was Sie tun.«

Der Mexikaner machte kehrt und ging zur Tür, gleich darauf war er nach draußen verschwunden. Zehn Minuten später brachte die Frau das Essen. Es war ein Pampf aus roten Bohnen, Kartoffeln, Zwiebeln und kleinen Fleischstücken. Whitlock nahm den Holzlöffel, den ihm die Mexikanerin reichte, und machte sich heißhungrig über das Essen her. Es war scharf und mundete ihm ausgezeichnet, und er ließ nicht eine Bohne übrig. Danach trank er den Wein. Der Alkohol stieg ihm zu Kopf und er fragte die Mexikanerin, ob sie ihm ein Bett zur Verfügung stellen könnte.

»Si«, sagte die Frau. »Wir haben drei Zimmer, die wir an Reisende vermieten. Wenn Sie wollen, wasche ich Ihre Kleidung. Sie können auch im Fluss hinter der Station baden.«

»Vielen Dank«, murmelte Whitlock.

Die Frau zeigte ihm das Zimmer. Es befand sich in der anderen Baracke. Zwei Betten standen an den Längswänden, außerdem gab es eine alte, wurmstichige Kommode mit einem blinden Spiegel. Als Tyler Whitlock alleine war, warf er sich auf eines der Betten und schloss die Augen. Im nächsten Moment war er eingeschlafen.


*


Whitlock war seit einer Woche wieder in der Wüste unterwegs. Er war verstaubt und verschwitzt, hatte an Gewicht verloren, seine Kleidung war zerschlissen und dreckig. Am Rand einer staubigen Senke hatte er die Pferde angehalten. Seine Augen lagen in tiefen, dunklen Höhlen, die Lider waren entzündet. Aber sein Blick war hellwach und ihm entging nichts. Whitlock ließ ihn in die Runde schweifen. Schweigen herrschte in der Bergwelt. Unverrückbar und unüberwindlich reckten sich die zerklüfteten Felsgiganten zum Himmel. Schluchten und klaffende Risse teilten die Massive. Auf den Gipfeln lag Schnee. Manche ragten in ein Meer aus weißen Wolken hinein.

Mit einem Schenkeldruck trieb Whitlock sein Pferd an. Das Tier, das der Mann an der Longe führte, setzte sich ebenfalls in Bewegung. Tyler Whitlock zog in die Senke hinein. Ein heißer Wind aus Süden streifte sein Gesicht. Die Pferde gingen mit hängenden Köpfen. Müde zogen sie die Hufe durch den Staub.

Whitlocks Ziel war eine der Schluchten, die einen der himmelstürmenden Felsen spaltete. Am Eingang der Schlucht lagen Felsklötze in allen Größen und Formen. Der einsame Mann lenkte sein Pferd zwischen ihnen hindurch, und dann befand er sich zwischen den Felsen. Als er etwa zwanzig Yard geritten war, trat aus einem Felsriss vor ihm eine Gestalt. Sie hielt ein Gewehr an der Hüfte im Anschlag.

Whitlock fiel dem Pferd erschreckt in die Zügel und parierte es. Seine Hand zuckte zum Gewehrkolben, der aus dem Scabbard ragte. Es war ein Reflex, den aber Whitlocks Verstand im nächsten Moment einholte.

Hinter einem Felsen wuchs eine weitere Gestalt in die Höhe, die ebenfalls mit einem Gewehr auf Whitlock zielte.

Es waren Indianer – Apachen, die ihm den Weg verlegt hatten. In den dunklen Gesichtern regte sich nichts. Mit unergründlichem Blick fixierten sie den Reiter.

Langsam hob Tyler Whitlock die Hände in Schulterhöhe. Als er hinter sich ein Knacken vernahm, schaute er über die Schulter. Zwei Krieger lösten sich aus dem Schutz der Felsen, zwischen denen Whitlock hindurch geritten war, um in die Schlucht zu gelangen. Einer von ihnen hatte sein Gewehr durchgeladen.

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2023
ISBN (ePUB)
9783738972009
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Februar)
Schlagworte
chiricahua gejagten sierra madre pete hackett western edition

Autor

  • Pete Hackett (Autor:in)

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Titel: Chiricahua - Die Gejagten der Sierra Madre: Pete Hackett Western Edition 120