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Trevellian und der Kollateralschaden Mord: Kriminalroman

von Thomas West (Autor:in)
©2023 140 Seiten

Zusammenfassung

Krimi von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 114 Taschenbuchseiten.

FBI-Agent Trevellian steht vor einer schwierigen Aufgabe. Ein Polizist ist tot. Verstörte Kollegen, ein Haufen Ungereimtheiten und immer dieser Gedanke, etwas übersehen zu haben. Ist das ganze Polizei-Revier korrupt oder sind da nur ein paar schwarze Schafe, die das Recht für sich beanspruchen - koste es, was es wolle? Als immer mehr Leichen auftauchen, trifft Trevellian die richtige Entscheidung.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Trevellian und der Kollateralschaden Mord: Kriminalroman

Thomas West

Krimi von Thomas West


Der Umfang dieses Buchs entspricht 114 Taschenbuchseiten.


FBI-Agent Trevellian steht vor einer schwierigen Aufgabe. Ein Polizist ist tot. Verstörte Kollegen, ein Haufen Ungereimtheiten und immer dieser Gedanke, etwas übersehen zu haben. Ist das ganze Polizei-Revier korrupt oder sind da nur ein paar schwarze Schafe, die das Recht für sich beanspruchen - koste es, was es wolle? Als immer mehr Leichen auftauchen, trifft Trevellian die richtige Entscheidung.


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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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1

Ein Glückstag lag hinter Amos Lewis. Verdammt noch mal, was für ein guter Tag... Der hochgewachsene, dunkelhäutige Mann wankte über den Parkplatz. Du solltest ein Taxi rufen... Er fummelte den Autoschlüssel aus der Jacke. Was solls... soviel Schwein an einem Tag, da werd' ich auch mit ein paar Whiskys im Hirn gut nach Hause kommen... ohne dass mich die Bullen erwischen...

Lewis hatte Grund zum Feiern gehabt: Er hatte einen Job gefunden. Heute. Die >Transatlantik Traffic Bank< hatte ihn als Informatiker eingestellt. Der Vertrag steckte in der Innentasche seines Jacketts. Da kann man schon mal einen über den Durst trinken, oder?

Er zog die Autotür auf. Die Straßenbeleuchtung streute ihr kaltes Licht über die dicht an dicht stehenden Karossen auf dem nächtlichen Parkplatz.

Er hatte gleich in London angerufen. Joan war sprachlos gewesen. Sie hatte ihm den Kontakt vermittelt. Umwerfend, was die Frau für Beziehungen hatte. Zwei Wochen in diesem prächtigen Land, und schon ein Job! Wenn das kein Glück war, was dann?

Schritte knallten über den Asphalt. Lewis fuhr herum. Direkt vor ihm wuchs ein Schatten aus der Dunkelheit. Gleich dahinter noch einer.

Lewis duckte sich instinktiv. Etwas Langes, Dünnes sauste über seinen Kopf und knallte gegen den Türrahmen seines Mietwagens. Er rammte beide Fäuste in den Schatten hinein und traf den schmalen Körper des Angreifers. Der torkelte rückwärts gegen den zweiten Schatten hinter ihm.

Lewis warf sich in seinen Wagen, zog die Tür zu, hämmerte mit der Faust auf die Türverriegelung, drehte sich um, drückte die Verriegelung der hinteren Tür hinunter, warf sich auf die Beifahrerseite, und verschloss auch dort beide Türen.

"Scheißkerle!", brüllte er. Er zitterte. "Verfluchte Scheißkerle...!" Er griff in seine Jacke, zerrte sein Handy aus der Innentasche und wählte die 911.

Die Konturen zweier Körper tauchten an der Fahrerseite seines Wagens auf. Für Sekunden schwebte ein Gesicht draußen vor dem Seitenfenster. Ein junges Gesicht, schwarz, wie seines. Dann verschwand das Gesicht, und ein Knüppel krachte gegen die Scheibe. Oder war es ein Baseballschläger?

Lewis zuckte zusammen. "Nennen Sie Ihren Namen", plärrte eine Stimme aus dem Handy. "Beschreiben Sie den Notfall, was genau ist passiert? Wo genau ist es passiert?"

"Amos Lewis!", schrie Lewis. "Playground, Ludlow Street! Auf dem Parkplatz gegenüber der Bar! Zwei Männer überfallen mich! Sie schlagen...!"

Wieder krachte der Prügel gegen das Seitenfenster. Glas splitterte. Lewis warf sich auf den Beifahrersitz. Er hörte, wie die Tür aufgezogen wurde. Eine Hand griff nach ihm...



2

"Zentrale an Wagen 13, kommen."

Lieutenant Trevor Shannon griff zum Mikro. "Wagen 13 hört, kommen."

"Standort, kommen", plärrte die Stimme aus dem Funkgerät. Sergeant Henry Cox ging vom Gas.

"Livingston Street, Höhe Norfolk Street, kommen", sagte Shannon.

"Fahren Sie, 143 Ludlow Street, Überfall auf dem Parkplatz neben dem Playground kommen."

"Verstanden!"

"Ich kenn die Bar", sagte Cox und beschleunigte.

"Zentrale an 13 - Vorsicht, die Täter sind noch vor Ort, kommen."

"Verstanden. Verstärkung wäre nicht schlecht, Ende." Lieutenant Shannon hängte das Mikro in die Halterung. Er schaltete Rotlicht und Sirene ein. Der Streifenwagen fegte die Livington Street herunter und bog kurz darauf in die Ludow Street ein.

Die beiden Cops verfolgten den Funkverkehr zwischen der Zentrale und Wagen 15 mit - die Kollegen standen an der Kreuzung Allen Street, Delancey Street. Sie wurden ebenfalls zur Playground - Bar beordert.

Shannons Hand fuhr zum Kolben seiner Dienstwaffe. Er legte den Sicherungshebel um und lockerte die Pistole.

Fluchend blendete Cox auf, um einen lahmen Pick-up vor ihnen an den Straßenrand zu scheuchen. "Wohl besoffen", knurrte der Sergeant.

Shannon belauerte seinen Partner von der Seite. Er entdeckte Schweißperlen auf Cox' Stirn. Es war eine ziemlich warme Augustnacht, doch Shannon wusste, dass der Sergeant aus einem anderen Grund schwitzte. Henry Cox war ein ängstlicher Typ. Shannon mochte ihn nicht. Aber nicht deswegen.

"Wagen 15 an Wagen 13, kommen." Paul Bekhams Stimme aus dem Funkgerät. Shannon kannte den Sergeant gut. Natürlich - fast jeden aus dem siebten Revier kannte er gut.

Er griff wieder zum Funkgerät. "Dreizehn. Wir sind gleich da, kommen."

"Wir erreichen gerade die Kreuzung zur Orchand Street, Ende."

"Bullshit", zischte Cox. Mit hochgezogenen Schultern hing er hinter dem Steuer. Er zog an einem Cabby vorbei und wich einem Bus aus. "Wir werden vor ihnen da sein."

"Scheißegal", knurrte Shannon. "Drück aufs Gas."

"Was müssen die Leute so spät noch in den Kneipen herumsitzen." Bremslichter leuchteten vor ihnen auf. Die Fahrzeuge auf der nächtlichen Ludow Street fuhren an den Straßenrand, um sie vorbei zu lassen. "Sollen doch zu Hause bleiben..."

Arschloch, dachte Shannon. "Dort werden Sie von ihren Frauen überfallen", sagte er. Er beobachtete Cox - die angespannte Miene des Sergeants verzog sich zu einem verkrampften Grinsen.

Krampf und Spannung - seit Wochen prägte das die Beziehung zwischen den beiden Cops. Keine offen ausgetragene Spannung - eine, die unterschwellig vor sich hingärte. Shannon wusste genau, was gespielt wurde...

Endlich der Neonschriftzug über dem Eingang der Bar - Playground. Cox trat auf die Bremse. Noch bevor der Wagen zum Stehen gekommen war, stieß Shannon die Tür auf. Vor Cox her rannte er auf den Parkplatz.

Von weitem hörte er das Gebrüll einer Männerstimme...



3

...ein schmerzhafter Schlag traf ihn in die linke Niere. Amos Lewis schrie auf. Er wurde aus dem Wagen gerissen, er knallte auf den Asphalt. Das Geheul einer Polizeisirene schwoll an, Bremsen schrien, Wagentüren lärmten - nicht weit weg.

Lewis strampelte, schlug um sich, brüllte. Zwei Männer waren über ihm. Ein Stiefelabsatz traf ihn am Brustkorb. Röchelnd entwich ihm die Luft. Jemand griff unter seine Jacke und zog sein Brieftasche heraus. Er krallte sich an dem Arm fest, zog den Angreifer zu sich hinunter.

Wieder ein Tritt - er traf ihn an der Schläfe. Sein Bewusstsein torkelte in einen grauen Nebel hinein. Dann Schritte auf dem Asphalt. Umrisse eines großen Mannes zwischen den parkenden Wagen. Lewis erkannte eine Schirmmütze, und auch die Waffe in der Hand des Mannes konnte er sehen. "Polizei!", brüllte jemand. "Zur Hölle mit euch, ihr verfluchten Bastarde...!"

Von fern eine zweite Polizeisirene. Die Gewissheit der nahen Hilfe verlieh Lewis übermenschliche Kräfte. Joan, Joan, ich will leben... Das Gesicht seiner Freundin leuchtete auf seiner inneren Bühne auf. Den Angreifer über sich hielt er mit beiden Armen umklammert, den zweiten holte er mit einem gezielten Tritt von den Beinen....

Jemand beugte sich von hinten über ihn und packte den Mann, den er festhielt. Dessen Körper wurde von ihm gerissen. Lewis sprang auf und stürzte sich auf den zweiten Angreifer, der jetzt vor ihm auf dem Boden lag. Sie wälzten sich am Boden, ziellos trommelten Lewis' Fäuste auf das Gesicht des jungen Burschen ein.

Hinter sich hörte er Kampflärm. Männer röchelten und keuchten. Etwas knallte metallen auf den Asphalt. Lewis fuhr herum. Ein kleiner, dunkler Schatten neben dem linken Hinterreifen seines Wagens. Eine Pistole. Das Knie des Burschen unter ihm traf ihn unerwartet zwischen den Beinen, er krümmte sich zusammen.

Schmerz und Übelkeit zerrte an seinem Bewusstsein. Wie durch einen Nebel hörte er Schritte auf den Asphalt knallen. Stimmen drangen aus der Dunkelheit.

Plötzlich donnerten Schüsse über den Parkplatz. Viele Schüsse. Eine Sonne explodierte in Lewis' Kopf. Dann nichts mehr...



4

Vermutlich ist es untertrieben die Arbeitszeiten Linda McCains als eigensinnig zu bezeichnen. Nicht, dass es mich seit neustem nach geregelten Arbeitszeiten verlangt: Ich hatte an diesem Abend die Federal Plaza selbst erst nach elf Uhr abends verlassen.

Aber inzwischen lag Mitternacht lange hinter uns. Ich saß in Lindas Redaktionsbüro, blätterte in einem ihrer Magazine und wartete darauf, dass Linda endlich ihren Computer ausschalten würde.

„Nur noch fünf Minuten“, behauptete sie seit etwa einer Stunde. Ich wollte noch eine Kleinigkeit essen, ich wollte etwas trinken, ich wollte mich endlich ins Nachtleben Manhattans stürzen. Aber noch dringender wollte ich mit Linda zusammen sein. Also widmete ich mich geduldig einem der Hochglanzmagazine, mit deren Produktion Linda ihren Lebensunterhalt verdiente.

female nannte sich die Zeitschrift. Ein Blatt für junge Frauen. Ein ziemlich gewagtes Blatt übrigens. Frech, politisch ziemlich weit links, und auf jeder dritten Seite ein nackter Kerl. Sex war eindeutig das Hauptthema.

In dem Exemplar zum Beispiel, indem ich an jenem Abend blätterte, fand ich Erfahrungsberichte von Frauen über ihre Orgasmusfähigkeit, Tipps zur Steigerung derselben mittels Gymnastik und schwüler Phantasien, und Beschreibung reizvoller und ungewöhnliche Stellungen bei der schönsten Sache der Welt. Mit Fotos, versteht sich.

Ich wunderte mich, dass dieses Magazin noch keine Initiative >Eltern für die moralische Rettung ihrer Kinder und den Rest der Welt< auf den Plan gerufen hatte.

Linda und ihre Kolleginnen schienen der Ansicht zu sein, dass junge Frauen den ganzen Tag lang an nichts anderes denken, als an Sex.

Offen gesagt: Diese Einsicht stimmte mich zuversichtlich. Immerhin lag noch eine halbe Nacht vor uns.

Hin und wieder warf ich einen Blick auf die andere Seite des Schreibtisches. Hinter dem Monitor die schwarzen Locken Lindas, ihr kaffeebraunes Gesicht, ihre kupferfarbenen Augen. Linda McCain - eine Frau, die es fertig brachte, mich still und geduldig an einen Stuhl neben ihren Schreibtisch zu fesseln. Inzwischen schon eine Stunde lang.

Sie bemerkte meinen Blick und lächelte. "Noch fünf Minuten."

Seit knapp vier Wochen kannten wir uns. Chaotische vier Wochen. Mal hatten wir tagelang nichts voneinander gehört, mal stundenlang miteinander telefoniert. Einmal bis in den frühen Morgen hinein.

Mal hatten wir halbe Nächte in Bars, Kinos oder auf Konzerten verbracht, mal war ein Treffen schon nach ein paar Minuten vorbei, weil wir aus heiterem Himmel Streit bekamen, oder weil die Zentrale mich über Handy zu irgendeinem neuen Fall beorderte.

Kurz und schlecht: Weiter als bis zu ihrer Haustür hatte ich es noch nicht gebracht.

Es war ein einziges Hin und Her. Linda hatte was gegen meinen Job. So einfach war das. Und vermutlich lag das nicht einmal so sehr an meinen Job, als an Lindas hässlichen Kindheitserinnerungen: Ihr Vater war FBI-Agent gewesen. Unten in Miami. Sie hatte ihn nicht allzu oft zu Gesicht bekommen. Und als sie fünfzehn war, starb er durch eine Kugel.

Wahrscheinlich wäre es klüger gewesen, Linda zu vergessen. Doch - das wäre vernünftig gewesen. Aber es gibt da ein paar Dinge zwischen Himmel und Erde, gegen die ist auch die Vernunft machtlos. Zum Beispiel gegen die Liebe.

Jedenfalls waren wir für diesen Abend verabredet. Oder besser für die Nacht. Mein Blick fiel auf ihre große, schwarze Umhängetasche. Ich hoffte, Linda hatte ihre Zahnbürste eingepackt.

"Fertig." Ihre raue Altstimme.

Überrascht sah ich auf. "Schon?"

"Werd nicht zynisch, Jesse“, sagte Linda spitz. "Ich glaube, ich hatte noch nie das Vergnügen erfolgreich auf dich zu warten." Sie schaltete den Rechner aus.

"Hättest du denn gewartet?" Sie sagte nichts, sondern kam um den Schreibtisch gelaufen, zog mich vom Stuhl hoch und küsste mich. Eine deutlichere Antwort hätte ich mir nicht wünschen können.

"Und jetzt habe ich Hunger." Sie schnappte sich ihre Tasche und schlüpfte in ein schwarzes Spitzenteil, das weder Hemd noch Jackett war, aber wohl beides ersetzen sollte.

Ihre gesamte Kleidung war übrigens schwarz - Pumps, Stretchhose, Seidenshirt. Alles schwarz. Sogar das Ziffernblatt ihrer kleinen, rechteckigen Uhr.

Es war gegen ein Uhr nachts, als sie ihr Büro und den Haupteingang zu den Redaktionsräumen des female abschloss. Mit dem Aufzug fuhren wir aus der fünfzehnten Etage in die Tiefgarage des dreißigstöckigen Hochhauses. "Wo kriegen wir jetzt noch was zu essen?"

"Wie wäre es mit McSorley's Old Ale House?" In der ältesten Kneipe Manhattans bekam man auch nachts noch den einen oder anderen Snack.

"Gute Idee." Sie schmiegte sich an mich. Ich umarmte sie und genoss ihren warmen, festen Körper unter meinen Händen. Ihre Bewegungen, ihre Augen, ihre Hände - alles an ihr sprach eine eindeutige Sprache. Sie hatte ihre Zahnbürste dabei. Eine fantastische Nacht lag vor uns...

Wir stiegen in meinen Sportwagen und rollten aus der Tiefgarage. Ein paar Minuten später fuhren wir den nördlichen Washington Square entlang. Von diesem Teil Greenwich Villages aus war es nur ein Sprung hinüber in die East Village, wo McSorley's Old Ale House liegt.

Mein Autotelefon orgelte los. Linda zuckte zusammen. Aus den Augenwinkeln nahm ich es wahr. Ich nahm ab. "Trevellian?"

Der Chef selbst war in der Leitung. "Gut, dass Sie noch unterwegs sind, Jesse. Ich brauch jemanden in der Lower East Side. Dringend."

"Was liegt an." Ich ging vom Gas. Linda neben mir hatte einen Taschenspiegel ausgepackt und das Licht des Wagenhimmels eingeschaltet. Sie zog sich die Lippen nach.

"Captain Baxter vom siebten Revier hat angerufen. Einer seiner Leute ist in der Ludlow Street erschossen worden. Während eines Einsatzes."

"Heute Abend?", fragte ich verwundert. Wenn ein Cop getötet wurde, lag es im Ermessen des Revierleiters die Ermittlungsarbeit des FBI zu beantragen. Normalerweise dauerte es ein paar Tage, bis so ein Antrag bei uns in der Federal Plaza landete.

"Vor nicht mal einer Stunde", sagte Jonathan McKee. "Auf dem Parkplatz neben des Playgrounds. Der Captain hatte es eilig. Fragen Sie mich nicht, warum."

"In Ordnung, Sir - ich fahr hin." Ich hängte ein.

Lindas Miene verriet keine Gefühle. "Hoffentlich überfordere ich dich nicht, wenn ich dich bitte, mir vorher noch ein Taxi zu bestellen." Ihre raue Stimme klang unbeteiligt.

"Sorry, Linda", sagte ich heiser. "Tut mir Leid, wirklich." Ich griff wieder zum Telefon und bestellte ein Cabby zur New York University. Dort ließ ich sie aussteigen.

Sie beugte sich noch einmal zu mir in den Wagen hinein. "Tja, Mr. Trevellian - Job ist Job, und Frau ist Frau." Sie lächelte bitter. "Ich bin eine schlechte Verliererin, aber das ist mein Problem. Seien wir zur Abwechslung mal ganz ehrlich: Es hat keinen Sinn mit uns beiden. Leb wohl, Jesse."

Sie schlug die Tür zu. Ihre Pumps klapperten über den Asphalt, als sie zum wartenden Cabby schritt. Ich hätte schreien können...



5

Luisa starrte auf die nächtlichen Fassaden der Laight Street. Kaum Menschen auf dem Bürgersteig, kaum Bars oder Restaurants. Eine reine Wohngegend war das hier im westlichen TriBeCa. Ein mulmiges Gefühl beschlich Luisa.

Der Wagen hielt. "Wir sind da." Der Taxifahrer drehte sich nach ihr um. "Zwölf Dollar, Ma'am." Luisas Blick fiel auf die Borduhr. Kurz nach eins. Sie kramte die Geldbörse aus ihrer Brieftasche und gab ihm vierzehn Dollar. "Man dankt, Ma'am. Schönen Abend noch..."

Luisa kletterte aus dem Cabby und stieg die Vortreppe des Hauses hoch, neben dessen Eingang die Nummer hing, die ihr der Mann am Telefon genannt hatte. Aus der Jeanstasche kramte sie ihr Feuerzeug. Im flackernden Licht der Flamme überflog sie die Namen auf den Klingelschildern.

McAndrews - das war der Name, den der Mann ihr genannt hatte. Sie drückte den Klingelknopf daneben. "Wer ist da?" Eine sonore Stimme aus der Gegensprechanlage.

"Sie haben angerufen", sagte Luisa. "Wir haben eine Verabredung."

Der Türöffner summte. Luisa drückte die Haustür auf. Ein Lichtschalter leuchtete rötlich im Dunkeln des Treppenhauses. Sie presste die Handfläche dagegen. Licht flammte auf.

Leise stieg sie die Treppen zum dritten Stockwerk hinauf. Ihre Hand fuhr in ihre Umhängetasche und tastete das kalte Metall ihrer kleinen 22er Walther Pistole. Luisa machte den Job seit sechs Jahren. Sechs Jahre, in denen sie gelernt hatte jedem zu misstrauen. Sie legte den Sicherungshebel der Waffe um.

Der Mann im Türrahmen der offenen Wohnungstür im dritten Stock sah ungefähr so aus, wie sie sich ihn vorgestellt hatte: Mittelgroß, schmal, kantiges Gesicht, Mitte dreißig. Nur dass er aschgraues Haar hatte, überraschte sie. Erstens widersprach die Haarfarbe seinem jungen Gesicht, und zweitens hätte sie auf Grund der tiefen, sonoren Stimme einen älteren Mann mit schwarzem Haar erwartet.

"Kommen Sie rein", sagte er und trat zur Seite. Er trug ein weißes Hemd und dunkle Bundfaltenhosen. Der Hemdkragen stand offen, der Krawattenknoten war gelöst.

Luisa schob sich an ihm vorbei. Er schloss die Tür und reichte ihr die Hand. "Nennen Sie mich Ian. Schön, dass Sie gekommen sind. Seine geröteten Augen ruhten freundlich auf ihrem Gesicht. Sie roch seine Alkoholfahne.

"Luisa." Nur flüchtig drückte sie ihm die Hand. Die Begrüßung irritierte sie.

"Bitte." Er wies zu einer Sitzgruppe. Stahlrohr mit dunkelrotem Kunstleder, ein ovaler Glastisch. Darauf eine fast leere Rotweinflasche und ein halbvolles Glas.

Luisa blickte sich um, während sie durch den großen Raum schritt. Die Bücherregale an der Wand waren nur halbgefüllt, nirgends hing ein Bild, ein großer, schwarzer Musiktower fiel ins Auge, dezente Jazzklänge schwirrten durch den Raum, zwischen Couch und einem der Sessel ein Strahler, der die weiße Stuckdecke erleuchtete. Neben einem großen, rechteckigen Wandspiegel stapelten sich Umzugskartons.

Gegenüber der Sitzgruppe, auf einer Kommode ein TV-Gerät. Ohne Ton flimmerte ein Kriegsfilm über den Bildschirm.

Luisa nahm Platz. "Erledigen wir zuerst das Geschäftliche - ich nehm vierhundertfünfzig Dollar. Aber das hat ihnen die Agentur sicher gesagt."

Schweigend verschwand der Mann, den sie Ian nennen sollte durch eine offene Tür in einen Nachbarraum. Luisa sah ihm nach. Er ging unsicher. Sie erkannte einen Schreibtisch, einen Monitor und Aktenschränke.

McAndrews zog eine Schreibtischschublade auf. Luisa hörte Geldscheine rascheln. Neben ihm, über der Lehne eines Bürosessels hing ein Gurt. Luisa kniff die Augen zusammen. Ein Holster hing an dem Gurt, und aus dem Holster ragte der Kolben einer Waffe...

"Scheiße", zischte Luisa. Sie packte ihre Tasche, sprang auf und hastete zur Tür.

"Was ist los, Luisa?" Mit fünf Hundertern in der Hand stand er auf der Schwelle seines Arbeitszimmers. Eine steile Falte zwischen den grauen Brauen. Er wirkte verblüfft.

"Ich will nichts zu tun haben mit Bullen!", fauchte Luisa.

Er verstand nicht gleich. Dann drehte er sich um und blickte auf seine Waffe. "Ach so..." Er lächelte müde. "Ich bin kein Bulle. Ich bin Privatdetektiv..."

Sie taxierte ihn misstrauisch. Sekundenlang standen sie da und schwiegen, sie an der Apartmenttür, er auf der Schwelle seines Arbeitszimmers. "Willst du meine Lizenz sehen?"

Luisa nickte. Er ging zurück in sein Arbeitszimmer. Sie hörte ihn in irgendwelchen Unterlagen kramen. Schon halb beruhigt ließ sie die Türklinke los. Sie machte einen Schritt an den Umzugskisten vorbei und drehte sich zum Spiegel um. Schon als kleines Mädchen war Luisa an keinem Spiegel vorbeigekommen.

Der prüfende Blick auf ihr Spiegelbild beruhigte sie. Eine hochgewachsene Frau in engen Jeans und einer knappen, roten Bluse sah ihr entgegen. Hochhackige, rote Pumps, ein Goldkettchen um die schlanken Fesseln, schwarzes, langes Haar, schmales Gesicht, ein wenig eingefallen, brauner Teint und ein großer, grell geschminkter Mund. Große, goldene Kreolen an den Ohrläppchen, halb verdeckt durch das glatte, glänzende Haar. Luisa Guaterra war eine schöne Frau.

"Bitte." Sie fuhr herum. Ihr Spiegelbild hatte sie den Mann für Sekunden vergessen lassen. Er stand neben ihr und streckte ihr ein Papier in einer Klarsichthülle entgegen. Luisa nahm es ihm aus der Hand und überflog es. Es stimmte - der Grauhaarige war Privatdetektiv. Sie gab ihm die Lizenz zurück.

Er kramte das Geld aus der Tasche. Vierhundertfünfzig Dollar. Sie nahm es und ließ es in ihrer Umhängetasche verschwinden. "Was hast du gegen Polizisten?", wollte er wissen.

Luisa ging zurück zur Sitzgruppe. Die hohen Absätze ihrer Pumps klapperten über das Parkett. "Ich hasse sie", sagte sie leise. Sie warf ihre Tasche auf die Couch und begann ihre Bluse aufzuknöpfen. "Wie willst du es haben?", fragte sie.

Er beobachtete sie. Nichts Ungewöhnliches für Luisa. Die wenigsten stürzten sich sofort auf sie. Fast alle brauchten ein bisschen Zeit, um in Fahrt zu kommen. Fast alle aßen zuerst mit den Augen. Sie streifte sich die Bluse über die Schultern und bot ihm ihre spitzen, braunen Brüste.

McAndrews betrachtete sie, wie zwei exotische Früchte. Langsam kam er auf sie zu. Sein Gang hatte etwas Schleppendes. Es würde der Mann einen schweren Rucksack auf dem Rücken tragen. Trug er aber nicht. Zum ersten Mal sah sie ihm bewusst in die geröteten Augen. Sie waren so grau wie sein Haar. Und sie waren voller Trauer.

Er ließ die Lizenz auf den Glastisch fallen, streckte beide Arme aus, griff nach ihrer Bluse und zog sie ihr wieder über die Schulter. Das Lächeln, das dabei über seine Miene flog, ging Luisa unter die Haut. Ein wehmütiges Lächeln, voller Trauer und Hoffnungslosigkeit.

Die ganze Zeit betrachtete er ihre Brüste, während er die Bluse wieder zuknöpfte.

"Setz dich", sagte er. "Trinkst du Wein?" Ohne die Antwort abzuwarten ging er zum Regal und holte ein Weinglas heraus.

Luisa sank auf die Couch. Sie war eine Nutte. Eine ziemlich abgebrühte Nutte. Doch dieser Kerl erstaunte sie.

Er stellte das Glas vor sie auf den Glastisch, füllte es und schenkte auch sich selbst nach. "Normalerweise wäre ich schon tot." Er reichte ihr das Glas. "Ich hab Munition gesucht." Mit einer Kopfbewegung deutete er in sein Arbeitszimmer, wo der Waffengurt über der Stuhllehne hing. "Die Trommel ist leer."

Er nahm sein Glas auf. "Als ich die Kommodenschubladen nach einer frischen Packung durchwühlte, wurde die Nummer deiner Agentur eingeblendet."

Luisa blickte zur Mattscheibe. Drei Kampfjets stürzten sich aus dem Himmel auf einen Flugzeugträger herab. Sie wusste, dass ihre Agentur im Fernsehen warb. Langsam begriff sie. "Du... du wolltest dich... du wolltest dich umbringen?"

Er stieß sein Glas gegen ihres. "Auf dein Wohl, Luisa..."



6

Ein halbes Dutzend Streifenwagen mit blinkenden Rotlichtern bildeten einen halbkreisförmigen Wall rund um den Parkplatz neben der Bar. Cops drängten Gaffer und Mediengeier zurück. Das übliche Bild.

Ich schlüpfte unter dem Trassierband hindurch. Grelles Scheinwerferlicht beleuchtete parkende Fahrzeuge und gut zwanzig Männer und Frauen, die dazwischen herumliefen oder neben reglosen menschlichen Körpern knieten: Polizeifotografen, Mitarbeiter der Spurensicherung, uniformierte Cops, Polizeiärzte. Ich erkannte die massige Gestalt von Alexis Silas. Der Chefpathologe kniete neben einem jungen, farbigen Mann. Einem toten Mann.

Ein Uniformierter erkannte mich und kam auf mich zu. "Das ging aber flott, Jesse." Captain Charles Baxter, der Leiter des siebten Polizeireviers.

Ein untersetzter Mann Anfang vierzig. Rotes, rundes Gesicht, helles Stoppelhaar unter der Schirmmütze, Koteletten fast bis zum Unterkiefer. Er bewegte sich zielstrebig und zackig. Seine Vergangenheit als Soldat verriet sich in jeder seiner hölzern wirkenden Gesten. Wir begrüßten uns.

"Was ist passiert, Charley?", fragte ich.

"Eine große Scheiße ist passiert!" Er sprach so schnell, wie er sich bewegte. "Wir haben zwei Streifenwagen hierher geschickt. Ein Mann hat einen Notruf losgelassen. Zwei farbige Burschen wollten an seine Brieftasche, wie es aussieht. Einen meiner Männer hat es erwischt."

Ich blickte mich um. Vier Tote zählte ich. Zwei legten die Kollegen gerade in Leichensäcke. Der Captain bemerkte wohl meine fragende Miene. "Und die beiden Mistkerle sind auch tot", kam er meiner Frage zuvor. "Und der Mann, der den Notruf losgelassen hat auch", sagte er zerknirscht.

Ich schüttelte den Kopf. Mir fehlten die Worte. "Die Sache ist klar, Jesse. Trotzdem - mir ist wohler, wenn ihr einen Blick darauf werft."

"Warum?" Ich hatte das Gefühl, dass er nicht alles aussprach, was ihn beschäftigte.

"Einfach so." Er wich meinem Blick aus. "Du weißt, dass ich ein gründlicher Mensch bin." Tatsächlich hatte Baxter den Ruf eines Perfektionisten in der City Police.

Er nahm mich am Arm und führte mich zu einem Ambulanz-Van. Ärzte und Sanitäter waren dort mit drei Cops beschäftigt. Einer lag auf einer Trage im Inneren des Wagens. Zwei hockten auf dem Trittbrett der offenen Seite und rauchten.

Ich blieb am Heck des Wagens stehen und blickte hinein. Ein Arzt spritzte dem Cop auf der Trage ein Medikament in den Infusionsschlauch. "Lieutenant Jim Lafayette", erklärte Baxter. "Steht unter Schock."

Wir gingen um den Van herum zu den beiden Cops, die in der offenen Seitentür hockten. Sie hoben die Köpfe. Müde, stumpfe Augen blickten mich an. Augen von Männern, die man gerade durchgeprügelt hatte.

"Sergeant Paul Bekham und Lieutenant Trevor Shannon", stellte der Captain sie vor. "Das ist Special Agent Jesse Trevellian, Jungs. Könnt ihr ihm nochmal erzählen, was passiert ist?"

Bekham, ein schmalbrüstiger, dürrer Bursche von höchstens sechsundzwanzig Jahren und mit rotem, dünnem Haar senkte den Blick wieder. Der andere, Lieutenant Trevor Shannon, erzählte stockend.

"Wir rannten auf den Parkplatz... Henry und ich... die Burschen schlugen auf den Mann ein... wir konnten nicht schießen... es war dunkel... wir wussten nicht gleich, wer die Täter, wer das Opfer ist... Henry... Sergeant Cox packte einen der Kerle... der schlug ihm die Waffe aus der Hand... der Mann muss sie erwischt haben... der Mann, der die Zentrale angerufen hat... jedenfalls schoss er plötzlich um sich..."

Seine Stimme versagte. Er warf seine Zigarette weg und verbarg das Gesicht in seinen großen, fleischigen Händen.

Ich betrachtete den breitschultrigen Mann. Auf Mitte vierzig schätzte ich ihn. Schweiß glänzte auf seiner ausgeprägten Stirnglatze. Seine Arme waren muskulös und stark behaart, sein Gesicht, nun von den kräftigen Händen verdeckt, war breit und erinnerte entfernt an einen Boxerhund. Das Gesicht eines Gemütsmenschen. Wahrscheinlich heulte er seine Tränen in die Hände. Und wahrscheinlich schämte er sich dafür. Der Mann tat mir leid.

"Schon okay, Lieutenant", sagte ich. "Es ist hart, seinen Partner zu verlieren." Ich klopfte ihm auf die Schulter. "Ich melde mich bei Ihnen, dann reden wir nochmal über alles."

Ich nickte Baxter zu. Er setzte sich zwischen seine Männer in den Wagen. Ich wandte mich ab. Im harten Scheinwerferlicht sah ich die gewaltige Gestalt des Chefpathologen. Alexis Silas war einen halben Kopf größer als ich und wog fast dreihundert Pfund. Er stand vor einer der Leichen und streifte sich gerade die Latexhandschuhe ab. Ich ging zu ihm.

"Hi, Jesse. Wo hast du deinen Partner gelassen?" Er steckte die Handschuhe in einen Zellophanbeutel und ließ ihn in seine offene Arzttasche fallen.

"Irgendwo in der Unendlichkeit unseres hübschen Städtchens. Ich hab ihn seit fünf Stunden nicht mehr gesehen."

Milo war mit einer Frau zusammen. Einer Frau, die ich nicht kannte. Noch nicht. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nur, dass sie Carol hieß und beruflich auf Hawaii zu tun hatte.

Dort hatte Milo sie während eines Kurzurlaubes kennengelernt. Gestern war sie auf dem La Guardia Airport gelandet. Vermutlich hatte Jonathan McKee auch versucht, Milo anzurufen. Und vermutlich hatte er gerade keine Hand frei um sein Handy zu bedienen.

Ich blickte hinunter auf den Toten zu Alexis' Füßen. Ein farbiger Mann. Das Jackett seines Anzugs und sein weißes Hemd waren voller Blut. Seine rechte Schädelhälfte ein dunkelroter Krater. "Was kannst du mir erzählen?"

"Mindestens vier Kugeln." Der Pathologe holte eine Schachtel Benson&Hedges aus seinem Jackett. Er bot mir eine an. Ich griff zu. "Die Jungs, die ihn überfallen haben, sind ebenfalls Afroamerikaner. Einer von ihnen hat ihm angeblich die Polizeiwaffe aus der Hand gerissen und das restliche Magazin auf ihn abgeschossen."

"Angeblich?" Eine dünne Flamme schlug aus seinem silbernen Feuerzeug. Ich beugte mich darüber und zündete meine Zigarette an.

"Du kennst mich doch, Jesse." Seine wulstigen Lippen spitzten sich, als er die Zigarette in die Flamme hielt. "Ich bin Naturwissenschaftler. Von Tatsachen spreche ich selten." Der Rauch seiner Zigarette stieg in das Scheinwerferlicht hinauf. "Und wenn, dann erst, wenn ich glaube, sie bewiesen zu haben. Bis dahin spreche ich lieber von Theorien."

"Und die anderen?"

"Die Kerle, die ihn überfallen haben, sind geradezu mit Kugeln gespickt. Auch Afroamerikaner übrigens."

"Und der Cop?"

"Sergeant Cox?" Er machte eine Kopfbewegung nach rechts. Dort zogen zwei Mitarbeiter des Zentrallabors den Reißverschluss eines Leichensacks zu. "Schau ihn dir an. Eine Kugel. Durch die Stirn mitten ins Hirn."

Er bückte sich nach seiner Tasche. "Ich lass von mir hören, Jesse." Ich sah ihm hinterher, wie er zu seinem alten Volvo schaukelte.

Die Männer des Zentrallabors trugen den Leichensack mit dem Sergeant an mir vorbei. "Kann ich ihn nochmal sehen?" Sie warfen sich missmutige Blicke zu. Einer zuckte mit den Schultern. Sie setzten den Leichensack ab und zogen den Reißverschluss ein Stück hinunter. Soweit, dass ein wächsernes Gesicht zum Vorschein kam.

Ich ging vor dem Leichensack in die Hocke. Eine dünne Spur geronnenen Blutes zog sich von einem Loch in der Stirn zur rechten Schläfe.

Cox konnte nicht wesentlich älter als ich gewesen sein. Ich fragte mich, ob er während seiner Laufbahn als Polizist daran gedacht hat, eines Tages durch eine Kugel zu sterben. So wie ich oft daran denke. Und ich fragte mich, ob er mit Angst daran gedacht hat. Bitterkeit und Zorn stieg in mir hoch und machte mir das Atmen schwer.

"Ich weiß ja nicht, was Sie vorhaben, Sir", knurrte der Beamte am Fußende des Leichensacks. Ungeduldig wippte er auf den Schuhsohlen auf und ab. "Nur für den Fall, dass Sie den Mann verhören wollen - er ist tot..."



7

McAndrews redete. Stundenlang redete er. Trank Wein ohne Ende, rauchte Zigaretten ohne Ende und erzählte seine Geschichte. Luisa hörte die meiste Zeit nur zu. Am Anfang musste sie sich zwingen. Doch mehr und mehr begann sie der Mann zu interessieren.

Er hatte ein paar Jahre an der Wall Street gearbeitet. Und eine Menge Dollars gemacht. Ein Leben wie aus dem Bilderbuch: Karriere als Broker, glücklich verheiratet, ein Haus in Queens, ein Kind. Ein Junge. Frederick hieß er. Fast in jedem dritten Satz fiel der Name.

Vor drei Jahren hatte die Frau ihn verlassen. War nach Brooklyn gezogen. Zu einem anderen. McAndrews hatte sich mit Drogen und Alkohol betäubt. Und dann die übliche Leier - Kündigung, Schulden, Scheidung, noch mehr Schulden.

Der Junge war es gewesen, der ihm Halt gegeben hatte. Frederick und immer wieder Frederick. Fast beglückwünschte sich Luisa dafür, dass es in ihrem Leben nichts gab, was sie zu verlieren hatte.

McAndrews hatte sich eine Existenz als Detektiv aufgebaut. Das Geschäft lief mehr schlecht als recht. Aber es lief. Mindestens einmal in der Woche sah er seinen vierjährigen Sohn. Und fast jedes zweite Wochenende. Bis vor drei Tagen. Die Exfrau und ihr neuer Lover waren an die Westküste gezogen. Mit dem Kind.

Heimlich hatten sie es geplant. Kein Wort hatten sie McAndrews vorher gesagt. Er wollte den Jungen zum gemeinsamen Wochenende abholen und fand einen Möbelwagen vor dem Haus. Die neuen Mieter zogen schon in die leere Wohnung. Und jetzt stand er vor dem Nichts.

"Wenn ich die Patronen vor euerm Werbespot gefunden hätte..." Seine Zunge war schwer, seine Augen klein. "...das Problem wäre schon aus der Welt geschafft..." Er blickte in sein Arbeitszimmer. Zum Waffenholster über der Stuhllehne vor seinem Schreibtisch.

"Du tust mir Leid", sagte Luisa. "Aber nicht, weil deine Frau dich verlassen hat und an die Westküste gezogen ist. Das ist normal. Tausenden passiert sowas. So ist das Leben." Sie musterte sein bleiches Gesicht. Er war älter als sie. Und hatte noch nicht verstanden, wie das Leben ist. "Du tust mir Leid, weil du den falschen erschießen wolltest."

Er machte eine begriffsstutzige Miene.

"Ich an deiner Stelle wäre stinksauer", sagte Luisa. "Und hätte Lust sie zu erschießen."

Er grinste bitter. "Komisch", sagte er leise. "Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen."

"Deine Schwäche, Ian. Warst du immer so? Frauen stehen nicht auf Schwächlinge..."

"Knallhart", lallte er. "Du bist knallhart, Luisa..."

"Schon möglich." Sie wunderte sich über sich selbst. Der Mann gefiel ihr. Weil er genau das hatte, was sie ihm vorwarf. Weil er weich war. Weich und verletzlich.

"Erzähl mir deine Geschichte..." Er sprach verwaschen. Kaum noch konnte er gerade auf dem Sessel sitzen.

"Eine Geschichte wie hundert andere." Sie leerte ihr Weinglas. "Ich bring dich jetzt ins Bett." Sie stand auf und zog ihn aus dem Sessel. Er klammerte sich an ihre Schulter und lotste sie in sein Schlafzimmer. Auch dort keine Bilder an der Wand und ein Dutzend Umzugskartons auf und vor dem Schrank.

Luisa zerrte ihn zum Bett. Rücklings ließ er sich fallen. "Erzähl mir von dir...", lallte er.

"Es gibt nichts zu erzählen." Sie zog ihm Schuhe, Socken und Hosen aus. "Eine Kindheit in Costa Rica, die ich glücklicherweise vergessen habe. Dann in die Staaten, um Schauspielerin zu werden..." Er richtete sich schwankend auf, um sich von ihr aus dem Hemd helfen zu lassen. "Dann auf dem Straßenstrich in Brooklyn, bis die Scheißbullen mich erwischt haben. Und seit zwei Jahren Callgirl..."

Sie zog ihm die Unterhose herunter und beugte sich über seinen Schwanz. Er griff nach ihrem Kopf und zog sie zu sich. "Du hast bezahlt", sagte sie. "Also tu ich dir noch was Gutes." Sie drückte seine Hände von Ihrem Kopf weg.

"Ja", flüsterte er. "Tu mir was Gutes."

"Sag mir, was ich tun soll. Es ist mein Job, und du hast bezahlt..."

McAndrews streichelte ihre Wange, ihr Haar, ihre Brüste. Luisa konnte sich nicht erinnern, dass ein Mann sie jemals so zärtlich berührt hatte. "Komm wieder", sagte er...

Details

Seiten
Jahr
2023
ISBN (ePUB)
9783738971958
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Februar)
Schlagworte
trevellian kollateralschaden mord kriminalroman

Autor

  • Thomas West (Autor:in)

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Titel: Trevellian und der Kollateralschaden Mord: Kriminalroman