Zusammenfassung
Seinen Auftrag, Victorio zu finden und ihn zur Aufgabe zu bewegen, sah er als gescheitert an. Er befand sich in El Paso. Hier wollte er die Banditen erwarten und die Angelegenheit ein für allemal klären.
Die Kerle waren höllisch gefährlich. Whitlock gab sich keinen Illusionen hin. Scott Wilburn war tödlicher als ein Klapperschlangenbiss. Whitlock wusste aber, dass er keine Ruhe finden würde, solange Wilburn in der Lage war, auf seiner Fährte zu reiten. Darum wollte er sich in El Paso der Rache und dem Hass des Burschen stellen.
Tyler Whitlock saß im Saloon und legte eine Patience. Es gab außer ihm einige weitere Gäste. Leises Raunen und Flüstern erfüllte die Atmosphäre. Tabakrauch zog zur Tür. Es roch nach verschüttetem Bier.
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© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Chiricahua - Die Saat des Hasses: Pete Hackett Western Edition 116
Chiricahua
Band 3
Die Saat des Hasses
Western von Pete Hackett
Über den Autor
Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.
Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."
Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.
Tyler Whitlock wusste, dass Scott Wilburn und einige Kumpane auf dem Weg nach Süden waren, um ihn zu suchen und ihm eine blutige Rechnung zu präsentieren.
Seinen Auftrag, Victorio zu finden und ihn zur Aufgabe zu bewegen, sah er als gescheitert an. Er befand sich in El Paso. Hier wollte er die Banditen erwarten und die Angelegenheit ein für allemal klären.
Die Kerle waren höllisch gefährlich. Whitlock gab sich keinen Illusionen hin. Scott Wilburn war tödlicher als ein Klapperschlangenbiss. Whitlock wusste aber, dass er keine Ruhe finden würde, solange Wilburn in der Lage war, auf seiner Fährte zu reiten. Darum wollte er sich in El Paso der Rache und dem Hass des Burschen stellen.
Tyler Whitlock saß im Saloon und legte eine Patience. Es gab außer ihm einige weitere Gäste. Leises Raunen und Flüstern erfüllte die Atmosphäre. Tabakrauch zog zur Tür. Es roch nach verschüttetem Bier.
Seit vier Tagen befand sich der Lieutenant nun in der großen Stadt. Seit er wusste, dass Wilburn und sein Anhang auf seiner Fährte ritten, beobachtete er Tag für Tag die Hauptstraße. Er hatte sich vorgenommen, den Banditen sofort gegenüberzutreten, sobald sie in der Stadt ankamen.
Ein Mann betrat den Gastraum. Es war ein weißhaariger, hagerer Bursche um die sechzig, der sich das letzte Mal wohl vor drei Tagen rasiert hatte. Er sah aus wie ein kranker Vogel. Die Ränder seiner wässrigen Augen waren gerötet. Spitz sprang sein Kehlkopf aus dem dünnen Hals hervor. Auf der Stirn trug er einen grünen Augenschirm, seine Hemdsärmel wurden von schwarzen Bändern an den Oberarmen gehalten. Über seine Schultern spannten sich breite Hosenträger. In der rechten Hand trug er ein Blatt Papier. Die Flügeltür schlug knarrend hinter ihm aus. Er schaute sich um, richtete den Blick auf Whitlock und näherte sich dessen Tisch. Seine Absätze tackten auf den Dielen. Das Geräusch sprengte regelrecht die Stille im Schankraum.
»Lieutenant Tyler Whitlock?«, fragte er, als er anhielt.
Whitlock nickte. »Ja. Was gibt es.« Er hatte den Blick auf das faltige Gesicht des Oldtimers geheftet.
»Eine Depesche für Sie.«
Der Officer reichte Whitlock das Blatt Papier. Dieser nahm es und las. Seine Brauen schoben sich zusammen. Die Nachricht war von Colonel Ernest Randall aus Tularosa und lautete:
Victorio hat Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Er befindet sich in den Tres Castillo Hills zwischen El Paso und Chihuahua. Er will einen Frieden aushandeln, der es ihm ermöglicht, mit seinem Stamm nach Ojo Caliente zurückzukehren. Als Verhandlungspartner wünscht er Sie, Lieutenant. Reiten Sie in die Tres Castillo Hills und sprechen Sie mit Victorio. Teilen Sie uns seine Forderungen mit. Machen Sie ihm aber auch klar, dass er wegen vielfachen Mordes angeklagt werden wird.
Ein neuer Auftrag.
Gedankenvoll faltete Whitlock das Blatt Papier zusammen. Er nickte dem Mann aus dem Telegrafenbüro zu. »Vielen Dank.«
Der Oldtimer schwang herum und ging wieder. Jetzt merkte Whitlock auch, dass er leicht hinkte. Der Lieutenant trank sein Glas leer, schob die Karten zu einem Päckchen zusammen, bezahlte und verließ den Saloon. Er begann seine tägliche Tour durch die Mietställe der Stadt. Es gab insgesamt vier. In jedem fragte er, ob Scott Wilburn und sein Verein nach El Paso gekommen waren. Die Stallburschen wussten schon Bescheid. Die Beschreibung Scott Wilburns kannten sie. Whitlock hatte ihnen den Steckbrief gezeigt und er hatte ihnen den Banditen auch mit eigenen Worten beschrieben.
Es ging auf den Abend zu. Die Sonne stand weit im Westen. Die Schatten wanderten über die heiße Fahrbahn und stießen gegen die Fassaden auf der anderen Seite. Das Sonnenlicht brach sich in den Fensterscheiben, die nach Westen zeigten und brachte sie zum Leuchten. Ein sachter Wind trieb Staubspiralen vor sich her. Mütter holten ihre Kinder von der Straße. Die Männer beendeten ihr Tagwerk und begaben sich nach Hause.
In keinem der Mietställe war ein Reiter angekommen, auf den die Beschreibung Wilburns zugetroffen hätte.
Whitlock begab sich zur Telegrafenstation. Der Officer saß an seinem Schreibtisch mit dem Apparat. Er schaute Whitlock an. »Werden Sie in die Tres Castillo Hills reiten, Lieutenant?«, fragte er mit nasaler Stimme und holte Luft. Seine Bronchien pfiffen asthmatisch. »Zwischen El Paso und Chihuahua wimmelt es von rotem und weißem Gesindel. Ich weiß von einem Burschen namens El Vencedor, der die Gegend mit einer ganzen Horde von Bravados unsicher macht. Außerdem halten sich die Rurales in dem Gebiet auf. Ein Übel ist so schlimm wie das andere. Nicht zu vergessen die Rothäute. Sie sind unberechenbar und Ihr blauer Rock wird auf sie wirken wie das rote Tuch auf einen mexikanischen Kampfstier.«
Whitlock lachte. »Schicken Sie eine Depesche an Colonel Randall, Camp Tularosa. Teilen Sie ihm mit, dass ich noch drei Tage warten und dann nach Süden reiten werde. Er erfährt sofort Bescheid, wenn ich mit Victorio gesprochen habe.«
Der Officer setzte die Meldung auf und gab seine Notizen Whitlock zum Lesen. Dieser überflog sie mit den Augen und nickte: »Gut so. Senden Sie den Text.«
Der Officer begann die Tasten zu bearbeiten.
*
Scott Wilburn, sein Bruder und Glenn Farley kamen zwei Tage später nach El Paso. Der Stallmann, zu dem sie ihre Pferde brachten, erkannte sie auf Anhieb. Die drei Banditen nahmen ihre Gewehre und Satteltaschen und verließen den Mietstall. Der Pferdeknecht sattelte und zäumte die müden Tiere ab, stellte sie in eine Box, dann lief er zum Rio Grande Saloon und traf dort Whitlock.
»Sie sind angekommen, Lieutenant«, berichtete der Stallbursche. Er hatte sich mit beiden Armen auf den Tisch gestemmt und stand vornüber geneigt da. Sein Atem ging vom Laufen etwas schneller, sein Gesicht hatte sich etwas gerötet. »Es sind drei. Sehen ziemlich hart gesotten und verwegen aus. Sie sollten sich wohl besser an den Sheriff wenden.«
»Wissen Sie, wo sich die Kerle einquartiert haben?«, fragte der Lieutenant ruhig.
»Nein. Sie sprachen nichts und stellten keine Fragen.«
»Nehmen Sie einen Drink auf meine Rechnung«, sagte Whitlock, dann erhob er sich und knöpfte seine Uniformjacke zu.
Er verließ den Saloon und klapperte nacheinander die Hotels ab. In Lancers Boarding House wurde er fündig. Hier waren drei Männer abgestiegen. Die Wilburns hatten sich falsche Namen verpasst. Sicher, sie mussten vorsichtig sein, denn sie wurden in Texas steckbrieflich gesucht. Hier wartete der Galgen auf sie.
Whitlock ging zu dem Schlafsaal, den ihm der Clerk bezeichnete und in dem das Trio untergebracht war. Es gab hier ein Dutzend Betten. Auf dreien davon lagen die Kerle. Einer hatte die Arme über der Brust verschränkt, der andere lag auf der Seite und hatte die Augen geschlossen, der dritte hatte die Hände hinter den Kopf gelegt und starrte hinauf zur Decke.
Scott Wilburn nahm jetzt vorsichtig die Arme aus der Verschränkung. Die Fliege, die über sein Gesicht gekrochen war, flog davon. Sie piesackte den Banditen schon eine ganze Weile, und er war sich sicher, dass sie wiederkommen würde. Dann wollte er ihr den Garaus machen.
Aber die Fliege wurde sehr schnell unwichtig.
Whitlocks Schritte dröhnten auf den Fußbodendielen. Das Geräusch brach schlagartig ab, als er anhielt, ebenso verstummte das leise Klirren seiner Sporen. »Ihr sucht mich, nicht wahr?« Wie Bleiklumpen tropften die Worte von seinen Lippen. Sie entfernten sich von ihm und versanken in der atemlosen Stille, die unvermittelt in dem Raum herrschte und die für die Spanne dreier Herzschläge anhielt.
Dann sprangen die drei Kerle fast gleichzeitig auf. Es war, als würden sie auf ein unhörbares Kommando reagieren. Ein eingespieltes Team. Sie bewegten sich schnell und geschmeidig, jede ihrer Bewegungen war von tödlicher Präzision. Ihre Hände sausten zu den Revolvern. Es gab nichts zu sagen. Die Banditen hatten begriffen, dass das Wild, das sie gejagt hatten, sich ihnen gestellt hatte. Und jetzt wurden die Kerle von der tödlichen Leidenschaft übermannt.
Scott Wilburn hatte den Colt zuerst in der Faust. Aber er war nicht schnell genug. Als ihn Whitlocks Kugel traf, hatte er sein Eisen noch nicht einmal in der Waagerechten. Das Geschoss fuhr ihm in die Brust und warf ihn zu Boden. Die Detonation drohte das Gebäude in seinen Fundamenten zu erschüttern. Und in den Knall hinein schoss Whitlock erneut. Im selben Moment glitt er zur Seite. Aus Lester Wilburns Revolver stieß eine handlange Mündungsflamme. Aber die Kugel verfehlte Whitlock. Dessen Blei hingegen fegte Glenn Farley von den Beinen.
Lester Wilburn rannte zu einem der hochgeschobenen Fenster und hechtete ins Freie.
Whitlock setzte sich in Bewegung. Er baute sich neben dem Fenster an der Wand auf und äugte nach draußen. Schnelle Schritte entfernten sich. Dann war nichts mehr zu hören.
Im Raum zerflatterte Pulverdampf.
Glenn Farley stöhnte.
Scott Wilburn rührte sich nicht.
Tyler Whitlock senkte die Hand mit dem Colt und ging zu Wilburn hin, kniete bei ihm nieder und stellte fest, dass Wilburn tot war. Die Augen des Banditen starrten gebrochen ins Leere. Sein Mund war wie zu einem letzten Schrei halb geöffnet.
Whitlocks Kiefer mahlten. Er hatte kein Mitleid. Wilburn hatte sein Schicksal herausgefordert, und er hatte den Tod mehr als einmal verdient. Der Lieutenant richtete sich auf und schritt zu Glenn Farley hin.
Jetzt kamen einige Männer in den Raum.
»Dein Kumpel Wilburn ist tot«, sagte Whitlock zu Glenn Farley, dessen Lider zuckten. Aus fiebrigen Augen, in denen der Schmerz wühlte, starrte er Whitlock an. »Ihr habt es euch selbst zuzuschreiben. Auch du wirst sterben, Farley. Du bist ein Mörder. Am Ende deines Trails wartet allerdings der Strick.«
»Geh zur Hölle!«
Whitlock wandte sich ohne die Spur einer Gemütsregung ab und ging zur Tür. Vor dem Boarding House begegnete er dem Sheriff und klärte ihn mit knappen Worten auf. Der Sheriff wusste Bescheid. Whitlock hatte sich vorher mit ihm in Verbindung gesetzt und ihn nicht im Unklaren darüber gelassen, dass er in El Paso auf die drei Banditen wartete. Der Sheriff wusste auch über Whitlocks weitere Mission Bescheid.
»Einer ist Ihnen also entkommen?«
»Wie es aussieht, handelt es sich um Wilburns Bruder. Nun, ich werde wohl auch ihn töten müssen, wenn ich Ruhe finden will.«
Der Sheriff ging in das Boarding House. Whitlocks letzter Satz klang in ihm nach. Töten oder getötet werden. Das war die Quintessenz der Worte Whitlocks.
Whitlock begab sich zu dem Mietstall, dessen Stallmann ihm von der Ankunft der Banditen berichtet hatte. »Es gibt nur noch einen der Kerle, die nach El Paso gekommen sind, um mir den Höllenmarsch zu blasen. Sagen Sie mir Bescheid, wenn er sein Pferd geholt hat. Und tun Sie nichts, was ihn provozieren könnte.«
Der Stallmann sagte es zu.
Whitlock kehrte auf die Straße zurück. Er war angespannt bis in die letzte Körperfaser. Von dem Banditen, der entkommen war, ging tödliche Gefahr aus. Whitlock war hellwach, sein Blick sprang in die Runde, er war darauf eingestellt, blitzartig zu reagieren.
Da sah er es zwischen zwei Häusern auf der anderen Straßenseite aufblitzen. Der Mündungsblitz wurde vom Dröhnen einer Winchester begleitet, der Knall stieß – begleitet von heißem Blei – über die Straße. Der Lieutenant machte eine Seitwärtsbewegung, spürte den glühenden Hauch der Kugel an der Wange, ging sofort in die Hocke und riss den Revolver aus dem Holster, warf sich zur Seite und rollte über die Straße. Ein zweiter Schuss krachte und peitschte eine Ladung voll Erdreich über ihn. Das alles hatte sich in wenigen Sekundenbruchteilen abgespielt.
Jetzt kam Whitlock hoch und hetzte geduckt los. Er schlug Haken wie ein Hase. Eine dritte Kugel streifte ihn am Oberarm. Dann warf er sich hinter einen Tränketrog in Deckung. Ein viertes Geschoss hämmerte ein Loch in dessen Seitenwand und ein fingerdicker Strahl Wasser ergoss sich in den Staub.
Whitlock widmete sich dem Schützen. Aber dem wurde jetzt wohl der Boden hier zu heiß und er ergriff die Flucht, verschwand hinter den Häusern.
Whitlocks nervige Faust umspannte den Revolvergriff. Weiß traten die Knöchel unter der Faust hervor. Die Streifschusswunde am Oberarm brannte wie Höllenfeuer. Der Lieutenant biss die Zähne zusammen, sodass die Backenknochen scharf aus seinem Gesicht hervor sprangen und ihm ein kantiges Aussehen verliehen. Die Augen blickten scharf und klar. Jeder seiner Sinne war aktiviert.
Die Menschen waren in Panik von der Straße geflohen, als es zu krachen begann. Jetzt wagten sie sich langsam und zögerlich wieder aus ihren Deckungen hervor. Auch aus den Häusern kamen Neugierige. Dabei war die Gefahr noch nicht gebannt. Aber die Sensationsgier war größer als die Angst.
Whitlock lief in die Passage, aus der er beschossen worden war. Am Boden lagen einige Kartuschen. Er wusste, dass er Glück gehabt hatte. Ebenso gut hätte er tot sein können.
Der Schütze war verschwunden. Whitlock kehrte auf die Straße zurück.
*
Alamo Alto, ein kleiner Ort am Rio Grande, vierzig Meilen südöstlich von El Paso.
Die Dunkelheit lichtete sich. Überall lagerten noch die Schatten der Nacht zwischen den stillen Häusern. Der Himmel über den Dächern war von einem bleiernen Grau. Im Osten, wo die Straße zwischen den Hügeln verschwand, hing ein mattgelber Streifen über dem welligen Horizont. Die Bäume, die den Rio Grande säumten, waren dunkle, drohende Schatten im Dämmergrau.
Dunst stieg über die Dächer des Ortes und wurde von den ersten Sonnenstrahlen aufgezehrt. Auf den Gräsern rund um die Ortschaft lag der Tau. Nebelfetzen umtanzten die Baumkronen und woben zwischen den Büschen.
Ein unseliger Tag brach an. Der kleine Ort vermittelte Ruhe und Frieden. Doch das Unheil braute sich bereits drohend zusammen – wie dunkle Wolken, die sich vor einem schweren Gewitter am Himmel ballten.
Der Tod schlich auf kniehohen Mokassins heran. Mittelgroße, sehnige Gestalten näherten sich im Schutz der Morgendämmerung und des Nebels der Ortschaft. In ihren schwarzen Augen loderten die vernichtende Leidenschaft und der Wille zum Töten. Die Krieger waren mit Pfeil und Bogen, mit Tomahawks und Schädelbrechern bewaffnet, einige von ihnen besaßen Gewehre. Was sie im Herzen trugen, war noch vernichtender als die Waffen in ihren Händen.
Der Stallmann von Alamo Alto verließ den Stall. Er hatte schon die Boxen ausgemistet. Die Stadt erwachte zum Leben. Jeremias Welsh, so hieß der Stallbursche, vernahm die altvertrauten, allmorgendlichen Geräusche. Er ging zum Brunnen und ließ den Eimer hinunter. Klatschend schlug er auf dem Wasser auf. Die Winde quietschte durchdringend, als er ihn wieder hochhievte. Er füllte einen weiteren Eimer und trug beide Behältnisse in den Stall. Nach und nach versorgte er sämtliche Pferde mit Wasser, dann füllte er Hafer in die Futtertröge und stopfte Heu in die Raufen, um anschließend wieder den Stall zu verlassen. Er begab sich zur Scheune, nahm mit beiden Armen einen großen Ballen Stroh und trug ihn über den Hof. Jeremias Welsh konnte kaum über die Last hinwegblicken. Trotzdem entdeckte er zwei - drei huschende Gestalten. Ihm stockte sekundenlang der Atem, er verschluckte sich, hüstelte, erstarrte und riss die Augen auf.
Ein Pfeil zischte lautlos heran und bohrte sich in das Stroh. Irgendwo krachte ein Schuss. Ein zweiter Pfeil bohrte sich mit einem dumpfen Schlag in die Stallwand. Rauch stieg vor dem Blick des Stallburschen hoch. Er spürte die Hitze von Feuer an den Händen und ließ den Strohballen fallen.
Brandpfeile! Schlagartig erfasste er es. Ein gepresster Ton entfuhr ihm. Ihm war, als legte sich ein eisiger Finger auf sein Herz. Eine Welle des Entsetzens überspülte ihn, eine zweite folgte. Sein Mund öffnete sich, aber der Schrei erstarb in der Kehle. Seine Stimmbänder versagten. Nur ein misstönendes Krächzen stieg aus seinem Hals. Doch es gelang ihm, die Lähmung abzuschütteln, und er rannte zum Stall.
Ein Pfeil holte ihn ein. Jeremias Welsh verspürte den schmerzhaften Aufschlag im Rücken, warf beide Arme hoch, machte das Kreuz hohl und prallte auf die Erde. Seine Finger krallten sich in den Untergrund, seine Nägel brachen. Er bäumte sich noch einmal auf, ein Röcheln brach aus seiner Kehle, dann fiel er auf das Gesicht und starb.
Überall zwischen den Häusern waren plötzlich Indianer.
Ein tödliches Drama, in dem der Satan persönlich Regie führte, bahnte sich an.
Ein Schrei ging durch die Stadt, wurde aus vielen Kehlen vervielfältigt, Schüsse peitschten. Männer rannten im Schlafgewand oder im Unterzeug, bewaffnet mit Gewehren und Revolvern, aus ihren Häusern. Sie feuerten auf die springenden und hetzenden und fürchterlich heulenden Schemen, die in Häuser und Hütten eindrangen und dort furchtbar wüteten. Ihre Grausamkeit kannte keine Grenzen.
Menschen flüchteten ins Freie. Männer, Frauen und Kinder. Bogensehnen schwirrten, Pfeile schnellten auf sie zu, heißes Blei fand gnadenlos sein Ziel. Es gab kein Erbarmen und keine Gnade – es gab nur den Hass und die tödliche Leidenschaft.
Die Apachen schrien und kreischten und feuerten wie irrsinnig, ohne wirklich zu zielen. Die eine oder andere Kugel fand ihr Ziel dennoch. Röchelnd stürzten viele Menschen in den Staub. Jene, die es nicht traf, suchten ihr Heil in der Flucht zur Kirche, drängten sich vor dem Portal. Das panische Entsetzen machte sie rücksichtslos. Jeder war sich nur noch selbst der Nächste.
Viele Männer, die auf die Straße geeilt waren, um ihre Stadt zu verteidigen, lagen im Staub. Die Gesichter der anderen, die verbissen um sich feuerten, waren bleich, in der Anspannung verkrampft. Das Grauen hatte diese Männer gepackt. Blindwütig feuerten sie auf alles, was sich bewegte.
In Alamo Alto regierte die brutale Gewalt.
In der dem Hotel gegenüberliegenden Gasse lag ein Mann auf dem Gesicht. Ein Krieger beugte sich gerade über ihn, packte ihn bei den Haaren, setzte das blitzende Messer an. Ein Schuss krachte. Mit einem Aufschrei fiel der Indianer über den Toten. Ein Krieger warf sich mit zum Schlag erhobenen Tomahawk auf den Schützen und spaltete ihm den Schädel.
Es war der Irrsinn brutalster Gewalt.
In den Häusern brannte es. Rauch wälzte sich aus den Türen und Fenstern, trieb über die Main Street und verdunkelte die Stadt.
Die Schreie Sterbender gellten durch Alamo Alto, wurden übertönt vom Geheul der Apachen. Kopflos gewordene Menschen hasteten kreuz und quer über die Fahrbahn, rannten blindlings in den Tod. Überall waren weinende Kinder, kreischende Frauen, wimmernde Männer, die aus schrecklichen Wunden bluteten.
Und das Grauen nahm kein Ende.
Pulverdampf wölkte. Die Schüsse verdichteten sich zu einem einzigen, lauten Donner. Das wilde Heulen der Querschläger zog durch die Stadt. Der Lärm wurde von den Hauswänden zurückgeworfen und staute sich in den Straßen und Gassen. Geschrei setzte sich in alle Richtungen fort. Schritte trampelten, Männer rannten brüllend und schießend durch die engen Gassen.
Überall lagen tote Krieger, aber auch getötete Stadtbewohner. Auf der Straße brach ein Mann mit einem Pfeil in der Brust sterbend zusammen. Verwundete schleppten sich zwischen die Häuser. Eine Frau floh mit wehenden Röcken und fliegenden Haaren aus einer Tür. Sie schrie wie am Spieß. Ein Krieger mit zum Schlag erhobenem Tomahawk verfolgte sie. Jemand schoss ihn von den Beinen. Die Frau verschwand auf der anderen Straßenseite zwischen zwei Häusern.
Der Kampflärm war angeschwollen zum höllischen Inferno und drang weit über die Grenzen der Stadt hinaus.
Dann aber verschwanden die Apachen genauso schnell wieder, wie sie gekommen waren. Stille senkte sich in die Stadt, die nur vom Wimmern und Stöhnen Verwundeter durchbrochen wurde. Es war die Stille des Todes. Rauchschwaden trieben auf der Straße. Aus manchen Häusern schlugen Flammen.
Der Bann fiel, als jemand brüllte: »Wir müssen löschen! Bildet eine Eimerkette zum Fluss hin, sonst brennt die ganze Stadt nieder.«
Doch es war vergeblich. Alamo Alto wurde ein Raub der Flammen.
Ein Bote wurde nach Fort Bliss geschickt. Er ritt fast sein Pferd zuschanden. Am Abend erreichte er das Fort. Sofort wurde eine Patrouille in Marsch gesetzt, die sich nach Alamo Alto begeben und dort die Spur der Apachen aufnehmen sollte.
*
Die Spur der Apachen führte in die Wildnis von Chihuahua. Hier gab es nur totes Gestein, Staub, dorniges Gestrüpp, Kakteen, Skorpione und Klapperschlangen.
Längst hatten die Soldaten ihre blauen Feldblusen ausgezogen, zusammengerollt und auf die Sättel geschnürt. In ihren Wollhemden - mit den Hosenträgern, die sich zwischen ihren Schulterblättern kreuzten - und den sonnenverbrannten Gesichtern unter den geschwungenen Krempen der Feldhüte sahen sie ziemlich hart gesotten und verwegen aus. Diese Burschen waren stolz darauf, zur Grenzkavallerie im Süden des Landes zu gehören. Stolz ritten sie im Zeichen der gekreuzten Säbel, im verwaschenen Blau und dem schmutzigen Gelb, mit den großen, flatternden Halstüchern, die als Topflappen, Wundverbände und Wassersieb benutzt wurden und die, wenn es nötig war, den Pferden als Scheuklappen vor die Augen gebunden wurden.
Die Patrouille ritt in einen Einschnitt zwischen zwei Hügeln. Und plötzlich waren die Indianer da. Sie schwärmten zu beiden Seiten über die Hügelkuppen, kamen von vorn und verlegten den Kavalleristen den Rückweg.
Wie eine Horde Teufel fielen sie über die Soldaten her. Männer und Pferde wälzten sich verwundet am Boden. Die Kämpfer verbissen sich regelrecht ineinander. Soldaten starben, aber auch Apachen. Das Geschrei vermischte sich mit dem Krachen von Revolverschüssen.
Dann zogen sich die Apachen zurück. Das Blut der Getöteten und Verwundeten versickerte im Staub. »Rundumsicherung!«, befahl der Captain, der die Patrouille führte. Er schaute sich um. In seinen Augen flackerte das Entsetzen. Die Hälfte seiner Männer war tot, und von denen, die noch lebten, waren wohl an die zwei Drittel verwundet.
Tote Pferde lagen am Boden. Wiehern erhob sich. Zwei – drei Tiere keilten im Todeskampf mit den Hufen aus.
»Wir ziehen uns zurück!«, gebot der Captain. »Hier in dieser Lücke haben wir keine Chance. Großer Gott, wir sind den roten Heiden wie ein paar blutige Anfänger in die Falle gegangen. Was ist mit den Scouts?«
»Die schmorten gewiss schon in der Hölle, als wir in diesen Einschnitt ritten«, versetzte ein Sergeant grimmig. »Wir wähnten die roten Teufel auf der Flucht vor uns. Dabei...« Schluchzend brach der Sergeant ab. Die Gefühle übermannten ihn.
Sie benutzten die Pferde, die noch lebten, als Deckung. Langsam zogen sie sich zurück. Die Indianer ließen sie gewähren. Wahrscheinlich leckten sie sich ihre Wunden.
Sie verließen die Hügellücke und zogen sich weit in die Ebene zurück. Sie hier auf offenem Feld anzugreifen würden die Apachen nicht wagen.
Es waren noch dreizehn Männer. Neun bluteten aus kleineren und größeren Wunden. Die Soldaten halfen sich gegenseitig und verbanden sich.
Captain Draeger schaute zum ungetrübten Himmel empor. Es war Mittagszeit. Die Sonne stand hoch im Zenit. Die Hitze setzte Menschen und Tieren zu. Schwarze Wolken von Fliegen, angelockt vom Blutgeruch und vom Schweiß, hüllten Pferde und Soldaten ein. Die Pferde peitschten mit den Schweifen.
Die Patrouille war auf dem Weg nach Süden gewesen. Sie befand sich auf mexikanischem Boden. Entsprechende Abkommen zwischen Mexiko und den Staaten gab es. Um die Apachen zu verfolgen durften die Soldaten grenzüberschreitend tätig werden.
Die Ebene, in der sie lagerten, war gesäumt von Felswänden und Hügeln, aus deren Kuppen sich ruinenartige Felsgebilde erhoben. Es gab Spalten und Einschnitte, die sich dunkel abhoben; Schluchten, die an die aufgerissenen Mäuler vorsintflutlicher, versteinerter Ungeheuer erinnerten, in denen Gefahr und Tod lauern konnten.
»Wir kehren in die Staaten zurück«, sagte Captain Sam Draeger. »Mit dieser dezimierten Truppe den Apachen zu folgen wäre Selbstmord.«
»Da kommt ein Reiter!«, rief einer der Soldaten und deutete nach Norden. »Er hat ein zweites Pferd bei sich.«
In der Tat. Vor einem der Einschnitte bewegte sich ein schwarzer Punkt. Der Captain holte sein Fernglas aus der Satteltasche und schaute hindurch. »Es ist ein Weißer, ein Soldat. Bin neugierig, was er alleine in dieser verdammten Gegend zu suchen hat.«
Der Punkt näherte sich, wurde deutlicher, und war bald mit dem bloßen Auge als Reiter zu erkennen. Er zog eine wallende Staubfahne hinter sich her. Sein Pferd trabte. Ein zweites Tier führte er an der Longe mit sich. An seinem Sattel hingen zwei Wassersäcke und einige Leinensäcke mit Proviant, die den Aufdruck U.S. Army trugen.
Es war Tyler Whitlock. Er parierte das Pferd. Das Packpferd blieb automatisch stehen. Die beiden Tiere stampften und schnaubten. Der Lieutenant nahm die Eindrücke auf, die sich ihm boten. Dann nickte er: »Sie hatten einen Zusammenstoß mit den Apachen.«
»Ja, es ist die Bande, die Alamo Alto überfiel und dem Erdboden gleichmachte.« Der Captain kniff die Augen ein wenig zusammen. »Was ist Ihr Ziel, Lieutenant?«
»Mein Name ist Tyler Whitlock. Ich bin auf dem Weg zu Victorio in die Tres Castillo Hills. Er hat Verhandlungsbereitschaft signalisiert und mich als Verhandlungspartner gefordert. Sie sagen, seine Leute haben einen Ort überfallen?«
»Ja, Alamo Alto, vierzig Meilen südöstlich von El Paso am Rio Grande.« Der Captain lachte bitter, um nicht zu sagen gallig auf. »Ich kann es kaum glauben, dass Victorio zum Friedensschluss bereit sein soll. Himmel, will man ihm wieder all die Verbrechen nachsehen, die er begangen hat?«
»Nein.« Whitlock wies nach Süden. »Sieht aus, als würden die Apachen noch einmal kommen.«
Vor der Felswand am Rand der Ebene zogen etwa zwei Dutzend Reiter auf. Es war ein farbenprächtiges Bild. Die Krieger trugen verschiedenfarbige Kopftücher und Hemden. Das Sonnenlicht brach sich auf den Stahlteilen ihrer Gewehre, den Spitzen ihrer Lanzen und den Schneiden ihrer Äxte. Es war ein frostiges Glitzern.
»Wenn wir sie hier erwarten, werden wir zwar einige von ihnen töten«, stieß der Captain grollend hervor. »Doch am Ende werden wir alle tot sein. Darum ziehen wir weiter nach Norden. Kommen Sie mit uns, Lieutenant.«
»Nein. Ich reite weiter.«
»Aber...«
»Ich suche Victorio. Wenn mich jemand zu ihm bringen kann, dann sind es diese Krieger. Ich muss das Risiko eingehen.«
»Das ist eine Horde brutaler Mörder. In Alamo Alto haben sie gehaust wie die Vandalen. Vielleicht haben sie sich längst von Victorio losgesagt, wenn dieser den Frieden will. Sie fordern das Schicksal geradezu heraus, Lieutenant.«
»Ziehen Sie weiter nach Norden, Captain«, sagte Whitlock. »Ich werde versuchen, die Horde aufzuhalten.«
»Wo sind Sie stationiert?«
»Camp Tularosa.«
»Na schön. Ich werde die Nachricht von ihrem Tod an Ihren Vorgesetzten telegrafieren.«
»Noch lebe ich.« Whitlock ritt weiter. Dumpf schlug das Herz in seiner Brust. Als er sich einmal umschaute, sah er, dass der Rest der Patrouille nach Norden marschierte. Whitlock verspürte Beklemmung. Er konnte nicht abschätzen, was auf ihn zukam. Vielleicht hatte der Captain recht und diese Horde ging tatsächlich eigene Wege und hatte sich von Victorio losgesagt.
Whitlock verspürte ein Kribbeln in der Magengegend. Die Anspannung brachte seine Nerven zum Schwingen. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. Sein Mund war zu einer dünnen, blutleeren Linie zusammengepresst.
Die Apachen erwarteten ihn. Als er sie erreicht hatte, kreisten sie ihn ein. Whitlock schaute noch einmal nach Norden und sah die Soldaten zwischen die Felsen ziehen.
Drei Krieger verharrten vor ihm auf ihren Pferden. Feindselig musterten sie den Weißen. Whitlock hob die rechte Hand und zeigte ihnen die Handfläche. »Ich komme in Frieden.«
»Du bist mutig«, sagte der Krieger, der zwischen den beiden anderen auf seinem Pferd verharrte. Es war alt und besaß ein von unzähligen Runzeln zerfurchtes Gesicht. Sein Englisch war mittelmäßig.
»Victorio will mit mir reden. Ich bin Lieutenant Tyler Whitlock. Victorio will mit mir über den Frieden verhandeln.«
»Victorio hat geschworen, sich nie wieder in einem Reservat niederzulassen. Aber es stimmt. Er will Frieden für sein Volk. Friede ist allerdings nur möglich, wenn es uns ermöglicht wird, nach Ojo Caliente zurückzukehren.«
»Warum überfallt ihr Ortschaften und Patrouillen, wenn ihr den Frieden wollt.«
»Ich -« der Apache schlug sich mit der flachen Hand vor die Brust, »- will den Frieden nicht. Die Weißen belügen und betrügen uns. Wir waren oft bereit, Frieden zu schließen und ihn zu halten. Doch bestehende Verträge wurden gebrochen. Man ließ uns nicht in Frieden leben.«
»Was sagt Victorio dazu? Du fällst ihm in den Rücken.«
»Auch ich bin ein Häuptling. Victorio hat mir nichts zu sagen.«
»Sag mir deinen Namen.«
»Ich bin Nana.«
»Bring mich zu Victorio, Nana«, bat Whitlock. »Frieden ist möglich. Wir müssen nur allen Ernstes darüber reden.«
Nana vollführte eine Handbewegung. Einige Krieger sprangen von den Pferden. Ehe Whitlock sich versah, wurde er aus dem Sattel gerissen. Kräftige Hände drückten ihn auf den Boden, seine Hände wurden gefesselt.
»Was soll das?«, presste Whitlock hervor. »Ich bin als Unterhändler auf dem Weg zu Victorio. Mein Auftrag ist offiziell. Warum ...«
»Es wird nichts zu verhandeln geben«, unterbrach Nana den Lieutenant. »Entweder ihr geht auf Victorios Forderungen ein, oder es gibt keinen Frieden. Wir werden weiterhin Ortschaften überfallen, mexikanische und amerikanische Soldaten bekämpfen, den Ranches Vieh stehlen und ihre Cowboys und Vaqueros töten.«
Whitlock wurde auf die Beine gezerrt. Ein Rohlederseil wurde ihm um den Hals gebunden, dessen Ende einer der Krieger um sein Handgelenk wickelte. Andere Krieger schnappten sich die Zügel der Pferde des Lieutenants.
*
Die Krieger zerrten die Tiere herum und trieben sie an. Das Seil straffte sich, Whitlock setzte sich in Bewegung, ehe er von den Beinen gerissen wurde. Einer der Krieger ritt an ihn heran und versetzte ihm einen Tritt.
Auf seinen hochhakigen Stiefeln stolperte er hinter den Mustangs her. Die Rothäute ritten schweigsam. Die glühende Sonne höhlte Whitlock aus. Seine Füße begannen zu brennen. Die Zunge klebte wie ein Klumpen Dörrfleisch an seinem Gaumen.
Das Gelände wurde immer wilder und unwegsamer. Whitlocks Muskeln arbeiteten nur noch automatisch, seine Motorik wurde von keinem bewussten Willen mehr gesteuert. Er blinzelte durch den Schweiß, der in seine Augen rann, sie entzündete und ihm die Sicht vernebelte. Die Schatten der Erschöpfung auf dem verzerrten Gesicht ließen die Backenknochen stärker hervortreten.
Irgendwann sank der Lieutenant auf die Knie nieder. Dunkle Schatten der Benommenheit brandeten gegen sein Bewusstsein an. Er versuchte sich ihnen entgegenzustemmen, aber es gelang ihm nicht, seine lähmende Betäubung zu überwinden. Kraftlos sank sein Kinn auf die Brust. Wie im Zeitlupentempo kippte er nach vorn. Mit dem Gesicht voraus fiel er auf den von der Hitze hartgebackenen Untergrund.
Nana, der alte Mimbre, bellte einige Kommandos.
Einer der Krieger saß ab, nahm den Wassersack aus Ziegenhaut von seinem primitiven Holzsattel und goss etwas Wasser über Whitlocks Kopf.
Der Lieutenant regte sich. Der Apache griff brutal in seine Haare und richtete ihn wieder in kniende Stellung auf. Whitlocks Oberkörper schwankte wie ein Schilfrohr im Wind. Seine Lider flatterten. Die Erinnerung kam. Wie ein Stromstoß durchfuhr es ihn. Die Betäubung fiel von ihm ab. Die unerbittliche, mitleidlose Realität hatte ihn wieder.
Der Apache reichte ihm den Wassersack und grunzte barsch: »Trink!«
Whitlock nahm den Sack mit den gefesselten Händen. Gierig schüttete er das Wasser in sich hinein. Es schmeckte abgestanden und brackig. Nachdem er seinen Durst gelöscht hatte, ließ er sich etwas von dem Wasser über Kopf und Gesicht laufen. Der Krieger riss ihm den Wassersack aus den Händen, schlug ihm ins Gesicht und spuckte ihn an.
Dann ging es weiter.
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»Das Lager befindet sich in einem Canyon, Capitán«, sagte der Soldat. »Es befinden sich etwa hundertachtzig Apachen dort. Krieger, Frauen und Kinder.«
»Wie viele Krieger?«
»Etwa die Hälfte. Der Canyon verfügt über zwei Eingänge. Die Felswände sind etwa hundert Meter hoch. Dort, wo die Apachen ihr Lager aufgeschlagen haben, ist er etwa zweihundert Meter breit. Es gibt einen kleinen See, der von einem Bach gespeist wird, Gras und Buschwerk.«
»Und Victorio befindet sich in dem Lager.«
»Einer der Apachenspäher hat ihn erkannt. Ja, er ist im Canyon.«
»Gut. Diesmal soll er uns nicht entkommen.« Der Capitán zog seinen Säbel und köpfte einen Kaktus. »Adelante. Wir umzingeln den Canyon.«
Er zog das Pferd um die linke Hand und ritt an seinen Männern vorbei. Es waren zwei Kompanien. Ein Segundo Teniente folgte ihm. Einige Männer nahmen ihre Pferde herum und schlossen sich ihm an. Andere folgten einem Sargento, wieder andere einem anderen Unteroffizier. Hufe pochten, Gebissketten klirrten, Pferde schnaubten und prusteten.
Es dauerte eine ganze Stunde, bis der Canyon umstellt war. Der Capitán wandte sich an einen Späher. »Sieh nach, aber verrate dich nicht.«
Der Indianer glitt vom Pferd und verschwand lautlos wie ein Schatten. Auf weichen Mokassinsohlen stieg er den Berg hinauf, um vom oberen Rand des Canyons Einblick in die Tiefe zu bekommen. Schlangengleich schob er sich auf dem Bauch oben an den Rand des Abgrunds heran.
Unten brannten Kochfeuer. Rauch hing zwischen den Felswänden. Die glatte Fläche des kleinen Sees glitzerte wie ein Spiegel. Pferde tummelten sich in dem zum Wasser hin offenen Seilcorral. Kinder spielten, Hunde tollten durch das Lager.
Die Krieger hockten in Gruppen zusammen, rauchten Pfeife, tranken Mescal und palaverten.
Der Späher lag einige Zeit völlig reglos. Dann zog er sich zurück und kehrte zu dem Capitán zurück. »Sie haben nichts bemerkt, Nantan, und sind völlig ahnungslos.«
»Gut. Wir rücken vor.« Der Capitán zischte einen Befehl, ein Sargento vernahm ihn und gab ihn weiter. Ein Schuss krachte. Es war das Zeichen für die zweite Gruppe, die sich vom anderen Ende der Schlucht näherte.
Die Wachposten der Apachen schlugen Alarm. Sie versuchten, ins Lager zu fliehen. Kugeln der mexikanischen Soldaten holten sie ein und mähten sie nieder. Der Weg stieg leicht an. Die Soldaten schwärmten über den Kamm der Bodenerhebung und stürmten auf das Lager der Apachen zu. Von der anderen Seite kam die andere Gruppe.
Geschrei wurde laut. Das Donnern der Waffen füllte die Schlucht. Kugeln schlugen in die Körper der Apachen. Sie bäumten sich auf, stürzten, rollten zuckend über den Boden.
Gnadenlos schossen die Soldaten die Apachen zusammen. Sie feuerten auf alles, was sich bewegte. Feuer schlugen aus den Wickiups und Reisighütten. Hunde und Pferde rannten voll Panik hin und her.