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Trag den Stern für Wichita: Pete Hackett Western Edition 109

von Pete Hackett (Autor:in)
©2023 120 Seiten

Zusammenfassung

Es regnete in Strömen. Von den Dächern der Häuser und Vorbauten tropfte und schoss das Wasser auf die Bohlengehsteige und die Straße. Die Pfützen muteten an wie kleine Seen, die Main Street von Wichita war ein aufgewühltes Schlammloch.

Ein scharfer Westwind trieb den Regen vor sich her, und in den grauen Regenschleiern lagen zu beiden Seiten der breiten Straße die Behausungen der Bürger, die Saloons, Tanzhallen und anderen Vergnügungsetablissements wie ausgestorben. Nur hier und dort drang raues Lachen aus den Barbetrieben, waren durch das monotone Rauschen des Regens verzerrt Stimmen zu hören, ertönte der helle Ruf irgendeines Tanzhallenmädchens. Der Wind trug all diese Geräusche mit sich fort und verschlang sie.

Farblos und ausgestorben war der Eindruck, den diese Town vermittelte. Ein trügerischer Eindruck, denn Wichita war alles andere als das. Raufbolde, Revolverhelden und anderes Glücksrittervolk gaben sich hier ein Stelldichein. Der Colt saß hier höllisch locker, und nicht selten fand ein scharfes Pokerspiel sein blutiges und tödliches Ende. Der Pott gehörte dem, der überlebte.

Rührige Geschäftemacher wussten eine Menge an Abwechslung und Vergnügen für alle möglichen Gattungen von Männern anzubieten. Für harte Dollars waren grell geschminkte Animiermädchen und Tingeltangelgirls zu beinahe allem bereit, für harte Dollars musste so mancher Mann - oft durch einen schnellen Schuss in den Rücken - sein Leben lassen.

Um Dollars drehte sich in Wichita nahezu alles. Und das war es auch, was die Stadt am Leben erhielt. Der Dollar war Haupt-, alles andere Nebensache. Nichts wechselte in dieser Stadt schneller seinen Besitzer als er, auf die eine oder andere Weise.

Hexenkessel Wichita.

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​Trag den Stern für Wichita: Pete Hackett Western Edition 109


Western von Pete Hackett


Über den Autor

Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.

Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."

Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.


***

Es regnete in Strömen. Von den Dä­chern der Häuser und Vorbauten tropfte und schoss das Wasser auf die Bohlengehsteige und die Straße. Die Pfützen muteten an wie kleine Seen, die Main Street von Wichita war ein aufge­wühltes Schlammloch.

Ein scharfer Westwind trieb den Re­gen vor sich her, und in den grauen Re­genschleiern lagen zu beiden Seiten der breiten Straße die Behausungen der Bürger, die Saloons, Tanzhallen und an­deren Vergnügungsetablissements wie ausgestorben. Nur hier und dort drang raues Lachen aus den Barbetrieben, waren durch das monotone Rauschen des Regens verzerrt Stimmen zu hören, ertönte der helle Ruf irgendeines Tanz­hallenmädchens. Der Wind trug all diese Geräusche mit sich fort und ver­schlang sie.

Farblos und ausgestorben war der Eindruck, den diese Town vermittelte. Ein trügerischer Eindruck, denn Wi­chita war alles andere als das. Rauf­bolde, Revolverhelden und anderes Glücksrittervolk gaben sich hier ein Stelldichein. Der Colt saß hier höllisch locker, und nicht selten fand ein schar­fes Pokerspiel sein blutiges und tödli­ches Ende. Der Pott gehörte dem, der überlebte.

Rührige Geschäftemacher wussten eine Menge an Abwechslung und Ver­gnügen für alle möglichen Gattungen von Männern anzubieten. Für harte Dollars waren grell geschminkte Ani­miermädchen und Tingeltangelgirls zu beinahe allem bereit, für harte Dollars musste so mancher Mann - oft durch ei­nen schnellen Schuss in den Rücken - sein Leben lassen.

Um Dollars drehte sich in Wichita na­hezu alles. Und das war es auch, was die Stadt am Leben erhielt. Der Dollar war Haupt-, alles andere Nebensache. Nichts wechselte in dieser Stadt schnel­ler seinen Besitzer als er, auf die eine oder andere Weise.

Hexenkessel Wichita.

Es war später Nachmittag, als der Rei­ter das Ortsschild passierte. Er beach­tete es kaum. Er trug den flachkronigen, breitrandigen Hut tief in der Stirn, um so sein Gesicht durch die Krempe etwas gegen den peitschenden Regen zu schützen.

Trotz des imprägnierten Umhangs, den er sich übergeworfen hatte, war der Mann nass bis auf die Haut. Ihn fröstelte, und die Art, wie er im Sattel saß, zusam­mengesunken, ließ ahnen, wie sehr er am Ende war.

Der Falbe, den der Mann ritt, schien nicht minder müde zu sein. Mit hängen­dem Kopf trottete er in der Mitte der Fahrbahn, dampfend entwich der Atem aus seinen Nüstern, widerwillig hob er die Hufe, unter denen es schmatzte und gurgelte und deren Abdrücke sich au­genblicklich mit Wasser füllten.

Der Reiter war fremd in Wichita. An der Art, wie er seine Blicke durch das Grau in Grau seiner Umgebung schwei­fen ließ, war dies eindeutig zu erken­nen. Und nun, da er sein Gesicht etwas anhob, um besser mit den Blicken die Regenwand zu durchdringen, waren seine scharf geschnittenen Züge auszu­machen. Es war das Gesicht eines Man­nes, in dem sich die Entbehrungen vie­ler Tage, vielleicht sogar Wochen, wi­derspiegelten. Zweihundert Yards war der Falbe durch den knöcheltiefen Morast der Hauptstraße gestapft, als der Fremde das Aushängeschild des Mietstalls gleich neben der Einmündung einer Gasse in die Main Street erkannte.

Er lenkte den Falben darauf zu, und zwei Minuten später zog er ihn am Zü­gel hinter sich her in die wohlige Atmo­sphäre des Stalls. Die Hufe erzeugten auf dem gestampften Mittelgang ein dumpfes Pochen, das jene Geräusche übertönte, das die Pferde in den Boxen zu beiden Seiten verursachten.

Vor einer langen Box hielt der Fremde an, nahm den aufgeweichten Stetson vom Kopf und stülpte ihn auf ei­nen der etwa mannshohen Pfosten, an die die Bretter zwischen den einzelnen Standplätzen für die Pferde genagelt waren.

Dichtes schwarzes und nasses Haar kam zum Vorschein. Ein paar zusam­mengeklebte Strähnen fielen in die Stirn des Mannes. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Dann knöpfte er seinen Regenumhang auf, zog ihn von den Schultern, schüttelte ihn aus und warf ihn über den Querbal­ken für den Sattel.

Der hoch gewachsene Fremde trug die herkömmliche Kleidung der Weide­reiter, allerdings wirkte sie neu, und es fehlten auch die Spuren, die die Schnal­len der Chaps auf den Hosen der Cowpuncher normalerweise hinterließen.

An einem schwarzen Patronengurt aus Büffelleder hing am rechten Ober­schenkel des Mannes das Halfter, aus dem der glatte Holzgriff des schweren 44ers ragte. Matt schimmerten die Messingböden der Patronen in den Schlau­fen des Gurts.

Der Fremde war gerade dabei, den Falben in die Box zu dirigieren, als hin­ter seinem Rücken — vom Stallende her - jemand rief: »Den Tieren die Box zu­zuweisen und sie zu versorgen, ist in diesem Laden meine Aufgabe, Mister. Außerdem sehen Sie ganz so aus, als hät­ten Sie es mindestens ebenso notwendig wie das Pferd, in einem warmen und trockenen Stall ein Unterkommen zu finden. Welcher Teufel hat Sie denn ge­ritten, als Sie sich bei diesem Wetter aufs Pferd setzten? Und welcher Teufel vor allem war es, der Sie ausgerechnet in Wichita anhalten ließ?«

Ein knorriger Bursche, der ebenso gut fünfzig wie siebzig Jahre alt sein konnte, mit einem von unzähligen Run­zeln und Falten zerfurchten Gesicht und einer mächtige Adlernase über dem verfilzten Schnauzbart, der ihm das Aussehen eines Seehundes verlieh, er­schien auf dem Mittelgang. An seiner verknitterten Kleidung hing Stroh. Und der Fremde vermutete, dass die hinter­ste Box dem Alten wohl als Schlaf- und Ruheplatz diente.

Gebeugt schlurfte der Stallmann heran. Sein durchdringender Blick, in dem das ungebrochene Feuer längst vergangener Tage schwelte, tastete den Fremden unverhohlen ab. Dann war er nahe genug. Er blieb stehen und be­trachtete den Falben.

Bedächtig schüttelte er nach einer Weile den Kopf.

»Nein, ein Cowboygaul ist das nicht«, murmelte er wie im Selbstge­spräch. »Ein Rassegaul, Mister, und er hat Ihnen sicherlich eine schöne Stange Geld gekostet. Doch für harte Weidear­beit ist er ganz und gar ungeeignet. Sol­che Pferde reiten reiche Rancher, U.S. Marshals, aber auch Langreiter.«

»Ist das Ihre Art, Leute auszufra­gen?«, entgegnete der Fremde, während er die Sattelgurte löste. »Ich muss Sie enttäuschen, denn ich bin weder das eine noch das andere. Wollen Sie noch mehr wissen?«

Bevor der Stallmann auf diese Frage einging, trat er einen Schritt näher, legte seine Rechte auf den Sattelknauf und sagte: »Das Pferd unterzustellen kostet in diesem Laden anderthalb Dollar pro Tag, Futter und Pflege inbegriffen, wie auch das Absatteln und Abzäumen. Sie sollten sich lieber eine Unterkunft su­chen und etwas Trockenes anziehen, wenn Sie sich nicht den Tod holen wol­len. Im Übrigen will ich nichts von Ihnen wissen. Wenn ein Mann bei diesem Sau­wetter in diese verdammte Stadt kommt, so wird er seine guten Gründe dafür haben. Und wenn er den Colt so tief am Oberschenkel mit sich rum­schleppt wie Sie, dann wohl ganz beson­ders. Also, zahlen Sie die anderthalb Dollar, und überlassen Sie den Falben ruhig meiner Obhut.«

Der Fremde trat grinsend zur Sehe.

»Ich lasse Packen und Gewehr hier«, erklärte er. »Wenn ich das Zeug brau­che, hole ich es. Hier ist ja durchgehend geöffnet, schätze ich.«

Der Oldman nickte, und der Fremde zahlte den verlangten Betrag. Dann sagte der Stallmann gepresst: »Ich kas­siere immer im voraus, Stranger. Denn ich habe es schon mehr als einmal er­lebt, dass ein untergestellter Gaul ge­rade ausreichte, um die Beerdigungsko­sten für seinen Herrn zu decken. Ich war dann immer derjenige, der in die Röhre guckte. Also kassiere ich im Voraus und gehe dem aus dem Weg. He, suchen Sie was Bestimmtes?«

Es war ihm nicht entgangen, wie aufmerksam der Fremde mit Blicken die Bo­xen, soweit sie von ihrem Standort aus einzusehen waren, abgetastet hatte.

Der hagere Fremdling nickte. »Ich verfolge einen Burschen. Er reitet einen Rotfuchs mit einer Blesse auf der Stirn. Der Mann trägt dunkle Spielerkleidung. Können Sie mir vielleicht weiterhelfen, Oldtimer?«

»Sie sind also doch ein Marshal oder Sheriff, und Sie sind hinter einem dieser üblen Schießhunde her, wie sie tagtäglich in diese Stadt kommen.«

Der Fremde ging nicht darauf ein. »Ist der Bursche mit dem Rotfuchs in Ihrem Stall gewesen? Oder ist er vorbeigerit­ten? Seine Spur führt von El Paso hier­auf direkt nach Wichita.«

Der Stallmann kratzte sich hinter dem Ohr, pfiff durch die Zähne und sagte. »Seit El Paso sitzen Sie dem Kerl im Nacken? Ein mächtig langer Trail. Hat der Bursche Ihr Haus angezündet, Ihre Frau vergewaltigt oder Ihren Vater umgebracht? Nur das wäre ein Grund, Hunderte von Meilen hinter einem Mann herzujagen.«

Der Fremde gab keine Antwort. Stattdessen wiederholte er seine Frage: »Ha­ben Sie den Mann gesehen, Oldman?«

»Vorgestern Vormittag kam ein Rei­ter, auf den Ihre Beschreibung passt, in Wichita an. Allerdings stellte er sein Pferd in Sam Calhouns Stall unter. Wenn Sie mich fragen, dann handelt es sich bei dem Mister um eine ziemlich üble Nummer. Bevor er sein Pferd zu Sam brachte, war er bei mir. Aber es war Wochenende, und mein Stall war überfüllt. Ich hatte aber Gelegenheit, ihm scharf unter die Hutkrempe zu se­hen. Burschen, deren Augen unstet wie die eines Frettchens sind, kann ich von Haus aus nicht leiden. Und ich besitze so viel Menschenkenntnis, diese Sorte von vornherein richtig einzuschätzen. Der Mister, auf dessen Fährte Sie reiten, hatte Frettchenaugen. Und er war mir auf Anhieb unsympathisch.*

»Vorgestern also«, murmelte der Fremde. Und ganz deutlich konnte der Stallmann das Glitzern in dessen Augen erkennen.

»Ja«, sagte er. »Und er ist noch nicht wieder fortgeritten. Ich habe ihn ge­stern an der Seite des ehrenwerten Cash Boulder über die Straße gehen sehen. Sie unterhielten sich sehr angeregt mit­einander, die beiden.«

Der Fremde stutzte. Hatte der Stall­mann eben die Worte »des ehrenwerten Cash Boulder« nicht ausgesprochen sarkastisch ausgestoßen? Was hatte es mit diesem Boulder auf sich?

Das Interesse des Fremden war ge­weckt worden, nachdem der Name im Zusammenhang mit dem Burschen ge­fallen war, auf dessen Fährte er ritt.

»Der Name Boulder erfüllt Sie nicht mit Freude, Oldman, wie?«, fragte er deshalb.

Der Stallmann zerbiss eine Verwün­schung. »Gewiss ist er noch eine oder zwei Nummern übler als der Mister, dem Sie - nehme ich an - die Hölle heiß machen wollen. Boulder dürfte wohl so ziemlich das Übelste sein, was dieses Land jemals hervorgebracht hat. Und wenn ich könnte, dann …«

Er beendete seinen Satz mit einer wü­tenden Handbewegung, hob den Sattel vom Pferderücken und warf ihn über den Balken neben den Regenumhang des Fremden. Mit einem leichten Schlag auf die Hinterhand trieb er den Falben in die Box.

»Werden Sie deutlicher, erzählen Sie mir mehr über Cash Boulder.«

»Was interessiert er Sie, Mister? Seien Sie froh, wenn Sie nichts von ihm wissen, und seien Sie noch froher, wenn Sie nichts mit ihm zu tun bekommen.«

»Mein Mann ging mit ihm über die Straße. Und das war sicher kein Zufall. Das ist der Grund.«

»Richtig. Vielleicht sollten Sie wirklich mehr von Boulder wissen, außer dass er eine der miesesten Figuren in diesem elenden Nest ist. Er sitzt in James Caldwells Sattel und ist Caldwells Blut­hund, den man nur von der Leine zu lassen braucht, damit er alles zerfetzt und zerfleischt. Er führt Caldwells revolverschwingende Horde an, und ein Weg zu Caldwell führt nur über ihn. Er ist Caldwells Weidedetektiv, Saloonordner, Miteintreiber - ach, was weiß ich sonst noch alles. Kurz, seine Sprache ist die der Colts, und Fairness ist für ihn ein Fremdwort.«

»Aus Ihren Worten kann ich schlie­ßen, dass dieser James Caldwell in ziem­lich vielen Geschäften seine Finger hat. Rancher, Saloonbesitzer und noch eini­ges mehr, wie?«

»Ja, und wenn die großen Viehher­den aus dem Süden kommen, dann ist er der größte Viehaufkäufer hier. Cald­well hält die Schnüre in der Hand und bewegt damit Boulder und seine Gunslinger-Horde wie Marionetten. Er lässt sie seine Geschäfte mit dem Colt in der Faust regeln. Und wenn ich das richtig sehe, Stranger, dann ist Ihr Mann drauf und dran, dem Haufen Caldwells beizu­treten. Dann wird es natürlich hart für Sie, wenn Sie ihn sich vor den Colt zitie­ren wollen.«

Der Fremde zuckte die Achseln. »Danke für die Information, Oldtimer. War sehr aufschlussreich für mich, denn ich kann mich jetzt darauf einstellen, dass mein Mann nicht allein sein wird.« Er wandte sich zum Gehen. »Meinen Stetson lasse ich zum Trocknen hier«, rief er über die Schulter. »Möglicher­weise habe ich auch noch ein paar Fra­gen an Sie. Zunächst aber …«

Wenig später war wieder das Rau­schen des Regens um ihn.


*



Der Mann hinter der Rezeption blickte über die Ränder seiner Drahtgestellbrille dem Fremden entgegen. Zwei Un­mutsfalten bildeten sich auf seiner Stirn, als er die Schlamm- und Wasserspuren auf dem gewiss nicht teuren, doch sehr pompös wirkenden weinroten Teppich wahrnahm, die der Fremde hinterließ.

»Das ist ein Hotel, Mister, kein Pfer­destall!«, rief er wütend, die flache Hand auf die Rezeption knallend. »Laden Sie Ihren Dreck ab, wo Sie wollen, aber nicht in meinem Hotel.«

Unbeirrt ging der Fremde weiter. Er erreichte das Aufnahmepult. Hart und schroff sagte er: »Ich bin viele hundert Meilen durch unwegsames Land getrailt, mein Freund, und seit vierundzwanzig Stunden reite ich durch diesen höllischen Regen. Ich bin müde, ich muss meine Kleidung trocknen, und ein hei­ßes Bad wird mir gewiss nicht schaden. Kommen Sie mir also nicht mit kleinka­rierten Unmutsäußerungen und auf die unverschämte Art und Weise. So nobel scheint mir Ihr Schuppen auch nicht zu sein, wie Ihr Getue vermuten lassen könnte. Ich brauche ein Zimmer.«

Der Hotelier sank bei dieser schroffen Zurechtweisung förmlich in sich zusam­men. Nervös begann er sein Ohrläpp­chen zwischen Daumen und Zeigefin­ger zu massieren. Sein Blick wich dem des anderen aus. Er hatte erkannt, dass der Fremde ziemlich ausgepumpt und fast am Ende war. Und er ahnte, dass ein Mann in dieser Verfassung sehr leicht ausgesprochen böse reagieren konnte.

»Ein Zimmer also«, murmelte er und nickte. »Zimmer haben wir hier …« Er griff unter die Rezeption und holte das Gästebuch hervor, schob es aufgeschla­gen dem Fremden hin, der sich die Fe­der angelte und in das Tintenglas tauchte, das da stand.

Er schrieb seinen Namen unter die letzte Eintragung, und der Owner gab sich Mühe, ihn verkehrt herum zu lesen. Der Fremde studierte die letzten Eintra­gungen. Den Namen allerdings, den er suchte, fand er nicht.

Er legte die Feder zur Seite. »Bitten auch Sie im Voraus zur Kasse?«, fragte er unvermutet, und der Owner zuckte zu­sammen. Dem war es nicht gelungen, den Namen zu entziffern, und er hatte sich vollkommen darauf konzentriert, als ihn die Stimme des Fremden förm­lich ansprang.

»Ich … Wir … Es ist üblich hier, wenigstens einen Vorschuss zu verlan­gen, Mister. Äh, wie ist doch gleich der Name?« Er drehte das Buch um und las: »John Warner. Es kommt darauf an, wie lange Sie bleiben wollen.«

Auch hier spürte der Fremde wieder die unverhohlene Neugierde. »Das weiß ich selber noch nicht«, erklärte er. »Genügen zwanzig Dollar?«

»Ich denke schon. Das Bad ist jedoch im Zimmerpreis nicht inbegriffen.« Der Owner nahm einen Schlüssel vom Brett und reichte ihn dem Fremden. »Zimmer sieben, Obergeschoss, linke Flurseite, ganz hinten rechts.«

Warner zahlte und ging nach oben.

»Verdammter Dreck!«, schimpfte der Hotelowner gallig, dann schaute er wie­der in das Gästebuch. »Warner«, mur­melte er, »John Warner. Nie gehört. Schätze, der ist auf dem Weg zu Caldwell. Er ist von der Sorte, die Caldwell um sich sammelt.« Er hatte es bitter und freudlos ausgestoßen, klappte das Buch zu, verließ seinen Platz, öffnete eine Tür und rief in den angrenzenden Raum: »Ein Bad für Zimmer sieben! Kein besonders freundlicher Pilger. Also beeilt euch!«


*


Es regnete mit unverminderter Hef­tigkeit. Von der Fensterscheibe perlte das Wasser. Im Zimmer war es düster. John Warner ließ die Revolvertrommel einige Male rotieren, spannte den Ham­mer, ließ ihn vorsichtig wieder zurück­rasten. Dann schob er den Colt ins Half­ter, das mit dem Gurt über der Lehne des Stuhls hing, auf dem er saß.

John war müde und wollte schlafen. Monate war er auf der Fährte Jack Morgans geritten, hatte er sich keine Ruhe gegönnt und die meiste Zeit im Sattel gesessen.

Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, Morgan zu fassen.

John erhob sich, ging zum Bett und warf sich darauf. Seine Gedanken krei­sten um Morgan, den Banditen, auf des­sen Kopf die Regierung von Texas die Summe von 1000 Dollar ausgesetzt hatte.

Morgan hatte einer Bande angehört, die von Texas aus mexikanische Revo­lutionäre mit Waffen und Munition ver­sorgte - illegal. Die Bande wurde von den Texas Rangers zerschlagen, der Großteil der Banditen wurde dabei er­schossen, der Rest konnte festgenom­men werden. Morgan gehörte zu jenen, denen die Ranger die Chance ließen, sich zu ergeben und so ihr Leben zu ret­ten. Ihm gelang jedoch die Flucht aus dem Gefängnis in El Paso. Zwei Ranger und ein Deputy fielen seinem Ausbruch zum Opfer. Wegen seiner illegalen Waf­fengeschäfte mit mexikanischen Bandoleros und dieser drei Morde war Morgan der texanischen Regierung runde 1000 Dollar wert.

Warner wusste, dass er einem eiskal­ten Killer auf der Spur war, dem ein Menschenleben gar nichts, ein Bündel Dollar hingegen alles bedeutete. Aber Morgan konnte nicht ahnen, dass ihm ein gnadenloser Jäger von El Paso her­auf gefolgt war.

1000 Dollar waren für John Warner Grund genug, der Klapperschlange den Kopf zu zertreten.


*


John Warner wurde durch ein dump­fes Pochen an der Tür geweckt. Er war sofort hellwach.

»Was ist los? Wer ist draußen?«

»Der Stallmann. Ich war vor zwei Stunden schon einmal hier. Doch hätte ich vor Ihrer Tür wohl eine Kanone ab­schießen müssen, um Sie wachzukrie­gen. Sie haben geschlafen wie ein toter Apache.«

»Warten Sie!« Wenig später öffnete John Warner, nur mit der Unterwäsche bekleidet, die noch immer nicht richtig trocken war, die Tür. Er ließ den Oldtimer aus dem Mietstall ins Zimmer und schloss hinter ihm die Tür wieder ab. Der Alte hatte Johns Sattelpacken und die Winchester dabei. Er warf den Packen auf das Bett und legte das Ge­wehr auf den Tisch, dann nahm er auf dem Stuhl Platz, auf den John deutete.

»Ich habe die Klamotten, die ich in Ih­rem Sattelpacken gefunden habe, am Ofen getrocknet, Warner«, sagte der Oldman. »Ziehen Sie also dieses feuchte Zeug wieder aus und schlüpfen Sie in die trockenen Sachen. Oder wol­len Sie sich mit einer Lungenentzün­dung ins Bett legen, während Ihr Freund Jack Morgan sich fest in James Caldwells Sattel setzt?«

John lächelte.

»Stöbern Sie immer in fremder Leute Sachen herum, Oldtimer? Außerdem waren Sie, seit ich bei Ihnen war, wohl ausgesprochen rege. Wie mir scheint, haben Sie eine ganze Menge herausgefunden. Sie haben meinen Namen in Er­fahrung gebracht. Sie wissen den Na­men des Mannes, hinter dem ich her bin und gewiss …«

»Vielleicht taten Sie mir leid, War­ner«, unterbrach ihn der Alte, »als Sie wie eine gebadete Maus im Mietstall vor mir standen und nicht so genau wussten, wohin. Und dass ein Mann des langen Trails keine großen Geheimnisse in sei­ner Deckenrolle mit sich führt, die er am Ende seines Trails so mir nichts dir nichts einfach im Mietstall zurücklässt, das kann sich der Dümmste ausrechnen. Bevor ich in diesem lausigen Mietstall zu arbeiten anfing, war ich Cowboy.« Er stieß seinen Kopf vor wie ein Raubvo­gel, der Schnurrbart unter seiner mäch­tigen Nase hüpfte vor wütender Erre­gung, seine Augen blitzten. »Vielleicht kommen Sie wieder einmal in meinen Mietstall, Warner, wenn Sie nass sind wie ein Straßenköter, den man in den Arkansas geworfen hat. Dann schmeiße ich Ihre Lumpen da auf die Straße.«

John hob lachend und abwehrend die Hände und sagte, eine plötzlich in ihm aufkommende Heiterkeit unterdrückend: »Stopp, Oldman, nicht so zor­nig! Ich wollte Ihnen nichts unterstellen. Und wenn es sich so angehört hat, dann nehme ich das auf der Stelle zurück. Okay?«

Der Stallmann stieß die Luft scharf durch die Nase aus. Misstrauisch be­äugte er John, dann grinste er und sagte abwinkend: »In Ordnung, Warner. Du behauptest also nicht, dass ich in den Sa­chen anderer Leute stöbere, und ich werde das nächste Mal nicht deine Un­terhosen auf die Straße schmeißen.« Impulsiv streckte er John die Rechte hin und dieser erwiderte den Händedruck.

»Ich habe dich eben angeredet wie ei­nen alten Freund, Warner«, sagte der Stallmann. »Was meinst du, lassen wir es beim Du? Nenn mich wie alle ande­ren in dieser Stadt, die mich kennen, Tennessee, denn in diesem herrlichen Staat stand meine Wiege. Sag also ein­fach Tennessee zu mir, John Warner.«

»Gern«, sagte John. Dieser Oldtimer, der sich Tennessee nannte, gefiel ihm.

John zog die getrocknete Unterwä­sche, Hemd und Socken an, dann schlüpfte er in die noch zähe Hose, warf sich den Gurt um die Hüften und schnallte ihn zu. Mit einem Griff rückte er Halfter und Coltknauf zurecht.

»Also, Tennessee, was ist es für ein Interesse, das du an Jack Morgan hast? Du bist doch sicher nicht nur deshalb zu mir gekommen, weil ich dir Leid getan habe. Es hängt mit Caldwell oder Boulder zusammen, wie?«

Tennessee lehnte sich zurück.

»Gut, John, du sollst es wissen. Denn ich bin nicht der Typ, der mit versteck­ten Karten spielt. Es ist richtig. Mein In­teresse gilt weniger diesem Jack Mor­gan als Cash Boulder, dieser Kreatur des Teufels. Ich hatte eine Tochter. Sie hieß Ann, ich aber nannte sie immer nur Anny …« Er brach ab.

John erkannte deutlich die wach­sende Erregung Tennessees, der den Blick senkte und dumpf hervorstieß: »… bis sie sich das Leben nahm.«

Es musste den alten Mann große Überwindung gekostet haben, es auszu­sprechen. Und darum kam es vielleicht gar so hart und leidenschaftlich über seine spröden Lippen.

»Sie war schwanger«, fuhr er fort, »von Cash Boulder. Dieser verdammte Blender hat das Blaue vom Himmel her­unter gelogen, bis sie seinem Werben nachgab. Du musst wissen, John, meine Ann war sehr schön. Vielleicht das schönste Mädchen in dieser Stadt, und sicher auch das unschuldigste, bis eben Boulder kam. Und sie war jung, ganze zwanzig Jahre war sie, als …«

Die Stimme versagte ihm.

»Als sie Boulder im Mietstall von der Schwangerschaft erzählte, lachte er sie aus. Er sagte, sie solle sich an Greg Miles wenden. Das ist der Bursche, der im Trailman Saloon die Spucknäpfe leert und die Cents aus ihnen herausfischt zum Vergnügen der wilden Burschen, die sie hineinwerfen. Er würde sicher gern eine Vaterschaft für ihren Bastard übernehmen, mit Freuden sogar. Ja, das sagte er, John. Kein Wort von alledem ist gelogen. Anny warf ihm an den Kopf, dass er ein Schuft und es nicht wert wäre, der Va­ter eines Kindes zu sein, und noch so ein paar Dinge, da schlug er sie grün und blau. Es war gerade Mittagszeit, ich war beim Essen. Anny vertrat mich im Stall. Sie verlor das Kind, und drei Tage spä­ter fischte man sie aus dem Arkansas. Sie war nicht stark genug, alles zu ertra­gen. Cash Boulder ist ihr Mörder. Ich war drauf und dran, es Anny gleichzu­tun und Schluss zu machen. Denn ich hatte mein Herz an das Kind gehängt. Und nur der Gedanke, den Mord - an­ders kann man es wohl nicht bezeichnen — zu rächen, hielt mich davon ab. Und er ist es auch, der mich aufrecht erhält. Darum arbeite ich trotz meiner sechsundsiebzig Jahre noch immer im Miet­stall. Denn so weiß ich über nahezu je­den Schritt und Tritt Cash Boulders Be­scheid. Aber ich bin ein alter Mann, John, ein Nichts gegen Cash Boulder. Nun aber bist du gekommen, und du willst einem Burschen auf die Füße tre­ten, der seit achtundvierzig Stunden dem Höllenhaufen Boulders angehört. Wenn du dir Morgan vor dem Lauf holst, dann musst du auch mit Boulder rechnen. Drück dann zweimal ab, John Warner, und wenn es sein muss, dreimal und viermal. Aber serviere auch Boul­der heißes Blei - in meinem Namen.«

Es war eine bittere Rede, die der alte Mann gehalten hatte. All seine innere Not hatte aus seinen Worten geklungen, all die Verzweiflung, die ihn seit dem schrecklichen Ende seiner Tochter er­füllte und ihn nicht zur Ruhe kommen ließ.

John Warner hatte den Kopf gesenkt. Er suchte nach Worten, fand aber nicht die passenden. Er spürte direkt körper­lich den erwartungsvollen Blick des al­ten Burschen auf sich ruhen. Tennessee wollte, dass er, John Warner, für ihn eine Rechnung beglich, auf die blutige Art.

Mit allem hätte John gerechnet, nicht jedoch damit. Er kannte Cash Boulder nicht, und Tennessee kaum. Und der saß vor ihm auf einem Stuhl und erwartete, dass er einen Schlussstrich unter seinen mörderischen Hass zog.

Zum Teufel, hämmerte es in John. Ich bin nicht Hunderte von Meilen geritten, um den Privatkrieg eines alten Mannes zu führen. Ich habe tausend Strapazen auf mich genommen, um Jack Morgan zu erwischen. 1000 Dollar. Sie sind der Grund. Und wenn ich Morgan habe, werde ich wieder reiten, erneut auf der Spur eines Burschen, der einer Regie­rung einen Batzen Geld wert ist. Eine schnelle Kugel. Dem Oldtimer wäre ge­dient. Aber stemple ich mich damit nicht zum käuflichen Killer ab?

Tennessee sagte: »Cash Boulder ist ein Mörder, John, der Mörder einer jun­gen Frau. Doch kein Gesetz und kein Richter dieser Welt kann ihn dafür ver­urteilen. Gerechtigkeit ist es, was ich möchte, sonst nichts. Und es ist nur gerecht, wenn Boulder den Mord an Anny noch auf dieser Erde büßt. Dabei will ich gar nicht, dass du dich als Richter und Henker fühlst. Ich bitte dich nur, auch Boulder eine Kugel zu geben, wenn er sich vor Morgan stellt, nur eine Kugel in meinem Namen.«

Er hatte jedes seiner letzten Worte einzeln betont, und John Warner hatte das Gefühl, noch niemals so eindring­lich um eine Gefälligkeit gebeten wor­den zu sein.

»Du darfst die ganze Sache nicht falsch einschätzen, Tennessee«, begann John vorsichtig.

»Du willst mir diesen Gefallen also nicht erweisen?«, fragte der Alte mit be­legter Stimme, ehe John zu Ende spre­chen konnte.

»Darum geht es nicht, Tennessee«, antwortete er. »Ich will es dir erklären. Wie du weißt, bin ich seit El Paso hinter Mor­gan her. Denk nur nicht, dass ich nur das geringste persönliche Interesse an die­sem Burschen habe. Das einzige, das mich an ihm interessiert, das ist der Preis, den die texanische Regierung auf seinen Kopf ausgesetzt hat: 1000 Dol­lar, tot oder lebendig. Nur sie interessie­ren mich. Ware der Kopf eines Hunter, Miller oder Smith 1000 Bucks wert, so würde ich vielleicht auf ihrer Spur sit­zen.«

Tennessee stieß seinen Kopf nach vom, sein Adamsapfel hüpfte, seine Augen wurden ganz eng. »Dann bist du also Kopfgeldjäger, John. Dann bist du gar kein Mann des Gesetzes, ein U.S. Marshal oder Sheriff.«

»So ist es«, erwiderte John. »Und mein Beweggrund ist weder Recht noch Ordnung, sondern einzig und allein der Verdienst. Und bisher hat der Job sich gelohnt, wenn man mir auch in Texas, New Mexico und Arizona mit tiefster Verachtung gegenübertrat. Wobei ich nach wie vor der Meinung bin, von Nut­zen für die Gesellschaft zu sein. Wo Sheriffs und Marshals versagen und ih­nen Burschen wie Jack Morgan durchs Netz gehen, da muss es einfach …«

»Dann scheitert es also an der Beloh­nung?« Tennessee unterbrach schroff die Ausführungen John Warners, die sich beinahe wie eine Entschuldigung für sein Handeln anhörten. »Tausend Bucks könnte ich auch zusammenkrat­zen.«

Der Oldtimer war aufgesprungen. Er stand vor John, in seinen Augen loderte das Feuer wilder Leidenschaft.

John schüttelte den Kopf. »Die Burschen, die ich jage, werden vom Gesetz verfolgt, Tennessee«, sagte er ruhig. »Und wenn ich sie töte oder irgendei­nem Sheriff ausliefere, so ist damit dem Gesetz Genüge getan. Und ein Richter oder County Sheriff stellt mir ein Doku­ment aus, das mich zum Empfang der Kopfprämie berechtigt. Du aber bist nicht das Gesetz, Tennessee. Es tut mir leid.«

Enttäuscht wandte Tennessee sich um. Und wie ein gebrochener Mann, dem eine letzte Hoffnung zerschlagen wurde, schlurfte er zur Tür.


*


Die Luft im Saloon war stickig, Rauchschwaden waberten unter der Decke. Es roch nach Brandy, Bier und Schweiß. John ging zum Tresen und verlangte einen Whisky.

Von der Straße ertönte unvermittelt das Geräusch näher kommender Pferde. Stimmen wurden laut. Augenblicke später sah John durch das große Front­fenster das Rudel.

Mit einem Ruck setzte er das Glas ab. Es waren fünf Reiter, und Jack Morgan war unter ihnen. Ein Hauch von kalter Bereitschaft ging plötzlich von John Warner aus.

Mit dem untrüglichen Instinkt des in vielen bewaffneten Auseinanderset­zungen erfahrenen und erprobten Kämpfers hatte John innerhalb weniger Sekunden Morgan beurteilt und einge­schätzt. In dem Outlaw würde ihm ein eiskalter, skrupelloser und vom Willen zum Töten besessener Buscadero gegenüberstehen.

Ein zweiter beachtenswerter Bursche fiel John auf. Er war aus dem Holz eines Jack Morgan geschnitzt und diesem ir­gendwie auch von der ganzen äußeren Erscheinung her ähnlich. Allerdings trug er nur einen Colt. Der Griff war mit Elfenbein ausgelegt und wertvoll zise­liert. Er stand weit vom Körper ab.

Für John stand fest, dass dieser Bur­sche Cash Boulder war. Er nahm die leichte Ausbuchtung der Jacke unter Boulders rechter Achsel war und ahnte, dass hier Boulders zweite Waffe im Schulterhafter steckte.

Zwei mit allen schmutzigen Wassern gewaschene Gunslinger haben sich in diesen beiden Kerlen gesucht und ge­funden, dachte John. Von ihnen steht mit Sicherheit keiner dem anderen in irgendeiner Weise an Schlechtigkeit nach.

Von den drei anderen Kerlen ging eine nicht mindere Gefährlichkeit aus. Auch sie trugen die Kanonen tief und nahmen die Hände nicht allzu weit von den abgegriffenen Knäufen, doch vom Format her schien ihnen noch das letzte Quäntchen zu fehlen, damit sie an Morgan oder Boulder heranreichten.

Ein großer Teil der Anwesenden be­grüßte die Männer mit lautem Hallo, einige gaben sich betont desinteressiert, und drei, vier Männer glaubte John förmlich in sich zusammensinken zu se­hen. Er wusste nicht, woher die Angst dieser Leute vor Boulder und seinem Haufen rührte, und es war ihm auch egal. Trotzdem fragte er sich, was diese Bürger - obwohl sie Boulder fürchte­ten - in den Arkansas River Saloon trieb.

Während Morgan und die drei ande­ren sich am Tresen aufbauten und einer von ihnen den Keeper fragte, ob am vergangenen Abend etwas Besonderes los gewesen sei, ging Cash Boulder wei­ter zu einer Tür neben der mit einem ro­ten Teppich ausgelegten Treppe zum Obergeschoss. Die Tür war mit der Auf­schrift »Privat« gekennzeichnet. Boul­der öffnete sie, trat durch sie in den an­grenzenden Raum und zog sie hinter sich zu.

»Keine Vorkommnisse, Matt«, be­richtete der Keeper dem hartäugigen Typ, der ihn danach gefragt hatte. »All die wilden Jungs, die Abend für Abend den Saloon stürmen, werden harmlos wie Säuglinge, wenn Kitty McCallum ihre Liedchen zum Besten gibt und ih­nen unsere Girls die Schnapsflaschen zu den Tischen bringen. Sie sitzen dann mit offenen Mäulern da, und wehe dem, der ihre Absicht stört.«

Sie lachten.

John Warner war bei der Nennung des Namens Kitty McCallum wie unter einem Peitschenhieb zusammenge­zuckt. Und jäh kam die Erinnerung über ihn. Kitty McCallum!

Hinter seiner Stirn wirbelten die Ge­danken. Sie hat also wieder ihren Mäd­chennamen angenommen. Und sie ist ihrem Milieu treu geblieben. Sängerin in einer Bar, vor rauen Burschen mit tausend Begierden in den Augen zu tanzen. Das ist ihre Welt. Das war schon früher ihre Welt.

Er trank sein Glas leer, stellte es hart auf das polierte Blech des Schankti­sches. Einen Sekundenbruchteil über­tönte das metallene Geräusch alles an­dere, und es zog die Blicke Morgans und der anderen drei Gunslinger auf John Warner.

»Schlecht aufgelegt, wie?«, rief der Bursche, den der Keeper Matt genannt hatte.

John hörte nicht hin. Zu sehr be­schäftigte ihn das Wissen, dass Kitty McCallum sich hier in Wichita aufhielt. Kitty McCallum, verheiratete Warner. Ein Irrtum war ausgeschlossen.

»Der feine Mister spricht nicht mit je­dem«, stachelte einer der Gefährten Matts diesen auf.

Böse starrten sie ihn an.

Da wurde John aufmerksam. Er blickte zu ihnen hin und schob gewalt­sam alle Gedanken beiseite, die ihn be­wegten und ausfüllten, und fragte: »Was ist? Wie kommst du darauf, dass ich nicht mit jedem rede?« Er wollte kei­nen Streit mit diesen Kerlen, denn es war nicht der Sinn seiner Mission, sich mit irgendwelchen schießwütigen Ty­pen herumzukeilen. Er wollte dem aus dem Weg gehen.

Der Bandit, dessen Kopf 1000 Dollar wert war, gab sich betont gelangweilt. Sicher war er sich dessen bewusst, dass er eine Klasse besser war als seine drei Kumpane. Und es hätte für ihn so etwas wie eine Abqualifizierung bedeutet, wenn er sich an ihrer dümmlichen Pro­vokation beteiligte.

»Du hast meine Frage nicht beant­wortet!«, rief Matt rau.

»Dann habe ich sie sicherlich über­hört«, gab John ruhig zurück. »Was war es denn für eine Frage?«

In diesem Moment kam Cash Boulder in den Schankraum zurück. Der Revolvermann Matt beobachtete John nicht mehr, gespannt blickte er - wie auch seine Partner — Boulder entgegen. Diese Gelegenheit nutzte John. Er warf eine kleine Münze auf die Theke und stieß sich ab, um zu gehen, aber er kam nur zwei Schritt weit. Matts schnar­rende Stimme holte ihn ein. »Hast du die Hose voll?«, rief er.

In dem Gunslinger musste eine Menge Energie stecken, wenn es darum ging, einen Mann herauszufordern, noch dazu, wenn er sich in der Gemeinschaft Gleichgesinnter stark und unbezwing­bar fühlte.

Seine Kumpane lachten. Und auch einige der Gäste stimmten in das Ge­lächter ein.

Cash Boulder lehnte locker am Tre­sen. Lauernd beobachtete er die Reak­tion Warners.

Der drehte sich langsam um, hakte seine Daumen in den Revolvergurt und fragte lässig in das Gelächter hinein: »Willst du nachsehen, mein Freund?«

Schlagartig wurde es still. Mit seinen Worten hatte er, der Fremde, Matts Hausforderung angenommen.

Der Revolverschwinger schluckte. John hatte ihn mit seiner Antwort über­rumpelt. Auf eine derartige Reaktion war er nicht eingestellt gewesen.

Er trat einen Schritt vor, als er Johns Worte begriffen und verarbeitet hatte. Seine Rechte legte sich fest um den Coltknauf.

»Ja!«, stieß er voll wilder Vorfreude hervor, rechnete er doch mit Boulders und der anderen Unterstützung für den Fall, dass es ganz besonders rau kom­men würde. »Ich will es sehen. Also, lass deine Hose runter, Mister.«

John übersah nicht das tückische Funkeln in den Augen des anderen. Nun hatte er den Verdruss, den er nicht wollte, den er aber, wie er die Lage ein­schätzte, auch nicht mehr abzuschütteln vermochte. Und so stellte er sich inner­lich darauf ein.

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2023
ISBN (ePUB)
9783738970920
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Februar)
Schlagworte
trag stern wichita pete hackett western edition

Autor

  • Pete Hackett (Autor:in)

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Titel: Trag den Stern für Wichita: Pete Hackett Western Edition 109