Zusammenfassung
In den Parks der Stadt werden mehrere Leichen gefunden, denen mit einer aufgesetzten Waffe ins Herz geschossen wurde. Die FBI-Agenten Jesse Trevellian und Milo Tucker vermuten, dass es sich bei den Morden um das Aufnahmeritual einer Rockerbande handelt. Die Biker stehen außerdem in Verdacht für Überfälle auf Tankstellen und Supermärkte verantwortlich zu sein. Die Agenten ermitteln in alle Richtungen und stoßen dabei auf Verbindungen der Rocker zu satanistischen Kreisen und auf weitere Mordopfer.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Trevellian küsste seine Mörderin: Kriminalroman
von Pete Hackett
In den Parks der Stadt werden mehrere Leichen gefunden, denen mit einer aufgesetzten Waffe ins Herz geschossen wurde. Die FBI-Agenten Jesse Trevellian und Milo Tucker vermuten, dass es sich bei den Morden um das Aufnahmeritual einer Rockerbande handelt. Die Biker stehen außerdem in Verdacht für Überfälle auf Tankstellen und Supermärkte verantwortlich zu sein. Die Agenten ermitteln in alle Richtungen und stoßen dabei auf Verbindungen der Rocker zu satanistischen Kreisen und auf weitere Mordopfer.
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Kapitel 1
Der Mann lag neben einer Hecke auf dem Bauch. Seine Finger hatten sich im Boden verkrallt. Eine Kugel hatte seinem Leben ein jähes Ende gesetzt. Sie war ihm zwischen die Schulterblätter gedrungen, hatte den Körper durchschlagen und beim Austritt in die Brust ein fürchterliches Loch gerissen.
Das Gebiet um den Fundort der Leiche im Central Park war von der Polizei abgesperrt worden. Außerhalb der Absperrung, die durch ein farbiges Trassenband gekennzeichnet war, standen die Neugierigen Schulter an Schulter. Uniformierte Polizisten mussten sie immer wieder zurückdrängen. Auch Vertreter der Medien waren eingetroffen und versuchten mit ihren Fotoapparaten einen guten Schnappschuss zu erhaschen.
Der Mann, der das Team von der SRD leitete, war Sergeant Brown. Er hörte sich an, was der Coroner zu sagen hatte. »Der Bursche wurde aus nächster Nähe erschossen. Das Mündungsfeuer hat die Kleidung auf dem Rücken angesengt. Außerdem verraten es die Schmauchspuren. Da die Kniee der Hose schmutzig sind, nehme ich an, dass das Opfer vor seinem Mörder kniete. Es sieht mir nach einer Hinrichtung aus.«
»Wann, schätzen Sie, ist der Tod eingetreten?«, fragte Sergeant Brown.
»Zwischen Mitternacht und zwei Uhr. – Die Kugel ist vorne wieder ausgetreten und wird sich wohl nicht mehr finden lassen. Nun, Näheres wird die Obduktion ergeben müssen.«
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft, der ebenfalls zum Tatort gekommen war, mischte sich ein. »Kann der Mord an dem Mann im Zusammenhang mit den drei Morden stehen, die wir bereits zu verzeichnen haben und die eine ähnliche Handschrift aufweisen?«
Der Sergeant zuckte mit den Schultern. »Das ist schwer zu sagen, ich will es aber nicht ausschließen. Wobei dagegen spricht, dass zwischen den drei anderen Leichen nicht die geringste Verbindung festgestellt werden konnte. Es hat den Anschein, dass die Opfer willkürlich ausgesucht und ermordet wurden.«
»Können wir die Leiche abtransportieren?«, fragte der Coroner den Staatsanwalt.
»Wird sie noch benötigt?«, wandte sich der Vertreter der Staatsanwaltschaft an Sergeant Brown.
»Nein, Sie können darüber verfügen. Sobald Sie den Obduktionsbericht fertig haben, mailen Sie ihn mir bitte.«
»Das ist doch selbstverständlich«, erwiderte der Gerichtsarzt. Dann gab er seinem Gehilfen einen Wink.
*
Wir schrieben den 7. Februar. Mein Telefon läutete und ich schnappte mir den Hörer. »Trevellian, FBI.«
»Ich bin es - Mandy. Du und Milo – ihr sollt sofort zum Chef kommen.«
»Wir sind schon auf dem Weg«, erklärte ich und legte auf. »Zum Chef.« Ich erhob mich und schlüpfte in meine Jacke. Auch Milos Gestalt wuchs hinter dem Schreibtisch in die Höhe. Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Es war 8.25 Uhr. Wir hatten uns für heute vorgenommen, lästige Schreibtischarbeit zu erledigen, bevor die Akten, die zu bearbeiten waren, überhand nahmen. dass uns der Chef zu sich bat, betrachtete ich als eine Fügung des Schicksals. Ich hasste es, am Schreibtisch zu sitzen und irgendwelche Berichte zu verfassen.
Wenig später betraten wir das Vorzimmer des Assistant Directors. »Geht nur hinein«, sagte Mandy, die schöne Sekretärin des Chefs. »Mr- McKee wartet schon.«
Ich betrat das Büro des Assistant Directors. Er saß hinter seinem Schreibtisch und erwiderte meinen Gruß, dann erhob er sich, kam um den Schreibtisch herum und gegrüßte uns obendrein noch per Handschlag. »Setzen Sie sich, Agents«, sagte er und wies auf den Besprechungstisch. Er setzte sich zu uns und legte einen dünnen Schnellhefter vor sich auf den Tisch. Erwartungsvoll musterten wir Mr. McKee.
Der Chef ergriff das Wort. »Das Police Departement hat einen Fall an uns abgegeben. Man geht von einem Serientäter aus. Es gibt bereits vier tote Männer. Die vierte Leiche wurde vorgestern gefunden. Sie lag im Central Park. Man hat dem Mann aus nächster Nähe eine Kugel zwischen die Schulterblätter geschossen. Beim Police Departement ist man der Meinung, dass es sich um eine Hinrichtung handelte.«
»Weiß man, um wen es sich handelt?«
»Man fand einen Führerschein bei dem Toten. Sein Name ist Jason Derrick. Derrick war sechsundvierzig Jahre alt, geschieden, er arbeitete als Buchhalter bei Johnson & Partner. Er ist polizeilich nie in Erscheinung getreten.«
»Hat er sonst irgendwelche Angehörige?«
»Einen Sohn, einundzwanzig Jahre alt, und eine Tochter, dreiundzwanzig Jahre alt. Beide wohnen in New York. Die Tochter heißt Ann, der Sohn Warren.«
»Wer sind die anderen Toten?«, fragte ich.
»Walter McCormick, neunundvierzig Jahre alt, Vertreter einer Versicherung. Er wurde am 5. Januar ermordet. Am 13. Januar wurde Carl Felton, einundfünfzig, erschossen. Am 29. Januar starb Clinton Taylor, siebenunddreißig Jahre alt.«
»Wieso geht man davon aus, dass es sich immer um denselben Täter handelt?«, fragte ich.
»Bei McCormick und Taylor fand man die Kugeln. Sie stammen aus der selben Waffe. Sämtliche Männer wurden durch einen aufgesetzten Schuss zwischen die Schulterblätter getötet. Die Handschrift ist dieselbe. Die Morde fanden im Central Park, im Forest Park, Queens, und im Riverside Park statt.«
»Wo wohnte Derrick?«
Der Chef schlug den schmalen Schnellhefter auf, den er mit zum Besprechungstisch gebracht hatte. »213 West 70th Street.«
»Was denken Sie, Sir?«, fragte ich. »Sie haben doch sicher schon ein Täterprofil in petto.«
»Ja, ich habe mir Gedanken gemacht«, bestätigte der Assistant Director. »Keiner der Männer wurde ausgeraubt. Raubmord können wir also ausschließen. Die Beamten der Mordkommission haben herausgefunden, dass die Getöteten in keinerlei Verbindung zueinander standen und keine Gemeinsamkeiten aufwiesen. Man hat sie wahllos ausgesucht und erschossen. Ich glaube aber nicht, dass wir es mit einem Einzeltäter zu tun haben. Sie Männer wurden in die Parks entführt. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich denke, es steckt eine Gang dahinter, die ohne besonderen Grund mordet – die tötet um des Töten Willens.«
»Vielleicht handelt es sich um ein Aufnahmeritual«, warf ich ein.
Mr. McKee und Milo schauten mich an.
Ich ergriff noch einmal das Wort: »Um eine Mutprobe, eine Art Aufnahmeprüfung. Wer in die Gang eintreten will, muss unter Beweis stellen, dass er auch vor Mord nicht zurückschreckt.«
»Das liegt sicher im Bereich des Möglichen«, gab der AD zu verstehen.
»Zunächst werden wir uns mal im Umfeld der Getöteten umhören«, sagte ich und zuckte mit den Achseln. »Bei meinem Einwand handelt es sich um eine reine Vermutung. War nur so eine Idee.«
»Halten Sie mich auf dem Laufenden, Agents«, bat der Chef. »An welcher Sache arbeiten Sie gerade?«
»An dem Ritualmord«, erwiderte ich.
In einem stillgelegten U-Bahn-Schacht war eine Leiche gefunden worden, der man den Kopf abgetrennt hatte. In die Brust des Toten hatten die Mörder ein Kreuz geschnitten, das auf dem Kopf stand. Es handelte sich um den dritten Leichenfund dieser Art.
»Richtig«, murmelte der Chef und lächelte. »Ich selbst habe Sie mit der Klärung der Sache beauftragt. Sind Sie schon weitergekommen in Ihren Ermittlungen?«
»Einer der Männer wurde identifiziert. Sein Name ist Gregg Dunhill. Er wurde dreiundzwanzig Jahre alt. Dunhill ging keiner geregelten Arbeit nach, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und war wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestraft.«
»Haben Sie schon eine Spur?«
»Nein. Nach unserer bisherigen Erkenntnis gibt es in New York zwei satanische Sekten. Die Church of Asmodis und die Ecclesia Gnostica Catholica. Bei ihnen werden wir ansetzen müssen. Wir haben herausgefunden, dass ein Mann namens Seymour Carter als Bischof bei der Church of Asmodis tätig ist. Allerdings haben wir mit diesem Mann noch nicht gesprochen.«
»Soll ich den Fall zwei anderen Agents übertragen?«, fragte der Chef. »Die Klärung der Angelegenheit mit den vier Toten aus den Parks liegt mir sehr am Herzen, denn es ist nicht auszuschließen, dass der Killer weitermordet. Ihm muss so schnell wie möglich das Handwerk gelegt werden.«
»Wir werden der Sache die nötige Priorität verleihen, die ihr zukommt«, versicherte ich. »Parallel dazu ermitteln wir in der anderen Angelegenheit.«
»Wie Sie meinen, meine Herren. Bringen Sie mir Ergebnisse. Verhindern Sie weitere Morde.«
Der Chef reichte mir den Schnellhefter.
Zurück in unserem Büro blätterte ich die Mappe durch. Sie beinhaltete Protokolle bezüglich der Leichenfunde und die forensischen Berichte. Außerdem waren die Adressen der geschiedenen Ehefrau von Jason Derrick und die seiner Kinder angegeben.
»Wie gehen wir vor?«, fragte ich. »Beginnen wir mit dem jüngsten Mord?«
»Das ist der Mord an Derrick, wie?«
»Ja.«
»Von mir aus.«
»Dann sollten wir uns mit seiner Frau und seinen Kindern unterhalten.«
Die geschiedene Ehefrau wohnte in der 64th Street. Ihre Wohnung befand sich in einem Wohn- und Geschäftshaus und lag in der zwölften Etage. Der Portier in der Halle beachtete uns kaum. Er las in einer Zeitschrift und hob nur ganz kurz den Kopf, als wir das Gebäude betraten.
Milo holte einen der beiden Aufzüge nach unten, wir stiegen ein und ich drückte den Knopf mit der Nummer zwölf. Wenig später läutete Milo an der Wohnungstür. Eine Frau von etwa fünfundvierzig Jahren öffnete uns. Sie vermittelte trotz ihres fortgeschrittenen Alters ein hohes Maß an Attraktivität. Fragend schaute sie uns an. Ich übernahm es, uns vorzustellen. »Wir sind die Special Agents Trevellian und Tucker vom FBI New York. Können wir Sie kurz sprechen?«
Sie blinzelte. »Es ist wegen der Ermordung meines geschiedenen Mannes, wie?«
Ich nickte. »Es sind nur einige Routinefragen.«
»Kommen Sie herein.«
In der Wohnung bot sie uns Sitzplätze an. Sie selbst setzte sich ebenfalls. »Eine schlimme Sache«, murmelte sie. »Haben Sie schon eine Spur zu Jasons Mörder?«
»Leider nein. Sie waren von ihm geschieden.«
»Ja, seit drei Jahren. Wir hatten uns auseinander gelebt. Jason ging seiner Wege. Es waren auch andere Frauen im Spiel. Schließlich habe ich die Scheidung eingereicht.«
»Hatten Sie noch Kontakt mit Ihrem Mann?«
»Nein. Wir haben uns nicht gerade in Freundschaft getrennt.«
»Ihr Mann arbeitete als Buchhalter bei Johnson & Partner.«
»Das stimmt.«
»Dann können Sie uns sicher nicht sagen, ob Ihr Mann bedroht wurde.«
»Ich habe vor drei Jahren jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen«, sagte die Frau.
»Hatten Ihre Kinder Kontakt zu ihrem Vater?«
»Nur Ann.«
»Warren hatte keinen Kontakt zu seinem Vater?«
»Warren gab ihm die Schuld an der Scheidung. Er hat ihm die Seitensprünge nie verziehen. Warren war sogar zu stolz, Geld von seinem Vater zu nehmen. Er finanzierte sich sein Studium, indem er nebenbei arbeitete.«
»Gab es während der Zeit, in der Sie verheiratet waren, irgendwelche Menschen, die Ihrem Mann feindlich gesonnen waren?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Kindern?«, fragte Milo.
»Nicht mehr das Beste. Warren hat kürzlich sein Studium abgebrochen. Wovon er jetzt lebt, weiß ich nicht. Ich glaube, er ist in schlechte Gesellschaft geraten.«
»Wo wohnt er?«
»In Stuyvesant Town. Ich habe das letzte Mal von ihm vor etwa drei Monaten gehört. Er hat sich sehr zu seinem Nachteil verändert.«
»Haben Sie Kontakt zu Ann?«
»Manchmal ruft sie mich an. Sie studiert Medizin an der Fordham University.«
»Sagen Sie uns ihre Adresse«, forderte ich.
»89 West 60th Street. Sie bewohnt eine Studentenwohnung.«
»Hast du noch Fragen, Milo?«, frage ich meinen Partner.
»Im Moment nicht«, erhielt ich zur Antwort.
»Dann danke ich Ihnen, Ma'am«, sagte ich, holte eine Visitenkarte aus der Brieftasche und reichte sie ihr. »Sollte Ihnen irgendetwas einfallen, was vielleicht für uns von Interesse ist, rufen Sie mich an.«
Sie sicherte es zu.
*
Wir trafen Ann Derrick in ihrer Wohnung an. Bei der Dreiundzwanzigjährigen handelte es sich um eine atemberaubende Frau, die mich sofort in ihren Bann zog. Ihr schmales Gesicht, das von einem grünlichen Augenpaar beherrscht wurde, war von brünetten Haaren eingerahmt, die ihr in weichen Wellen auf die Schultern und den Rücken fielen. Ihr Mund war sinnlich geschnitten, das Kinn fraulich rund, die Nase klein und gerade. Ann war ungefähr eins siebzig groß. Die Jeans und der Pullover, die sie trug, zeigten, dass sie schlank und trotzdem wohlproportioniert war.
Diese Frau war der Hammer.
Ich erklärte, wer wir waren. Der herbe Zug, der sich um ihren Mund festsetzte, entging mir nicht. »Es ist wegen Dad, nicht wahr?«
»Sehr richtig«, erwiderte ich. »Dürfen wir reinkommen?«
»Bitte.« Ann gab die Tür frei.
Wir betraten das Apartment. Es handelte sich um eine Ein-Zimmer-Wohnung mit kleiner Kochnische. Wir befanden uns im Wohn-/Schlafbereich. Bei der Couch, die da stand, handelte es sich wahrscheinlich um eine Schlafcouch. Alles war ordentlich und aufgeräumt. Ann Derrick forderte uns auf, Platz zu nehmen. Als wir saßen, begann ich: »Wir haben schon mit Ihrer Mutter gesprochen, Ann … - Darf ich Sie Ann nennen?«
»Natürlich.«
»Danke. Ihre Mutter hatte seit drei Jahren keinen Kontakt zu Ihrem Vater. Sie hingegen sollen mit ihm in Verbindung gestanden haben.«
»Das ist richtig.«
»Wann standen Sie zum letzten Mal mit Ihrem Vater in Verbindung?«
»Vergangenen Freitag. Ich rief ihn abends an.«
»Am 30. Januar also.«
Ann rechnete kurz nach. »Exakt. Mein Vater unterstützte mich finanziell. Zum Monatsende erhielt ich von ihm immer zweihundert Dollar.«
»Wegen des Geldes haben Sie ihn angerufen?«
»Nein. Ich rief ihn ein- bis zweimal die Woche an. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu Dad.«
»Im Gegensatz zu Ihrem Bruder.«
Ein Schatten schien über das Gesicht der schönen Frau zu huschen. »Warren wollte nach der Scheidung unserer Eltern mit Dad nichts mehr zu tun haben. Er war der Meinung, dass Dad schuld war am Scheitern der Ehe. Ich denke darüber ein wenig anders. Aber das wird Sie sicher nicht interessieren.«
»Erzählen Sie ruhig«, sagte ich.
»Was soll ich sagen? Unsere Eltern waren über zwanzig Jahre verheiratet. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Eine Ehescheidung ist nichts Ungewöhnliches.«
Ich versuchte nicht, das Thema zu vertiefen. Im Grunde meines Herzens interessierte es mich tatsächlich nicht, was Schuld war am Zerwürfnis zwischen Jason Derrick und seiner Gattin.
»Haben Sie Kontakt zu Ihrem Bruder?«
»Er hat sein Studium geschmissen«, murmelte Ann. »Ich weiß nur, dass er einer Gang beigetreten ist. Ich solle mir keine Gedanken machen, sagte er, als ich ihn zur Rede stellte. Er komme schon über die Runden. Seit etwa zwei Monaten habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
»Kennen Sie die genaue Adresse Ihres Bruders?«
»Stuyvesant Town Nummer 2394.«
»Wie finanzieren Sie Ihr Studium?«, fragte ich.
»Ich arbeite als Kellnerin. Und ich erhielt zweihundert Dollar von Dad.«
»Ihre Mutter unterstützt Sie nicht?«
»Die muss selber arbeiten gehen, um leben zu können.«
»Die zweihundert Dollar Ihres Vaters werden Ihnen fehlen«, sagte ich.
»Irgendwie wird es weitergehen«, versetzte Ann hart. »So schnell werfe ich die Flinte nicht ins Korn.«
Als wir wieder im Auto saßen, pfiff Milo zwischen den Zähnen und sagte: »Was für eine Frau. Mir hat es glatt den Atem verschlagen.«
»Nicht nur dir, Partner.«
»Sie scheint auch eine starke Persönlichkeit zu sein«, bemerkte Milo.
Mir ging Ann Derrick nicht mehr aus dem Sinn. Immer wieder sah ich ihr ebenmäßiges, rassiges Gesicht vor meinem geistigen Auge. Und dann schlug mein Herz jedes Mal schneller. Diese Frau hatte einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Und in mir reifte der Gedanke, dass ich sie wieder sehen musste.
Wir gelangten nach Stuyvesant Town. Ich kurvte durch die Straßen der Sozialsiedlung. Dann fanden wir das Haus, in dem Warren Derricks Wohnung sein sollte und ich parkte am Straßenrand. Die Parkuhr, die da stand, fütterte ich mit einer kleinen Münze.
Fünf Stufen führten zur Haustür des Wohnblocks empor. Das Eisengeländer war verrostet. Zwei Kerle um die fünfzehn standen auf der Treppe und rauchten. Einer hatte sich eine Wollmütze über die Ohren gezogen, denn es war kalt, der andere trug eine Baseballmütze und hatte rote Ohren. Trotzig musterten sie uns und dachten nicht daran, zur Seite zu treten.
»Wohnt ihr hier?«, fragte ich die beiden.
»Wen interessiert das?«, kam sofort die Gegenfrage.
»FBI« sagte ich und zeigte den beiden Halbstarken meine Dienstmarke.
Es schien sie nicht zu beeindrucken. »Ist das dein Dienstwagen, Agent?«, fragte einer der Kerle und wies mit dem Kinn in die Richtung des Dienstwagens.
»Kann man so sagen«, versetzte ich. »Also noch einmal: Wohnt ihr in dem Block?«
»Ja. Warum willst du das wissen?«
»Wir suchen Warren Derrick.«
»Was hat Warren denn ausgefressen?«, fragte der Bursche mit der Wollmütze.
»Gar nichts. Wir hätten ihn nur gerne gesprochen.«
»Geht in die dritte Etage. Da wohnt er. Wenn ihr Glück habt, ist er zu Hause.«
Wir stiegen an den beiden Burschen vorbei die Treppe hinauf und betraten das Haus. Es roch nach Kohl. Obwohl es einen Aufzug gab, nahmen wir die Treppe. In der zweiten Etage hörten wir in einer Wohnung die plärrende Stimme einer Frau. Dann kamen wir in der dritten Etage an und ein Etikett, das an die Tür geklebt war und auf dem der Name W. Derrick stand, sagte uns, dass wir richtig waren. Milo legte seinen Daumen auf die Klingel. Der Klingelton war durch die geschlossene Tür zu hören. Wenig später wurde die Tür geöffnet und ein bärtiges Gesicht zeigte sich.
»Warren Derrick?«, sagte ich fragend.
Der Bursche hatte schulterlange, dunkle Haare. Der Bart, der in seinem Gesicht wucherte, war ungepflegt. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, was auf einen unsteten Lebenswandel hindeutete. Aber er hatte die gleichen grünlichen Augen wie Ann Derrick und auch von seiner Physiognomie her war die Ähnlichkeit der beiden unverkennbar.
»Wir sind die Agents Trevellian und Tucker vom FBI New York.«
Seine Brauen schoben sich zusammen, über seiner Nasenwurzel bildeten sich zwei senkrechte Falten. »FBI?«, dehnte er. »Was habe ich mit den Feds zu tun?«
»Können wir drin sprechen?«
»Worum geht es?«
Scheinbar hatte er noch keine Ahnung von dem Mord an seinem Vater.
»Um Ihren Vater.«
»Der Alte kann mir gestohlen bleiben.«
»Ihr Vater wurde am 5. Februar ermordet.«
»Was!?«
»Sie haben richtig gehört.«
»Sie denken doch nicht etwa, dass ich ihn zu seinen Ahnen versammelt habe.«
»Sie waren wütend auf Ihren Vater«, sagte ich.
»Er war mir egal. Damals, nach der Scheidung meiner Eltern, da war ich zornig auf ihn. Ich habe ihm die Schuld gegeben. In der Zwischenzeit aber sehe ich alles mit anderen Augen. Vielleicht war meine Mutter auch nicht ganz unschuldig. Nun, ich habe nie versucht, den Kontakt zu meinem Vater wieder herzustellen. Wissen Sie schon, wer ihn auf dem Gewissen hat?«
»Nein. Wir ermitteln zunächst in seinem Umfeld. Es ist nicht auszuschließen, dass er das Opfer eines Serienmörders wurde. Vor Ihrem Vater kamen drei weitere Männer ums Leben, und vieles deutet darauf hin, dass alle vom selben Täter getötet wurden.«
»Was wollen Sie von mir?«
»Bis vor zwei Monaten hatten Sie Kontakt mit Ihrer Schwester, Ihre Mutter hörte vor etwa drei Monaten zum letzten Mal etwas von Ihnen.«
»Ich brauche meine Familie nicht mehr.«
»Haben Sie Ersatz gefunden?«
»Mein Privatleben geht niemandem etwas an.«
»Wo waren Sie in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar.«
»He, ich habe mit dem Mord an meinem Alten nichts zu tun. Warum brauche ich ein Alibi?«
»Sie waren sauer auf Ihren Vater. Er wurde ermordet. Der Verdacht, dass Sie mit seinem Tod etwas zu tun haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Also sagen Sie uns, wo Sie waren, und wenn jemand Ihr Alibi bestätigen kann, sind Sie aus dem Schneider.«
»Ich war bis gegen drei Uhr in der Shadow Lounge. Das ist eine Bar in der Lower East Side.«
»Kann das jemand bestätigen?«
»Meine Freunde.«
»Wer sind Ihre Freunde?«, fragte Milo.
»Zachary Potter zum Beispiel. Er betreibt in der Grand Street eine Motorradwerkstatt. Er wird Ihnen bestätigen, dass ich bis gegen 3 Uhr in der Shadow Lounge war.«
»Ihre Schwester sprach davon, dass sie einer Gang beigetreten sind«, sagte ich.
»Motorradfreaks.«
»Rocker?«
»Nun ja …«
»Na schön«, sagte ich. »Wir werden diesen Zachary Potter befragen. Wie nennt sich der Verein, dem Sie sich angeschlossen haben?«
»Desperados.«
»Wir kommen vom Thema ab«, murmelte ich. »Hat Ihr Vater versucht, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen?«
»Kurz nach der Scheidung hat er mich einmal angerufen. Ich habe ihm meine Meinung über ihn gesagt und dann nie wieder von ihm gehört.«
»Ihre Schwester hat auch nichts erzählt?«
»Ich habe ihr verboten, in meiner Gegenwart über ihn zu sprechen.«
»Warum haben Sie Ihren Vater so sehr gehasst?«, fragte Milo.
»Er hat meine heile Welt zerstört.«
»Sie waren immerhin kein kleiner Junge mehr«, erklärte mein Partner. »Mit achtzehn musste Ihnen klar sein, dass eine Ehe geschieden werden kann.«
»Er betrog Mutter …«
Als wir in Richtung Süden fuhren, meinte Milo: »Wahrscheinlich hatte er sich ein besonderes Bild von seinen Eltern, im Besonderen von seinem Vater aufgebaut, und als die Ehe seiner Eltern vor dem Aus stand, brach seine Welt zusammen wie ein Kartenhaus. Anders ist es nicht zu erklären.«
»Er hasste seinen Vater«, murmelte ich. »Der Hass kann sich im Laufe der Jahre hochgeschaukelt haben.«
»Du verdächtigst ihn?«
»Er könnte ein Motiv für den Mord gehabt haben.«
»Daran glaube ich nicht«, sagte Milo. »Jason Derrick wurde in den Central Park entführt …«
»Oder gelockt«, unterbrach ich meinen Partner.
*
8. Februar, es war 8.45 Uhr.
Das Tor der Werkstatt stand offen. Wo ich hinschaute, sah ich Motorräder. Drei Leute montierten an Maschinen herum. Es roch nach Öl und Benzin. An einer Werkbank stand einer und schweißte. Funken sprühten.
»Hallo«, rief ich.
Die drei Monteure schauten uns an und unterbrachen ihre Arbeit. Der Bursche an der Werkbank ließ sich nicht beirren.
»Wer von Ihnen ist Zachary Potter?«
Einer der Männer – er war mit einem schmutzigen Overall bekleidet und hatte lange, blonde Haare -, richtete sich auf. Er wischte sich die Hände an der Hose ab. »Das bin ich. Was wollt ihr von mir?«
»Nur eine Frage, Mister Potter. Wo befanden Sie sich in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar?«
»Warum wollt ihr das wissen. Wer seid ihr überhaupt? Bullen etwa?«
»FBI«, erwiderte ich. »Also, wo waren Sie?«
»Das geht euch einen Dreck an.«
»Na schön«, sagte ich. »Dann wollen wir uns klarer ausdrücken. Der Vater eines Ihrer Freunde wurde in dieser Nacht ermordet. Ihr Freund könnte der Mörder gewesen sein. Es ist nicht auszuschließen, dass er Helfershelfer hatte. Also beantworten Sie unsere Frage.«
»Um welchen Freund geht es?«
»Um Warren Derrick.«
Die linke Braue des Burschen zuckte in die Höhe. »Ja, Warren war sauer auf seinen Alten. Wir haben bis gegen 3 Uhr in der Lounge gesessen und getrunken.«
»Sprechen Sie von der Shadow Lounge?«
»Sicher. Das ist unsere Stammkneipe. Warren war auch dort. Er kann also seinen Alten nicht über den Jordan geschickt haben.«
»Sie nennen sich Desperados, nicht wahr?«
»Sehr richtig.« Zachary Potter warf sich in die Brust. »Ich bin der Präsident. Zu unserem Verein gehören an die drei Dutzend Jungs. – Ed Carrington und Slim Yester können im Übrigen bestätigen, dass wir in der Lounge waren.« Seine Stimme hob sich. »He, Ed, Slim, bestätigt den beiden G-men, dass wir vom 4. auf den 5. Februar in der Lounge waren.«
Die beiden Kerle brabbelten irgendetwas vor sich hin.
»Ist schon in Ordnung«, sagte ich. »Entschuldigen Sie die Störung.«
»Keine Ursache«, grinste Potter. Seine Augen funkelten spöttisch.
*
Als wir auf dem Rückweg zur Federal Plaza waren, sagte ich: »In letzter Zeit haben sich die Überfälle auf Tankstellen und Supermärkte gehäuft. Die Gangster entkamen fast jedes Mal auf Motorrädern.«
»Du denkst an die Desperados, nicht wahr?«
»Ja.«
»Es gibt sicher eine Reihe von Motorradgangs in New York«, meinte Milo. »Bei den Desperados kann es sich um harmlose Jungs handeln.«
»Kann«, sagte ich. »Hast du den spöttischen Ausdruck in Potters Augen gesehen?«
Milo winkte ab. »Was auch immer – es ist nicht unser Problem. Wir haben drei Leichen, denen die Köpfe fehlen, und wir haben vier weitere Leichen, die allesamt durch einen aufgesetzten Schuss in den Rücken getötet wurden. Das letzte Opfer ist Jason Derrick. Wenn es sich bei dem Mörder um jemand handelt, der nicht in einer persönlichen Beziehung zu ihm stand, haben wir einen schweren Stand.«
»Die geschiedene Ehefrau, die Tochter und der Sohn scheiden meiner Meinung nach als Mörder aus«, sagte ich. »Ich bin davon überzeugt, dass es sich um den vierten Mord in einer Serie von Morden handelt, die auf das Konto eines perfiden Killers gehen, der wahllos tötet, vielleicht sogar eines Geisteskranken.«
»Alles spricht dafür. Doch wir dürfen das Umfeld des Getöteten nicht aus den Augen lassen.«
»Wie hieß der Mann, der vor Derrick ermordet wurde?«, fragte ich.
Milo holte sein Notizbüchlein aus der Innentasche seiner Jacke, schlug es auf, blätterte ein wenig darin herum, dann antwortete er: »Clinton Taylor. Er starb am 29. Januar. Sein Leichnam wurde im Riverside Park gefunden.«
»Angehörige?«
»Eine Frau und zwei Kinder, zwölf und vierzehn Jahre alt.«
»Wo wohnt die Frau?«
Wieder warf Milo einen Blick in das Büchlein. »341 West 30th Street.«
»Okay«, sagte ich. »Statten wir ihr heute noch einen Besuch ab.«
Wir erreichten die 30th und ich fand einen Parkplatz. Die Wohnung der Frau lag in der siebten Etage eines Hochhauses. Die Frau war zu Hause, bat uns in die Wohnung und forderte uns auf, Platz zu nehmen. »Mich haben Ihre Kollegen von der Mordkommission schon vernommen«, sagte sie. »Ich habe denen Rede und Antwort gestanden.«
»Wir haben das Vernehmungsprotokoll«, sagte ich. »Dennoch haben wir noch einige Fragen.«
»Fragen Sie.«
Ich begann …
*
Wir kehrten gegen 17 Uhr ins Field Office zurück. Die Arbeit auf unseren Schreibtischen hatte sich nicht von selbst erledigt. Ich seufzte, als ich den Berg Akten sah. »Sieht aus, als wäre es nötig, ein paar Überstunden einzulegen«, sagte ich.
Milo schnitt ein Gesicht. »Du verstehst es, einem die gute Laune zu rauben.«
»Oder warten wir die Nacht noch ab. Vielleicht tauchen ein paar Heinzelmännchen auf.«
Milo lachte gequält auf. »Darauf warten wir schätzungsweise lange.«
Da klingelte mein Telefon. Ich schnappte mir den Hörer und hob ihn vor mein Gesicht. »Trevellian, FBI New York.«
»Seymour Carter. Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich, Special Agent?«
Ich aktivierte den Lautsprecher. »Natürlich, Mister Carter. Was haben Sie mir mitzuteilen?«
Bei Carter handelte es sich um den Bischof der Church of Asmodis. Wir hatten mit dem Mann gesprochen, nachdem man uns drei Tote präsentiert hatte, die wohl einem Ritual zum Opfer gefallen waren. »Mir wurde von einer Sekte berichtet«, sagte Carter. »Ein Mann namens Craig Bailey leitet sie. Sie nennt sich The Beasts of Satan und soll sich in der Upper East Side etabliert haben.«
Ich notierte mir den Namen. »Wir werden uns mit dem Mann unterhalten«, versicherte ich und bedankte mich.
»Konnte ich den Verdacht, den Sie gegen uns hegten, ausräumen, Special Agent?«, fragte Carter.
»Wir haben keinen Beweis, dass Sie uns mit der Unwahrheit bedient hätten, Mister Carter«, versetzte ich ausweichend.
»Es ist mir also nicht gelungen«, konstatierte er.
»Wir stecken noch mitten in den Ermittlungen. Sicher dürfte nur sein, dass es sich um Ritualmorde handelt. Wer die drei Männer auf dem Gewissen hat, wissen wir nicht.«
»Sie machen sich wahrscheinlich ein völlig falsches Bild von uns, G-man. Sicher, wir betreiben Ritualmagie. Diese wird aber nicht generell als Anrufung externer Wesen verstanden, sondern oft auch nur als therapieähnliches Psychodrama zur Selbstbeeinflussung der Emotionen der Beteiligten, sodass dessen Wunscherfüllung gefördert wird. Im Prinzip sind wir pro-wissenschaftlich eingestellt. Allerdings schließt unsere Einstellung nicht aus, dass es übernatürliche Phänomene gibt.«
»Das ist mir zu hoch, Mister Carter.«
»Warum sagen Sie nicht, dass es Sie nicht interessiert?«
»Glaubensdinge sollte man individuell sehen«, versetzte ich. »Jeder hat seine eigenen Ansichten. Niemand sollte versuchen, auf die Einstellung des anderen Einfluss zu nehmen.«
»Das versuche ich nicht bei Ihnen, G-man. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen …«
»Schon gut, Mister Carter. Haben Sie eine Ahnung, wo wir diesen Craig Bailey erreichen können?«
»Nein.«
Ich bedankte mich und legte auf.
Milo sagte: »Indem er uns auf diesen Craig Bailey hetzt, versucht er vielleicht von sich abzulenken.«
»Ich weiß es nicht. Jedenfalls sehen wir uns Craig Bailey mal näher an.« Ich setzte mich an meinen Computer und fuhr ihn hoch. Dann klickte ich das Archiv her und gab den Namen Zachary Potter ein. Gleich darauf erschien das Bild des Burschen auf dem Bildschirm. Potter war neunundzwanzig Jahre alt. Vorbestraft war er wegen Drogenhandels, Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Nötigung. Ich fertigte einen Ausdruck von dem Bild. Dann schaute ich nach, ob Craig Bailey registriert war. Fehlanzeige. Ich schaute im elektronischen Telefonbuch nach. Und tatsächlich fand ich den Namen. Bailey wohnte in der 78th Straße. Ich notierte mir die Anschrift.
Kapitel 2
8. Februar, 20.35 Uhr …
Die drei Biker tankten ihre Maschinen voll. Die Visiere ihrer Helme waren geschlossen. Wortlos bedienten sie die Zapfpistolen. Gekleidet waren sie in schwarzes Leder. Nachdem die Tanks voll waren, hängten sie die Zapfventile ein und setzten sich in Richtung des Kassenraums in Bewegung. Einer der drei betrat das Gebäude jedoch nicht. Er blieb vor der Tür stehen. Die beiden anderen traten ein und gingen zum Tresen. Dort stand eine junge Frau und zahlte. An einem Stehtisch standen drei Männer und tranken Kaffee. Dazu aßen sie Donats.
Der Kassierer war ein Bursche von etwa dreißig Jahren. Er zählte Wechselgeld ab und legte es vor die junge Frau hin. »Drei vierzig«, sagte er. »Und zehn macht fünfzig. Vielen Dank, Ma'am.« Er legte die Zehn-Dollar-Note auf den Tresen.
Die schweren Motorradstiefel der beiden Biker riefen ein hallendes Echo in dem Verkaufsraum wach. Einer wandte sich den drei Männern an dem Stehtisch zu. Plötzlich hielt er eine Pistole in der Hand. Er hatte sie unter seiner Lederjacke hervorgeholt. »Rührt euch nicht!«, kommandierte er.
Auch sein Komplize hatte eine Pistole gezogen und hielt die Mündung der jungen Frau an den Kopf. »Los, rück sämtliches Papiergeld heraus, das du in deiner Kasse hast!«, forderte er den Kassierer auf.
Der Angesprochene schnappte erschreckt nach Luft. Das war seine einzige Reaktion.
»Hast du was an den Ohren?«, zischte der Gangster und spannte mit dem Daumen den Hammer der Pistole.
Bei der jungen Frau kam das Begreifen. Das Entsetzen schlich sich in ihre Augen. Ihre Mundwinkel begannen zu zucken und ihre Hände begannen zu zittern.
Die drei Männer am Stehtisch standen da wie zu Salzsäulen erstarrt. Die Mündung der Pistole wanderte von einem zum anderen.
In die Gestalt des Kassierers geriet Leben. Er griff in die Kasse, die noch geöffnet war, und holte die Geldscheine heraus. Der Gangster griff mit der Linken nach dem Oberarm der Frau und zerrte sie zur Seite. Dann riss er dem Kassierer das Geld aus der Hand. Der Gangster trug schwarze Lederhandschuhe. Er stopfte das Geld in die Tasche seiner Lederjacke. »Okay!«, stieß er hervor. »Verschwinden wir.«
Die beiden liefen nach draußen. Wenig später heulten die Motoren der drei Maschinen auf. Die Räuber brausten davon. Der Kassierer löste Alarm aus …
*
Es war kurz nach 21 Uhr. Der Supermarkt in der 89th hatte vor einer Stunde geschlossen. Die Angestellten waren bereits nach Hause gegangen. Jetzt verließ auch der Filialleiter das Gebäude durch die Hintertür. Im Hof stand sein Mitsubishi. Er trug einen Aktenkoffer, in dem sich zwei Geldbomben befanden, die er noch zur Bank bringen wollte, ehe er auch nach Hause fuhr.
Im Hof war es finster. Ein Stapel Obstkisten und Kartons war an der Wand aufgeschichtet. Bei dem Filialleiter handelte es sich um einen vierundfünfzigjährigen Mann, der den Supermarkt seit mehr als fünfzehn Jahren leitete. Er hatte kein gutes Gefühl. Zu viele Überfälle hatten in letzter Zeit auf Supermärkte stattgefunden. Und in seiner Aktentasche befanden sich fast zwanzigtausend Dollar. Er verspürte ein seltsames Kribbeln zwischen den Schulterblättern.
Als sich eine schemenhafte Gestalt aus der Dunkelheit hinter dem Kistenstapel löste, erschrak der Filialleiter. Unwillkürlich stockte er im Schritt. Sein Herz schlug schneller. Eine zweite Gestalt erhob sich hinter seinem Mitsubishi. Schlagartig trocknete sein Mund aus, das Schlucken bereitete ihm Mühe. Er wusste, was die Stunde geschlagen hatte.
Die beiden Schemen näherten sich ihm, ihre Gestalten nahmen Formen an, die harten Absätze ihrer Motorradstiefel erzeugten ein tackendes Geräusch. Dann waren sie heran. Matt glitzerte das Metall der Pistolen, die sie in den Händen hielten. Sie trugen Motorradhelme. Die Visiere waren geschlossen.
»Gib mir den Koffer«, forderte einer der beiden Gangster.
Burmester, so hieß der Filialleiter, verlor die Nerven. Er riss die Hand mit dem Koffer hoch, rammte ihn dem Kerl vor sich gegen die Brust und begann um Hilfe zu schreien. Der andere der beiden Gangster schlug mit der Waffe zu. Burmester bekam den Lauf gegen den Kopf. Mit einem verlöschenden Laut auf den Lippen ging er zu Boden. Der Gangster schlug noch einmal zu. Burmester schien in einer bodenlosen Schwärze zu versinken. Der Gangster riss den Koffer mit den Geldbomben an sich, dann rannten die beiden aus dem Hof.
Auf der Straße warfen sie sich in einen Pontiac, der Motor heulte auf, die Räuber rasten davon.
*
9. Februar, 9.35 Uhr.
Die Wohnung von Craig Bailey befand sich in der fünften Etage eines Hochhauses. Eine junge Frau öffnete uns die Tür. Sie sah bleich aus, und ihre schwarz gefärbten Haare verstärkten diesen Eindruck. Ihre Augen waren dunkel geschminkt und es sah aus, als lägen sie tief in den Höhlen. »Sie wünschen?«
Ich stellte uns vor. Das Aufflackern in ihren Augen blieb mir nicht verborgen. Dann erklärte ich ihr, dass wir zu Craig Bailey wollten. Sie drehte den Kopf. »Zwei Agents vom FBI, Craig. Sie wollen zu dir.«
»Lass sie herein.«
Die bleiche Lady gab die Tür frei. Bailey war Mitte der vierzig und saß auf der Couch. Er war mit einem braunen Morgenmantel bekleidet. Vor ihm auf dem niedrigen Tisch stand eine Tasse. Sein Gesicht war wie aus Granit gemeißelt, als er fragte: »Was wollen Sie denn von mir?«
»Uns ist zu Ohren gekommen, dass Sie eine Sekte führen. Sie nennen den Verein The Beasts of Satan.«
Es gab für mich keinen Grund, lange um den heißen Brei herumzureden. Während ich sprach, ließ ich Bailey nicht aus den Augen. Sekundenlang schwieg er und schien die Antwort, die er mir geben wollte, im Kopf zu formulieren. Dann sagte er:
»Das ist nicht verboten. Weshalb interessiert sich das FBI dafür.«
»Seit wann gibt es The Beasts of Satan?«
»Ich habe sie vor sechs Jahren ins Leben gerufen.«
»Wo finden Ihre Veranstaltungen statt?«
»Auf einer verlassenen Farm bei Millwood. Warum muss ich Ihnen Rede und Antwort stehen, Agent?«
»Es gibt drei tote Männer. Ihnen wurden die Köpfe abgetrennt. In die Brust eines jeden ist ein Kreuz geschnitten, das auf dem Kopf steht. Wir gehen von Ritualmorden aus.«
»Warum kommen Sie damit zu mir?«
»Wir überprüfen sämtliche Sekten, die schwarze Messen durchführen und den Satan anbeten. Das umgekehrte Kreuz ist ein Symbol der Teufelsverehrung.«
»Woher wissen Sie von unserer Gruppe?«
»Es ist uns eben zu Ohren gekommen.«
»Es gibt verschiedene ähnliche Gruppierungen«, erklärte Bailey. »Haben Sie die auch überprüft, die Church of Asmodis zum Beispiel, oder die Ecclesia Gnostica Catholica?«
»Wir überprüfen sämtliche Sekten und schwarzmagischen Gruppierungen«, erklärte ich. »Wo genau befindet sich die Farm, auf der sich Ihre Veranstaltungen abspielen?«
Bailey erklärte es mir.
»Wie ist die Gruppe gegliedert?«
»Ich bin Hohepriester. Neben mir gibt es noch einige Priester. Und dann sind da noch die Gläubigen.«
»Nennen Sie uns die Namen der Priester«, forderte ich uns sah, wie Milo sein Notizbüchlein zückte.
»Warum?«
»Weil wir die Leute überprüfen möchten«, versetzte ich.
»Ich werde einen Rechtsanwalt einschalten«, knurrte Bailey. »Sie verdächtigen uns mehrerer Morde, ohne auch nur den geringsten Beweis für Ihre Behauptung zu haben. Ich werde Ihnen den Namen und die Anschrift meines Anwalts zukommen lassen. Sollten sich noch Fragen ergeben, wenden Sie sich bitte an ihn. Und nun bitte ich Sie, meine Wohnung zu verlassen.«
Seine Augen funkelten kriegerisch.
»Wir können Sie auch ins Field Office vorladen«, gab ich zu verstehen.
»Ich werde meinen Anwalt mitbringen.«
»Das ist Ihnen natürlich unbenommen«, erwiderte ich. »Ich bitte sie, morgen Vormittag um 10 Uhr zu erscheinen. Sollten Sie nicht kommen, werden wir Sie vorführen lassen.«
»Ich werde da sein.«
Wir verließen die Wohnung und machten uns auf den Weg nach Norden. Der Verkehr in Manhattan war wieder einmal katastrophal. Darüber hinaus hatte es leicht zu schneien begonnen. Es ging nur stockend voran. Stop and Go. Man musste eine Menge Geduld mitbringen. Sobald eine Schneeflocke vom Himmel fiel, schienen die meisten Zeitgenossen das Autofahren verlernt zu haben.
Aber wir kämpften uns durch. Schließlich lag New York hinter uns und der Verkehr wurde erträglich.
Millwood war eine kleine Stadt, in der die Welt noch in Ordnung schien. Es gab eine Polizeistation. Sie suchten wir auf. Zwei Beamte versahen Dienst in dem Revier. Ihre Namen waren Dale Roberts und Kane Milster. Während Dale Roberts groß und schwergewichtig war, handelte es sich bei Kane Milster um einen Burschen, der höchstens eins fünfundsechzig groß war und dessen Kopf fast so breit war wie seine Schultern.
Wir stellten uns vor und dann erklärten wir den beiden Cops, weswegen wir nach Millwood gekommen waren. Roberts nickte und sagte: »Ja, es ist bekannt, dass auf der Farm Schwarze Messen abgehalten werden. Die Leute, die daran teilnehmen, kommen hauptsächlich aus New York. Die Farm gehörte mal Lester Madlock. Aber der alte Lester ist gestorben und hat keine Erben hinterlassen. Nun gammelt das Anwesen vor sich hin.«
»Wir werden uns dort mal umsehen«, sagte ich.
»Zwei Streifen sind unterwegs«, erklärte Roberts. »Soll ich eine zu der Farm beordern?«
»Nicht notwendig.«
Der Cop beschrieb uns noch einmal den Weg. Wir verließen die Stadt, fuhren auf einer schmalen Straße zwischen Wald und Wiesen hindurch, dann zweigte eine unbefestigte Straße ab, der wir folgten. Es war mehr ein Weg, der von Autorädern zerfurcht war. Die Stoßdämpfer des Dienstwagens mussten einiges aushalten. Und dann fuhren wir über eine Anhöhe hinweg und in der sich anschließenden Senke lag die Farm. Der Weg führte geradewegs darauf zu und mündete in einen staubigen Hof.
Es gab ein Wohnhaus sowie eine große Scheune, Ställe und Schuppen. Alles war dem Verfall preisgegeben. Ein Corral, in dem vielleicht mal Pferde oder Rinder weideten, war zusammengebrochen. Das Holz der Gebäude war grau und verwittert. Das Dach eines Schuppens war eingebrochen.
Ringsum war Wald. Er begrenzte die Senke nach Osten, Westen und Norden.
Auf dem Hof bremste ich. Wir stiegen aus. Im knöcheltiefen Sand waren Abdrücke von Autoreifen erkennbar. Aus der Nähe wirkte alles noch verwahrloster und verfallener. Nun konnte man sehen, dass das Holz, aus dem die Scheune, die Schuppen und Ställe erbaut waren, bereits zu verrotten begann.
Wir gingen zum Haus. Die Tür ließ sich öffnen. In der Halle gab es einen offenen Kamin. Ansonsten war sie leer. Eine dicke Staubschicht lag auf dem Fußboden. Dieses Haus schien seit Jahren kein Mensch mehr betreten zu haben. Es roch nach Moder und Schimmelpilz. Eine Treppe führte nach oben und endete auf einer Galerie, von der verschiedene Türen abzweigten.
Ich ließ meinen Blick über den Fußboden gleiten. Es gab keine Spuren. Wir kehrten wieder in den Hof zurück. Die Scheune erregte meine Aufmerksamkeit. Das große Tor war geschlossen und mit einem Vorhängeschloss gesichert. Viele Fußspuren führten hinein. Deutlich waren die Abdrücke im Sand wahrzunehmen. Ich holte aus dem Kofferraum des Dienstwagens einen Schraubenzieher und sprengte das Schloss. Die Scheune war leer. Aber noch immer hing der Geruch von Heu und Stroh zwischen den Holzwänden. Durch die Ritzen zwischen den Brettern fiel Tageslicht. An der dem Eingang gegenüberliegenden Wand stand ein großer Tisch. An der Wand darüber hing ein auf dem Kopf stehendes, großes Kreuz. Vor dem Altar war mit weißer Farbe ein großes Pentagramm auf den Boden gezeichnet.
Wir durchquerten den Raum. Bei dem Tisch hielten wir an. Einige schwarze Kerzen in Haltern aus billigem Material standen darauf. Und ich nahm einige rostrote Flecken war. »Das könnte Blut sein«, gab ich zu verstehen.
Milo nickte. »Wir werden die Spurensicherung herholen müssen.«
Wir verließen die Scheune wieder. In diesem Moment verspürte ich einen glühenden Hauch an der Wange, etwas durchschlug hinter mir die Holzwand, der versickernde Hall eines Schusses drang an mein Gehör. »Achtung, Milo!«, zischte ich und stieß mich ab. Dort, wo ich eben noch gestanden hatte, pfiff eine Kugel durch die Luft und bohrte sich in die Scheunenwand.
In Milos Gestalt kam Leben. Geduckt rannte mein Partner zum Dienstwagen und ging dahinter in Deckung. Ich lief in die Scheune und duckte mich an der Wand neben der Tür. Die SIG hielt ich in der Hand. Ich lugte nach draußen. Es blieb still. Jemand schien es ganz und gar nicht zu gefallen, dass wir hier herumschnüffelten.
Der Schütze musste im Wald westlich von der Farm verborgen sein. »Kannst du etwas sehen, Milo?«, rief ich.
»Nein.«
Ich setzte alles auf eine Karte und verließ meine Deckung. Meine Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Ich war darauf eingestellt, gedankenschnell zu reagieren. Mechanisch setzte ich einen Fuß vor den anderen. Ich bewegte mich schnell. Nichts geschah. Wie es aussah, hatte der hinterhältige Schütze das Weite gesucht.
Ich erreichte den Dienstwagen. »Der Kerl ist fort«, erklärte ich. »Sehen wir nach.«
»Das ist zu gefährlich«, gab Milo zu bedenken. Er zückte sein Handy. »Ich rufe beim Police Departement an. Sie sollen ein Team herschicken.«
»Von mir aus«, sagte ich.
Milo tippte eine Nummer, dann sprach er. Ich achtete nicht auf seine Worte, sondern beobachtete den Waldrand. Und plötzlich glaubte ich eine Bewegung in dem Unterholz festzustellen. »Da ist jemand«, stieß ich hervor. »In den Dienstwagen, Milo!«
Ich riss die Tür der Fahrerseite auf, warf mich auf den Sitz und startete den Motor. Milo fiel auf den Beifahrersitz. Die Tür flog von selbst zu, als ich anfuhr. Über Stock und Stein jagte ich auf den Waldrand zu. Wenn ich erwartet hatte, dass wir unter Feuer genommen werden würden, so sah ich mich getäuscht. Beim Waldrand angekommen stieg ich in die Eisen. Mit einem Ruck kam der Dienstwagen zum Stehen, wir sprangen ins Freie und rannten Haken schlagend wie Hasen ein Stück in den Wald hinein. Hinter einem dicken Baumstamm fand ich Deckung. Mein Blick bohrte sich zwischen die Bäume. Als ich einmal zur Seite schaute, sah ich Milo, der ebenfalls im Schutz eines Baumes stand und die Hand mit der SIG erhoben hatte. Die Mündung wies zum Himmel.
Im Wald rührte sich nichts. Nur das leise Rauschen des Windes in den Baumkronen war zu vernehmen.
»Er ist fort«, sagte Milo.
»Sieht ganz so aus.«
Wir traten den Rückweg an, setzten uns wieder in den Dienstwagen und kehrten zur Farm zurück. Dort warteten wir auf das Team von der Spurensicherung. Unsere Geduld wurde auf eine ziemliche Probe gestellt. Es dauerte fast zwei Stunden, bis die Kollegen aufkreuzten. Sie machten sich sofort an die Arbeit. Milo und ich überließen ihnen das Feld und kehrten nach Manhattan zurück, wo wir uns sofort in die 78th Street begaben.
Es war wieder die bleiche Frau mit den tief liegenden Augen, die uns öffnete. »Craig«, rief sie über die Schulter, »die beiden G-men sind wieder da.«
Craig Bailey kam zur Tür, schob die Lady auf die Seite und baute sich im Türrahmen auf. Er stemmte die Arme in die Seiten. »Ich denke, wir haben morgen Vormittag eine Verabredung.«
»Das ist zutreffend«, versetzte ich. Dann fügte ich hinzu: »Wir waren in Millwood.«
»Dann ist Ihnen sicher nicht entgangen, dass wir in der Scheune unsere Rituale abhalten.«
»Auf uns wurde geschossen. Sieht ganz so aus, als hätten Sie jemandem Bescheid gesagt, dass wir vielleicht bei der Farm auftauchen.«
Baileys Mundwinkel sanken verächtlich nach unten. »Warum sollte ich jemanden veranlassen, auf Sie zu schießen?«
»Wir haben auf dem Altar Blutflecken festgestellt.«
»Hühnerblut«, knurrte Bailey. »Das wird man in Ihrem Labor sicher feststellen.«
»Mit wem haben Sie telefoniert, nachdem wir sie heute Vormittag verlassen haben?«
»Darüber bin ich Ihnen doch keine Rechenschaft schuldig.«
»Wir können es feststellen.«
»Dazu bedarf es eines Gerichtsbeschlusses. Den zu erwirken dürfte Ihnen jedoch schwer fallen.«
»Wir werden es sehen.«
*
Bei Sarah Anderson läutete das Telefon. Die Agentin nahm ab und meldete sich. Es war Mr. McKee, der sagte: »Bitte, Sarah, kommen Sie und Josy doch gleich mal zu mir.«
»Eine Minute, Sir«, sagte Sarah, legte auf und sagte zu Josy: »Zum Chef. Es klang dringend.«
Die beiden Agentinnen verließen ihr Büro. Der Assistant Director begrüßte sie per Handschlag und forderte sie auf, sich an den Besprechungstisch zu setzen. Auch er setzte sich dazu und sagte: »Mich hat ein Richard Davis angerufen. Davis betreibt drei Bars in Manhattan Valley. Jemand ist telefonisch an ihn herangetreten und fordert Schutzgeld. Davis soll monatlich zweitausend Dollar pro Laden zahlen. Ist er dazu nicht bereit, habe er die Konsequenzen zu tragen. Was das heißt, brauche ich Ihnen sicher nicht zu sagen.«
»Wer ist in Manhattan Valley der große Mann?«, fragte Sarah.
Der AD hob die Schultern. »Das Stadtviertel ist meines Wissens sauber. Umso verwunderlicher für mich, dass plötzlich Schutzgelderpresser auftreten.«
»Vielleicht versucht sich jemand dort oben breitzumachen«, warf Josy ein.
»Ich weiß es nicht«, versetzte Mr. McKee. »Kümmern Sie sich darum, Agents. Richard Davis wohnt in 475 West 99th Street.«
Josy schrieb die Adresse auf.
Die beiden Agentinnen verloren keine Zeit. Das Apartment des Barbesitzers lag in der vierten Etage eines Wohn- und Geschäftshauses. Sie fuhren mit dem Aufzug nach oben. Davis selbst öffnete ihnen. Nachdem Sarah sich und Josy vorgestellt hatte, bat sie Davis in die Wohnung. Sie war teuer eingerichtet; Designermöbel. Die Bilder an den Wänden waren echt. Sarah und Josy schritten über einen echten Perser zu der schweren Polstergruppe aus weißem Leder. In einem der Sessel saß eine Lady von etwa dreißig Jahren, deren Haare rötlich gefärbt waren.
»Ihr Chef hat ja prompt reagiert«, sagte Davis, nachdem alle saßen.
»Er hat uns nicht allzu viel erzählt, Sir«, gab Sarah zu verstehen. »Man will von Ihnen Schutzgeld kassieren und bedroht Sie. Der Erpresser hat doch sicher mehr von sich gegeben.«
»Ich besitze drei Bars hier in Manhattan Valley«, erklärte Davis. »Mandy's Inn, das Memphis und den Star Club. Der Kerl, der anrief, wollte heute Abend ins Memphis kommen, um das Schutzgeld abzuholen.«
»Hat er eine Uhrzeit genannt?«
»Ja. 22 Uhr. Ich hätte sechstausend Dollar auf den Tisch zu blättern, andernfalls würde ich es bereuen, sagte er.« Davis holte Luft. Seine Stimme sank herab, als er fortfuhr: »Ich bin nicht bereit, zu zahlen. Darum habe ich das FBI informiert.«
»Ein löblicher Entschluss«, sagte Josy O'Leary. »Wir werden heute Abend da sein. Machen Sie sich keine Sorgen. Wo finden wir das Memphis?«
»In der 94th Street.«
»Werden Sie auch da sein, Mister Davis?«
Der Barbesitzer nickte.
»Nur noch eine Frage«, sagte Sarah. »Gibt es vielleicht jemand, der versucht, sich dieses Gebiet hier im Westen unter den Nagel zu reißen?«
»Ich habe nichts gehört«, versetzte Davis.
*
Um 21.30 Uhr bremste Sarah den Dienstwagen vor dem Memphis. Eine rote Leuchtreklame über der Tür des Etablissements verriet den Namen. Rötlicher Schein fiel auf den Gehsteig und in die Straße. Die beiden Agentinnen waren praktisch gekleidet. Sie trugen Jeans und gefütterte Windjacken. Ein Türsteher musterte sie aufmerksam, sagte aber nichts, als die beiden an ihm vorbeigingen und das Lokal betraten.
Im Gastraum war das Licht gedämpft. Es gab eine Bühne, auf der sich zwei Chromstangen bis zur Decke erhoben und die gut ausgeleuchtet war. Eine halb nackte Tänzerin war gerade dabei, ihre Gestalt an einer der Stangen zu verbiegen. Sie verfügte über eine erstklassige Figur und war ausgesprochen geschmeidig. Gierige Blicke taxierten sie.
Sarah und Josy gingen zur Theke, an der ein halbes Dutzend Barhocker standen, von denen drei noch frei waren. Zwei Keeper machten ihren Job. Die beiden Agentinnen öffneten ihre Jacken ein Stück und setzten sich. Einer der Keeper kam heran. »Habt ihr euch verirrt, Ladies?«, fragte er grinsend.
Sarah schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Wir trinken Wasser. So etwas gibt es doch in diesem Laden hier?«
»Die New Yorker Wasserleitung ist voll davon«, grinste der Bursche.
»Hauptsache, es ist schön kühl«, versetzte Sarah.
Der Keeper wandte sich ab.
An einem der Tische erhob sich ein Mann und kam näher. Es war Richard Davis. Er erreichte Sarah und Josy. »Haben Sie denn keine Verstärkung mitgebracht?«
»Ich glaube nicht, dass das notwendig ist«, versetzte Sarah.
Davis schaute ziemlich unglücklich drein. »Was ist, wenn der Kerl gleich einen Schlägertrupp mitbringt?«
»Daran glaube ich nicht«, versetzte Sarah.
»Hoffen wir, dass Sie recht haben«, murmelte Davis und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn. »Die Kerle werden sich an mir rächen«, murmelte er dann.
Der Keeper brachte die beiden Wasser und stellte sie vor Sarah und Josy hin. Etwas verdutzt musterte er seinen Chef. »Die beiden Wasser gehen aufs Haus«, sagte Davis.
Der Keeper entfernte sich wieder. Davis kletterte auf einen Barhocker und begann mit den Fingerkuppen seiner Rechten nervös auf dem Tresen zu trommeln. Die Zeit verstrich nur langsam. Ab und zu schaute Sarah auf die Uhr. Schließlich wurde es 22 Uhr.
*
Draußen fuhr ein Ford vor. Zwei Männer stiegen aus. Einer hatte die langen Haare am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trugen Jeans und gefütterte Lederjacken. Auf dem Kopf eines der Kerle saß eine schwarze Baseballmütze. Sie waren nicht älter als fünfundzwanzig.
»Einen Moment«, sagte der Türsteher, als sie wortlos an ihm vorbeimarschieren wollten.
»Bleib ruhig, mein Freund«, sagte der mit der Baseballmütze. »Wir haben eine Verabredung mit deinem Chef.«
»Das kann jeder behaupten.«
»Ist aber so. Davis ist sicher in dem Laden. Hast du 'n Telefon? Dann ruf ihn an. Er wird es dir bestätigen.«
Dem Türsteher entging nicht die verborgene Drohung im Tonfall des Kerls. Da ihm klar war, dass er gegen die beiden keine Chance haben würde, nickte er und sagte: »Nicht nötig. Ihr könnt passieren.«
»Wie zuvorkommend«, sagte der mit dem Pferdeschwanz spöttisch. Sie gingen hinein. Nachdem sie das Lokal betreten hatten, blieben sie stehen und schauten sich um. »Nobler Laden«, sagte der mit dem Pferdeschwanz. »Wirft sicher 'ne Menge ab.«
»Komm.« Der mit der Baseballmütze setzte sich wieder in Bewegung. Er ging zum Tresen. In seinen Augen spiegelte sich das diffuse Licht wider. Sie glitzerten wie Glaskugeln. Der andere folgte ihm. An der Theke bauten sie sich auf, ein Keeper kam heran, der mit der Baseballmütze sagte: »Wir haben 'ne Verabredung mit deinem Chef. Ist er hier?«
»Er sitzt da.« Der Keeper wies mit dem Kinn auf Davis.
Der Bursche mit der Baseballmütze schob sich am Tresen entlang auf Davis zu. »Hallo.«
Davis zuckte zusammen. Sein unruhiger Blick saugte sich am Gesicht des Anderen fest. »Hallo«, erwiderte er den Gruß mit belegter Stimme.
»Haben Sie es sich überlegt?«
»Habe ich mit Ihnen am Telefon gesprochen?«
»Nein. Wir sind sozusagen nur Boten. Aber unsere Leute sind abrufbereit. Wäre schade um das schöne Lokal. Außerdem würden sicher auch Ihre beiden anderen Etablissements in Mitleidenschaft gezogen.«
»Nun, ich habe es mir überlegt«, sagte Davis laut – laut genug, sodass ihn Sarah und Josy hören konnten. »Ich werde nicht bezahlen.«
Das Gesicht des Kerls mit der Baseballmütze versteinerte regelrecht. »Das wäre dumm von Ihnen, Davis.«
Sarah rutschte vom Barhocker und kam schnell heran. Josy wandte sich dem anderen Kerl zu. »FBI«, sagte Sarah, als der Bursche den verdutzten Blick auf sie richtete. »Ich verhafte Sie wegen …«
Die Faust des Burschen schnellte auf Sarahs Gesicht zu. Sie kam nicht mal dazu, sich auszuweisen. Gedankenschnell duckte sie sich. Die Faust radierte über ihre Haare hinweg. Blitzartig drehte sich Sarah in den Burschen hinein, erwischte mit beiden Händen seinen Arm, ruckte hoch und zog kräftig. Vom eigenen Schwung getrieben flog der Gangster über ihre Schulter und landete der Länge nach auf dem Steinfußboden. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen. Er japste wie ein Erstickender.
Der andere achtete weniger auf Josy, die sich ihm genähert hatte, sondern hatte nur Augen für Sarah, die seinen Kumpan derart professionell aufs Kreuz gelegt hatte, dass er aus dem Staunen gar nicht mehr heraus kam. Er war wie gelähmt.
Da war Josy heran. Sie packte seinen Arm und bog ihn auf den Rücken. Der Bursche schrie auf und machte das Kreuz hohl, um dem schmerzhaften Druck in seinem Schultergelenk entgegenzuwirken. Ehe er sich versah, war er gefesselt.
Währenddessen hatte Sarah dem am Boden liegenden Kerl ebenfalls eine stählerne Acht verpasst. Sie zerrte ihn auf die Beine. »Den Ausgang dieses Abends hast du dir sicher auch anders vorgestellt, mein Freund«, stieß Sarah hervor.
Der Bursche knirschte mit den Zähnen. Er richtete seinen blutunterlaufenen Blick auf Richard Davis. »Dafür wirst du büßen, Davis.«
Der Barbesitzer zog den Kopf zwischen die Schultern, als hätte der Gangster nach ihm geschlagen.
*
»Ihr Name ist also Dirk McLeary«, konstatierte Sarah. »Sie sind vierundzwanzig Jahre alt und wohnen auf der East Side.«
Der Bursche mit dem Pferdeschwanz nickte. »104th Street Nummer 128. Verdammt, was wollen Sie von mir? Wir wollten Davis doch nur ein wenig erschrecken. Die ganze Sache war doch nicht ernst gemeint.«
»Davis hat das anders aufgefasst«, versetzte Sarah. Sie stand auf der anderen Seite des Tisches, der die Mitte des Vernehmungsraumes einnahm, und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Josy stand etwas seitlich. »Und wir auch. Heraus mit der Sprache, McLeary. Wer hat Sie geschickt?«
»Niemand.«
»Schluss mit der Märchenstunde«, stieß Sarah hervor. »Nennen Sie mir den Namen. Wir fassen Ihr Vorgehen nämlich ganz und gar nicht als Spaß auf. Und das Gericht lacht sicher auch nicht über Ihren Witz. Wollen Sie tatsächlich den Kopf allein in die Schlinge stecken?«
»Du kannst mich mal, Lady. He, hast du eigentlich einen, der dich befriedigt? Wie wär's mit mir? Ich bin ein Tiger im Bett. Wir …«
»Ihnen wird die Großspurigkeit noch vergehen, McLeary«, schnitt ihm Sarah mit kalter Stimme das Wort ab. Sie zuckte mit den Schultern. »Na schön. Ich nehme an, dass Ihr Kumpan schlauer ist als Sie. Wenn er redet, ist natürlich Ihre Chance vertan, für sich etwas herauszuholen. Haben Sie eine Ahnung, wie viele Jahre auf Nötigung und Erpressung stehen?«
McLeary schürzte verächtlich die Lippen.
Sarah ließ ihn abführen. Der Bursche mit der Baseballmütze wurde vorgeführt.
»Nennen Sie mir Ihren Namen«, forderte Sarah.
»Noah Dalton.«
»Wie alt sind Sie?«
»Dreiundzwanzig Jahre.«
»Wo wohnen Sie?«
»217 East 97th Street.«
»Sie scheinen vernünftiger zu sein als McLeary«, sagte Sarah.
Dalton duckte sich. Er wirkte irgendwie sprungbereit. Seine Backenknochen mahlten. Verunsichert musterte er die Agentin. »Ich verstehe nicht«, murmelte er.
Sarah winkte ab. »Ihnen wird Erpressung und Nötigung zum Vorwurf gemacht.«
Dalton räusperte sich und schluckte würgend. »Ich – ich habe McLeary nur begleitet.«
»Mit gefangen – mit gehangen«, sagte Josy. »Außerdem machten Sie nicht den Eindruck, nur ein Mitläufer zu sein. Sei's drum. Sagen Sie uns, wer Sie geschickt hat. Wir wollen den Namen hören.«
»Den werde ich euch nicht verraten.«
»Vielleicht hat Ihr Komplize schon geredet«, sagte Sarah. »und wir wollen nur, dass Sie seine Aussage bestätigen.«
»McLeary wird sich hüten, etwas zu sagen.«
»Vor wem fürchtet ihr euch?«
Details
- Seiten
- Erscheinungsjahr
- 2023
- ISBN (ePUB)
- 9783738970821
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2023 (Februar)
- Schlagworte
- trevellian mörderin kriminalroman