Zusammenfassung
Der Umfang dieses Ebook entspricht 1116 Taschenbuchseiten.
Dieses Ebook enthält folgende neun Romane:
Hass, der in die Hölle führt
Im Banne des Hasses
Die Aasgeier von Junction City
Das Gesetz des Stärkeren
Das blutige Gesetz der Colts
Die Höllenhunde von Anaconda
Partner bis in den Tod
Männerhass
Trag den Stern für Wichita
Auf den Tag genau fünf Jahre nach seiner Verurteilung öffneten sich für Dick Wetham die Zuchthaustore. Drei Freunde erwarteten ihn. Sie hatten ein Pferd für ihn dabei. Am Sattelknauf hing ein Revolvergurt mit einem schweren, langläufigen 44er im Halter, im Scabbard steckte eine fabrikneue Winchester.
Einer der Kerle grinste und sagte: „Fünf Jahre, Dick. Hoffentlich haben sie dich nicht kleingekriegt oder bekehrt da drin.“ Er wies mit einer knappen Geste auf den riesigen Backsteinbau mit den vielen vergitterten Fenstern, der von hohen Mauern umgeben und mit Stacheldraht auf den Mauerkronen gesichert war.
Wethams Züge vereisten. „Sie haben es versucht, und manchmal war ich nahe daran, zu zerbrechen. Es war hart - höllisch hart. Aber der Gedanke an Quincannon hat mich durchhalten lassen.“ Aus der Tiefe seiner Augen stieg ein hässliches, bösartiges Funkeln. Seine Stimme war zuletzt von einer wilden, ungebändigten Leidenschaft verzerrt, und sein glitzernder Blick verlor sich für kurze Zeit in der Ferne, als würde er in bitteren Erinnerungen versinken.
Dick Wetham war voll Hass. Es war ein Hass, den die Jahre nicht zum Erlöschen zu bringen vermochten - ein Hass, der mit jedem Tag im Zuchthaus geschürt worden und höhergebrannt war wie eine verzehrende Flamme.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Raue Sattelgefährten – 9 Western Romane
von Pete Hackett
Der Umfang dieses Ebook entspricht 1116 Taschenbuchseiten.
Dieses Ebook enthält folgende neun Romane:
Hass, der in die Hölle führt
Im Banne des Hasses
Die Aasgeier von Junction City
Das Gesetz des Stärkeren
Das blutige Gesetz der Colts
Die Höllenhunde von Anaconda
Partner bis in den Tod
Männerhass
Trag den Stern für Wichita
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
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© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Hass, der in die Hölle führt
Auf den Tag genau fünf Jahre nach seiner Verurteilung öffneten sich für Dick Wetham die Zuchthaustore. Drei Freunde erwarteten ihn. Sie hatten ein Pferd für ihn dabei. Am Sattelknauf hing ein Revolvergurt mit einem schweren, langläufigen 44er im Halter, im Scabbard steckte eine fabrikneue Winchester.
Einer der Kerle grinste und sagte: „Fünf Jahre, Dick. Hoffentlich haben sie dich nicht kleingekriegt oder bekehrt da drin.“ Er wies mit einer knappen Geste auf den riesigen Backsteinbau mit den vielen vergitterten Fenstern, der von hohen Mauern umgeben und mit Stacheldraht auf den Mauerkronen gesichert war.
Wethams Züge vereisten. „Sie haben es versucht, und manchmal war ich nahe daran, zu zerbrechen. Es war hart - höllisch hart. Aber der Gedanke an Quincannon hat mich durchhalten lassen.“ Aus der Tiefe seiner Augen stieg ein hässliches, bösartiges Funkeln. Seine Stimme war zuletzt von einer wilden, ungebändigten Leidenschaft verzerrt, und sein glitzernder Blick verlor sich für kurze Zeit in der Ferne, als würde er in bitteren Erinnerungen versinken.
Dick Wetham war voll Hass. Es war ein Hass, den die Jahre nicht zum Erlöschen zu bringen vermochten - ein Hass, der mit jedem Tag im Zuchthaus geschürt worden und höhergebrannt war wie eine verzehrende Flamme.
Plötzlich riss er sich los von seinen düsteren Überlegungen, er schaute wie ein Erwachender, es kam wieder Leben in seine Miene. Er sagte kehlig: „Es ist schön, dich zu sehen, Bill. Du hast meinen Brief also erhalten. Aber warum bringst du nur zwei Burschen mit?“
Er musterte die beiden abschätzend und sah zwei Kerle, die einen hartgesottenen, wenig vertrauensverweckenden Eindruck vermittelten, die dem äußeren Anschein nach aber im Großen und Ganzen seiner Vorstellung entsprachen.
„Ich habe vier Freunde von mir für den Ritt nach San Marcial gewinnen können, Dick. Ben Smith und Stuart Boddam habe ich schon in die Stadt vorausgeschickt, damit sie sich dort etwas umsehen und Quincannon auf deine Ankunft vorbereiten.“ Bill Haggan kicherte spöttisch. „Der verdammte Sternschlepper soll ruhig wissen, dass die bittere Stunde der Wahrheit für ihn nicht mehr fern ist.“
Dick Wetham schnallte sich den Revolvergurt um und band das Halfter am Oberschenkel fest. Er rückte den Colt zurecht, drückte den Knauf etwas nach außen, und dann zog er. Ansatzlos, gedankenschnell und glatt. Es war eine fließende Bewegung von Hand, Arm und Schulter. Mit dem Hochschwingen des Colts spannte er den Hahn, er schlug das Eisen an. Wie fest damit verwachsen lag es in seiner Faust.
Bill Haggan nickte anerkennend und schmunzelte beeindruckt: „Du hast es nicht verlernt, Dick. Was das Zaubern mit dem Sechsschüsser anbelangt, kann dir so schnell keiner das Wasser reichen.“
Wetham ließ den Hahn in die Ruherast gleiten, der Colt rotierte einmal um seinen Zeigefinger, er versenkte ihn im Futteral und lächelte geschmeichelt.
Einer sagte grinsend: „Mein Name ist McPherson - Cole McPherson. Wir kennen dich nur aus Bills Erzählungen, Wetham. Aber er hat wohl nicht übertrieben, als er dich als Akrobat mit dem Schießeisen beschrieb. Wenn du auch so gut triffst, wie du ziehst ...“
„Keine Sorge“, murmelte Wetham und zog das Gewehr aus dem Scabbard. Es war eine Winchester 73, erst ein halbes Jahr auf dem Markt, kinderleicht zu handhaben und sehr zielgenau. Er riegelte eine Patrone in den Lauf, hob das Gewehr an die Schulter und peilte ein imaginäres Ziel an. „Sehr gut“, lobte der alternde, hagere Bandit mit dem schmalen, hohlwangigen Raubvogelgesicht. Schulterlange, angegraute Haare fielen unter dem verschwitzten und verbeulten Stetson hervor. Ein unstetes, ruheloses Leben und die fünf Jahre in den Steinbrüchen hatten unübersehbare Spuren bei ihm hinterlassen. Tiefe Furchen zogen sich von seinen Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln. Eine helle Messernarbe auf der eingefallenen Wange bildete einen scharfen Kontrast zur sonnenverbrannten Haut.
Er senkte das Gewehr. In seinen pulvergrauen Augen irrlichterte es. „Morgen können wir in San Marcial sein. Reiten wir. Fünf Jahre lang habe ich diesen Tag herbeigesehnt wie sonst nichts auf der Welt. Die Hölle hat mich wieder ausgespuckt, Bill. Und nun gilt es, abzurechnen.“
Er stieß die Winchester in den Scabbard, warf sich in den Sattel und trieb das Pferd an. Dick Wetham war besessen von dem Gedanken an Rache. Mit diesem Gedanken war er Abend für Abend todmüde unter seine zerschlissene Decke gekrochen, mit ihm war er am Morgen wieder aufgewacht. Er hatte ihm geholfen, nicht durchzudrehen und zu verzweifeln unter der glühenden Sonne und den Peitschenschlägen der Aufseher. Jeder Schlag und jede Demütigung hatten seinem Hass neue Nahrung gegeben.
Mit jedem Schritt ihrer Pferde kamen sie San Marcial ein Stück näher. Und mit ihnen näherten sich Hass und Tod der friedlichen Stadt im Socorro County am Westufer des Rio Grande ...
*
Steve Quincannon, der Town Marshal von San Marcial, hatte seinen letzten Tagesrundgang hinter sich gebracht. Es ging auf den Abend zu. Die Sonne hing über dem westlichen Horizont. Von Osten kam schnell die Dämmerung. Die Schatten waren lang und begannen zu verblassen, das Land verlor seine Farben.
Steve bog in die Main Street ein. Es war die Stunde des Feierabends und San Marcial war ruhig. Auf der Straße war um diese Zeit kaum etwas los. Die Stadt war arglos. Niemand erinnerte sich des tödlichen Versprechens, das Dick Wetham vor fünf Jahren gegeben hatte. Dick Wetham war in Vergessenheit geraten. Und so ahnte niemand, dass sich das Verhängnis bereits auf stampfenden Hufen näherte, personifiziert in der Gestalt einiger Banditen, deren Lebenselexiere Hass, Gewalt und Terror waren.
Der einzige, der Wetham nicht vergessen hatte, war Steve. Und als er den Mann sah, der lässig am Stützpfosten des Vorbaudaches des Office lehnte, ahnte er sogleich das Unheil. Er verspürte eine jähe Anspannung.
Der Bursche war groß und wirkte abgerissen und verwahrlost. Staub haftete an seiner Kleidung. Er hatte sich den Stetson tief in die Stirn gedrückt, und so war von seinem stoppelbärtigen Gesicht nur der untere Teil zu sehen. Im ersten Moment durchfuhr wie ein Stromschlag der Name Wetham Steves Verstand. Im nächsten Augenblick aber wusste er, dass es sich nicht um den Banditen handelte. Steve stockte etwas im Schritt und schaute schnell in die Runde.
Der Fremde schien allein zu sein.
Steve beschleunigte seine Schrittfolge wieder. Als er an dem Fremden vorbei ins Office wollte, ließ dieser seine Stimme erklingen: „Sorry, Marshal, auf ein Wort.“
Es war eine klanglose Stimme ohne Höhen und Tiefen, weder freundlich noch auf irgendeine Art aggressiv. Dennoch brachte sie Steves Nerven zum Schwingen. Er blieb stehen, fixierte den anderen, und jetzt konnte er auch sein Gesicht sehen. Was er sah, gefiel ihm nicht. Bei dem Burschen handelte es sich um einen Sattelfalken, einen Langreiter, wahrscheinlich einen Gesetzlosen. In den Jahren als Marshal hatte Steve genug Menschenkenntnis erworben, um ihn richtig einzustufen. Und er dachte wieder an Dick Wetham.
„Was ist?“, fragte Steve.
Der andere lächelte und zeigte dabei die Zähne. „Ein schöner Ort, Marshal. Ruhig, friedlich und beschaulich. Früher soll San Marcial ein ziemlich wildes Nest gewesen sein. Haben Sie hier mit eisernem Besen gekehrt? Waren Sie die zähmende Hand hier?“
„Die Zeiten ändern sich eben“, versetzte Steve kühl. „Die Städte werden größer und zivilisierter. Die wilden Burschen sterben langsam aus, denn mehr und mehr zeigt man ihnen ihre Grenzen auf.“
„Ja, so scheint es“, erwiderte der Fremde. Sein Lächeln schien zu gefrieren. „Dennoch sollte man sich in solchen Städten nicht in Sicherheit wiegen, Marshal. Denn der eine oder andere wilde Hombre taucht überraschend wieder aus der Versenkung auf, um irgendwelche alte Rechnungen zu begleichen. Und dann ist es oftmals vorbei mit Ruhe, Frieden und Beschaulichkeit.“
Steve nickte gelassen. „Warum nennen Sie das Kind nicht beim Namen, Stranger? Sie schickt Dick Wetham, nicht wahr?“
„Nicht direkt“, dehnte der Bursche. „Wethams alter Freund Haggan meinte, wir sollten vorausreiten und dieses Nest - vor allen Dingen Sie, Marshal -, auf die Stunde der Abrechnung einstimmen.“
„Wir?“, entfuhr es Steve und seine Wirbelsäule versteifte jäh.
„Mein Freund Ben Smith und ich. Mein Name ist übrigens Boddam.“ Er deutete über die Straße, und als Steve den Kopf drehte, nahm er in der Mündung einer Gasse einen weiteren Burschen wahr, der vorher nicht dort gestanden hatte.
Ben Smith hatte die Hände flach hinter den Gurt mit dem tiefhängenden Halfter geschoben. Sein Gesicht war ausdruckslos. Um seinen Mund lag ein brutaler Zug. Eine unausgesprochene Drohung ging von ihm aus, etwas Gefährliches, ein Strom von Härte, Skrupellosigkeit und Gnadenlosigkeit.
Steve wandte sich Boddam wieder zu, als dieser erneut anhub. „Hatten Sie Wetham etwa aus Ihrem Gedächtnis gestrichen, Marshal? Rechneten Sie nicht mehr damit, dass er seinen Schwur erfüllt?“
„Wann kommt Wetham?“
„Morgen.“
Hinter Steve waren das Knarren von Stiefelleder, das leise Klirren von Radsporen und das Mahlen von Staub unter Ledersohlen zu hören. Ben Smith näherte sich mit schleppenden Schritten.
„Nun“, murmelte Steve, „dann sind wir ja gewarnt hier in der Stadt. Die Bürger San Marcials werden nicht dulden, dass ihr hier einen faulen Zauber abzieht. Sie werden euch geschlossen wie ein Mann gegenübertreten und euch mit Pauken und Trompeten zum Teufel jagen.“
Boddam lachte verächtlich auf. „Darauf würde ich mich nicht verlassen, Ouincannon. Es wird wohl eher so sein, dass sich eine ganze Reihe der ehrenwerten Gentleman hier in die Hosen machen und sich vor uns verkriechen.“
Hinter Steves Rücken lachte auch Ben Smith. Dann gab er zu verstehen: „Er spricht aus Erfahrung, Sternschlepper. Ich denke, du stehst ziemlich einsam und verlassen da, wenn es zum Treffen kommt. Es ist überall das selbe. Man wird dich daran erinnern, dass du derjenige bist, der für Ruhe und Ordnung zu sorgen hat. Sie bezahlen dich, damit du sie beschützt. Und sie machen keinen Finger krumm, wenn du für sie dein Fell zu Markte trägst. Es ist dein Job. Und das ist für sie die Rechtfertigung.“
Steve vollführte eine halbe Drehung. „Ich frage mich, woher Sie Ihre Sicherheit nehmen, Mister.“
„Ich war schon in vielen solchen Städten“, antwortete Smith fast sanft. Und dann fügte er klirrend hinzu: „Du wirst es selbst erleben, Quincannon. Morgen, wenn Wetham hier ist. Fang langsam an zu beten und komm mit dir ins Reine, Amigo. Denn deine Stunden sind gezählt.“
„Ich verstehe“, knurrte Steve. „Ihr seid vorausgeritten, um im Vorfeld die Menschen hier einzuschüchtern, zu verunsichern, sie ängstlich zu machen. Leider habe ich gegen euch Schufte nichts in der Hand. Ein Steckbrief scheint von euch in diesem Staat nicht zu existieren. Seid nur zurückhaltend und friedfertig, solange ihr in der Stadt weilt.“
Steve sprach es mit aller Entschiedenheit und setzte sich wieder in Bewegung. Er beachtete die beiden Banditen nicht mehr. Als sich die Officetür hinter ihm schloss, stieß Smith hervor: „Wir werden ihm seinen Hochmut austreiben. Ich sah schon ganz andere Burschen als ihn zerbrechen. Es ist nur eine Frage der Mittel. Komm, spülen wir uns den Staub aus der Kehle. Und dann sehen wir weiter.“
Sie lenkten ihre Schritte auf den Saloon zu.
*
Die Dunkelheit kam. Steve machte im Office kein Licht. Angie wartete mit dem Abendessen auf ihn. Er konnte sich nicht entschließen, nach Hause zu gehen. Er wollte alleine sein mit all seinen nagenden Gedanken. Auch wusste er nicht, wie er Angie beibringen sollte, dass über ihm das Damoklesschwert einer tödlichen Gefahr hing.
Er dachte daran, die maßgeblichen Männer der Stadt aufzusuchen, um mit ihnen über eine Bürgerwehr zu sprechen. Aber auch diesen Gedanken schob er beiseite. Ungute Ahnungen erfüllten ihn. Er wusste nicht, wie die Reaktionen ausfielen. Und tief in seinem Innersten fürchtete er sich davor, dass es so kommen könnte, wie der Bandit auf der Straße es prophezeit hatte.
Die Zeit schritt fort. Steves Gedanken bewegten sich im Kreis. Er spürte Verunsicherung, und das zermürbte seine Nerven und machte ihn gereizt. Aus dem Saloon war verschwommenes Stimmengewirr und Gelächter zu vernehmen. Boddam und Smith hatten also noch nicht begonnen, die Saat des Schreckens und der Angst in die Herzen und Gemüter zu streuen. Wahrscheinlich wollten sie nichts herausfordern. Möglicherweise wollten sie es auch ihm, Steve, überlassen, die Hiobsbotschaft in San Marcial zu verbreiten.
Plötzlich erklang lautes Kreischen, eine wütende Stimme schrie etwas, jemand lachte schallend. Schwerfällig erhob sich Steve. Er holte sein Gewehr, ging zur Tür und trat auf den Vorbau. Ein kühler Luftzug streifte ihn. Ein ganzes Stück die Straße hinunter lag eine Gestalt auf der Fahrbahn. Sie wurde vom Licht, das aus dem Saloon fiel, umflossen. Steve hörte den Mann hüsteln und ächzen, und nun kroch er auf allen vieren davon, auf den nachtschwarzen Schlund einer Gasse zu.
Steve seufzte. Er hatte den Mann erkannt. Er sprang vom Vorbau und schritt schräg über die Fahrbahn auf ihn zu. Der Mann lag nun im Maul der Gasse, röchelte und gurgelte, und bewegte sich nicht mehr, als hätte ihn sämtliche Kraft verlassen.
„Telly“, murmelte Steve bitter, als er ihn erreichte, „du hast dich also wieder sinnlos betrunken. Und sie haben dich wie so oft schon auf die Straße geworfen, als du ihnen lästig wurdest mit deiner Bettelei nach einem Brandy oder ein paar Cents.“
Der Betrunkene lallte unartikulierte Laute vor sich hin.
Steve beugte sich über ihn. „Es wird immer schlimmer mit dir, Telly. Ich muss dich wieder einmal zur Ausnüchterung ins Gefängnis stecken. - Du lieber Himmel, wie kann sich ein Mensch nur so sinnlos betrinken?“
Er packte Telly am Kragen der zerschlissenen, schmutzstarrenden Jacke, da lachte jemand leise hinter ihm, und dann sprang ihn eine spöttische Stimme an: „Quincannon der Samariter. Sieh an, sieh an. Liebe deinen Nächsten, wie? Du machst dem biblischen Grundsatz alle Ehre. Willst du dir damit einen Platz im Himmel erkaufen?“
Steve identifizierte diese Stimme auf Anhieb. Sie gehörte Ben Smith. Und Steve wusste, dass ihn die beiden Kerle beobachteten und überwachten.
Er nahm die Hand von Tellys Jackenkragen und versuchte, mit den Augen die Dunkelheit in der Gasse zu durchdringen. Es gelang ihm nicht.
Ben Smith sagte: „Es wird Wetham ein Leichtes sein, dir das Licht auszublasen, Quincannon. Du bist ziemlich unachtsam. Wir könnten dich jetzt kaltmachen. Du hebst dich gut ab gegen den helleren Hintergrund der Main Street. Aber keine Sorge: Wir wollen Dick Wetham nicht vorgreifen.“
Den Worten folgte wieder ein dumpfes, höhnisches Lachen.
„Ich rate euch zu verschwinden“, stieß Steve hervor, als er den Aufruhr seiner Gefühle wieder unter Kontrolle hatte. „Eure Taktik hat nämlich einen Fehler. Ihr könnt mich nicht mürbe machen. Es gelingt euch nicht, mich in ein Nervenbündel zu verwandeln. Ich habe Dick Wetham schon einmal kleingekriegt, obwohl ihm ein Rudel Kerle von eurer Sorte den Rücken stärkten. Und er wird sich auch diesmal die Zähne ausbeißen.“
Aus der Finsternis lösten sich zwei Schemen. Sie näherten sich langsam. Als sie einen Schritt vor Steve anhielten, sagte Stuart Boddam: „Du versuchst dir Mut zu machen, Quincannon.“
Wenn der Bandit am Nachmittag noch die Form gewahrt hatte, so zeigte er Steve jetzt seine Geringschätzung und Missachtung, indem er ihn mit ‘du’ anredete.
Zorn, den er nur mühsam im Zaum halten konnte, ergriff von Steve Besitz. „Psychoterror funktioniert bei mir nicht“, knirschte er. „Eure drohenden Verheißungen könnt ihr für euch behalten. Reitet Wetham entgegen und warnt ihn. Bestellt ihm von mir, dass er gut daran täte, nicht nach San Marcial zu kommen. Ich will euch zwei morgen nicht mehr in der Stadt antreffen. Wenn doch ...“
Er verstummte, denn die Erkenntnis, dass er keine Handhabe gegen Smith und Boddam hatte, traf ihn und machte ihn ratlos.
„Mach dich nicht lächerlich, Quincannon!“, giftete Boddam. „Dir sind die Hände gebunden. Yeah, der Stern an deiner Brust lässt es nicht zu, dass du zwei unbescholtenen Bürgern eines freien Landes auf die Zehen trittst. Du bist machtlos, Amigo. Du kannst nicht so, wie du gerne möchtest. Und das macht dich wütend. Dazu kommt die Angst. Noch ist sie vielleicht nur unterschwellig. Aber sie wächst mit jeder Stunde, und sie zersetzt deinen Verstand. Und wenn Metham in die Stadt kommt, wirst du halb verrückt sein vor Angst. Es ist wie bei einem, der in der Todeszelle sitzt und dem der Termin seiner Hinrichtung mitgeteilt wird. Ich schätze, innerhalb der nächsten zwölf Stunden bist du mit deinen Nerven so ziemlich am Ende.“
Sie setzten sich in Bewegung, schritten an Steve vorbei und verschwanden gleich darauf um die Ecke des Saloons. Abgesehen von dem Betrunkenen war Steve mit seinen aufgewühlten Empfindungen allein. Er knirschte mit den Zähnen. Und er sagte sich, dass die Schufte vielleicht gar nicht so unrecht hatten. Möglich, dass die Angst schon in ihm wurzelte. Schicksalhafte Stunden lagen vor ihm. Und am Ende stand vielleicht der Tod ...
Gewaltsam konzentrierte Steve sich auf den Augenblick. Er half Telly hoch. Der Trinker konnte sich kaum auf den Beinen halten. Steve hatte alle Mühe, ihn in den Jail zu schaffen.
*
Der Tag erwachte mit strahlender Schönheit. Die Sonne schleuderte ihre Flammenbündel in das Land und vertrieb die Kälte der Nacht. Die gleißende Helligkeit griff nach San Marcial.
Steve Quincannon hatte an diesem Morgen kein Auge für dieses prächtige Naturschauspiel. Er würgte an seinem Frühstück. Angie beobachtete ihn sorgenvoll. Seit nicht ganz drei Jahren waren sie verheiratet. Er hatte ihr nichts von den beiden Kerlen und ihrer bösen Prophezeiung erzählt. Mit dem untrüglichen Instinkt der liebenden Frau aber spürte sie, dass etwas nicht stimmte.
Sie schenkte ihm Kaffee nach. Draußen erwachte die Stadt zum Leben. Vögel zwitscherten. Forschend schaute sie in sein Gesicht. Er wirkte gedankenverloren, als wäre er im Geiste ganz woanders.
„Was ist los, Steve?“, fragte sie. „Etwas stimmt doch nicht. Seit gestern bist du so verändert, so in dich gekehrt. Du sprichst kaum noch und grübelst nur. Gibt es Probleme? Was verschweigst du mir?“
Er spülte den Bissen mit einem Schluck Kaffee hinunter, legte den Toast auf den Teller zurück, blinzelte und sah Angie voll an. Dann brach es über seine Lippen: „Gestern wurde Dick Wetham aus dem Zuchthaus entlassen. Und heute wird er in San Marcial eintreffen.“
Angie erbleichte. „Gütiger Gott“, entrang es sich ihr, und ihre Hände wischten fahrig über den Tisch. Aus der Tiefe ihrer blauen Augen stieg das blanke Entsetzen, unter ihrem linken Auge begann ein Nerv zu zucken. Mehr als die beiden Worte brachte sie nicht heraus. Die würgende Angst ließ ihre Stimmbänder versagen.
Steve nickte schwer. „Gestern kamen zwei Fremde in die Stadt. Sie erwarteten mich am Abend vor dem Office. Es sind Kumpane von Wetham, und ihre Aufgabe ist es, mich mürbe zu machen. Ich soll nervlich am Ende sein, wenn Wetham aufkreuzt. Sie sollen mit mir spielen wie die Katze mit der Maus. Den Rest will Wetham dann selbst besorgen.“
Steve erhob sich.
„Wo willst du hin?“ Angies Stimme klang schrill und unnatürlich. Ihre Nasenflügel bebten. Ihr hübsches, gleichmäßiges Gesicht mutete in dieser Minute verkrampft an. Ihre Brust hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen.
„Ich will versuchen, einige Männer zu mobilisieren“, murmelte er. „San Marcial drohen Terror und Gewalt. Ich bin zwar der Marshal, aber alleine stehe ich gegen ein Rudel Banditen auf ziemlich verlorenem Posten. Darum ist diese Stadt gefordert.“
Zuletzt klang seine Stimme hart und scharf.
„Keiner wird dir helfen. Keiner!“ Angie knetete ihre Hände. Sie sprach abgehackt, und was sie sagte, kam im Brustton der Überzeugung. „Sie sind feige. Sie lassen sich lieber terrorisieren und demütigen, als dass sie eine Waffe in die Hand nehmen und ihre Haut zu Markte tragen.“ Sie stemmte sich am Tisch in die Höhe. „Steve, bitte, lass uns die Stadt verlassen, solange noch Zeit ist. Es gibt hier kaum etwas, was uns hält.“
Zuletzt hatte Angies Stimme beschwörend, fast flehend geklungen. Angst und Verzweiflung, die in ihrem Blick lagen, trafen ihn bis in den Kern. Er schluckte trocken. Das Abzeichen an seiner Weste mutete ihn plötzlich zenterschwer an. „Du vergisst die beiden Strolche, die Wetham vorausschickte, Angie“, murmelte er rau. „Sie beobachten mich auf Schritt und Tritt. Wir kämen nicht aus der Stadt. Es ist aber auch nicht notwendig, dass wir davonlaufen. In San Marcial gibt es ...“
„Rechne nicht mit den Männern dieser Stadt!“, unterbrach Angie ihn fast hysterisch. Und plötzlich sank sie auf ihren Stuhl zurück, als würden ihre Beine sie nicht mehr tragen. „Du wirst allein sein, Steve, mutterseelenallein, und Wetham wird dich töten. Mein Gott, Steve, allein der Gedanke daran ist mir unerträglich.“
Ihr Gesicht war Spiegelbild der Empfindungen, die sie quälten. Die Angst um ihn drohte ihr den Verstand zu rauben. Sie streckte ihm die zitternden Hände hin. „Bitte, Steve“, kam es brüchig und losgelöst, fast hauchend über ihre zuckenden Lippen. „Lass uns fliehen.“
Bei ihm stritten sich Gefühl und Verstand. Ein peinigender Zwiespalt war in ihm aufgerissen. Er wollte einerseits Angie nicht weh tun. Denn er liebte sie mehr als sein eigenes Leben. Andererseits konnte er nicht fliehen. Dick Wetham war voll Hass und Rachegier. Den Platz gab es nicht auf der Welt, wo er ihn nicht finden würde. Heiser sagte Steve: „Egal, wohin wir gehen, Angie: Wetham findet mich. Soll ich den Rest meines Lebens damit verbringen, vor ihm zu flüchten? Nein, Angie, das wäre kein Leben. Hier ist unser Platz - und diesen Platz verteidige ich.“
Angie schlug die Hände vor das Gesicht. Ihr ganzer Körper erbebte. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Steve umrundete den Tisch, stellte sich hinter sie und legte ihr beide Hände auf die Schultern. „Hör bitte zu weinen auf, Angie“, presste er hervor. „Wir wussten beide, dass Wetham eines Tages seinem Schwur getreu nach San Marcial kommen würde, um sich für die Jahre im Zuchthaus zu rächen. Den Gedanken daran haben wir immer nur zur Seite geschoben, aber wir lebten ständig mit ihm. Wir wussten auch, dass die Zeit nicht still steht. Und jetzt sind die fünf Jahre um. Wir müssen jetzt stark sein, Angie - beide. Und wir müssen uns an dem Gedanken aufrichten, dass ich Wetham schon einmal besiegte. Auch damals stärkten ihm fast ein halbes Dutzend coltschwingender Schufte den Rücken. Dennoch brachte ich ihn vor Gericht.“
„Er wird dich töten“, keuchte sie. „Ich spüre es. Er wird dich dort draußen auf der Straße zusammenschießen - und die Stadt wird zusehen.“
Sein Griff auf ihren Schultern wurde härter. Er presste die Lippen zusammen, dass die Backenknochen scharf hervortraten. „Niemand kann seinem Schicksal davonlaufen oder ihm ausweichen, Angie“, sagte er mit Nachdruck. „Ich gehe jetzt. Es gibt genügend aufrechte Männer in dieser Stadt, die nicht zulassen werden, dass eine Horde skrupelloser Banditen hier einen höllischen Reigen aufführen. Du wirst es sehen, Angie.“
Er ging zur Tür. An der Wand daneben, an einem Hacken, hingen sein Revolvergurt mit dem Sechsschüsser im Halfter und sein Hut. Er stülpte ihn sich auf den Kopf, dann schnallte er sich den Gurt um. Er rückte das Halfter zurecht und band es am Oberschenkel fest. Seine Gestalt straffte sich, er reckte die breiten Schultern, sog die Luft in seine Lungen und drehte sich noch einmal zu Angie um. Sie starrte ihn aus tränenumflorten Augen an, Tränen rollten auch über ihre Wangen.
„Es ist schon schwer genug, Angie“, murmelte er betrübt. „Mach es für uns nicht noch schlimmer. Bitte ...“
„Ohne dich werde auch ich nicht mehr leben wollen“, flüsterte sie.
Er spürte ein Würgen in der Kehle und ging schnell hinaus. Und als er auf dem Sidestep seinem Office zustrebte, echoten ihre Worte noch durch seinen Verstand.
Eine kalte Hand schien nach ihm zu greifen und ihn nicht mehr loszulassen.
*
Nur vereinzelt begegneten Steve Passanten. Es war noch früh am Morgen. Er wurde gegrüßt, aber er war viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um darauf zu achten. Verdutzte Blicke folgten ihm. Dann betrat er das Office. Abgestandene Luft schlug ihm entgegen und er ließ die Türe offen, damit frische Luft in den Raum strömen konnte.
Aus dem Zellenanbau war röchelndes, gequältes Husten zu vernehmen. Und dann ein langgezogenes Stöhnen. Es riss Steve aus seiner gedanklichen Versunkenheit. Er betrat den Jail. Leise quietschte die Tür in den Angeln. In einer der Zellen saß Telly Bradlow zusammengekrümmt auf der Kante einer Pritsche und hielt sich den Kopf mit beiden Händen. Er ächzte und brabbelte unverständliche Worte vor sich hin, dann stöhnte er wieder gequält auf.
Unwillkürlich musste Steve grinsen. „Na, Telly, wieder von den Toten aufgewacht? Du lieber Himmel, du warst wieder einmal betrunken wie ein ganzer Indianerstamm.“
Vorsichtig drehte Telly Bradlow den Kopf. Seine Augen waren wässrig und gerötet, die Nase war großporig und bläulich verfärbt, wirr fielen ihm die grauen Haare in die runzlige Stirn, und den unteren Teil des Gesichts verdeckte ein verfilztes Bartgestrüpp.
„An meinem Brummschädel gemessen muss es wohl so gewesen sein, Steve“, murmelte der Oldtimer und seufzte. „Mein Kopf fühlt sich an wie ein leeres Whiskyfass, gegen das jemand ununterbrochen mit einem Paukenschlegel hämmert.“ Er holte rasselnd Luft, hüstelte, und versprach: „Nie wieder rühre ich einen Tropfen Brandy an, nie wieder. Und nun lassen Sie mich raus, Steve. Ich muss meinen Kopf ins Wasser halten. Und dann ...“
„... musst du wieder etwas gegen deinen Kater trinken, Telly, nicht wahr?“ Steve war wieder ernst geworden. Er nahm den Schlüssel vom Haken und schloss die Zellentür auf. „Es ist ein Teufelskreis, Telly. Mit dir nimmt es noch mal ein schlimmes Ende. Du solltest künftig tatsächlich die Finger von der Schnapsflasche lassen. Nun verschwinde, Telly.“
„Sie - Sie lassen mich tatsächlich gehen?“ Der Trinker war erstaunt. Seine Hände sanken nach unten. Ungläubig musterte er Steve. Und dann erhob er sich langsam, schwankte leicht und wiederholte: „Sie lassen mich wirklich frei, Steve? In der Vergangenheit haben Sie mich doch immer drei Tage lang in diesem Käfig schmoren lassen.“
„Und was hat es genützt?“, fragte Steve bitter. „Du bist raus aus dem Knast und hast sofort wieder zu saufen begonnen wie ein Loch. Man kann dich nicht mehr umerziehen, Telly. Bei dir ist Hopfen und Malz verloren. Und der Tag ist sicher nicht mehr fern, an dem ich dich irgendwo in einer Gasse finde, und du bist tot.“
Telly setzte sich in Bewegung. Er torkelte an Steve vorbei in das Office. Er war noch immer nicht richtig nüchtern. Er atmete keuchend, fast asthmatisch. Es war wohl so, dass er sich irgendwann totgetrunken haben würde. Sein ausgemergelter Körper hielt das Schindluder, das Telly mit ihm trieb, gewiss nicht mehr lange durch.
Steve blickte dem Oldtimer nach, als er über die Straße schwankte und sich bei einem Tränketrog niederkniete. Telly steckte seinen Kopf in das kalte Wasser. Als er wieder hochkam, schnaubte und prustete er. Dann wiederholte er die Prozedur. Und schließlich verschwand er in einer Hofeinfahrt.
Es war immer das selbe mit dem alten Trunkenbold, dem man in San Marcial nur mit Verachtung begegnete, den Steve aber irgendwie ins Herz geschlossen hatte. Er mochte den Alten, trotz allen Ärgers, den er laufend mit ihm hatte. Vielleicht war es auch Mitleid. Möglicherweise wusste Steve es selbst nicht so genau.
Steve nahm sein Gewehr, prüfte die Ladung, dann verließ auch er das Office.
Sein erster Weg führte ihn zu Jim Hopkins, dem Town Major. Missis Hopkins, eine rundliche Person mit freundlichem Gesicht, ließ ihn ins Haus. Der Bürgermeister saß noch beim Frühstück. Er erwiderte Steves Gruß, dann fragte er kauend: „Was führt Sie in aller Herrgottsfrühe schon zu mir, Marshal?“
Mrs. Hopkins bot Steve einen Stuhl an, dieser aber lehnte dankend ab und erwiderte an den Town Major gewandt: „Dick Wetham hat durch zwei Kumpane sein Kommen anmelden lassen. Er wurde gestern aus dem Zuchthaus entlassen, und heute schon wird er in San Marcial aufkreuzen.“
Sekundenlang vergaß Jim Hopkins zu kauen. Dann aber schluckte er, und es mutete an, als bliebe ihm der Bissen im Hals stecken. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen, schließlich aber brach es über seine Lippen: „Dick Wetham kommt nach San Marcial?“
Entsetzt fixierte er Steve.
Dieser nickte. „Yeah. Und der Grund, der ihn hertreibt, ist allgemein bekannt. Er will sich an mir, und wahrscheinlich auch an der Stadt rächen.“
„Gott steh uns bei“, entrang es sich Mrs. Hopkins und sie musste sich setzen.
„Auf Gott können wir in diesem Fall nicht bauen, Mrs. Hopkins“, murmelte Steve. Und dann schaute er wieder den Bürgermeister an. „Die beiden Kerle, die gestern ankamen, waren sozusagen die Vorhut. Wetham wird weitere Burschen dieser Spezies mitbringen.“
„Nun haben wir den Salat“, knirschte Hopkins. „Hätten Sie damals die aufgebrachte Meute nicht zurückgehalten, Quincannon, dann wären wir das Problem Wetham längst los. So aber ...“
Steve versetzte achselzuckend und ohne auf den Vorwurf des Town Majors einzugehen: „Wir müssen eine Bürgerwehr auf die Beine zu stellen. Nur wenn die Stadt Wetham und seinem Verein gegenüber geschlossen auftritt, nötigt ihnen das Respekt ab und sie verschwinden wieder, weil sie ja Kopf und Kragen riskieren würden, ließen sie hier den Teufel von der Leine.“
Wie gebannt saß Jim Hopkins auf seinem Stuhl. „Bürgerwehr!“, echote er. Nur langsam setzte sich dieses Ansinnen in seinem Verstand durch.
„Ich denke an Männer wie Sie, Town Major. An Jack Bowden, den Sattler, Hank Chapman, den Schmied, Elliott Fuller vom ‘San Marcial Express’, an den Barbier, den Salooner, den Mietstallbesitzer und all die anderen, die in dieser Stadt leben und arbeiten und die ganz gewiss nicht wollen, dass hier Terror, Hass und Gewalt fußfassen.“
Der Bann fiel von Hopkins ab. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Dann sagte er mit kratzender Stimme: „Man müsste mit den in Frage kommenden Männern reden. Aber man wird sie überzeugen müssen. Es sind keine Kämpfer. Sie haben Familien zu versorgen, sind rechtschaffen, redlich und arbeitsam - aber eben keine Kämpfernaturen. Reden Sie mit ihnen, Marshal. Versuchen Sie ihnen klarzumachen ...“
Steve unterbrach ihn schroff: „Es fehlt an der Zeit, um langwierige Überzeugungsarbeit zu leisten, Hopkins. Darum will ich, dass Sie unverzüglich eine Bürgerversammlung einberufen und zu den Männern dieser Stadt sprechen.“
Der Town Major rang die Hände.
„Und Sie sollten mit gutem Beispiel vorangehen und der erste Freiwillige in der Bürgerwehr sein, Town Major“, kam es von Steve. In seiner Stimme lag ein zwingender Unterton, sein Blick übte Druck auf den korpulenten Mann aus, dem er nicht standhalten konnte.
„Mein Mann geht auf die sechzig zu“, begehrte Mrs. Hopkins auf, und der freundliche Ausdruck ihres Gesichts war abweisender Verschlossenheit gewichen. „Außerdem ist er nicht der Gesündeste, und mit einer Waffe kann er schon gar nicht umgehen. Ziehen Sie ihn da nicht mit hinein, Marshal. Es ist nicht seine Aufgabe, in San Marcial eine Waffe zu schwingen.“
Steve sah sie betroffen, aber auch erstaunt an, dann kam der kalte Zorn und schließlich entfuhr es ihm: „Ich ziehe Ihren Mann in nichts hinein. Bei Gott, Ihr Mann war damals Obmann der Jury, die Wetham schuldig sprach. Es wird Wetham kaum interessieren, dass er zwischenzeitlich auf die sechzig zugeht und kränklich ist. Aber natürlich, Mrs. Hopkins. Die Waffe in dieser Town zu schwingen ist Job des Marshal. Er wird dafür bezahlt. Das wollten Sie doch zum Ausdruck bringen, nicht wahr?“
Ja, der Zorn hatte ihn übermannt, und er hatte schärfer gesprochen als er es eigentlich beabsichtigt hatte. Denn irgendwie konnte er die Frau verstehen. Auch Angie hatte Angst um ihn. Und weshalb sollte Mrs. Hopkins nicht ebenso an ihrem Mann hängen wie Angie an ihm?
Die Augen der Frau blitzten ihn kriegerisch an. „Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, Quincannon!“, stieß sie hart und leidenschaftlich hervor. „Ihre Aufgabe ist es, in San Marcial dem Recht Geltung zu verschaffen. Nicht die Aufgabe meines Mannes, oder des Sattlers oder des Schmieds oder wessen auch immer.“
„Und wie stehen Sie dazu, Hopkins?“, kam Steves scharfe Frage.
„Nun - ja - ich weiß nicht“, stammelte der Town Major betreten, und es war wohl so, dass er sich in dieser Sekunde am liebsten in einem Mausloch verkrochen hätte. „Grundsätzlich hat meine Frau recht. Andererseits aber ...“ Seine Rechte wischte durch die Luft, er blinzelte, und als er weitersprach, versuchte er, seiner Stimme einen festen Ton zu verleihen, was jedoch deutlich misslang. Er krächzte: „Nun, man muss Wetham frühzeitig bremsen. Andernfalls gibt er sehr schnell den Ton an in unserer Stadt und ...“
„Bist du verrückt?“, fauchte ihn seine Gattin wütend an. Ihr Gesicht hatte sich gerötet, und sie wirkte ganz und gar nicht mehr gütig und wohlwollend. Sie erinnerte Steve jetzt an eine Furie, und er beobachtete, dass der Bürgermeister den Kopf zwischen die Schultern zog und regelrecht zusammenschrumpfte. Seine Lippen bewegten sich, als wollte er etwas sagen, aber seine Frau ließ ihn nicht zu Wort kommen. Sie kreischte: „Schweig! Wenn du nicht genug Rückgrat hast, das Ansinnen des Marshals abzulehnen, ich besitze es. Und ich sage nein, nein, nein und nochmals nein. Du wirst keine Waffe in die Hand nehmen und dich zusammenschießen lassen.“
Steves Mundwinkel sackten geringschätzig nach unten. Sicher, er konnte die Haltung der Frau verstehen, aber Hopkins Verhalten wollte er nicht akzeptieren. Er empfand plötzlich Verachtung. Kaum die Lippen bewegend gab er zu verstehen: „Wie ich schon sagte: Sie waren damals Obmann der Geschworenen, die den Schuldspruch fällten, Hopkins. Sie müssen Dick Wetham und seinen Anhang fürchten. Jetzt aber hat Ihre Frau ein Machtwort gesprochen. Ich denke, ich kann nicht mit Ihnen rechnen.“
„Ich - ich ... Meine Frau - sie will doch nur ...“
Steve winkte ab. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren machte er abrupt kehrt, und ohne das Ehepaar noch eines Blickes zu würdigen verließ er den Raum.
Er begab sich zur Sattlerei. Jack Bowden hatte schon geöffnet und nahm gerade den Auftrag eines Mannes entgegen. Als der Marshal eintrat, hob Bowden die linke Braue und sagte: „Einen Augenblick, Marshal. Wallace bestellt gerade einige Sättel und Zaumzeuge und ...“
„Was ich zu sagen habe, geht Sie beide an, Gentleman“, knurrte Steve und er hatte noch immer gegen den Zorn anzukämpfen, der ihn seit seiner Vorsprache beim Town Major erfüllte. Darum lag auch wenig Freundlichkeit in seinem Tonfall. „Dick Wetham ist im Anmarsch auf San Marcial. Den Grund, der ihn hertreibt, brauche ich Ihnen sicherlich nicht zu nennen. Alleine bin ich aufgeschmissen. Denn Wetham kommt wahrscheinlich mit einer ganzen Horde schnellschießender Schufte. Ich brauche einige Männer, die bereit sind, Wetham entgegenzutreten.“
Jeff Wallace, der Mietstallbesitzer, starrte Steve an, als käme dieser geradewegs von einem fremden Stern. Jack Bowdens Miene verdüsterte sich schlagartig. Er nagte kurz an seiner Unterlippe, entschied sich im nächsten Moment und murmelte: „Ich glaube nicht, dass ich dazu bereit bin, Marshal. Wie käme ich auch dazu, meine Haut gegen einen Verbrecher wie Wetham zu Markte zu tragen? Sie tragen den Stern, Quincannon. Sie haben geschworen, gegen Unrecht und Gesetzeswidrigkeit einzutreten. Nicht die Stadt hat ihren Marshal zu schützen. Der Marshal hat die Stadt vor Terror und Gewalt zu bewahren. So ist es doch, oder gilt dieser Grundsatz nicht mehr?“
Steve kniff die Lippen zusammen. Die Worte des Sattlers waren wie Hammerschläge gefallen. Bowden hatte seinen Standpunkt klargemacht und keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass er jedes Wort genauso meinte, wie er es gesprochen hatte.
Steves Blut geriet in Wallung. Der gehässige Ton in Jack Bowdens Stimme jagte eine Welle heißer Wut in ihm hoch, die er nur mit Mühe bezähmen konnte. Er erzitterte innerlich. Herzschlag und Puls beschleunigten sich, seine Wangenmuskulatur vibrierte. „Das war klar und deutlich“, presste er hervor, und es klang ausgesprochen herb. „Wie stehen Sie dazu, Wallace?“
Der Mietstallbesitzer druckste herum und vermied es, Steves herausfordernden Blick zu erwidern. Er hob die Schultern und meinte lahm: „Ich habe nie gelernt, mit einer Waffe umzugehen. Ich wäre Ihnen keine Hilfe, Marshal, eher ein Klotz am Bein. Außerdem glaube ich nicht, dass ich genug Mut aufbrächte, gegen ein Rudel Gunslinger anzutreten. Ich - ich war mein Leben lang kein Kämpfer und ...“
Wallace brach ab, vollführte einige unbeholfene, marionettenhafte Gesten mit beiden Händen und trat von einem Bein auf das andere.
Der Zorn verrauchte. Enttäuschung befiel Steve, und ein niederschmetterndes Gefühl von Verlorenheit gesellte sich hinzu. Allein die Nennung des Namens Dick Wetham genügte, um ihn zum einsamsten Menschen in San Marcial zu machen.
Er begann noch einmal, nachdem er tief durchgeatmet hatte, als könnte er sich so von dem immensen Druck befreien, der seine Brust plötzlich einzuengen schien: „Es geht nicht nur um mich, Leute. Wetham hat sicher nicht vergessen, dass man ihm in dieser Stadt am liebsten einen Strick geknüpft hätte. Er hat am Spieltisch einen Mann dieser Stadt erschossen, und wäre ich nicht dazwischen gegangen, würde man ihn kurzerhand aufgeknüpft haben. Waren nicht sogar Sie einer der vorlautesten Schreihälse, Wallace, die nach Richter Lynch brüllten?“
Steve legte den Kopf etwas schief und beobachtete die Reaktion des Mietstallbesitzers. Dieser zuckte zusammen wie unter einem Einschuss und sein Gesicht entfärbte sich bis in die Lippen. Mühsam schluckte er. Hilfesuchend verkrallte sich sein Blick an Jack Bowden. Dessen Brauen schoben sich düster zusammen, er stemmte sich mit beiden Armen auf die Ladentheke und ließ seine Stimme ertönen: „Was bezwecken Sie damit, Quincannon? Wollen Sie uns Angst einjagen, uns einschüchtern und verunsichern? Die Bürger San Marcials interessieren Wetham nicht. Er will Ihren Skalp. Mit Derartigem jedoch mussten Sie rechnen, als Sie damals den Stern nahmen. Oder nahmen sie das Abzeichen nur, um auf Kosten der Bürgerschaft ein sorgenfreies, ruhiges Leben zu führen?“
Steve schüttelte den Kopf. „Sie wissen genau, dass es nicht so ist“, versetzte er kratzig. „Ich will Ihnen auch nicht Angst machen. Ich will Sie nur warnen. Die Gesichter der Männer, die damals lautstark nach einem Strick schrien, hat Wetham wahrscheinlich ebenso wenig vergessen wie die Gesichter der Geschworenen, die ihn für schuldig befanden. O ja, ich trage den Stern, und ich werde alles tun, um die Stadt und ihre Bürger vor brutaler Gewalt, Demütigung und Terror zu schützen. Aber gegen eine Kugel bin auch ich nicht gefeit. Wetham wird alles daransetzen, mich zuerst aus dem Verkehr zu ziehen. Und wenn ihm das gelingt, dann seid ihr an der Reihe. Einen nach dem anderen von euch wird er sich vorknöpfen. Und niemand wird euch helfen.“
Er nickte den beiden zu, ließ sie seine Verachtung spüren, schwang herum und ging.
Sein nächster Weg führte zu Hank Chapman, dem Schmied ...
*
„Noch zwanzig Meilen bis San Marcial“, erklärte Dick Wetham triumphierend, wie von wilder, unbeherrschter Vorfreude erfüllt.
Sie lagerten an einem schmalen Creek. Die Gesichtszüge seiner drei Begleiter waren Spiegelbild von Verworfenheit und Niedertracht. Da war Bill Haggan, der früher schon mit Wetham geritten war. Haggan war um die vierzig, mittelgroß und untersetzt. Cole McPherson dagegen war groß und schlaksig. Tom Logan besaß vorstehende Zähne und schien ständig zu grinsen. Sein Blick war frettchenhaft unstet, in seinen Augen lauerte Verschlagenheit. Sie waren Ausdruck seiner niedrigen Gesinnung.
Jetzt sprangen seine dünnen Lippen auseinander, und er sprach mit seltsam scheppernder Stimme: „Zwanzig Meilen, yeah. Vier, fünf Stunden. Nur befürchte ich, dass mein Gaul bald schlapp macht. Er hat gestern schon gelahmt. Wahrscheinlich eine Entzündung - weiß der Teufel.“
Die Pferde standen beim Creek in einem Corral, den sie aus Lassos errichtet hatten und der zum Fluss hin offen war. Sie grasten oder knabberten an den jungen Trieben des Ufergestrüpps. Die Tiere waren verstaubt und abgetrieben. Die Banditen hatten ihnen lediglich die Sättel abgenommen und sie getränkt.
Dick Wetham rollte sich eine Zigarette und zündete sie an. Er warf den Tabakbeutel Bill Haggan zu. Nach der ersten Qualmwolke, die er ausstieß, sagte Wetham: „Einige Meilen vor San Marcial gibt es eine kleine Ranch. Sie gehört einem gewissen Wes Holliday.“ Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die rissigen Lippen. „Auf der Ranch Hollidays besorgen wir dir einen frischen, gesunden Gaul, Tom. Wir reiten eben langsam. Smith und Boddam werden Quincannon einstweilen auf Sparflamme weichkochen. Er läuft uns nicht davon.“
„Vielleicht sollten Cole und ich ebenfalls vorausreiten, Dick“, mischte sich Bill Haggan ein und grinste. „Wir drängen Quincannon für dich langsam aber sicher in die Ecke, und wenn du ihm gegenübertrittst, wird er nur noch ein halbwertiges Nervenbündel sein, mit dem du leichtes Spiel hast. An seinem Beispiel kannst du dann einigen Gentleman San Marcials gleich vor Augen führen, was auf sie zukommt.“
„Yeah“, pflichtete Cole McPherson bei, „wir bereiten dir Quincannon für die Schlachtung vor wie einen Schafhammel für die Schlachtbank. Wir erschließen ihm sozusagen das Fegefeuer als Vorgeschmack auf die Hölle. Gönn uns den Spaß, Dick. Du willst doch kein Spielverderber sein.“
„Ganz und gar nicht“, lachte Wetham auf. „Reitet nach San Marcial. Tom und ich kommen nach, sobald wir für Tom ein frisches Pferd besorgt haben. Aber merkt euch: Quincannon gehört mir. Kocht ihn weich, zerstört ihn meinetwegen seelisch und moralisch, aber hebt ihn mir auf. Ist das klar?“
„Natürlich“, erwiderte McPherson und erhob sich mit einem Ruck.
„In Quincannons Haut möchte ich bei Gott nicht stecken“, frohlockte Tom Logan.
Eine Viertelstunde später verließen sie den Platz. Bill Haggan und McPherson ließen ihre Pferde traben. Dick Wetham und Tom Logan fielen mehr und mehr zurück.
Nach fünf Meilen blieb Logans Pferd einfach stehen. Es hatte den linken Vorderlauf angehoben, der Huf hing dicht über dem Boden. Das Tier prustete. Logan saß ab und zerrte an der Leine, das Pferd machte einen Schritt nach vorn und wieherte von tobenden Schmerzen gequält schrill auf.
Dick Wetham, der angehalten hatte, rief: „Es hat keinen Sinn, Tom. Der Gaul ist fertig. Erschieß ihn und steig bei mir auf. Die sieben oder acht Meilen bis zu der Ranch trägt mein Brauner uns beide.“
Logan zog den Colt und setzte dem Pferd die Mündung an den Kopf. Der Schuss peitschte. Wie vom Blitz getroffen brach das Tier zusammen, ein unkontrolliertes Zucken durchlief noch einmal den ganzen Tierleib, dann war das Pferd verendet.
„Lass Sattel und Zaumzeug hier“, ließ sich wieder Wethman vernehmen. „Die Dinge besorgen wir uns auch auf der Ranch.“
Logan zog sein Gewehr aus dem Scabbard, dann schwang er sich hinter Wetham auf dessen Braunen.
Es wurde heiß. Das Pferd, das zwei Männer tragen musste, röchelte und röhrte. Ein sachter Wind wirbelte den feinen Staub auf und trieb ihn in Spiralen vor sich her. Ringsum buckelten Hügel mit spärlicher Vegetation, hier und dort wuchteten zerklüftete Felsen zum Himmel. Unter den Pferdehufen knisterte rotbraun verbranntes Gras.
Sie brauchten fast drei Stunden, dann lag die Ranch vor ihnen im Sonnenglast. Wes Holliday hatte sie an einem Creek erbaut, dessen Wasser er auch für seine Rinder und die Bewässerung einiger Weizenfelder nutzte. Denn Holliday hatte längst erkannt, dass die Zukunft des Landes nicht in der Rinderzucht lag, sondern im Getreideanbau, in der Landwirtschaft also. Und er war bereit, langsam auf Farmwirtschaft umzustellen. Noch aber verfügte er über eine große Longhornherde, und so waren der Rancher und die Cowboys auf der Weide.
Wetham hatte das Pferd pariert. Er beobachtete die Ranch. Logan blickte über Wethams Schulter hinweg auf die Ansammlung von Gebäuden und Corrals, in denen sich einige Pferde tummelten. Ein Ranchhelp karrte Pferdemist aus einem Stall. Im Ranchhof scharrten einige Hühner oder badeten im Staub.
„Da haben wir ja, was wir brauchen“, tönte Tom Logan und rutschte auf dem Pferderücken herum, um bequemeren Sitz einzunehmen.
„Hüh!“ Mit einem Schenkeldruck trieb Wetham das Pferd wieder an. Mit hängendem Kopf trottete das erschöpfte Tier weiter. Wenig später ritten sie zwischen zwei Schuppen und gelangten in den Ranchhof.
Gerade kam wieder der Help mit einer Karre voll Mist aus dem Stall. Er sah die beiden Fremden absitzen und stellte die Schubkarre ab, wischte sich an der Hose den Schweiß von den Händen und musterte dann die beiden Männer, die auf ihn einen abgerissenen, mitgenommenen und wenig vertrauenserweckenden Eindruck machten.
Sattelsteif näherte sich Dick Wetham dem Ranchhelfer. Sein wacher Blick sprang zwischen Haupthaus und Mannschaftsunterkunft hin und her. Seine Rechte hing locker neben dem Knauf des Sechsschüssers.
Tom Logan war beim Pferd zurückgeblieben. Mit beiden Händen hielt er die Winchester schräg vor der Brust. Die Mündung wies zum Himmel. Logans Finger lagen im Repetierbügel.
„Hallo, Ranch“, grüßte Dick Wetham und grinste tückisch. „Scheint ja wenig los zu sein, hier.“
„Der Boss und die Mannschaft sind auf der Weide“, erklärte der Help, und das Misstrauen, das ihn erfüllte, was aus jedem Zug seines Gesichts zu lesen. „Hatten Sie Pech mit einem Ihrer Pferde?“
„Ja.“ Wetham hielt an. „Wir mussten den Gaul meines Gefährten erschießen. Auch mein Pferd ist ziemlich verausgabt. In den Corrals hier stehen prächtige und ausgeruhte Tiere herum. Was meinst du, mein Freund, wird dein Boss etwas dagegen haben, wenn wir uns zwei seiner Gäule nehmen?“
Das Grinsen des Banditen hatte sich verstärkt, aber es war ein Grinsen, das alles andere als freundlich war. Hinter der verzerrten Maske lauerten Verworfenheit und Erbarmungslosigkeit.
Der Help erwiderte nach kurzer Überlegung: „Ich kann Ihnen keine Pferde verkaufen, Stranger. Dazu bin ich nicht befugt. Entweder warten Sie bis zum Abend, bis der Boss auf die Ranch zurückkehrt, oder Sie und Ihr Gefährte müssen sich weiterhin mit einem Pferd behelfen.“
Wethams Grinsen war erstarrt. „Boyfriend“, murmelte er, indes sich über seiner Nasenwurzel eine steile Falte bildete, und es klang auf besondere Art drohend und unheilvoll. „Ich lebte früher mal in dieser Gegend und dein Boss ist ein alter Bekannter von mir. Er hat sicherlich nichts dagegen, wenn ich mir zwei Pferde mit seinem Brand borge. Er kann sie sich in San Marcial gerne wieder abholen.“
„Das kann jeder sagen“, entgegnete der Help trotzig. „Vielleicht versuchen Sie es bei Mrs. Holliday. Sie ist im Haus. Wenn Sie ein alter Bekannter des Boss sind, dann kennt Sie gewiss auch Mrs. Holliday, und wenn Sie Ihnen zwei Pferde verkauft oder leiht, dann ist das für mich okay. So aber ...“
Aus einem der Fenster des Haupthauses erklang eine weibliche Stimme: „Wer ist da gekommen, Toby? Fremde? Haben Sie Hunger und Durst?“
Wetham drehte den Kopf und sah Jane Holliday, die sich mit beiden Armen auf die Fensterbank stützte. „Wir sind nicht hungrig und durstig, Ma’am“, rief er. „Wir brauchen zwei Pferde und einmal Sattelzeug.“
Jane erkannte den Banditen nicht.
„Ohne meinen Mann kann ich Ihnen keine Pferde geben“, rief die Frau. „Aber Sie können gerne auf ihn warten. Vielleicht machen Sie sich bis zum Abend etwas nützlich hier auf der Ranch und ...“
„Kein Interesse!“, rief Wetham barsch. „Wir nehmen uns jetzt zwei Gäule.“ Er wandte sich dem Help zu. „Und wenn du an deinem Leben hängst, mein Freund, dann versuch nicht, es zu verhindern. Schaff lieber einen Sattel und Zaumzeug herbei. Pronto! Mach schon!“
Wetham gab Logan einen Wink. Dieser nahm das Lasso von Wethams Sattel und stieß sein Gewehr in die Deckenrolle. Steifbeinig stakste er zu einem der Corrals, indes er das Lasso für den Wurf vorbereitete.
„Das ist Diebstahl!“, erboste sich Jane Holliday. „In unserem Land werden Pferdediebe gehängt.“
„Dass man mit dem Strick in diesem Land schnell bei der Hand ist, weiß ich!“, schnarrte Wetham und fuhr den Help an: „Steh nicht herum wie angenagelt! Hol einen Sattel und Zaumzeug.“
Zögernd setzte sich der Bursche in Bewegung. Er fürchtete den Banditen und wagte keinen Widerspruch mehr. Er verschwand in der Düsternis eines Schuppens, in dem Sättel, Zaumzeuge, Campzeug und all die anderen Dinge lagerten, die draußen auf der Weide benötigt wurden.
Tom Logan ließ die Lassoschlinge über seinem Kopf kreisen, dann ließ er sie fliegen. Die Pferde liefen unruhig im Kreis. Hufschlag rumorte. Ab und zu erschallte ein Wiehern. Staub wallte dicht. Die Lassoschlinge schien sekundenlang über dem Kopf eines Rotfuchses zu stehen, dann fiel sie und die Schlinge zog sich zusammen. Logan zerrte das Pferd aus der Fence und nahm ihm das Lasso ab. Währenddessen löste Wetham schon die Sattelgurte und nahm seinem ausgepumpten Pferd erst den Sattel, dann das Kopfgeschirr ab. Der Ranchhelp schleppte einen alten, brüchigen Sattel und Zaumzeug ins Freie.
Mit gemischten Gefühlen beobachtete Jane Holliday, was sich abspielte. Sie hatte die Kerle eingeschätzt und wusste, dass es Banditen waren. Deshalb zog sie es vor, zu schweigen. Sie wollte nichts herausfordern. Plötzlich aber fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, in ihre Züge schlich sich der Ausdruck eines namenlosen Erschreckens. „Wetham! Gütiger Gott ...“, entrang es sich ihr und ein Taumel befiel sie.
Der Help legte dem Rotfuchs den Sattel auf.
Logan fing ein zweites Pferd aus der Herde und führte es zu Wetham. Er half diesem, zu satteln. Dann nahm er sein Gewehr aus der Deckenrolle und begab sich zu dem Tier, das er für sich gefangen hatte. Als er sah, dass der Help noch immer nicht fertig war, versetzte er ihm einen brutalen Tritt. „Schlaf nicht ein!“, knurrte er böse.
Schließlich verließen sie die Ranch.
Der Help atmete aus. Die Angst, die sein Herz umkrallt hatte, legte sich. Die beiden Banditen schauten sich nicht mehr um. Als sie weit genug entfernt waren, rief Jane Holliday mit zittriger Stimme: „Reite sofort hinaus und unterrichte meinen Mann, Toby. Reite wie der Wind, und sage ihm, dass Dick Wetham zurückgekehrt ist!“
Nur ganz langsam bekam die Rancherin die Rebellion in ihrem Innersten wieder in den Griff. Mit einem zitternden Atemzug wandte sie sich um und trat vom Fenster weg.
*
Im Imperial Saloon saßen an einem Tisch der Town Major, der Sattler, der Schmied, der Mietstallbesitzer und Dave Carter, der Barbier. Es war kurz nach elf Uhr. Sie steckten die Köpfe zusammen und tuschelten miteinander.
An der Theke lehnte Telly Bradlow, der Stadtsäufer. Soeben hatte er den Besen weggestellt, mit dem er den Saloon fegte. Und nun stand ein doppelter Whisky vor ihm - der Lohn für seine Arbeit.
Ihn interessierten die fünf Männer am Tisch in der hintersten Ecke nicht. Denn er wusste, dass sie von ihm nichts hielten, dass sie ihn verachteten und in der Stadt lediglich duldeten, aber nicht akzeptierten. Er starrte seinen Whisky an, einen gierigen Ausdruck in den geröteten Augen, schob langsam die zitternde Rechte auf das Glas zu, zog sie aber wieder zurück und schloss die Augen, als konnte er den Anblick des gefüllten Glases nicht mehr ertragen. Sucht und Gier fochten in ihm einen heftigen Kampf gegen die Vernunft aus.
Von dem Tisch an der hinteren Stirnwand sickerte verschwommenes Geraune heran.
„Quincannon muss aus San Marcial verschwinden!“, stellte Jim Hopkins, der Town Major, soeben mit leiser, aber eindringlicher Stimme fest. „Wir müssen ihn dazu bewegen, innerhalb der nächsten zwei Stunden der Stadt den Rücken zu kehren. Wethams Hass konzentriert sich in allererster Linie auf ihn. Wir sind nur Randfiguren. Wetham wird die Stadt unverzüglich wieder verlassen, um sich auf Quincannons Fährte zu heften, wenn er erfährt, dass Quincannon fort ist und nur einen knappen Vorsprung hat.“
„Ja, verdammt!“, pflichtete Hank Chapman, der Schmied bei. „Hätte Quincannon uns damals freie Hand gelassen, wäre Wetham längst tot und wir bräuchten heute keinen Gedanken mehr seinetwegen verschwenden. Die Frage ist nur, ob Wetham auch so reagiert, wie wir es erwarten, falls Quincannon tatsächlich verschwindet.“
Sein letzter Satz klang zweifelnd und sorgenvoll.
„Dieses Risiko müssen wir auf uns nehmen“, entgegnete der Town Major.
„Und warum treten wir Wetham nicht geschlossen entgegen?“, fragte Bowden.
„Willst du morgen Abend tot sein?“, herrschte ihn der Town Major an.
Bowden kniff die Lippen zusammen und schwieg.
„Wer übernimmt es, mit dem Marshal zu reden?“, fragte Dave Carter.
„Ich lasse ihn zu mir in die City Hall zitieren“, knurrte Hopkins. „Dort werden wir alle anwesend sein, um ihm unseren Standpunkt zu verdeutlichen. Und da wir in meinem Büro unter uns sind, können wir unserer Forderung auch Nachdruck verleihen.“
Grimmig schaute er von einem zum anderen.
Chapman massierte sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. Es mutete an, als plagten ihn plötzlich Zweifel. Und er sprach sie auch aus: „Wenn wir Quincannon verjagen, verjagen wir auch Angie. Und das wird ihrem Vater, dem alten Eisenfresser, ganz und gar nicht schmecken. Wenn er nur nicht verrückt spielt und mit seiner Mannschaft in die Stadt kommt, um uns die heilige Mannesfurcht einzujagen.“
„Wes Holliday wird sich raushalten“, grunzte der Town Major. „Vielleicht begeben sich der Marshal und Angie sogar zu ihm. Er kann sie ja beschützen mit seiner Crew. Auf der Bar-H werden sich Wetham und seine Komplizen blutige Nasen holen.“
Der Sattler raunte: „In Hollidays Augen ist Quincannon ein nichtsnutziger Revolverschwinger, und er hat ihn nie als Schwiegersohn akzeptiert. Holliday wollte, dass Angie einen Rindermann heiratet. Ich glaube fast, er hasst Ouincannon. Holliday hat damals sogar mit seiner Tochter gebrochen, als sie Quincannon gegen seinen erklärten Willen heiratete. Wenn Wetham also Angie zur Witwe macht, so wird dies Holliday eher wie eine Fügung des Schicksals denn als Unglück empfinden.“
Er lachte kehlig nach seinen letzten Worten.
Schritte polterten auf dem Vorbau, und dann flog die Schwingtür auf. In diesem Moment trank Telly Bradlow seinen Whisky. Er hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt und ließ die scharfe Flüssigkeit wie ein Verdurstender in sich hineinlaufen.
Zwei Männer betraten den Inn. Es waren Ben Smith und Stuart Boddam. Sie schritten zum Tresen. Telly stellte sein Glas ab, nachdem der letzte Tropfen über seine Lippen war.
Am Tisch der Bürger wurde es still.
Sie fühlten sich nicht mehr wohl in ihrer Haut. Ihre Gesichter verkrampften sich maskenhaft und verrieten Unruhe. Sie duckten sich wie unter einer unsichtbaren Knute.
Auf Jim Hopkins Stirn begannen Schweißperlen zu glitzern. Als er sein Bier austrank, zitterte seine Hand. Er wagte nicht, Smith und Boddam anzusehen, denn er fürchtete, sein Blick könnte sie herausfordern.
Smith und Boddam bauten sich am Ende der Theke auf. Der Salooner verzog wenig begeistert den Mund, begab sich aber zu den beiden und nahm ihre Bestellung entgegen.
Der Town Major warf ein Fünfcentstück für sein Bier auf den Tisch und erhob sich. „Seid bis in einer Viertelstunde in meinem Büro in der City Hall“, wies er die anderen flüsternd an, dann schritt er zum Ausgang.
Auch Bowden, Chapman, Wallace und Carter standen auf. Sie legten gleichfalls das Geld für ihre Zeche auf den Tisch. Die beiden Banditen am Schanktisch musterten sie hämisch. Telly bettelte krächzend: „Noch einen, Slim - einen kleinen nur. Als Vorschuss dafür, dass ich morgen wieder den Schankraum kehre.“
Slim, der zwei Biere für die Fremden einschenkte, knurrte: „Nein, Ich will keinen Ärger mit Quincannon.“
Ben Smith kicherte widerlich, als der Name Quincannon fiel. Stuart Boddam grinste herablassend und nuschelte: „Wie kann man Ärger kriegen mit einem, der schon so gut wie tot ist?“
Die Bürger strebten hastig zur Tür und drängten schließlich hinaus. Befreit atmeten sie auf, als sie auf dem Vorbau standen. Aus dem Inn erklang die schnarrende Stimme eines der Banditen: „Gib dem Oldtimer eine Flasche, Keeper. Ich spendiere sie ihm.“
„Bis später“, sagte Jack Bowden, der Sattler, und eilte davon.
Auch die anderen verliefen sich.
Im Saloon sagte Stuart Boddam: „Okay, Alter, diese Flasche gehört dir. Aber ich schenke sie dir nicht. Du wirst uns dafür etwas die Zeit vertreiben. Kannst du irgendein Tier imitieren? Einen Hund vielleicht?“
Telly schluckte, dann bellte er einigemale. Ben Smith lachte schallend. Boddam aber winkte ab und knurrte: „Kein Hund steht auf zwei Beinen, wenn er bellt. Also runter auf alle viere, Oldman, und dann zeig uns, wie gut du einen Hund nachahmen kannst. Der Preis dafür ist ein Schluck aus der Flasche.“
Der Salooner schloss die Augen, um nicht sehen zu müssen, wie sie den Alten demütigten. Und als Telly über den Saloonboden kroch und bellte, versetzte ihm das einen Stich ...
*
Steve verließ die Schreinerei. Er war zutiefst deprimiert. Auch hier hatte er sich eine Abfuhr geholt. Den Schreiner bekam er gar nicht zu Gesicht. Dessen Gattin wimmelte ihn ab, indem sie erklärte, dass ihr Mann krank sei und im Bett liege.
Die Nachricht, dass er Hilfe suchte, war schneller gewesen als er. Und zwischenzeitlich würde sie die letzten Häuser der Stadt erreicht haben. Er hatte es satt, abgewiesen oder angelogen zu werden. Steve gab auf. Bitter sagte er sich, dass sich Angies Prophezeiung zu hundert Prozent erfüllt hatte. Keiner in ganz San Marcial war bereit, ihm gegen eine Horde Banditen beizustehen. Er war enttäuscht. Seine Hoffnung, Hilfe zu finden, war verweht, zurückgeblieben waren nur die Aussicht auf eine finstere Zukunft und ein tiefsitzendes Gefühl von Resignation, Verlorenheit und Sorge, vielleicht sogar Angst.
Unschlüssig stand Steve am Straßenrand. Trügerische Ruhe umgab ihn. Ein ganzes Stück weiter sah er Hopkins, Bowden, Chapman, Wallace und Carter den Imperial Saloon verlassen. Sie gingen auseinander. Carter kam die Straße herunter und musste an Steve vorbei. Als er aber den Marshal bemerkte, wechselte er schnell auf die andere Straßenseite. Steve schluckte trocken. Lahm, als wäre er innerhalb der letzten Stunden um Jahre gealtert, setzte er sich in Bewegung. Es ging auf Mittag zu und Angie würde wie jeden Tag für ihn gekocht haben. Außerdem brauchte er jetzt jemand, einen Menschen, mit dem er sprechen und an dem er sich wieder aufrichten konnte.
Als er den Saloon passierte, vernahm er heiseres Gackern. Als wäre er gegen ein unsichtbares Hindernis gelaufen blieb Steve abrupt stehen. Das Gackern erklang noch einige Male, und dann kam brüllendes Gelächter auf, jemand klatschte sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel, und dann rief ein Mann: „Prächtig, Alter. Du könntest im Zirkus auftreten. Komm her und hol dir deine Belohnung ab. Und dann ahmst du einen Ziegenbock nach. Hahaha ...“
Nichts mehr hielt Steve auf seinem Platz. Er schob all die quälenden Gedanken zur Seite. Mit langen Schritten strebte er dem Inn zu. Unwillkürlich lüftete er etwas den Colt im Halfter. Das Gewehr trug er in der linken Hand. Sein Gesicht mutete an wie aus Granit gemeißelt.
Auf dem Vorbau bewegte Steve sich leise. Die Planken knarrten kaum unter seinem Gewicht. Er blickte über die Batwings der Schwingtür in den Schankraum. Telly trank gerade mit gierigen Zügen von dem Brandy. Am Tresen lehnten die beiden Fremden, deren Bekanntschaft er schon gemacht hatte, und einer von ihnen entwand nun Telly die Flasche. Schnaps rann in Tellys verfilzten Bart und tropfte auf sein verschmutztes Hemd.
„Und nun den Ziegenbock!“, forderte Stuart Boddam.
Da drückte Steve mit seinem Körper die Türflügel auseinander und glitt in den Schankraum. Die Pendel schlugen knarrend hinter ihm. Steve hielt das Gewehr jetzt mit beiden Händen. Smith und Boddam drehten sich ihm zu und nahmen Front zu ihm ein.
„Schluss damit!“, peitschte Steves metallisches Organ. Er ließ die beiden Banditen nicht aus den Augen. Stuart Boddam ließ die halbleere Brandyflasche fallen. Sie rollte über den Boden und der Inhalt ergoss sich glucksend auf die Dielen. Trotz seiner Trunkenheit bewegte sich Telly blitzschnell. Er folgte der Flasche auf allen vieren zwischen Tisch- und Stuhlbeine, um zu retten, was noch zu retten war.
„Du verdirbst uns den Spaß, Marshal“, stieß Ben Smith zwischen den Zähnen hervor. Seine Hand tastete in die Nähe des Revolvergriffs. Leicht geduckt und breitbeinig stand er vor dem Tresen.
„Ihr seid niederträchtige, hundsgemeine Schufte!“, sagte Steve klirrend, aber ruhig - gefährlich ruhig. Langsam ging er weiter, und die Banditen spürten den Anprall von Entschlossenheit und Härte, die von ihm ausgingen. „Na schön. Ihr hattet euren Spaß. Allerdings dulde ich derlei Späße in dieser Stadt nicht. Ihr habt die Würde eines alten Mannes mit Füßen getreten, habt seine Sucht schamlos ausgenutzt und ihn euch gefügig gemacht. Das ist schäbig. Auf Kerle wie euch können wir verzichten in dieser Stadt. Darum verschwindet. Ich gebe euch zwanzig Minuten, in denen ihr eure Siebensachen aus dem Hotel holen und eure Pferde satteln könnt. Treffe ich euch nach Ablauf der Zeit noch innerhalb der Stadtgrenzen an, verhafte ich euch und ihr landet hinter Gittern.“
Die Abscheu vor den beiden stand Steve ins Gesicht geschrieben. Er kochte aber auch vor Zorn und hatte Mühe, die Ruhe zu bewahren und es den beiden Strolchen nicht mit dem Gewehrlauf zu besorgen. Überhaupt war seine Stimmung auf dem Nullpunkt angelangt, nach allem, was er an diesem Tag erlebt hatte. Und das machte ihn unberechenbar und explosiv.
Ben Smith schürzte die Lippen. „Wie lautet die Anklage, Quincannon?“, fragte er hämisch. „Welche gesetzeswidrige Tat wirfst du uns vor? Mit welcher Begründung willst du uns aus der Stadt weisen? Weil der Oldtimer für uns den Kasper mimte? Oder weil dir unsere Nasenspitzen nicht gefallen? Oder weil du langsam durchdrehst vor Angst?“
Steve biss die Zähne zusammen. Er schielte zu Telly hin, der am Boden hockte und die Flasche mit einem Rest Brandy mit beiden Händen umklammerte. Telly trank jedoch nicht. Staunend fixierte er Steve. Und in seinen umnebelten Verstand sickerte nach und nach die Erkenntnis, wie sehr er sich des Brandys wegen erniedrigt hatte und wie sehr er von den beiden Kerlen gedemütigt worden war.
Steve sagte brechend: „Ich bin euch Halunken keine Rechenschaft für mein Handeln schuldig. Ich gab euch zwanzig Minuten Zeit, und davon sind gut und gerne drei Minuten abgelaufen. Ihr müsst euch sputen, wenn ihr nicht gesiebte Luft atmen wollt.“
Von Boddam kam ein höhnisches Lachen, dann versetzte der Bandit: „Deine Absicht ist leicht zu durchschauen, Quincannon. Du willst uns aus der Reserve locken, uns reizen. Du suchst einen Grund, um uns beide aus dem Verkehr ziehen zu können, denn wenn Dick ankommt, müsstest du dich zunächst auf zwei Gegner weniger einstellen, und damit vergrößern sich deine Chancen. Dir geht es gar nicht darum, dass wir die Stadt verlassen. Denn du weißt, dass wir noch heute wieder zurückkämen, und du hättest nichts gewonnen. Doch du bist auf dem Holzweg, Marshal. Wir lassen uns zu nichts Unbedachtem hinreißen, das dir eine Handhabe gegen uns gäbe. Wegen der Sache mit dem Säufer kannst du uns nicht einsperren. Es sieht ganz so aus, als kämpftest du im Moment gegen Windmühlenflügel.“
Da wankte Telly auf die Beine. Er stellte die Flasche auf einen Tisch und lallte mit schwerer Zunge: „Ihr Hundesöhne habt heute den letzten Rest von Stolz in mir zerstört. Dafür soll euch der Himmel strafen. Mein Gott, was bin ich doch für ein charakterloser Haufen Dreck, Marshal. Heute morgen hatte ich noch den Vorsatz gefasst, nie mehr zu trinken. Und nun ...“
Ben Smith lachte zynisch auf.
Bei Steve brannten die Sicherungen durch. Ehe der Bandit sich versah, war er bei ihm. Die Winchester schwang herum, der Kolben krachte seitlich gegen Smith’ Kinn und der Schlag warf den Strolch halb über den Tresen. Blut sickerte aus einer Platzwunde. Stuart Boddam war für den Bruchteil einer Sekunde gebannt, er wurde von Steves blitzartiger Aktion regelrecht überrollt, dann aber schüttelte er die Lähmung ab und stieß sich ab. Er sprang Steve an wie ein Raubtier ...
*
Steve sah Boddam auf sich zufliegen. Instinktiv wich er zur Seite aus, er konnte aber nicht verhindern, dass der Bandit gegen ihn prallte und ihm mit der linken Hand fast die Weste herunterriss. Sie rutschte ihm über den rechten Oberarm und machte ihn mit rechts für die Spanne einiger Lidschläge lang bewegungsunfähig. Diese Zeit reichte für Boddam, Steve zweimal hart zu treffen. Steves Kopf wurde von einer Schulterseite auf die andere gerissen, und Steve entrang sich ein dumpfer, jäh abreißender Ton, vor seinem Blick versank die Welt in wogenden Nebeln.
Doch dann hatte er seinen Arm befreit. Blindlings schlug er mit dem Gewehr nach Boddam, er spürte Widerstand und vernahm einen schmerzhaften Aufschrei, und die Nebelschleier vor seinen Augen lichteten sich. Steve sah Boddam zurücktaumeln, und er nahm wahr, dass der Bandit am Revolver nestelte, um ihn aus dem Futteral zu bekommen.
Steve setzte nach. Da krachte etwas auf seinen Rücken, Arme umschlangen ihn von hinten und er wurde zurückgerissen. Ben Smith hatte den Schlag mit dem Gewehrkolben überwunden und mischte nun mit. Sein Knie knallte in Steves Rücken, Smith’ linker Arm lag jetzt um seinen Hals und würgte ihn, und er wurde über Smith’ Knie mit unwiderstehlicher Gewalt nach hinten gebogen. In seiner Wirbelsäule begann stechender Schmerz zu toben.
Steves Lippen klafften auseinander, er schnappte nach Luft, ein Röcheln kämpfte sich in seiner Brust hoch und brach aus seiner Kehle. Vor ihm tauchte Boddam auf. Die Idee, sich mit dem Colt gegen den Marshal zur Wehr zu setzen, hatte er sausen lassen. Er schickte seine Faust auf die Reise, und sie bohrte sich in Steves Magengrube. Der Aufschrei voll Not erstickte bei Steve im Ansatz. Der Schlag presste ihm die Luft aus den Lungen. In sein Gehirn schlich sich schwindelerregende Benommenheit, und in seinen Gedärmen begann Übelkeit zu wühlen.
Ein Schlag ertönte, es klirrte, Scherben regneten auf die Dielen, im nächsten Moment löste sich der Klammergriff um Steves Hals, der Druck des Knies von seinem Rückgrat verschwand, Steve verlor das Gleichgewicht und stürzte schwer auf den Rücken. Boddams Schwinger pfiff ins Leere, und von der Wucht des Schlages getrieben stolperte Boddam nach vorn, blieb mit dem Fuß an Steve hängen und flog auf den Bauch.
Am Schanktisch stand Telly. Er hielt noch den Rest des Bierglases, das er Ben Smith auf den Kopf geschmettert hatte, in der Hand. Nur noch der Boden und ein paar scharfrandige Zacken waren übrig. Smith war gegen den Tresen getaumelt, hielt sich mit einer Hand den Kopf, mit der anderen klammerte er sich an die Messingstange, die am oberen Thekenrand entlanglief.
Steve und Boddam kamen gleichzeitig hoch. Noch immer hielt Steve das Gewehr fest. Er hatte Benommenheit und Übelkeit überwunden, seine Lungen waren mit frischem Sauerstoff gefüllt, das Kreuz schmerzte ihm zwar noch, aber das war erträglich.
„Du kleine, betrunkene Ratte!“, knischte Ben Smith, als er wieder zu sich gefunden hatte. Er nahm die Hand nach unten und starrte auf seine Fingerkuppen, an denen Blut von einer Schnittwunde klebte. „Dafür schicke ich dich zur Hölle!“
Aus den Augenwinkeln sah Steve, dass Boddam Anstalten machte, sich wieder auf ihn zu werfen. Sein rechter Arm mit dem Gewehr säbelte herum, der stählerne Lauf knallte gegen Boddams Hals und schickte ihn zu Boden. Und in dem Moment, als Smith den Colt auf Telly richtete, schlug Steve auf den Banditen die Winchester an. Mit hartem Schnappen lud er durch. Smith versteifte.
„Fallen lassen“, befahl Steve, und seine Stimme klang wie zerspringendes Eis. „Danke, Telly.“
Smith ließ den Colt einmal um den Zeigefinger rotieren und stieß ihn ins Halfter. Angesichts der schussbereiten Winchester in den Fäusten des Marshals war es das Klügste. Wenn es um sein eigenes Fell ging, war der Bandit - wie fast alle Kerle seines Schlages -, ausgesprochen sensibel.
„Ich sagte fallen lassen!“, herrschte ihn Steve an. „Telly, entwaffne den anderen.“
„Mit Vergnügen“, kam es von dem Trinker, der jetzt schlagartig ernüchtert schien. Er ließ den Rest des Bierglases fallen, beugte sich über Boddam, der zwischen Wachsein und Besinnungslosigkeit treibend am Boden lag, und zog ihm den Sechsschüsser aus dem Halfter. Telly trat zurück, spannte den Hahn und richtete die Mündung auf Boddam.
Smith reagierte nicht. Sprungbereit stand er da. Seine Hand hing noch über dem Kolben. Da fuhr aus der Mündung von Steves Gewehr eine feurige Lohe. Der Krach staute sich im Schankraum und ließ die Fensterscheiben erzittern. Pulverqualm wogte. Die Kugel riss dicht vor Smith’ Stiefelspitze einen Span aus der Diele. Der Bandit sprang erschreckt in die Höhe. Als er wieder am Boden stand, lag seine Hand auf dem Coltknauf. Aber Steve zielte bereits auf seinen Leib. Der Verstand des Banditen holte den Reflex, das Eisen zu ziehen, ein. Steve sagte frostig: „Das nächste Stück Blei fährt dir in die Figur, Hombre. Jetzt zieh vorsichtig dein Schießeisen und wirf es zwischen Stühle und Tische.“
Eine ungeduldige Bewegung mit dem Gewehr unterstrich seine Aufforderung.
Ben Smith gab sich geschlagen. Seine Kanone polterte auf die Dielen, schlitterte noch ein ganzes Stück weiter und blieb schließlich unter einem Tisch in der zweiten Reihe liegen.
Steve nickte. „Jetzt hilfst du deinem Kumpan auf die Beine, und dann geht ihr vor mir her zum Jail. Vorwärts!“
„Wie lange glaubst du, uns festhalten zu können?“, knirschte Smith. Die kleine Wunde an seinem Kinn von Steves Gewehrkolben blutete nicht mehr. Hals und Wange waren aber blutverschmiert, und der mörderische Hass, der wie ein Dämon in Ben Smith’ Augen lauerte, verlieh seinem Gesicht etwas Furchteinflößendes. „Die Schlägerei hier hast du selbst angezettelt. Außerdem trifft in wenigen Stunden Wetham in der Stadt ein. Und der wird dir ein Feuer unter dem Hintern schüren. Wir aber werden sehr schnell wieder draußen sein. Und dann spucken wir auf deinen Kadaver, Amigo.“
Unbeeindruckt versetzte Steve: „Du sprichst zuviel. Und ich bin es leid, mir deine Drohungen und Verheißungen anzuhören. Darum wirst du von nun an den Mund halten und haargenau das tun, was ich von dir verlange. Alles andere fasse ich als Widerstand gegen einen Vollzugsbeamten auf. Also hilf deinem Kumpan hoch, und dann Marsch!“
Smith biss sich auf die Unterlippe und bewegte sich. Stuart Boddam stöhnte und ächzte, als er ihn auf die Beine zerrte. Telly fuchtelte wild mit dem Colt herum. Dann stand Boddam. Smith hielt ihn aufrecht. Er hatte sich den linken Arm Boddams über die Schultern gelegt. Steve dirigierte sie aus dem Inn. Er hielt die Winchester im Hüftanschlag. Telly kam hinterher.
Sie wurden durch die Fenster beobachtet, als sie die Straße hinunterstapften. Aber niemand verließ sein Haus. Und wenn Steves Blick sich auf eines der Fenster richtete, zuckte der Beobachter schnell zurück. In Steves Mundhöhle entstand ein fader Geschmack. Die Feigheit all der Leute in dieser Stadt widerte ihn an. San Marcial erinnerte ihn an einen Fuchsbau, der von Jagdhunden eingekreist war. Wie die Füchse in ihrem Bau duckten sich die Männer dieser Town, die Angst ließ ihre Herzen erbeben und fraß sich wie ein unersättliches Tier in ihre Gemüter.
Als sie auf der Höhe der City Hall waren, schlurfte der Stadtschreiber aus der Tür und kam auf sie zu. Er sagte zu Steve: „Der Town Major möchte Sie innerhalb der nächsten halben Stunde sprechen, Marshal.“
„Was will er?“
Der Bursche zuckte mit den Achseln. „Er meinte nur, es sei zum Wohle der Stadt.“
Der Bursche machte kehrt und ging in die City Hall zurück.
Wenig später schloss sich hinter Ben Smith und Stuart Boddam die Zellentür. Boddam, der noch immer gegen eine große Not anzukämpfen hatte, legte sich sofort auf eine Pritsche. Smith umklammerte zwei der zolldicken Gitterstäbe und feixte: „Keine drei Stunden mehr, Quincannon. Dann bist du tot und wir sind draußen. Und dann geht es einigen Pfeffersäcken in diesem Drecknest an den Kragen. O ja, Dick hat ein Großreinemachen im Sinn. Denn wenn es nach einigen besonders vorwitzigen Hombres gegangen wäre damals, dann hätte sich Dick am Ende eines Hanfstricks das Genick gebrochen.“
„Dass es nicht so kam, hatte er mir - und nur mir - zu verdanken“, versetzte Steve lakonisch. Dann verließ er den Zellentrakt. Telly hatte auf einem Hocker Platz genommen. Noch immer hielt er den Banditencolt in der Hand. Telly sagte näselnd: „Es kommt mir vor wie ein Wunder, Steve. Ich verspüre keinerlei Verlangen nach Alkohol. Ich glaube, heute stand ich endgültig am Scheideweg. Als mich die Schufte bellen ließen wie einen Hund, als ich auf allen vieren über den Saloonboden kroch, als ich wieherte wie ein Pferd und gackerte wie ein Huhn, da hatte ich das Gefühl, mich wehren zu müssen. Irgendwie war da noch ein Rest von Stolz - aber ich hatte auch Angst, hündische, klägliche Angst. Sie war stärker als mein Stolz, und ich wäre wohl endgültig zerbrochen, wären Sie nicht eingeschritten, Marshal.“
„Schon gut, Telly. Du bist ein kranker, hilfloser Mann, und als Marshal war es meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit ...“
„Nein, o nein. Sie waren immer der einzige in diesem lausigen Nest, der mich nicht behandelte wie den letzten Dreck. Sie waren - obwohl Sie höchstens halb so alt sind wie ich -, immer wie ein guter Vater zu mir, ein Vater, der seinen missratenen Sohn unter allen Umständen vor dem unaufhaltsamen Untergang retten wollte. Ich weiß nun, wie sehr ich mich eines Rausches wegen erniedrigte. Ich fischte mit bloßen Händen Centstücke aus den Spucknäpfen, die irgendwelche Witzbolde hineinwarfen, und ich hätte noch viel mehr auf mich genommen, nur um etwas Geld für Schnaps zu ergattern. - Damit soll von heute an Schluss sein. Ich stehe in Ihrer Schuld. Und da ich einiges aufschnappen konnte und weiß, wie sehr die Stadt Sie im Stich lässt, bitte ich Sie, mich zu Ihrem Hilfsmarshal zu ernennen, Steve. Ich will eine Kanne starken Kaffee austrinken und meinen Schädel ein letztes Mal in den Tränketrog vor dem Saloon stecken. Und dann nehme ich ein Bad, rasiere mich und trete meinen Dienst an. Und ich lasse Sie nicht alleine, wenn Wetham und sein Halsabschneiderverein antanzen. Nehmen Sie an, Marshal?“
Steve lächelte trübe. „Keinen Alkohol mehr, Telly, drei Mahlzeiten täglich, und ...“
„So wahr mir Gott helfe!“, rief Telly und sprang auf. Er hob die rechte Hand wie zum Schwur. „Und das ist kein leeres Versprechen, Steve. Ich werde Sie nicht enttäuschen.“
„Okay, Telly. Ich gehe jetzt zum Town Major. Du bleibst hier und hältst die Stellung. Später nehme ich dich mit mir nach Hause. Dort bekommst du starken Kaffee und ein vorzügliches Essen.“
Er zog die Schublade seines Schreibtisches auf, nahm eine Blechmarke heraus und warf sie Telly zu. Dieser griff daneben und der Sechszack klirrte auf die Dielen. Beschämt bückte Telly sich danach. Dabei brabbelte er: „Auch das Zittern meiner Hände wird vergehen, Steve. Überhaupt wird wieder alles an meinem Körper funktionieren.“
„Ich hoffe es für dich, Telly“, murmelte Steve, dann verließ er das Office.
*
Auf dem Sidestep näherte sich Angie. Sie wirkte völlig verstört. Auf dem Grunde ihrer Augen schwammen Entsetzen und Verzweiflung. Einige Haarsträhnen hingen ihr in die Stirn. Sie hatte noch die Schürze an, die sie immer bei der Hausarbeit trug.
„Gott seid dank, du bist unversehrt“, wand es sich erleichtert und beklommen zugleich über ihre Lippen. „Ich hörte den Schuss und das Herz drohte mir auszusetzen. Was ist geschehen? Hast du Männer gefunden, die sich dir zur Seite stellen?“
Scharf stieß Steve die Luft durch die Nase aus. Er legte seinen Arm um Angies Schultern und zog sie dicht an sich heran. Glatt floss es über seine Lippen: „Ich habe die beiden Kerle, die Wetham vorausschickte, verhaftet. Und jetzt habe ich eine Unterredung beim Town Major. Sie hielten vorhin im Saloon so etwas wie eine - hm - Versammlung ab. Ich sah sie herauskommen. Und jetzt hat mich der Bürgermeister in die City Hall bestellt. Wahrscheinlich haben sie erkannt, dass unsere Stärke nur in der absoluten Geschlossenheit liegt. Ja, Angie, ich denke, die Männer der Stadt stehen hinter mir.“
„Ich habe daran gedacht, meinen Vater um Hilfe zu bitten, Steve. Wenn ich einen Boten zu ihm schicke, kann er im Laufe des Nachmittags mit der Crew hier sein. Was meinst du?“
Seine Miene verschloss sich. Herb antwortete er: „Nein, Angie. Dein Vater will nichts wissen von mir. Als ich vor einigen Jahren hier ankam, stellte er mich vom ersten Moment an auf die Stufe eines Satteltramps und Revolverschwingers. Das war ich auch. Aber ich wollte das unstete Leben aufgeben. Darum verließ ich auch Wyoming, wo ich mir den unseligen Ruf des Schnellschießers erworben hatte. - Nun, dein Vater jagte mich von der Ranch, als ich nach einem Job bei ihm fragte. Ich sah dich in dieser Stunde zum ersten Mal. In der Stadt war der Marshalposten vakant, und niemand wollte den Stern nehmen, weil eben Dick Wetham und seine Raubeine das Szepter in San Marcial schwangen. Also wurde ich Marshal. Ich wollte bleiben und sesshaft werden, nachdem ich dich gesehen hatte. Und irgendwie musste ich ja schließlich meinen Unterhalt verdienen. Dann warb ich um dich, und dein Vater hätte mir am liebsten mit der Peitsche das Fleisch von den Knochen geschlagen. Als wir heirateten, brach er mit dir. Er behandelt uns beide wie Luft. Und ihn soll ich um Beistand angehen? Niemals, Darling.“
In diesem Moment bogen aus einer Seitenstraße zwei Reiter in die Main Street ein. Sie waren verstaubt und verschwitzt, müde zogen ihre Pferde die Hufe durch den Staub.
Steve beobachtete sie über Angies Kopf hinweg. Die Main Street war wie leergefegt. San Marcial erinnerte an eine Geisterstadt. Nur das dumpfe Pochen der Pferdehufe störte die Stille. Steve atmete gepresst. Düstere Ahnungen stürmten mit Wucht auf ihn ein. Langsam wandte Angie sich um. Steves Arm fiel von ihren Schultern. Angie verdeckte den Stern an seiner linken Brustseite.
Die beiden Reiter hatten angehalten. Falkenäugig schauten sie sich um. Einer der beiden sagte etwas, der andere lachte. Das Geräusch versank in der Stille, und dann klopften wieder die Hufe. Die beiden näherten sich Steve und Angie.
Die junge Frau fühlte tief in ihrer Seele, dass das Verhängnis seinen Lauf zu nehmen begann. Und sie hörte Steve dicht neben ihrem Ohr murmeln: „Geh nach Hause, Angie, und bereite bis in einer halben Stunde das Essen. Koche auch starken Kaffee, denn ich bringe einen Gast mit.“ Sein Tonfall wurde beschwörend: „Bitte, Darling, geh jetzt. Ich habe die beiden nicht zu fürchten. Auch sie sind nur hier, um Psychoterror zu treiben. Den Todesstoß möchte mir Dick Wetham höchstpersönlich versetzen. Und dieser lässt wahrscheinlich noch einige Stunden auf sich warten.“
Sanft schob er Angie ein kurzes Stück den Gehsteig entlang, mechanisch setzte die Frau einen Fuß vor den anderen. Ihr Verstand begann zu blockieren, eine eiskalte Hand schien sie zu würgen, die Angst drohte ihr den Verstand zu rauben. Unterbewusst nahm sie wahr, dass sich niemand auf der Straße zeigte. Nur irgendwo schlug eine Tür, und dieses Geräusch vermittelte etwas Abschließendes, Endgültiges.
Sie rief sich zur Besinnung, und mit erschreckender Klarheit begriff Angie, dass kein Mann San Marcials bereit war, Steve zu unterstützen. Steve hatte sie angelogen. Ihr Schritt stockte, Steve prallte gegen sie, und sie drehte sich zu ihm herum. „Keiner hilft dir, Steve“, stieg es voll zittriger Erregung aus ihrer Kehle. „Sie lassen dich allein in deinem schwierigsten Kampf. Du hast gelogen, um mich zu beruhigen. Und dein irrsinniger Stolz lässt nicht zu, dass wir fliehen oder meinen Vater um Hilfe bitten. Gütiger Gott, Steve, diese Stadt ist es nicht wert, dass du für sie dein Leben wegwirfst.“
Die beiden Fremden waren bis auf drei Pferdelängen heran und zügelten. Noch immer hatten sie den Stern an Steves Brust nicht entdeckt. Sie legten ihre Hände auf die Sattelknäufe und fixierten Steve und Angie. Plötzlich fragte einer, es war Cole McPherson, mit staubheiserer, misstönender Stimme: „Gibt es außer euch beiden noch weitere Menschen in dieser Stadt?“
„Geh heim, Angie!“, flüsterte Steve rau, dann nahm er Front zu den Reitern ein.
Und nun erkannten sie, wen sie vor sich hatten. Sie prallten etwas zurück, hatten sich aber sofort wieder unter Kontrolle, hämisches Grinsen zog ihre Lippen in die Breite und Bill Haggans spottriefendes Organ röhrte: „Ist das ein Stern, was da an seiner Weste klebt, Cole? Ja, das ist ein Stern. Dann kann das nur Quincannon sein, der da steht und sich mit der hübschen Lady die Zeit vertreibt.“
„Anders kann es gar nicht sein“, pflichtete McPherson bei. „He, Quincannon, tausend Grüße von Dick Wetham. Er kann es kaum noch erwarten, dich unter die Erde zu bringen.“
„Warum kommt er dann nicht endlich und schickt nur euch Figuren?“, schnappte Steve erbost. „Ist er vielleicht gar nicht so sehr überzeugt von sich? Müsst ihr ihm den Weg bereiten, damit er selbst kein Risiko eingeht? Lässt er noch immer andere für sich die Kastanien aus dem Feuer holen?“
Steve sprach es provozierend und unbeeindruckt. Er zeigte sich den beiden furchtlos und unerschrocken. Lediglich Angies Anwesenheit passte ihm nicht. Und Angie rührte sich nicht vom Fleck.
Steve fuhr fort: „Wie viele von eurer Sorte will er denn noch schicken? Hat Dick denn keine Angst, dass ich euch Kerle der Reihe nach und nach schachmatt setze und dass er mir am Ende alleine gegenübersteht? Fürchtet er nicht, dass diese Stadt vielleicht nicht zulässt, dass er hier seinen faulen Zauber abzieht, dass man ihn samt euch mit Pulver und Blei zum Teufel jagt?“
Bill Haggan schaute umfassend in die Runde. Schließlich spuckte er verächtlich zur Seite aus und ließ dann seine Stimme erklingen: „Dick war einige Zeit in San Marcial. Schon damals - wenn auch nur für kurze Zeit -, zwang er den Leuten hier seinen Willen auf. Es gibt keine mutigen Männer hier, die eine Waffe in die Hand nehmen und sich zum Kampf stellen. Hier frisst man dem Stärkeren aus der Hand. Du wirst es nicht mehr erleben, Quincannon, aber die maßgeblichen Männer San Marcials werden um Dick herumschwänzeln wie geprügelte Straßenköter. Sie werden nichts unversucht lassen, um ihn gnädig zu stimmen.“
Ein trockener Ton entfuhr Angie. Die heiße Flamme des Zorns schlug in ihr hoch und verzehrte Angst und Verzweiflung. Ehe Steve es verhindern konnte, trat sie zwei Schritte auf die beiden Banditen zu. Sie rief mit klarer, präziser Stimme: „Lasst meinen Mann zufrieden! Er ist Marshal, und als er damals Wetham verhaftete und vor Gericht brachte, versah er nichts weiter als seinen Job. Wetham erschoss am Spieltisch einen Mann, und er wäre gelyncht worden, wenn mein Mann seinen Job nicht so ernst genommen und sich gegen die halbe Stadt gestellt hätte. Wetham hat ihm sein Leben zu verdanken. Und nur der Aussage meines Mannes vor Gericht ist es zuzuschreiben, dass er nicht des Mordes, sondern lediglich der Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig befunden wurde. So kam er mit fünf Jahren Zuchthaus davon. Steve rettete sein Leben. Und dafür will er ihn nun töten?“
„Fünf verlorene Jahre seines Lebens, Lady“, versetzte McPherson ungerührt, „fünf Jahre lebendig begraben, fünf Jahre Hölle. Das ist es, was Dick deinem Mann zu verdanken hat. Alles andere zählt nicht. Dein Mann steht bereits mit einem Bein im Grab. Aber mach dir keine Gedanken, Lady. Du bist viel zu hübsch, um lange allein zu sein. Sieh uns an. Wir sind richtige Männer, und wenn du willst, können wir vielleicht noch eine Menge Spaß miteinander haben. Nach Steve Quincannon wird bald kein Hahn mehr krähen.“
Bill Haggan grinste anzüglich und voll unverhohlener Begierde.
Angies Schultern zuckten wie unter einem Kälteschauer. Steves Zahnschmelz knirschte, seine Kiefer mahlten. Fiebrig durchrann es ihn. Seine Stimme klirrte: „Halt deine Zunge im Zaum, Mister, oder du bereust sehr schnell jede deiner Unverschämtheiten. Und freut euch nur nicht zu früh. Eure beiden Kumpane schmoren bereits im Jail. Und ihr könnt ihnen gerne Gesellschaft leisten.“
Ihre Lider zogen sich zusammen. Zwischen den engen Schlitzen glitzerte es reptilienhaft kalt. Sie verströmten plötzlich hellwache Angespanntheit und Bereitschaft. „Sag das noch mal!“, spuckte Bill Haggan geradezu hinaus. „Na los, wiederhole es, Quincannon, damit wir wissen, dass wir uns nicht verhört haben.“
„Ihr habt euch nicht verhört, ihr Schießbudenfiguren!“
Telly trat mit einer Shotgun im Anschlag aus dem Office. Als das letzte Wort über seine Lippen war, spannte er beide Hähne. Es knackte hart, als die Spannfedern einrasteten. Wie leere Totenaugen starrten die beiden Mündungslöcher auf die Banditen; kreisrund, schwarzgähnend und wie eine Warnung vor Untergang und Tod.
Haggan und McPherson waren überrumpelt. Ungläubig und zu keiner Reaktion fähig starrten sie Telly an. Dieser tönte: „Jetzt hat es euch Galgenvögeln die Stimmen verschlagen, wie? All right, ihr Schufte. Ihr werdet euch nun bei der Dame entschuldigen, und zwar artig und höflich und mit allen Anzeichen des tiefen Bedauerns, wie es sich für echte Gentleman gehört. Andernfalls sperren wir euch ein wegen - wegen ...“
„Na, sag’s schon, du alte Vogelscheuche!“, zischte Haggan, der seine Empfindungen wieder im Griff hatte.
„Wegen übler Beleidigung!“ So entband Steve den Oldtimer von einer Antwort. „Ihr habt eine unbescholtene, ehrenhafte Lady mit doppelsinnigen Anspielungen beleidigt, und das ist unserem Stadtgesetz gemäß ein Vergehen, auf das eine Ordnungsstrafe steht. Zwanzig Dollar. Falls ihr nicht bezahlen wollt oder könnt, wandert ihr für jeden Dollar einen Tag hinter Gitter.“
Steve hatte das Gewehr angehoben, und nun deuteten von zwei Seiten die Mündungen auf die Banditen.
„Vielleicht wart ihr der Meinung, dass mich allein die Tatsache von Dick Wethams Anmarsch vor Angst und Ehrfurcht im Boden versinken lässt“, hub Steve wieder an. Er sprach schleppend. „Nun seid ihr eines besseren belehrt worden. Ja, eure beiden Kumpane befinden sich hinter Schloss und Riegel. Und ihr beide zahlt nun auf der Stelle jeweils zwanzig Dollar Strafe, oder ihr landet in der Nachbarzelle. Ihr könnt aber auch nach euren Kanonen greifen. Es wird uns kaum Skrupel bereiten, die Stadt mit heißem Blei von eurer Anwesenheit zu befreien.“
„Nicht die geringsten!“, näselte Telly und seine kleinen, schwarzen Augen funkelten grimmig.
Steve war vor Angie getreten und schützte sie so mit seinem Körper.
Die beiden Banditen stauten den Atem. Sekundenlang sah es so aus, als wollten sie aggressiv reagieren. Plötzlich erschlafften ihre angespannten Haltungen, sie setzten sich lässig zurecht, Unverfrorenheit und Kaltschnäuzigkeit kamen bei ihnen zurück. McPherson dehnte: „Wir entschuldigen uns bei Ihnen, Ma’am, yeah, verzeihen Sie unser frivoles Benehmen.“ Er schoss Telly einen sengenden, vernichtenden Blick zu. Dann griff er in die Tasche und holte einige Geldscheine hervor. „Zweimal zwanzig Bucks, Marshal, okay, hier ist das Geld.“ Er ließ die Noten achtlos fallen, sie schwebten in die Tiefe und landeten im Staub. „Aber glaube mir: Ich hole es mir wieder.“
Er zog das Pferd um die rechte Hand und ruckte im Sattel. Das Tier ging an. Müde zog es die Hufe durch den Staub. Bill Haggan tippte mit dem Zug einer bösen Verheißung um den Mund gegen die Krempe seines Hutes und orakelte: „Es wird heute noch schlimm für dich werden, Quincannon, und du wirst die Stunde verfluchen, in der du geboren wurdest. Dick hat eine ganze Reihe von Methoden auf Lager, mit denen man einem Mann die Hölle bereiten kann, ohne ihn umzubringen. Bei ihm könnten sogar die Apachen noch was lernen. Er wird dich in die Mangel nehmen, und glaube mir, du wirst ihn anflehen, dich endlich mit einer Kugel zu erlösen. Nun, du wirst es erleben.“
Er sprach es und folgte McPherson. Sie lenkten ihre Pferde auf den Saloon zu.
Telly entspannte die Shotgun und legte sie sich auf die Schulter. Zwischen Steve und Angie herrschte betretenes Schweigen, das Angie schließlich nach einer geraumen Zeit brach, indem sie kehlig sagte: „Du hast also einen Mann gewonnen, Steve.“ Sie musterte Telly widerwillig von oben bis unten. „Einen Stadtstreicher und haltlosen Trinker.“ Es klang herablassend und geringschätzig. „Ist er der Gast, den du mir angekündigt hast? Braucht er starken Kaffee, um nüchtern zu werden?“
Steve schluckte und würgte an dem Kloß, der ihm plötzlich im Hals saß. Er nickte. Angie kam ihm plötzlich fremd vor. Diesen Zug kannte er an ihr nicht. Sie erinnerte ihn unvermittelt stark an ihren Vater, dessen Unduldsamkeit und Arroganz er am eigenen Leib zu verspüren bekam.
„Ich will ihn nicht in meinem Haus haben, Steve!“, kam es unnachgiebig und hart von Angie. „Er ist Abschaum. Wenn du meinst, ihn aus der Gosse holen zu müssen - bitte. Mich aber verschone damit.“
Steve schrieb ihr Verhalten der Angst, der Hilflosigkeit und der Enttäuschung zu, die sie beherrschten. Ja, es war wohl so, dass sie aufgrund ihrer Erregung und der ganzen Gefühlswelt, die sich in ihr staute, nicht mehr in der Lage war, abzuwägen, was sie von sich gab. Dennoch verspürte er das Bedürfnis, etwas sagen zu müssen, einzulenken, sie behutsam zurechtzuweisen. Er formulierte seine Worte im Kopf, ehe er zu sprechen begann. Dann sagte er: „Telly hat geschworen, niemals mehr einen Tropfen Alkohol zu sich zu nehmen, Angie. Er half mir im Saloon aus einer ziemlich üblen Klemme. Ohne ihn hätten mich die beiden Kerle, die jetzt im Jail sitzen, in Stücke geschlagen. Er hat als einziger in dieser ganzen lausigen Stadt Mut bewiesen. Ich habe ihn zu meinem Deputy ernannt. Ich glaube, Telly ist kein schlechter Mann. Und jetzt, da er Besserung gelobt hat, sollte man ihn nicht vor den Kopf stoßen und ihm jede erdenkliche Chance geben. Sonst verliert er sehr schnell wieder den Glauben an sich selbst.“
„Angies Reaktion ist ganz normal, Steve“, ließ Telly verlauten. „Ich kann sie ihr nicht verdenken. Ich habe noch nicht bewiesen, dass ich stark genug sein werde, durchzuhalten. Ich bin nicht verletzt. Denn sie hat recht, wenn sie mich Stadtstreicher, Trinker und Abschaum nennt. Ich muss erst den Beweis antreten, dass mehr in mir steckt.“
„Das ist kein Grund, dich zu beleidigen, Telly“, stieß Steve hervor. „Du hast gezeigt, dass einiges in dir steckt. Ich lasse nicht zu, dass du gekränkt wirst, schon gar nicht von meiner Frau.“ Er wandte sich wieder Angie zu, sah sie zwingend an, und sagte halblaut: „Geh jetzt nach Hause und bereite das Essen so, wie ich es dir aufgetragen habe. Ich will auch, dass du für Telly starken Kaffee kochst. Bitte, Darling ...“
Unergründlich schaute sie ihn an. In ihren ebenmäßigen Zügen arbeitete es. Dann murmelte sie: „Jeder andere Mann würde weglaufen, Steve. Du aber bleibst. Ich weiß nicht, was in deinem Kopf vorgeht. Vielleicht hat Dad recht, und du bist im Grunde deines Herzens wirklich nur ein Coltschwinger, der die Gefahr sucht und mit ihr leben will. Du hast es all die Jahre nur unterdrückt. Jetzt aber bricht es wieder durch bei dir. Du bist nicht umzustimmen. Du setzt dich über alles hinweg und wirfst dich dieser blutrünstigen Meute zweibeiniger Wölfe regelrecht zum Fraß vor. Ich kann nichts tun. Ich kann nur zu Hause darauf warten, dass sie dich mir tot vor die Türe legen. Ich weiß nicht, ob ich das alles bewältigen und verkraften kann.“
Sie drehte ihm den Rücken zu und schritt mit hängendem Kopf davon.
Fast körperlich glaubte Steve die Kluft zu spüren, die zwischen ihm und Angie innerhalb der letzten Minuten aufgerissen war. Und die Stimmung, in der er sich befand, war so ziemlich die erdrückendste in seinem Leben.
Vor sich hinmurmelnd stieg Telly vom Vorbau, um das Geld aufzuheben, das der Bandit in den Staub geworfen hatte.
*
Steve betrat die City Hall und ahnte wenig Gutes. Als er an die Tür des Dienstzimmers des Bürgermeisters klopfte, verstummte drinnen das erregte Durcheinander von rauen Stimmen. Er wurde aufgefordert, einzutreten.
Steve schloss hinter sich die Tür und lehnte sich dagegen. Sein kühler, abwägender, forschender und einschätzender Blick zuckte über die ausdruckslosen Mienen hinweg, die ihm entgegenstarrten. Da war ein Großteil jener Männer versammelt, die er um Hilfe gegen Wetham angegangen hatte und von denen er eine Abfuhr erhielt. Diesmal war auch Elliott Fuller vom ‘San Marcial Express’ dabei. Ein halbes Dutzend Honorationen von San Marcial, die sich gewiss nicht von ungefähr hier getroffen hatten.
„Was wollen Sie von mir?“ So richtete er die Frage an den Town Major. Aufreizend langsam hob Steve die Arme und überkreuzte sie vor der Brust.
„Wir haben lange beraten“, begann Hopkins nach kurzem Zögern. „Ja, wir haben über die Gründung einer Bürgerwehr nachgedacht, Marshal.“ Er log, ohne rot zu werden. „Und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, vorerst abzuwarten. Denn der Gedanke stieß bei keinem der Männer, die wir befragten, auf Zustimmung.“
„Erstens haben Sie nicht einen einzigen Gedanken an eine Bürgerwehr verschwendet, Gentleman“, versetzte Steve eisig, „zweitens wurde außer von mir niemand in ganz San Marcial dahingehend befragt, und drittens frage ich mich, was Sie abwarten möchten.“
Steve trat selbstbewusst und sicher auf, und das irritierte die Männer, denen ein gewisses Maß an Wohlstand anzusehen war und die nun erröteten.
Der Town Major versuchte ein beschwichtigendes Lächeln, aber mehr als eine verzerrte Fratze brachte er nicht zustande. „Einen Entschluss haben wir dennoch gefasst, Quincannon“, fuhr er fort, beruhigt von dem Wissen, dass ihm fünf angesehene Männer der Stadt den Rücken stärkten.
„Dann spucken Sie mal das Ergebnis aus!“, forderte Steve.
Hopkins strich sich fahrig über den Mund. Das Lächeln, das um seine Lippen spielte, war abstoßend und heuchlerisch. Und als er sprach, verlieh er seiner Stimme einen fast sanften Ton. Er sagte: „Wir haben beschlossen, Sie aufzufordern, San Marcial zu verlassen, ehe Wetham hier eintrifft, Quincannon.“
Es war heraus. Rasselnd atmete Hopkins aus. Erwartungsvoll abwartende Haltungen nahmen die anderen ein. Dabei starrten sie Steve an, als wollten sie ihn ihrem Willen entsprechend hypnotisieren.
Hopkins konnte die Verachtung in Steves Blick nicht mehr ertragen. Wie von Fäden gezogen setzte er sich in Bewegung, umrundete seinen Schreibtisch und ließ sich schwer auf den Stuhl fallen. Er zog die Schublade auf, schaute angestrengt hinein, als suchte er etwas mit ganz besonderer Intensität, und schließlich beförderte er ein Blatt Papier auf die Tischplatte, auf das einige Zeilen geschrieben waren.
„Was versprechen Sie sich davon, meine Herren?“, fragte Steve, und sie zuckten zusammen.
Jetzt war es Jack Bowden, der das Wort ergriff. Er räusperte sich, dann erklärte er: „Sie sind es, Quincannon, der uns den Verdruss in die Stadt zieht. Wetham will Sie - und nur Sie. Wenn Sie nicht mehr in San Marcial weilen, wird auch er sehr schnell wieder verschwinden, um Ihre Fährte aufzunehmen. Verkriechen Sie sich irgendwo in der Weite des Landes. Spuren verwehen hier schnell. Und eines Tages wird Wetham die Suche nach Ihnen aufgeben. So ist dieser Stadt geholfen, und auch Sie können mit einigem Geschick ihre Haut retten.“
Steve lachte scheppernd auf. „Sie irren sich, Gentleman. Wetham kommt, um auch von Ihnen Rechenschaft zu fordern. Das weiß ich. Er will Rache. Und er verlässt diese Stadt nicht, ohne vorher hier für Furore gesorgt zu haben. Ich schätze, jeder von Ihnen, die ihr euch hier eingefunden habt, hat ihn zu fürchten. - Was haben Sie da für ein Schreiben vorbereitet?“
Steve wies mit dem Kinn auf den Bogen Papier auf dem Schreibtisch.
„Eine Vereinbarung zwischen Ihnen und der Stadt, wonach Sie das Marshalsamt niederlegen. Außerdem wollten wir uns Ihnen gegenüber großzügig erweisen. Wir zahlen Ihnen zweitausend Dollar Abfindung, wenn Sie noch in dieser Stunde die Stadt verlassen.“
Wieder lachte Steve auf. Es war ein sarkastisches und zugleich ironisches Lachen. Er nahm die Arme aus der Verschränkung und hakte seine Daumen in den Revolvergurt. „Stecken Sie sich den Fetzen Papier sonstwo hin, Hopkins. Mein Kampf gegen Wetham hat bereits begonnen. Zwei seiner Mitläufer habe ich vorhin eingesperrt - aber das dürfte Ihnen ja sicherlich bekannt sein. Vorhin tauchten wieder zwei verwahrloste Typen auf, und sie bestellten mir Grüße von Wetham. Ich werde auch Sie ausschalten. Und dann kann Wetham kommen. Kaum vorstellbar, dass seine Gefolgschaft dann noch besonders groß ist. Ich werde bereit sein. Auf Ihre zweitausend Dollar pfeife ich. Und den Stern - den werde ich Ihnen vor die Füße werfen. Vorher aber schalte ich Wetham aus - und zwar mit dem Abzeichen an der Brust.“
„Verdammt, Quincannon, Sie zwingen uns, Ihnen mit Nachdruck die Sache klarzumachen!“, fauchte Elliott Fuller, der Inhaber der hiesigen Zeitung.
Steve betrachtete ihn fast mitleidig. Fuller war ein kleiner, mickriger Mann mit einer randlosen Brille auf der Nase, und seine Drohung wirkte auf Steve fast lächerlich. Aber Fuller war nicht allein. Da waren noch fünf andere, und wenn auch keiner von ihnen unter fünfundfünfzig war, so waren sie in ihrer Überzahl nicht zu unterschätzen. Darum nahm Steve Fullers Drohung nicht auf die leichte Schulter. Jede Silbe betonend gab er zu verstehen: „Ich bin Marshal dieser Stadt. Ich wurde vom Bürgerrat berufen. Es gibt nur eine Möglichkeit, mich aus dem Amt zu entfernen. Das wäre die Entlassung durch den Bürgerrat. Zu diesem Gremium allerdings gehört außer dem Town Major und Ihnen keiner, Fuller. Hopkins und Sie sind alleine aber nicht beschlussfähig. Im Augenblick können Sie an meiner Position nicht kratzen. Und ich lasse mich auch nicht einschüchtern. Drohungen irgendwelcher Art können Sie sich sparen. Denn sie beeindrucken mich nicht. Abgesehen davon würde ich auch im Falle der Entlassung durch den Bürgerrat die Stadt nicht verlassen. - War das alles, was Sie mir zu sagen hatten?“
„Es gibt noch eine zweite Möglichkeit, Sie aus dem Amt zu entfernen, Quincannon“, gab der Barbier aufgebracht zu verstehen.
Steve verstand. Dennoch fragte er: „Und die wäre?“
Sie fixierten ihn vielsagend und bedeutungsvoll, schwiegen aber.
Steves linker Mundwinkel zuckte in die Höhe. „Sie sind eine Bande von Heuchlern und Feiglingen!“ Wie Bleitropfen fielen die Worte von seinen Lippen. „Mag Dick Wetham noch so ein niederträchtiger und verkommener Bandit sein - er hat wahrscheinlich im kleinen Finger mehr Charakter als jeder von Ihnen im ganzen Körper. Sie und ich - wir sind geschiedene Leute. Kommen Sie mir nicht mehr in die Quere - keiner von Ihnen.“
Er machte kehrt und legte die Hand auf den Türknopf. Da vernahm er hinter sich einen scharfen Keuchton, Fußbodenbretter knarrten - und er wirbelte geduckt herum. Der riesige Schmied stürmte auf ihn zu. Die Erkenntnis, dass es keine leeren Drohungen gewesen waren, die Fuller und Carter ausgestoßen hatten, fuhr ihm wie ein Blitzstrahl ins Gemüt. Er sprang zur Seite, und Hank Chapman krachte ungebremst gegen die Türfüllung, die Tür flog unter dem wuchtigen Anprall auf und Chapman taumelte hinaus auf den Flur.
Steve war ziemlich perplex, seine Reaktion erfolgte mehr instinktiv als vom bewussten Willen geleitet. Er war nahe daran, den Colt zu ziehen, konnte sich jedoch letztendlich nicht dazu entschließen, denn keiner der Männer war bewaffnet. Seine Rechte umklammerte zwar den Coltgriff, aber er ließ das Eisen im Halfter. Und als Jack Bowden und Jeff Wallace gleichzeitig auf ihn zustürzten, warf er sich ihnen entgegen. Er traf Wallace am Kopf und rammte Bowden die Schulter in den Leib. Bowden ging mit einem spitzen Aufschrei zu Boden, Wallace taumelte zur Seite.
Steve wurde zurückgerissen. Er flog herum, und vor seinen Augen schien der Raum zu explodieren, als ihm der Schmied die Faust ins Gesicht schmetterte. Sofort spürte er den süßlichen Geschmack seines Blutes auf den Lippen. Mit rudernden Armen wankte er rückwärts, und er erhielt einen hinterhältigen Tritt in die Kniekehlen, der ihn einbrechen ließ. Tränen, die ihm der Schmerz in die Augen trieb, nahmen ihm die Sicht. Er lag auf den Knien. Panik stieg wie ein Schrei in ihm auf. Und jetzt scheute er sich nicht mehr, nach dem Colt zu greifen. Aber ein Tritt zwischen die Schulterblätter warf ihn nach vorn, und instinktiv benutzte er beide Arme, um den Sturz auf das Gesicht abzufangen.
Er wurde hochgerissen und entwaffnet. Die Arme wurden ihm brutal auf den Rücken gedreht. Chapman, der Schmied, schlug ihm zweimal die flache Hand ins Gesicht, und die Schläge brannten auf seiner Wange. Und dann vernahm er wie aus weiter Ferne die leidenschaftliche Stimme des Town Majors: „Noch einmal, Quincannon: Unterschreiben Sie nun die Vereinbarung, oder müssen wir Sie in Stücke schlagen? Entscheiden Sie sich schnell, denn die Zeit läuft uns davon. Ich warte nicht länger als drei Sekunden auf Ihre Antwort. Und dann ist wieder Chapman an der Reihe.“
Steve mühte sich ab, seine Arme aus den stahlharten Griffen zu befreien. Blut lief von seiner Unterlippe über sein Kinn. Er wand sich, bog das Kreuz durch, stemmte sich gegen den Druck ihrer Fäuste.
„Die drei Sekunden sind um!“, tönte Hopkins ohne jede Gemütsregung. „Chapman!“
Ein bretterharter Schlag mit dem Handrücken traf Steves Mund. Und dann bohrte sich die riesige Pranke des Schmieds in seinen Leib. Da sie verhinderten, dass er sich nach vorne beugte, um dem Schlag die Kraft zu nehmen, riss er die abgewinkelten Beine hoch und hing einige Sekundenbruchteile in der Luft, in denen er dachte, die Arme würden ihm aus den Schultergelenken gerissen. Eine Welle des rasenden Schmerzes durchflutete ihn und ließ ihn japsen. Dann schlugen seine Absätze wieder am Boden auf.
Sein Widerstandsgeist erwachte. Sein Bein flog hoch und traf den Schmied, der gerade zu einer geraden Rechten ausholte. Chapman brüllte auf und krümmte sich nach vorn, Steves angezogenes Knie sauste in die Höhe und knallte gegen den Brustkasten des vierschrötigen Mannes. Chapman wurde wieder aufgerichtet, er schnappte nach Luft - und Steve bekam einen Arm frei.
Er stieß den Ellenbogen nach hinten und rammte ihn Bowden gegen die Rippen. Der Sattler heulte auf und ließ Steves Arm fahren, aber Steve konnte ihn nicht benutzen. Er war taub, baumelte lahm von seiner Schulter. Steve befürchtete, dass Bowden ihm das Gelenk ausgekugelt hatte.
Chapman hatte den Treffer verdaut. Er warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf Steve und riss ihn zu Boden, begrub ihn nahezu unter sich. Und dann waren auch die anderen wieder da. Sie schlugen auf Steve ein, traten ihn, und ließen erst von ihm ab, als sie völlig außer Atem waren.
Sie traten auseinander, bildeten einen Kreis um ihn und starrten mitleidlos auf ihn hinunter. Die Furcht vor Wetham hatte sie in Bestien verwandelt, die nur noch den niedrigsten Trieben gehorchten. Und sie glaubten fest daran, dass Steves Verschwinden sie vor Wetham retten konnte. Sie klammerten sich daran wie der Ertrinkende an den rettenden Strohhalm.
Steve lag auf dem Bauch. Er röchelte und stöhnte. Das verriet ihnen, dass er bei Besinnung war. Der Town Major keuchte gehässig: „Verschwinden Sie aus der Stadt, ehe Wetham eintrifft. Andernfalls liefern wir Sie höchstpersönlich an Wetham aus. Und das würde den Banditen ziemlich versöhnlich stimmen, schätze ich. - Jeff, Dave, werft ihn auf die Straße. Niemand wird sich darum kümmern, was hier vorgefallen ist. Du, Elliott, gehst in den Jail und lässt die beiden Kerle frei, die dieser Narr eingesperrt hat. Macht schon.“
Steve wurde gepackt und auf die Straße geschleift, wo sie ihn einfach fallen ließen.
Elliott Fuller eilte zum Marshal Office.
Steve zog sich am Hitchrack in die Höhe. Sein linker Arm funktionierte wieder. Er stand auf schwachen Beinen, die jeden Moment nachzugeben drohten. Nebel der Benommenheit brandeten gegen sein Bewusstsein an, es schien keine Stelle an seinem Körper zu geben, die nicht schmerzte. Mit dem Aufflackern eines übermenschlichen Durchhaltewillens verfluchte er die Stadt. Dann torkelte er unter der glühenden Sonne dahin wie ein Betrunkener, zerschlagen, blutend, ausgehöhlt wie eine faule Nuss, und die Verbitterung, die ihn erfüllte, ließ keine anderen Empfindungen zu.
*
Telly Bradlow stand auf der Schwelle des Marshal Office. Eine Schnapsfahne wehte aus seinem Mund. Sie stammte noch von dem Brandy, für den er sich auf das Tiefste erniedrigt hatte. Telly hatte sich, seit ihn Steve verlassen hatte, nicht mehr von der Shotgun getrennt. Jetzt sagte er:
„Keine Chance, Fuller. Der Town Major hat mir keine Befehle zu erteilen. Ich bin Hilfsmarshal“ - er warf sich in die Brust -, „und meine Befehle erhalte ich von Quincannon. Die beiden Dreckskerle bleiben im Jail, bis sie entweder verfault sind oder bis der Marshal sie wieder entlässt. Bestellen Sie das dem ehrenwerten Mister Hopkins, Fuller.“
Der Zeitungsmann rümpfte die Nase. „Du bist ja besoffen, Bradlow, stinkbesoffen, und es spricht nicht gerade für die Qualität unseres Marshals, wenn er dich zum Deputy ernannt hat. Leg den Stern ab, der an deiner Brust anmutet wie ein Hohn, und geh hinüber in den Saloon, um die Centstücke aus den Spucknäpfen zu fischen.“
„Für diese Worte sollte ich Ihnen das Gebiss bis in den Hintern schlagen, Fuller, Sie Zwerg!“, erregte sich Telly. „Doch ich kann mich beherrschen. Und jetzt ziehen Sie Leine. Ich lasse die beiden Hundesöhne nicht frei. Bestellen Sie das dem Town Major.“
Er zielte wie unabsichtlich auf Fuller, und diesen verließ plötzlich jeglicher Mut. Dennoch tönte er trotzig: „Das hat ein Nachspiel, Bradlow. Dafür garantiere ich. Du kriegst in San Marcial kein Bein mehr auf die Erde.“
Plötzlich weiteten sich Tellys Augen. Er blickte an Fuller vorbei, und ihm entrang es sich erschüttert: „Bei der Heiligen Jungfrau, was habt ihr Schufte mit Quincannon angestellt?“
Steve bewegte sich mühsam auf der anderen Straßenseite auf dem Sidestep. Seine Beine vermochten ihn kaum noch zu tragen. Er musste sich am Geländer festhalten, um nicht zusammenzubrechen. Immer wieder blieb er stehen, um Kraft zu schöpfen.
Und jetzt sah Telly auch die beiden Fremden, die vor etwa einer halben Stunde in San Marcial eintrafen. Sie sprangen vom Saloonvorbau in die Straße und folgten Steve.
„Da scheint jemand vor uns Quincannon die Flügel gestutzt zu haben“, rief Bill Haggan und kicherte.
„Scheint so“, gab McPherson grinsend zurück. „Von Quincannon ist nur noch ein kläglicher Haufen Elend übrig.“ Jäh wurde er ernst. „Wer immer ihn auch so zurichtete, er hat Dick schätzungsweise keinen Gefallen erwiesen. Kaum anzunehmen, dass er sich an einem Halbtoten vergreift. Nun, wir werden sehen, wie Dick reagiert.“
Sie holten Steve ein. Dieser hatte wieder angehalten. Seine Bronchien pfiffen und rasselten. Seine Brust hob und senkte sich unter röchelnden Atemzügen. Er nahm die beiden Banditen kaum war. In seinem Zustand hätte er sich wohl nicht einmal etwas darum geschert, wenn ihm der Präsident der Vereinigten Staaten in den Weg gelaufen wäre.
„Mann, o Mann, der sieht aus, als wäre er in eine Stampede geraten“, presste Haggan hervor. Er versetzte Steve einen leichten Stoß, und Steves Beine knickten ein, er versuchte, sich an das Geländer zu klammern, doch seine Finger glitten ab und er fiel auf den Gehsteig.
McPherson beugte sich über ihn. „Den haben sie ziemlich außer Gefecht gesetzt“, murmelte er. „Dick kann ihm höchstens noch den Rest geben.“
Telly stieß kurzerhand Elliott Fuller auf die Seite und hetzte über die Straße. „Weg vom Marshal!“, gellte seine Stimme, und er schlug die Shotgun auf Haggan und McPherson an.
Fuller huschte in das Office.
Aus der City Hall traten der Town Major und seine Gefolgschaft. Sie näherten sich schnell.
Haggan und McPherson musterten den Oldtimer verdutzt, die gefährliche Waffe in seinen Fäusten zog ihre Blicke fast magnetisch an, sie traten zurück und konnten nicht glauben, dass der heruntergekommene Alte die Courage besaß, auf sie loszugehen.
„He, Oldman, nimm den Bleistreuer runter, ehe du aus Versehen den Abzug betätigst“, grollte McPhersons Organ.
„Wenn ich den Abzug betätige, dann gewiss mit Bedacht!“, fuhr ihn Telly an. „Ihr kleinen, miesen Ratten!“, zischte er dann. „Ihr habt gesehen, dass er sich kaum noch von selbst auf den Beinen halten kann, und dennoch habt ihr ihn umgestoßen. Ihr seid schon ein mutiges Gespann. Umgibt sich Wetham mit noch mehr Kerlen eures Schlages?“
In der Officetür erschienen Ben Smith und Stuart Boddam. Sie hatten sich im Office mit Colts bewaffnet. Elliott Fuller hielt sich im Hintergrund. Boddam hatte sich wieder von dem Schlag erholt, mit dem ihn Steve im Saloon niedergestreckt hatte.
Die Männer aus der Stadt erreichten Steve, Telly und die beiden Banditen. Der Town Major sagte, indem er mit einer knappen Geste auf Steve deutete: „Wetham kann ihn haben. Wir überlassen ihn euch. Legt ihn auf ein Pferd und bringt ihn Wetham.“
Telly schnellte aus seiner gebückten Haltung regelrecht in die Höhe. „Was sind Sie doch für ein dreckiger Bastard, Hopkins. Man müsste Sie teeren und federn und mit der Bullpeitsche aus dem Land jagen. Pfui Teufel!“
Er spuckte dem Town Major vor die Füße.
Vom Marshal Office her erschallte ein scharfer Ruf: „He, alter Saufkopf!“
Es war Ben Smith, der rief, auf dessen Kopf Telly ein Bierglas zerschmettert hatte.
Telly wirbelte mit der Flinte im Anschlag herum. Smith hatte den schon den Colt in der Faust. Und er zielte bereits auf Telly. Eine ellenlange Mündungsflamme stieß aus der Revolvermündung. Der Schuss dröhnte, und die Detonation rollte durch die Straße, stieß in die Gassen und Einfahrten und wurde vom Donnerknall verschluckt, mit dem die Shotgun in Tellys Händen aufbrüllte. Aber Telly war bereits getroffen. Das gehackte Blei fuhr in die Straße und ließ den Staub spritzen. Der Oldtimer taumelte sterbend zu Boden.
Dann trat Stille ein - bleierne, lastende Stille. Sie dauerte aber nur einige Sekunden lang. Dann sprang Ben Smith auf die Fahrbahn. Er überquerte die Straße, stieß Telly mit der Stiefelspitze an und sagte ungerührt: „Er hat ein Bierglas auf meinem Schädel zertrümmert. Ich habe geschworen, ihn dafür umzubringen. Dieser alte Narr hat sein Schicksal selbst herausgefordert.“
Stuart Boddam folgte ihm langsam.
Ächzend und stöhnend versuchte Steve, sich aufzurichten. Es war eine Anstrengung, eine Überwindung, die all seinen Willen erforderte. Schließlich lehnte er am Gehsteiggeländer. Sein Kopf baumelte vor der Brust. Sein Gesicht verschwoll mehr und mehr zu einer unförmigen Maske. Es zeigte viele dunkle Verfärbungen sowie Platz- und Schürfwunden.
Er hörte jemand sprechen. Der Mann sagte: „Steck den Colt weg, Ben. Von Quincannon droht keine Gefahr. Ein Rudel Ratten ist ihm in den Rücken gefallen und hat ihn übel zugerichtet. Nun wollen sie, dass wir Quincannon zu Dick bringen, damit dieser seinen Hass abreagiert und die Stadt verschont. Was hältst du davon?“
„Das ist gewiss kein dummer Vorschlag“, antwortete Ben Smith und versenkte das Schießeisen im Halfter. „Aber es wäre zu einfach. Was will Dick mit diesem menschlichen Wrack? Außerdem gibt es außer Quincannon eine Reihe von Kerlen in diesem lausigen Nest, mit denen Dick ein Hühnchen zu rupfen hat. Sicher, Quincannon nimmt Platz eins bei ihm ein - aber die Reihenfolge lässt sich je nach Bedarf leicht ändern, nicht wahr?“
Mit höhnischem, vielversprechendem Grinsen wandte Smith sich an die Städter. „Ihr habt einen Fehler begangen, als ihr Quincannon halbtot geschlagen habt. Ihr habt euch selbst damit des einziges Schutzes beraubt, den es für euch gab. Ich spreche sicher in Dick Wethams Sinn, wenn ich sage, dass wir Quincannon zu seiner alten Form auflaufen lassen werden, ehe wir uns ihm widmen. Und bis es soweit ist, haben wir Zeit und Muße, einigen von euch aufgeblasenen Burschen auf die Zehen zu treten.“
Ben Smith sprach die letzten Worten in einer Art, die in ihrer Unmissverständlichkeit erschreckend war. Und er weidete sich offensichtlich an ihrer Bestürzung.
Sie wurden krankhaft bleich. Sie waren Zeugen eines skrupellosen Mordes geworden. Und sie begriffen, dass sie auf das verkehrte Pferd gesetzt hatten mit allem, was sie bisher inszenierten. Das Begreifen setzte sich durch, und die Gewissheit, dass Schreckliches auf sie zukam, ließ sie erschaudern und verschloss ihre Lippen.
„Gehen wir in den Saloon“, forderte Bill Haggan seine Kumpane auf. „Es kann nicht mehr lange dauern, bis Dick eintrifft. Und dann sehen wir weiter.“
Sie stiefelten davon.
Der Town Major sagte mit belegter, heiserer Stimme, nachdem er zweimal angesetzt hatte, weil zunächst seine Stimmbänder versagten: „Es war alles umsonst. Heavens, was waren wir doch für Narren. Dachten wir denn wirklich, Wetham würde uns in Ruhe lassen, wenn er Quincannon nicht mehr in San Marcial vorfindet?“ Er griff sich an den Kopf, denn sein Verstand konnte alles das, was auf ihn einstürmte, nicht mehr verarbeiten. „Wir haben uns aufgeführt wie die wilden Tiere, und es ist kaum wieder gutzumachen. Was jetzt?“
„Ich verschwinde, solange noch Zeit dazu ist“, kam es brüchig von Jeff Wallace, dem Mietstallbesitzer.
„Ich auch!“, entwand es sich Dave Carter, dem Barbier, und er hüpfte von einem Bein auf das andere, als würde ihm der Boden plötzlich glühend heiß unter den Fußsohlen.
„Wir sollten Telly von der Straße und Quincannon nach Hause schaffen“, schaltete sich der Schmied ein. „Und dann sollten wir uns zusammensetzen und beraten, ob wir uns nicht doch bewaffnen sollten.“
„Mörder“, flüsterte in diesem Moment Steve. „Elende Mörder! Und ihr seid mitschuldig. Indirekt seid ihr schuld an Tellys Tod. Die Hölle verschlinge euch alle.“
Er löste sich vom Geländer und wankte davon.
*
Als Steve erwachte, lag er in seinem Bett. Es war noch Tag, trotzdem war es im Schlafzimmer düster, denn Angie hatte die Vorhänge vor das Fenster gezogen.
Sie saß erschüttert und fassungslos auf der Kante seines Bettes. Als Steve die Augen aufschlug, beugte sie sich über ihn. Sie küsste ihn auf den Mund, dann hörte er sie sagen: „Verzeih mir mein abscheuliches Benehmen von heute Mittag, Steve. Ich war erregt, ich war außer mir vor Angst und Sorge, und es ist einfach mit mir durchgegangen. Als dann wieder Schüsse krachten, dachte ich, sterben zu müssen. Ich wagte mich nicht auf die Straße, denn ich fürchtete, dass ich vor deinem Leichnam stehe, wenn ich das Haus verlasse.“
Sie begann zu weinen. Mit tränenerstickter Stimme fuhr sie fort. „Dann hörte ich dich an der Tür. Du brachst zusammen. Ich schleppte dich ins Bett, kleidete dich aus und versorgte deine Wunden. Und ich dankte Gott, dass du noch am Leben warst. Seitdem saß ich unablässig hier und wartete darauf, dass du zu dir kommst. Kannst du mir verzeihen?“
Die Worte waren zuletzt nur so aus ihr herausgesprudelt, flehend sah sie ihm in die Augen, die fast gänzlich zugeschwollen waren.
„Es gibt nichts zu verzeihen, Darling“, erwiderte er mühsam. „Jeder schießt einmal über das Ziel hinaus. Wer von uns ist schon unfehlbar?“
„Danke“, raunte sie. „Ich werde auch Telly Bradlow um Verzeihung bitten. Ich wollte ihm nicht bewusst wehtun. Aber ...“
Bei Steve kam die Erinnerung. Sie stürmte mit der Wucht eines Blizzards auf ihn ein. Ruckhaft stemmte er sich mit den Ellenbogen hoch, sofort aber fiel er mit einem verlöschenden Stöhnen wieder auf das Bett zurück. „Telly ist tot. Sie haben ihn abgeknallt wie ein Stück Vieh. Ermöglicht haben es Hopkins, Bowden, Chapman und einige andere Bürger San Marcials ...“
Er erzählte Angie, was sich zugetragen hatte, seit er die City Hall betreten hatte. Die Frau hörte ihm zu, und ihre Fassungslosigkeit wuchs mit jedem Wort, das über seine aufgeplatzen Lippen quoll. Er schloss: „Das Verhängnis, das über die Stadt hereinbrechen wird, ist wohl nicht mehr aufzuhalten. Hopkins’ Rechnung ist nicht aufgegangen. Und jetzt können wir nichts anderes tun als es auf uns zukommen lassen. Es ist sinnlos, gegen den Strudel von Gewalt, in den wir gerissen worden sind, anschwimmen zu wollen.“
„Ich habe furchtbare Angst, Steve.“ Angie wischte sich die Tränen ab. „Vor einer Stunde kamen Wetham und ein weiterer Mann an. Jetzt hockt die ganze Bande im Saloon. Ich habe ein Gewehr hier, um zu verhindern, dass Wetham das Haus betritt. Aber ich fürchte, dass ich nicht in der Lage bin, ihn aufzuhalten. Was soll ich nur tun, Steve? Wie kann ich es ermöglichen, dich ungesehen aus der Stadt zu schaffen?“
Seine Hand tastete über sein zerschlagenes Gesicht. „Es hätte keinen Sinn. Und es ist wohl auch gar nicht notwendig. Solange ich nicht wieder voll auf dem Damm bin, lässt Wetham mich sicher in Ruhe.“ Er versank in Nachdenklichkeit, und schließlich murmelte er wie im Selbstgespräch: „Ich komme wieder auf die Beine. Und dann werde ich kämpfen. Und sollte ich mit Wetham fertig werden, dann müssen sich einige Gentleman in dieser Stadt warm anziehen.“
„Ich ahnte es, Steve“, brach es aus ihr heraus. „Es ist wohl so, dass du nicht aus deiner Haut kannst. Es wird mir jetzt so richtig klar. Und ich beginne mich damit abzufinden. Ja, Steve, du hörst schon richtig. Ich fange an, deine Einstellung zu akzeptieren, dass Flucht zwecklos wäre. Man kann seinem Schicksal wohl tatsächlich nicht entfliehen.“
Zuletzt sprach sie sachlich, klar und mit aller Entschiedenheit.
Sie erhob sich.
„Und jetzt koche ich dir eine kräftige Brühe. Es ist später Nachmittag. Deinen Toast heute morgen hast du kaum angerührt. Du musst am Verhungern sein. Und das ist schlecht für einen kranken Mann. Ich päpple dich wieder hoch - wie einen flügellahmen Vogel.“
Sie lächelte, und es war kein erzwungenes Lächeln. Es verströmte Zuversicht und Wärme. Und Steve wusste, dass sich die Kluft, die mittags zwischen ihnen aufgerissen war, wieder geschlossen hatte. Und zwar für immer. Angst und Not hatten ihn und Angie noch mehr zusammengeschweißt. Nie mehr sollte ein Schatten zwischen sie fallen.
Und für einen Augenblick vergaß Steve sogar die tödliche Gefahr, die ihn umgab und die ihn in ihren gnadenlosen Fängen hielt.
*
„Der Schuss ist nach hinten losgegangen“, entsetzte sich Jim Hopkins. Er war nur noch ein fahriges Nervenbündel.
Draußen neigte sich dieser unselige Tag seinem Ende zu. Die Sonne stand weit im Westen, die Schatten krochen über die Main Street und stießen gegen die Häuserfassaden auf der anderen Fahrbahnseite. Unablässig tupfte sich der Town Major mit einem weißen Taschentuch den Schweiß vom Gesicht.
Sie waren wieder versammelt. Diesesmal jedoch hatten sie sich im Haus des Sattlers getroffen. Jeff Wallace vom Mietstall und Dave Carter, der Barbier, fehlten. Sie hatten still und heimlich die Flucht vor Dick Metham und seinen Banditen ergriffen.
Vier Männer, denen die Angst vor Wetham Übelkeit verursachte. Sie sahen den Banditen zusammen mit Tom Logan in die Stadt reiten. Das Grauen vor den kommenden Stunden hatte Skrupellosigkeit und Niedertracht in ihnen verdrängt. Ja, ihnen war ein gewaltiger Strich durch die Rechnung gemacht worden. Als Steve auf der Straße zusammenbrach, als sie die beiden Banditen, die kurz vorher in die Stadt gekommen waren, bei ihm sahen, da hatten sie zum letzten Mittel gegriffen und Steves Auslieferung an Wetham angeboten. Aber all die Hoffnungen, die sie mit dieser Niedertracht verbanden, waren in sich zusammengestürzt wie ein Kartenhaus.
Ihre Schäbigkeit, ihre Gemeinheit, hatte keine Grenzen gekannt. Ihre Angst, das Entsetzen und die Verzweiflung hatten sie zu Unmenschen degradiert, die weder Mitleid noch Gnade kannten.
Und nun ...
„Bieten wir Wetham Geld an“, schlug Elliott Fuller vor. „Kaufen wir uns frei. Soviel Geld, dass er gar nicht nein sagen kann.“
„Ach was!“ Chapman winkte verdrossen ab. „Wenn er unser Geld haben will, dann holt er es sich einfach. Das ist keine Lösung. Ich für meinen Teil komme mehr und mehr zu dem Ergebnis, dass wir uns Quincannon hätten anschließen sollen. Wenn sich die kampffähigen Männer der Stadt unter der Führung des Marshals der Horde Outlaws entgegengestellt hätten, würden sie sich an uns die Zähne ausgebissen haben. Nun haben sie sich in San Marcial eingenistet, und allein ihre Anwesenheit verbreitet Angst und Schrecken.“
„Und wenn wir vier uns bewaffnen und sie im Saloon überfallen?“, warf Jack Bowden hin.
„Dann legen wir wahrscheinlich einen oder zwei vielleicht auch drei von ihnen um. Im nächsten Moment aber sausen wir ihnen in die Hölle hinterher.“ Mit schriller Stimme verwarf Chapman diese Idee.
„Verdammt, verdammt, wir können hier doch nicht herumsitzen und darauf warten, dass sie uns das Fell über die Ohren ziehen!“, hechelte Jim Hopkins fast hysterisch.
„Wallace und Carter, diese feigen Hunde, haben Fersengeld gegeben!“, schnappte Fuller erbost. „Wahrscheinlich war es aber das Klügste in der Situation, in der wir uns befinden. Wetham wird ja nicht ewig in San Marcial bleiben. Wir könnten ja zurückkehren, wenn er wieder verschwunden ist.“
„Für eine Flucht ist es zu spät“, wandte Chapman ein.
„Dann weiß ich, was ich tun muss!“, fauchte Fuller und sprang auf. „Ich ...“
Chapman packte ihn an der Jacke und zerrte ihn wütend auf den Stuhl zurück. „Du machst gar nichts, Fuller!“ zischte er grimmig. „Jede unbedachte Aktion fordert Wethams Zorn noch mehr heraus. Noch hält Wetham sich zurück. Vielleicht gibt er sich mit Quincannons Skalp zufrieden. Man soll schlafende Hunde nicht wecken.“
„Ich warte nicht, bis er kommt, um mir das Fell über die Ohren zu ziehen!“, hechelte Fuller. Seine Hände zuckten fahrig über die Tischplatte.
Der Town Major knallte die flache Hand auf den Tisch. „Uns kann nur einer helfen. Und das ist Quincannon!“
Wie ein Manifest schienen die Worte im Raum zu hängen. Sie klangen in den Gehirnen der anderen nach. Dann lachte Bowden zynisch auf. „Den haben wir regelrecht zertrümmert, und wenn ihn Wetham nicht schon vorher zum Satan schickt, muss er mindestens eine Woche das Bett hüten. Und selbst wenn er in der Lage wäre, zu kämpfen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass er unseretwegen eine Waffe in die Hand nähme.“
Dem konnte keiner widersprechen. Zu übel hatten sie dem Marshal mitgespielt. Und sollte er die Sache mit Wetham heil hinter sich bringen, mussten sie ihn sogar fürchten. Denn es war sicher, dass er dann Rechenschaft von ihnen forderte.
Auf der Straße war Hufschlag zu hören. Fuller sprang auf und eilte zum Fenster. „Da kommt Wes Holliday mit vier Reitern!“, entfuhr es ihm. „Und sie sind bis an die Zähne bewaffnet.“
Sofort begann der Funke der Hoffnung bei jedem von ihnen zu glühen. Sie stemmten sich hoch, drängten ebenfalls zum Fenster, behinderten sich gegenseitig, Chapman fluchte lästerlich, und dann sahen sie die fünf Reiter. Bowden wuchtete das Fenster hoch. „Holliday - hierher!“ Seine gellende Stimme trieb den Reitern entgegen, übertönte den Hufschlag und veranlasste den Pulk, die Pferde in den Stand zu zerren.
Erregt winkte Bowden.
„Was will der von mir?“ So grollte Hollidays tiefer Bass. „Wartet hier. Ich will hören, was er mir zu sagen hat.“
Er ritt zu Bowdens Haus und zügelte beim Fenster sein Pferd. Und er sah die blassen Gesichter der drei Männer, die sich um Bowden geschart hatten. „Was gibt es?“
„Dick Wetham ist in der Stadt! Und er hat eine Bande von Strauchdieben mitgebracht.“
Jim Hopkins bellte diese Eröffnung geradezu hinaus.
Holliday zeigte keine Reaktion. Er grollte: „Yeah, das weiß ich. Wetham und ein Komplize statteten heute meiner Ranch einen Besuch ab und klauten zwei meiner besten Pferde.“
„Himmel, Holliday“, schnaubte Jack Bowden, „Ihre Pferde sind im Moment unwichtig. Tatsache ist, dass Wetham gekommen ist, um sich an Quincannon und der Stadt zu rächen. Es hat bereits einen Toten gegeben, Jeff Wallace und Dave Carter sind Hals über Kopf aus der Stadt geflohen, der Marshal ist kampfunfähig. Sie und Ihre Männer müssen uns helfen, Holliday.“
„Wieso ist Quincannon kampfunfähig?“, fragte der Rancher. Sein Pferd tänzelte unruhig unter ihm. Er bändigte es mit eiserner Faust.
Sie kniffen die Lippen zusammen und schwiegen. Keiner brachte den Mut auf, zuzugeben, dass sie es waren, die den Marshal ausbooteten.
„Ich warte auf Antwort!“, presste Holliday ungeduldig und mit Nachdruck hervor.
„Er - er wurde zusammengeschlagen“, antwortete Chapman.
„Es geht auch um Ihre Tochter, Holliday“, stieß Fuller hastig hervor. „Sie ist Quincannons Frau, und Wetham wird vor ihr nicht halt machen - gerade weil sie mit Quincannon verheiratet ist.“
Die Schultern des Ranchers strafften sich. „Meine Tochter kann jederzeit zu mir auf die Ranch zurückkehren. Sie hat mich zwar maßlos enttäuscht, als sie diesen Gunslinger heiratete, einen Mann, der nur eine Sprache versteht, nämlich die Sprache der Fäuste und des Colts, und der, als er in diesem Landstrich ankam, mittellos war und auf nichts weiter als eine rauchige Vergangenheit zurückblicken konnte. - Angie ist und bleibt meine Tochter, und deshalb stehen ihr bei mir alle Türen offen. Aber das wollte sie drei Jahre lang nicht, und sie wird es auch jetzt nicht wollen.“
„Schicken Sie einen Ihrer Reiter zurück, damit er den Rest Ihrer Mannschaft holt, Holliday“, kam es von Hopkins. „Mit Ihren Leuten können Sie Wetham samt Anhang aus San Marcial hinausfegen.“
„Weshalb soll ich das Leben meiner Männer aufs Spiel setzen?“, antwortete wie aus der Pistole geschossen der Rancher. „Ich will meine Pferde zurückhaben, und dann will ich mit Angie sprechen. Ich werde ihr anbieten, mit mir nach Hause zu reiten. Und wie ihre Antwort auch immer ausfällt, ich werde nach dem Gespräch mit ihr San Marcial wieder verlassen. Seid ihr denn nicht selbst manns genug, euch zur Wehr zu setzen? Also schnappt euch Waffen und verteidigt eure Stadt.“
Er nickte ihnen zu, zog das Pferd herum und ritt zurück zu seinen Männern.
Bowden zerkaute eine bittere Verwünschung. Hopkins stöhnte. Hank Chapman verließ mit verkniffenem Gesicht das Fenster und setzte sich wieder an den Tisch. Fuller ballte die Hände zu Fäusten und knirschte: „Die Pest an den Hals dieses überheblichen Mistkerls!“
Als der Reiterpulk vor dem Saloon anhielt, trat Dick Wetham aus der Tür. Er war allein. Und er zeigte nicht die Spur von Unsicherheit oder Furcht. Er und Wes Holliday starrten sich an, schätzten sich ein, jeder schien beim anderen Maß zu nehmen. Plötzlich platzte es über Wethams Lippen: „Hallo, Rancher, ich habe mir heute Mittag zwei Pferde bei Ihnen ausgeliehen. Die Tiere stehen im Stall des Saloons. Sie können sie gerne zurückhaben. Denn in der nächsten Zeit brauche ich kein Pferd.“
„Sie sind also zurückgekehrt, Wetham, und Sie sind drauf und dran, sich Ihrer Verurteilung wegen zu rächen“, sagte der Rancher. „Haben Ihnen die fünf Jahre hinter Zuchthausmauern denn nicht gereicht? Möchten Sie wieder zurück, oder haben Sie Sehnsucht nach dem Galgen?“
„Es waren fünf Jahre in der Hölle. Und deshalb müssen einige Gents büßen. Diese Stadt ist erbärmlich. Die Hasenherzen sind sogar soweit gegangen, mir Quincannon anzubieten, nachdem ihn einige Hombres fast erschlagen haben. - Ihre Männer sollten die Hände von den Waffen nehmen, Holliday. Denn meine Leute haben sich an den Fenstern verteilt und zielen auf sie. Ich will mit Ihnen keinen Verdruß. Die beiden Pferde und den Sattel können Sie aus dem Stall holen. Wie gesagt, ich habe mir die Gäule nur ausgeliehen.“
Sofort nahmen die Cowboys die Hände von den Coltknäufen. Unruhe ergriff sie.
Holliday schluckte betroffen. Und obwohl er zu wissen glaubte, wer den Marshal außer Gefecht setzte, wollte er es von Wetham hören. „Wer sind die Hombres, die Quincannon zusammenschlugen? Vorhin baten mich einige Bürger San Marcials um Hilfe. Von ihnen erfuhr ich, dass Quincannon kampfunfähig ist. Ich dachte, Sie und ihre Leute hätten ihn zurechtgestutzt. Dem scheint es nicht so zu sein. Also, Wetham, wer war es?“
„Es waren jene, die mich am meisten zu fürchten haben. Hopkins, Bowden, Chapman, Fuller, Wallace und Carter. Sie ließen sogar zwei meiner Männer frei, die Quincannon einsperrte. Und Hopkins bot meinen Männern Quincannon feil wie ein Krämer seine Ware. Jämmerlich, nicht wahr?“
„Sie wollen Quincannon töten?“
„Deshalb bin ich hier. Aber Quincannon ist im Moment nur ein zahnloser Tiger ohne Krallen. Ich hätte nichts davon, wenn ich ihn in seinem kläglichen Zustand abserviere. Deshalb warte ich, bis er wieder auf den Beinen steht. Das kann allerdings einige Tage dauern.“
Holliday zeigte die Zähne. „Quincannon ist mein Schwiegersohn“, erklärte er.
„Ja, das hörte ich vom Salooner. Doch diese Tatsache ändert nichts. Ich weiß, dass Sie Quincannon nicht akzeptieren. Sie wollten die schöne Angie an ihren Vormann verkuppeln, um den Bestand Ihrer Ranch zu sichern. Ein Gunfighter wie Quincannon passte Ihnen nicht in den Kram. Also gehe ich davon aus, dass Sie keinen Finger krümmen werden, um ihm zu helfen.“
Wetham grinste lauernd und schien vor Selbstbewusstsein zu strotzen. Seine Banditen an den Saloonfenstern verliehen ihm ein Gefühl von Überlegenheit und Stärke.
„Was Quincannon anbetrifft, mögen Sie recht haben, Wetham. Aber zwischen Ihnen und Quincannon steht meine Tochter.“
„Warum schließen wir keinen Pakt, Holliday?“ Wetham legte den Kopf in den Nacken und stemmte die Arme in die Seiten. Rötliches Licht der untergehenden Sonne lag auf seinem Geiergesicht und vertiefte die Furchen und Kerben. „Sie mischen sich nicht ein, wenn ich in San Marcial etwas Angst und Schrecken verbreite, im Gegenzug haben Sie mein Wort, dass Ihrer Tochter kein Haar gekrümmt werden wird.“
„Ich werde meine Tochter fragen, ob sie mit mir auf die Ranch kommt. Ich glaube nicht, dass sie es tut. Zwingen kann ich Angie nicht. Sollte sie in der Stadt und an der Seite Quincannons bleiben, wird sie kämpfen wie eine Löwin für ihr Junges. Darum warne ich Sie, Wetham. Sollten Sie oder einer Ihrer Banditen Angie auch nur das geringste Leid zufügen, jage ich euch - wenn es sein muss -, bis zum Nordpol. Lassen Sie Quincannon hundertprozentig gesund werden, und dann stellt er sich Ihnen auch zum Kampf. Und er wird Angie heraushalten. Sind wir uns einig?“
Wetham senkte den Kopf zum Zeichen seines Einverständnisses.
Holliday knurrte: „Roy, Sid, holt meine Pferde und den Sattel aus dem Stall. Kommt dann nach zu Quincannons Haus.“
Er wendete das Pferd. Zwei der Cowboys glitten aus den Sätteln. Die beiden anderen folgten ihrem Boß.
Wetham grinste höhnisch und ging in den Saloon zurück.
*
Als Holliday und seine Reiter San Marcial verließen, war Angie nicht bei ihnen. Unmissverständlich hatte sie ihrem Vater klargemacht, dass sie zu Steve gehörte. Wutentbrannt hatte der Rancher das Haus verlassen.
Die erste Dunkelheit nistete zwischen den Häusern und in den Gassen San Marcials. Im Westen verglühte der blutrote Widerschein der Sonne. Die kleine Versammlung in Bowdens Haus hatte sich aufgelöst. Durch verschlungene Gassen und Hinterhöfe waren die Männer nach Hause geschlichen.
Elliott Fuller saß mit einem Gewehr im Büro des ‘San Marcial Express’. Er spann düstere Gedanken. Durch das Fenster konnte er den Imperial Saloon beobachten. Im Schankraum hielten sich die Kerle auf, die er fürchtete wie der Teufel das Weihwasser. Er hatte damals in der Jury gesessen, die Wetham für schuldig befand. Er hatte sogar auf Mord plädiert, und wäre es nach ihm gegangen, hätten sie Wetham einen Strick um den Hals gelegt.
Dabei hatte der andere, den Wetham erschoss, diesen als Falschspieler bezeichnet und war mit einem Stuhlbein auf ihn losgegangen. Wetham hatte geschossen. Colt gegen Stuhlbein entsprach nicht der Verhältnismäßigkeit der Mittel, um Notwehr zu konstruieren. Und der Mann, den Wetham erschoss, war ein alteingesessener Bürger der Stadt. Wetham aber war ein Außenseiter. Er hauste zusammen mit einem Rudel heruntergekommener Sattelstrolche auf einer verfallenen Ranch in den Bergen, und wenn er kam, verbreitete er Terror ...
Nun, Quincannon verfolgte Wetham und brachte ihn zurück. Wetham wurde verurteilt, und er, Elliott Fuller, war maßgeblich daran beteiligt.
Und jetzt fürchtete er um sein Leben.
Im Saloon sagte Wetham zu seinen Kumpanen: „Ich sehe jetzt nach Quincannon. Bleibt hier. Ich will mir ein Bild von seinem Zustand machen.“
„Man ist uns in dieser Town nicht gerade freundlich gesonnen, Dick“, wandte Bill Haggan ein. „Du solltest nicht alleine auf die Straße gehen. Aus sicherer Deckung ist eine Kugel schnell abgefeuert. Und es ist nicht auszuschließen, dass den einen oder anderen Feigling in diesem Nest nicht der Mut der Verzweiflung befällt.“
Wetham winkte ab. „Sie haben sich verkrochen wie Mäuseriche vor der Katze. Von ihnen droht keine Gefahr.“
„O verdammt, Dick, das Beispiel Quincannons zeigt uns, dass sie ein Rudel heimtückischer Ratten sind. Gerade weil sie vor Angst fast vergehen, sind sie zu jeder Gemeinheit fähig.“
„Ich will mich in San Marcial frei bewegen, um ihnen zu zeigen, dass ich sie nicht fürchte.“ Wetham grinste flüchtig und ging zur Tür, drückte die Türflügel auseinander und trat hinaus.
Elliott Fuller fuhr zusammen, als die Saloontür aufgestoßen wurde und Wetham heraustrat. Der Bandit stand groß und hager auf dem Vorbau, schaute nach rechts, nach links, dann tauchte er unter dem Geländer hindurch und sprang auf die staubige Fahrbahn.
Keiner seiner Männer folgte Wetham. Dieser stapfte die Straße hinunter. Fullers Hand zuckte nach dem Gewehr, berührte es, schnell zog er sie zurück, als hätte er glühendes Eisen angefasst. Eine jähe Blutleere im Gehirn verursachte ihm Schwindel, doch dann rang er sich durch und packte die Winchester mit beiden Händen. Eine Kugel befand sich bereits im Lauf. Er unterdrückte gewaltsam die hochlodernde Angst und spürte den Taumel, der ihn erfasste. Es war wie ein Rausch.
Mit pendelnden Armen schritt auf der anderen Seite Dick Wetham am Rand der Fahrbahn entlang. Mit einer Hand schob Fuller etwas das Fenster in die Höhe. Er legte den Lauf auf die Fensterbank und sein fiebernder Verstand hämmerte ihm ein, dass er schießen musste.
Peitschend brach der Schuss. Als er abdrückte, atmete Fuller aus. Dazu kam das Zittern seiner Hände. Er verriss um wenige Millimeter, und seine Kugel meißelte neben Dick Wetham den Putz von einer Hauswand. Eine Staubwolke senkte sich zu Boden.
Der Bandit reagierte gedankenschnell. Mit einem Satz hechtete er flach auf den Boden, wie durch Zauberei lag plötzlich der Colt in seiner Faust, er rollte unter den Gehsteig und verschmolz mit der Dunkelheit unter den Bohlen.
Sein Colt brüllte auf. Er hatte sofort registriert, aus welcher Richtung die Kugel gekommen war. Und vor einem der Fenster des ‘San Marcial Express’ zerflatterte eine Pulverdampfwolke. Glas klirrte, als die Fensterscheibe beim Einschlag seines Bleis zersplitterte.
Aus dem Saloon rannten die Banditen. Sofort verteilten sie sich. Fullers zweiter Schuss fiel zu spät. Das Geschoss knallte in einen der Schwingtürflügel und ließ ihn wild schlagen.
Bill Haggan hetzte geduckt und im Zickzack über die Straße. Cole McPherson war hinter dem Regenfass des Saloons abgetaucht. Tom Logan spurtete ein Stück den Gehsteig hinauf und warf sich hinter einen Tränketrog. Ben Smith verschwand in der Gasse, die neben dem Inn in die Main Street mündete, und Stuart Boddam folgte, hakenschlagend wie ein Hase, Bill Haggan auf die andere Seite der Fahrbahn.
„Hat es dich erwischt, Dick?“, schrie McPherson.
„Um ein Haar!“, antwortete Wetham. „Der Bastard steckt im Zeitungsgebäude. Ich denke, es ist Fuller, der die Nerven verloren hat.“ Seine Stimme hob sich und trieb über die Straße: „Okay, Fuller, jetzt kommen wir dich holen. Du stehst zwar nicht so weit vorne auf meiner Liste, aber es ist im Endeffekt egal, mit welcher von euch Ratten ich beginne.“
Er jagte einen Schuss aus dem Colt, und das Blei pfiff in die leere Fensterhöhle, harkte in die gegenüberliegende Wand und jaulte als Querschläger durch den Raum.
Doch Fuller hatte sein Büro bereits verlassen. Er befand sich im Hinterhof. Irrsinnige Angst wütete in seinen Zügen, grenzenloses Grauen irrlichterte in seinen Augen. Sein gehetzter Blick schnellte in die Runde. Dann lief er los, flankte über den hüfthohen Staketenzaun zum Nachbargrundstück, blieb mit einem Fuß hängen und krachte auf der anderen Seite schwer auf den Boden.
Hinter ihm, in einer Lücke zwischen zwei Gebäuden, tauchten Haggan und Boddam auf. Kalt reflektierte der Stahl ihrer Colts das letzte Licht des Tages. Fuller kam hoch. Er hastete durch den Garten und achtete nicht darauf, dass er Salat- und Kohlköpfe zertrat. Er kroch durch eine Lücke im Zaun, kam auf einen schmalen Fußweg zwischen den Gärten und Höfen und sah einen der Banditen dicht an der Wand eines Schuppens heranpirschen.
Er riss das Gewehr hoch. Da sah er aus den Augenwinkeln Haggan und Boddam kommen. Er schleuderte sich halb herum und schlug das Gewehr auf die beiden an.
Der Bursche auf dem unkrautüberwucherten Steig feuerte. Fuller bekam die Kugel in die Seite. Sein Schuss löste sich, doch das Geschoss fand kein Ziel. Haggan und Boddam schossen gleichzeitig. Elliott Fuller schien zu wachsen, plötzlich kippte er über seine Absätze nach hinten und schlug hin wie ein gefällter Baum.
In diesem Moment begann auf der Straße ein Gewehr zu knattern. Wummerndes Revolverfeuer stimmte ein und verschlang das helle Peitschen der Winchester.
„Lasst ihn liegen!“, wies Haggan die anderen beiden an. „Wie es scheint, spielt noch einer verrückt. Folgt mir!“
Sie rannten zurück zur Straße, wo jetzt nur noch vereinzelte Schüsse fielen.
*
Jack Bowden hegte ähnliche Gedanken wie Elliott Fuller. Er war in seiner Wohnstube hin und her gelaufen wie ein gefangenes Raubtier. Und auch er hatte sich ein Gewehr bereitgelegt. Seine Frau hatte er aus dem Zimmer gejagt. Er wollte allein sein mit all seinen nagenden Überlegungen und seiner ätzenden Furcht. Er befand sich im Obergeschoss seines Hauses, direkt über dem Laden.
Er war innerlich total zerrissen, und das Herz drohte im in der Brust zu zerspringen, als auf der Straße die Waffen zu sprechen anfingen. Er eilte zum Fenster. Zwei Kerle rannten über die Straße, als säße ihnen der Leibhaftige im Nacken. Einen sah er hinter einem Tränketrog abtauchen, einen anderen hinter einem Regenfass. Raue Stimmen erschallten.
Seine schweißnassen Hände saugten sich am Gewehr fest. Seine Zähne mahlten übereinander. Jener Bursche, der hinter dem Regenfass in Deckung gegangen war, sprintete jetzt über die Fahrbahn und geriet in den toten Winkel zu dem Sattler.
Dann peitschten hinter den Häusern die Schüsse. Schlagartig schwiegen die Waffen. Der Bandit, der hinter dem Tränketrog Schutz gesucht hatte, kam hoch. Jack Bowden legte an. Er spürte den Rückstoß, als der Schuss detonierte. Tom Logan, der rattengesichtige Outlaw, warf die Arme hoch, sein Colt flog im hohen Bogen davon, dann kippte er über die Pferdetränke.
Wethams und Ben Smith’ Colts bellten los wie eine wütende Hundemeute. Ihre Kugeln zerhieben das Fenster, neben das Jack Bowden getreten war, zerfetzten den Fensterstock, ließen Kalk und Gesteinssplitter spritzen.
Bowden feuerte noch ein paarmal, aber er fand kein Ziel. Smith war in die Gasse zurückgesprungen, Dick Wetham war unter dem Gehsteig weitergekrochen, und so vergeudete Jack Bowden nur sein Blei.
Und jetzt hörte er Wetham brüllen: „Bleibt von der Straße weg! Der Schütze steckt in der Sattlerei, im Obergeschoss. Macht euch von hinten an das Haus heran, dann räuchern wir ihn aus!“
Wie elektrisiert fuhr Bowden herum. Er musste hinaus. Die Todesangst brüllte in seinen Augen. Er war dem Wahnsinn nahe. Eine Welle des Entsetzens um die andere überspülte sein Bewusstsein. Im Flur kam ihm seine Frau entgegen. Er schleuderte sie gegen die Wand und stürzte an ihr vorbei, überwand mit wenigen Sprüngen die Treppe nach unten und rüttelte an der Hintertür. Sie war verriegelt. Mit fliegenden Fingern stieß er den Riegel zurück, er war mit einem langen Satz im Hof und rannte hinüber in seine Werkstatt, wo er sich auf dem Dachboden verkroch.
Zitternd wie Espenlaub hockte er in der hintersten Ecke, das Gewehr auf die Luke gerichtet, ein Netz glitzernder Schweißperlen überzog sein zuckendes Gesicht, seine Zähne schlugen aufeinander wie im Schüttelfrost.
Aus dem Wohnhaus vernahm er berstendes Krachen, als die Vordertür eingetreten wurde. Ein Mann brüllte irgend etwas. Dann flog krachend die Werkstattür auf, die er hinter sich zugeworfen hatte. Stiefelleder knarrte unten, Sporen rasselten, Stimmengemurmel erklang. Bruchstückhaft vernahm der schockierte Sattler: „... muss hier sein ... hätten wir ihn gesehen ... kamen von der Rückseite.“
Bowden vernahm einen Aufschrei aus dem Mund seiner Frau, gellend und jäh abreißend. Ihr Schicksal war ihm in diesen Augenblicken, in denen er selbst die Hölle durchlebte, egal. Der Schrei erreichte nur den Rand seines Bewusstseins. Sein Herz hämmerte rasend, seine Nerven waren zum Zerreißen angespannt, sein Gesicht war fratzenhaft entstellt.
„Sie mal oben nach“, hörte er.
Leitersprossen knarrten, ein Hut schob sich langsam durch die Luke, Bowden drückte ab. Der Knall drohte das niedrige Dach wegzusprengen. Der Hut kreiselte um den Gewehrlauf, über den er gestülpt worden war, und im nächsten Moment wurde er zurückgezogen. Ein hohntriefendes Lachen erklang, und dann kam es rasiermesserscharf: „Komm herunter, Bowden, oder wir zünden diesen Schuppen an. Und dann musst du ihn verlassen, es sei denn, du ziehst es vor, bei lebendigem Leib gebraten zu werden.“
Es traf Bowden wie ein eisiger Guss. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg. Es gab keinen. Er saß hier auf dem niedrigen Dachboden in der Falle, wie ein verängstigtes Tier, das trübe Zwielicht verstärkte das Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit, stickige, heiße Luft umgab ihn, dennoch fror er.
„Ist - ist Fuller tot?“, fragte er brüchig.
„Mausetot!“, wurde ihm geantwortet. Der Sprecher lachte hohl. „So tot wie das Leder, aus dem du deine Sättel fertigst.“
„Was - was geschieht - mit - mir, wenn ich ...“
„Vielleicht knüpfen wir dich auf, vielleicht schleifen wir dich am Lasso durch die Stadt, möglicherweise aber gebe ich dir sogar eine Chance, Bowden. Jetzt steig herunter. Meine Geduld mit dir geht langsam zu Ende. - Gieß das Petroleum auf den Boden, Bill. Wir warten nicht länger.“
Es knirschte leise, als Bill Haggan den Tank der Laterne aufschraubte. Dann war Gluckern zu vernehmen und Plätschern, als sich das Petroleum auf den Bretterboden ergoss.
„Aufhören!“, kreischte Bowden. „Ich komme!“
Er kroch los. Das Gewehr ließ er liegen. Seine Knie waren butterweich, als er die Leiter hinunterkletterte. Dann stand er vor den Banditen. Mittlerweile hatten sie sich alle in der Werkstatt versammelt. Sie trieben ihn hinaus auf die Straße, vorbei an seiner weinenden Frau, die sich an ihn klammern wollte, die aber von Ben Smith brutal weggerissen wurde.
Bowden nahm das alles fast nicht wahr. Er wurde von Todesangst und Verzweiflung zerfressen. Es gelang ihm nicht mehr, irgendwelche Gedanken zu formulieren und festzuhalten. Seine Psyche spielte einfach nicht mehr mit. Er begann zu schluchzen. Und plötzlich warf er sich vor Wetham auf die Knie, faltete die Hände und hob sie zu dem Banditen empor. „Bitte, Wetham, lassen Sie mich gehen“, wimmerte er. „Sie können alles von mir haben - alles, mein gesamtes Hab und Gut. Aber lassen Sie mich leben.“
Der Pulk hatte angehalten. Obwohl die Dunkelheit schnell zunahm, wurde nirgendwo ein Licht angemacht. Die Stadt blieb finster. Kein Laut war zu hören. Es war, als fürchteten die Menschen, das Böse auf sich aufmerksam zu machen, das die Stadt in seinem Bann hielt.
„Wo ist deine Großspurigkeit geblieben, Bowden?“, zischte Wetham gehässig und seine Lippen zogen sich über die Zähne zurück. „Als ich damals in Fesseln vor euch stand, war deine Stimme klar, fest und ziemlich laut, als du nach einem Strick brülltest. Ho, ich habe weder deinen Namen noch dein Gesicht vergessen. Hättest du dich erweichen lassen, wenn ich wimmernd und weinend um Gnade gefleht hätte?“
„Bitte“, winselte Bowden und krümmte den Rücken. Seine Hände fielen in den Staub. Zwischen den Armen baumelte sein Kopf.
„Hol aus seiner Werkstatt einen Strick, Ben“, murmelte Wetham ohne Rührung und ohne Erbarmen. „Wir hängen ihn am Hoftor des Mietstalles auf. Er verdient keine Chance.“
Smith lief in den Hof zurück ...
*
Jim Hopkins schlich hinter den Häusern entlang. In seinem Hosenbund steckte ein alter Armeecolt. Es war fast eine Viertelstunde her, dass der letzte Schuss fiel. Ein schriller Schrei wehte heran, der jäh abbrach. Der Magen krampfte sich dem Town Major zusammen und er duckte sich noch tiefer. Schließlich fasste er all seinen Mut zusammen und pirschte vor bis zur Straße.
Sein Herz übersprang einen Schlag, als er die schlaffe Gestalt am Tor das Mietstalles baumeln sah. Jetzt wusste er auch den schrillen Schrei zu deuten. Es war Jack Bowdens Todesschrei gewesen. Die fünf Banditen marschierten gerade davon.
Hopkins wagte sich erst wieder zu rühren, als sie vorbei waren und er ihre Rücken sah. Er zog sich zurück. Als er sich wieder hinter den Häusern befand, wandte er sich zum Ostende der Stadt. Am Himmel glitzerten einige Sterne. Der Mond befand sich noch hinter den Höhenzügen im Osten. Wie ein Phantom huschte Hopkins durch die Dunkelheit.
Der Town Major stolperte fast über Elliott Fullers schlaffe Gestalt. Dem eisigen Wind des grenzenlosen Entsetzens ausgesetzt tastete er den leblosen Körper ab. Blut klebte an seinen Fingerkuppen. Und obwohl es noch drückend warm war, fröstelte ihn. Gänsehaut lief ihm über den Rücken.
Er setzte seinen Weg fort. Und nach etwa fünfzehn Minuten erreichte er das Haus des Marshals. Ehe er den gepflegten Vorgarten betrat, sicherte er um sich. Da die Luft rein zu sein schien, huschte er zwischen Büschen und Hecken hindurch zur Haustür. Er pochte dagegen.
„Wer ist da?“ Es war Angie, die fragte. Ein Gewehr wurde durchgeladen.
„Der Town Major, Ma’am. Ich muss mit Ihrem Mann sprechen.“
„Verschwinden Sie, Hopkins!“, rief Angie mit zerspringender Stimme. „Steve ist weder für Sie noch für sonst einen Mann dieser jämmerlichen Town zu sprechen. Sie ...“
„Lass ihn herein, Angie!“, rief Steve aus dem Schlafzimmer, dessen Tür offenstand. „Ich muss wissen, was geschehen ist.“
„Aber dieser gemeine Schuft hat doch ...“
„Bitte, Mrs. Quincannon, öffnen Sie, ehe ich entdeckt werde. Es - es wäre mein Tod!“
„Mach auf, Angie!“, forderte Steve. „Die Ungewissheit bringt mich sonst um.“
Da entriegelte Angie die Tür. Hopkins drückte sich durch den Spalt, den Angie freigab. „Wo ist er?“
Angie schloss die Tür wieder und legte den Riegel vor. In der Dunkelheit war sie nur schemenhaft auszumachen. Aus einer Tür am Ende des Flurs fiel gedämpfter Lichtschein. „Folgen Sie mir“, murmelte Angie reserviert, ohne die Spur von Versöhnlichkeit oder Entgegenkommen.
Dann stand Hopkins vor Steves Bett. Er sah Steves entstelltes Gesicht mit den vielen Pflastern und vom Jod rot gefärbten Stellen, und fand im ersten Moment keine Worte. Dann aber quoll es aus ihm heraus: „Wetham macht blutigen Ernst. Fuller liegt tot - erschossen - am Stadtrand. Bowden haben die Kerle nach einem kurzen Schusswechsel aufgehängt. Mein Gott, Marshal, dem Wüten der Banditen muss ein Riegel vorgeschoben werden. Der nächste bin vielleicht ich, oder es ist Chapmann, und das geht so weiter, bis am Ende Sie an der Reihe sind. Sie - Sie müssen Wetham und seine Banditen stoppen. Nur Sie sind dazu in der Lage.“
Seine Stimme klang weinerlich und drängend.
„Ihre Unverfrorenheit kennt wohl keine Grenzen, Hopkins?“, herrschte ihn Angie an. Ihre Augen versprühten Blitze. Sie hielt das Gewehr, als wollte sie im nächsten Moment damit auf den Town Major einschlagen. „Und jetzt gehen Sie wohl besser wieder“, fügte sie gefährlich leise hinzu. „Ihr Anblick verursacht in mir Übelkeit, ihre Anwesenheit beleidigt mich und Steve. Verschwinden Sie, und sehen Sie selbst, wie Sie mit Ihrem Problem fertig werden.“
Hopkins ignorierte ihre Worte einfach. „Marshal“, begann er aufs neue, „Sie müssen uns helfen. Es tut mir leid, dass wir so gemein mit Ihnen umgesprungen sind. Versuchen Sie, aufzustehen. Töten Sie Wetham. Ohne ihn haben die anderen Schufte keinen Grund mehr, in San Marcial zu bleiben.“
„Raus, Hopkins!“, platzte es aus Angie heraus. Plötzlich hatte sie den Stern in der Hand. Er hatte auf dem kleinen Tisch gelegen, der an der Längswand stand. Sie schleuderte ihn Hopkins vor die Füße. „Verlassen Sie dieses Haus!“, fauchte sie. „Oder muss ich Sie mit dem Gewehr auf die Straße jagen.“
„Ja“, mischte sich Steve ein, „verschwinden Sie. Feigheit, Skrupellosigkeit, Hinterhältigkeit und all die anderen schlechten Eigenschaften, aus denen Sie zusammengesetzt sind, vergiften die Luft in diesem Haus. Ich fühle mich dieser Stadt nicht mehr verpflichtet. Seht selbst zu, wie ihr zurechtkommt.“
Da klopfte es erneut an der Tür, und dann erklang es barsch und fordernd: „Hier ist Wetham! Ich will zu dir, Quincannon, um mich von deinem angeblich so schlechten Zustand selbst zu überzeugen.“
Jim Hopkins wankte plötzlich. Ein heiserer Ton brach über seine Lippen, und mit allen Anzeichen des Entsetzens flüsterte er: „Es ist aus. Das ist das Ende. Ich war damals Obmann der Jury ...“
„Nehmen Sie den Hinterausgang, Hopkins“, raunte Steve und gab Angie, die wie zu einer Salzsäule erstarrt dastand, einen Wink.
Ungeduldig wurde gegen die Haustür gehämmert. Wetham schrie: „Keine Sorge, Quincannon. Ich will mir nur ein Bild machen, mit eigenen Augen sehen, wie schlecht es wirklich um dich steht. Ich bin nicht hier, um dich umzubringen. Es wäre keine Befriedigung für mich, dich einfach nur zu töten. Das wäre ein zu geringer Tribut dafür, dass ich deinetwegen fünf Jahre in der Hölle verbringen musste. Ich will dich besiegen, Quincannon, am Boden zerstören, und dann ...“
In Angie geriet Leben. Sie schob Hopkins aus dem Zimmer, den Flur entlang und zur Hintertür hinaus. Jeglichen Willens, jeglichen Gedankens beraubt ließ es der Town Major mit sich geschehen.
„Dein Hass wird dich in die Hölle führen, Wetham“, rief Steve. „Du kannst hereinkommen. Meine Frau macht dir auf.“
Steves rechte Hand verschwand unter der Bettdecke ...
*
Mit einem faunischen Grinsen um die schmalen Lippen betrat Dick Wetham sporenklirrend das Zimmer. So, als wollte sie sich schützend vor Steve stellen, begab Angie sich zum Bett und hielt das Gewehr mit beiden Händen fest. Im trüben Licht nahm Wetham alles in sich auf. Seinen Stetson hielt er in der Linken. Mit den gespreizten Fingern seiner Rechten fuhr er sich nun durch die fettigen, grauen Haare. Der Kranz von Falten um seine Augen verstärkte sich, als sein Grinsen breiter wurde, und er richtete seinen kalten Raubvogelblick auf Angie.
„Du bist noch genauso hübsch wie vor fünf Jahren, Kindchen. Ich habe mit deinem Vater eine Abmachung getroffen. Vielleicht weißt du Bescheid. Es wäre klug von dir gewesen, mit ihm auf die Ranch zurückzukehren. Denn in San Marcial wirst du den Tod bald hautnah erleben.“
„Warum hassen Sie Steve so sehr, Wetham?“, fragte Angie. „Weil er damals seine Pflicht tat? Sie haben einen Mann erschossen. Steve verhaftete Sie, wie es ihm sein Eid gebot. Er hat Sie weder schuldig gesprochen, noch ...“
Wetham ließ sich nicht zu Ende sprechen. „Ich habe den Narren damals in Notwehr getötet. Sollte ich mich von ihm erschlagen lassen? Quincannon wusste es. Trotzdem schleppte er mich in die Stadt, und hier wäre ich um ein Haar gelyncht worden.“
„Steve verhinderte es. Sie verdanken ihm Ihr Leben.“
Rasselnd lachte Wetham auf. „Ich ging durch die Hölle, Kindchen. Erst hier in San Marcial, wo der Schatten des Galgenbaums schon auf mich fiel, und dann im Zuchthaus, wo sie uns mit Peitschen an die Arbeit trieben und uns willkürlich schikanierten. Das habe ich Quincannon zu verdanken, der mich vor Gericht schleppte. Nur das - sonst nichts. Sich gegen den Lynchmob zu stellen war seine Pflicht. Er hat es auch gar nicht meinetwegen getan, er tat es, um der Stadt seine Härte und Unbeugsamkeit zu beweisen.“
„Das ist eine Sache der Anschauung, Wetham“, versetzte Angie. „Na schön. Sie haben nun gesehen, was Sie sehen wollten. Nun aber sollten Sie unser Haus wieder verlassen.“
„Langsam, Kindchen, ganz langsam.“ Der Bandit trat dicht an das Bett heran und schob Angie sanft zur Seite. Er starrte auf Steve hinunter. Sein Grinsen war erloschen. Ein brutaler Zug bildete sich um seinen Mund. „Die Feiglinge in dieser Stadt haben dir eine Galgenfrist verschafft, Quincannon. Okay, ich lasse dir eine Woche Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen. Sieben Tage, hörst du? Lass dich noch einmal so richtig von deiner schönen Frau verwöhnen. Ich werde mich in der Zwischenzeit einigen anderen Gentleman widmen. Das habe ich mir geschworen. Wenn ich San Marcial wieder verlasse, wird hier Heulen und Zähneknirschen herrschen.“
„Und du wirst als steckbrieflich gesuchter Verbrecher den Rest deines Lebens auf der Flucht verbringen, Wetham“, murmelte Steve lahm. „Du bist nicht mehr der Jüngste. Warum hast du die fünf Jahre im Zuchthaus nicht einfach aus deinem Gedächtnis gestrichen und bist auf deine Ranch in den Bergen zurückgekehrt? Warum konntest du nicht vergessen? Du hättest in den Bergen alt und grau werden können.“
„Du hättest nicht Marshal, sondern Prediger werden sollen, Quincannon.“ Plötzlich kräuselte wieder das kalte Grinsen Wethams Lippen. „Denk nur nicht, dass ich nicht bemerkt habe, dass du unter der Bettdecke mit einem Colt auf mich zielst. Aber draußen, rund um das Haus, habe ich meine Leute postiert.“ Er grinste und nickte. „Nach Fullers hinterhältigem Schuss bin ich klüger geworden. - Wenn du schießt, Quincannon, reißen meine Freunde diesen Bau nieder. Denn dann gilt mein Pakt mit Wes Holliday nicht mehr. Du würdest nichts gewinnen, Amigo. Aber die hübsche Angie müsste für deine Dummheit teuer bezahlen.“
Er schwang herum, machte einen Schritt - und trat auf etwas Hartes. Er nahm den Fuß zur Seite und schaute nach unten. Da lag der Sechszack. Wetham bückte sich und hob ihn auf. Er wog ihn in der flachen Hand, lachte ironisch auf, und warf den Stern auf die Bettdecke. „Steck ihn dir an, Quincannon, wenn es soweit ist. Es soll sein wie vor fünf Jahren.“
Draußen erklang Geschrei. Dann war ein dumpfer Fall zu vernehmen.
Dick Wetham stutzte, dann setzte er sich abrupt in Bewegung.
*
Lange Zeit hatte Jim Hopkins unschlüssig und von Angst zerfressen in der Finsternis verharrt. Er presste sein Ohr gegen die Hintertür und bemühte sich, zu verstehen, was im Haus gesprochen wurde. Aber es war nur undeutliches Gemurmel, was er vernahm.
Schließlich fasste er den Entschluss, Hank Chapman aufzusuchen und sich mit diesem zu beraten. Es gab außer ihnen noch weitere Männer in der Stadt, die Wetham fürchten mussten. Hopkins sagte sich, dass diese sicher bereit waren, um ihr Leben zu kämpfen, nachdem die Banditen vor Augen geführt hatten, mit welch kompromissloser Brutalität sie vorzugehen bereit waren. Diese Männer mussten mobilisiert werden. Unter allen Umständen.
Er pirschte in die Nacht hinein.
Der Town Major kam keine dreißig Schritte weit, als sich aus der Finsternis ein Schemen löste. Und rechterhand glaubte er im selben Moment eine flüchtige Bewegung wahrzunehmen. Jim Hopkins war einen Herzschlag lang wie gelähmt, der Schreck fuhr ihm bis ins Mark, und dann griff er nach dem Colt in seinem Hosenbund. Aber er schoss nicht. Hopkins versuchte zu fliehen, wandte sich nach links und rannte, so schnell es seine Körperfülle erlaubte. Er lenkte seine Schritte auf eine dunkelgähnende Gasse zu, die nach etwa siebzig Yards in die Main Street mündete.
Doch da spuckte die Nacht eine weitere schattenhafte Gestalt aus, und ehe Hopkins so richtig begriff, traf ihn ein Gewehrlauf seitlich am Kopf. Doch der Hieb warf ihn nicht um. Er fing an zu brüllen wie am Spieß und taumelte blindlings im Kreis herum, benommen von dem Schlag, überwältigt von der Angst. Ein zweiter Hieb fällte ihn. Schwer schlug er auf.
Ein Streichholz wurde angerissen, die kleine Flamme warf zuckende Reflexe in das ausdruckslose Gesicht mit den erschlafften Wangen.
„Ho, der Town Major“, stieß Cole McPherson aus. „Da ist mir ja ein prächtiger Fisch ins Netz gegangen. Dick wird Augen machen.“
Das Streichholz verlosch, die Szene versank wieder in der Dunkelheit. Aber die nicht zu überhörenden Geräusche verrieten, dass sich McPhersons Kumpane näherten. Die Tür von Steves und Angies Haus wurde aufgestoßen, Dick Wetham kam ins Freie.
McPherson rief triumphierend: „Es ist der dicke Bürgermeister, der sich hier herumtrieb. Jetzt schläft er. Aber ich schätze, es wird ein böses Erwachen für ihn geben. “
Heiße Genugtuung erfüllte Dick Wetham. „Er war der Sprecher der Geschworenen“, grunzte er. „Versuchen wir, ihn wach zu kriegen. Und dann nehmen wir ihn mit. - Hervorragend, Cole. Er wäre uns zwar auch so nicht entkommen, aber da wir ihn nun einmal haben, ziehen wir ihm gleich die Hammelbeine lang.“
In der Haustür stand Angie. Sie beobachtete, wie einer der Kerle Hopkins mit der flachen Hand wiederholt auf die Wangen schlug. Das hässliche Klatschen war deutlich vernehmbar. Ein Gurgeln erklang, dann ein Röcheln, dann ein nicht endenwollendes Stöhnen. Sie zerrten den Town Major auf die Beine. Und dann entfernte sich der Pulk.
Angie empfand kein Mitleid mit Hopkins. Dennoch durchpeitschte sie eine zwingende, innere Stimme, die ihr einhämmerte, dass es nicht sein durfte, dass jetzt auch der Bürgermeister Opfer der Bande wurde. Angie spürte Trockenheit im Hals. Hopkins war ein Dreckskerl. Er ging über Leichen, wenn er sich einen Vorteil davon versprach. Doch jetzt befand er sich in der Gewalt skrupelloser Mörder ...
Sie ging ins Schlafzimmer.
„Sie haben Hopkins erwischt, nicht wahr?“, empfing sie Steve.
„Ja. Sie haben ihn fortgeschleppt. Und sie werden ihn töten wie sie Fuller und Bowden getötet haben. Diese elende Stadt schaut zu. Und mein Vater ...“
Sie brach verbittert ab.
„Hilf mir, mich anzukleiden, Angie“, murmelte Steve heiser. „Ich kann nicht zulassen, dass sie weitermorden. Jetzt haben sie Hopkins. Als nächster wird Chapman dran sein. Dann der Schreiner, der Bäcker, der Storehalter ... Hilf mir, Angie. Ich kann nicht länger zusehen, wie sie hier die Männer abschlachten.“
„Du bist verrückt!“ Angie schüttelte den Kopf. „In deinem Zustand bläst Wetham dich auf den Mond. Willst du wirklich Selbstmord begehen?“
„Wie könnte ich je wieder mein Gesicht im Spiegel betrachten, wenn ich jetzt hier liegen bliebe und den Dingen ihren Lauf ließe, Angie. Bitte, versteh mich.“
„Ich verstehe es nicht, Steve“, flüsterte sie bedrückt, voller Beklemmung, aber auch resignierend und innerlich total zerrüttet. „Aber ich kann dich wohl nicht zurückhalten. Du hast es dir in den Kopf gesetzt, und damit ist es für dich Gesetz.“
Ächzend stemmte Steve sich in die Höhe.
Sich anzuziehen war für Steve eine Tortur. Jeder Muskel und jeder Knochen in seinem Körper schmerzten. Er bewegte sich linkisch und hölzern. Zum Abschied küsste er Angie. Es war ein leidenschaftlicher Kuss, und Angie klammerte sich für kurze Zeit an ihn, als wollte sie ihn nicht gehen lassen.
Mit Gewehr und Colt bewaffnet verließ er das Haus. Angie hatte ihm den Stern an die Weste geheftet. Wenn er kämpfte, dann sollte dies im Namen des Gesetzes sein. Und obwohl sie klägliche Angst um ihn hatte, empfand Angie Hochachtung vor ihm. Steve gehörte zu der seltenen Art, die bereit war, für ihre Überzeugung zu sterben.
Anfangs bereitete Steve jeder Schritt unsägliche Qualen. Er fühlte sich wie gerädert. Wellen des siedenden Schmerzes wogten durch seinen malträtierten Körper und ließen ihn keuchen. Je länger er sich aber bewegte, umso besser funktionierte die Durchblutung, und die Verkrampfungen lösten sich.
Er pirschte zum Saloon und beobachtete ihn.
*
Wetham schlug Hopkins die flache Hand ins Gesicht. Unter dem Haaransatz des Town Majors klaffte eine Wunde, die von dem Schlag McPhersons herrührte. Blut rann über sein Gesicht. Hopkins Aufschrei wurde abgewürgt, als erneut Wethams Hand auf seine Wange klatschte. Sein Kopf flog auf die linke Schulter. Und wenn ihn Haggan und Smith nicht gehalten hätten, wäre er wahrscheinlich vom Stuhl gekippt.
Sie befanden sich im Imperial Saloon. Boddam und McPherson lehnten lässig am Tresen. Den Salooner hatten sie hinausgejagt. Sie wollten völlig ungestört sein.
Wethams Stimme kam nur als heiseres, besessenes Geflüster, als er sprach: „Winsle nicht, Fettsack! Du hattest fünf Jahre Zeit, San Marcial zu verlassen und irgendwo unterzukriechen. Du hast meinen Schwur von damals ebenso wenig ernst genommen wie all die anderen, die geblieben sind. Nun hilf mir auf die Sprünge. Einige Namen habe ich vergessen. Du warst damals Obmann der Geschworenen. An den Richter komme ich leider nicht heran, denn der lebt in der County Hauptstadt, und das ist mir zu heiß. Wer saß noch in der Jury außer dir, Elliott Fuller und Hank Chapman?“
Sein stechender Blick schien Hopkins zu durchdringen.
Der Bandit setzte warnend und drohend hinzu: „Spiel jetzt nur nicht den Heldenmütigen und Verstockten, Bürgermeister. Es könnte deine Situation nur verschlimmern. Ich finde es auch so heraus. Also sprich!“
„Da - da waren noch Levi Stowell, der Storebesitzer, Will Hanchett, der Schreiner, Dave Carter ...“ Hopkins stammelte, konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, verhaspelte sich, hüstelte und keuchte. Speichel rann aus seinem Mundwinkel, Blut lief ihm in die Augen und blendete ihn. Sein Innerstes war aufgewühlt wie eine sturmgepeitschte See.
Er schluchzte. „Ja, Dave Carter, der Barbier. Er und Jeff Wallace vom Mietstall sind geflohen, ehe Sie in San Marcial eintrafen, Wetham“, entrang es sich ihm stockend. „In der Jury waren noch ...“
„Jeff Wallace!“, spuckte Wetham hinaus. „Richtig! Diese fiese Ratte war einer der Schreihälse, die mich lynchen wollten. - Er und Carter sind abgehaun, sagst du!“ Er beugte sich weit nach vorn, sein Gesicht war ganz nahe dem des Town Majors, sein Atem streifte Hopkins.
„Ja - ja! Von einer Stunde auf die andere.“
„Wohin sind sie geflohen?“
„Keine Ahnung. Soviel ich weiß, nahmen sie nur ihr ganzes Geld mit. Sie - sie ließen alles liegen und stehen.“
Wetham richtete sich auf. Seine Züge hatten sich böse verkniffen. Er schaute von Haggan auf Smith, und dann wieder auf Haggen und stieß hervor: „Geht in den Barber Shop und kehrt das Oberste zuunterst. Denn Carter hat die Stadt gewiss nicht für immer verlassen. Irgendwann, wenn er denkt, dass die Luft rein ist, kehrt er zurück. Dann soll er nur noch einen Haufen Trümmer von seinem Laden vorfinden.“
Smith grinste gemein und rieb sich die Hände. „Warum reißen wir den Mietstall nicht auch gleich ein oder noch besser, wir brennen ihn nieder? Das wäre doch ein feiner Spaß. Wir könnten die Bürgerschaft ziemlich aufschrecken. Wie ein aufgescheuchter Haufen Hühner würden sie rennen, um ihre Stadt vor den Flammen zu retten.“
„Alles der Reihe nach“, erwiderte Wetham, und sein Tonfall duldete keinen Widerspruch.
Haggan leckte sich über die Lippen. „Well, Ben, lassen wir Dampf ab im Barber Shop. Es wird etwas dauern, Dick. Denn wir wollen gründliche Arbeit leisten.“
Sie verließen den Inn und schritten den Gehsteig hinunter. Mit den örtlichen Gegebenheiten hatten sie sich in der Zwischenzeit einigermaßen vertraut gemacht. Minuten später traten sie die Tür des Ladens ein. Und dann hausten sie wie die Vandalen. Stühle zersplitterten, Spiegel zerbarsten in tausend Scherben, die große Fensterscheibe zerklirrte. Nichts ließen sie heil, sogar die Flakons mit Duft- und Haarwassern zerschmetterten sie an den Wänden.
Sie wüteten fast eine Viertelstunde, und der Krach, den sie veranstalteten, war weit zu hören.
Schließlich traten sie wieder auf die Straße. Sie nahmen den Weg zurück zum Saloon unter die Sohlen. Als sie eine stockfinstere Gassenmündung passierten, sprang sie eine klirrende Stimme an:
„Na, ihr Schufte, hattet ihr euren Spaß?“
Sie sprangen auseinander, rissen die Colts heraus. Ein greller Mündungsblitz zerschnitt in der Gasse die Nacht. Der Schuss dröhnte wie eine Explosion, die Wucht des Treffers riss Ben Smith um. Der Mörder Telly Bradlows war tot. Der Mord an dem alten Trinker, der als einziger in der Stadt Mut bewiesen hatte, war gesühnt.
Bill Haggan feuerte auf den verglühenden Feuerstrahl. Die Detonationen verschmolzen ineinander und stießen wie eine Botschaft des Satans durch die Stadt.
Bill Haggan, der in zig Kämpfen erprobte Bandit, stieß sich ab und hechtete unter dem Gehsteiggeländer hindurch, rollte bis zur Hauswand und lag im Schlagschatten. Der Schussdonner war verhallt, in der Gasse knirschte Staub unter schleichenden Schritten.
McPherson hetzte die Straße herauf, Stuart Boddam überquerte sie und näherte sich auf der anderen Seite der Fahrbahn.
„Da schleicht einer herum!“, schrie Haggan, und Erregung schwang im Tonfall seiner Stimme, denn nachträglich wurde ihm bewusst, dass er an Ben Smith’ Stelle auf der Straße liegen könnte. Sein Leben hatte an einem seidenen Faden gehangen, und nur der Zufall wollte es, dass es Smith erwischte. „Er hat Ben umgelegt. Beim Henker, wenn ich diesen Bastard zwischen die Finger kriege.“
In der Gasse rührte sich nichts mehr. McPherson und Boddam pirschten vorsichtig näher, die Colts in den Fäusten. Im Schutz der Gebäude zu beiden Seiten der Gassenmündung gingen sie in Deckung und äugten in die undurchdringlich anmutende Finsternis hinein.
„Passt auf“, knirschte Bill Haggan. „Ich gehe in die Gasse. Und wenn er schießt, haltet auf das Mündungslicht.“
„Gib nur acht, dass du uns nicht in die Schusslinie kommst“, knurrte Stuart Boddam. Sein Blick suchte den verrenkt im Staub liegenden Ben Smith, und Unbehagen beschlich ihn.
Haggan richtete sich auf. Dicht an die Hauswand gepresst schob er sich um die Ecke, eng an der Giebelseite des Gebäudes glitt er tiefer in die Gasse hinein. Er wurde eins mit der Dunkelheit. Behutsam setzte er einen Fuß vor den anderen, nach jeweils drei kurzen Schritten hielt er an, um zu lauschen und zu wittern.
Nach etwa dreißig Yards kreuzte ein Weg die Gasse. Der Mond stand jetzt im Osten über den Hügeln und schüttete fahles Licht auf diesen schmalen Pfad. Auf der anderen Seite zog sich ein Buschgürtel, und dahinter erhoben sich noch einige Wohnhäuser und Schuppen. Große Lücken klafften hier zwischen den Gebäuden. Es war nicht so wie auf der Main Street, wo sich die Häuser wie die Perlen an einer Schnur aneinanderreihten und die Flucht nur von Seitenstraßen und Gassen unterbrochen wurde. Hier gab es Gärten und Corrals, Ziegen- und Schafpferche, Hühnerställe und Schweinekoben. Es roch penetrant nach Dung und Urin.
Bill Haggan sicherte um sich. Geduckt verharrte er dicht an der rauen Hauswand. Ein kleiner Schritt, und er stünde im Mondlicht. Sein Instinkt signalisierte Gefahr. Er wagte den Schritt nicht. Er wechselte auf die gegenüberliegende Gassenseite, schob vorsichtig den Kopf um die Ecke.
Nichts!
Haggan setzte alles auf eine Karte. Seine Muskeln spannten sich, er schnellte aus der Deckung und verschwand mit einem zweiten, federnden Satz zwischen den Büschen, ließ sich sofort fallen.
Durch die Gasse kam jemand. Eine Stimme erklang: „Ich bin es, Bill. Nicht schießen.“
Es war McPherson.
„Der Hund ist auf und davon“, erklärte Haggan wild. „Wenn ich nicht wüsste, dass Quincannon halbtot im Bett liegt, würde ich annehmen, dass er die Jagd auf uns begonnen hat.“
„Ich tippe eher auf einen der Kerle, denen Dick das Höllentor aufzustoßen nach San Marcial gekommen ist. Vielleicht Chapman, der Schmied. Er war doch auch dabei, als Hopkins uns Quincannon überlassen wollte, nachdem sie ihn fast in Stücke geschlagen haben.“
„Wir werden Chapman einen Besuch abstatten“, schnappte Haggan und kroch aus dem Zweiggespinst. „Vorher aber geben wir Dick Bescheid.“
„Das kann Stuart übernehmen. Er hält vorn an der Gassenmündung die Stellung.“
„All right, verziehen wir uns.“
Haggan glitt in den Schutz der Gasse. Sie kamen wieder auf die Main Street. Stuart Boddam rannte zurück zum Saloon, in dem Dick Wetham wie auf glühenden Kohlen stand, weil er nicht wusste, was sich draußen zugetragen hatte.
Haggan und McPherson strebten der Schmiede zu. Sie passierten das Tor in den Wagen- und Abstellhof des Mietstalles, und dort hing noch immer Jack Bowden am Seil. Niemand hatte gewagt, ihn abzuschneiden.
Haggan trommelte gegen die Haustür. Die harten Schläge hallten durch das ganze Haus. Nichts rührte sich.
McPherson schoss kurzerhand das Türschloss auf. Sie drangen in das Haus ein. Im Licht eines Streichholzes sahen sie eine Laterne auf einer Konsole im Flur. McPherson zündete sie an. Dann durchsuchten sie jeden Winkel des Hauses. Aber Chapman war ausgeflogen.
„Also doch Chapman“, giftete McPherson.
„Scheint so“, antwortete Haggan. „Gehen wir. Wahrscheinlich versucht er es noch einmal. Und dann verwandeln wir ihn in ein Sieb.“
Sie trennten sich und huschten zu beiden Seiten der Straße im Schatten der Vorbaudächer entlang.
*
Steve hatte den Kampf gegen die Bande aufgenommen. Er hatte Ben Smith getötet. Smith hatte den Tod verdient. Steve empfand nichts. In ihm war nur das Verlangen, San Marcial von der Geisel der Banditen zu befreien.
Er versteckte sich, denn auf einen offenen Kampf mit einer Überzahl von tödlich gefährlichen Gegnern konnte er sich nicht einlassen. Dazu war er körperlich nicht in der Verfassung.
Schließlich hörte er sie an der Haustür Hank Chapmans. Steve kroch unter einen Vorbau. Sie kamen. Deutlich konnte er sie ausmachen, als sie auf die Straße traten, denn Mondlicht fiel auf sie. Sie trennten sich. Auf dem Plankengehsteig tackten harte Stiefelsohlen. Schon bald war das Tacken über ihm auf dem Vorbau, von dessen anderen Ende aus der Sidestep weiterführte. Feiner Sand rieselte durch die Fugen auf Steve herunter. Dann sah Steve die Füße des Burschen, als dieser die vier Stufen zum Gehsteig hinunterstieg. Steve warf einen Blick über die Main Street. Der andere Bandit war schon ein Stück weiter. Er schob sich unter dem Vorbau hervor, wuchs in die Höhe und hatte das Gewehr im Hüftanschlag. Das metallische Knacken, mit dem er durchlud, holte den Kerl auf seiner Seite ein.
Der Outlaw versteifte. Mit dem nächsten Atemzug aber kreiselte er herum, ging in die Hocke und schlug den Colt an. Steve drückte ohne mit der Wimper zu zucken ab. Ihre Schüsse dröhnten fast gleichzeitig, aber der Bandit feuerte viel zu überstürzt und blindlings, nahm sich kaum Zeit, das Ziel richtig aufzunehmen und anzuvisieren.
Steves Geschoss warf ihn gegen die Hauswand, an der er langsam zu Boden rutschte. Sein Colt polterte auf die Gehsteigbohlen.
Der Bursche am jenseitigen Straßenrand schoss auf Steve. Dieser hatte sich auf die Knie geworfen. Die Kugel pflügte einen Schritt vor ihm in den Staub und schleuderte eine Staubfontäne hoch. Steve repetierte, schoss, repetierte und jagte einen zweiten Schuss aus dem Lauf. In das Dröhnen hinein gellte ein spitzer Aufschrei, und der Bandit wankte schießend zurück, die Dunkelheit in einer Häuserlücke nahm ihn auf.
Steve verschwand zwischen den Häusern.
Auf dem Gehsteig lag Cole McPherson. Steve hatte einen blutigen Punkt unter sein Leben gesetzt. Nun hatte er es nur noch mit drei Gegnern zu tun.
Jim Haggan erreichte auf Schleichwegen den Saloon. Er hinkte stark, denn Steves Blei hatte ihn in den Oberschenkel getroffen. Blut durchnäßte seine Hose und ließ sie am Bein kleben. Neben der Schwingtür lauerte Stuart Boddam, den Colt in der Faust, Rastlosigkeit im Gesicht, unablässig die Main Street beobachtend.
Wetham fauchte: „Beim Henker, was ...“
„Jetzt hat er auch Cole abserviert! Und ich habe eine Kugel im Bein. Verdammt, Dick, wir müssen uns was einfallen lassen, sonst knallt er uns nach der Reihe ab.“
Wetham schoss Hopkins einen tückischen Blick zu. Der Town Major hockte mit gekrümmten Rücken auf seinem Stuhl und spürte die Klammer des überwältigenden und grenzenlosen Grauens. Er stierte Wetham mit den weitaufgerissenen, verängstigten Augen eines Tieres an, das nicht mehr ein noch aus wusste.
Ein teuflisches Kichern kam plötzlich von Wetham. „Ihr denkt also, es ist der Schmied, der uns so zusetzt. Ich bin anderer Meinung. Es ist Quincannon. Der Bastard hat uns getäuscht. Er hat eine verdammte Show abgezogen und uns allen Sand in die Augen gestreut. Okay, wir haben Hopkins. Wenn Quincannon nicht will, dass wir ihn kaltmachen, muss er aufgeben.“
Haggan hatte sich auf einem Stuhl niedergelassen, sein verwundetes Bein weit von sich gestreckt und umklammerte es mit beiden Händen.
Ein Schatten lief über Wethams angespanntes Gesicht. Er stakste zur Pendeltür und rief in die Nacht hinein: „Quincannon! Ich weiß, dass du da draußen bist. Also hör mir zu: Wir haben Jim Hopkins hier. Und wenn du innerhalb von fünf Minuten nicht freiwillig mit erhobenen Händen in den Saloon kommst, stirbt er.“
Die Worte trieben über die Straße und verhallten. Draußen blieb es still. Ein Mann aber erbebte. Es war Hank Chapman. Unruhe und Ungewissheit hatten ihn aus dem Haus und in die Nähe des Saloons getrieben, wo er sich im tintigen Schatten unter der Außentreppe des Hotels verborgen hatte. Er war im Besitz eines Gewehres. In seinem Haus hatte er es nicht mehr ausgehalten. Er fühlte sich dort wie ein Gefangener.
„Zwei Minuten sind vorbei, Quincannon!“, gellte Wethams Organ.
Hank Chapman wagte kaum noch zu atmen. In seiner Seele war war die Qual des Verlorenen, der bereits die Berührung einer eisigen Knochenhand zu verspüren glaubte.
Wetham flüsterte: „Geh durch den Hinterausgang, Stuart, und postiere dich an der Straße. Und wenn sich irgendwo was rührt, dann halte drauf, was das Zeug hält. - Okay, Quincannon!“, rief er dann schneidend. „Wahrscheinlich ist es dir egal, wenn Hopkins stirbt. Wir kriegen dich auch so. Verlass dich drauf.“
Stuart Boddam schlüpfte durch die rückwärtige Tür. Wetham näherte sich Hopkins. Bill Haggan zurrte gerade das Halstuch fest, das er sich um die Wunde am Oberschenkel geschlungen hatte.
„Wird es gehen?“, fragte Wetham grollend.
„Ich denke schon“, murmelte Haggan. „Es ist ein glatter Durchschuss. Der Knochen scheint unverletzt zu sein. Es schmerzt zwar höllisch - aber ich halte durch.“
„Es geht ans Sterben, Hopkins“, sagte Wetham grollend. „Fuller und Bowden warten bereits in der Hölle auf dich.“ Er schlug den Colt auf den Town Major an. Sein Daumen lag auf der Hammerplatte.
„Nein“, drang es wie ein Windstoß über Hopkins trockene Lippen. „Nein ...“ Der Mut der Verzweiflung befiel ihn mit der Wucht einer alles verschlingenden Flut, er schnellte vom Stuhl in die Höhe und auf Wetham zu. Selbsterhaltungtrieb und Überlebenswille verliehen ihm eine pantherhafte Schnelligkeit. Und ehe Wetham richtig zum Denken kam, riss ihn der Town Major zu Boden. Seine dicken Finger legten sich um den faltigen Hals des Banditen und drückten ihn zusammen. Wethams Mund sprang auf, seine Zähne klafften auseinander, er wand sich unter dem schwergewichtigen Mann, der über ihm kniete und der die Welt um sich herum vergessen zu haben schien. Hopkins war nicht mehr Herr seiner Sinne.
In Haggans Faust bäumte sich der Colt auf. Mit wummerndem Knall entlud er sich. Hopkins’ Hände um Wethams Hals öffneten sich, er fiel auf der Seite. Der Bandit rollte von ihm weg und kam taumelnd hoch. Er griff sich an den Hals und massierte ihn. Sein Kehlkopf schmerzte, das Schlucken bereitete ihm Mühe.
Hopkins keuchte rasselnd. Er rollte auf den Bauch. Seine Finger verkrallten sich in den Dielen, seine Nägel brachen. Er wollte wegkriechen. Aber da war die Kraftlosigkeit - die grenzenlose Schwäche, die seine Motorik lahmlegte, und da war der Schmerz, der in seinem Oberkörper ein verzehrendes Inferno auslöste - und dann war gar nichts mehr. Hopkins fiel auf das Gesicht und versank in einer bodenlosen Schwärze.
Und draußen donnerten die Colts. Und ebenso jäh, wie sie einsetzten, verstummten sie wieder.
Bill Haggan riss es herum. Er humpelte auf die Tür zu.
„Bleib!“, presste Dick Wetham zwischen den Zähnen hervor. „Wie es aussieht, sind nur noch wir beide übrig.“
*
Steve befand sich hinter dem Saloon, als Wetham mit lauter Stimme drohte, Hopkins zu töten. Er hatte die Absicht, durch die Hintertür in den Saloon einzudringen und Hopkins freizuschießen. Er wollte dem widerwärtigen Spiel mit dem Tod ein abruptes Ende setzen. Wetham und seine Komplizen hatten ihr Leben verwirkt. Steve wollte nicht mehr lange herumfackeln ...
Da kam einer der Kerle in den Hof. Steve verdrückte sich schnell hinter einen Stapel leerer Kisten, in denen Whisky geliefert worden war.
Der Bandit schlich durch die Einfahrt und verschwand in der Finsternis der Gasse. Steve überlegte nicht lange. Er hörte wieder Wethams Geschrei und folgte dem Burschen. Dieser entfernte sich hinter den Häusern, Schuppen und Scheunen ein Stück vom Saloon und pirschte dann vor zur Main Street, wo er Stellung bezog.
Ein Schuss drohte den Inn zu sprengen. Steve konnte sich keinen Reim darauf machen, er befürchtete jedoch das Schlimmste.
Geräuschlos huschte er hinter dem Banditen heran, und als ihn nur noch fünf Schritte von ihm trennten, rief er unterdrückt: „Hinter dir, Bandit!“
Stuart Boddam federte in seiner kauernden Haltung herum. Nur undeutlich konnte er die hochgewachsene Gestalt Steves durch die Finsternis ausmachen. Er drückte die Beine durch und kam hoch. Sein Arm mit dem Colt hing nach unten. Gegen die etwas hellere Kulisse der Main Street hob er sich scharf ab. Locker lag in Steves Faust der Sechsschüsser.
Boddam knurrte: „Bist du es, Quincannon?“
„Yeah, Bandit. Und nun ...“
Boddam riss die Hand mit dem Eisen hoch, sein Colt spuckte Feuer und Blei und warf sein dröhnenden Krachen gegen die Häuser. Die Kugel schrammte knapp neben Steves Gesicht über die Hauswand und ließ Kalk und Splitter stieben, und Steve glaubte den Gluthauch des Bleistücks auf seiner Wange zu spüren.
Er drückte ab. Der Feuerstrahl seines Revolvers erhellte mit zuckendem Reflex die Gasse. Der bösartige Knall stieß auf Boddam zu, der spürte einen furchtbaren Schlag gegen die Brust, drehte sich halb um seine Achse und hustete. Ein Blutstrahl brach aus seinem Mund, seine Hand mit dem Colt war kraftlos nach unten gesunken.
Es bedurfte keines zweiten Schusses mehr. Boddam sackte unvermittelt zusammen und streckte sich. Ein letzter Schauer durchlief seinen Körper, dann brachen seine Augen.
Steve stieg über den Toten hinweg und spähte die Straße hinunter. Soeben lösten sich die Lichtkästen auf, die aus den Frontfenstern und der Tür des Saloons auf den Vorbau gefallen waren. Die Banditen hatten die Lampen ausgemacht. Schnell überquerte Steve die Fahrbahn. Er erreichte das Hotel, schob sich um die Ecke, versank im Schatten und - fühlte instinktiv, dass er nicht mehr alleine war. Schnell kniete er ab, um ein möglichst kleines Ziel zu bieten. Es knackte trocken, als er den Hahn zurückzog, er richtete den Colt in die Dunkelheit, und Erregung pulsierte in langen, heißen Wogen durch seine Blutbahnen.
„Wer ist da?“, fragte Steve barsch.
Heftiges Atmen wehte an sein Gehör. Grober Stoff raschelte und schabte über etwas Raues. Bei Hank Chapman löste sich der Stau aus Erschrecken, Furcht und Fassungslosigkeit, denn er erkannte Steve an der Stimme. Er krächzte: „Sie sind es, Quincannon. Dem Himmel sei dank. Als sie durch die Dunkelheit heranhuschten, dachte ich, es ist einer der Banditen.“
Steve erkannte Chapman. Er konnte aus jedem Wort des Schmieds und aus dem Klang seiner Stimme schließen, wie sehr die Angst in ihm wütete. Er konnte jedoch nichts für ihn empfinden. „Was haben Sie hier zu suchen? Ist Ihnen entgangen, was die Schufte mit Fuller und Bowden angestellt haben? Wahrscheinlich haben sie soeben auch Hopkins abgeknallt. Wollen sie der nächste sein, der dran glauben muss?“
„Ich - ich wollte kämpfen, ich habe mir fest vorgenommen, Wetham aus dem Hinterhalt zu erschießen. Aber - ich war zu feige. Ich wage mich auch nicht mehr nach Hause, ich ...“
Der riesige Mann begann hemmungslos zu weinen. Er war mit seinen Nerven am Ende. Ein galliger Geschmack entstand in Steves Mund. Hank Chapman würde für alle Zeiten ein gebrochener Mann sein. Und so steinerweichend er jetzt auch heulte - Steve hatte nur Verachtung für ihn übrig. Er sagte dumpf: „Gehen Sie, Chapman. Sie widern mich an. Ich will Sie nicht in meiner Nähe haben.“
Chapman taumelte an ihm vorbei. Steve konnte ihn nicht mehr zurückhalten. Der große, vierschrötige Mann wankte in die Straße und wurde vom Mondlicht übergossen. Das Gewehr schleppte er am Lauf hinter sich her. Der Kolben glitt durch den Staub. Über der Saloontür zerplatzte eine Feuerblume. Chapman machte das Kreuz hohl, ein zweiter Schuss brüllte auf, und diese Kugel fegte den Schmied von den Beinen. Staub schlug unter dem schweren Körper auseinander.
Und jetzt ließ Steve seine Stimme erklingen: „Ein weiterer Mord, der auf dein Konto geht, Wetham. Habt ihr auch Hopkins umgebracht?“
„Yeah. Und auch du wirst dran glauben.“ Wetham brüllte es wild und leidenschaftlich.
„Du musst für alles Rechenschaft ablegen, Wetham.“
„Du heimtückischer Coyote!“, plärrte Wethams Organ. „Der nächste, der in die Grube saust, bist du. Ich hätte mit dem Colt in der Faust in dein Haus gehen und dich in Fetzen schießen sollen.“
„Dann wärt du schon tot, Bandit. Wie du richtig beobachtet hast, zielte ich mit einer Kanone durch die Bettdecke auf dich. - Du hast nur noch einen Mann bei dir. Wie lange denkst du wohl könnt ihr mir standhalten?“
Ein blindwütig abgefeuerter Schuss war die Antwort.
*
Wetham stand an der Wand neben der Schwingtür. Haggan hatte sich auf der anderen Seite postiert. Ihre Gesichter waren nur als helle Kleckse durch die Dunkelheit auszumachen. Das längliche, schwarze Bündel, das auf der Main Street lag, war Hank Chapman. Der Tod schlich durch die Stadt, und er hatte gnadenlos zugeschlagen.
Wetham flüsterte rau: „Wir schnappen ihn. Und dann verduften wir aus San Marcial. Aber ich bin noch nicht fertig mit dieser Stadt. Ich kenne einige Burschen, die sich mir ohne groß zu fragen anschließen werden. Mit ihnen kommen wir eines Tages zurück. Dann vollende ich, was ich mir vorgenommen habe. Und dann werden auch Wallace und Carter zurückgekehrt sein.“
Die Besessenheit in seinem Tonfall war nicht zu überhören. Nur Hass lenkte und leitete ihn, ein Hass, der keine Zugeständnisse, keine Gnade und keine Menschlichkeit kannte, der geradezu selbstzerstörerisch war.
Er hub erneut an: „Wir machen uns auf die Suche nach Quincannon. Wir sind mindestens ebenso gut wie er, und wir sind im Gegensatz zu ihm im Vollbesitz unserer Kräfte. Wir treiben ihn in die Enge und erledigen ihn.“
„Ich kann mit dem zerschossenen Bein nicht durch die Stadt schleichen, Dick“, wehrte Haggan ab. „Darum bleibe ich im Saloon.“
Wetham überlegte kurz, dann murmelte er: „Okay. Bleib hier und halte an der Tür die Stellung. Ich will versuchen, ihn dir zuzutreiben.“
Er huschte, ohne eine Antwort abzuwarten, zur Hintertür, und dann war Bill Haggan allein. Der Bandit rührte sich nicht von der Stelle. Wethams Zuversicht konnte er nicht mehr teilen. Er hatte erleben müssen, wie seine Kumpane einer nach dem anderen kaltgestellt wurden, und er ahnte, dass Quincannon auch ihn und Wetham schlagen würde. Zwischen seinen Schulterblättern war plötzlich ein unbehagliches Kribbeln. Und von einer Sekunde auf die andere entschloss er sich, zu fliehen. Bis in die nächste Stadt konnte er es trotz der Beinwunde schaffen. Dort konnte er den Doc aufsuchen.
Ihre Pferde standen im salooneigenen Stall. Er humpelte zur Hintertür. Kühle Luft empfing ihn, als er den Hof betrat. Er machte sich am Stalltor zu schaffen und dachte nicht mehr an Wetham, der seiner Meinung nach bereits durch die Gassen strich auf der Suche nach Quincannon. Umsomehr war er schockiert, als ihn aus der Finsternis Wethams brechende Stimme ansprang: „Suchst du Quincannon vielleicht im Stall, Bill?“
Sein verwundetes Bein vergessend warf Haggan sich herum. Schmerz zuckte bis unter seine Hirnschale, das Bein knickte unter ihm weg, er fiel auf die Seite und sog zischend die Luft in seine Lungen. Und dann presste er hervor: „Gosh, Dick, ich ...“
„Du bist ein dreckiger Verräter, Bill!“, giftete Wetham. Seine Gestalt schälte sich aus der Finsternis. Vom Boden aus erschien er Bill Haggan unendlich groß. „Und mit Verrätern mache ich kurzen Prozess!“
„Warte, Dick!“, keuchte Haggan und zog die Hand mit dem Colt zeitlupenhaft langsam unter seinem Körper hervor. „Lass es gut sein. Es - aaah!“
Er brüllte auf, als sich Wethams Fuß brutal auf sein Handgelenk stellte. Unwillkürlich öffneten sich seine Finger, der Sechsschüsser entglitt ihm.
„An Feigheit stehst du den Männern dieser Stadt in nichts nach, Bill“, murmelte Wetham, und es klang fast bedauernd. Er richtete den Colt nach unten und spannte den Hahn. „Verrat und Feigheit sind zwei Dinge, die ich von der Welt nicht ausstehen kann. Es ist nicht schade um dich, Bill!“
Im selben Augenblick, als er den Finger krümmen wollte, zerhieb Steves klare Stimme die lastende Atmosphäre, die wie ein Leichentuch über San Marcial hing. Steve rief: „Ich warte auf der Straße auf euch, Wetham. Ich will, dass ihr beide herauskommt. Ziehen wir einen Schlussstrich und kämpfen wir es aus. Du wolltest mir eine Woche Zeit lassen, und das war fair von dir, wenn auch von teuflischem Gedankengut getragen. Nun will auch ich fair zu dir sein. Also kommt auf die Straße - beide. Sobald ihr erscheint, trete ich aus meiner Deckung, und dann beginnen wir zu schießen.“
Bedächtig ließ Wetham den Hahn in die Ruherast zurückgleiten. Mit erhobenem Kopf lauschte er den Worten hinterher. Dann gab sein Fuß Bill Haggans Hand frei. „Steh auf“, grunzte er. „Geh in die Gasse und beziehe an der Mündung in die Main Street Stellung. Und versuche nicht, mir in den Rücken zu fallen, Bill. Denn dann frisst du mein Blei. Ich werde nämlich auf der Hut sein.“
Er war Haggan behilflich, aufzustehen. Der verwundete Bandit hob seinen Colt auf. Steves Stimme ertönte: „Ihr werdet doch nicht kneifen, Wetham? Hat euch plötzlich der Mut verlassen? Seid ihr nicht nach San Marcial gekommen, um mich zu töten? Nun gebe ich euch die Gelegenheit dazu. Nutzt sie!“
Wetham versetzte Haggan einen leichten Stoß. „Vorwärts. Wenn wir Quincannon auf die Nase legen, will ich die Sache von eben vergessen, Bill. Mein Wort drauf.“
Haggan hinkte davon.
Wetham lief in den Saloon zurück. Er brüllte: „Du brauchst nicht mehr in der Mehrzahl zu sprechen, Quincannon. Es gibt nur noch mich. Mein Freund Haggan schleppte sich mit letzter Kraft in den Saloon, nachdem du ihm eine Kugel in den Leib knalltest. Er liegt in den letzten Zügen und wird die nächste Stunde wohl nicht überleben.“
„Das ist doch wieder eine deiner Niederträchtigkeiten, Wetham“, antwortete Steve von der dem Saloon gegenüberliegenden Straßenseite.
„Glaub es oder glaub es nicht, Quincannon!“, rief Wetham. „Ich gehe jetzt hinaus. Yeah, ich komme. Du siehst, ich traue dir.“
Der Bandit drückte die Türpendel auseinander. Auf dem Vorbau halfterte er seinen Colt. Er ging bis zur Treppe und blieb dort stehen. „Was ist, Quincannon, warum zeigst du dich nicht?“
„Weil ich mir denken kann, dass Haggan irgendwo in der Finsternis steckt und nur darauf wartet, dass ich ins Mondlicht trete.“
„Haggan ist dem Tod näher als dem Leben. Ich sagte es bereits.“ Wetham sprang mit dem letzten Wort auf die Straße und blieb stehen.
Drüben trat Steve zwei Schritte vor - und schnellte sofort zur Seite. Bill Haggans Colt krachte, das Mündungslicht riss den Banditen für einen Sekundenbruchteil aus der Dunkelheit. Dort, wo Steve eben noch gestanden hatte, pfiff das Geschoss durch die Luft. Steve feuerte im Sprung und verschwand wieder in der Nacht. Die Gefahr ließ ihn all seine körperlichen Nöte vergessen.
Wetham hatte den Colt herausgerissen. Er schoss und hetzte los. In diesem Moment kippte Bill Haggan aus der Gasse. Steves Kugeln sirrten über die Fahrbahn. Doch Wetham gelang es, sich am Ende des Vorbaus in Deckung zu werfen. Hastig robbte er davon. Er verschwand im Schlagschatten einer Passage.
Die Schüsse verklangen. Es wurde still.
In Steve geriet Leben. Er hetzte los. Denn er ahnte, was Wetham im Sinn hatte. Der Bandit war allein. Der letzte seiner Kumpane hatte soeben sein Leben ausgehaucht. Und jetzt war ihm jedes Mittel recht, um Steve in die Knie zu zwingen.
Wie von Furien gehetzt rannte Steve in die Richtung seines Hauses. Die quälende Sorge um Angie überwältigte ihn.
*
Dick Wetham erreichte Steves Haus. Es lag in der Dunkelheit. Keines der Fenster war erleuchtet. Der Bandit war ziemlich außer Atem. Er verspürte Seitenstechen. Aber alles das ignorierte er.
Die Haustüre war abgesperrt. Unter seinem wuchtigen Tritt flog sie auf. In der Finsternis des Korridors verharrte er. Schließlich fingerte er ein Streichholz aus der Jackentasche und riss es an.
Da sah er Angie. Sie stand am Ende des Flurs an der Wand. Der schwache Lichtschein erreichte sie kaum, doch Wetham entging nicht das Gewehr, das sie im Anschlag hielt. Er ließ das Streichholz fallen, riss den Colt hoch, und rief: „Zwing mich nicht auf dich zu schießen, Kindchen. Ich ...“
„Du willst Steve töten, Wetham. Nur das zählt. Du wolltest mich als Druckmittel benutzen, weil du keinen anderen Ausweg mehr siehst.“ Angies Stimme klang tonlos und ruhig, fast unheimlich ruhig. „Mit mir als Geisel wolltest du Steve dazu bringen, die Waffen zu strecken, und dann hättest du ihn eiskalt ermordet. Aber du hast dich verrechnet, Wetham. Ich liebe meinen Mann viel zu sehr, als dass ich dies zuließe.“
Draußen erklangen schnelle Schritte.
Wetham war gezwungen, zu handeln.
„Dann stirb vor deinem Mann, Närrin!“, hechelte er und zog durch.
Aber als das Streichholz verlosch, war Angie zur Seite getreten und stand nun an der Längswand. Und als Wethams Gestalt vom Mündungsblitz aus der Finsternis gerissen wurde, drückte sie ab.
Wetham erhielt einen Stoß und taumelte rückwärts aus dem Haus. Draußen drehte er sich plötzlich wie ein Kreisel, und in einem letzten Aufbäumen, einem letzten Reflex, drückte er noch einmal ab. Die Kugel fuhr vor ihm in den Boden, der Bandit fiel auf die Knie und dann vornüber auf das Gesicht.
Wetham entrang sich ein hohles Stöhnen. Er hob den Kopf. Das Gewehr an der Hüfte marschierte Steve langsam auf ihn zu. Seine hohe, aufrechte Gestalt warf im Mondlicht einen langen Schatten.
„Dein Hass hat dich in die Hölle geführt, Wetham“, sagte er ziemlich atemlos. „Wenn du nicht an meiner Kugel stirbst, hängst du.“
Von der Main Street drängten Menschen heran. Sie hatten begriffen, dass die Entscheidung gefallen war. Die Angst verflog, es trieb sie hinaus. Stimmen schwirrten durcheinander, und die Gruppe, die sich zusammenrottete, wurde schnell größer.
„Die Ratten strömen aus ihren Bauten“, kam es brüchig und schwach von Wetham. „Gleich werden sie wieder nach einem Strick für mich brüllen. Aber - sie - haben - Pech - heute ...“
Wethams Kopf rollte zur Seite. Ein letzter, zerrinnender Atemzug wehte über seine Lippen, dann war er tot.
Aus dem Haus trat Angie.
Müde ließ Steve das Gewehr sinken. Er verspürte Erschöpfung. Sie kam tief aus seinem Innersten. Er sah Angie und ahnte, wie schlimm es nach dem tödlichen Schuss auf Wetham in ihr aussah. Sie hatte in Notwehr geschossen, und Wetham hatte sein Leben längst verwirkt. Dennoch war er ein Mensch, und sie hatte ihn getötet.
Dies psychisch zu verkraften war nicht so einfach.
Steve verspürte plötzlich Mitleid. Er wollte hingehen und sie in die Arme nehmen, ihr Trost spenden, sie beruhigen und ihr Halt bieten, aber da sagte jemand: „Einige Männer dieser Stadt müssen Ihnen ein Leben lang dankbar sein Marshal. Wetham hätte sicher keine Ruhe gegeben, bis der letzte ...“
Steve schnitt ihm das Wort ab. „Spar dir deine Worte, Mister. Ich will keinen Dank. Von niemand. Ganz besonders nicht von den Männern, die deiner Meinung nach Grund haben, dankbar zu sein.“
Und dann ging er zu Angie hin, und er sah, dass sie am Ende ihrer Kraft war. Er riss sich nicht den Stern herunter und warf ihn den Bürgern vor die Füße. Er brauchte ihnen nicht zu dokumentieren, dass er nicht mehr zu ihnen gehörte, dass er nicht mehr ihr Marshal sein wollte. Er ließ es sie spüren.
Er legte seinen Arm um Angie. „Komm“, sagte er, mehr nicht. Sie drängte sich wie schutzsuchend an ihn. Er führte Angie ins Haus. Und als sie alleine waren, murmelte er: „Du bist stark, Darling, du kommst darüber hinweg. Die Zeit heilt Wunden. Wir suchen uns einen anderen Platz. Dieses Land bietet tausend Möglichkeiten für uns beide. Und der Tag wird kommen, an dem es dir gelingt, diese unglückselige Nacht aus deinem Leben zu streichen. Du schaffst es, Angie.“
„Ja“, hauchte sie, „mit deiner Hilfe, Steve.“
Er küsste sie. Und sein Kuss ließ Angie neue Hoffnung schöpfen.
E N D E
Im Banne des Hasses
In Shadoe Rankin war nur noch Hass. Wie einen räudigen Straßenköter hatten ihn die Yankees einige Monaten nach General Lees Kapitulation aus dem Gefangenenlager in Kansas gejagt. Ohne Pferd, ohne Waffen, ohne Geld und ohne einen Bissen Proviant. Nicht einmal vernünftige Kleidung hatten sie ihm gegeben.
Auf seinem Weg nach Süden stahl er sich seine Nahrung zusammen oder lebte von dem, was ihm die Natur bot. Er war abgemagert. Die graue Uniform, auf die er einst so stolz gewesen war, hing in Fetzen an seinem knochigen Körper. Die Augen lagen tief in den Höhlen.
Shadoe Rankin, der zuletzt als Captain für die Sache des Südens gekämpft hatte, war so ziemlich am Ende. Seit vielen Wochen war er unterwegs. Verfilztes Bartgestrüpp wucherte in seinem eingefallenen Gesicht. Er war schmutzig und verschwitzt. Sein Ziel war die Farm am Mustang Draw, in der Nähe von Seminole im Gaines County, Texas. Dort war er zu Hause. Dort wollte er seine Wunden lecken und düstere Vergeltungspläne schmieden.
Von dem Patriotismus, mit dem er in den Krieg gezogen war, war nichts mehr übrig. Ein stolzer Mann hatte die Farm vor über vier Jahren verlassen, nach Hause kam ein abgerissener, geschlagener Tramp, dessen Seele abgestumpft und dessen Herz tot war.
Die Abenddämmerung begann das Land einzuhüllen. Die hohe, hagere Gestalt in den grauen Fetzen und einem verbeulten Strohhut auf dem Kopf wankte aus dem Ufergebüsch des Canadian River und sank auf dem Schwemmsandgürtel, den das Hochwasser zurückgelassen hatte, auf die Knie. Noch mehr als 250 Meilen war er vom Mustang Draw entfernt, 250 Meilen bis zur Farm, wo Kathy, seine Frau, sowie Sally und Tom, seine Kinder, auf ihn warteten.
Das Wasser des Canadian umspülte seine Knie. Er dachte an Kathy, an Sally. Sie war zwischenzeitlich zwanzig. Tom war dreizehn, als er in den Krieg zog. Anfangs war er in Gedanken oft bei ihnen, im Laufe der Zeit aber gerieten sie bei ihm mehr und mehr in Vergessenheit. Jetzt dachte er wieder an sie.
Mit den hohlen Händen schöpfte Shadoe Rankin das frische Wasser und warf es sich in das Gesicht mit den tiefen Linien und Kerben, die Jahre der Entbehrungen und Strapazen hineingegraben hatten. Ja, er dachte an seine Familie. Aber er fühlte nichts. Empfindungen regten sich in ihm nur, wenn er an die Yankees und all jene dachte, die nicht im Krieg waren, jene, die nicht im Dreck lagen und denen nicht die Kugeln und Granaten der Nordstaatler um die Ohren pfiffen.
In seine Augen trat ein Irrlicht, ein unheimliches Glühen beim Gedanken an sie.
Er trank. Das Wasser erfrischte und belebte ihn. Shadoe Rankin starrte über den Fluss. Träge wälzten sich die Fluten dahin. Im Westen glühte der Horizont im Widerschein der untergegangenen Sonne. Der Wunsch nach einem Pferd und nach Waffen drängte wieder einmal mehr aus dem Unterbewusstsein des Mannes, der am Flussufer kniete und in dessen langen Haaren, die sich bereits grau färbten, der Abendwind spielte. Mit einem Pferd könnte er in wenigen Tagen zu Hause sein ... Er richtete sich auf. Von den Knien abwärts war seine Hose nass. Wasser war in seine gebrochenen Stiefel eingedrungen. Es linderte das Brennen seiner Füße. Der Fluss war breit und tückisch. Monotones Rauschen und Rascheln erfüllte die Luft. Der rötliche Schein auf dem Land verblasste. Die Schatten wurden schwächer.
Rasselnd holte Shadoe Rankin Luft. Er musste hinüber. Ein Ruck durchfuhr seine Gestalt. Shadoe Rankin watete in den Fluss hinein. Bald umspülte das Wasser seine Hüften. Drüben erhob sich dunkel und drohend wie eine undurchdringliche Wand das Ufergestrüpp. Angespülte, rindenlose, bizarr geformte Äste lagen davor auf dem Ufersaum und erinnerten an ausgebleichte Skelette.
Shadoe Rankin begann zu schwimmen. Bald schon spürte er die Schwäche in seinen Armen und Beinen. Die vollgesaugte Kleidung hing wie Blei an ihm und schränkte ihn in seiner Bewegungsfreiheit immens ein. Die starke Strömung in der Flussmitte packte ihn wie mit zornigen Klauen. Er kämpfte dagegen an, mobilisierte seine letzten Energien, wurde von einem Wirbel erfasst und herumgeschleudert und unter Wasser gedrückt. Sein Hut wurde davongetragen und hüpfte auf den Wellen. Shadoe Rankin schluckte Wasser, kam wieder hoch und musste husten. Seine Lungen pfiffen, aber dann füllten sie sich mit lebenserhaltendem Sauerstoff und der Selbsterhaltungstrieb gewann die Oberhand. Mit Armen und Beinen kämpfte er gegen die Wassermassen um sich herum an, dennoch blieb er ein Spielball der Gewalt des Flusses. Die Flut riss ihn mit. Seine Reserven erlahmten ...
Bei einer Biegung des Flusses kam er dem Ufer etwas näher. Der Kopf drohte ihm zu platzen. Sein Blick war vom Wasser verschleiert, seine Augen brannten, das geschluckte Flusswasser verursachte Übelkeit in ihm. Shadoe Rankin begann wieder zu rudern. Das rettende Ufer war greifbar nahe, aber seine Arme schienen Tonnen zu wiegen, es war, als umgäbe ihn nicht Wasser, sondern zähflüssige Pampe, und so mutete es ihn unerreichbar fern an. Aber da war der dämonische Durchhaltewille, der ihn nicht aufgeben ließ. Alles in ihm bäumte sich gegen den Gedanken auf, zu ertrinken wie eine Ratte in ihrem überfluteten Bau.
Und der Zufall spielte obendrein Schicksal. Keine hundert Yards flussabwärts trieben zwei Reiter ihre Pferde durch eine Lücke des Buschgürtels. Sie rissen ihre Pferde in den Stand und beobachteten die Gestalt, die dem Fluss einen verzweifelten Überlebenskampf lieferte. Um sie herum spritzte und gischte das Wasser. Der Mann schien nicht vom Fleck zu kommen, als hielt ihn etwas fest, das sich unter der Oberfläche verbarg, und verhinderte, dass er das Ufer erreichte.
„Heavens!“, stieß einer der Reiter hervor. „Wir müssen ihm helfen, sonst säuft er ab ...“
Sie nahmen die Pferde herum und sprengten über den Ufersaum, und während die Hufe ihrer Pferde wirbelten, knüpften sie die Lassos vom Sattel.
Dann standen die Pferde und die Schlingen flogen durch die Luft, fielen vor Shadoe Rankin klatschend ins Wasser, und der Mann griff mit verkrampften Händen danach. Sie zogen ihn an Land. Röchelnd und röhrend lag er auf dem Bauch. Dann übergab er sich und erbrach einen Schwall Flusswasser. Schließlich setzte er sich auf und wischte sich das Wasser aus den Augen.
Die beiden Reiter waren abgesessen, nachdem sie ihre Lassos zusammengerollt und wieder an die Sättel gehängt hatten. Sie waren gekleidet wie Weidereiter, an ihren Gürteln hingen schwere Colts, sie trugen sie jedoch hoch an den Hüften. Besorgt knieten sie bei dem ausgemergelten Mann in der mausgrauen, zerschlissenen Rebellenuniform ab.
„Geht’s wieder?“, fragte der eine von ihnen, ein blondhaariger Bursche von höchstens zwanzig Jahren.
„Yeah“, keuchte Shadoe Rankin, nickte, und fügte rau hinzu: „Thanks. Ich hätte es sicher auch alleine geschafft - aber dennoch, vielen Dank.“
Die Cowboys wechselten einen betroffenen Blick, der Blondhaarige zog den Mund schief und meinte: „Danach hat es aber ganz und gar nicht ausgesehen, Mister. Du hast ganz schön gezappelt.“
„Wer seid ihr?“, fragte Shadoe Rankin zwischen zwei rasselnden Atemzügen.
Sie musterten ihn abschätzend, schätzten ihn ein, versuchten zu ergründen, zu welcher Sorte er wohl gehörte. Und als sie fertig waren, erhob der andere Cowboy seine Stimme: „Mein Name ist Ted Jennings, mein Gefährte heißt Brian Faithful. Wir reiten für die Waycross-Ranch Gene Saddlers. Südlich des Canadian beginnt das Weidegebiet der Ranch.“
Es war jetzt ziemlich dunkel. Das Wasser des Canadian glitzerte. In den Büschen erstarben die Geräusche der Natur.
Wieder ließ Jennings seine Stimme erklingen: „Kommen Sie aus der Gefangenschaft, Mister? Sie stecken noch in der grauen Uniform. In Texas wimmelt es von Yanks. Ein Mann in der Rebellenuniform erregt hier schnell Missfallen und Argwohn. Sie sollten zusehen, dass Sie die Fetzen ablegen und sich vernünftig kleiden.“
In Shadoe Rankins Augen glühte es auf. Es mutete an wie ein Signal. In seinen Zügen zuckte es, dann brach es aus ihm heraus: „Sie haben mich in Fort Leavenworth eingesperrt, und als die Amnestie kam, jagten sie mich davon wie einen tollwütigen Hund. Einer wie ich gilt in dem Land, für das er den Kopf hingehalten hat, nichts mehr. Nicht nur bei den Yanks stoße ich auf Ablehnung. Wo ich auch hinkam und um Hilfe bat - ich wurde abgewiesen. Plötzlich will keiner mehr etwas vom Krieg wissen. Habt ihr gekämpft?“
Seine letzte Frage kam wild, sein flammender Blick sprang von einem zum anderen.
Brian Faithful schüttelte den Kopf. Er fühlte sich plötzlich nicht wohl in seiner Haut. Shadoe Rankin verströmte plötzlich etwas, das ihn frösteln ließ. „No“, murmelte er unsicher, „ich war zu jung, als es begann. Und als ich alt genug gewesen wäre - nun ...“ Er brach ab, zuckte hilflos mit den Achseln und schaute betreten zur Seite.
„Ich war dabei“, gab Jennings zu verstehen und fixierte Shadoe Rankin grübelnd. „Allerdings wurde ich 63 schon verwundet und war nicht mehr kriegstauglich. Sie schickten mich zurück nach Texas.“
Shadoe Rankins Kiefern mahlten. Das Irrlichtern in seinen Augen war erloschen. Sein Verstand wälzte düstere Überlegungen. Er sagte dumpf: „Ihr habt doch sicherlich Streichhölzer dabei, um ein Feuer zu entfachen. Außerdem habe ich seit gestern nichts mehr zwischen die Zähne bekommen ...“
*
Auf einer kleinen Lichtung zwischen den Sträuchern flackerte das Feuer. Das Zweigwerk filterte den Lichtschein und ließ ihn kaum durch das dichte Gespinst dringen. Die drei Männer kauerten am Feuer. Um sie herum flossen Licht und Schatten ineinander. Im Feuer knackte das dürre Holz. Jennings und Faithful hatten beschlossen, hier die Nacht zu verbringen. Sie hatten Shadoe Rankin Pemmican zu essen gegeben. Jetzt ließen sie eine flache Flasche Whisky kreisen, die Jennings in der Satteltasche mitführte. Dazu rauchten sie.
Irgendwie spürten die beiden Cowboys das Unheil, das von Shadoe Rankin ausging. Etwas Böses schien ihn zu umgeben. Unter halbgesenkten Lidern hervor beobachtete er die beiden abwechselnd. Seine Kleidung war fast trocken. Die Nacht war kühl, jedoch der Whisky wärmte ihn von innen. Manchmal ließ Shadoe Rankin seinen Blick zu den beiden Pferden schweifen, die etwas abseits angeleint worden waren. Sie standen unter den Sätteln, die Weidereiter hatten ihnen jedoch die Sattelgurte gelockert.
Das Essen und der Schnaps hatten neue Kräfte in den ausgebrannten Körper Shadoe Rankins zurückfließen lassen. Die beiden Cowpuncher besaßen alles, was er wollte. Erstklassige Pferde, Sättel, Waffen ...
Der Jüngere der beiden - dieser Brian Faithful, er musste um die sechzehn gewesen sein, als der Krieg begann. In Scharen waren Kerle dieses Alters zu den Fahnen geströmt, als das Kriegsglück des Südens kippte und als Lee Jung und Alt zu den Waffen rief. Zu tausenden waren sie im Trommelfeuer der Yankees gestorben oder von den Granaten zerfetzt worden. Er, Shadoe Rankin, hatte sie fallen und sterben sehen. Sie waren Helden.
Faithful lebte. Er hatte es vorgezogen, andere für die Sache des Südens sterben zu lassen. Ted Jennings war nicht viel besser. Verachtung breitete sich in Shadoe Rankin aus. Er hat gekniffen, nachdem er ein Stück Blei auffing!, durchzuckte es Shadoe Rankin giftig. O ja, ich habe sie erlebt, diese dreckigen Simulanten, die alles taten, um wegen ihrer Kratzer für frontuntauglich erklärt und nach Hause geschickt zu werden. Sie trieben es bis zur Selbstverstümmelung und scherten sich einen Dreck um die Kameraden, die reihenweise krepierten.
Die Leidenschaft durchrann Shadoe Rankin wie tödliches Fieber. Er erbebte innerlich. Ein brutaler, gnadenloser Zug hatte sich um seinen dünnlippigen Mund festgesetzt. Sein Kinn war eckig geworden, und ein Blick in sein Gesicht ließ all die Skrupellosigkeit und Verworfenheit, die in ihm steckten, erahnen. Der mörderische Krieg hatte ihn zu einer den niedrigsten Trieben gehorchenden Bestie werden lassen. Der Hass übermannte ihn ...
Shadoe Rankin erhob sich. Er reckte seine knochigen Schultern, über denen die noch feuchte, abgerissene Uniformjacke hing. Ihm entging nicht, dass ihn die Cowboys wachsam beobachteten, dass sich ihre kauernden Gestalten strafften und jähe Anspannung ihr Mienenspiel beherrschte.
Shadoe Rankins Lippen zogen sich unter einem hintergründigen Lächeln in die Breite. Innerlich war er kalt wie Gletschereis. „Ich verzieh mich mal für ein paar Minuten hinter die Büsche“, erklärte er, und es klang heiser, als stünde er unter einer immensen, inneren Anspannung. „Wahrscheinlich verträgt mein Magen keinen Schnaps mehr.“ Er rülpste laut und drückte seine Hand gegen den Leib.
Ted Jennings’ Brauen schoben sich zusammen. Forschend starrte er in Shadoe Rankins Züge, in die der Feuerschein düstere Schatten warf. Plötzlich knurrte er: „Geh in diese Richtung, Rankin.“ Er wies mit dem Kinn auf die den Pferden abgewandte Seite der Lichtung.
Shadoe Rankins Gestalt krümmte sich etwas nach vorn. Seine Hände öffneten und schlossen sich. Er knirschte drohend: „Du misstraust mir, wie? Einem, der mit der Waffe in der Faust für die Interessen seines Landes eintrat und der als Bettler in die Heimat zurückkehrt, darf man wohl nicht über den Weg trauen? O verdammt!“
„Das hat damit nichts zu tun. Ich kenne viele Männer, die die ganze Zeit dabei waren. Sie sind heimgekehrt und leben geachtet und respektiert unter uns. Du bist anders als sie, Rankin. Dir haftet etwas an, das mir nicht gefallen will. Ich kann es nicht deuten oder beschreiben, jedenfalls würde ich dir auch nicht trauen, wenn du nicht aus Leavenworth kämst und den grauen Waffenrock tragen würdest.“
Shadoe Rankin belauerte ihn wie ein Raubtier. Er hatte den Anschein, als wollte er ihn anspringen und mit den bloßen Händen erwürgen. Er schluckte hart, sein Kehlkopf rutschte im faltigen Hals hinauf und hinunter.
Brian Faithfuls Hand tastete zum Knauf des Coltrevolvers. Dieser große, dunkle Mann war ihm unheimlich. Sie hatten ihn aus dem Fluss gezogen, als er fast ertrunken wäre, sie gaben ihm zu essen, zu trinken und zu rauchen, und sie hatten beschlossen, ihm Gesellschaft zu leisten, bis er wieder stark genug war, um seinen Weg in die Heimat fortzusetzen. Jetzt hatte Faithful das Gefühl, dass es besser gewesen wäre, sie hätten ihn dem Fluss überlassen. Tief in seinem Innersten spürte er das Verhängnis, das sich über ihren Köpfen zusammenbraute wie ein alles vernichtender Blizzard.
Abrupt schwang Shadoe Rankin auf den Absätzen herum. Er bahnte sich einen Weg zwischen das Gestrüpp. Kurze Zeit war das Rascheln von Laub, das Peitschen dünner Zweige, knacken und brechen zu vernehmen, dann hörten die Cowboys das Würgen des ehemaligen Soldaten.
„Er hat etwas im Sinn“, knirschte Jennings zwischen den Zähnen und erhob sich mit einem Ruck. „Dieser Bursche steckt voller Heimtücke und Habgier. Halt die Augen offen, Brian.“
In den Büschen war es jetzt still. Nur das Säuseln des Windes und das Gurgeln des Canadian erfüllte die Finsternis. Im Süden hing der Mond und schüttete sein kaltes Licht auf das Land. Hier und dort funkelten Sterne. Wolkenschatten glitten lautlos über den Fluss und verschmolzen mit der Nacht.
Ted Jennings näherte sich den Pferden. Die Tiere lagen auf der Erde am Rande des Feuerscheins. Jetzt hoben sie die Köpfe. Die Gebissketten klirrten. Jennings’ Hand legte sich um den Revolverknauf. Er schaute über die Schulter und sah Brian auf den Hacken am Feuer kauern. Beklemmung ließ Jennings’ Hals eng werden, dumpf pochte sein Herz, dumpfe Ahnungen brachten seine Nerven zum Schwingen.
Er hob seinen Blick und über Brian hinweg starrte er auf die Stelle, an der Rankin im Gestrüpp verschwunden war. Von Rankin war nichts zu sehen und zu hören. Jennings spürte Trockenheit in seiner Mundhöhle. Das tiefsitzende Unbehagen löste ein seltsames Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern aus. Und als wäre der Funke von Unrast und Nervosität auf die Pferde übergesprungen, erhoben sie sich ruckhaft. Dumpfes Stampfen der Hufe erklang.
In dem Gestrüpp ertönte ein wildes, durchdringendes Fauchen. Ein Fluch wurde gebrüllt, eine Erschütterung durchlief einen der Büsche, ein Ast brach mit trockenem Knall. Und dann erklang wieder das grässliche Fauchen, ein dumpfer Fall ...
Die Pferde warfen die Köpfe hoch, wieherten von jäher Panik erfüllt und zerrten an den Leinen. Brian Faithful war mit einem Satz auf den Beinen. Er rannte auf die Büsche zu, zwischen denen die Geräusche darauf schließen ließen, dass Rankin von einem wilden Tier, einem Puma, angefallen worden war. Er riss den Colt aus dem Halfter und spannte ihn.
Die Pferde waren außer Rand und Band. Ted Jennings war zwischen sie gesprungen und hielt sie am Zaumzeug gepackt. Mit stählerner Hand versuchte er, die angsterfüllten Tiere zu bändigen. Er setzte sein ganzes Körpergewicht ein und hatte das Gefühl, als würden ihm die Arme aus den Schultergelenken gerissen.
Jennings konzentrierte sich voll und ganz auf die entsetzten Pferde ...
*
Ohne anzuhalten brach Brian zwischen die Büsche. Zweige peitschten sein Gesicht und rissen seine Haut auf, zerrten ihm den Hut vom Kopf. Er stolperte über eine Luftwurzel, konnte gerade noch das Gleichgewicht bewahren, und er schrie heiser: „Rankin, bei Gott, wo bist du?“
Das Wiehern und Stampfen der Pferde sickerte heran, vermischte sich mit Jennings’ rauem Organ. Das Fauchen und Rascheln war nicht mehr laut geworden. Geduckt stand Faithful da, versuchte sich zu orientieren, witterte und lauschte. Seine schweißnasse Hand hatte sich regelrecht am Coltknauf festgesaugt. Finsternis umgab ihn wie ein schwarzer Vorhang.
Hinter seinem Rücken war plötzlich gepresstes Atmen. Er war wie elektrisiert und wollte sich herumschleudern. Ein Arm legte sich hart um seinen Hals und drückte ihn unerbittlich zusammen. Unwillkürlich krümmte der große Junge den Finger. Ein Feuerstrahl zuckte aus der Coltmündung und riss für Sekundenbruchteile die Umgebung aus der Finsternis. Das Geschoss bohrte sich in die Erde. Die Detonation versickerte zwischen den Büschen. Faithfuls Lippen sprangen auseinander zu einem Schrei, dieser aber wurde in der Kehle erstickt. Der Junge spürte die Hand in seinen Haaren ...
Mit einem leisen Knacken brach das Genick. Die Gestalt erschlaffte. Shadoe Rankin ließ sie zu Boden gleiten, seine Hand ertastete den Colt. Die Schwärze der Nacht verbarg den teuflischen Ausdruck in seiner Miene, das irre Glitzern in seinen Iris.
„Brian, was ist da? Beim Henker, Brian, melde dich!“, hörte er Ted Jennings atemlos brüllen.
Ein satanisches Kichern entrang sich Shadoe Rankin. Mit dem Colt in der Faust glitt er zum Rand der Lichtung. Er triumphierte, weil sie auf seinen primitiven Trick hereingefallen waren. Das Feuer war ziemlich heruntergebrannt. Die Glut mutete an wie das rote Auge eines Zyklopen. Schattenhaft war Jennings zwischen den beiden Pferden auszumachen, die sich nach dem Schuss noch verrückter gebärdeten.
Geduckt huschte Shadoe Rankin am Buschsaum entlang. Seine Hand mit dem Colt hing nach unten. Er spürte nicht die Spur einer Gemütsregung. Tausendmal hatte er in den vier Jahren Krieg den Tod hautnah erlebt, tausendmal griff er mit knöcherner Klaue nach ihm, der Tod war mit ihm schlafen gegangen und mit ihm wieder aufgestanden. Leben auszulöschen war ihm zur zweiten Natur geworden. Er fand nichts mehr dabei, es ließ ihn kalt.
Er befand sich hinter Jennings. Sein Daumen lag auf der Hammerplatte. Er hob die Faust mit dem Colt und spannte ihn. Klickend rotierte die Trommel um eine Kammer weiter. Ted Jennings wurde von den Pferden hin und her gezerrt. Er schrie sich fast die Lunge aus dem Leib, weil Brian nicht antwortete. Das metallische Knacken, das wie ein Gruß aus der Hölle in seinen Verstand eindrang, hörte er dennoch. Instinktiv ließ er die Pferde fahren und er wirbelte geduckt herum. Grell lohte es ihm entgegen. Den peitschenden Knall in den Ohren spürte er den furchtbaren Schlag gegen die Brust, und es waren die letzten Wahrnehmungen seines Lebens. Mit einem ersterbenden Röcheln brach er zusammen, und als er aufschlug, war in ihm kein Funke Leben mehr.
Mitleidlos starrte Shadoe Rankin sekundenlang auf die reglose Gestalt hinunter. Er befand sich wie in einem Rausch. Die Pferde tobten, die Leinen, die um armdicke Äste geschlungen waren, würden nicht mehr lange standhalten. Schmerzhaft schnitten die eisernen Gebissstangen in die Mäuler der Tiere. Diese Qual schürte ihre Panik.
Shadoe Rankin überkam schlagartig die Ernüchterung. Er schob den Colt in seinen Hosenbund, stieg über den Leichnam hinweg und griff den Pferden in das Zaumzeug. Mit aller Kraft, die all seinen Willen erforderte, drückte er ihre Köpfe nach unten. Sie prusteten, keilten nach hinten aus, peitschten mit den Schweifen. Die Anstrengung versiegelte Shadoe Rankins Lippen, er presste die Zähne aufeinander, dass der Schmelz knirschte, seine Muskeln und Sehnen in den Armen und Schultern drohten zu zerreißen.
Er zwang den Tieren seines Willen auf. Und da nichts mehr folgte, das ihre panische Unrast nährte und steigerte, beruhigten sie sich. Mit zitternden Flanken standen sie schließlich. Bei dem Mann brachen sich der Stau aus Konzentration und Anspannung und die jäh einsetzende Erschöpfung mit einem kehligen Gurgeln Bahn. Seine Arme schmerzten, in seinen Schläfen hämmerte das Blut, in seinen Ohren dröhnte es.
Er wankte auf tauben Beinen einige Schritte zur Seite und ließ sich auf den Boden sinken. Nach und nach legte sich in ihm der Aufruhr der Empfindungen. Er war über Leichen gegangen und hatte, was er benötigte, um die letzten 250 Meilen bis nach Hause ohne besondere Strapazen zurückzulegen.
*
Er ritt über endlos anmutendes Weideland nach Südwesten. Tausende wilder, ungebrändeter Longhorns kreuzten seinen Weg. Während des Krieges hatten die Rinder sich vermehrt wie Karnickel. Sie waren herrenlos.
Shadoe Rankin steckte in den Kleidern der Weidereiter, die er ermordet hatte. Er hatte sie längst aus seinem Gedächtnis gestrichen. Um seine Hüften wand sich Ted Jennings’ Revolvergurt. Im Sattelschuh steckte eine Henrygun. Das Pferd, das er ritt, trug den Waycross-Brand. Das andere, das er an der Longe mit sich führte, ebenfalls. Im Sattel dieses Tieres steckte gleichfalls ein Repetiergewehr. In Shadoe Rankins Hosentasche knisterten einige Dollarnoten. Er hatte sie den toten Cowboys abgenommen.
Shadoe Rankin war zufrieden. Er lebte nur in der Gegenwart, fast wie ein wildes Tier. Das Land war endlos. Shadoe Rankin mied die Städte und Ansiedlungen. Die Tage waren heiß, die Nächte kühl. Unermüdlich zog Shadoe Rankin dem Mustang Draw entgegen. Unter den pochenden Hufe der Pferde schmolzen die Meilen.
Der Bandit ahnte nicht, dass ihm ein Reiter auf der Fährte klebte. Ein Mann, der wie Shadoe Rankin durch die Hölle des Bruderkrieges ging und der es gelernt hatte, zu töten. Wie ein Bluthund folgte er der Spur, die Shadoe Rankin über das Weideland zog.
Der Name des Mannes war Allan Davis. Er war siebenundzwanzig Jahre alt, dunkel wie ein Komantsche, hart wie Stahl und unnachgiebig. Er ritt einen Falben. Den schweren Coltrevolver trug er nicht am Oberschenkel, sondern schräg vor seinem Leib. Griffbereit ragte der Kolben aus dem Futteral. In seinem Sattelhalfter steckte eine Henry Rifle.
Die Narben im schmalen Gesicht und der verbitterte Ausdruck um seinen Mund zeugten davon, dass Allan Davis den Krieg in all seinem brutalen Irrsinn durchgemacht und mit all seinen Schrecken erlebt hatte. Vor etwas über einem Monat war er auf die Waycross-Ranch zurückgekehrt. Vor dem Bruderzwist war er dort als Cowboy beschäftigt gewesen. Jetzt hatte ihn Gene Saddler zu seinem Vormann gemacht.
Als Jennings und Faithful überfällig waren, ließ Saddler sie suchen. Tot und fast unbekleidet, ihrer Pferde und Waffen beraubt, lagen sie im Ufergestrüpp des Canadian. Allan nahm die Spur der beiden Pferde auf. Es gab immer wieder Hinweise und Zeichen, die sie markierten. Allan hatte geschworen, den Mörder der beiden Weidereiter zur Rechenschaft zu ziehen.
Unbeirrbar folgte er der Fährte. Er fand die Plätze, an denen der Mörder gelagert hatte. Er schätzte seinen Vorsprung auf zwanzig Stunden. Es war kein Hass, der ihn trieb, es war auch nicht die Gier nach Rache. Es war nur das unstillbare Verlangen, den Mörder der Gerechtigkeit zuzuführen.
Ahnungslos, dass er verfolgt wurde, erreichte Shadoe Rankin acht Tage, nachdem er den Canadian überquert hatte, seine Farm. Alles wirkte grau in grau, war heruntergewirtschaftet und verkommen. Die Dächer der Schuppen und Scheunen waren an manchen Stellen eingebrochen. Der Pferch, in dem einige Ziegen weideten, war notdürftig repariert. Hühner badeten im Staub. Im Stall stampften Pferde.
Shadoe Rankin hatte zwischen zwei windschiefen Schuppen angehalten. In ihm war keine Freude über die Heimkehr. Er witterte und ließ seinen Instinkten freien Lauf. Mit einem Schenkeldruck trieb er das Pferd an. Das Tier an der Longe trottete hinterher. Shadoe Rankin ritt zum Brunnen in der Hofmitte. Hinter einem der Fenster glaubte er eine flüchtige Bewegung wahrzunehmen.
Als sich Shadoe Rankin vom Pferd schwang, flog die Tür des flachen Farmhauses auf. Sally erschien in dem niedrigen Rechteck. „Dad!“, platzte es über ihre Lippen, vor Erregung presste sie die rechte Hand gegen ihren Halsansatz, als konnte sie so ihren fliegenden Atem unter Kontrolle bringen.
Sattelsteif ging er ihr entgegen. Er war überrascht und blinzelte ungläubig. In seinen Mundwinkeln zuckte es. Aus der sechzehnjährigen Göre mit den rotblonden Zöpfen und den Sommersprossen auf der Nase war eine ausgesprochen hübsche, junge Frau geworden. Für die Spanne einiger Atemzüge schien sich in Shadoe Rankins Herzen etwas zu regen, aber er war wohl nicht mehr fähig, Wärme und Ergriffenheit auszuleben. Betroffen von seinem versteinerten Gesichtsausdruck blieb Sally zwei Schritte vor ihm stehen. Brüchig entrang es sich ihr noch einmal: „Dad ...“
Aus dem Farmhaus drängten zwei Kerle. Sie grinsten blitzend. Was sie auf dem Leib trugen, war eine Mischung aus Teilen der Rebellenuniform und ziviler Kleidung. Sie waren beide Mitte zwanzig.
„Hol mich dieser oder jener!“, entfuhr es Shadoe Rankin. „John Finerty und Jim Conner.“ Er ging, ohne Sally weiter zu beachten, an ihr vorbei. Die Hände des Mädchens, die sie ihm entgegengestreckt hatte, sanken müde nach unten. Herbe Enttäuschung zeichnete ihre Züge und verdunkelte ihre Augen. „Das haut mich ja glatt um, Jungs. Ich wähnte euch längst beim Teufel.“
„Der Yankee, der uns in die Hölle schickt, ist noch nicht geboren!“, rief John Finerty, ein großer, breitschultriger Bursche mit verwegenem Gesicht und sandfarbenen Haaren. „Und da wir annahmen, dass du irgendwann nach Hause kommst, Captain, ritten wir zum Mustang Draw. - He, alter Eisenfresser, du hast nicht übertrieben, als du von deiner hübschen Tochter erzähltest. Sie ist noch viel hübscher ...“
„Du hast hoffentlich die Finger von ihr gelassen, Amigo?“, presste Shadoe Rankin hervor und seine Stirn lag in Falten.
„Ich war die ganze Zeit über der Anstandswauwau“, rief Jim Conners lachend. „Und ich habe dem alten Weiberhelden Tag für Tag eingeredet, dass die Tochter seines Captains für ihn tabu ist. Er hat es sehr schnell begriffen, schätze ich.“
Shadoe Rankins Züge hellten sich wieder auf. „Es ist gut, euch zu sehen.“ Er drehte sich um und nahm Front zu Sally ein. „Ich war lange weg, Sally“, murmelte er. „Hier scheint sich eine Menge verändert zu haben.“ Sein rastloser Blick sprang in die Runde. „Man müsste alles wegreißen und neu aufbauen. Nun, wir werden sehen.“ Der Anflug eines Lächelns huschte um seinen Mund. „Du bist sehr schön geworden, Sally, eine richtige Frau. Wahrscheinlich rennen dir die Kerle aus der Umgebung Tür und Tor ein.“
Sally errötete. Seine seltsame Reserviertheit irritierte sie. Er gab sich wie ein Fremder. Sie versuchte in seinem Gesicht zu lesen, ihn zu ergründen, etwas zu finden, was sie an ihren Vater erinnerte, wie er vor über vier Jahren war. Aber sie sah nur steinerne Härte und gefrierende Kälte. Sie erschauderte.
„Ich vermisse deine Mutter und deinen Bruder“, drang seine Stimme in ihr Bewusstsein. „Warum kommen sie nicht aus dem Haus ...“ Plötzlich umwölkte sich seine Stirn. „Sie kämen heraus, wenn sie da wären. Sprich, was ist los?“
„Ma und Tom sind tot, Dad“, stammelte das Mädchen und schluckte krampfhaft. „Eine Horde Banditen tauchte gleich nach Kriegsende bei uns auf, sie nahmen sich, was sie brauchten, und als ihr Anführer über Ma herfiel, ging Tom dazwischen. Ben Hartfiel erschoss ihn, eine verirrte Kugel traf auch Ma.“
„Hartfield?“ Die Leidenschaft, die in Shadoe Rankins Zügen wühlte, war erschreckend und entstellte sie. Seine Stimme sank herab zu einem heiseren Flüstern: „Ben Hartfield, Sergeant Ben Hartfield ...“ Er warf den Kopf in den Nacken. „Haben sie dich auch ...“
Sallys senkte wie beschämt den Blick.
Shadoe Rankin wusste Bescheid. Er wandte sich John Finerty und Jim Conner zu. „Der Bastard hat seinen Schwur also wahrgemacht, den er leistete, als ich ihn wegen Feigheit vor dem Feind vors Kriegsgericht brachte. Wahrscheinlich ist er in den Wirren der letzten Kriegstage entkommen, ehe sie ihn vor das Erschießungskommando stellen konnten.“
„Yeah“, versetzte Jim Conner. „Und er hat ein Rudel reißender Bestien um sich geschart. Kerle, die nicht mehr Fuß fassen konnten, die sich treiben ließen und für die der Krieg noch nicht zu Ende ist.“
„Helft ihr mir, Hartfield eine blutige Rechnung zu präsentieren?“, schnappte Shadoe Rankin.
Sie zögerten, doch dann erwiderte Finerty: „Wir standen immer zu dir, Captain. Gegen die Yankees gingen wir durch dick und dünn. Und sicher wären wir längst vor die Hunde gegangen, wenn du nicht gewesen wärst. Okay, Captain, du kannst auf mich zählen.“
Conner nickte. „Auch ich bin dabei. Hartfield und seine Banditen sind minderwertiger Abschaum, und sie gehören ausgerottet - mit Stumpf und Stiel. Ja, Captain, ich bin dein Mann.“
„Ich wusste es“, murmelte Shadoe Rankin und ein eisiges Grinsen zog seinen Mund in die Breite.
*
Shadoe Rankin aß Rührei mit Speck und dazu selbstgebackenes Brot. John Finerty und Jim Conner schauten ihm zu. Conner rauchte. Sally saß auf einem Hocker an der Wand und beobachtete stumm und gedankenvoll ihren Vater.
Draußen gackerten die Hühner. Hin und wieder jagten sie sich gegenseitig flügelschlagend und zornig kreischend über den Hof. Sally fragte sich, was die Veränderung, die ihr Vater durchgemacht hatte, herbeigeführt haben mochte. Sie wusste, wie er zu den Pferden und Waffen gekommen war. Er erzählte es seinen beiden ehemaligen Untergebenen und machte kein Hehl daraus, dass er gewissenlos mordete.
Fein säuberlich wischte Shadoe Rankin die Pfanne mit Brot aus. Den letzten Bissen spülte er mit einem Schluck Kaffee hinunter. Dann rollte er sich eine Zigarette und zündete sie an. „Du kannst abräumen“, gebot er Sally. Als sie an den Tisch herantrat, schnappte seine Linke nach ihrem Handgelenk und umspannte es. Er sagte: „In zwei - drei Tagen, wenn ich mich einigermaßen erholt habe, verlassen wir die Farm. Es lohnt nicht, sie neu aufzubauen. Es fehlt hier an allen Ecken und Enden. Wir machen uns auf die Suche nach Ben Hartfield - und du kommst mit, Sally.“
„Dad“, ächzte sie zutiefst betroffen und verstört. „Auf diesem Stück Land habe ich Mutter und Tommy begraben. Der Boden ist fruchtbar, und wenn du Saatgut kaufst ...“
Er lachte scheppernd auf. „Mit Hosenknöpfen vielleicht, Kleines?“, rief er sarkastisch. „Außerdem ist das keine Zukunft. Als ich vor zwölf Jahren hier eine Parzelle absteckte, war ich überzeugt davon, ein guter Farmer zu werden. Ich bemühte mich redlich und tat alles, um Kathy, Tom und dir ein ruhiges, sorgloses Leben zu ermöglichen. Jetzt weiß ich, dass wir nur von der Hand in den Mund gelebt haben. Die elenden Yanks unterwandern unser Land. Im Krieg habe ich gelernt, dass es nicht die Berufung eines Mannes sein kann, sich zu ducken und Erdreich umzupflügen. Es gibt bessere Möglichkeiten, sich durchs Leben zu schlagen. Vielleicht werden wir eines Tages sogar reich sein.“
„Außerdem kommt übermorgen noch einmal der Sheriff aus Seminole“, mischte sich Jim Conner ein. „Er war letzte Woche hier, um die fälligen Steuern zu kassieren. Er setzte Sally ein letztes Ultimatum, und das läuft übermorgen ab. Wenn sie nicht zahlen kann, drohte er, müsse er sie von Grund und Boden vertreiben.“
Shadoe Rankin kniff die Lider eng. „Trägt noch immer McLean den Stern in Seminole, oder haben sie das Stück Blech nach Lees Aufgabe einem aalglatten Yankee angesteckt?“
„Fred ist nach wie vor Sheriff“, antwortete Sally und spürte schmerzhaft den Druck seiner Hand um ihr Handgelenk.
„Diese kleine, miese Ratte!“, zischte Shadoe Rankin. „Er hat sich also zum Handlanger der Nordstaatler machen lassen.“ Seine Wangenmuskulatur erzitterte kurz. „Na schön. In Texas wimmelt es wahrscheinlich von dreckigen Verrätern. Ich werde ihm vor die Füße spucken, wenn er aufkreuzt.“
„Dad“, entrang es sich Sally brüchig, „ich - ich kenne dich nicht mehr. Von dir kam kein Zeichen der Erschütterung, der Fassungslosigkeit, als du von Mutters und Tommys Tod erfuhrst, kein Wort der Anteilnahme oder des Entsetzens. Du sprichst nur von Rache, von blutiger Vergeltung. Wäre es nicht normal gewesen, dass du wenigstens ein kurzes Gebet an ihren Gräber gesprochen hättest? Was hat der Krieg aus dir gemacht?“
Sein Gesicht ruckte hoch, der Griff um ihren Arm wurde härter. Sie erschrak vor der Intensität, mit der er sie anstarrte.
„Den Lebenden gehört die Welt, Sally!“, knirschte er. „Wenn du dem Tod vier lange Jahre Tag für Tag ins höhnisch grinsende Auge geschaut hast, schreckt er dich nicht mehr. Tagtäglich sah ich Männer sterben, stieg ich in den Ortschaften über tote Kinder und Frauen. Wer fragte schon danach. Ihre Gräber sind vom Staub zugeweht. Am Anfang dreht es dir den Magen um, aber dann wird es zur Gewohnheit. Und irgendwann beginnst du, die Toten zu beneiden. Denn sie haben dieser verdammten Welt den Rücken gekehrt. Ich glaube, deine Mutter und dein Bruder sind gut aufgehoben.“
Aufheulend riss Sally sich von ihm los. Sie rannte aus dem Haus. In Shadoe Rankins Gesicht zuckte kein Muskel. Finerty und Conners fixierten ihn betreten.
„Sie kommt drüber hinweg“, grollte Shadoe Rankins Organ. „Und eines Tages lernt sie mich begreifen.“ Er inhalierte einen tiefen Zug von der Zigarette, stieß den Rauch durch die Nase aus und fragte: „Habt ihr eine Ahnung, wo wir mit der Suche nach Hartfiel beginnen müssen?“
Conner antwortete: „Er und seine Banditen haben eine blutige Spur durch Texas gezogen. Auf ihre Köpfen wurden hohe Prämien ausgesetzt. Seit einiger Zeit aber ist es ruhig um die Bande geworden. Ich denke, ihnen wurde in Texas der Boden heiß und sie haben sich entweder nach New Mex oder ins Greaserland abgesetzt.“
Finerty winkte ab. Lässig sagte er: „Wenn du mich fragst, Captain, dann brauchst du hier nur auf ihn zu warten. Von Sally erfuhr ich, dass er deinetwegen herkam. Nachdem er dich beim ersten Mal nicht antraf, wird er irgendwann noch einmal aufkreuzen, um dir das Höllentor aufzustoßen. Wir drei allerdings sind ein ziemlich lächerlicher Haufen gegen seinen Verein. Als er hier war, befanden sich bei ihm acht zweibeinige Wölfe. Mittlerweile soll sich seine Bande fast verdreifacht haben. Möglich, dass er beim nächsten Mal noch mehr Kerle von dieser Sorte mitbringt.“
„Sicher“, murmelte Shadoe Rankin. „Er kam meinetwegen zum Mustang Draw. Und er kommt wieder. Also warten wir auf ihn. Und sollte er mit hundert hartgesottenen Sattelwölfen aufkreuzen - er kriegt mein Blei zu schlucken.“
John Finerty stemmte sich am Tisch in die Höhe. „Du solltest weniger hart mit Sally umspringen, Captain“, meinte er unerschrocken und furchtlos. „Hinter ihr liegt Schlimmes. Sie ist ein gutes Mädchen. Als wir hier ankamen, hatte sie gerade ihre Mutter und ihren Bruder begraben, und sie war total gebrochen.“ Und mit zwingendem Unterton schloss er: „Sie ist deine Tochter, Captain. Das einzige, was du noch hast auf der Welt - außer deinem Hass.“
Er ging um den Tisch herum und folgte Sally nach draußen. Shadoe Rankin sprach nichts. Seine Kiefer mahlten. Seine Brauen hatten sich finster zusammengeschoben. Shadoe Rankin starrte auf einen unbestimmten Punkt an der Wand.
Jim Conner beobachtete ihn verstohlen, und er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Zeit in Fort Leavenworth, die Demütigungen und Erniedrigungen, die er erlitt, Shadoe Rankin um den klaren Verstand gebracht hatten. An Shadoe Rankin war nichts mehr Menschliches. Er war unberechenbar, tödlich gefährlich und gewissenlos geworden.
Jim Conners Puls beschleunigte sich. Die Nähe des ehemaligen Captains bereitete ihm plötzlich geradezu körperliches Unbehagen.
*
Am Sulphur Springs Creek verlor Allan Davis die Spur. Er befand sich an dem Platz, an dem der Mörder der Cowboys die vergangene Nacht verbracht hatte. Der schrale Wind trieb die erkaltete Asche des Lagerfeuers auseinander. Die Abdrücke der Pferdehufe endeten am Fluss. Drüben wimmelte es von Longhorns. Sie drängten zum Ufer, um ihren Durst zu löschen. Das Ufergestrüpp auf der anderen Seite war im Laufe der Zeit regelrecht niedergewalzt worden und verdorrt.
Es war später Nachmittag. Es war die Stunde, in der Shadoe Rankin auf seiner Farm eintraf. Allan hatte gut aufgeholt. Der Vorsprung war auf zehn Stunden geschrumpft. Jetzt aber war Allan ratlos.
Er schwang sich aufs Pferd. „Hüh!“ Er lenkte das Tier in den Fluss. Der Falbe scheute zurück. Allan redete ihm beruhigend zu. In der Flussmitte reichte das Wasser dem Tier gerade bis zum Bauch. Drüben trieb Allan es flussabwärts, bis er die riesige Longhornherde hinter sich gelassen hatte. Dann wandte er sich wieder südwestwärts.
Als es finster wurde, stieß er auf einen zerfurchten Reit- und Fahrweg. Allan folgte ihm. Im Westen begann der Abendstern zu funkeln. Allan ritt noch fast zwei Stunden, dann beschloss er, zu lagern.
Im Morgengrauen ritt er weiter. Die Morgennebel stiegen. Auf den Gräsern lag der Tau. Die Sonne schob sich wie ein Fanal über den Horizont im Osten. Auf einem verwitterten Holzschild, das am Straßenrand an einen Pfosten genagelt war, las Allan: Seminole, Gaines County, 20 miles.
Der strapaziöse Ritt steckte ihm in den Knochen. Die Wildnis, durch die er seit einer Woche zog, ödete ihn an. Er war verdrossen und müde, bärtig, staubig und verschwitzt. Auch an seinem Pferd war der hart Ritt nicht spurlos vorübergegangen. Inbrünstig hoffte er, in der Stadt einen Hinweis auf den Mann zu erhalten, der zwei Pferde mit dem Waycross-Brand ritt. Also blieb er auf dem Weg, der ihn nach Seminole führen musste.
Allan erreichte die Stadt am Nachmittag. Er brachte den Falben sofort zum Mietstall. Das Tier war ebenso mitgenommen wie er selbst. Ein bärtiger Oldtimer versorgte hier die Pferde. Manche Boxen waren leer. Der Geruch von Leder, Stroh und Pferdeschweiß stieg Allan in die Nase. Spinnweben zogen sich in den Ecken. In ihnen hingen tote Fliegen.
Der Oldtimer streute gerade mit einer Mistgabel Stroh in die Boxen. Als Allan im Eingang erschien, lehnte er die Forke gegen einen der Stützbalken, wischte sich die Hände an einer grünen, ziemlich abgenutzten Schürze ab, und schlurfte ihm entgegen.
Nachdem er Allans Gruß erwidert hatte, krächzte er wie ein kranker Rabe: „Scheinst ‘nen weiten Ritt hinter dir zu haben, Stranger.“ Er legte seine faltige Hand auf den Hals des Falben. „Ein gutes Pferd, aber ziemlich erledigt. Der Gaul braucht gut und gerne drei Tage, um wieder sein altes Format zu haben.“ Stechend und durchdringend musterte er Allan. „Gehörst du auch zu den vielen Entwurzelten, die ziellos durchs Land ziehen, die sich einfach treiben lassen, die der verdammte Krieg völlig aus der Bahn geworfen hat?“
Allan lächelte lahm. „Nein“, versetzte er, „zu dieser Sorte gehöre ich nicht, Amigo. Ich presse den Sattel der Waycross-Ranch. Sie liegt oben im Norden, am Canadian. Aber ich bin einem Burschen, auf den deine Einschätzung zutreffen könnte, auf der Spur. Er hat zwei von unseren Cowboys ermordet. Die Fährte endete am Sulphur Springs Creek, und weil dies hier der nächste größere Ort ist, dachte ich, sie hier wieder aufnehmen zu können.“
Der Oldtimer schob die Unterlippe vor, kratzte sich am Hals, dann tönte er: „Im Land wimmelt es von Mördern, Räubern, Sattelstrolchen, Abenteurern und Glücksrittern. Manchmal treibt es den einen oder anderen Burschen dieses Schlages nach Seminole. Man erkennt sie sofort. Sie haben etwas in den Augen ...“ Der Stallmann schniefte. „Kannst du den Halunken beschreiben? Was hatte er überhaupt für ‘nen Grund, die beiden Cowpuncher zu ermorden? Mit Reichtümern waren die beiden Jungs doch gewiss nicht gesegnet.“
Er hatte, während er sprach, die Zügel von Allan übernommen. Er strich dem Falben über die Nüstern. Das Tier schnaubte und spielte mit den Ohren.
Allan begann, seine Satteltaschen abzuschnallen. Über den leeren Sattel hinweg erwiderte er staubheiser: „Ich nehme an, es handelt sich um einen Heimkehrer, einen Nachzügler, den die Yanks anlässlich der letzten Amnestie laufen ließen. Die Nordstaatler schicken die Entlassenen bekannterweise nur mit dem nach Hause, was sie auf dem Leib tragen. Also brauchte der Hundesohn ein Pferd, Waffen, Kleidung und einige Dinge mehr, die ein Mann auf dem Trail unbedingt benötigt.“
„Das ist nicht viel, was du weißt, Mister - äh ...“
„Ich heiße Davis - Allan Davis.“ Allan warf sich die Satteltaschen über die Schulter und zog die Henrygun aus dem Scabbard. „Der Schuft reitet ein Pferd mit dem Waycross-Brand und führt ein zweites mit sich. Es ist dieser Brand hier.“ Allan wies mit dem Gewehr auf das Brandzeichen, das sein Pferd trug. Es waren zwei gewellte Linien, die sich kreuzten. Auf der Querlinie saßen die Buchstaben G.S. für Gene Saddler. „Well, Oldtimer, ich werde wahrscheinlich zwei oder drei Tage in Seminole bleiben und im Hotel wohnen. Sollte ein Bursche mit den beiden Pferden auftauchen, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du mich informieren würdest.“
„Nenn mich nicht Oldtimer, Davis. Sag Dooley zu mir. Jeder nennt mich nur Dooley. Mein Vorname ist in Vergessenheit geraten. Dooley! Okay?“
„Right, Dooley. Also wie gesagt ...“
„Ich werde es dich wissen lassen, wenn ein Bursche mit zwei Gäulen der Waycross-Ranch aufkreuzt. Und was dein Pferd anbetrifft, so bringe ich es wieder auf Vordermann.“
Dooley hob den Sattel herunter und legte ihn auf eine Balkenablage. Allan stakste aus dem Mietstall. Die Main Street war breit und staubig. Häuser mit falschen Fassaden reihten sich aneinander, einige wiesen Vorbauten auf, bei manchen waren die Obergeschosse vorspringend, bei wenigen sah Allan Außentreppen und Balkone, die die gesamte Breite der Vorderfront einnahmen.
In den Schatten dösten einige Hunde. Nur wenige Menschen waren im Freien. Die Nachwirkungen des Krieges waren auch in dieser Stadt spürbar. Und da es sich um den Countysitz handelte, schätzte Allan, dass hier auch Yankees stationiert waren, die in dem Ort den Ton angaben.
Allan lenkte seine Schritte zu einem Saloon auf der anderen Straßenseite. Er hatte Hunger. Die Pendeltür schlug knarrend hinter ihm aus. Im Schankraum war es düster. an verschiedenen Tischen saßen insgesamt sieben Männer. Sie fixierten ihn unverhohlen, schätzten ihn ein, machten sich ein Bild von ihm. Als Allan Platz genommen hatte, nahmen sie ihre Unterhaltungen wieder auf.
Allan bestellte ein Bier sowie ein Steak mit Bratkartoffeln und Bohnen. Der Salooner brachte ihm das Getränk, dann zog er sich in die Küche zurück. Allan trank, wischte sich den Schaum von den Lippen. Gedankenverloren beobachtete er die Fahrbahn durch das staubige Frontfenster. Als die Batwings der Schwingtür aufgestoßen wurden, wurde er abgelenkt. Ein Mann mittleren Alters betrat den Inn. An seiner Hemdbrust funkelte der Stern. Er schaute sich um, an Allan blieb sein Blick hängen, er steuerte ohne zu zögern dessen Tisch an.
Allan lehnte sich zurück und blickte ihm erwartungsvoll entgegen. Der Sheriff baute sich vor ihm auf. Zwischen ihnen war der Tisch. Der Gesetzeshüter schien sekundenlang jeden Zug in Allans Gesicht zu studieren, und plötzlich begann er:
„Seit der Krieg zu Ende ist, kommt immer wieder zwielichtiges Gesindel nach Seminole. Darum habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, jedem Fremden aufmerksam unter den Hutrand zu sehen.“ Grimmig stieß er die Luft durch die Nase aus, als er feststellte, dass er Allan kaum beeindruckte. Er beugte sich vor und stemmte seine Arme auf die Tischplatte. „Ich bin höllisch vorsichtig geworden, Stranger, seit Ben Hartfield mit seinen Sattelwölfen der Town einen Besuch abstattete. Als er diesen Landstrich wieder verließ, waren auf der Rankin-Farm eine Frau und ein Junge tot, seine Schwester hatten die Schufte vergewaltigt.“
„Sieht man es einem Mann an der Nasenspitze an, ob er ein Bandit ist?“, fragte Allan vielleicht eine Nuance zu spöttisch.
Der Sheriff musterte Allan freudlos. Ein Knurren stieg aus seinem Hals, dem Knurren einer wütenden Dogge nicht unähnlich. „Ich habe genug Menschenkenntnis, um die Spreu vom Weizen trennen zu können“, grollte er dann und zerlegte die Worte regelrecht in Silben. „Okay, Mister“, fuhr er dann nach kurzer Pause fort, „nennen Sie mir Ihren Namen und Ihr Ziel.“
Allan stellte sich vor. In diesem Moment zogen auf der Main Street zwei Reiter vorüber. Ihre Pferde gingen mit hängenden Köpfen und zogen müde die Hufe durch den Staub. Die Reiter saßen nach vorne gekrümmt in den Sätteln, wie Männer, die ziemlich ausgepumpt waren. Es waren zwei nicht besonders vertrauenserweckende Erscheinungen. Der Sheriff stieß zwischen den Zähnen hervor:
„Sehen Sie die beiden, Davis? Sie sehen aus wie Kerle, die ruhelos, voller Unrast, eine Zickzackfährte durchs Land ziehen, die immer nur interessiert, was hinter dem nächsten Hügel ist, die sich einfach nehmen, was sie brauchen, die früher oder später in die Gesetzlosigkeit absacken und dem Abgrund entgegensteuern. Diese Elemente will ich nicht in Seminole haben. Und weil das so ist, bin ich misstrauisch gegen jeden Fremden geworden. Also spulen Sie Ihren Lasso auf, damit ich mich um die beiden kümmern kann.“
Allan hatte keinen Grund, dem Sheriff irgend etwas zu verheimlichen. Mit knappen Worten berichtete er, was ihn nach Seminole verschlagen hatte. Als er fertig war, nagte der Sheriff an seiner Unterlippe, schien intensiv nachzudenken, dann meinte er: „Es klingt glaubhaft und überzeugend.“ Der Sheriff nahm die Hände vom Tisch und richtete sich auf, reckte die Schultern und nickte wiederholt. „In Ordnung, Davis. Ich werde die Augen offenhalten. Sollte der Schuft in der Stadt auftauchen, wird es aber meine Aufgabe sein, ihm auf die Zehen zu treten. Wir verstehen uns?“
„Sicher“, murmelte Allan und schaute dem Salooner entgegen, der sein Essen brachte.
Der Gesetzeshüter verließ den Saloon. Er starrte den beiden Reitern hinterher, die gleich darauf vor dem Mietstall absaßen. Die Schatten waren lang geworden und krochen schnell über die Fahrbahn. Über den Bergen im Westen hing die Sonne. Von Osten her näherte sich grauer Dunst. Entschieden stakste der Sheriff los ...
*
Allan schob den leeren Teller zurück und trank einen Schluck von seinem Bier, als die beiden Fremden, die das Missfallen des Sheriffs erregt hatten, den Schankraum betraten. Sie gingen zum Tresen und bestellten Brandy. Staub rieselte von ihren Schultern, wenn sie sich bewegten.
Nach und nach kamen weitere Gäste in den Inn. Unter der niedrigen, verräucherten Holzdecke brodelte bald chaotisches Durcheinander von Stimmen. Der Salooner hatte die Lampen angezündet, die über den Tischen hingen. Tabakqualm schlierte um die Laternen. Vor den Fenstern hing die Dunkelheit.
Dooley tauchte auf. Sein suchender Blick erfasste Allan, schnell kam er zu dessen Tisch, schwang einen Stuhl herum und setzte sich rittlings darauf. Er wies mit dem Daumen auf die beiden Fremden beim Tresen und gab leise zu verstehen: „McLean fühlte den beiden auf den Zahn, Davis. Es sind ehemalige Soldaten, und sie wollen zur Rankin-Farm. Vor einigen Wochen tauchten schon einmal zwei Kerle von der selben Schattierung auf, und auch ihr Ziel war die Farm. Sie wollten dort auf Shadoe Rankin warten, der etwa ein halbes Jahr vor Kriegsende bei einem Himmelfahrtskommando den Yanks in die Hände fiel.“
„Die Rankin-Farm erwähnte bereits der Sheriff“, antwortete Allan. „Eine Frau und ein Junge sollen dort ums Leben gekommen sein, nachdem ein gewisser Hartfiel ihr einen höllischen Besuch abstattete. Die Schwester des Jungen ...“
„Die beiden Fremden, die vor ein paar Wochen auftauchten, haben sich bei Sally eingenistet. Sie sprachen davon, dass sie in Shadoe Rankins Kompanie kämpften. Von diesem Hartfield berichteten sie, dass er Sergeant unter Rankin war, dass dieser ihn vor das Kriegsgericht brachte und dass Hartfield vor einem Exekutionskommando landen sollte. Irgendwie muss er dem Henker ausgebüchst sein. Der Überfall auf die Rankin-Farm geschah also nicht zufällig. Das ganze riecht verdammt nach einem Racheakt. - Nun kreuzen wieder zwei Kerle auf, denen ich in der Nacht nicht alleine begegnen möchte.“
„Und in welchem Zusammenhang sollen die Burschen, die sich auf der Farm ein Stelldichein geben, mit diesem Hartfield stehen?“, fragte Allan, der den Worten des Oldtimers mit mäßigem Interesse gefolgt war, weil sie nichts mit seiner Mission, die ihn nach Seminole führte, zu tun hatten.
„Hartfield hat versprochen, noch einmal zu kommen, und zwar dann, wenn Shadoe Rankin heimgekehrt ist. Der Überfall sorgte im Land für Furore. Es wurden auch die Hintergründe bekannt. Möglich, dass jene Burschen, die sich ihrem ehemaligen Captain verpflichtet fühlen, ihm gegen Hartfield und seine Galgenvögel beistehen wollen. Vielleicht musst du den Mister mit den Waycross-Pferden auch auf der Rankin-Farm suchen.“
Sofort war Allan hellwach. Er aktivierte alle seine Sinne und dehnte schließlich: „Das ist vielleicht nicht von der Hand zu weisen, Dooley. Ich darf nichts außer acht lassen. Wo finde ich die Rankin-Farm?“
„Acht Meilen den Fluss hinunter, an der Mündung in den Mustang Draw.“
Zwei Tische weiter taumelte ein Mann betrunken in die Höhe. Er hatte Probleme, das Gleichgewicht zu halten. Auf seinem Kopf saß eine Mütze mit einem grünen Schirm. Mit alkoholschwerer Zunge lallte er laut: „Heute bin ich betrunken genug, um schlafen zu können. Seit ich erfahren habe, dass sie die Soldgelder für unsere glorreichen Blaubäuche mit der Stagecouch von Amarillo herunterschicken, finde ich keinen ...“
Ein anderer Mann erhob sich schnell und zerrte den Betrunkenen hinter sich her zum Ausgang. Einige Kerle lachten amüsiert. Andere starrten mit gemischten Gefühlen auf die pendelnden Türflügel, durch die die beiden verschwunden waren.
„Ist es üblich, dass die Soldgelder mit der Postkutsche befördert werden?“, wollte Allan wissen. Er sprach gerade so laut, dass Dooley ihn verstehen konnte.
„Nein, bei Gott. Nachdem aber immer wieder die Transporte der Armee überfallen werden, bauen die Verantwortlichen möglicherweise darauf, dass kein Aas das Geld in der Postkutsche vermutet. Wer weiß schon, was in den Köpfen dieser Gentleman vor sich geht. Hm, jetzt hat es dieser Narr in seinem Rausch hinausposaunt. Ich möchte nicht wissen, durch wie viele Köpfe jetzt hier im Inn der Gedanke an das viele Geld geistert.“
„Wenn kommt die nächste Kutsche?“
„Sie verkehrt zweimal im Monat.“ Dooley dachte kurz nach. „In drei oder vier Tagen - ja, sie trifft spätestens in vier Tagen in Seminole ein.“
Gedankenvoll beobachtete Allan die beiden Fremden beim Schanktisch, die die Worte des Postofficers sicherlich ebenfalls vernommen hatten und die nun die Köpfe zusammensteckten und miteinander tuschelten.
Die beiden gefielen ihm nicht. Es waren Sattelstrolche. Im Krieg waren diese Burschen verroht und gewissenlos geworden. Allans Denken begann sich auf die Rankin-Farm zu konzentrieren. Er winkte den Salooner heran, spendierte Dooley einen Drink, und bezahlte seine Rechnung. Dann verließ er zusammen mit Dooley den Inn. Dooley verabschiedete sich von ihm. Allan ging ins Hotel, mietete ein Zimmer, brachte seine Satteltaschen hinauf, und warf sich, angezogen wie er war, auf das Bett. Bleischwer steckte die Müdigkeit in seinen Knochen ...
*
Am folgenden Morgen suchte er zuallererst den Barber Shop auf. Er nahm ein Bad, anschließend ließ er sich die Haare schneiden und rasieren. Er fühlte sich wie neugeboren. Auf dem Sidestep vor dem Barber Shop blieb er stehen, schaute die Straße hinauf und hinunter. Schräg gegenüber, etwa hundert Yards entfernt, saß Sheriff Fred McLean auf dem Vorbau vor dem Office in einem Schaukelstuhl. Er hatte die Füße auf dem Vorbaugeländer liegen und schien zu dösen.
Die Main Street durchlief den Ort ein ganzes Stück von Norden nach Süden, bei der Bank of Texas knickte sie aber nach rechts ab und führte nach Westen. Sie endete bei der Holzbrücke, die über den Fluss gebaut worden war.
Um diesen Knick ritten in diesem Augenblick die beiden Fremden, die am Vortag kurz nach Allan in Seminole angekommen waren. Sie achteten auf nichts und niemand, passierten das Sheriff Office und schenkten auch dem lümmelnden Gesetzeshüter keine Beachtung. Allan legte seine Hände auf das Geländer. Die beiden Reiter zogen vorbei. Allan setzte sich in Bewegung.
Als er fünf Minuten später das Hotel verließ, trug er seine Satteltaschen und das Gewehr. Er musste an McLean vorbei. Mit einer wischenden Handbewegung vertrieb der Sheriff die lästigen Insekten, die um seinen Kopf herumtanzten, mit einem Ruck erhob er sich. Der Schaukelstuhl wippte.
McLean befeuchtete sich mit der Zungenspitze die Lippen. Allan ging weiter, nachdem er dem Sheriff grüßend zugenickt hatte. McLeans brummiges Organ holte ihn ein, er verhielt und drehte den Kopf. McLean sagte: „Sie verlassen Seminole?“
„Sie freuen sich zu früh, Sheriff“, entgegnete Allan mit ironisch gefärbtem Unterton. Dass der Sheriff jeden Fremden am liebsten von hinten sah, wusste er. Ihm war aber auch klar, dass McLean keinem die Stadt verbieten konnte, solange er sich gesittet verhielt. Und wenn er zehnmal wie ein Ganove aussah. Deshalb der leise Spott in seiner Stimme.
McLean grunzte unwirsch: „Die beiden Strolche sind wieder abgezogen. Sie geben sich ein Stelldichein auf der Farm Shadoe Rankins.“ Er drehte etwas den Kopf und starrte versonnen hinter den beiden Reitern her.
„Ich weiß.“ Allan grinste, als er die Überraschung des Sheriffs bemerkte. „Um diese Farm scheint sich ja eine Menge zu drehen“, fügte er hinzu, ehe McLean zu einer Frage ansetzen konnte.
„Yeah“, dehnte der Sheriff, „und das gefällt mir nicht.“ Er kniff die Lippen zusammen. Kurz darauf schnappte er: „Irgendwie sagt mir mein Verstand, dass es dort draußen bald nach Pulverdampf und Tod riecht. Wenn ich an Hartfields höllisches Versprechen denke ...“
„Es ist so, dass die Farm eine Reihe von Kerlen anzieht, denen der besagte Geruch anhaftet, Sheriff. Vielleicht war das Ziel meines Mannes auch diese Farm. Man kann nie wissen, nicht wahr?“
McLean zog den Kopf zwischen die Schultern. „Wenn es so ist, Davis, dann kann das verdammt ins Auge gehen“, spuckte er regelrecht hinaus. „Was gedenken Sie zu unternehmen, wenn Sie den Hombre dort aufspüren? Ihm ins Gesicht schleudern, dass er ein dreckiger Killer ist und Sie ihn bestrafen wollen? Ho, Sie werden dort draußen einige höllisch heiße Eisen gegen sich haben. Und hinter Ihnen wird hier kein Hahn herkrähen. Hier ist sich jeder nur noch selbst der Nächste.“
In Allans Mundwinkel kerbte sich ein entschlossener Ausdruck. „Ich kann auf mich aufpassen, Sheriff“, murmelte er, und es klang abschließend und endgültig.
Allan wollte weitergehen. Der Sheriff rief: „Ich reite mit Ihnen, Davis. Ich muss sowieso auf die Farm wegen der rückständigen Steuern. Das Ultimatum, das ich Sally gesetzt habe, läuft zwar erst morgen ab, aber so kann ich gleich mal nach dem rechten sehen dort draußen.“
„Meinetwegen“, stimmte Allan zu, und dann sah er McLean durch die Tür ins Office schreiten.
Als der Sheriff wieder heraustrat, trug er ein Gewehr. Er hatte es sich auf die Schulter gelegt und hielt es am Lauf fest.
Nebeneinander betraten sie den Mietstall. Dooley hielt in der Arbeit inne. Allan sagte: „Gib mir eins von deinen Pferden, Dooley. Möglich, dass mein Tier mit dem Waycross-Brand auf der Rankin-Farm nicht gerade Freude erregt.“
„Ihr reitet also hinaus“, krächzte der Oldtimer, griff in die Tasche, holte eine Stange Kautabak heraus und biss herzhaft hinein. Kauend sprach er weiter: „Hat dir eigentlich schon jemand erzählt, McLean, dass Donovan gestern Abend im Suff im Saloon lauthals hinausposaunte, dass das nächste Soldgeld für unsere blauuniformierten Sieger mit der Stagecouch befördert wird?“
Der Sheriff machte ein Gesicht, als hätte er einen Kaktus geschluckt. „Mit der Stagecouch?“, entrang es sich ihm ungläubig. „Alle neune, welcher Teufel reitet die Blaubäuche im Stab, dass sie derart leichtsinnig werden. Davon wusste ja nicht mal ich etwas.“ Seine Nasenflügel vibrierten kurz. „Die Hölle verschlinge Donovan, wenn er mit seinem vorlauten Mundwerk irgendwelchen niederträchtigen Hombres einen Tipp gab. Ich werde ihm persönlich die Hammelbeine langziehen, wenn mit der Kutsche etwas passiert.“
„Wahrscheinlich sitzt Donovan mit schmerzendem Schädel und einem vernichtenden Kater im Postdepot und quält sich mit den heftigsten Vorwürfen“, knurrte Dooley, dann machten sie sich daran, zwei Pferde zu satteln und zu zäumen.
*
Die Sonne schien heiß. Vor Henry Douglas und Stan Hancock lag die Farm. Das Wasser des Mustang Draw reflektierte das Sonnenlicht. Die Farm vermittelte Ruhe und Frieden. Die beiden Reiter trieben ihre Pferde die Hügelflanke hinunter und näherten sich der Farm. Als sie in den Hof ritten, flohen die Hühner mit zeterndem Gegacker nach allen Seiten auseinander.
Aus den kleinen, schießschartenähnlichen Fenstern des Farmhauses wurden Gewehrläufe geschoben. Mit hartem Schnappen wurden Patronen in die Läufe geriegelt. Douglas und Hancock parierten die Pferde und Douglas rief: „Sind wir hier richtig auf der Farm Captain Shadoe Rankins? Wenn wir nicht vom beschriebenen Weg abgekommen sind, dann müssten wir bei der richtigen Adresse gelandet sein.“
Kurze Zeit herrschte atemlose Stille, dann röhrte ein Organ: „Ich fresse meine Stiefel, wenn da nicht Henry Douglas und Stan Hancock auf ihren Kleppern sitzen. He, ihr alten Haudegen, seid ihr’s oder täusche ich mich?“
Hancock erwiderte laut: „Der Stimme nach bist du es, John Finerty. Jetzt sag nur noch, dass auch dein Busenfreund Jim Conner hier ist.“
Ein Mann kam aus der Tür. Groß, hager, hohlwangig und breitbeinig stand er vor dem Haus. Ein verzerrtes Grinsen entblößte seine Zähne.
„Captain!“, entfuhr es Hancock. „Die Yanks haben dich also nach Hause geschickt.“
Finerty und Conner traten hinter Shadoe Rankin ins Freie. Sie hielten ihre Gewehre quer vor der Brust und grinsten breit. Douglas und Hancock ließen sich aus den Sätteln gleiten und eilten auf Shadoe Rankin zu. Sie schüttelten sich die Hände, klopften sich auf die Schultern, derbe Scherze wurden ausgetauscht.
Sally beobachtete alles vom Fenster aus. In dem Mädchen war eine unerklärliche Angst. Irgendwie, das spürte sie, war etwas in Vorbereitung, das sie alle ins Verderben reißen konnte.
Draußen sprachen die Männer miteinander. Lachen erschallte. Bruchteile des Gespräches konnte sie verstehen. Und dem wenigen entnahm Sally, dass Douglas und Hancock in New Mexiko von dem Überfall durch Hartfield auf die Farm hörten und dass sie nicht zögerten, zum Mustang Draw zu trailen, für den Fall, dass sie hier benötigt würden.
Sally fragte sich, was ihr Vater wohl für ein Vorgesetzter gewesen war, weil ihm seine Männer selbst nach dem Krieg noch treu ergeben waren. Von John Finerty hatte sie erfahren, dass sie alle einer Eliteeinheit der Texasbrigade angehört hatten, die hinter den feindlichen Linien operierte. Finerty hatte ihr auch erzählt, dass ihr Vater am härtesten zu sich selbst war. Er forderte von seinen Soldaten niemals mehr als von sich selbst. Wahrscheinlich war es das ...
Douglas und Hancock führten ihre Pferde in den Stall. Shadoe Rankin, Finerty und Conner gingen mit ihnen. Im Stall war es finster, und so zündete Conner eine Laterne an. Der Lichtschein kroch in die Ecken. Vier Pferde standen in den Boxen. Sie hatten die Köpfe gedreht und beäugten die Männer und ihre Artgenossen, die noch unter den Sätteln waren.
Stan Hancock stieß einen überraschten Laut aus. Er deutete auf eines der Tiere und stieß hervor: „Dieser Brand, diese gekreuzte Wellenlinie, stammt er aus der Gegend?“
Shadoe Rankin griente faunisch. „Gewiss nicht. Die Gäule stammen oben vom Canadian.“ Unvermittelt wurde er ernst, sein Blick verkrallte sich an Hancocks Gesicht. „Was ist mit dem Brand?“, klirrte seine Stimme.
„Ein Pferd mit dieser Markierung stand im Mietstall von Seminole“, gab Stan Hancock zurück. Er schob das Kinn vor. „Dir sind die Gäule doch nicht zugelaufen, Captain. Möglich, dass der Bursche, dessen Pferd ich im Mietstall sah, hier ist, um sie sich zurückzuholen.“
Shadoe Rankin knirschte eine lästerliche Verwünschung. Zwischen seinen engen Lidschlitzen glitzerte es fanatisch.
„Wir haben auch eine gute Nachricht“, gab Henry Douglas zum Besten. „Vorausgesetzt, ihr habt den Yanks noch nicht verziehen, dass sie unsere Jungs wie räudige Hunde zusammenknallten und unser Land wie eine Heuschreckenplage überschwemmten. Durch Zufall erfuhren wir gestern Abend im Saloon, dass ein Soldgeldtransport mit der Postkutsche von Amarillo herunter unterwegs ist. Wir haben uns beiläufig ein wenig umgehört und fanden heraus, dass die Kutsche in drei oder vier Tagen in Seminole eintrifft. Das wäre doch was. Wir könnten den Yanks das Geld abjagen und ihnen einige Dinge heimzahlen.“
Shadoe Rankin hatte überhaupt nicht richtig hingehört. Ihn beschäftigte das Pferd mit dem Waycross-Brand, das Hancock in der Stadt gesehen hatte. Mehr noch als das Pferd der Reiter. Er war gewiss nicht von ungefähr hier.
„Ich muss mich um den Mister kümmern“, entfuhr es ihm unwillkürlich. Sein Kopf ruckte hoch. „Hast du den Hombre mit dem Waycross-Gaul kennengelernt, Stan?“
„Nein. Ich machte mir doch keine Gedanken wegen des Brandzeichens, und ich hätte es schon wieder vergessen, wenn es mir hier nicht wieder in die Augen gesprungen wäre. - Was hat es damit auf sich?“
„Er hat die beiden Kerle, denen die Pferde gehörten, über den Jordan geschickt!“, erklärte John Finerty und enthob so Shadoe Rankin einer Antwort.
Stan Hancock pfiff verstehend zwischen den Zähnen.
*
Es war keine halbe Stunde später, als Fred McLean und Allan auf der Farm eintrafen. Shadoe Rankin und die ehemaligen Soldaten saßen am Tisch in der Küche. Sally goss ihnen gerade dampfenden Kaffee in verbeulte Zinnbecher. Ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass Sally alles mithörte, erklärte Rankin mit hassgetränkter Stimme: „Es wäre mir lieber, Yankee würden den Geldtransport sichern. Nichts täte ich lieber, als heißes Blei in die blauen Uniformen hineinzujagen.“
Um Sallys Herz schien sich eine eisige Hand zu verkrampfen, das Mädchen spürte Gänsehaut. Der Hass ihres Vaters grenzte schon an Wahnsinn und Besessenheit. In seinem Innern war noch Krieg. General Lee hatte bei Appomattox kapituliert - Shadoe Rankin nicht. Was er von sich gegeben hatte, war in seiner Unmissverständlichkeit erschreckend. Er war nur noch aus Hass und Leidenschaft und allem, was unmenschlich und grausam macht, zusammengesetzt. Niedrigste Beweggründe beseelten und trieben ihn. Die Zukunft machte dem Mädchen Angst. Finster wie ein Höllenschlund lag sie vor Sally.
„Pfeif drauf!“, schnarrte Henry Douglas, unter dessen gierigen Blicken Sally erschauerte. „Wenn wir das Soldgeld rauben, versetzen wir den Yanks auch so eine gehörige Schlappe. Im Endeffekt aber interessieren sie mich kaum. Sie haben den Krieg gewonnen - basta. Ich will mir nur ein Stück von dem Kuchen abschneiden, den es zu verteilen gilt. Und da du als Texaner in deinem eigenen Land nichts mehr giltst, musst du dir eben holen, was man dir nicht freiwillig gibt.“
Draußen pochte Hufschlag. John Finertys Gestalt wuchs in die Höhe, er glitt zum Fenster und äugte hinaus. „Zwei Reiter - Gosh, es ist der Sheriff und noch einer. McLean kommt einen Tag zu früh.“
Voll düsterer Ahnungen erhob sich Shadoe Rankin. Er ging zur Wand, an der sein Gewehr lehnte und bestimmte: „Ihr rührt euch nicht. Ich verhandle mit dem Sternschlepper.“
„Den anderen sah ich gestern Abend im Saloon“, bemerkte Henry Douglas, der ebenfalls zum Fenster getreten war. „Da war er zwar unrasiert und sah ziemlich mitgenommen aus, aber ich erkenne ihn ganz deutlich. Es ist der Hombre.“
„Sicherlich der Bursche von der Waycross-Ranch“, zischte Stan Hancock.
„Du wirst dir etwas einfallen lassen müssen, Captain“, gab John Finerty zu verstehen. „Ich schätze, mit Worten allein kommst du nicht sehr weit. Es ist wohl besser, wenn wir uns bereithalten.“
Shadoe Rankin nickte, dann verließ er das Haus.
McLean und Allan hatten die Pferde gezügelt. Die Sonne schien ihnen in die Gesichter und blendete sie, und so erkannte der Sheriff den Mann, der aus dem Haus trat, nicht sogleich. Plötzlich aber weiteten sich seine Augen vor Überraschung und ungläubigem Erstaunen. Ihm entfuhr es: „Du, Shadoe Rankin! Du bist zurück!“
„Wie du siehst, McLean. Ich kam gestern an, und was ich vorfand, war wenig begeisternd. Meine Frau und mein Sohn wurden von hundsgemeinen Banditen ermordet, Sally vergewaltigt, meine Farm ist dem Verfall preisgegeben.“ Er vollführte eine umfassende Armbewegung in die Runde. „Ich werde wohl aufgeben, McLean.“
Unablässig hatte er Allan beobachtet. Und umgekehrt war es ebenso. Fiebrige Erregung war in Allan. Der Farmer trug Kleidungsstücke von Ted Jennings und Brian Faithful. Den Revolvergurt, den er um die Hüften geschlungen hatte, identifizierte Allan eindeutig als den Ted Jennings’. Und er wusste, dass er den Mörder der beiden Cowboys vor sich hatte. Die Erkenntnis traf ihn mit Wucht, und in seinem Kopf gab es nur noch Platz für den einen Gedanken: Er war es! Er ist der hundsgemeine Mörder ...
Gewaltsam hielt Allan sich zurück. Ihm waren die Kerle hinter den kleinen Fenstern nicht verborgen geblieben. Wahrscheinlich hatte jeder von ihnen eine schussbereite Waffe in den Fäusten. Nur mühsam bezwang Allan den Aufruhr seiner Empfindungen.
Der Sheriff legte seine Hände übereinander auf den Sattelknopf, drückte die Arme durch und sein linker Mundwinkel zuckte in die Höhe, als er sprach: „Bevor du das Land verlässt, Shadoe Rankin, muss ich die Steuern für vier Jahre bei dir eintreiben. Insgesamt hundert Dollar. Und dann will ich mir mal die Pferde ansehen, die in deinem Stall stehen.“
Scheppernd lachte Shadoe Rankin auf. Dann veränderte sich sein Gesicht zu einer gehässigen Fratze. „Wie kommt es, dass du noch den Stern trägst, McLean“, rief er mit ätzendem Unterton. „Wurden nicht alle elitären Ämter von den Yankees besetzt? Nur Kerle, die ihnen aus der Hand fressen und ihnen hinten hineinkriechen, sind verschont geblieben. Du hast, wie mir scheint, das beste für dich aus der Niederlage gemacht, McLean. Ein Mann wie ich, der vier Jahre lang tagtäglich Kopf und Kragen riskierte, müsste dir eigentlich vor die Füße spucken.“
McLeans Gesicht lief dunkel an. An seiner Schläfe schwoll die Zornesader. Er musste zweimal ansetzen, denn das, was ihm soeben Rankin an den Kopf schleuderte, verschlug ihm die Sprache. Schließlich aber brach es grimmig aus ihm heraus: „Wie du über mich denkst, ist mir egal, Rankin. Ich bin Sheriff geblieben und du musst es akzeptieren. Wahrscheinlich kannst du die hundert Bucks nicht zahlen. Das berechtigt mich, zu pfänden. Ich gehe jetzt in deinen Stall und hole mir heraus, was einem Wert von etwa hundert Dollar entspricht.“
„Was drängt dich so in meinen Stall, McLean?“, peitschte Shadoe Rankins Organ. „Und wer ist überhaupt der Mister, der dich begleitet? Niemand hat ihn auf meinen Grund und Boden eingeladen. Er hat hier nichts zu suchen.“
Der Sheriff war abgesessen. Mit einem Ruck holte er die Henry Rifle aus dem Sattelhalfter. Er klemmte sich den Kolben zwischen Unterarm und Rippen und legte den Schaft in die Armbeuge. Seine Rechte hing neben dem Sechsschüsser.
„Das kann ich dir sagen, Rankin“, presste McLean unbeeindruckt hervor. „Er ist Vormann auf der Waycross-Ranch oben am Canadian, und er sucht zwei Pferde, die der Ranch gestohlen wurden. Dabei gingen zwei gute Weidereiter der Ranch vor die Hunde. Du kamst doch sicher aus dem Norden, Rankin. Du musstest doch über den Canadian, um heimzugelangen. - Bei Gott, Rankin, wenn ich die Gäule in deinem Stall finde, dann Gnade dir Gott. Du weißt, was mit Pferdedieben und Mördern in Texas geschieht?“
Es war aus dem Mund des Sheriffs wie eine tödliche Verheißung gekommen. Impulsiv riss Shadoe Rankin das Gewehr an die Hüfte. Die Mündung wies wie das hohle Auge eines Totenschädels auf Allan. Rankins Finger schoben sich in den Ladebügel, sein Oberkörper schwang leicht nach vorn, in seinen Augen glomm ein böser Funke. Seine Lippen klafften auseinander, seine Stimme klirrte: „Die Gäule stehen in meinem Stall, McLean. Sie standen am Flussufer. Nicht weit davon entfernt fand ich die beiden Toten. Der Teufel weiß, wer sie niederknallte. Nun, ich war ohne Pferd, hatte nur die Uniformfetzen am Leib, und ich besaß keine Waffe. Also überlegte ich nicht lange.“
Ein wölfisches Grinsen folgte seinen Worten. Aus jedem seiner Züge sprachen selbstsichere Ruhe und ein großes Maß an Überheblichkeit. Seine Haltung war ebenso herausfordernd wie sein Gegrinse.
Skeptisch starrte ihn der Sheriff an. Die überzeugende Festigkeit im Tonfall Rankins verwirrte ihn und machte ihn unsicher.
„Das ist eine gottverdammte Lüge!“, fauchte Allan. „Sie tragen die Klamotten der Ermordeten und den Gürtel samt Colt eines der armen Kerle, und in Ihrem Stall stehen ihre Pferde. Das lässt nicht den geringsten Zweifel offen, denke ich.“
Rankin betrachtete ihn fast mitleidig. „Darauf gibt es eigentlich nur eine einzige Antwort!“, stieß er plötzlich hervor und repetierte, sein Zeigefinger legte sich hart um den Abzug.
„Nein, Dad!“, kreischte da Sally und rannte aus der Haustür, hängte sich an seinen Arm und brachte ihn fast aus dem Gleichgewicht. Der Schuss löste sich, die Kugel fuhr in den Boden und ließ Staub und Erdreich spritzen. Der scharfe Knall wurde von den Gebäuden zurückgeworfen.
Allan war gedankenschnell aus dem Sattel. Er nahm das Gewehr mit und lud es durch, leidlich durch das Pferd gegen die Kerle im Haus gedeckt. McLean stand geduckt, das Gewehr im Hüftanschlag, ungeschützt im Hof und belauerte Shadoe Rankin. Dieser versetzte mit einem üblen Fluch auf den Lippen seiner Tochter einen Stoß, der sie in den Staub warf. Eine der Fensterscheiben zerbarst klirrend, ein Mann rief schroff, drohend und gleichzeitig warnend: „Wenn ihr den Tanz wollt, werden wir nicht kneifen, Sheriff. Nun klemmt euch eure Klepper zwischen die Oberschenkel und zieht Leine. Dass der Captain zwei Burschen erschossen haben soll, könnt ihr ihm nicht beweisen. Dass er seine Steuern nicht bezahlen kann, ist kein Verbrechen. Also habt ihr einen Dreck gegen ihn in der Hand. Darum haut ab, ehe wir auf deinen Stern spucken, McLean.“
Sally hatte den Oberkörper aufgerichtet. Einige Locken ihrer blonden Haare hingen ihr in die Stirn. Ein Blick in ihre Augen eröffnete einen gähnenden Abgrund von Grauen, Angst und Schock. Eine Reihe der unterschiedlichsten Gemütsregungen lief über ihr hübsches Gesicht. Fassungslosigkeit und Entsetzen überspülten ihren Verstand und riefen Benommenheit in ihrem Kopf hervor.
„In dieser Sache ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, Shadoe Rankin!“, stieg es unheilvoll und vielversprechend aus Allans Kehle. Er sah das Mädchen und empfand Mitleid. „Für mich sind Sie der Mörder meiner Männer.“
Er zielte auf Rankin, und es juckte ihm in den Fingern. Das zynische, abstoßende Grinsen des Farmers brachte sein Blut zur Wallung. Doch Allan wusste, wann er klein beigeben musste. Er dachte dabei weniger an sich. McLean stand völlig ungedeckt im Hof, wie auf einem Präsentierteller für die Kerle im Haus. Auch wollte Allan das Mädchen nicht in Gefahr bringen. Für das erste reichte es ihm, den Mörder zu kennen. Ihn zu stellen und zur Rechenschaft zu ziehen musste er auf einen anderen Zeitpunkt verschieben. Mit widerwärtig galligem Geschmack in der Mundhöhle rief er: „Reiten wir, Sheriff. Es ist besser ...“
Rückwärtsgehend näherte sich McLean seinem Pferd. Als er im Sattel saß, herrschte Rankin ihn an:
„Und lasst euch auf meinem Land nicht wieder blicken, Sheriff. Schreib die hundert Dollar in den Wind. Du kannst die Farm von mir aus versteigern, wenn wir fort sind.“
Rankin lachte schallend und herausfordernd.
Allan kletterte aufs Pferd. Sie stießen die Gewehre in die Scabbards, zogen Tiere herum und gaben ihnen die Köpfe frei.
*
„Verschwinde ins Haus, Sally!“, befahl Shadoe Rankin barsch.
Das Mädchen rappelte sich auf die Beine. Ihre Wangen zitterten. Sally war noch lange nicht Herr ihrer Gefühle. Zu tief hatte sich die Panik in ihr Gemüt eingenistet.
Die vier Kumpane ihres Vaters drängten ins Freie.
„Wird’s bald!“, blaffte Shadoe Rankin, als Sally unschlüssig stehen blieb.
Sally entfernte sich. Die vier Kerle scharten sich um Shadoe Rankin. Verkniffen starrten sie den beiden Reitern hinterher. Shadoe Rankin knurrte: „Sie dürfen Seminole nicht erreichen. Wenn doch, kriegen wir keine Ruhe vor ihnen. Weder McLean noch der Mister von der Waycross-Ranch sind zu unterschätzen. Womöglich kehren sie mit einem Aufgebot zurück. - Worauf wartet ihr?“
„Sie umzulegen hätten wir vorhin einfacher haben können“, maulte Jim Conner. „Es wäre weniger Aufwand gewesen. Wenn wir sie in den Fluss geworfen hätten, wären sie ...“
„Narr!“ So fuhr ihm Shadoe Rankin brechend in die Rede. „Du vergisst Sally. Es war sowieso schon dumm und leichtsinnig von mir, ihr nicht zu verheimlichen, dass ich die beiden Narren am Canadian auf die lange Reise schickte. Sally ist ein Schwachpunkt. Wäre es einer von euch“ - Shadoe Rankin sah einen nach dem anderen zwingend und kalt wie ein Reptil an -, „würde ich ihn ohne mit der Wimper zu zucken eleminieren. Sally aber ist meine Tochter.“
Sie zogen die Köpfe ein. Ein Eishauch schien sie zu streifen. „Es ist gut“, sagte John Finerty abgehackt und heiser. „Du gibst die Befehle, Captain, und wir führen sie ohne wenn und aber aus. So war das, und so bleibt es. - Vorwärts, satteln wir unsere Gäule.“
Sie stapften zum Stall und verschwanden im Innern.
Zufrieden blickte Shadoe Rankin zehn Minuten später hinter ihnen her. Sie hatten es gelernt, zu gehorchen, seine Befehle widerspruchslos hinzunehmen. Der Hufschlag entfernte sich schnell. Von McLean und dem Fremden, der vom Canadian herunter auf ihrer Fährte gezogen war, konnte Shadoe Rankin nichts mehr sehen. Schließlich entschwanden auch seine Männer aus seinem Blickfeld.
Es war wie im Krieg, wenn er sie zu einem Sondereinsatz fortgeschickt hatte.
Shadoe Rankin wandte sich mit gesenktem Kopf ab. Im Haus rief er nach Sally. Als sie erschien, murmelte er fast entschuldigend: „Irgendwann gehen wir nach Mexiko, Sally-Mädchen. Das wird sein, wenn ich meinen ganz persönlichen Krieg gewonnen habe. Nur wir beide. Dann sind wir reich und werden im Greaserland angesehen sein. Die Kerle aus den reichen Häusern, die jungen Dons und vornehmen Caballeros, werden dir dann zu Füßen liegen wie einer Fürstin. Alles, was ich deiner Mutter niemals bieten konnte, bekommst du. Das verspreche ich dir.“
Ihre Augen schwammen in einem See von Tränen. In ihrem Gesicht und in ihren Haaren klebte noch der Staub vom Hof. Ihre Schultern zuckten, ein trockenes Schluchzen entrang sich ihr.
Shadoe Rankin war eine total gespaltene Persönlichkeit. Seine Stimmungen waren so wechselhaft wie die Farbe eines Chamäleons. Sally konnte seine Launen verstandesmäßig nicht mehr verarbeiten. Sie begann, an seinem Verstand zu zweifeln. Und diese Tatsache ließ sie wieder im Würgegriff einer grenzenlosen Angst erbeben. Zaghaft, mit geradezu kläglicher Stimme, fragte sie:
„Wohin reiten deine Freunde, Dad? In welchem Auftrag hast du sie losgeschickt? Sie sollen doch nicht etwa den Sheriff und diesen Fremden aus dem Weg räumen?“
Die seltsame Wärme, die soeben noch den Ausdruck seiner Augen beherrschte, wich und machte flirrender Kälte Platz. Schneidend entgegnete er: „Es gibt Dinge, die nur der versteht, dem sie notwendig erscheinen. Zerbrich dir nicht meinen Kopf, Tochter. Ich weiß, was zu tun ist. Und von nun an wirst du dich nicht mehr in meine Angelegenheiten einmischen. Das ist ein Befehl. Du hast zu gehorchen. Das Denken ist meine Sache.“
Währenddessen stoben die vier Komplizen Shadoe Rankins zwischen den Hügeln hindurch. Die Hufe ihrer Pferde wirbelten. Der Reitwind bog die Krempen ihrer Hüte vorne senkrecht in die Höhe, die Halstücher flatterten.
In einem weiten Bogen überholten sie Allan und den Sheriff. Dann schwenkten sie wieder zum Fluss ein. Es war ungefähr auf der halben Strecke zwischen der Farm und Seminole. Der Weg lief am Fluss entlang, entfernte sich aber manchmal von ihm, wenn die Bodenerhebungen bis an das Ufer heranreichten. Dann folgte er den Windungen zwischen den oftmals steilen Abhängen.
Ruinenähnliche Felsgebilde erhoben sich manchmal auf den Hügelkämmen. An ihrer Basis lagerten übereinandergetürmte Felsblöcke, die irgendwann im Laufe der Erdgeschichte heruntergestürzt waren. In den Fugen und Ritzen dazwischen hatte sich Erdreich gefangen, das der Wind herantrug, und auf diesem kärglichen Nährboden wucherte dorniges Gestrüpp.
Auf zwei Erhebungen beidseits des Weges, den der Sheriff und der Fremde kommen mussten, postierten sich die Kerle. Ihre Pferde leinten sie im Schutz der Felsen an. In jedem von ihnen war die kalte Bereitschaft zum Töten. Blindlings folgten sie Shadoe Rankin auf dem Pfad in die Gesetzlosigkeit. Zumindest John Finerty, der sich unsterblich in Sally verliebt hatte, und Jim Conner, der schon während des Krieges nur dann von Finertys Seite gewichen war, wenn es sich nicht anders einrichten ließ.
Bei Henry Douglas und Stan Hancock war es eiskalte Berechnung. Sie waren nicht von ungefähr zum Mustang Draw gekommen. Sie schlüpften lediglich in die Rollen, die Shadoe Rankin ihnen zuschrieb. In den beiden war eine wilde Genugtuung. Ohne jeden Vorbehalt und bar jeglichen Misstrauens hatte Rankin sie aufgenommen ...
Sie hebelten Patronen in die Läufe ihrer Gewehre. Bei Finerty hatte sich Douglas postiert, bei Conners befand sich Hancock. Heiß brannte die Sonne auf sie hernieder. Das Land war heiß wie ein Backofen. Schweiß rann den Kerlen über die Gesichter und brannte in ihren Augen. Über die Deckung der Felsen hinweg spähten sie in die Richtung, aus der das Wild kommen musste, das es zu erlegen galt. Die feuchten Hände waren um die Gewehre verkrallt.
Ihre Geduld wurde auf keine lange Probe gestellt. Im Schrittempo ritten der Sheriff und Allan um einen Hügel herum. Sie unterhielten sich angeregt und achteten nicht auf ihre Umgebung. Der pochende Hufschlag rollte vor ihnen her. Die Pferdehufe rissen kleine Staubfahnen in die heiße Luft. Jetzt sprach der Sheriff, und er unterstrich seine Worte mit abgezirkelten Gesten seiner linken Hand.
Finerty und Conner verständigten sich durch Handzeichen. Sie schoben die Gewehrläufe über die Felsbarrieren, hinter denen sie sich verbargen. Eiskalte Augen beobachteten über Kimme und Korn hinweg die arglosen Reiter.
Und dann hämmerten die Gewehre. Die Salven peitschten in die Tiefe. Die Detonationen vermischten sich zu einem einzigen, lauten Knall und prallten auseinander, versickerten in vielfältigen Echos zwischen den Hügeln.
McLean wurde aus dem Sattel gerissen. Sein Pferd brach zur Seite aus, blieb aber schon nach wenigen erschreckten Sprüngen stehen und witterte mit erhobenem Kopf und rollenden Augen.
Allan spürte einen heftigen Schlag gegen den Kopf, gleichzeitig brach das Tier unter ihm zusammen. Allan schlug hart hin, sein Bewusstsein riss. Blut sickerte aus seinen Haaren und lief über sein Gesicht. Das Pferd schlegelte noch kurze Zeit unkontrolliert mit den Hufen, dann verendete es.
Sekundenlang herrschte bleierne, lastende Stille - die Stille des Todes. Dann wurde sie von einem schrillen, durchdringenden Schrei gesprengt - jenem Schrei, der den Yankees in den blutigen Stellungskämpfen das Blut gefrieren ließ -, dem Rebellenschrei. Jim Conner stieß ihn aus, und im nächsten Moment jagten die vier Heckenschützen auf ihren Pferden im wilden Galopp hangabwärts.
Bei den Reglosen rissen sie die Pferde in den Stand. Mitleidlos starrten sie auf die blutenden Männer hinunter. „Die sind hin!“, kam es ungerührt von Stan Hancock. Er grinste widerlich. „Auftrag erfolgreich ausgeführt, Leute. Die Auszeichnung ist uns gewiss.“
„Hier können wir sie nicht liegen lassen“, erklärte John Finerty, dem nun doch etwas mulmig zumute war. Sein unsteter Blick sprang in die Runde. Die Schüsse waren sicherlich meilenweit zu hören gewesen.
„Ach was“, winkte Henry Douglas ab. „Wie willst du den toten Gaul verschwinden lassen? Wir entleeren ihre Taschen, damit es aussieht wie ein Raubmord. Dann ziehen wir einige Meilen eine deutliche Spur nach Norden, die bei irgendeinem Fluss endet.“
Minuten später ritten Conner und Hancock nach Norden, um eine falsche Fährte zu legen, Finerty und Douglas kehrten auf dem Reit- und Fahrweg zur Farm zurück. Als sie ankamen, stand Shadoe Rankin unter der Haustür. Sie nickten ihm wortlos zu, und er wusste, dass sie seinen Auftrag ausgeführt hatten.
*
Allan schlug die Augen auf. In ihnen war der Ausdruck von Leere und Verständnislosigkeit. Dann nahm er wie durch wallende Nebelschleier das runzlige Gesicht wahr, und die Erinnerung setzte ein. „Dooley“, ächzte er, und sogleich spürte er den hämmernden Schmerz, der durch seinen Schädel pulsierte. Er drohte aufs Neue in die Besinnungslosigkeit abzugleiten. In seinem Bewusstsein klafften wieder tiefe Risse, er brachte keinen vernünftigen Gedankengang mehr zustande, und es kostete ihm all seinen Willen, die Schwäche zu überwinden. Seine Zähne schlugen aufeinander wie im Schüttelfrost. Der Schädel drohte ihm zu platzen.
Dooley hielt ihm eine flache Brandyflasche an die Lippen. Etwas von der scharfen Flüssigkeit rann über Allans Kinn. Dann schluckte er mechanisch, hüstelte, und in seiner Kehle brannte es wie Feuer. Aber die Nebel der Benommenheit lichteten sich, Allan gurgelte: „Es - es war ein Hinterhalt. Gütiger Gott, was ist mit McLean?“
„Er ist so tot wie ein Mann nur tot sein kann, dem zwei Kugeln ins Herz geknallt wurden“, gab Dooley zur Antwort und seine Stimme klang bitter und belegt, als wollten ihm seine Stimmbänder nicht gehorchen. „Du hattest Glück, Davis“, sprach Dooley weiter, nachdem er sich den Hals freigeräuspert hatte. „Eines der Geschosse, das dir galt, fing dein Pferd auf, das andere zog dir einen harmlosen Scheitel durchs Haar und hat dir die Kopfhaut einige Millimeter tief angekratzt. Einen Zoll tiefer, und dein Trail wäre hier zu Ende gewesen. Hattest höllisches Glück, Hombre.“
Hufschlag prallte heran. Allan drehte etwas den Kopf, was seine Qualen eskalieren ließ. Er stöhnte laut. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen.
„Ich habe einige Männer aus der Stadt mitgebracht“, erklärte Dooley. „Als ihr etwa drei Stunden überfällig wart, bemächtigte sich meiner eine ziemliche Unruhe. Ich ahnte, dass etwas Schlimmes geschehen war und trommelte die Handvoll Burschen zusammen, um nachzusehen. Meine Ahnungen haben mich nicht getäuscht. - Waren es Rankin und seine Kumpane?“
Das Hufgeräusch brach ab, ein Mann rief: „Die Spur endet drei Meilen weiter nördlich. Trotz intensivster Suche haben wir sie nicht wieder aufnehmen können. Die Bastarde - den Spuren nach waren es zwei -, sind wahrscheinlich längst über alle Berge.“
Die fünf Reiter saßen ab und bildeten einen Kreis um Allan und Dooley. Schatten fielen auf die beiden.
Allan beantwortete mit schwacher Stimme Dooleys Frage. „Ich habe keine Ahnung. Wir verließen die Farm, nachdem es dort fast zu einer Schießerei gekommen wäre. Ahnungslos ritten wir zur Stadt zurück. Das letzte, was ich wahrnahm, war der Schlag gegen den Kopf und das Knallen der Schüsse.“
Seine Linke tastete nach der Wunde. Sie hatte von selbst zu bluten aufgehört und war bereits verharscht. Allans bleiches Gesicht verzog sich. Seine Haare waren verklebt vom Blut. Mit Hilfe Dooleys setzte er sich auf. Er murmelte: „Rankin ist im Besitz der Pferde, und er trägt die Sachen meiner Männer am Leib. Er bestreitet jedoch, sie getötet zu haben. Als er auf sie stieß, seien sie bereits tot gewesen, und er habe sich lediglich bedient, erklärte er.“
„Und was glaubst du?“, knurrte Dooley dicht neben seinem Ohr.
„Für mich ist er der Mörder - und auch der Mörder des Sheriffs“, stieß Allan hervor, und von einem Augenblick zum anderen wies seine Stimme wieder die ihr eigene Festigkeit und Entschiedenheit auf. „Ich werde nicht ruhen, bis ich ihm die Maske vom Gesicht gerissen habe“, setzte Allan hinzu, dann streckte er einem der Männer die Hand hin. „Helfen Sie mir mal hoch, Mister. Ich denke, ich bin soweit wieder in Ordnung, außer dass mir der Schädel brummt. - Danke.“
Schwankend stand Allan. Die jähe Bewegung hatte ihn schwindlig werden lassen. Aber er überwand auch diese Not, seine Gestalt straffte sich. Sein Verstand arbeitete klar und präzise. Sie hielten ihn für tot. Es war sein Glück, dass sie nicht auf die Idee gekommen waren, ihn gründlich zu untersuchen. Sie waren ganz einfach davon überzeugt gewesen, dass ihre Kugeln richtig getroffen hatten. Und das viele Blut in seinem Gesicht hatte sie in dem Glauben reiten lassen, eines ihrer Geschosse habe ihm den Schädel zerschmettert.
Einer der Männer führte das Pferd des toten Sheriffs herbei. Auf etwas unsicheren Beinen ging Allan zu dem Tier, das er geritten hatte und das jetzt tot war. Er zog seine Henrygun aus dem Scabbard. Als er sich bückte, drohten ihn erneut der Schwindel und die Übelkeit zu übermannen, und er hatte das Gefühl, abzuheben. Allan schloss sekundenlang die Augen, und er bekam sich wieder unter Kontrolle. Sein Körper folgte wieder den Signalen, die sein Gehirn aussandte. Er wandte sich dem Pferd zu. Jemand reichte ihm seinen Hut, den ihm das Bleistück vom Kopf gerissen hatte. Dann stieg er aufs Pferd. Es war mühsam und mit stechenden Schmerzen verbunden, aber er schaffte es.
Vor einen der Männer legten sie die schlaffe Gestalt McLeans quer über den Widerrist des Pferdes. Dooley und ein weiterer Mann nahmen dem Pferdekadaver Sattel und Zaumzeug ab und dieser Mann erbot sich, die Dinge in die Stadt zu schaffen. Dann verließen sie diesen Platz des Todes und ritten langsam in Richtung Seminole davon.
*
Der übernächste Tag brach an. Die Morgennebel über dem Mustang Draw verflüchtigten sich. Shadoe Rankin, Jim Conner, Henry Douglas und Stan Hancock waren fix und fertig angezogen. Sally hatte ihnen starken Kaffee gekocht. In dem düsteren Raum summten einige Fliegen.
John Finerty lehnte an der Wand neben der Tür zu einem Nebenraum. Auch er war angekleidet, aber er würde auf der Farm bleiben.
Shadoe Rankin schlürfte von seinem Kaffee. Sally hantierte am gemauerten Herd, der glühende Hitze ausspuckte. Das Gesicht des Mädchens war bleich und übernächtigt. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Schwermut und Hilflosigkeit beherrschten ihr Gemüt.
Shadoe Rankin ließ seine schnarrende Stimme erklingen. Warnend stieß er hervor: „Du wirst deine Finger von Sally lassen, John, während wir fort sind. Deinen Auftrag kennst du. Kaufe nur Dinge, die wir tatsächlich brauchen. Wir werden spätestens morgen Abend zurückkehren, und dann wollen wir keine Zeit verlieren.“
Sie hatten alles in allem etwas über fünfundsiebzig Dollar zusammengekratzt. Damit sollten Sally und John Finerty in Seminole Proviant und Munition kaufen. Am Abend nach dem Überfall auf den Sheriff und Allan Davis waren sie überein gekommen, nach dem hold up zu verschwinden. Der Anstoß dazu war von Henry Douglas gekommen.
„Es wird in der Stadt längst die Runde gemacht haben, dass der Sheriff und dieser Fremde auf der Farm nach Pferden der Waycross-Ranch fahndeten“, hatte Douglas seine Bedenken dagegen, auf der Farm zu bleiben, ausgestreut. „Zwischenzeitlich wird man auch die beiden Toten gefunden haben und sich einen Reim darauf machen. Wenn jetzt auch noch die Stagecouch überfallen und ausgeraubt wird, dann bringt das vielleicht die Volksseele zum Kochen, nicht zu vergessen die Yanks, die in Seminole stationiert sind. Denn alles geschieht Schlag auf Schlag unmittelbar nach deiner Heimkehr, Captain, und die Blaubäuche sind nicht von gestern.“
„Es wird keine Zeugen geben“, versetzte Rankin mit brutaler Offenheit. „Außerdem habe ich geschworen, hier auf Ben Hartfield zu warten. Was die Stadt anbetrifft, so kann ich dich wahrscheinlich beruhigen. Nach McLeans Tod wird es das ganze Bestreben der Stadtfräcke sein, einen anderen Dummen zu finden, der sich das Stück Blech ans Hemd heften lässt und der für sie die Rübe hinhält. Von den feigen Ratten, die sich bisher hinter McLean versteckt hielten, haben wir nichts zu befürchten.“
„Trotzdem ist es gefährlich, zu bleiben“, mischte sich Stan Hancock ein. „Man wird uns ausquetschen und auf Schritt und Tritt beobachten, denn allein die Tatsache, dass es keinen Beweis geben wird, erstickt den Verdacht gegen uns sicher nicht im Keim. Außerdem ...“ Hancock brach ab und heftete seinen skeptischen Blick auf Sally. Er schürzte die Lippen. „Ich weiß nicht, ob sie stark genug ist, einem Kreuzverhör standzuhalten. Dass man uns - und natürlich auch deine Tochter -, in die Mangel nimmt, darauf kannst du Gift nehmen, Captain.“
„Irgendwann sorgt Ben Hartfield wieder für Furore“, hakte Douglas drängend nach, „und wir werden wissen, wo wir anfangen müssen, ihn zu suchen. Wenn wir ihn finden wollen, finden wir ihn auch. Einer wie er verschwindet nicht einfach in der Versenkung.“
Shadoe Rankin musterte Douglas und Hancock auf hintergründige Art, er verströmte plötzlich Misstrauen. „Und wohin sollen wir eurer Meinung nach verduften?“
„Es gibt in den Sacramento Mountains, am Rio Penasco, einen kleinen Ort namens Warners Hole“, erklärte Hancock. „Nun, die Bezeichnung Ort ist vielleicht übertrieben. Es ist ein Schlupfwinkel Gesetzloser aus dem gesamten Grenzgebiet, die über irgendeine Sache Gras wachsen lassen wollen. James Warner hat das Nest vor dem Krieg gegründet. Allerdings ist der alte Bandit ziemlich wählerisch und vorsichtig. Wer sich bei ihm für einige Zeit verkriechen will, wird auf Herz und Nieren geprüft. Wenn Warner aber zustimmt, dann stehst du unter seinem Schutz, und ...“
„Das hat doch auch seinen Preis!“, erregte sich John Finerty und kam einen Schritt auf den Tisch zu.
„Allerdings“, maulte Hancock. „Dafür hast du aber vor dem Gesetz und jedem anderen unliebsamen Spürhund deine Ruhe.“
Zuerst hatte Shadoe Rankin lange nachgedacht, dann stimmte er zu. Ja, Sally war ein Schwachpunkt. Die Yankees würden eine Untersuchung durchführen, und der Verdacht würde sich zu hundert Prozent auf ihn und seine Kumpane konzentrieren ...
Sie hatten also den Entschluss gefasst, nach dem hold up aus Texas zu verschwinden und in New Mexiko unterzutauchen.
Sally wurde nicht gefragt.
Als sie die Becher geleert hatten, gingen Shadoe Rankin und die drei Kerle, die ihn begleiten sollten, hinaus. Eine Viertelstunde später ritten sie in Richtung Norden davon. Sally stand am Fenster und starrte mit erloschenem Blick hinter ihnen her. John Finerty trat hinter sie und legte ihr die Hände auf die schmalen Schultern. Mit belegter Stimme sagte er: „Wir sind allein, Sally, endlich sind wir ungestört. Ich weiß nicht, wie lange ich auf diesen Augenblick gewartet habe. Du bist mir nicht gleichgültig, Kleines, und wenn ich deine Blicke richtig gedeutet habe in der letzten Zeit, dann empfindest du für mich das selbe wie ich für dich.“
Sie drehte sich um und lehnte ihre Stirn an seine Brust. „Warum machst du bei all diesen Schandtaten mit, John?“, raunte sie unter Tränen. „Ja, ich empfinde mehr für dich als für jeden anderen Mann vorher, mehr als für meinen Vater. Du bist besser als er und die anderen, die jetzt mit ihm reiten. Aber warum lässt du dich vor seinen schmutzigen Karren spannen?“
Seine Zügen verschlossen sich. Er presste rau hervor: „Ohne ihn wäre ich längst tot, Sally. Ich habe ihm absolute Treue geschworen. Und jetzt stecke ich schon zu tief drin. Ich kann nicht mehr zurück.“
Sally löste sich von ihm. Tränen perlten über ihre Wangen. „Wir treiben unaufhaltsam dem Abgrund entgegen, John. Du, mein Vater und die anderen wollen es nur nicht wahrhaben. Der Hass ist stärker als die Vernunft. Leider bin ich zu schwach, um es zu ändern. Und darum werde ich mich fügen. - Ich füttere jetzt das Vieh und mache hier ...“
Sally endete jäh. Sie wollte zum Ausdruck bringen, dass sie etwas Ordnung machen wollte, fragte sich aber, wozu. Die Farm war die längste Zeit ihre Heimat gewesen, schien es. Es war wohl so, dass sie nie wieder hierher zurückkehrte.
„Wir sind alleine!“, kam es mit Nachdruck und vielsagend von Finerty.
Doch Sally winkte ab und sagte spröde: „Lass mir Zeit, John.“ Nach diesen Worten ging sie nach draußen.
Finerty ballte die Hände zu Fäusten, hart presste er die Lippen aufeinander.
Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, zog er einen flachen Farmwagen aus einem der Schuppen. Er spannte sein Pferd davor. Nur noch ein Pferd stand im Stall. Es war eines der Tiere mit dem Waycross-Brand. Sally sollte es auf ihrer Flucht nach New Mexiko reiten.
Sally hatte neben Finerty auf dem Wagenbock Platz genommen. Trübsinnige Überlegungen beschäftigten sie. Das Mädchen schwieg, und auch der Bandit fand nicht die richtigen Worte, um sie in ein Gespräch zu verwickeln.
Nach zwei Stunden rollte der Wagen zwischen die ersten Häuser von Seminole ...
*
Beim General Store hielten sie an. Auf den Gehsteigen blieben die Passanten stehen und beobachteten sie mit einer Mischung aus offener Ablehnung, unverhohlener Feindschaft und deutlichem Widerwillen. Sally spürte es fast körperlich. John Finerty schien es nicht zu berühren. Er brach sein Schweigen: „Besorge die Sachen, die wir aufgeschrieben haben, Kleines, und lass sie auf den Wagen laden. Ich genehmige mir in der Zwischenzeit einen Drink. Wenn du fertig bist, kommst du in den Saloon und wir fahren sofort zurück.“
Er griff in die Tasche und gab ihr das Geld, das sie zusammengelegt hatten. Einen Dollar behielt er für sich. Er dachte daran, dass sie morgen wahrscheinlich schon reich waren.
Er sprang vom Wagen und half Sally auf den Boden. Dabei hielt er sie einen Moment länger fest als notwendig. Sein Atem streifte ihr Gesicht. Plötzlich aber lösten sich seine Hände von ihr, er schwang abrupt herum und stiefelte über die staubige Main Street auf den Saloon zu.
Weit unten erschien Dooley, der alte Stallmann, auf der Straße. Er blieb stehen und beschattete seine Augen mit der flachen Hand, um besser sehen zu können. Sally sah ihn, dachte sich aber nichts. Müde, mit hängenden Schultern, ging sie in den Store.
John Finerty betrat den Saloon. Die wenigen Gäste fixierten ihn düster und durchdringend. Finertys Miene blieb ausdruckslos. Der Bandit stellte sich an den Tresen und verlangte einen Whisky.
Auf der Straße kam in Dooleys Gestalt Leben. So schnell ihn seine alten Beine trugen hastete er in die Gasse, in der das Hotel lag, in dem Allan Davis wohnte.
Allan lag auf dem Bett. Er war angezogen und döste. Er war wieder voll auf dem Damm. Er trug nicht einmal einen Verband um den Kopf. Die Wunde hatte sich gut geschlossen, nachdem sie der Doc mit Peroxyd desinfiziert hatte. Nur ein ständiges Hämmern und Ziehen sowie ein dicker Schorf erinnerten an die gemeinen Kugeln aus dem Hinterhalt.
Als die Männer mit dem toten Sheriff und Allan in die Stadt zurückgekehrt waren, ging die Nachricht von dem Hinterhalt, der McLean das Leben gekostet hatte, mit der Schnelligkeit eines Steppenbrandes durch Seminole. Auf den Straßen und in den Gassen tuschelten die Männer und Frauen, und sie waren sich einig, dass den Mord Shadoe Rankin und seine Kumpane auf dem Gewissen hatten. Aber niemand fand den Mut, eine Posse zusammenzutrommeln und zur Rankin-Farm zu reiten.
Als Dooley das Zimmer betrat, ruckte Allans Oberkörper hoch. Dooley schnappte ziemlich außer Atem: „Du wirst es nicht glauben, Davis, aber soeben kamen Rankins Tochter und einer von seinen Freunden mit einem Wagen in die Town. Sieht aus, als würde Sally Vorräte kaufen. Ihr Begleiter hat es vorgezogen, im Saloon zu warten, bis sie alles erledigt hat. Du solltest dir diesen Mister vorknöpfen, Davis.“
Allan schwang die Beine vom Bett und stemmte sich hoch. Er zog seinen Revolvergurt zurecht. Dooley murmelte: „Du trägst den Sechsschüsser auf recht seltsame Art, Davis. Schräg vor dem Leib - nie zuvor habe ich einen Mann gesehen, der die Kanone so geschnallt hatte.“
„Es ist gut so“, erwiderte Allan. Er lüftete den schweren Coltrevolver etwas im Halfter und drehte den Knauf ein wenig, so dass er griffgerecht war.
„Gehen wir“, knurrte Allan, langte nach seinem Hut mit dem Kugelloch, der auf dem Tisch lag, und stülpte ihn sich vorsichtig auf den Schädel. „Du wirst dich allerdings heraushalten, Dooley, wenn ich dem Burschen auf die Zehen trete.“
Nebeneinander schritten sie gleich darauf aus der Gasse und über die Fahrbahn. Unumstößliche Entschlossenheit ging von Allan aus. Seine Schritte waren weit ausholend. Dooley hatte Mühe, ihm zu folgen. Die Bronchien des Oldtimers fingen an zu pfeifen.
Ein ganzes Stück schritten sie unter den Vorbaudächern und überspringenden Obergeschossen dahin. Schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite, stand der Farmwagen. Das Pferd stand mit hängendem Kopf im Geschirr und schlug mit dem Schweif nach den lästigen Blutsaugern an seinen Flanken. Erwartungsvoll und gespannt wurde Allan von den Männern und Frauen auf den Gehsteigen beobachtet.
„Das ist weit genug, Dooley“, sagte Allan, als sie das Ende des Vorbaus erreichten, über den man in den Saloon gehen musste. „Möglich, dass der Bursche durchdreht, wenn ich ihm meine Fragen stelle. Es kann bleihaltig werden.“
Dooley wollte aufbegehren, aber Allan schnitt ihm mit einer schroffen Handbewegung das Wort bereits im Ansatz ab. Allan ging weiter. Aufrecht stieg er die vier Stufen zum Vorbau hinauf, dann drückte er mit beiden Händen die Türpendel auseinander.
Seine Schritte tackten rhythmisch auf den Dielen. Seine Arme pendelten locker von den Schultern. Fünf Schritte hinter John Finerty hielt Allan an.
Im Saloon war es plötzlich still wie auf einem Boothill um Mitternacht. Mit untrüglichem Instinkt spürte John Finerty die Gefahr hinter seinem Rücken. Die Atmosphäre im Schankraum schien unvermittelt zu knistern. Finertys Wirbelsäule versteifte, langsam wandte er sich um - und erbleichte.
„Du!“, entfuhr es ihm regelrecht schockiert, und er starrte Allan an wie einen Geist. Unwillkürlich hob sich seine Rechte in die Nähe des Coltknaufs, in seinem Blick war der Ausdruck törichten Nichtbegreifens.
„Ja, Amigo, ich!“, rief Allan klirrend. „Und ich bin nicht von den Toten auferstanden, wie du vielleicht annimmst, ihr Halsabschneider habt lediglich schlecht gezielt.“
John Finerty fing sich. Seine Gestalt zog sich etwas zusammen, lauernd, wie ein sprungbereites Raubtier, stand er vor dem Tresen. „Du sprichst in Rätseln, Mister!“, spuckte er hinaus. „Drück dich also gefälligst deutlicher aus, wenn ich dir folgen soll.“
„Du weißt genau, wovon ich rede, mein Freund. Es geht um die Schüsse aus dem Hinterhalt auf der halben Strecke zwischen der Rankin-Farm und Seminole. Jene hinterhältigen Schüsse, die den Sheriff töteten. Und es geht mir um die Frage, wie Shadoe Rankin zu den beiden Pferden mit dem Waycross-Brand kam. Er hat doch sicherlich damit geprotzt vor euch Kerlen, die ihr euch auf seiner Farm zusammenrottet wie hungrige Wölfe.“
Finerty lachte auf. Es war ein giftiger Ton, der sich aus seinem Kehlkopf löste. Irgendwie jedoch klang dieses Lachen nicht echt. Finertys Organ röhrte: „Jemand hat also auf euch geschossen und den Sheriff dabei getötet. Nun suchst du einen Sündenbock, und du glaubst, ihn in mir gefunden zu haben, Hombre. Ich muss dich leider enttäuschen. Ich weiß nichts davon. Und was die beiden Gäule angeht, so kenne ich nur die Geschichte, die der Captain auch dir und dem Sheriff erzählte. - Ich werde jetzt den Saloon verlassen, und du wirst den Weg freigeben, mein Freund.“
„Und wenn nicht?“, fragte Allan sanft - gefährlich sanft.
„Dann werde ich auf meinem Weg nach draußen über dich hinwegsteigen!“, drohte Finerty.
Allan konnte er mit dieser Drohung nicht beeindrucken. Er sagte ruhig: „Wenn du von nichts etwas weißt, wieso bist du dann vorhin, als du mich sahst, fast aus allen Wolken gefallen? Die Reaktion, die du gezeigt hast, war die eines Mannes, der sich einem Todgeglaubten gegenübersieht.“
„Und was schließt du daraus?“
„Dass du sehr wohl Bescheid weißt, Amigo. Und darum will ich jetzt von dir die Wahrheit hören, oder ich prügle sie aus dir heraus.“
Die Hand Finertys war jetzt ganz dicht beim Revolvergriff. Sein Oberkörper krümmte sich noch weiter nach vorn. Er nahm die Beine etwas auseinander, als suchte er festeren Stand.
Einige der Gäste erhoben sich schnell. Die Situation spitzte sich zu. Stuhlbeine scharrten über den Boden, die Dielen ächzten unter den Männern, als sie aus der möglichen Schusslinie hasteten. Ein Glas zersprang klirrend auf dem Fußboden. Der Salooner verzog sich an das Ende der Theke.
„In deinem Zustand?“, platzte es höhnisch über Finertys Lippen. „Du hast doch auch eine Kugel ...“
Jäh brach er ab, abrupt, als hätte er schon viel zu viel preisgegeben. Seine Züge verkniffen sich und wurden maskenhaft starr. Er hatte sich hinreißen lassen und sich verraten. Sein Mund stand halb offen, er atmete plötzlich stoßweise und gehetzt.
Allan hatte Gewissheit. „Warum sprichst du nicht weiter?“, grollte er. „Warum sagst du nicht, dass auch ich ein Stück Blei aufgefangen habe? Ihr Schufte habt mich für tot gehalten. Ihr wart euch eurer Sache zu sicher.“
Bei John Finerty brannten die Sicherungen durch. Seine Rechte zuckte endgültig zum Colt. Das Eisen flirrte aus dem Halfter, schwang hoch ...
Gedankenschnell reagierte John. Er musste nur den rechten Unterarm hochziehen. Wie durch Zauberei lag das Eisen plötzlich in seiner Faust. Der Schuss dröhnte, der Saloon schien unter dem Knall in seinen Fundamenten zu erzittern. Ein armlanger Mündungsstrahl stieß auf John Finerty zu. Pulverdampf wolkte.
Finerty bekam die Kugel in die rechte Seite. Die Wucht des Treffers schleuderte ihn halb herum und ließ ihn gegen den Schanktisch taumeln. Sein Daumen hatte den Hahn bereits zurückgezogen, wie im Krampf krümmte sich sein Zeigefinger. Seine Kugel bohrte sich vor seinen Zehenspitzen in den Fußboden. Finertys Mund öffnete sich, aber der Schrei, der sich in seiner Brust hochkämpfte, erstickte in der Kehle. Seine Hand öffnete sich, der Colt polterte zu Boden. Und plötzlich gaben Finertys Beine nach, sie knickten ein wie morsche Stelzen. Er fiel auf die Knie und kippte zur Seite. Sein Hemd färbte sich rot. Röchelnd und keuchend lag er da.
Dooley stürzte in den Saloon. Wild schlugen die Pendeltüren.
John setzte sich in Bewegung ...
*
Zur selben Zeit ritt drei Meilen südlich von Seagraves, einem kleinen Ort an der Poststraße, Henry Douglas in das Versteck seiner Kumpane. Sie hatten für den Überfall einen Platz zwischen haushohen Felsen gewählt. Hier stand dichtes Gestrüpp und es gab vorzügliche Deckungsmöglichkeiten.
Im Schutz der Felsen lagerten sie. Douglas grinste breit, als er absaß. Seine Komplizen lümmelten auf der warmen Erde, nur Shadoe Rankin hatte sich aufgesetzt. Düster fixierte er Douglas, erwartungsvoll und ungeduldig. Douglas führte sein Pferd zu den anderen, leinte es an, dann nahm er Front zu Shadoe Rankin ein.
„Die Kutsche wird in einer dreiviertel Stunde etwa hier sein, Captain“, meldete Douglas.
„Befördert sie Passagiere?“, kam es knapp von Shadoe Rankin.
Douglas schaute verdutzt. „Darauf habe ich nicht geachtet“, gab er dann kleinlaut zu. „Und wenn schon? Kommt es uns vielleicht auf einen Toten mehr oder weniger an?“
„Narr!“, knirschte Shadoe Rankin und wandte sich ab. Er sinnierte vor sich hin, massierte dabei mit Daumen und Zeigefinder seinen Nasenrücken. Irgendwie gefiel es ihm plötzlich nicht mehr, dass die Armee einen Haufen Soldgeld ohne jeden Schutz mit der Postkutsche befördern lassen sollte. Ein sechster Sinn - sein Sinn für Gefahr, ließ Alarmglocken in ihm anschlagen.
Aber jetzt konnten sie nicht mehr zurück. Darum behielt Shadoe Rankin seine Bedenken für sich. Er nahm sich jedoch vor, seine Haut nicht zu Markte zu tragen. Eine wilde Wut überkam ihn - stürmisch und jäh wie eine Springflut. Er wirbelte wieder zu Douglas herum und packte ihn mit beiden Fäusten an der Hemdbrust. Der Stoff krachte bedenklich. Mit Besessenheit im Tonfall hechelte er: „Wir führen wieder Krieg, Douglas! Du hast es vielleicht nur noch nicht bemerkt, aber wir sind wieder mittendrin. Ich gab dir einen Auftrag, und du hast ihn nur halb erfüllt. Ich kann das nicht durchgehen lassen, Reiter Douglas!“
Unvermittelte Angst zerlegte Henry Douglas’ Gesichtszüge. Er erblasste. Seine Lider zuckten erregt. „Ich - ich ...“ stammelte er, seine Stimme versagte. Eine unsichtbare Hand würgte ihn. Die Erkenntnis, dass Shadoe Rankin vor Hass verrückt geworden war, traf ihn mit aller Schärfe. „Ich - sollte - nach der Kutsche Ausschau halten“, krächzte er und war zu keiner anderen Reaktion fähig.
Shadoe Rankin versetzte ihm einen derben Stoß, gleichzeitig ließ er Douglas’ Hemd los. Der Bursche taumelte zurück, stolperte über seine eigenen Beine und setzte sich unfreiwillig auf den Boden.
Die anderen standen da wie zu Salzsäulen erstarrt. Es hatte den Anschein, als wollte Shadoe Rankin sich auf Douglas stürzen. Plötzlich aber wischte er sich über die Augen. Wie ein Erwachender schaute er um sich. Er leckte sich über die Lippen und murmelte heiser: „Steh auf, Douglas, es ist gut. Es war vielleicht mein Fehler, den Auftrag nicht klar genug zu formulieren. Steh auf und vergiss den Vorfall.“
Henry Douglas kämpfte sich hoch, klopfte sich den Staub ab, und vermied es, Shadoe Rankin anzusehen. In seinem Gemüt jedoch wütete verzehrender Hass. Er unterdrückte ihn nur mühsam, und der Gedanke, dass Shadoe Rankin bald alles heimgezahlt bekam, half ihm dabei.
„Postiert euch“, befahl Shadoe Rankin nach einer Weile des betretenen Schweigens. „Und fackelt nicht. Noch Fragen?“
Sie schüttelten die Köpfe, dann holten sie ihre Gewehre und trennten sich. Während Shadoe Rankin und Conner sich auf dieser Seite der Straße zwischen mannshohen Felstrümmern verschanzten, suchten sich Douglas und Hancock jenseits sichere Deckungen.
„Ich kann den Tag kaum erwarten, an dem er über die Klinge springt!“, presste Douglas kehlig hervor.
„Du wirst ihn erleben“, flüsterte Hancock. „Er hängt wie ein Fisch an der Angel.“
Damit war das Gespräch der beiden Banditen beendet.
Zähflüssig verrann die Zeit. In den Büschen summten die Bienen. Hoch oben stand flügelschlagend eine Lerche vor der seidenblauen Kulisse des Himmels und trällerte. Nichts deutete darauf hin, dass zwischen den Felsen Tod und Verderben lauerten.
Das Warten zerrte an den Nerven der Banditen. Nur Shadoe Rankin blieb eiskalt und gelassen. Er war abgestumpft worden in den langen Kriegsjahren. Und er hatte gelernt, sich in Geduld zu üben.
Die Minuten reihten sich aneinander. Eine Viertelstunde verstrich, die nächste, dann war die dreiviertel Stunde vorbei, und jeden Moment musste das Rattern der Kutsche vernehmbar werden.
Conner, der hinter dem Felsen kauerte, veränderte immer wieder seine Stellung, weil sich die Muskulatur seiner Beine verkrampfte. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Der Captain war ihm unheimlich geworden. Er wünschte sich weit fort.
Fernes Rumpeln wehte heran. Die Gestalten der Banditen spannten sich. Härter umklammerten ihre Hände die Gewehre. Ein stählernes Geräusch war zu hören, als drüben Stan Hancock durchlud. Auch Douglas betätigte den Ladebügel. Eisige Ruhe überkam sie.
Holpernd und stoßend näherte sich die Stagecouch. Es war eine rotgestrichene Concord. Staub wirbelte unter ihren Rädern in die Höhe. Die Hufe der Gespanntiere tackten auf dem harten Untergrund. Der Wagenaufbau schaukelte hin und her, wenn die eisenumreiften Räder in die tiefen Spurrinnen knallten. Die Naben quietschten. Vier Pferde stemmten sich in die Geschirre. Auf dem Bock saßen der Kutscher und ein Begleitmann. Zwischen dessen Beinen stand ein Gewehr. Beide Hände lagen um den Schaft.
Keiner der Männer konnte ahnen, dass der betrunkene Postofficer von Seminole die brisante Fracht, die mit der Kutsche fuhr, verraten hatte. Außerdem waren sie nicht schutzlos. Also dachten sie an nichts Schlimmes, als sie zwischen die Felsen fuhren. Sie wurden auf dem Bock durch und durch geschüttelt, stemmten die Beine gegen das Trittbrett, pressten den Rücken gegen die harte Holzlehne, saßen also wie eingeklemmt auf der Sitzbank.
Die Gespanntiere gingen Schritt. Die Hitze setzte ihnen zu. Der Fahrer ließ in regelmäßigen Abständen die Peitsche über ihren Rücken knallen. Das Mahlen der Räder, das Knarren des Aufbaus und das Hufepochen hingen zwischen den Felsen. Und das alles ging jäh unter im Peitschen der Schüsse. Die beiden nichtsahnenden Männer auf dem Bock starben, ehe sie zum Denken kamen. Sie wurden von den Geschossen in die Höhe getrieben, stürzten kopfüber in die Tiefe, die Zugtiere blieben stehen, stampften und wieherten oder tänzelten nervös.
Die Salve verhallte mit geisterhaftem Geraune. Nichts geschah. Die Pferde beruhigten sich. Das Blut des Kutschers und seines Begleiters versickerte im Staub.
Dann trat Henry Douglas hinter dem Felsen hervor. Er hielt das Gewehr lässig im Hüftanschlag. Shadoe Rankin nickte Conner zu. Auch dieser schob sich vor seine Deckung. Auf einer Höhe mit den Pferden erschien Stan Hancock.
In der Concord rührte sich nichts. Der Staub, den sie aufgewirbelt hatte, senkte sich. Aus engen Lidschlitzen beobachtete Shadoe Rankin das Gefährt. Shadoe Rankin schwenkte seinen Blick etwas nach links und sah Douglas auf die Kutsche zusteuern. Hancock wurde von den Pferden verdeckt. Conner hielt über die Schulter nach Shadoe Rankin Ausschau.
Nun war Douglas bei der Kutsche. Er riss den Schlag auf - und prallte zurück. Mit dem Brechen eines Schusses wurden ihm die Beine vom Boden weggerissen, er schien für Bruchteile von Sekunden quer in der Luft zu hängen, dann prallte er auf den Boden. Ein Mann sprang aus der Kutsche, ein zweiter folgte. Auf der anderen Seite flog ebenfalls die enge Tür auf. Zwei - drei Männer in blauen Uniformen sprangen heraus, die Gewehre in den Fäusten, huschten geduckt und schießend auseinander, knieten rund um die Stagecouch ab ...
Hakenschlagend wie ein Hase rannte Hancock an den vorderen Pferden vorbei in den Schutz der Felsen. Auch Conner hatte gedankenschnell reagiert und war mit einem Satz wieder in seiner Deckung. Shadoe Rankin feuerte. Eine der knienden Gestalten wurde umgerissen. Ohne sich umzudrehen oder zu schießen rannten Conner und Hancock zu den Pferden. Die Soldaten auf der ihm zugewandten Seite nahmen Shadoe Rankins Deckung unter Feuer. Die Pferde vor der Kutsche stiegen und bockten. Ein Ruck ging durch das Fahrzeug, als sie anzogen. Die Kutsche rollte ein Stück. Einer der Soldaten kletterte behände auf den Bock und riss am Bremshebel. Die langen Zügel schleiften am Boden.
Der Lärm war trommelfellbetäubend. Querschläger quarrten. Noch einen der Soldaten warf Shadoe Rankins Kugel um, dann ertönte ein schroffer Befehl und die Uniformierten stießen sich ab, stürmten auf Shadoe Rankins Deckung zu.
Der Bandit wandte sich zur Flucht. Geschmeidig flankte er über einen hüfthohen Quader hinweg, dann tauchte er in einer Felsspalte unter. Einige Projektile klatschten gegen den Fels, aber er war in Sicherheit.
Zwischen den Felsen sicherten die Soldaten um sich. Da erklang prasselnder Hufschlag. Die Banditen flohen, als säße ihnen der Leibhaftige im Nacken. Das hämmernde Getrappel entfernte sich schnell und war bald nur noch als brandendes Rumoren vernehmbar, das von einem Augenblick zum anderen undeutlicher wurde.
Ein Soldat mit den Achselstücken eines Lieutenants rief rau: „Diese dreckigen Aasgeier! Gebe Gott, dass der Bursche, den ich bei der Kutsche niederschoss, noch lebt ...“
*
Allan halfterte seinen Colt, nahm Finertys Eisen vom Boden auf, reichte es Dooley und beugte sich über den Verwundeten. Finerty presste seine Hände gegen die Wunde. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor. Die Gäste kamen heran und bildeten einen Kreis um Allan und den Banditen.
„Dooley, hol den Doc her“, kam es von Allan, und der Oldtimer stiefelte davon.
„Du hat einen Fehler gemacht, Amigo“, knurrte Allan und starrte dem Banditen zwingend in die fiebrig glänzenden Augen. „All diese Männer hier haben gehört, wie du dich verraten hast. Bist du nun bereit, zu sprechen?“
„Geh zum Teufel!“, stöhnte Finerty. In seiner Brust brannte es wie Höllenfeuer. Das Blut pulsierte unablässig aus der Wunde. Schnell breitete sich die Schwäche in dem Banditen aus. Einer Welle der Benommenheit, die sein Bewusstsein überschwemmte, folgte die nächste. Er presste die Zähne zusammen, dass die Backenknochen hart hervortraten.
Die Pendeltür flog krachend auf. Sally war mit einem Schritt im Schankraum. Gehetzt schaute sie um sich, sah Finerty beim Tresen auf den Dielen liegen, und ein Aufschrei der Bestürzung entrang sich ihr. Sie rannte los, drängte zwei Männer rücksichtslos zur Seite und warf sich neben dem Banditen auf die Knie.
„John!“ Ihre Stimme klang angstvoll und schrill, fast hysterisch. „Wer ...“ Sie brach ab und schaute Allan an. Sally begriff schlagartig. Diesen Mann hatte sie bereits auf der Farm gesehen. Sie hatte ihn beobachtet und bemerkenswert gefunden. „Sie haben ihn niedergeknallt!“, kreischte sie los, und bei ihr kam der Hass in langen, giftigen Wogen. Sie erinnerte in diesen Augenblicken, in denen die Leidenschaft sie übermannte, ausgesprochen an Shadoe Rankin, ihren Vater.
Allan richtete sich auf. Finerty röchelte. Sally strich ihm fahrig über das schwitzende Gesicht. Sie hatte echte Gefühle für John Finerty entwickelt, und nun lag er vor ihr, dem Tod näher als dem Leben. Sally stand wieder einmal vor den Trümmern einer Illusion ...
Allan sagte dumpf und kehlig: „Er, Ihr Vater, Miss, und die anderen Kerle, die sich auf der Farm eingenistet haben, sind niederträchtige Mörder. Ich bin überzeugt davon, dass Ihr Vater die beiden Cowboys am Canadian ermordete, um in den Besitz ihrer Pferde und einiger Dinge mehr zu gelangen. Außerdem haben sie Sheriff McLean ermordet, und ich hatte wahrscheinlich mehr Glück als Verstand, dass ich den feigen Hinterhalt zwischen der Farm und Seminole überlebte.“
Der Doc kam, gefolgt von Dooley. Ohne große Fragen zu stellen kümmerte der Arzt sich um Finerty. Sally richtete sich auf. „Wenn John stirbt, sind auch Sie so gut wie tot, Mister“, gab sie flüsternd und mit Besessenheit im Unterton zu verstehen.
„Die Kugel steckt drin“, erklärte der Doc. „Ich muss ihn operieren. Er hatte verdammtes Glück, dass die Kugel schräg eindrang. Sie steckt unter den Rippen auf der rechten Seite. Ihr beiden“ - er deutete auf zwei der Umstehenden -, „legt ihn vorsichtig auf einen Tisch. Ich mache das gleich hier. Es wird keine große Sache.“
Wortlos ging Sally nach draußen. Dooley packte Allan am Arm und zog ihn hinter sich her ebenfalls zum Ausgang. Am Vorbaugeländer stand Sally und starrte blicklos über die Straße. Dooley trat neben sie und sagte trocken: „Sally, nimm wenigstens du Vernunft an. Merkst du denn nicht, dass es bei euch auf der Farm nicht mit rechten Dingen zugeht? Dein Vater ist nicht mehr der Mann, der er einmal war, ehe der verdammte Krieg ausbrach.“
Sally schien ihn überhaupt nicht wahrzunehmen.
Dooley begann aufs Neue: „Der Bursche, den Davis vorhin niederschoss und der dir sehr viel zu bedeuten scheint, griff zuerst nach dem Schießeisen, Sally. Das war, nachdem er mehr oder weniger preisgab, dass er an dem Sheriffmord beteiligt war.“ Dooleys Stimme wurde eindringlich und beschwörend. „Mädchen, die Kerle auf der Farm, dein Vater eingeschlossen, sind Banditen, und du steckst mitten drin. Der Bursche, der Allan Davis’ Blei auffing, ist es nicht wert, dass du dich seinetwegen grämst. Du hast etwas Besseres verdient.“
Dooley verstummte und wartete darauf, dass seine Worte bei Sally eine Wirkung zeigten. Ihre Brust hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen. Es schien, dass in ihr die zwiespältigsten Gefühle einen erbitterten Kampf ausfochten. Plötzlich sagte sie tonlos: „John Finerty ist besser als die anderen. Er ist auch besser als mein Vater. Conner, Douglas und Hancock sind voller Gier, nur die Furcht vor meinem Vater hielt sie bisher zurück, über mich herzufallen. Sie sind ebenso schlecht wie dieser Ben Hartfield. John Finerty aber war ehrlich und ehrenhaft zu mir ...“
„Du hängst dich an einen Mann, der früher oder später am Galgen landet, Mädchen“, murmelte Dooley. „Er wird vom Operationstisch aus direkt ins Gefängnis wandern. Auch auf deinen Vater und die anderen Schufte fällt bereits der Schatten des Galgens. Löse dich von ihnen, Sally, sonst reißen sie dich mit ins Verderben.“
Allan schwieg.
Sally seufzte, dann sagte sie schroff: „Ich durchschaue deine Absicht, Dooley. Du willst, dass ich meinen Vater und die anderen verrate. Das sagt mir, dass ihr kaum etwas gegen sie in der Hand habt. Ich habe zwar keine Ahnung, was John preisgegeben haben soll, aber sicherlich reicht es nicht aus, um ihn anzuklagen. Du willst mich vor euren Karren spannen, Dooley. Das ist schäbig. Ich werde hier warten, bis der Doc John versorgt hat. Und dann nehme ich ihn mit auf die Farm. Wenn McLean tot ist, dann gibt es niemand in Seminole, der ihn verhaften könnte. Ihr werdet von mir nichts erfahren, und ich nehme John mit. Nichts und niemand wird mich daran hindern können.“
„Es ist zwecklos“, knurrte Allan auf seltsame Art berührt. Irgendwie faszinierte ihn dieses Mädchen. Er empfand Mitleid mit Sally, und er fragte sich, wie es wohl tief in ihr aussah. Sie war durch die Hölle gegangen, als Ben Hartfield die Farm überfiel. Sie erlebte den Tod in seiner ganzen Brutalität hautnah, wurde gedemütigt und geschändet. „Miss“, drang es schwer über seine Lippen, „es wäre gut, wenn Sie anfingen, sich Gedanken zu machen. Sie leben mit Banditen, mit skrupellosen Mördern, unter einem Dach, und Sie machen sich mitschuldig, wenn Sie die Schandtaten Ihres Vaters akzeptieren und sogar decken. Aber wie mir scheint, ist bei Ihnen jedes Wort in den Wind gesprochen. Komm, Dooley.“
Achselzuckend folgte ihm der Oldtimer.
Allan knurrte, als sie nebeneinander die Straße hinunterstapften: „Sie hat recht. Wir haben eigentlich gar nichts in der Hand gegen Rankin und seine Kumpane. Wir können sie wohl nicht hindern, diesen Finerty aus der Stadt zu schaffen.“
Sie begaben sich in den Mietstall. Allan holte seinen Sattel vom Bock. „Wo willst du hin?“, fragte der Oldtimer und ahnte bereits die Antwort.
„Zur Rankin-Farm.“
„Heiliger Strohsack!“, entfuhr es Dooley. „Du kannst es wohl nicht erwarten, in die Grube zu sausen?“
Doch Allan ließ sich nicht beirren.
*
Als er den Saloon passierte, stand Sally noch immer auf dem Vorbau. Sie bot ein Bild von Einsamkeit und Verlorenheit. Ihr Anblick schnitt Allan ins Herz.
Bald lag die Stadt hinter ihm. Allan ließ den Falben traben. Am späten Nachmittag schwang er sich in der Nähe der Farm im Schutz eines Hügels aus dem Sattel, lief geduckt, das Gewehr in der Hand, auf den Kamm und beobachtete die Farm.
Nach nicht einmal einer Viertelstunde hatte er herausgefunden, dass sich dort unten keine Menschenseele aufhielt. Dennoch blieb er auf dem Hügel und harrte aus. Die Frage nach dem Verbleib Shadoe Rankins und den anderen drei Kerlen glaubte er gelöst zu haben. Er war im Saloon gewesen, als der betrunkene Postmaster von der Kutsche mit dem Soldgeld sprach, die ihm den Schlaf raubte. Auch die beiden Kerle, die auf dem Weg zu Rankin waren, hörten es. Heute oder morgen sollte der Soldgeldtransport in Seminole ankommen.
Es war eine ganz einfache Rechnung.
Für ihn, Allan, galt es, den Mann, der die beiden Weidereiter ermordete, zur Verantwortung zu ziehen. Jetzt war der Mord am Sheriff hinzugekommen. Und das war sicherlich nicht alles. Auch der Überfall auf die Kutsche würde nicht unblutig verlaufen. Allan ahnte, dass Shadoe Rankin den Krieg gegen den Norden auf eigene Faust fortzuführen gedachte. Er musste diesem Wahnsinnigen das Handwerk legen. Und er wollte alles daransetzen, Sally vor dem Untergang zu retten. Das Bild des hübschen Mädchens, das bereits die Erfahrung von hundert Jahren gesammelt hatte und die Abgründe des Lebens in all ihrer Gnadenlosigkeit und Unerbittlichkeit kennengelernt hatte, schob sich immer wieder vor sein geistiges Auge. Er fühlte sich auf besondere Art von ihr angezogen und gefesselt ...
Unaufhaltsam schob sich die Sonne dem Westen entgegen. Die Luft flirrte in der Hitze. Die Konturen verschwammen wie hinter einer Wand aus Wasser. Geduldig wartete Allan. Sein Pferd rupfte das Gras, das auf dem Abhang wuchs.
Im Norden zeigte sich eine Staubfahne. Mehr Staub, als dass ihn nur der Wind aufgewirbelt haben konnte. Dann konnte Allan drei schwarze Punkte ausmachen, die sich vor der Staubwolke bewegten. Er wurde kalt wie ein Eisblock..
Immer wieder nahmen Bodenwellen die Näherkommenden auf, sie verschwanden aus Allans Blickfeld, um gleich darauf wieder auf dem Rand einer Erhebung zu erscheinen. Sie ritten schnell. Verschwommen prallte das Hufgetrappel heran. Bald konnte Allan Einzelheiten unterscheiden. Das Geräusch, das die Pferdehufe erzeugten, hatte sich zu einem stakkatohaften Hämmern ausgewachsen.
Die drei Reiter sprangen im Farmhof von den Pferden. Allan erkannte Shadoe Rankin und einen der Kerle aus dem Saloon. Einer rief etwas, aber Allan war zu weit entfernt, als dass er die Worte verstehen hätte können.
Sie brachten die Pferde nicht in den Korral, sondern leinten sie nur beim Tränketrog an. Dann liefen sie ins Haus.
Allan war ein wenig unschlüssig. Er rechnete sich seine Chancen gegen die drei aus. Gleichzeitig stellte er sich die Frage nach dem vierten Mann. War die Kutsche doch bewacht gewesen? War der hold up misslungen, und der vierte Mann starb oder fiel den Bewachern in die Hände? Oder verwischte er nur die Spuren und tauchte innerhalb der nächsten Viertel- oder halben Stunde auf?
Gedanken kamen, wurden wieder verworfen, bildeten sich neu, um auf’s Neue verdrängt zu werden.
Es waren drei skrupellose Halunken, drei heiße Eisen, Kerle, die nichts mehr zu verlieren hatten und die absolut kompromisslos und tödlich waren.
Allan beschloss nach langem Grübeln, sich hinunterzupirschen und zu versuchen, sie zu überraschen. Er wollte seinen Entschluss schon in die Tat umsetzen, als ein Geräusch von Nordwesten heranwehte, das ihn hinter sich blicken ließ. Dort, wo sich der Weg zur Stadt aus den Hügeln schlängelte, sah er den flachen Farmwagen rollen, auf dessen Bock Sally saß. Ungeschützt vor ihren Blicken stand sein Pferd am Hang unterhalt der Kuppe. Allan staute den Atem, für die Spanne einiger Herzschläge lang blockierte sein Verstand. Sie konnte den Falben gar nicht übersehen, denn der Weg führte an der Basis des Hügels vorbei, auf dem er Position bezogen hatte.
Allan lief zu seinem Pferd, packte die Leinen und zerrte es quer zum Hang auf eine Buschgruppe zu.
Unten ließ Sally die langen Zügel auf den Rücken des Zugtieres klatschen. Mit schrillem Geschrei feuerte sie plötzlich das Tier an. Das Rumpeln des Gefährtes wurde lauter. Die Peitsche knallte. Allan wusste, dass sie ihn bemerkt hatte. Er zerbiss eine wütende Verwünschung, war mit einem Sprung im Sattel und jagte hangabwärts.
Allan schnitt dem Gespann den Weg ab, griff nach dem Kopfgeschirr des Zugpferdes und versuchte, es in den Stand zu bringen. Sally schlug mit der Peitsche nach ihm. Allan lenkte den Falben nur noch mit den Schenkeln. Mit dem rechten Arm deckte er Kopf und Gesicht gegen die Peitschenhiebe ab, seine Linke umklammerte das Kopfgeschirr. Es gelang ihm, das Gespann vom Weg abzudrängen und in einem Bogen ein Stück den Hügel hinaufzulenken. Auf dem ansteigenden Terrain wurde das Pferd vor dem Wagen von selbst langsamer. Und schließlich blieb es stehen.
Einige Treffer mit der dünnen Peitschenschnur musste Allan kassieren, ehe er sie mit der rechten Hand erwischte. Ein Ruck, der Sally fast vom Bock riss, und sie ließ die Peitsche fahren. Sie sprang seitlich vom Bock und rannte davon, zurück zum Weg, um zur Farm zu flüchten.
Allan registrierte, dass auf dem Wagen John Finerty unter einer Decke lag. Finerty war bei Bewusstsein, aber er war zu schwach, um Allan gefährlich werden zu können.
Allan trieb das Pferd an. Noch waren sie von der Farm aus nicht zu sehen. Er holte Sally ein, warf sich vom Sattel aus auf sie und riss sie zu Boden. Der Falbe wurde vom Schwung noch ein Stück weitergetragen, dann blieb er stehen. Geschmeidig entwand Sally sich Allan, federte hoch und hetzte schreiend weiter. Bis Allan auf die Beine kam und sie einholen konnte, war sie schon um den Hügel herum, und das Gelände wurde abschüssig. In der Senke lag die Farm, und am Tränketrog standen drei abgetriebene Pferde ...
Sally schrie wie am Spieß. Der Anblick der Farm schien sie noch zu beflügeln und ihre Schritte zu beschleunigen. Ihre Fußsohlen schienen kaum noch den Boden zu berühren. Sie flog regelrecht dahin.
Allan stoppte jäh, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Es war jetzt sinnlos, sie noch einholen zu wollen. Jetzt waren auch die Schufte auf der Farm gewarnt. Allan lief zurück, stieg in den Sattel und ritt an den Wagen heran. Finertys Augen glühten wie im Fieber, sein eingefallenes Gesicht war gerötet und glänzend vom Schweiß. Allan fauchte: „Ich weiß, dass Rankin der Mörder meiner Männer ist, und dass ihr Hundesöhne den Sheriff auf dem Gewissen habt. Ihr entkommt mir nicht. Keiner von euch!“
Mit dem letzten Wort spornte Allan sein Pferd an und jagte es den Hügel hinauf.
In diesem Moment schien das Farmhaus Shadoe Rankin und seine beiden Kumpane geradezu auszuspucken. Sally rannte wie von Furien gehetzt auf sie zu, schrie und gestikulierte mit den Armen.
*
„Passt auf!“, rief Shadoe Rankin schneidend. Er hatte das Gewehr an der Hüfte und starrte mit versteinertem Gesicht und voll finsterer Gedanken seiner Tochter entgegen.
Jim Conner und Stan Hancock spritzten auseinander, suchten Deckung bei windschiefen Schuppen und tasteten mit den Augen das Land in die Richtung ab, aus der Sally gelaufen kam.
„Dad!“, schrie Sally gehetzt und atemlos. „Hinter dem Hügel - der Fremde, der Mann vom Canadian - er hat John in der Stadt niedergeschossen ...“
Sie stolperte und stürzte um ein Haar, fing sich aber, taumelte die letzten Meter auf Shadoe Rankin zu. Sie war dem Zusammenbruch nahe, der Sprint hatte ihre Reserven ziemlich aufgebraucht.
Dann lehnte sie sich gegen ihren Vater. „Der Wagen - John liegt auf der Ladefläche - ich wollte ihn nicht in der Stadt lassen ...“
Sie hustete. Rankins Zahnschmelz knirschte. Und plötzlich schob er Sally zur Seite. Denn auf dem Hügel zeigte sich Allan. „Geh ins Haus!“, zischte er. Und dann rief er brechend: „Jim, Stan, zu den Gäulen. Diesen Bastard schnappen wir uns.“
Aber da brüllten deren Gewehre bereits auf. Auf der Kuppe warf sich Allan in Deckung, und in den verrollenden Donner der Detonationen hinein begann sein Gewehr zu sprechen. Holz splitterte unter den Einschlägen seiner Geschosse, Staubfontänen wurden hochgewirbelt.
„Ins Haus!“, brüllte Rankin überschnappend, weil Sally wie angewurzelt mitten im Hof stand. Gleichzeitig hastete er in die Deckung des Stalles. Hart schmiegte er sich an die morsche Wand.
Sally wankte auf tauben Beinen ins Farmhaus.
Die Gewehre schwiegen nach dem ersten kurzen Schusswechsel. Stan Hancock rief: „Wir können uns auf keine lange Belagerung durch ihn einlassen, Captain. In zwei Stunden rückt sicherlich eine ganze Kompanie Soldaten aus dem Stützpunkt in Seminole an, und dann nehmen sie uns hoch, dass der Rauch davongeht.“
„Verdammt, ja“, pflichtete Jim Conner ihm bei. „Uns brennt der Boden unter den Sohlen, darum müssen wir uns den Hundesohn so schnell wie möglich vom Hals schaffen und verduften. Von den Yanks ausgeräuchert zu werden ist das letzte, was ich will.“
Rankin überlegte nicht lange. „All right, nehmt ihn in die Zange. Ich halte ihn von der Farm fern. Aber seid auf der Hut. Der Hombre ist nicht zu unterschätzen. - Vorwärts, ich gebe euch Feuerschutz.“
Sein Gewehr begann rhythmisch zu krachen. Hancock und Conner drückten sich ab. Das Peitschen der Schüsse in den Ohren rannten sie durch die Senke auf den Hügel zu. Dann warfen sie sich sich hinter die nächstbeste Deckung und atmeten rasselnd.
Rankins Gewehr verstummte. Auf dem Kamm rührte sich nichts. Minutenlang herrschte erdrückende Stille. Dann gab Conner ein Zeichen. Rankin fing erneut an zu schießen. Conner schnellte hoch und rannte weiter. Hancock zögerte, als hätte er plötzlich begriffen, dass sie von Rankin verheizt werden sollten.
Auf dem Hügel peitschte es auf, allerdings an ganz anderer Stelle, als der, die Rankin unter Feuer nahm. Conner wurde herumgerissen, verlor das Gleichgewicht, überschlug sich am Boden und blieb verrenkt liegen. Hancock feuerte wie irrsinnig. Geduckt und rückwärtsgehend zog er sich zwischen die Schuppen zurück. Der Schlagbolzen von Rankins Gewehr schlug in eine leere Kammer.
„Sally!“, brüllte Shadoe Rankin, und seine Stimme überschlug sich. „Pack alles an Proviant und Munition zusammen, was du im Haus findest. Dann bring die Gäule vom Hof. Führe sie hinter den Heuschober. Auf dich schießt dieser Aasgeier bestimmt nicht. Mach schon!“
„Ich verlasse die Farm nicht ohne John!“, antwortete das Mädchen durch eines der Fenster, und in ihrer Stimme lag ein trotziger Unterton. „Er liegt verwundet auf dem Wagen hinter dem Hügel und ...“
Schneidend fiel ihr Shadoe Rankin ins Wort: „Der Hundesohn auf der Kuppe hat sämtliche Trümpfe in der Hand. Er kann uns hier festnageln, bis es für uns tatsächlich keine Chance mehr gibt. Verdammt, tu’ was ich dir sage, Sally!“ Er lachte plötzlich irr auf. „Der Krieg fordert eben seine Opfer - von uns allen. Muss ich dir erst Beine machen?“
Die letzten Worte konnte Sally schon nicht mehr verstehen, denn Stan Hancocks Rifle fing wieder an zu hämmern, nachdem der Bandit auf dem Kamm eine huschende Bewegung wahrgenommen zu haben glaubte.
Rankin zog sich hinter den Stall zurück, stieß sich ab und war mit vier langen Sprüngen an der Seitenwand eines Schuppens. Blitzschnell verschwand er dahinter. Wo er eben noch gestanden hatte, riss eine Kugel Allans einen Span aus dem Holz. Dort, wo Allan lag, wolkte Pulverdampf. Sofort nahm ihn Hancock unter Feuer. Allan musste den Kopf einziehen und kroch zur Seite davon.
Der Kampflärm verebbte grollend in der Ferne. Wie es schien, dachte Sally nicht daran, sich den Anordnungen ihres Vaters zu beugen. Zorn übermannte Rankin. Mit klirrendem Organ schrie er: „Sally, zur Hölle mit dir! Wo bleibst du?“
Kaum, dass das letzte Wort über seine Lippen war, lief das Mädchen ins Freie. Sally hatte eingesehen, dass es sinnlos war, gegen den Strom von Irrsinn anzuschwimmen, der von ihrem Vater ausging. Sie hasste ihn, aber sie fügte sich. Sie trug einen Leinenbeutel, in den sie gerafft hatte, was ihr an notwendigen Dingen in die Hände fiel. Brot, Rauchfleisch, Kaffee, den sie bereits gemahlen hatte und in einer Büchse aufbewahrte, und natürlich Munition.
Sally erreichte die Pferde, hängte den Leinensack an einen Sattel, leinte die Tiere los und zog sie hinter die Scheune.
Es fiel kein Schuss.
Stan Hancock verließ seinen Platz und erreichte Shadoe Rankin. „Er wird uns folgen“, hechelte er, „und wie ich diesen Bastard einschätze, gibt er keine Ruhe, bis er uns erledigt hat.“
„Erstens ist er schätzungsweise nicht gerüstet für einen längeren Ritt!“, schnappte Rankin böse. „Zweitens sind wir keine Anfänger, die er einfach nur zu verfolgen und zu erledigen braucht. Wir sind ihm überlegen. In der Felswildnis weiter westlich muss er auf Schritt und Tritt damit rechnen, dass wir unser Blei in ihn hineinknallen. Das weiß er, und darum mache ich mir keine allzugroßen Sorgen.“
Im Schutz der Hütten gelangten sie zu den Pferden. Sally ignorierte ihren Vater. Sie saß bereits auf einem der Pferde und hielt die Zügel straff. Die Schatten ringsum begannen sich aufzulösen. Das rote Licht des Sonnenunterganges floss über die Berge und fiel weit in die Täler hinein. Von Osten schoben sich die Dunstschwaden des beginnenden Abends heran.
Bevor sie sich auf die Pferde schwangen, luden Rankin und Hancock ihre Gewehre nach. Sally schien mit ihren Gedanken weit weg zu sein. Durch ihren Verstand geisterten die eindringlichen Worte Dooleys, die dieser auf dem Vorbau des Saloons zu ihr gesprochen hatte: ‘Dein Vater ist nicht mehr der Mann, der er einmal war, ehe der verdammte Krieg ausbrach ... Mädchen, die Kerle auf der Farm, dein Vater eingeschlossen, sind Banditen, und du steckst mitten drin ... Auf deinen Vater und die anderen Schufte fällt bereits der Schatten des Galgens ...’
Shadoe Rankin und Stan Hancock warfen sich auf die Pferde. Sally wurde aus ihrer gedanklichen Versunkenheit gerissen. Abscheu und Grauen stiegen in ihr hoch und dazu gesellte sich eine grenzenlose Verachtung. Es wollte ihr nicht in den Kopf, dass ihr Vater John Finerty so schmählich im Stich ließ.
Sie ritten an. Zwischen ihnen und Allan war die Scheune. Im gestreckten Galopp stoben sie nach Osten. Auf dem Hügel erhob sich Allan. Versonnen starrte er hinter ihnen her, bis sie zwischen den Hügeln, die die Senke begrenzten, seinem Blickfeld entschwanden. Für kurze Zeit hätte Allan Gelegenheit gehabt, ihnen seine Kugeln hinterherzuschicken. Aber alles in ihm wehrte sich dagegen, Sally mit seinen Schüssen zu gefährden.
Also schaute er tatenlos zu, wie sie entkamen, und schalt sich einen Narren. Aber da war die Hemmschwelle, die ihn hinderte, über seinen Schatten zu springen. Dabei wusste er, dass Fairness bei diesen Banditen absolut fehl am Platze war.
Es war sinnlos, ihnen zu folgen. Sie würden es sehr schnell herausfinden, wenn er sich an ihre Fersen hängte, und ihm irgendwo in der Einöde auflauern. Ein Selbstmörder aber war Allan nicht.
Resignation und Enttäuschung befielen ihn. Es war wohl so, dass er wieder ganz von vorne anfangen musste. Die Spur der Banditen würde sich irgendwo in der Wildnis verlieren. Müde ging er zu seinem Pferd. Dann ritt er hinunter zu dem Wagen, auf dem John Finerty lag.
*
Allan leinte sein Pferd am Fuhrwerk an. Er schwang sich auf den Bock. Im Westen schienen die Berge im Sonnenuntergang zu bluten. Nach Norden zu färbte sich der Himmel dunkel. John Finerty hatte bis jetzt still auf der Ladefläche gelegen. Allan war sich nicht sicher, ob er richtig bei Bewusstsein war und alles mitgekriegt hatte, ob er ihn, Allan, überhaupt erkannte. Es schien, als trieb der Bandit in der zwielichtigen Welt der Trance. Als Allan, ehe er anfuhr, sich umdrehte, aber sah er den glimmenden, zügellosen Hass in den entzündeten Augen Finertys.
Allan sprach ohne besondere Betonung: „Sie sind abgehauen, Finerty.“ Sally hatte den Namen des Banditen nach der Schießerei in Seminole wiederholt erwähnt, und Allan hatte ihn sich gemerkt. „Es ist Rankin also egal, was aus dir wird. Ich schaffe dich zurück in die Stadt, und dort bringe ich dich auf Nummer sicher.“
Finerty Lider zuckten plötzlich erregt. Dann sagte er matt: „Ich glaube dir kein Wort, Mister. Der Captain hat niemals einen seiner Männer in der Not im Stich gelassen. Er überlässt auch mich nicht meinem Schicksal.“
„Ich schätze, du irrst dich in Rankin ganz gewaltig, Finerty. Rankin und einer der beiden Kerle, die vor wenigen Tagen ankamen, sind stiften gegangen. Sally reitet mit ihnen. Einen deiner Kumpane schoss ich vorhin nieder. Dein Captain hat ihn regelrecht verheizt. - Na schön, glaub ruhig daran, dass dich Shadoe Rankin nicht aufgibt. Vielleicht glaubst du auch noch daran, wenn sie dir einen Strick um den Hals gelegt haben und sich der Boden unter deinen Füßen öffnet.“
„Die Pest an deinen Hals!“, gurgelte Finerty.
Unbeeindruckt angelte Allan nach den Zügeln, er trieb das Gespannpferd an. Allan lenkte es herum und fuhr zu der Stelle, an der Jim Conner gestorben war. Er wuchtete den Leichnam auf den Wagen. Finertys Miene spiegelte sekundenlang Betroffenheit und Entsetzen wider, als er in dem Toten seinen besten Freund erkannte. Er schluckte würgend.
Allan fuhr den Wagen in die Stadt. Als er sie erreichte, war es finster. Er zog die Zügel straff, als er die Menschenansammlung auf der Main Street wahrnahm. Die Menge staute sich um das Postkutschendepot, das im Licht mehrerer Laternen deutlich auszumachen war. Langsam fuhr Allan weiter. Die Räder mahlten durch den Staub. Er sah über die Köpfe der Neugierigen hinweg die Stagecouch. Die Gaffer renkten sich regelrecht die Hälse aus. Allan registrierte, dass die Menge bedrückt und schockiert schwieg. Düstere Ahnungen schoben sich in sein Bewusstsein.
Dicht hinter der Menschenrotte zügelte er das Pferd. Allan stellte sich auf, um mehr erkennen zu können. Er sah einige Soldaten - und ihm entgingen nicht die leblosen Körper, die nebeneinander auf dem Gehsteig vor dem Postoffice lagen. Es handelte sich um drei Zivilisten und zwei Uniformierte. Und in einem der Zivilisten erkannte er einen von Shadoe Rankins Komplizen.
Man war auf ihn aufmerksam geworden. Köpfe drehten sich ihm zu, stechende Blicke taxierten ihn. Plötzlich schrie jemand gellend: „He, das ist der Wagen, mit dem Sally in der Stadt war. Himmel, dieser Davis bringt den Hundesohn, den er im Saloon niederschoss, in die Stadt zurück. Und noch einer liegt auf dem Wagen. Aaah, es ist dieser Conner, und er ist tot!“
Sofort scharten sich Männer und Frauen um den Farmwagen. In diesem Augenblick ritt ein Trupp Soldaten aus einer Seitenstraße, schwenkte ein und näherte sich im klirrenden Trab.
Durch die Masse der Leiber kämpfte sich Dooley. Er schimpfte, fluchte, drängte und schupste, und es gelang ihm nach einigen Mühen, sich aus der zähen Umklammerung der Rotte zu befreien. In dem Moment, als er den Wagen erreichte, hielt der Trupp Soldaten auf einen schnarrenden Befehl hin an. Die Kavalleristen saßen ab und bahnten sich einen Weg durch die sensationslüsterne Bürgerschar.
Allan sprang vom Bock und landete neben Dooley auf der Straße. Der Stallmann warf einen schnellen Blick auf die Ladefläche des Fuhrwerks, dann krächzte er erregt: „Sie haben den Lohngeldtranport überfallen, rechneten aber wohl nicht damit, dass eine Handvoll ausgesuchter Scharfschützen in der Kutsche saßen. Einer von Rankins Strolchen ging vor die Hunde. Allerdings starben auch der Kutscher, der Begleitmann und zwei Soldaten. Nun wird die Armee Shadoe Rankin hetzen, bis ihm die Zunge zum Hals heraushängt. - Doch jetzt bist du dran, Davis. Erzähle!“
Mit wenigen Worten berichtete Allan, was sich zugetragen hatte. Er kam nicht bis zum Ende, denn plötzlich tauchten ein Captain und zwei Soldaten auf. Der Captain nickte Allan zu, starrte einige Zeit auf John Finerty und den toten Jim Conner, dann stieß er hervor: „Soviel ich dem ganzen Durcheinander hier entnehmen konnte, gehören diese beiden zu der Bande, die für den Überfall auf die Concord verantwortlich ist.“
„Das ist richtig“, erwiderte Allan, aber es klang auf seltsame Weise distanziert und zurückhaltend. „Ich war in der Nähe der Farm, als Rankin und zwei seiner Kumpane zurückkamen ...“
Allan schilderte ziemlich detailliert, was sich zugetragen hatte. Der Captain lauschte aufmerksam. Allan schloss: „Shadoe Rankin und sein letzter Mann sind über alle Berge. Mit ihnen reitet Rankins Tochter, und ich nehme an, ihr Vater nötigte sie dazu. Wahrscheinlich will Rankin Texas verlassen, denn hier wird bald an jeder Schuppenwand sein Steckbrief prangen.“
„Legt den Toten zu den anderen“, wies der Captain die beiden Soldaten an. Zu Allan sagte er: „Den Verwundeten übernehmen wir. Er landet vor dem Standgericht“
„Er hat an dem Überfall nicht teilgenommen“, widersprach Allan. „Allerdings war er mit Sicherheit an dem Mord an Sheriff Fred McLean beteiligt. Finerty gehört demnach vor das zivile Strafgericht. Deshalb bringe ich ihn in das Gefängnis dieser Stadt.“
Allan sprach es in einer Art, die den Captain stutzen ließ. Gedehnt fragte er: „Wer soll ihn anklagen, wenn der Sheriff tot ist?“
„Es wird sich jemand finden, der den Stern nimmt.“
Skeptisch musterte der Offizier Allan, schließlich nickte er. „Er wohl wirklich nicht dabei, als seine Kumpane den Transport überfielen. Meinetwegen, sperren sie ihn ein und sorgen Sie dafür, dass er vor Gericht gestellt wird.“
„Mein Wort drauf“, versicherte Allan.
Der Captain machte auf den Absätzen kehrt und ging zurück zur Kutsche. Die beiden Soldaten hoben den toten Banditen vom Wagen und trugen ihn davon.
„Folge mir, Dooley.“ Allan nahm das Gespannpferd am Kopfgeschirr und führt es hinter der Menschenrotte entlang zum Sheriff Office. Als John Finerty in einer Zelle auf der Pritsche lag, knurrte Allan drohend: „Es ist viel Blut geflossen, Finerty, und die Menschen in dieser Stadt sind ziemlich aufgebracht. Noch halten sie sich zurück, weil sich Soldaten in der Town befinden. Was aber ist, wenn diese zu ihrem Camp zurückgekehrt sind, wenn hier der Hass die Oberhand gewinnt? Soll ich es dir sagen, Amigo? Dann wird in Seminole sehr schnell der Ruf nach einem Strick für dich laut, und schließlich kommen sie, die Lyncher. Das Gesetz verbietet es, einen verwundeten Mann aufzuhängen, ihnen aber wird das völlig egal sein. Niemand wird sie aufhalten, denn der Sheriff, der sich schützend vor dich stellen müsste, ist tot - von dir und deinen Freunden ermordet. Also holen sie dich aus dem Käfig. Sie zerren dich auf die Straße, unter einen Baum ...“
Allan verstummte und ließ seine gnadenlosen Worte auf John Finerty wirken. Ungerührt stand Dooley daneben. Er hielt eine Laterne in der Hand. Sie schwankte leicht und der Lichtschein geisterte durch die Zelle. Finerty atmete hart und stoßweise. Seine Augen flackerten, in seinem Gesicht zuckten die Nerven.
Unbarmherzig fuhr Allan fort: „Sie setzen dich auf ein sattelloses Pferd, deine Hände sind auf den Rücken gefesselt, vor deinem Blick baumelt die Schlinge von einem starken Ast. Der hängelüsterne Mob johlt und grölt. Die Menge kann es kaum erwarten, dich am Strick zappeln zu sehen. Und dann legt dir einer den rauen Hanf um den Hals. Wenn du beten kannst, Finerty, dann fängst du spätestens jetzt damit an. Aber du kommst nicht weit, denn ein anderer versetzt dem Pferd einen Schlag, das Tier schnellt erschreckt unter dir weg, du rutscht über die Kruppe, und dann ...
„Hör auf!“, kreischte der Bandit und warf den Kopf hin und her, presste die Hände gegen die Ohren, wurde vom Grauen geschüttelt. „Hör auf, mein Gott ...“ Die Worte drangen nur noch als klägliches Wimmern über seine blutleeren Lippen.
Allan konnte kein Mitleid mit ihm empfinden. Seine Hände umspannten die Handgelenke Finertys, er bog die Arme des Banditen zur Seite, Finerty lag still und starrte entsetzt in das Gesicht über sich. Er war nur noch ein zitternder Haufen Elend.
„Ich kann dich aber auch der Obhut der Armee überlassen, Finerty“, erklärte Allan abgehackt und eindringlich. „Vorausgesetzt, ich erfahre von dir alles, was du weißt. Alles, hörst du, Finerty.“
Der Bandit bäumte sich auf. Ein Zischton brach über seine trockenen, rissigen Lippen. Der Schmerz von seiner Wunde tobte durch seine Brust und entstellte sein Gesicht, er röchelte.
Unvermittelt ließ Allan seine Handgelenke los. Kraftlos fielen seine Arme nach unten. Fahrig wischten seine Hände über die zerschlissene Decke, die Dooley über ihn gebreitet hatte.
Allans Organ klirrte: „Gehen wir, Dooley. Er ist stur und unbelehrbar. Diese selbstmörderische Art von Ehrenkodex werde ich wohl mein Leben lang nicht begreifen.“
Er wandte sich ab. Finerty stammelte verzweifelt: „Du kannst mich nicht einfach dem Mob überlassen. - Bleib hier!“ Die Aufforderung kam flehend, fast wie ein erstickter Aufschrei. „Was - was willst du wissen?“
Allan beugte sich über ihn. „Hat Rankin die beiden Cowboys am Canadian ermordet?“
Zitternd holte der Bandit Luft. „Ja, bei Gott, er hat sich damit gebrüstet.“
„Bist du bereit, dies vor Gericht zu wiederholen?“
„Yeah, verdammt, ich ...“
„Wer schoss auf McLean und mich?“
Finerty stöhnte langanhaltend und kläglich. „Es - es geschah auf Rankins Befehl“, stammelte er. „Ich, Conner, Douglas und Hancock führten ihn aus. - Ich - ich will alles bezeugen ...“
„Hast du eine Ahnung, wohin Rankin flieht?“
„Wahrscheinlich nach New Mexiko“, röchelte Finerty, „in die Sacramento Mountains. Es gibt dort am Rio Penasco einen Ort namens Warners Hole. Es ist ein Banditennest. Dorthin wollten wir uns nach dem hold up auf den Geldtransport absetzen.“
Unauslöschlich brannten sich die Namen in Allans Verstand fest: Sacramento Mountains - Rio Penasco - Warners Hole.
„Hast du den Namen dieses Ortes schon einmal gehört?“, fragte er Dooley.
Der Oldtimer schüttelte den Kopf.
„Well“, murmelte Allan, „ich finde ihn. - Dooley, lauf und hol den Captain her.“
Als Dooley fort war, ging er ins Office, setzte sich hinter den Schreibtisch und wartete ...
*
Shadoe Rankin, Stan Hancock und Sally waren zunächst nach Osten geritten, dann wandten sie sich nach Süden, und als sie sicher waren, dass Allan sie nicht verfolgte, ritten sie nach Westen.
Sie befanden sich längst in New Mexiko. Am Abend des dritten Tages erreichten sie den Pecos River. Sie lagerten am Fluss. Am Morgen des folgenden Tages überschritten sie ihn. Ohne Fragen zu stellen folgten Shadoe Rankin und Sally Stan Hancock.
Mit jeder Meile, die sie zurücklegen, wurde das Land felsiger und unwirtlicher. Zwischen den Felsen fristeten dornige Comas und Mesquitesträucher ein kümmerliches Dasein. Aus den glutheißen Ebenen erhoben sich riesige Kakteen. In diesem Land hatten nur Klapperschlangen und Eidechsen eine Chance. Der heiße Wind trieb feinen Staub vor sich her, er drang zwischen die Zähne und unter die Kleidung und scheuerte die Haut wund.
Es war ein Land, das der Satan persönlich gestaltet haben musste.
Sally war fast am Ende. Aber weder Hancock noch ihr Vater nahmen Rücksicht auf sie. Nur noch mit äußerster Willenskraft hielt sie sich auf dem Pferd. Der fünfte Tag ihrer strapaziösen Flucht ging zu Ende. Sie lagerten in den östlichen Ausläufern der Sacramento Mountains an einem schmalen Fluß. Sally hatte sich dort, wo sie aus dem Sattel gerutscht war, zu Boden fallen lassen. Jeder Knochen und jeder Muskel ihres Körpers schmerzte. Sie fühlte sich wie gerädert. Wie aus weiter Ferne hörte sie ihren Vater mit staubheiserer Stimme fragen: „Wie weit noch, Hancock?“
Hufe pochten, als sie die Pferde zum Fluss führten.
Stan Hancock antwortete kratzig: „Morgen Nachmittag sind wir am Ziel. Etwa zwanzig Meilen noch.“
„Wir haben diesem James Warner nichts zu bieten“, setzte Rankin wieder an.
„Mach dir deswegen keine Sorgen, Captain“, entgegnete Hancock. „Warner und ich sind alte Bekannte. Außerdem sind eine Reihe guter Freunde von mir bei ihm untergekrochen. Wir finden dort Aufnahme, also sei unbesorgt.“
„Was für Freunde sind das?“, kam es wie aus der Pistole geschossen und getränkt mit Misstrauen von Shadoe Rankin.
Sie waren am Flussufer. Die Pferde tranken gierig.
„Männer wie wir - vor dem Gesetz auf der Flucht. Falls du Namen hören willst, so werden sie dir kaum etwas sagen. In Warners Hole sind wir jedenfalls sicher.“
„Auch Hartfield soll sich nach New Mex verzogen haben“, sagte Rankin, und wieder war der tiefverwurzelte Argwohn in seinem Tonfall nicht zu überhören. Ihm gefielen plötzlich eine ganze Reihe von Dingen nicht mehr. Es passte ihm nicht, geführt zu werden - er war es gewöhnt, zu führen. Ihm gefielen auch nicht die gierigen Blicke Hancocks, wenn er Sally beobachtete. Sein Instinkt meldete sich, düstere Ahnungen zuckten wie Warnungen vor drohendem Unheil durch seinen Verstand.
„Was soll das heißen?“ Die Worte schienen in Hancocks Mund regelrecht zu zerplatzen. „Traust du mir plötzlich nicht mehr?“
Über die leeren Pferderücken hinweg kreuzten sich ihre Blicke wie Degenklingen. Shadoe Rankin presste hervor: „Die Idee mit Warners Hole kam von dir und Douglas. Du bist ganz erpicht darauf, uns zu diesem Banditenhorst zu führen. Kamt ihr von dort? Aus welchem Grund kamt ihr zu mir? Ich habe euch nie eingeladen.“
„Hast du das auch Finerty und Conner an den Kopf geworfen, Captain?“, fragte Hancock, und er war bemüht, seiner Stimme Ruhe und Gelassenheit zu verleihen.
Als Rankin nichts erwiderte, sprach Hancock eine Idee zu hastig weiter, zugleich eindringlich, fast beschwörend: „Dein Misstrauen habe ich nicht verdient, Captain. Wir haben dir geholfen, den Sheriff zu beseitigen und sind mit dir geritten, um den Geldtransport zu überfallen. Nun, wir hatten Pech, und Henry ist sogar für dich gestorben - wie so viele aus deiner Kompanie im Trommelfeuer der Yanks.“
„Schon gut“, murmelte Rankin.
Die Pferde hatten getrunken. Die beiden Männer wuschen sich die Gesichter, dann kehrten sie zum Lagerplatz zurück. Wenig später loderte ein kleines Feuer. Sally hatte sich an einen Felsen gesetzt, den Rücken dagegengelehnt und die Hacken ihrer Stiefel in den Boden gebohrt. Sie fühlte sich elend. Und sie wunderte sich, wie sie das alles psychisch und physisch verkraftete. Sie war staubig und verschwitzt. Und unablässig fragte sie sich, wie das alles noch enden sollte. Sie fürchtete sich vor dem Banditenschlupfwinkel in den Bergen ...
Wie Stan Hancock es vorausgesagt hatte, langten sie am Nachmittag des folgenden Tages in Warners Hole an. Es handelte sich um eine frühere Silberminenstadt. Schon lange vor dem Krieg war sie aufgegeben worden, als die Silbervorkommen sich als weitaus weniger üppig erwiesen, als zunächst angenommen worden war. Die Häuser wirkten heruntergekommen und verwahrlost. Tumbleweds trieben über die Main Street und verfingen sich an eingebrochenen Gehsteigen, Vorbaukanten und Hausecken. Bei vielen Gebäuden hingen die Türen schief in den Angeln und knarrten im heißen Wind. Dunkle Fensterhöhlungen gähnten den drei Reitern entgegen.
Details
- Seiten
- Erscheinungsjahr
- 2023
- ISBN (ePUB)
- 9783738970289
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2023 (Januar)
- Schlagworte
- raue sattelgefährten western romane