Zusammenfassung
Über den Berggraten im Westen hing glühend die Sonne und tauchte das Land in weiches rötliches Licht. Von Osten her schob sich amberfarben die Dämmerung. Noch immer war es heiß. Kein Luftzug regte sich.
In die Stille hinein erklang ferner Hufschlag. Er näherte sich von Westen. Lauschend hob John Lorimer den Kopf. Er streifte mit einem Blick sein Reitpferd, eine Fuchsstute. Sie witterte in die Richtung, aus der das Hufgetrappel ertönte und spielte mit den Ohren.
John stellte die Tasse ab und erhob sich mit einem Ruck. Groß und hager stand er da, hellwach und angefüllt mit düsteren Ahnungen. In dieser Einöde konnte man niemals wissen, wessen Weg man kreuzte. Hier galt das unerbittliche Gesetz des Stärkeren, egal, ob dieser gut oder schlecht war. Und darum stellte John sich auf Verdruss ein. Er rückte seinen Revolvergurt zurecht, lüftete das Schießeisen etwas im Holster und ging zu seinem Sattel, angelte sich die Winchester und hebelte eine Patrone in den Lauf. Dann zog er sich in das dichte Gestrüpp zurück, das seinen Lagerplatz säumte, und wartete.
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© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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John Lorimer - Den Hals in der Schlinge: Pete Hackett Western Edition 101
Western von Pete Hackett
Über den Autor
Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G. F. Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.
Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G. F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."
Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-Book bei CassiopeiaPress.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author www.Haberl-Peter.de
© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Ruhig weidete die Herde Pferde in dem provisorisch errichteten Seilcorral. Am niedrig brennenden Campfeuer hockte John Lorimer und starrte versonnen in die züngelnden Flammen. Von einem Gestell aus Astgabeln hing ein Kaffeetopf über dem Feuer. Er war rußgeschwärzt. John Lorimer hielt die Blechtasse mit beiden Händen fest. Einsamkeit umgab ihn.
Über den Berggraten im Westen hing glühend die Sonne und tauchte das Land in weiches rötliches Licht. Von Osten her schob sich amberfarben die Dämmerung. Noch immer war es heiß. Kein Luftzug regte sich.
In die Stille hinein erklang ferner Hufschlag. Er näherte sich von Westen. Lauschend hob John Lorimer den Kopf. Er streifte mit einem Blick sein Reitpferd, eine Fuchsstute. Sie witterte in die Richtung, aus der das Hufgetrappel ertönte und spielte mit den Ohren.
John stellte die Tasse ab und erhob sich mit einem Ruck. Groß und hager stand er da, hellwach und angefüllt mit düsteren Ahnungen. In dieser Einöde konnte man niemals wissen, wessen Weg man kreuzte. Hier galt das unerbittliche Gesetz des Stärkeren, egal, ob dieser gut oder schlecht war. Und darum stellte John sich auf Verdruss ein. Er rückte seinen Revolvergurt zurecht, lüftete das Schießeisen etwas im Holster und ging zu seinem Sattel, angelte sich die Winchester und hebelte eine Patrone in den Lauf. Dann zog er sich in das dichte Gestrüpp zurück, das seinen Lagerplatz säumte, und wartete.
Die Fuchsstute schnaubte warnend. Die Pferde im Seilcorral hatten aufgehört zu grasen und wurden unruhig. Es waren zwanzig erstklassige Tiere, die bis vor wenigen Wochen noch mit Wildpferdherden durch die Weite der Prärie streiften. Sie waren für den Armeeposten der Alamogordo-Reservation bestimmt.
Der Hufschlag näherte sich rasch, schwoll an wie dumpfes Donnergrollen. Und schließlich trieben sechs Reiter ihre Pferde aus einem Einschnitt zwischen den Geröllhängen in das Hochtal. Sie zügelten ihre Tiere und starrten zu der Stelle, an der die dünne Rauchsäule des Lagerfeuers zum Himmel stieg.
John atmete aus. Diese Kerle waren gekleidet wie Cowboys. An ihren Sätteln waren Lassos und Campzeug befestigt. Sie trugen ihre Colts hoch an der Hüfte, was darauf schließen ließ, dass sie alles andere als Burschen vom heißen Eisen waren.
Dennoch blieb John misstrauisch und wachsam. Er war ein Mann, der sich niemals vom ersten Eindruck täuschen ließ. Er verharrte in seiner Deckung und beobachtete, wie sie wieder anritten. Im Trab trugen ihre Pferde sie heran. Bald konnte er Einzelheiten unterscheiden. Er sah ihre bärtigen Gesichter, den Staub auf ihrer Kleidung und im Fell der Pferde, und erkannte, dass sie einen langen Trail hinter sich hatten. Und ihm war klar, dass es sich tatsächlich um Rinderleute handelte.
Sie hielten an. Ihre Pferde tänzelten auf der Stelle. Ein helles Wiehern erschallte. Aufmerksam musterten sie die Pferdeherde, dann schweiften ihre Blicke suchend in die Umgebung.
»Hallo, Camp!«, rief eine staubheisere Stimme. John trat mit dem Gewehr im Hüftanschlag aus seiner Deckung.
»Heaven's, Stranger, warum so kriegerisch? Wir sind harmlose Pilger auf dem Weg nach Hause. Von uns will dir gewiss keiner ans Leder. Das darfst du mir glauben.«
John lauschte den Worten mit versteinerter Miene. Ihm entging nicht, dass einige der Reiter nervös in den Sätteln herumrutschten.
»Wo ist euer Zuhause?«, ließ er endlich vernehmen, ohne das Gewehr zu senken.
»Dachte schon, du wärst stumm, Fremder!«, kam es wieder von dem Sprecher. »Wir sind von der Star-Ranch. Mein Name ist Mark O'Brien. Wir haben eine kleine Herde Longhorns in Santa Fe verkauft und sind auf dem Heimweg. Es ist Zufall, dass wir auf dein Camp gestoßen sind.«
»Wo liegt die Star-Ranch?«, fragte John, dem es nicht gelang, seinen Argwohn zu unterdrücken, obwohl alles dafür sprach, dass O'Brien die Wahrheit sagte.
»Am San Juan de Dios Creek, westlich von Puerto de Luna. Sie gehört meinem Vater, Bill O'Brien. Hast du etwas dagegen, wenn wir die Nacht an deinem Feuer bleiben, Amigo?«
»Ich habe eine Menge schlechter Erfahrungen hinter mir«, gab John zu verstehen. »Aber dieses Land gehört allen. Und darum kann ich euch nicht hindern, hier von den Gäulen zu steigen und zu lagern.«
»Sehr freundlich bist du ja nicht gerade«, maulte O'Brien und verzog das von Schweiß und Staub verkrustete Gesicht. In seinen Pupillen lohte plötzlich ein zorniges Licht. »Willst du nicht endlich die Knarre herunternehmen? Du machst uns nervös.«
Ein karges Lächeln huschte um Johns Lippen und lockerte seine verkniffenen Züge ein wenig auf. Er ließ die Winchester sinken und versetzte kehlig: »Ihr seht nicht gerade vertrauenerweckend aus, Gents. Und zwanzig Klassepferde wie die dort«, er wies mit der Gewehrmündung in die Richtung des Corrals, »können so manchen Mann auf krumme Gedanken bringen.«
»Du siehst auch nicht gerade aus wie ein feiner Gentleman. He, hast du auch einen Namen?«
John nickte. »Ich heiße Lorimer - John Lorimer.«
»Well, Lorimer, dann höre jetzt, was ich dir sage: Wir sind ehrliche Cowboys, die einen rauen Trail hinter sich haben und froh sind, wenn sie endlich aus den Sätteln klettern und die Beine ausstrecken können. Wir wollen deine Gäule nicht. Dein Misstrauen ist unbegründet. Wir wollen überhaupt nichts von dir.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Wir werden jetzt absitzen und unsere Tiere versorgen. Wenn es dir Spaß macht, kannst du ja mit der Knarre in den Fäusten aufpassen, dass wir deinen Pferden nicht zu nahe kommen.«
John war nicht begeistert. Daraus machte er keinen Hehl. Scharf fixierte er Mark O'Brien. Der Ranchersohn hielt seinem Blick gelassen stand.
»Schon gut, O'Brien. Mein Misstrauen sollte keine Beleidigung sein. Lagert meinetwegen hier. Doch du wirst sicher nichts dagegen haben, wenn ich mich von euch absondere.«
Mark O'Brien schwang das rechte Bein über das Sattelhorn und ließ sich vom Pferderücken gleiten. Er zuckte mit den Achseln. »Wir können dich nicht zwingen, uns Gesellschaft zu leisten.« Er schielte zu den Pferden hin und John glaubte einen jähen, habgierigen Ausdruck in seinen Augen wahrzunehmen. O'Brien fuhr kratzend fort: »Für wen sind die Pferde bestimmt?«
John wartete mit der Antwort, bis auch die anderen Männer abgesessen waren und ihre Pferde zu dem schmalen Bach führten, der das Tal zerschnitt. Schließlich murmelte er widerstrebend: »Für die Blauröcke in der Apachenreservation am Pecos River.«
Mark O'Brien lachte spöttisch auf. »Für die Armee sind diese Gäule zu schade, Lorimer. Viel zu schade. Warum verkaufst du sie nicht an einen reichen Rancher? Du könntest einen Haufen Dollars mehr herausholen.«
»Ich habe einen Vertrag mit der Armee«, erwiderte John knapp und wandte sich ab.
Wieder kam von Mark O'Brien ein hohnvolles Lachen. Aber der Bursche sagte nichts mehr, sondern zog sein Pferd ebenfalls zum Bach, um es zu tränken. John stakste zum zwischenzeitlich niedergebrannten Feuer, ging in die Hocke und beobachtete die Cowboys, die sich Staub und Schweiß von den Gesichtern wuschen, nachdem sie die Tiere versorgt hatten. Etwas an Mark O'Brien gefiel ihm nicht. Dieser Bursche hatte etwas Verschlagenes, Hinterhältiges an sich. Unbehagen begann John zu erfüllen. Er nahm sich vor, auf der Hut zu sein.
*
Die Nacht kam. Es wurde merklich kühler. Bei den Pferden war es ruhig. John lag in seine Decke gehüllt auf der Erde und starrte durch die Dunkelheit hinüber zu den Männern der Star-Ranch. Längliche schwarze Bündel, von denen nur tiefe, gleichmäßige Atemzüge verkündeten, dass in ihnen Leben war. Ab und zu ein gurgelnder Schnarchton, einige im Schlaf gemurmelte Worte - sonst nichts.
John spürte die Müdigkeit bleischwer in seinen Gliedern. Wochen härtester Sattelarbeit lagen hinter ihm. Irgendwann übermannte ihn der Schlaf. Es war, als würde er in einer schwarzen, weichen Wolke versinken. Und als er unsanft geweckt wurde, hatte er keine Ahnung, wie lange er weggetreten gewesen war. Das erste, was er begriff, war, dass sich die Reiter der Star-Ranch um ihn herum aufgebaut hatten. Das zweite waren die matt schimmernden Revolver, die sie in den groben Fäusten hielten und auf ihn gerichtet hatten. Und im nächsten Moment schon war er dem eisigen Wind der Erkenntnis ausgesetzt, dass sie ihn aufs Kreuz gelegt hatten. Das Lachen Mark O'Briens traf sein Selbstbewusstsein wie eine tiefe Kränkung.
»Nun, Lorimer, wir haben es uns überlegt. Die Gäule sind wirklich zu schade für die Pferdesoldaten. Um ein paar halbverhungerte Apachen unter Kontrolle zu halten, brauchen sie keine derartigen Klassetiere. Also werden wir uns um die Pferde kümmern.«
John lag ruhig da. Seine Augen glitzerten im unwirklichen Licht wie glasiertes Porzellan. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. Aber er hatte keine Chance. Sie brauchten nur abzudrücken, um ihn mit ihrem Blei auf die Erde zu nageln. Er hatte das Gefühl, als schließe sich eine eisige Faust um seinen Magen.
»Also doch Banditen!«, entrang es sich ihm. Und während er sprach, tastete seine Rechte unter der Decke nach dem Colt. Die Fingerkuppen berührten den Knauf, dann schloss sich seine Faust um ihn. Und der Zorn kam; jäh und wild wie eine Sturmwoge. Aber es gelang ihm, der Vernunft den Vorrang zu geben und seine Empfindungen zu kontrollieren. Tief sog er die würzige Nachtluft in seine Lungen.
»Banditen ist nicht ganz treffend, Lorimer«, knurrte O'Brien düster. »Sagen wir lieber, dass wir Leute sind, die die günstige Gelegenheit, sich ein paar Dollar hinzuzuverdienen, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Vielleicht hättest du uns freundlicher behandeln sollen.«
Einer der Burschen kicherte. Wieder musste John sich zur Ruhe zwingen. Heiser stieg es aus seiner Kehle: »Ich hätte euch mit Pulver und Blei zum Teufel jagen sollen. Das wäre die Sprache gewesen, die ihr verstanden hättet.«
»Dein Fehler, dass du es nicht getan hast!«, zischte O'Brien böse.
»Ein tödlicher Fehler!«, verbesserte einer der Star-Reiter zynisch.
Johns Körper spannte sich wie eine Feder. Seine Atmung und sein Puls beschleunigten sich. Den Worten, die signalisiert hatten, dass es für John um mehr ging als nur um die Pferde, folgte eine wachsame, angespannte Stille. Sie senkte sich wie ein Leichentuch zwischen sie herab.
»Für Pferdediebstahl wird man in diesem Land gehängt!« John versuchte, Zeit zu gewinnen. »Und erst recht für Mord.«
»Kein Hahn wird nach dir krähen, Lorimer. Hyänen und Aasgeier werden den Rest besorgen. In diesem Land kann ein Mann verschwinden wie ein Sandkorn in der Wüste.«
Schlagartig trocknete Johns Hals aus. Er spürte die Kälte, die aus dem Boden durch die Decke und in seine Kleidung zu kriechen schien, in sein Innerstes ziehen und verdammte seine Hilflosigkeit. Vorsichtig drückte er den Revolverkolben nach unten. Sein Zeigefinger legte sich um den Abzug, mit dem Daumen zog er den Hahn zurück. Das feine Klicken wurde von der Decke gedämpft und war für die Kerle ringsum nicht vernehmbar. John hingegen erschien es überlaut. Er spannte alle Muskeln und aktivierte all seine Sinne. Wenn er durch den Holsterboden schoss, würde die Kugel schräg nach oben fauchen und Mark O'Brien, der breitbeinig zu seinen Füßen stand, in den Leib treffen.
Kalt wog John seine Chancen ab. Und als er sprach, kam seine Stimme hart wie Metall. »Dich werden sie allerdings neben mich legen, O'Brien. Meine Kanone zeigt haargenau auf deinen Bauchnabel. Und wenn ich abdrücke, fliegen dir deine eigenen Gedärme um die Ohren.«
O'Brien versteinerte förmlich. Ein überraschter Ton entrang sich ihm. Einer seiner Männer zerkaute einen lästerlichen Fluch. Und er spürte mit der Intensität eines Mannes, nach dem der Sensenmann bereits die Knochenfaust ausstreckte, dass Lorimer es verdammt ernst meinte.
Dann gelang es ihm, die Starre abzuschütteln, und seine blinde, skrupellose Selbstsicherheit kehrte zurück. »Du vergisst nur, dass sechs Colts auf dich zielen, Lorimer!«, fauchte er, stieß den Kopf vor und fuchtelte bedrohlich mit dem Schießeisen. »Wir würden dich voll Blei pumpen, dass dir Hören und Sehen vergeht.«
»Du nicht, O'Brien!«, versetzte John furchtlos und sarkastisch. »Denn du wärst bereits auf dem Weg in die Hölle.«
Scharf stieß O'Brien die Luft aus. Es erinnerte an das Prusten eines Pferdes. Seine Unsicherheit kehrte zurück. Ernüchtert schaute er durch die Dunkelheit in die Gesichter seiner Männer. Fast körperlich spürte er die Verwirrung, die sich ihrer bemächtigt hatte. »All right«, grunzte er mit schwankender Stimme. »Es ist nicht nötig, dass Blei fliegt. Wir nehmen deine Pferde und verschwinden. Und du wirst dich hüten, uns zu folgen. Fang dir neue und verkaufe sie. Du wirst den Verlust verschmerzen.«
Mit der Linken schlug John die Decke zurück. Ohne O'Brien aus den Augen zu lassen, erhob er sich. Den Colt hatte er nun gezogen, die Mündung deutete unverrückbar auf den Ranchersohn. Klirrend lachte John auf. Die anderen standen wie erstarrt. John zischte: »Ich habe dich gleich nicht für besonders intelligent gehalten, O'Brien. Aber du bist noch viel dümmer, als du aussiehst. Ist es dein Ernst, anzunehmen, dass ich euch meine Pferde überlasse?«
Über O'Briens Lippen kam unverständliches Gestammel.
»Die Waffen runter!«, befahl John. Er trat einen Schritt auf O'Brien zu, seine Linke schoss unvermutet und ansatzlos nach vorn und erwischte den Burschen. John zog ihn mit einem Ruck zu sich heran, wirbelte ihn um seine Achse, sein linker Arm zuckte hoch, legte sich wie eine Stahlklammer um den Hals O'Briens, und ehe einer der Cowboys reagieren konnte, schwang John mit seinem lebendigen Schutzschild herum und nahm so Front zu ihnen ein. Noch einmal schnappte er: »Die Waffen runter!« Unbarmherzig bohrte er die Mündung seines Colts O'Brien in die Seite. Der Mann von der Star-Ranch ächzte und japste nach Luft unter dem ungnädigen Druck.
John hatte alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Die Star-Reiter trugen schwer an ihrer Unschlüssigkeit. Lorimers Reaktion war die eines in die Enge gedrängten Raubtieres gewesen. Das Blatt hatte sich schneller gewendet, als sie es für möglich gehalten hätten.
Zuerst öffnete sich Mark O'Briens Hand. Sein Revolver klatschte ins Gras. Hart spürte er den Druck von Johns Unterarm auf seinem Kehlkopf. Die Luft wurde ihm knapp. Er röchelte, aber die Umklammerung lockerte sich nicht.
»Tut, was er sagt!«, krächzte er entsetzt.
Schließlich ließen seine Männer ihre Waffen fallen.
»Und jetzt verschwindet«, kam es trocken von John. »Ich warte haargenau eine Minute. Und wenn ich dann auch nur noch den Schatten eines von euch Dreckskerlen sehe, schieße ich.«
»So schnell können wir nicht satteln, Lorimer!«, wandte einer ein. »Und außerdem sind wir noch nicht angezogen. Wir …«
Mitleidlos schnitt John ihm das Wort ab. »Keiner hat gesagt, dass ihr reitet. Eure Waffen und Gäule bleiben hier. Ihr könnt sie euch in der Alamogordo-Reservation abholen. Und wenn ihr in Unterhosen auf der Star-Ranch ankommt, so ist das euer Problem. Ihr habt es herausgefordert.«
»Die Hölle soll dich verschlingen!«
Unbeeindruckt erwiderte John: »Es ist fast eine halbe Minute um.« Er versetzte Mark O'Brien einen derben Stoß, der den verhinderten Pferdedieb mit den Armen rudernd nach vorn taumeln ließ. »Ab mit euch!«
Fluchend setzten sie sich in Bewegung. Bald versanken ihre Konturen in der Finsternis. Die Wildheit wich von John. Die Spannung, die jeden Muskel und jede Sehne seines Körpers erfasst hatte, ließ langsam nach.
*
Heiß brannte die Sonne vom Himmel. Die Hitze machte das Atmen zur Qual und zehrte an den Kräften von Mensch und Tier. Die Pferdeherde zog nach Südosten. Staub wirbelte und hüllte sie ein. Das karge, zerklüftete Land ringsum mutete wie tot an. Kahle Ebenen aus Sand und Kies wechselten sich ab mit roten und gelben Sandsteinfelsen in allen Formen und Größen. Dazwischen wuchsen dornige Comas, und hier und dort hielten sich kleine Inseln harten, verdorrten Grases.
Scharfäugig spähte John in die Runde. Die Pferde der Star-Reiter liefen mit den Wildpferden. Ihre Sättel hatte John zurückgelassen, die Gewehre unbrauchbar gemacht, die Revolver in den Creek geworfen. Die Kerle waren spurlos verschwunden. Aber ein untrüglicher Instinkt sagte John, dass sie Rachepläne schmiedeten und er mit ihnen noch rechnen musste. Dass sie waffenlos waren, glichen sie mit ihrer Überzahl aus, außerdem würden sie den Ort und den Zeitpunkt der Vergeltung bestimmen.
Die Sonne kletterte höher und höher und stand bald im Zenit. Das Land hatte sich in einen Backofen verwandelt. Große, feuchte Flecken auf Johns Hemd verrieten, wie sehr er schwitzte. Staub hatte sich unter seiner Kleidung festgesetzt und brannte auf seiner Haut. Staub und Schweiß lagen wie eine graue Maske auf seinem Gesicht, hatten seine Augen entzündet und die Lider rot gerändert.
Es ging über ein Geröllfeld, an dessen Ende die Umrisse riesiger Felsbarrieren in der flirrenden Luft ineinander verschwammen. Die dunklen Einschnitte und Risse waren Schluchten und Canyons. Düstere Ahnungen begannen John zu erfüllen. Sein forschender Blick tastete aufmerksam die Felswildnis ab, konnte aber nirgends eine Spur von Leben entdecken.
Die Felswände rückten näher. John hielt auf einen Canyon zu, der den Fels spaltete und wie der Rachen eines versteinerten, urzeitlichen Ungeheuers anmutete.
Unbehagen griff nach John, der nicht wusste, was ihn zwischen den Felsen erwartete. Der Lärm, den die marschierenden Pferde verursachten, verschlang alle anderen Geräusche und John verfluchte ihn. Er sickerte zwischen die Felsen und war sicherlich meilenweit zu hören. John zog die Winchester aus dem Scabbard und riegelte eine Patrone in den Lauf, stellte das Gewehr mit dem Kolben auf den rechten Oberschenkel und umklammerte hart den Kolbenhals. Sein Körper bewegte sich im rhythmischen Gang der Fuchsstute vor und zurück.
Der glühende Feuerball am Firmament hatte seinen höchsten Stand überschritten, als die ersten Pferde in den Canyon drängten. Johns innere Unruhe wuchs. Ein seltsames Gefühl der Beklemmung beschlich ihn. Die steilen Felsmauern zu beiden Seiten seines Weges mit ihren Rissen, Simsen und Vorsprüngen muteten bedrohlich an und verliehen ihm das Gefühl, sich in einer riesigen, steinernen Gruft zu bewegen, aus der es kein Entrinnen gab.
Zwischen den Felsen war es etwas kühler. Der Boden war steinig, und der Staub legte sich. Das Geprassel der über hundert Pferdehufe stieg in die Höhe und erfüllte die Schlucht. John ließ nicht den Bruchteil einer Sekunde in seiner angespannten Wachsamkeit nach. Er bewegte sich in der Mitte des Canyons. Vor ihm war das Auf und Ab staubiger Pferderücken. Die Herde nahm die gesamte Breite der Schlucht ein. Siedend durchfuhr es John, als er daran dachte, welch verheerende Wirkung ein von den Star-Reitern ausgelöster Steinschlag haben würde. Der Gedanke daran ließ ihn die Lippen hart zusammenpressen.
Johns Augen waren in ständiger Bewegung. Und dennoch entging ihm die Gestalt, die hinter einem mannshohen Felsbrocken kauerte, deren Hände sich in grimmiger Erwartung öffneten und schlossen und deren Gesichtszüge von mörderischer Entschlossenheit geprägt waren.
Seinem Blick blieben auch die anderen Kerle verborgen, die sich zu beiden Seiten der Schlucht versteckt hielten und mit angestautem Atem darauf warteten, in Aktion zu treten. Es war ihnen ein leichtes gewesen, unbemerkt der nur langsam vorwärts kommenden Pferdeherde zu folgen, sie zu überholen und einen Hinterhalt vorzubereiten.
John passierte nichts ahnend die Gestalt hinter dem Felsen. Sie erhob sich, hetzte hinter ihm her und stieß sich ab. John nahm zu seiner Linken eine flüchtige Bewegung wahr und reagierte gedankenschnell. Er schwang die Winchester herum und begriff plötzlich die Gefahr, in der er schwebte.
Er kam nicht zum Schuss. Etwas krachte brutal in seinen Rücken, sein Oberkörper wurde auf den Pferdehals geschleudert. Unwillkürlich suchte er mit den Händen Halt, dabei entglitt ihm das Gewehr. Stahlharte Arme umklammerten ihn und versuchten, ihn aus dem Sattel zu zerren. Männer hetzten heran, stumm, mit verkniffenen Mienen und Hass in den Augen. John trieb mit dem Hochlodern des jähen Widerstandswillens die Fuchsstute mit einem unbarmherzigen Schenkeldruck an. Mit beiden Armen umklammerte er den Pferdehals. Wie von der Sehne geschnellt sprang das erschreckte Tier an. Aber da fiel ihm einer der Kerle ins Zaumzeug und riss grob seinen Kopf nach unten. Schrill wiehernd knickte das Pferd vorn ein. John verlor das Gleichgewicht. Der Bursche, der ihn angesprungen hatte, hing wie eine Klette an ihm. Hart stürzte John auf das Gesicht. Der Schmerz trieb ihm das Wasser in die Augen. Schwer flog der andere auf ihn. Blitzartig rollte John sich herum, der Druck von seinem Körper verschwand, ein bestürzter Zischlaut erreichte sein Ohr. Im nächsten Reflex griff er nach dem Colt. Er brachte ihn aus dem Holster, aber dann prellte ihm ein wuchtiger Stiefeltritt das Eisen aus der Faust. Und einen Herzschlag später rissen ihn grobe Fäuste auf die Beine. Mark O'Briens fratzenhaft verzerrtes Gesicht tauchte vor ihm auf. Die Augen des Ranchersohnes glitzerten schlangenhaft und verrieten John die ganze Unberechenbarkeit, die Niedertracht und den Hass dieses Mannes.
Harte Fäuste hielten ihn, drehten ihm die Arme auf den Rücken, drohten, sie ihm aus dem Schultergelenk zu kugeln. Die Qualen, die sie ihm verursachten, ließen in seinem hohlwangigen Gesicht die Muskeln zucken. Er sah sein Gewehr in Mark O'Briens klobigen Fäusten. Hoffnungslosigkeit senkte sich in sein Herz. Einer der Kerle hatte sich seinen Colt geschnappt. Knackend spannte er den Hammer. Das Geräusch mutete an wie ein Vorbote von Untergang und Tod.
Ein eisiges Lachen quoll aus O'Briens Mund. Langsam, fast bedächtig schob er die Mündung gegen Johns Brust.
»Das war's, Mister!«, sagte er gedehnt, und im Tonfall seiner Stimme lagen wilder Triumph und kalte Genugtuung. »Ich schätze, hier ist dein Trail zu Ende.« Zu seinen Männern gewandt gab er zu verstehen: »Bringt die Herde zum Stehen. Cash, James, Tom, vorwärts!«
Die drei Genannten hetzten hinter der Herde Pferde her, die weitergezogen war und sich schon ein ganzes Stück entfernt hatte.
John versuchte erst gar nicht, sich aus dem Griff der beiden Kerle, die ihn eisern hielten, zu befreien. Er war bemüht, seine rotierenden Gedanken zu ordnen und hörte auf seine innere Stimme, die ihm eindringlich riet, die Burschen nicht noch mehr zu reizen.
Der Druck der Mündung auf seinem Brustbein verstärkte sich. Mark O'Brien sagte grollend: »Nun zu dir, mein Freund.« Sein Tonfall verhieß nichts Gutes. »Du hast uns verdammt gedemütigt. Und du kannst dir an fünf Fingern abzählen, dass wir uns dafür revanchieren.«
John schwieg. Er war nicht der Mann, der bettelte oder flehte. Dazu war er zu stolz.
»Wo hast du unsere Sättel und unsere Waffen gelassen?« O'Brien bewegte beim Sprechen kaum die Lippen.
Sie packten ihn brutaler, als er nicht sogleich antwortete. Heißer Schmerz raste von seinen Schultern bis unter seine Schädeldecke, als sie ihm die Arme härter auf den Rücken drehten. Er verzog das Gesicht und unterdrückte einen gequälten Aufschrei. »Die Revolver habe ich in den Bach geworfen. Den Gewehren habe ich die Kolben abgeschlagen. Eure Sättel liegen noch dort, wo ihr sie abgelegt habt.«
O'Briens Züge verzerrten sich zur teuflischen Grimasse. Unversehens wirbelte er das Gewehr herum und rammte John die Kolbenplatte in den Magen. John krümmte sich, wie ein glühender Wind wehte der Schmerz durch sein Bewusstsein, und ein gepresster Aufschrei zitterte noch in seiner Kehle, als ihn der Kolben seitlich am Kopf traf. Vor seinen Augen begann sich ein feuriges Karussell zu drehen. Übelkeit befiel ihn, dumpfer Druck legte sich auf sein Gehirn. Der brennende Schmerz des Hiebes verebbte und machte bleierner Benommenheit Platz. Sekundenlang hing er, jeglichen Gedankens, jeglichen Willens beraubt, in den nervigen Fäusten der beiden Star-Cowboys.
»Lasst ihn los!«, befahl O'Brien.
John knickte in den Knien ein. Er fiel nach vorn und versuchte instinktiv, sich mit den Armen abzufangen, aber ein brutaler Tritt warf ihn herum. Er krachte mit den Rippen auf einen spitzen Stein und hatte den Eindruck, als würde ihm glühender Stahl in die Seite gebohrt.
»Das war nur ein Vorgeschmack auf das, was dich erwartet!«, giftete O'Brien und grinste faunisch. John erfasste bitter, dass er diesmal dem Tod ins unheimliche Antlitz sehen musste. Ein dumpfer Laut, ein Stöhnen entrang sich ihm, und alles in ihm bäumte sich gegen das schmerzhafte Begreifen auf, dass er keine Chance hatte.
*
Cash Bailey, James Chandler und Tom Finnegan hatten die Pferdeherde zum Stehen gebracht. Mit ungelenken Schritten kamen sie zurück. John lag am Boden und kämpfte gegen die noch immer gegen sein Bewusstsein anbrandende Benommenheit an.
»Schnappt eure Gäule und reitet zurück zu unserem Nachtcamp!«, empfing O'Brien die drei Weidereiter. »Holt unsere Sättel und sucht im Creek unsere Colts. Wir warten hier auf euch und befassen uns in der Zwischenzeit vielleicht ein wenig mit diesem Hundesohn.«
Die drei warfen John bitterböse Blicke zu. »Lasst uns etwas von ihm übrig!«, schnaubte Cash Bailey erbost und spuckte aus. »Denn auch wir haben diesem Miststück eine ganze Reihe blutiger Blasen an den Füßen zu verdanken.«
»Sicher«, murmelte Mark O'Brien, »ihr bekommt euren Spaß schon. Aber jetzt macht euch auf den Weg.«
»Passt gut auf ihn auf«, knurrte Tom Finnegan, »während wir fort sind. Kommt.« Er winkte Bailey und Chandler. Sie stapften zu den Pferden und der Gedanke, einen halben Tagesritt auf dem bloßen Pferderücken vor sich zu haben, schürte ihren Zorn auf John Lorimer.
Sie nahmen ihre eigenen Tiere und trabten wenig später davon.
John war zu einem Felsblock gekrochen, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und bohrte die Absätze seiner Stiefel in den Boden. Er legte die Arme um seine angezogenen Knie und zerbrach sich den Kopf nach einem Ausweg. Die drei Kerle beobachteten ihn mit Argusaugen. Er war angeschlagen, aber ein dämonischer Überlebenswille füllte seinen Körper nach und nach wieder mit neuer Kraft.
Die Stunden zogen sich hin. Sie ließen ihn entgegen O'Briens - für John eine wenig verheißungsvolle - Ankündigung in Ruhe. Die Sonne versank wie ein rotglühendes Fanal hinter den Bergen im Westen. Die Abenddämmerung kam, mit ihr der Abendstern. Und dann senkte sich die Nacht über das Land. Mark O'Brien ließ ein Feuer entfachen. Die züngelnden Flammen zauberten flackernde Lichtspiele auf ihre verwegenen Gesichter und rissen ihre Gestalten aus der Dunkelheit. Am Rand des Lichtkreises hockte John. Der Feuerschein geisterte über ihn hinweg.
Die Ungewissheit zerrte an seinen Nerven. So sehr er sich den Verstand auch zermarterte: Er fand keinen Ausweg. Er war ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ein Gedanke, mit dem er sich nicht abzufinden vermochte. In seinen Augen glomm der Wille zum Überleben.
»Wie soll's weitergehen, O'Brien?«, begann er, und sein Organ klang rau wie Sandpapier.
Der Ranchersohn trat vor ihn hin. Sein Schatten fiel über John. O'Brien hatte das Feuer im Rücken. Dunkelheit verhüllte sein Gesicht. Aber der Hauch von Härte und Brutalität, der von ihm ausstrahlte, war unverkennbar.
»Das wird dir der Teufel in der Hölle erzählen, Lorimer!« O'Briens Stimme war kalt, abweisend und feindselig.
John spürte, wie ihm der Hals eng wurde. Er hatte soeben sein Todesurteil vernommen. Trotzdem blieb er gefasst, von einer Ruhe, die ihn selbst unheimlich anmutete. »Hast du schon einmal einen umgebracht und ihm dabei in die Augen gesehen, O'Brien?«, kam wie aus der Pistole geschossen seine Frage.
»Ich … Nein, verdammt.« O'Brien beugte sich vor, schniefte und fuhr hastig fort: »Mit dir werde ich den Anfang machen, Lorimer. Yeah, und es wird mir eine höllische Freude bereiten.«
John nickte. »Möglich. Doch hast du dir schon durch den Kopf gehen lassen, dass es fünf Zeugen geben wird, wenn du mir das Licht ausbläst? Kerle, die dich ein Leben lang in der Hand haben werden. Du wirst ständig nach ihrer Pfeife tanzen müssen, und wenn ihnen deine Nase nicht mehr gefällt, singen sie dem Sheriff eures Distrikts ein höllisches Lied über dich. Hast du eine Ahnung, wie es ist, wenn man mit einem Strick um den Hals zwei oder drei Fuß über dem Boden hängt, O'Brien?«
Die Gestalt Mark O'Briens wurde scharf vom Licht des Feuers umrissen, und John entging nicht, dass der Bursche zusammenzuckte wie unter einem Peitschenhieb. Er packte die Winchester, die er den ganzen Nachmittag nicht aus der Hand gelegt hatte, am Schaft und am Kolbenhals und schüttelte sie drohend vor Johns Gesicht. »Halt bloß das Maul!«, stieß er hervor. »Oder soll ich dir die Zähne in den Hals schlagen? Die Jungs sind in Ordnung. Und sie würden sich hüten …«
»Du solltest trotzdem mal darüber nachdenken, O'Brien«, schnitt John ihm schroff das Wort ab.
Mit einem Ruck richtete O'Brien sich auf. Er drehte den Kopf und schielte zu den beiden Weidereitern hin, die beim Feuer hockten und ihrer Unterhaltung schweigend gefolgt waren. Nun erhoben sie sich und schlenderten steifbeinig heran.
»Lass dir von ihm keinen Floh ins Ohr setzen«, mahnte einer von ihnen grollend. »Er versucht, Misstrauen zwischen uns zu streuen, um sein Fell zu retten. Wenn wir morgen früh diesen Canyon verlassen, bleibt er zurück. Und zwar kalt und steif. Wir verhökern die Gäule und vergessen die Sache.«
Aber O'Brien war nachdenklich geworden. Johns Worte klangen in ihm nach. Er überlegte einen Moment, dann meinte er grüblerisch und vorsichtig: »Wir werden weitersehen, wenn Bailey, Chandler und Finnegan zurück sind.« Sein Kinn schob sich vor, wurde eckig, seine Mundwinkel sanken herab. Nagende Zweifel hatten ihn befallen. Und als er fortfuhr, klang seine Stimme nicht sehr überzeugend. »Wahrscheinlich ist es so, wie du sagst, Joe. Er versucht, sein schäbiges Fell zu retten. Aber …« Er verstummte, winkte unwirsch ab und schwang auf dem Absatz herum. Mit kurzen, abgezirkelten Schritten ging er zum Feuer und ließ sich in die Hocke nieder. Versonnen blickte er in die Flammen.
*
Gegen Mitternacht kehrten Bailey, Chandler und Finnegan zurück. Nach wie vor flackerte das Feuer in der Mitte des Canyons. Sie saßen ab und reckten sich, um die Steifheit aus ihren Gliedern zu vertreiben.
Sie hatten die Sättel, aber die Scabbards waren leer. Cash Bailey brummte: »Das Aas hat tatsächlich die Gewehre zerschlagen. Nur gut, dass er nicht auf die Idee kam, unsere Sättel zu verbrennen. Für die kaputten Gewehre hat er ein paar Dinge extra gut bei mir, ehe wir ihn über den Jordan blasen.«
»Langsam, ganz langsam«, wehrte O'Brien ab. »Über sein Schicksal reden wir noch. Habt ihr wenigstens unsere Revolver gefunden?«
Verdutzt schauten sie ihn an. »Was soll das heißen?«, stieß Finnegan hervor. »Willst du ihn plötzlich nicht mehr kalt machen? Du warst es doch, der am lautesten schrie, dass du ihn zum Satan schickst, wenn er uns in die Hände fällt.«
»Ich werde schon die richtige Entscheidung treffen«, erklärte Mark O'Brien ausweichend und sein Blick irrte zur Seite, als fühlte er sich unversehens unwohl in seiner Haut. »Was ist mit den Colts?«
»Sie sind in Ordnung. Nur die Munition muss ausgetauscht werden.« Finnegan musterte seinen Boss mit einer Mischung aus Skepsis und Verdrossenheit. Er fügte gedehnt hinzu: »Wenn wir ihn laufen lassen, müssen wir damit rechnen, dass er uns folgt und beim Sheriff verpfeift. Der wird kommen und uns eine Menge unerfreulicher Fragen stellen.« Er holte zwei Colts aus seiner Satteltasche und reichte den einen O'Brien, den anderen Joe McBrady.
»Was ist mit meiner Kanone?«, wollte Lane Foster wissen.
»Wir haben nur fünf Colts gefunden«, erwiderte James Chandler. »Du kannst Lorimers Eisen haben.« Er angelte den Colt aus seinem Hosenbund und warf ihn Foster zu, der ihn geschickt auffing.
O'Brien und Joe McBrady wechselten die durch das Wasser unbrauchbaren Patronen aus und holsterten die Waffen. O'Brien murmelte mit dumpfem Bass: »Ich glaube nicht, dass Lorimer uns folgt. Bevor wir von hier verschwinden, werden wir ihn nämlich derart in die Mangel nehmen, dass er den Tag verflucht, an dem ihn seine Mutter in die Welt gesetzt hat. Wenn wir mit ihm fertig sind, ist er ein gebrochener Mann, von dem kein räudiger Straßenköter mehr ein Stück Brot annimmt. Yeah, Leute, ihr kriegt Gelegenheit, euch abzureagieren und Lorimer ein paar üble Dinge heimzuzahlen.«
Es war deutlich: Er konnte ihre Zweifel nicht zerstreuen. Sie wollten Lorimer tot sehen, um den Diebstahl der Pferdeherde zu vertuschen. Aber in Mark O'Briens Herz saß tief der giftige Stachel des Argwohns, den John hineingetrieben hatte. Die Angst, dass er sich mit einem Mord in die Hand seiner Kumpane begab, nagte und fraß in ihm wie ein unersättliches Tier.