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Raue Wege – 9 Western

von Pete Hackett (Autor:in)
©2022 1000 Seiten

Zusammenfassung

von Pete Hackett

Der Umfang dieses Ebook entspricht 1079 Taschenbuchseiten.

Dieses Ebook enthält folgende neun Romane:

Sterbelied für Desperados

Das gnadenlose Gesetz

Die Verdammten des Südens

Mit ihm war der Hauch des Todes

Weide in Flammen

Sein Name war Gesetz

Den Hals in der Schlinge

Einsam sind die Tapferen

Dakota

Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Die Sonne stand schon weit im Westen und glühte über den fernen Graten und Zinnen der Roskruge Mountains. Ziemlich schnell krochen die Schatten über die heiße, staubige Main Street von Tucson und erreichten die Häuser auf der anderen Seite.

Sheriff Tom Jordan trat auf den Vorbau seines Office. Hart umspannten seine nervigen Hände das Geländer, das von Sonne, Wind und Regen blank geschliffen war. Aus engen Augenschlitzen starrte der Sheriff nach Westen. Sein scharfkantiges Gesicht war ausdruckslos. Um ihn herum war reges Leben. Viele Menschen bewegten sich auf den hölzernen Gehsteigen, Reiter kamen die Fahrbahn entlang, Buggies, hin und wieder ein schwereres Fuhrwerk. Tom Jordan nahm das alles nur unterbewusst wahr. Reglos stand er da, den Blick starr nach Westen gerichtet, als erwartete er aus dieser Richtung irgendetwas.

Ein Mann steuerte von der gegenüberliegenden Straßenseite schräg auf den Sternträger zu. Er trug einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd, das am Hals von einer weinroten Samtschnur zusammengehalten wurde. Auf seinem Kopf saß eine schwarze Melone. Er war wohl an die sechzig Jahre alt, und die Haare, die unter dem Hut hervorlugten, waren eisgrau. Der Ostwind trieb Staubspiralen gegen seine Stiefel und puderte sie grau.

Vor dem Vorbau blieb der Eisgraue stehen, blinzelte zu Jordan hinauf, der ihn allerdings nicht wahrzunehmen schien.

»Hallo!«, grüßte er.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Raue Wege – 9 Western

von Pete Hackett



Der Umfang dieses Ebook entspricht 1079 Taschenbuchseiten.


Dieses Ebook enthält folgende neun Romane:

Sterbelied für Desperados

Das gnadenlose Gesetz

Die Verdammten des Südens

Mit ihm war der Hauch des Todes

Weide in Flammen

Sein Name war Gesetz

Den Hals in der Schlinge

Einsam sind die Tapferen

Dakota



Copyright


Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER WERNER ÖCKL

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Sterbelied für Desperados

Der Rancher John Slade wird im Auftrag des benachbarten Ranchers Bill Mahone in der Stadt Tascosa des Viehdiebstahls beschuldigt und erschossen, da Mahone Slades Land haben möchte. Als Slades Sohn Waco, der vor Jahren nach einem Streit mit seinem Vater das Land verlassen hatte, Wochen später von dem Mord erfährt, schwört er sich Rache und versammelt eine Mannschaft von Gunslingern um sich, um Tascosa in Angst und Schrecken zu versetzen und selber zum Gesetzlosen zu werden.


*


»Tausend Dollar sind eine Menge Geld für eine Unze Blei«, sagte Bill Mahone gedehnt. Seine Stimme klang kühl. Aufmerksam beobachtete er den Hageren.

Der nickte.

»Sicher«, erwiderte er. »Es ist aber auch eine gefährliche Sache, auf die ich mich einlasse. Der Sheriff …«

Er verstummte, als Mahone ungeduldig abwinkte.

»Der Sheriff«, entgegnete er verächtlich, »ist die größte Pflaume im County. Er frisst mir aus der Hand, wenn ich will.«

Bill Mahone räusperte sich.

»Trotzdem verlange ich von Ihnen perfekte Arbeit. Es darf kein Makel an dem Namen Mahone haften, wenn Sie Ihren Job beendet haben, verstanden?«

In den Mundwinkeln des Hageren zuckte es, dann umspielte ein hämisches Lächeln seine Lippen. »Keine Bange, Rancher«, erklärte der hoch gewachsene Mann mit dem scharf geschnittenen Gesicht und den glitzernden Augen. »Ihr Name bleibt sauber, dafür garantiere ich.«

»Dann ist es ja in Ordnung. Brauchen Sie einen Vorschuss?«

»Fünfhundert, wenn's recht ist.«

Im Gesicht Bill Mahones traten scharf die Wangenknochen hervor. Dann gab der grauhaarige, wettergegerbte Boss der M im Kreis sich einen Ruck.


*


John Slade lehnte an der Theke im Trailman Saloon von Tascosa. Seine rechte Hand hielt das halbleere Bierglas umklammert. Ein dickleibiger Mann mit Glatze sprach auf ihn ein. John hörte kaum hin. Es interessierte ihn nicht besonders, was der Glatzköpfige zu erzählen hatte. So vernahm er nur mit halbem Ohr, als der Bursche sagte: »Regen täte verdammt Not. Wasserlöcher und Brunnen auf den Weiden trocknen aus. 1875 hatten wir auch so einen höllisch heißen Sommer. Reihenweise verendete damals das Vieh …«

»Dreh dich um, Slade!«

Die klirrende Stimme ließ den fetten Kerl neben John augenblicklich verstummen.

John Slade war zusammengezuckt. Er duckte sich unwillkürlich unter dem peitschenden Klang der Stimme. Sekundenlang hielt er die Luft an, dann stellte er das Bierglas auf den Schanktisch und drehte sich um.

Der Dicke neben ihm pfiff durch die Zähne, so, als wäre ihm ein Licht aufgegangen und er hätte die Situation schlagartig erfasst. Sein Blick hetzte zwischen John und dem hochgewachsenen Fremden bei der Pendeltür hin und her, dann beeilte er sich, aus Johns Nähe zu kommen.

Er hatte wohl tatsächlich begriffen.

Und nicht nur er.

Um John herum wurde es plötzlich lebendig, hastige Schritte dröhnten über die Fußbodendielen, ein rauer Fluch übertönte alles, ein Glas klirrte zu Boden.

Und dann war es still. Nur mehr gepresstes Atmen war zu vernehmen. John Slade stand allein am Tresen. Einsam, verlassen und — irgendwie verloren. Ein Mann von zweiundfünfzig Jahren, den ein Leben voller Entbehrungen und knochenbrechender Arbeit geformt, aber auch gebeugt hatte.

Vor nahezu 30 Jahren war er mit seiner Frau in das Land zwischen Canadian River, Alamocito Creek und Middle Alamoso Creek gekommen. In der Nähe des Canadian, der die Slade-Weide nach Norden begrenzte, hatte er ein Haus gebaut. Seine beiden Kinder waren in diesem Haus zur Welt gekommen, seine Frau war in diesem Haus gestorben.

John hatte niemals aufgegeben. Das Land südlich des Canadian war ihm zum Schicksal geworden, ihm und seiner Familie. Nur noch er und Judith lebten auf der Ranch. Judith, seine Tochter. Was er aus der Ranch erwirtschaftete, reichte für Judith und ihn zum Leben. Mehr allerdings konnte er nicht erwarten und erwartete er auch gar nicht.

Die Worte des fremden Mannes klangen in John Slade nach. Er spürte, wie seine Kehle trocken wurde.

»Was — was wollen Sie von mir?«, fragte er heiser und stockend.

Der Fremde ließ sich Zeit mit der Antwort. Es hatte den Anschein, als bereitete es ihm Genuss, den anderen zappeln zu lassen. Er legte den Kopf ein wenig schief, schob sich mit den Fingerspitzen seiner Linken den breitrandigen Hut ein wenig aus der Stirn, dann sagte er: »Du bist ein Viehdieb, John Slade, ein niederträchtiger Rinderdieb. Wo Rustler hingehören, weißt du. Sie gehören an das Ende eines Stricks, ganz einfach.«

John zog scharf die Luft durch die Nase ein. Sein Gesicht lief dunkel an.

»Das ist eine gottverdammte Unterstellung, eine Verleumdung!«, rief er erregt. »Niemals habe ich auch nur ein Maverick von einer fremden Weide getrieben. Bei Gott … Sie kommen daher und bezeichnen mich als Rustler. Wer gibt Ihnen das Recht? Wer sind Sie überhaupt?«

»Mein Name ist O'Connor. Jim O'Connor. Und das Recht!« O'Connor lachte böse auf, klatschte mit den flachen Händen gegen die Holster an seinen beiden Oberschenkeln. »Die hier geben mir das Recht.«

Da wusste John Bescheid. Es war ein abgekartetes Spiel. Bill Mahones Viehbestand hatte sich in den letzten Jahren derart vermehrt, dass Mahones Weide zu klein geworden war. Nun streckte er seine Hände nach dem Land zwischen Alamocito Creek, Middle Alamoso und East Creek aus. Da gab es saftiges Weideland und Wasser in Hülle und Fülle.

Bereits drei Angebote Mahones hatte er ausgeschlagen. Zuletzt hatte er den Rancher und dessen raubeiniges Rudel mit der Winchester in den Fäusten von seinem Grund und Boden gejagt.

Doch nun schien es, als hätte Mahone den Spieß umgedreht, als wollte er es auf die raue, tödliche Art und Weise zu Ende bringen.

Die weiteren Worte Jim O'Connors brachten ihm die Gewissheit.

»Ich habe in deinem Stall unter einem Haufen alten Gerümpels ein Dutzend Häute mit dem Brand der M im Kreis gefunden, Slade«, erklärte der Gunman. »Deine eigenen Kühe waren dir wohl zum Schlachten zu schade, wie? Da hast du dir deine Steaks einfach von Mahones Weide geholt.«

»Eine feine Art, einem unbequemen Nachbarn etwas anzuhängen.« John hatte es beinahe leidenschaftslos ausgestoßen. Er wusste, dass er nie ein Rind mit dem M im Kreis-Brand geschlachtet und gehäutet hatte. Und vielleicht hätte er jedem anderen, der ihn dessen verdächtigt oder beschuldigt hätte, dies lautstark ins Gesicht geschrien, möglicherweise auch die Zähne in den Hals geschlagen. Diesem O'Connor gegenüber wäre dies sinnlos, wenn nicht gar unmöglich gewesen.

John Slade hatte erkannt, dass er sich in einer nahezu ausweglosen Situation befand, dass er gegen den Schießer Mahones keine Chance hatte, weder mit Worten noch mit der Waffe in der Faust.

Johns Magen krampfte sich zusammen. Er spürte plötzlich die Angst in sich aufsteigen, und mit der Angst kam die Verzweiflung. Sein Atem begann zu rasseln.

»Wie viel – wie viel bezahlt Ihnen Mahone für diese Schmutzarbeit?«

Irgendwie versuchte er O'Connor hinzuhalten, wollte er Zeit gewinnen. Hinter seiner Stirn wirbelten die Gedanken. John suchte einen Ausweg. Er war kein Lamm, das sich als willenloses Opfer zur Schlachtbank führen ließ.

Über O'Connors Lippen drang ein schepperndes Lachen.

»Mahone hat mich sozusagen als Weidedetektiv auf seine Lohnliste gesetzt. Mein Auftrag lautet, Burschen deines Schlages das dreckige Handwerk zu legen. Habe ich Glück, erhalte ich ein Honorar …«

»Und haben Sie kein Glück, dann helfen Sie nach, indem Sie irgendjemand einen Viehdiebstahl in die Schuhe schieben.«

John Slade hatte es laut und verbittert ausgestoßen. Er hatte seine alte Verfassung zurückgewonnen und klammerte sich an die Hoffnung, dass jemand den Sheriff verständigen würde. Chris Holyman konnte ihn aus dieser tödlichen Klemme befreien, sonst niemand.

»Jetzt wirst du auch noch frech, wie?«, keifte O'Connor. Ein bösartiges Flackern war einen Sekundenbruchteil in seinen Augen. »Nur zu, Slade. Du darfst das. Ein Mann in deiner Lage darf fast alles. Ein Mann, der …«

»… gleich tot sein wird. Das meinen Sie doch?« So schnitt ihm John das Wort ab. »Sie sollten eines nicht vergessen: Wir leben in einem halbwegs zivilisierten Land. Und wir haben ein Gesetz. Mörder hängt man in Texas, O'Connor. So verlangt es das Gesetz.«

»Auch Viehdiebe landen hier am Galgen, Slade.«

»So ist es. Warum gehen Sie denn nicht zum Sheriff und zeigen mich an? Er wird Ihren Anschuldigungen auf den Grund gehen. Und sollte er mich des Viehdiebstahls überführen, dann wird er mich vor Gericht bringen und man wird mich verurteilen, nach Recht und Gesetz. Sie, O'Connor, wissen, dass ich kein Viehdieb bin. Mahone weiß es, jeder hier. Und der Sheriff würde es auch feststellen. Darum versuchen Sie mich herauszufordern, denn Mahone will mich loswerden, für immer und ewig. Das ist der Grund, weshalb Sie es selbst in die Hand nehmen - in die Hand nehmen müssen. Erst wenn ich tot bin, ist für Bill Mahone der Weg frei.«

»Was soll ich darauf antworten?«

Die Schultern O'Connors strafften sich nach diesen Worten, von den Zügen des Gunman war kein Zeichen der Regung abzulesen. Sie wirkten wie zu Stein erstarrt.

»Wir brauchen keinen Sheriff, um klare Verhältnisse zu schaffen«, schnappte der Schießer. »Diese Sache geht nur Mahone etwas an, dich, Slade, und mich natürlich. Jeder andere wäre zu viel in diesem Reigen.«

»Bilden Sie sich nur nicht ein, dass ich verrückt genug bin, nach dem Colt zu greifen.« John schüttelte den Kopf. »Ich werde Ihnen keinen Grund geben.«

»Dann nimmst du dir selber die letzte Chance, du Narr. Ich werde kurzen Prozess mit dir machen.«

Ruckartig setzte O'Connor sich in Bewegung. Er glitt wie ein Raubtier auf John zu. Bei jedem seiner Schritte streiften seine Handgelenke die Revolverkolben.

Jim O'Connor war entschlossen, den Smallrancher zu töten. Der Gunman war ohne Skrupel und gnadenlos.

John Slade hatte plötzlich das Gefühl, als streifte ihn der Eishauch des Todes. Er erbebte innerlich.

Da handelte O'Connor.

Seine linke Hand zuckte schattenhaft schnell in die Höhe, traf klatschend Johns Wange.

Das war die Art Jim O'Connors einen Mann herauszufordern.

Ein paar Männer stöhnten auf, es kam wie aus einem Mund. Auf eine solche Beleidigung gab es nur eine Antwort.

Seltsame Unruhe entstand ringsum. Aber niemand krümmte auch nur einen Finger, um John Slade zu helfen. Hier war sich ein jeder selber der Nächste. Der andere musste eben zusehen, wie er zurechtkam.

Über Johns Lippen war ein abgrundtiefes Ächzen gedrungen, als er auf diese hundsgemeine Art gedemütigt wurde. Seine verarbeiteten Hände zuckten vor, so, als wollte er dem Gunman an die Kehle fahren. Mitten in der Bewegung aber erstarrte John.

Er durfte O'Connor keinen Grund geben.

Dessen Hände lagen bereits auf den Revolverkolben, bereit, die Eisen aus den Holstern zu reißen und heißes Blei aus den Läufen zu jagen.

John nahm dies mit seltener Klarheit auf. Langsam löste sich in ihm die Verkrampfung. Seine Wange brannte von dem Schlag. Das Bewusstsein, vor der ganzen Stadt gedemütigt worden zu sein, drang in sein Denken wie ein glühender Stachel. Mit eiserner Hand zwang er sich zur Ruhe.

O'Connor gegenüber den Helden spielen zu wollen, wäre einem Selbstmord gleichgekommen.

Langsam drehte John sich um und zeigte dem Revolverschwinger den Rücken.

Mit dieser Reaktion hatte O'Connor nicht gerechnet. Er schnappte nach Luft, dann blaffte er: »Lieber feige als tot, wie?«

John schenkte ihm keine Beachtung. Er nahm vielmehr sein Bierglas, setzte es an den Mund und trank. Er gab sich Mühe, das Zittern seiner Hand zu verbergen, es gelang ihm jedoch nicht so richtig. Seine Gedanken arbeiteten sprunghaft.

Wo blieb nur Chris Holyman, der Sheriff? Irgendjemand musste ihn doch verständigt haben. Diese Stadt konnte doch nicht zusehen, wie …

O'Connor löste die Hände von den Knäufen. Wie die Klauen eines Adlers legten sie sich auf Johns knochige Schultern, wirbelten den Smallrancher herum.

Bier schwappte über den Glasrand, John taumelte. Er kam nicht richtig zum Denken, da traf ihn O'Connors Faust eisenhart auf den Mund. Johns Lippen platzten augenblicklich auf, dunkles Blut rann sein Kinn hinunter und tropfte auf den Boden, vermischte sich mit dem verschütteten Bier.

Ein unbeherrschter Aufschrei brach sich Bahn aus John Slades Mund. Achtlos ließ der Rancher das Glas fallen, seine Rechte schnappte nach dem alten schweren Armeecolt an seiner rechten Hüfte.

Jim O'Connor lachte scheppernd. Und als John sein Eisen halb aus dem Holster hatte, zuckten seine Hände zu den abstehenden Kolben. Der Gunman zog traumhaft schnell. Seinen Bewegungen war mit den Augen kaum zu folgen.

Feuer und Blei rasten aus den Mündungen auf John Slade zu, die Wucht der Geschosse warf ihn gegen den Schanktisch. Entsetzen, Verzweiflung und Todesangst verzerrten das lederhäutige Gesicht Johns, seine Lippen formten tonlose Worte.

Er rutschte langsam am Tresen hinunter, fiel zur Seite, schlug hart mit dem Gesicht auf die abgetretenen Dielen.

Sein letzter Gedanke galt seiner Tochter Judith.

Dann war John Slade tot.

Ein eiskalter Mörder hatte einen blutigen Schlussstrich unter ein hartes Leben voller Entbehrungen und Nöte gezogen — sinnlos, grausam, unvorbereitet.


*


Waco Slade stapfte beinahe gelangweilt den Bohlensteig hinunter. Das ausgetrocknete Holz ächzte unter seinen Schritten. Er blieb stehen, als Paul Henderson aus seinem Drugstore trat, grüßte und geschäftig sagte: »Eben ist mit der Postkutsche die Winchestermunition angekommen, Sheriff. Ich habe Ihre fünfundzwanzig Packungen zur Seite gelegt. Nehmen Sie das Zeug gleich mit, oder soll ich es in Ihr Office schaffen lassen?«

»Ihr Boy soll die Munition in mein Büro bringen, Mr. Henderson. Besten Dank übrigens für die Einladung zum Abendessen am Sonnabend. Ihre Frau ist als ausgezeichnete Köchin in der Stadt bekannt. Ich freue mich schon darauf, ihre Kochkunst am eigenen Leib zu erproben.«

Paul Henderson grinste.

»Noch mehr freut sich Betsy, wenn auch bei ihr die Freude in eine andere Richtung geht, in eine ganz andere. Sie wissen ja selbst, Sheriff, wie sehr das Mädchen in Sie verknallt ist.«

Waco lächelte. »Ich weiß schon, Mr. Henderson. Betsy schwärmt für mich, wie das Mädchen in ihrem Alter eben tun. Wenn ich nur daran denke, wie ich als Zwölfjähriger in meine Lehrerin verschossen war …« Er lachte auf. »Johnny Brennan, der Sohn unseres Schmieds, macht Ihrer Tochter verliebte Augen. Vielleicht können Sie sich ein wenig für den Boy erwärmen. Er würde schon vom Alter her prächtig zu ihr passen.«

Paul Henderson verdrehte die Augen, erwiderte dann aber Wacos Lächeln.

Waco Slade marschierte weiter.

Die Stadt war ruhig. Um diese Zeit war sie immer ruhig. Lauter wurde sie erst abends und an den Wochenenden. Sie wurde aber niemals zu laut.

Dafür sorgte Waco Slade.

Vor zwei Jahren hatte er den Stern in Casper, Wyoming, genommen. Bis zu diesem Zeitpunkt war Casper eine wilde Stadt voll böser Tücken und übler Lasterhaftigkeit gewesen.

Waco kehrte mit eisernem Besen, fegte mit Pulverdampf und heißem Blei jede Art von Gesindel aus der Town und ließ weder Unruhe noch Gesetzlosigkeit in Casper Fuß fassen.

Eine harte Zeit lag hinter Waco.

Nun aber war er Sheriff in einer ruhigen, friedlichen Stadt. Er kam an der Futtermittelhandlung vorbei, passierte die City Hall, warf einen Blick in Buck Cogans Schnapsbude, betrat die Posthalterei.

Tom Bixby, der Lenker der Overland Stagecoach, die zweimal in der Woche durch Casper kam, rief grinsend: »Hallo, alter Feuerfresser! Lange nicht mehr gesehen. Wie ich feststelle, steht dieses lausige Nest noch, und sein Sheriff erfreut sich bester Gesundheit. James Miller und seine Raureiter haben also ihre Drohung, Casper an allen vier Ecken anzuzünden und dem Erdboden gleichzumachen, nicht wahrgemacht, nachdem du sie ganz übel hast auflaufen lassen, als sie hier den Teufel loslassen wollten.«

»Nicht eine Nasenspitze war von ihm und seiner Höllenmannschaft in den vergangenen vier Wochen zu sehen. Sie werden sich ihre Wunden lecken und überlegen, wie sie mich am sichersten zu meinen Vorfahren schicken. — Wie war der Weg, Tom? Besondere Vorfälle?«

»Kein Bandit dieser Welt ist scharf auf irgendwelche Liebesbriefe, die wir durch das Land kutschieren. Wir müssten schon Gold oder gemünztes Silber durch die Gegend fahren, damit das zwielichtige Gesindel Wyomings auf uns aufmerksam würde. Du bist doch meiner Meinung, George, altes Ross?«

George war Toms Begleitmann. Das Gehalt für ihn hätte sich die Overland Company sparen können, denn auf dieser Linie wurde tatsächlich nichts anderes befördert als Briefe und Päckchen, für die sich kein Outlaw interessierte. Einmal hatte George bereits die Kündigung in der Tasche. Da ergriff der alte Tom Bixby für ihn Partei.

»Entweder George fährt weiterhin neben mir auf dem Kutschbock dieser Linie«, hatte er wütend getönt, »oder es fährt überhaupt keiner mehr von uns beiden. Sie sollten gut darüber nachdenken.«

Für Toms Boss gab es nicht viel zu überlegen. Tom Bixby war ein viel zu ausgefuchster Kutscher. Die Overland Company konnte und wollte auf ihn und seine Erfahrungen nicht verzichten. Und so blieben sie beide, Tom Bixby und George Stevens …

George nickte, als Tom ihn fragte, ob er dessen Meinung sei.

Waco wünschte den beiden eine gute Weiterfahrt, dann verließ er die Poststation.

Im Sheriff's Office erwartete ihn sein Gehilfe mit ernstem Gesichtsausdruck.

»Du kommst doch aus der Gegend von Tascosa, Texas, Waco, wenn ich nicht irre?«, fragte der Deputy.

»So ist es«, erwiderte Waco. Er war aufmerksam geworden. Dave Tucker musste schließlich einen Grund haben, wenn er eine solche Frage mit einem derart düsteren Gesichtsausdruck stellte.

Dave Tuckers Kiefer mahlten. Er angelte sich eine verknitterte und vergilbte Zeitung vom Schreibtisch und hielt sie Waco hin.

»Lies mal diesen Artikel.« Dave deutete auf eine bestimmte Stelle auf der Vorderseite der Gazette.

Waco las, und mit jedem Wort, das er in sich aufnahm, veränderten sich seine Züge. Sie wurden hart und kantig. Dann war Waco fertig. Er schaute auf das Datum des Blattes.

»Vier Wochen alt.« Er rieb sein Kinn und sah Tucker durchdringend an. »Woher hast du sie?«

»Sie lag beim Barbier herum. Ich las den Bericht, als ich darauf wartete, rasiert zu werden. Nachdem ich einiges aus deiner Vergangenheit kenne, brachte ich die Sache mit dir in Verbindung. Ist es …«

Er verstummte, als Waco abgehackt sagte: »Dieser John Slade hier in dem Artikel war mein Vater. Hier steht, dass ihn ein Weidedetektiv erschoss, nachdem er ihn des Viehdiebstahls überführte. Das — das ist unmöglich. Dad, ein Viehdieb? Eher hätte er sich selber eine Kugel durch den Kopf gejagt.«

Seine Stimme hatte flach und tonlos geklungen, zugleich aber bitter und grimmig.

Langsam hob Waco den Blick. Er starrte an Dave Tucker vorbei auf einen unbestimmten Punkt an der Wand.

Eine Flut von Gedanken und Gefühlen wälzte sich hinter seiner Stirn.

Eine Stunde später verließ Waco Slade Casper. Die Nase seines Pferdes zeigte nach Südosten. Es war ein langer Trail, den Waco vor sich hatte.

Waco ritt mit dem festen, unumstößlichen Vorsatz, die Umstände, die zum Tod seines Vaters führten, aufzuklären.

Am Ende seines Trails sollte er nur noch den Tod zum Partner haben.


*


Über sieben Jahre war es her, seit Waco das Oldham County verlassen hatte. Es gab damals einen schlimmen Streit zwischen ihm und seinem Vater. Und im Zorn hatte er die kleine Ranch zwischen den Hügeln zehn Meilen östlich von Tascosa verlassen.

Niemals schrieb er auch nur eine Zeile nach Hause, und niemand in der Heimat erfuhr je von ihm, wo er sich gerade aufhielt. Hätte er die Schwierigkeiten ahnen können, in denen sein Vater steckte, dann wäre er längst nach Hause zurückgekehrt.

Nun aber schien es, als wäre es zu spät.

Die Stadt hatte sich kaum verändert. Einige neue Häuser waren dazugekommen, der Cattleman Saloon auf der linken Seite der Main Street war neu. Aber sonst war alles wie vor sieben Jahren, sogar das Schild mit der Aufschrift »Sheriff« sah unverändert aus.

Ob Chris Holyman noch den Stern trug?

Waco sah es, nachdem er das Office betreten hatte. Chris Holyman war noch immer Sheriff von Tascosa.

Überrascht schaute er auf, als der große, hagere Mann hereinkam. Skeptisch blickte er auf den tief sitzenden Colt an dessen linker Seite, dann sagte er kühl und schnarrend: »Mahones Ranch liegt nördlich von hier, Mister. Big Bill hat Sie doch ins Land geholt, nicht wahr? Nur er hat Bedarf an Kerlen von Ihrer Sorte.«

Es hatte sarkastisch und freudlos geklungen.

Waco lächelte und erwiderte: »Du irrst dich, Chris, wenn du denkst, dass ich jemals Bill Mahones Sattel drücke. Ich werde vielmehr …«

»Ist es die Möglichkeit?« Chris Holymans Augen waren groß und weit geworden, jähes Erkennen blitzte in ihnen auf. »Der verlorene Sohn kehrt auf die Heimatweide zurück.« Ein Schatten schien sein Gesicht zu verdunkeln. »Du kommst zu spät, Waco, wie du immer schon zu spät gekommen bist.« Grimmig sog der Sheriff Luft durch die Nase ein. Dann fügte er hinzu: »Dein Vater wusste damals schon, warum er dich zum Teufel jagte. Er hat genau erkannt, wie wenig du taugst und dass auf dich kein Verlass ist.«

Waco winkte schroff ab. Sein Gesicht war dunkel, hart und kantig geworden, und zu beiden Seiten seiner Mundwinkel hatten sich tiefe Kerben gebildet.

»Weshalb ich mich mit meinem Vater stritt, damals, geht dich nichts an, Holyman«, sagte er kehlig. »Es ist auch nicht mehr wichtig. Durch Zufall erfuhr ich oben in Casper, Wyoming, was sich hier zugetragen hat. Man hat meinen Vater als Viehdieb erschossen. Von dir will ich nun wissen, was dran ist an dieser Story. Und zweitens will ich wissen, was du als Sheriff unternommen hast. Du hast die Angelegenheit doch untersucht, denke ich?«

»Was hätte ich tun sollen? Es gibt nichts zu untersuchen. Auf der Slade-Weide standen über ein Dutzend umgebrändeter Mahone-Rinder. Außerdem fanden Mahones Leute ein Dutzend Häute mit dem M im Kreis-Brand. Das reicht doch aus, wie?«

»Du warst nie ein guter Sheriff, Chris, und ich frage mich, weshalb sie dich seit zwölf Jahren immer wieder wählen.«

Der Sheriff sprang auf. Sein Gesicht hatte sich verzerrt, in sein Augen sprühten zornige Funken. »Raus!«, brüllte er. »Sonst mache ich dir Beine!«

»Natürlich, Chris, natürlich. Ich gehe schon. Nur noch eine Frage: Was ist aus meiner Schwester geworden?«

»Judith?« Der Sheriff beugte sich ein wenig nach vorn, in seinen Zügen wetterleuchtete es. Gallig fuhr er fort: »Sie hat sich dem jungen Mahone an den Hals geschmissen, kaum dass euer Vater richtig kalt war. Dabei wusste sie nur zu gut, dass es ein Mahone-Mann war, der euren Vater im Trailman Saloon erschoss.«

Aus Wacos Gesicht schien sich der letzte Blutstropfen zu verlieren. Seine Finger krümmten und spreizten sich. Abrupt wandte er sich um und verließ das Office.

Er brachte sein Pferd in den Mietstall, dann begab er sich in den Trailman Saloon. Die wenigen Gäste fixierten Waco, schätzten ihn ein und schenkten ihm dann weiter keine Beachtung mehr.

Waco stützte sich mit beiden Ellbogen auf den Tresen.

»Howdy, Sid Binder«, sagte er ohne jeden Unterton. »Kennst du mich nicht mehr, oder willst du mich ganz einfach nicht mehr kennen?«

Der Barkeeper prallte zurück, seine Augen wurden eng, und er starrte auf Waco. Ein Zucken in seinem Gesicht verriet, dass er ihn erkannt hatte. Dann stieß er unfreundlich hervor: »Ah, Waco Slade. Viele Jahre hat man nichts von dir gehört, und es wurden schon Wetten darauf abgeschlossen, dass man dich irgendwo am Hals aufgehängt hat. Bist du etwa gar kein Bandit geworden, oder hat man dich nur noch nicht erwischt?«

Waco hatte sich gar nichts anderes vorgestellt. Er war ein wilder Bursche gewesen, damals, als Zwanzigjähriger. Und er trug — gegen den Willen seines Vaters — tief am Gürtel einen langläufigen Armeecolt. Er hatte gerne getrunken, viel gerauft und hätte um ein Haar den Storehalter erschossen, wenn nicht gerade noch rechtzeitig sein Vater dazwischen gegangen wäre und ihm die Waffe abgenommen hätte. Er hatte ihn, volltrunken wie er war, verprügelt und zu ihm gesagt: »Du bist anders als die anderen Männer hier, du hast das Zeug zum Revolverschwinger, zum Banditen in dir. Verschwinde, verlass das Land und komm nie wieder zurück!«

So hatte er gesprochen, der alte aufrechte John Slade. Es war zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen ihnen gekommen, und dann war Waco losgeritten.

Sie waren im Bösen auseinander gegangen, und nun gab es für Waco keine Gelegenheit mehr, sich mit dem alten Mann auszusöhnen.

»Wie war das mit meinem Vater, Sid?«, fragte er ohne jede Einleitung.

Binder zuckte mit den Achseln.

»Es stand Mahone-Vieh auf seiner Weide, und Mahone hat seine eigenen Gesetze, wenn es um Rustler geht. Hätte er deinen Vater auf frischer Tat ertappt, dann hätte er ihn wohl aufhängen lassen. Aber so …«

»… hat er ihn nicht auf frischer Tat ertappt und ließ ihn nur erschießen, wie?«

Wieder zuckte Binder gelangweilt mit den Achseln. Er wollte sich abwenden, aber Waco hielt ihn am Ärmel zurück.

»Rede, Binder, verdammt!«, herrschte er den Mann an.

Irgendetwas in Binder riet ihm, Waco nicht noch mehr zu reizen. Und so sagte er: »Dein Vater stand hier am Schanktisch, als O'Connor hereinkam. O'Connor sagte ihm, was es zu sagen gab, und dann flog heißes Blei durch die Gegend. Dein Vater griff übrigens zuerst zum Colt.«

Waco schüttelte den Kopf.

»Mein Vater konnte nur miserabel mit dem Sixshooter umgehen. Darum kann ich nicht glauben, dass er auf die üble Anschuldigung eines Revolverhelden hin danach langte.«

»Glaub, was du willst, Slade. Es war so und nicht anders. Wenn du mich fragst, dann seid ihr Slades alle …«

Abrupt verstummte er, versuchte, sich aus Wacos Griff zu befreien. Aber wie eine Stahlklammer hatte sich Wacos Rechte um seinen Unterarm geschlossen.

»Weiter, Binder, weiter!«, zischte Waco zornig. »Sag, was wir Slades alle sind.«

Seine Stimme geißelte den anderen. Der aber hoffte auf Rückenstärkung durch die Gäste, die längst aufmerksam geworden waren, und so wurde er leichtsinnig.

»Schlecht und verkommen seid ihr!«, stieß er hervor. »Jawohl. Dein Alter gab sich als Biedermann und fischte im Trüben, deine Schwester ist ein Flittchen, und du … Ich brauche nur zu sehen, wie du die Kanone umgeschnallt hast, um zu wissen, was dein Broterwerb ist.«

»Du hast recht.« Waco atmete scharf aus. »Ich war Sheriff, oben in Wyoming. Ein heißes Pflaster …« Mit dem letzten Wort schlug er zu. Vollkommen überraschend für Sid Binder. Es knackte trocken, als Wacos geballte Linke gegen Binders Kinnspitze knallte. Sein Kopf flog in den Nacken, ein abgerissener Laut sprang über seine wulstigen Lippen. Waco stieß ihn zurück, er taumelte gegen das Flaschen- und Gläserbord, es schepperte und klirrte.

Drei, vier von den Gästen sprangen erregt auf. Einer fluchte. Sie hatten Front gegen Waco eingenommen und kamen langsam näher. Tödliche Drohung ging von ihnen aus, ihre Gesichter waren wie aus Granit gemeißelt.

Waco, der herumgewirbelt war, wich drei Schritte zur Seite, um Sid Binder nicht mehr im Rücken zu haben. Seine Hand legte sich auf den Coltknauf.

Er kannte die Burschen, die da näher kamen, alle noch von früher. Sie verhielten, und einer sagte rau: »Klemm dir deinen Klepper zwischen die Beine und bring eine Meile zwischen dich und diese Stadt. Du bist hier nicht willkommen, Slade. Hau also ab und wir vergessen, dass du eben Sid Binder geschlagen hast.«

»Seit wann hast du hier etwas zu sagen, Fisher? Dürfen in Tascosa jetzt auch schon miese Kreaturen wie du das Maul aufreißen?«

Fisher sprang einen Schritt vor, eine Lohe heißen Blutes verfärbte sein Gesicht dunkel.

»Dafür schlage ich dir die Zähne in den Hals!«

Er stürmte nach vorn und — erstarrte in der Bewegung. Denn Waco hatte seinen Colt gezogen. Es war eine glatte Bewegung von Hand und Arm gewesen. Die Mündung deutete auf Fishers Bauch.

»Ich habe keine Lust, mich mit dir zu prügeln, Fisher«, sagte Waco kalt. »Zieh also Leine. Und euch dreien rate ich, euch schnell wieder zu setzen und die Hände auf dem Tisch zu lassen, andernfalls kann es höllisch ungemütlich für euch werden.«

»Ja«, rief Fisher voll Hass, »du bist ein verdammter Gunslinger geworden, Slade. Ein großmäuliger Coltmann. Aber das war nicht anders zu erwarten.«

»Halt's Maul und verdufte!«

Sie zogen die Köpfe ein und entfernten sich. Waco wartete, bis die Pendel der Schwingtür hinter ihnen zur Ruhe kamen, dann sagte er laut: »Ich werde das erhalten, was mein Vater aufgebaut hat. Und ich werde herausfinden, ob sich mein Dad tatsächlich an Mahone-Eigentum vergriffen hat, oder ob er nur deshalb sterben musste, weil jemand das so haben wollte. Dieser feigen Stadt spucke ich vor die Füße. Hundert Freunde hatte John Slade hier, aber keiner, kein einziger stand zu ihm, als dieser O'Connor auf ihn losging.«

Er spuckte voll Verachtung auf den Fußboden, holsterte den Colt und verließ den Saloon.


*


Grau und verfallen lagen die Gebäude der kleinen Ranch vor Waco. Die Corrals waren leer, die Fensterläden geschlossen. Eine schief in den Angeln hängende Tür knarrte im schwachen Wind.

Es war deutlich, dass die Ranch seit Wochen nicht mehr bewirtschaftet worden war.

Seit John Slades Tod.

Waco saß ab, schlang die Zügel um den Querholm vor dem Haupthaus. Gelber Staub puderte seine Stiefel, dann überquerte er die Veranda und betrat das Haus.

Alles war noch so, wie er es in Erinnerung hatte. Waco spürte es heiß in sich aufsteigen. Auf dem Kamin in der Wohnstube stand noch das Bild, das die Slade-Familie zeigte. John Slades Hände lagen auf den schmalen Schultern eines Jungen — seinen Schultern. Die Mutter trug ein kleines Mädchen auf dem Arm. Judith. Als Waco fortgeritten war, war sie dreizehn gewesen. Lange betrachtete Waco das Bild.

Ein Jahr, nachdem es in Tascosa aufgenommen worden war, starb Mutter an der Auszehrung einer heimtückischen, schleichenden Krankheit, die die Lungen befallen hatte.

Bilder aus der Vergangenheit entstanden vor Wacos geistigem Auge. Und unwillkürlich lächelte er ohne jede Härte. Dann aber schüttelte er den Kopf. Die Bilder verblassten. Nur die Gegenwart zählte. Nur sie.


*


Waco ließ das Pferd unter sich im Schritt gehen. Er war auf dem Weg zu Bill Mahone und hatte es nicht sehr eilig. Herden von Longhorns kreuzten seinen Weg, und oft war er gezwungen ihnen auszuweichen. Manche Rinder trugen noch den Slade-Brand. Die meisten aber hatten Mahones Zeichen eingebrannt. Allerdings grasten sie auf der Weide, die als John Slades Eigentum ins Grundbuch eingetragen war.

Vor Waco stieg das Land an. Rechts von ihm begann ausgedehntes Buschgelände. Nach Westen dehnte sich die offene Weide.

Waco ließ seine Blicke wandern, nahm alles in sich auf, war aufmerksam und wachsam. Er ritt sozusagen über »Feindesland«, und daher schien ihm Vorsicht geboten.

Wie sehr sie angebracht war, bewies ihm das Aufpeitschen eines Gewehrschusses. Waco spürte den Luftzug der Kugel auf seiner Wange und ließ sich einfach seitlich aus dem Sattel kippen, riss im Fallen sein Gewehr aus dem Scabbard. Hart landete er auf dem von der Sonne ausgedörrten Boden, blitzartig rollte er sich zur Seite, auf den Buschgürtel zu seiner Rechten zu. Zweige knackten. Waco sprang auf und rannte gebückt durch das Strauchgeflecht hangaufwärts. Ein wenig atemlos langte er oben an. Vor seinem Blick dehnte sich das Land tafelflach aus.

Die Heckenschützen hatten in einer flachen Mulde auf dem Hügelkamm Stellung bezogen. Es waren zwei Burschen, wie Cowboys gekleidet.

»Sieht aus, als hätte ich ihn doch getroffen«, sagte einer und Waco konnte seine Worte deutlich verstehen. »War mir im ersten Augenblick nicht sicher. Das verdammte Flirren in der Luft …«

»Hoffen wir's. Soll eine mächtig harte Nummer sein, dieser Slade. Fisher sagt, dass er nie einen Mann schneller den Colt ziehen sah.«

Waco lächelte grimmig. Also Fisher, diese Ratte, hat Mahone von meiner Heimkehr in Kenntnis gesetzt. Und der alte Eisenfresser Mahone wollte auf Nummer sicher gehen und postierte ein paar Schießer zwischen Tascosa und der M im Kreis. Die wilde Wut stieg in Waco hoch, als er daran dachte, dass die Hundesöhne dort in der Mulde sich für diesen niederträchtigen Mordauftrag hergegeben hatten.

»All right, ihr Schufte!«, murmelte er. »Ihr habt es nicht anders gewollt.«

Die Winchester im Hüftanschlag trat er aus den Büschen. Er befand sich schräg hinter den beiden.

»Du hast mich nicht getroffen, mein Freund!«, rief er eisig.

Die beiden warfen sich herum, die Mündungen ihrer Gewehre ruckten hoch. Waco sah ihre verzerrten Gesichter und zog durch. In diesem Moment verspürte er keine Skrupel. Der eine war sofort tot, der andere starb Sekunden später mit einer Verwünschung auf den Lippen. Um Waco herum zerflatterte der Pulverrauch.

Er senkte die Winchester, hatte einen galligen Geschmack auf der Zunge und ging zu seinem Pferd, das mit hängenden Zügeln stehen geblieben war.


*


Cash Mahone traute seinen Augen nicht, als er durch das staubgeränderte Fenster den Reiter erkannte, der langsam über den Ranchhof kam.

»Beim Teufel, Dad«, rief er über die Schulter. »Ich dachte, du hast Slade ein Empfangskommando entgegengeschickt. Entweder waren das die falschen Leute, oder Slade hat einen anderen Weg genommen.«

Bill Mahone, der schwergewichtige, löwenmähnige Rancher trat schnell neben seinen Sohn. Die Wangenknochen mahlten, und über seiner Nasenwurzel schoben sich die Brauen zusammen wie schwarze Raupen.

Im Hof war Waco gerade aus dem Sattel geglitten. Sporenklirrend stakste er über die Veranda. Die Haustür knarrte, als er sie aufstieß. Er befand sich in einem düsteren Gang. Aber Waco kannte sich hier aus. Gleich rechts, die erste Tür, führte ins Ranch Office. Ohne anzuklopfen trat Waco ein. Die feindseligen Blicke der beiden Mahones, die sich äußerlich gar nicht ähnlich waren, trafen ihn.

Er zog die Tür ins Schloss und trat einen Schritt zur Seite, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und erwiderte stumm ihre Blicke.

»Was willst du?« Mahones Stimme klang wie fernes Donnergrollen.

»Was schon?«

In Mahones Mundwinkel zuckte es. »Drück dich deutlich aus!«

»Deutlich ausgedrückt haben sich die beiden Schießhunde, die am Weg auf mich lauerten. Du kannst ihre Namen von deiner Lohnliste streichen, Mahone.«

»Du verdammter …«

»Na, was?«

»Nimm die Peitsche, Dad, und jage ihn zum Teufel!«, stachelte Cash seinen Vater auf.

Waco lächelte spöttisch.

»Hey, Cash, ich habe gehört, dass du drauf und dran bist, mein Schwager zu werden. Beeil dich, sonst saust du vorher noch aus den Stiefeln.«

»Elender Schießhund!«, fauchte der Bursche. »Komm mir ja nicht so. Wir Mahones haben den längeren Arm und …«

»Aber ich habe den schnelleren Arm, Cash, und das wird am Ende ausschlaggebend sein. — Wo ist meine Schwester?«

»Sie will mit dir nichts zu tun haben«, mischte sich Bill Mahone wieder ein. »Sie wird eine Mahone, und du wirst es nicht verhindern können.«

»Ich will sie sprechen.« Mit Nachdruck stieß Waco es zwischen den Zähnen hervor.

Die beiden Mahones wechselten einen schnellen Blick. Bill Mahone schüttelte den Kopf.

»Dies hier ist mein Haus, Slade«, knurrte er, »und du wirst hier mit niemandem sprechen, wenn ich es nicht will. Ich wüsste auch gar nicht, was es zwischen dir und deiner Schwester zu besprechen gäbe. Dein Vater hat dich vor sieben Jahren fortgejagt und dir verboten, je wieder nach Hause zurückzukehren. Judith ist eine erwachsene Frau, und mein Sohn wird sie heiraten. Du wirst daran nichts ändern können, Slade.«

»Sie will also den Mann heiraten, dessen Vater den ihren erschießen ließ. Wenn das kein Witz ist, Mahone.«

»Lach dich nur nicht tot«, schnappte Cash.

»Den Gefallen erweise ich dir gewiss nicht.«

»Dein Vater hat Vieh gestohlen — mein Vieh. Und dafür erhielt er seine Strafe.«

Dies sagte wieder Bill Mahone.

»Du solltest an diesen Worten ersticken müssen, denn du weißt mit Sicherheit, dass sie erstunken und erlogen sind. Du hast diesen Killer O'Connor auf meinen Vater angesetzt, obwohl du wusstest, dass Dad keine Chance gegen diesen Burschen hatte.«

»Es ist O'Connors Aufgabe, meine Weide sauberzuhalten.«

»Und alte Männer abzuschießen, wie?«, warf Waco grimmig ein.

Bill Mahone ging hinter seinen Schreibtisch und setzte sich, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Du wirst dir den Schädel einrennen, Slade«, sagte er dann zynisch. »Meine Weide ist zu klein geworden, und ich musste Land dazu erwerben.«

»Die Art und Weise ist dir wohl egal?«

»Yeah. Und so kam es mir gerade recht, dass O'Connor deinen Vater des Viehdiebstahls überführte.«

»Du drückst dich nicht richtig aus, Mahone. Du wolltest sicher sagen, dass es dir recht gekommen ist, dass O'Connor meinen Dad in deinem Auftrag erschoss und kein Hahn danach krähte. Eines verspreche ich dir: An der Slade-Weide wirst du dir die Finger verbrennen, ganz empfindlich.«

Mahone lachte schallend.

»Du redest immerzu von der Slade-Weide. Es gibt aber keine Slade-Weide mehr. Warum will das nicht in deinen Kopf? Deine Schwester hat an mich verkauft. Ich zahlte ihr zehntausend Dollar.«

»Welche wieder in deine Brieftasche zurückfließen, sobald Cash Judith heiratet.«

»Bist ein kluger Junge, Waco.«

Der hakte beide Daumen hinter den Revolvergurt.

»Meine Schwester konnte das Land überhaupt nicht an dich verkaufen«, knurrte er. »Die Hälfte der Slade-Ranch gehört nämlich mir. Und mir ist nichts davon bekannt, dass Dad mich enterbt hätte. Lass dir von Judith die zehntausend Bucks wieder zurückzahlen. Der Vertrag zwischen ihr und dir ist ungültig, denn du hast vergessen, mich in deine Kalkulation mit einzubeziehen.«

»Du bist kein Problem, Waco. Oder bildest du dir ein, dass ich mich von dir aufhalten lasse?«

»Aufhalten? Zur Rechenschaft werde ich dich ziehen, für den Mord an meinem Vater. Denn dass es Mord war, davon bin ich überzeugt. Und jetzt hole meine Schwester, Cash. Und keine üblen Tricks, sonst werde ich höllisch ungemütlich.«

»Du willst es nicht glauben, Waco«, entgegnete der junge Rancher. »Sie hat sich von dir losgesagt. Sie schämt sich, eine Slade zu sein.«

»Das will ich aus ihrem Mund hören.«

»Hol sie!«, befahl Bill Mahone voll Ungeduld.

Cash verließ das Office, und Waco hörte seine Schritte auf der Treppe. Wenig später kam Cash mit Judith zurück. Sie beachtete Waco kaum, als sie das Zimmer durchquerte und sich neben Bill Mahone stellte, der ihr Gebaren mit einem zufriedenen Lächeln quittierte. Cash baute sich am Fenster auf.

Waco erkannte Judith kaum wieder. Als er vor sieben Jahren die Ranch verlassen hatte, war Judith ein Mädchen mit langen Zöpfen, dünnen Beinen und ungezählten, lustigen Sommersprossen um die Nase gewesen. Nun aber stand sie als Frau vor ihm, hübsch genug, das Herz eines jeden Mannes höher schlagen zu lassen.

»Hallo, Judith«, sagte er, und seine Stimme kam ihm plötzlich fremd vor.

Sie erwiderte seinen Gruß mit einem hochmütigen Nicken. Dann sagte sie kühl und ohne jede Freundlichkeit: »Warum bist du heimgekehrt? Reicht es nicht, dass Vater sterben musste? Soll noch mehr Blut fließen wegen einiger Rinder, wegen irgendwelcher Wasserrechte, wegen einiger Quadratmeilen Weide? Ich liebe Cash und werde ihn heiraten, und ich werde eine Mahone sein. Vater hat sich an fremdem Eigentum vergriffen. Willst du dort weitermachen, wo er aufhörte?«

Wacos Herz hatte sich zusammengekrampft, schlug in wildem Rhythmus.

War das wirklich die Tochter John Slades, die eben diese schonungslose, um nicht zu sagen herzlose Rede gehalten hatte? Alles in Waco sträubte sich, es zur Kenntnis zu nehmen. Und doch war es so. Langsam begriff er es.

»Du wirst eine gute Mahone«, antwortete er verbittert. »Nein, du bist schon wie sie.« Nichts als Verachtung war in diesem Moment in seinen Gesichtszügen.

Sie erwiderte nichts, starrte ihn nur an. Ihr Blick war geradezu feindselig.

Und so ergriff Waco wieder das Wort. Er sagte: »Du hast die Ranch an Bill Mahone verkauft, obwohl du kein Recht dazu hattest.«

»Kein Recht?«, höhnte sie. »Wo warst du denn die ganzen Jahre über? Sollte ich vielleicht die Ranch bewirtschaften, nachdem Vater tot war? Sollte ich hinter Kuhschwänzen herreiten und sie auf den Trail nach Norden bringen? Ich hatte sehr wohl ein Recht, die Slade-Ranch zu verkaufen, denn mit dir war nicht zu rechnen.«

»Und trotzdem hattest du nicht das Recht dazu.«

»Willst du es rückgängig machen? Das kannst du nicht. Die Änderung im Grundbuch ist längst vorgenommen. Ich gebe dir die Hälfte von den zehntausend Dollar, unter der Bedingung, dass du das Land wieder verlässt.«

»Mahones Drecksgeld will ich nicht. Höchstens, um es deinem zukünftigen Schwiegervater in den Hals zu stopfen. Ihr habt euch zu früh gefreut, vor allem du, Bill Mahone. Deine Rechnung wird nicht aufgehen, dafür sorge ich. Und dir, Schwester, gebe ich einen guten Rat. Heirate ihn nicht, denn sonst bist du sehr schnell Witwe. Und das ist nicht gut für eine junge und hübsche Frau.«

Draußen war er, und Sekunden später ritt er von der M im Kreis. Die Gedanken und Gefühle tobten in ihm, und die Enttäuschung über das Verhalten Judiths drohte ihn einige Atemzüge lang resignieren zu lassen.

Nicht länger, denn es war nicht seine Art, einfach aufzugeben. Seine Art war es, sich der Realität zu stellen und — ließ man ihm keine andere Wahl — zu kämpfen.


*


Sie kamen mit der Abenddämmerung. Vier raubeinige, hart gesottene Kerle, in deren Augen die Mordlust glitzerte.

Waco trat hinaus auf den Vorbau, als er den Hufschlag hörte. Er ahnte, in welcher Mission sie kamen, und er rechnete sich seine Chancen aus, gab sich aber gelassen.

Hart zügelten sie ihre Pferde, die Tiere stiegen und drehten sich auf der Hinterhand. Dann verebbte der Lärm, der aufgewirbelte Staub legte sich.

Die vier grinsten und erinnerten Waco an ein Rudel zähnefletschender Wölfe. Einer sagte näselnd: »Du hast offenbar nicht zugehört, als dir Big Bill Mahone erklärte, dass es eine Slade-Ranch nicht mehr gibt. Das Land, auf dem du dich befindest, gehört den Mahones, und du hast hier nichts verloren.«

Waco spürte nahezu körperlich den Hauch des Bösen, der von den Vieren ausging.

»Doch«, entgegnete er sanft, »die Slade-Ranch gibt es noch. Dies hier —«, er vollführte eine weit ausholende Bewegung mit dem Arm, »— ist die Ranch, und vor euch steht ein Slade. Könnt ihr das begreifen? Wenn ja, dann verzieht euch. Denn wenn hier jemand nichts verloren hat, dann seid ihr das.«

»Hört, hört!« Der Anführer des Rudels schien guter Dinge zu sein, denn er lachte belustigt auf. Plötzlich aber wurde sein Gesicht zur Fratze, und er rief: »Du hast vier höllisch heiße Kanonen vor dir, Slade, gegen die du ein Dreck bist, nichts als ein lausiger …«

Der Colt flog förmlich in Wacos Faust, die Mündung wies auf den Anführer des hartgesichtigen Rudels.

»Ein lausiger …«, wiederholte Waco dessen letzte Worte. »Na, los, sprich es ruhig aus!«

Die vier schnappten nach Luft und rissen die Augen auf. Aber ihre Überraschung dauerte nur Sekunden, und jener Bursche, der sich halbrechts hinter dem Sprecher der rauen Mannschaft befand, glaubte an seine Chance. Seine Hand zuckte zum Kolben, glatt kam der Colt aus dem Holster und schwang hoch, da blitzte es an Wacos Hüfte auf.

Die Hütten der Ranch warfen die Detonationen des Schusses zurück, der Mann schwankte im Sattel, wurde kreidebleich, der Colt entglitt ihm und fiel in den Staub. Und dann rutschte er vom Pferd. Mit ausgebreiteten Armen blieb er liegen. Seine Augen brachen.

Aus Wacos Revolvermündung kräuselte ein feiner Rauchfaden, sie deutete wieder auf den Anführer. Der zerbiss einen Fluch, war plötzlich sehr darauf bedacht, seine Hand nicht zu nahe an den Coltknauf heranzubringen und sagte: »Du schießt eine verdammt schnelle und sichere Kugel, Slade. Mir scheint, Bill Mahone hat uns mit einem Himmelfahrtskommando betraut.«

»Wenn du es nur einsiehst, Amigo.«

Der Mann nickte. »Dürfen wir ihn mitnehmen?« Er deutete auf den Toten.

»Ich bitte sogar darum.«

»Legt ihn auf seinen Gaul und bindet ihn fest.« So wandte sich der Wortführer an seine beiden Kumpane. »Und vergesst seine Waffe nicht.«

Die beiden saßen ab, um den Befehl auszuführen, und in dem Moment, als sie bei dem Toten angelangt waren und sich über ihn beugten, hörten sie ihren Anführer sagen: »Ich gebe dir trotzdem den guten Rat, das Land zu verlassen, Slade. Auch gegen deine Sorte ist ein Kraut gewachsen, das Mahone mit Sicherheit kennt.«

Die beiden sahen Waco für den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt, und das ließ sie wie Kampfmaschinen handeln. Sie wirbelten herum, rissen die Colts aus den Futteralen, zogen durch. Feuer, Blei und Rauch zuckten aus den Mündungen.

Waco nahm es im letzten Augenblick wahr und hechtete zur Seite. Dort, wo er gestanden hatte, rissen die Projektile den Putz von der Hauswand.

Der Bursche auf dem Pferd hatte sich geduckt und ebenfalls gezogen. Er folgte mit dem Colt Wacos Hechtsprung und drückte ab. Die Kugel durchschlug Wacos linken Oberarm. Er verbiss den Schmerz und feuerte zurück, sah den Mann auf dem Pferd die Arme hochwerfen und wechselte den Colt in die rechte Hand, weil ihn in der linken die Kraft verließ.

Kopfüber stürzte der Gunman aus dem Sattel, das Pferd scheute zur Seite und rollte mit den Augen.

Waco zuckte herum, krümmte den Finger. Der vorletzte Revolverschwinger knickte seitlich ein und presste den Arm auf seine Rippen.

Waco taumelte hoch, hörte das Krachen des Schusses, und im selben Augenblick explodierte etwas vor seinen Augen. Er verspürte noch einen dumpfen Schlag, sah eine Stichflamme hochschießen, dann wurde es schwarz um ihn herum.

Aus!, durchzuckte es ihn noch, dann versank er in unendliche Tiefen.

Die beiden Mahone-Schießer näherten sich ihm, die Colts im Anschlag. Dem einen hatte Wacos Kugel die Haut über den Rippen aufgerissen. Blut tropfte über seinen Patronengurt in den Staub und färbte sein Hemd dunkel. In den Gesichtern der beiden zeichneten sich Anspannung und Schrecken ab.

Der eine hob noch einmal den Colt, um Waco den Rest zu geben. Aber der andere drückte dessen Revolverhand nach unten und sagte: »Lass es gut sein, Curly. Der hat genug. Spar dir die Kugel.«


*


Es war die fürchterliche Hitze, die Waco aus seiner tiefen Ohnmacht erwachen ließ. In seinem Kopf rumorte es, um ihn herum war nur Knistern, Knacken und Prasseln. Er schlug die Augen auf.

Die Gebäude der Ranch brannten lichterloh. Das Flammenmeer machte die Nacht zum Tag. Funken sprühten zum Himmel, verglühten und regneten auf Waco herunter.

Ächzend und keuchend kam er auf die Beine, stolperte mehr als er ging den Vorbau hinunter, wankte durch den Hof und erreichte den Rand des Feuerscheins, wo die Hitze unerträglich war. Dort, wo die Nacht begann, drehte er sich um. Zuckende Lichtreflexe geisterten über seine Gestalt.

Krachend stürzte das Dach des Ranchhauses ein, wie ein Feuerwerk muteten die hochwirbelnden Funken an. Immer wieder krachte und barst es, und dann fielen die Flammen in sich zusammen. Einsam und geschlagen stand Waco vor den glimmenden und rauchenden Trümmern der Ranch, die sein Vater in mühsamer Arbeit aufgebaut hatte. Blicklos starrte er auf die Berge von qualmendem Schutt.

Als die Gebäude zusammenstürzten, war auch in ihm etwas zerbrochen. Es war sein Glaube an die Gerechtigkeit.

Sein ganzes Denken und Fühlen war nur noch auf gnadenlose Rache ausgerichtet.

Um ihn herum wurde es finster. Am Himmel blitzten vereinzelt Sterne, irgendwo schrie ein Nachtvogel.

Wacos Hand tastete nach dem Holster. Es war leer. Der Colt lag irgendwo zwischen Schutt und Asche. Waco schaute zum Corral hinüber, wo er sein Pferd untergebracht hatte. Ein Gatter war niedergebrochen und zertrampelt. Waco steckte zwei Finger in den Mund, sein gellender Pfiff zerschnitt die Nacht. Er lauschte.

Nichts.

Er pfiff noch einmal und hatte das Gefühl, der Kopf müsste ihm zerspringen.

Und nun drang fernes, helles Wiehern an seine Ohren, und dann der anschwellende Hufschlag.

Erleichtert atmete er auf.

Das Pferd galoppierte heran, wieherte noch einmal und stand dann mit zitternden Flanken, mit rollenden Augen, den Brandgeruch witternd.

Waco gelang es erst nach dem dritten Anlauf, aufzusitzen.

Das Pferd trug einen geschlagenen Mann in die Nacht hinein.


*


Vier Wochen waren ins Land gezogen. Waco war seit jener blutigen Nacht auf der Slade-Ranch verschwunden, als hätte ihn die Erde verschluckt. In Tascosa und auf der M im Kreis-Ranch vergaß man ihn bereits.

Es war ein lauer Tag im September. Ein warmer Südwind trocknete das Land nach tagelangem Regen. In Tascosa läuteten an diesem Tag die Kirchenglocken. Es waren Hochzeitsglocken. Denn Cash Mahone führte Judith Slade vor den Traualtar.

Ein glückliches Leuchten war in den Augen der jungen Frau. Das Brautpaar nahm die Glückwünsche der Bevölkerung entgegen, und kein Mensch in Tascosa ahnte, dass bereits düstere Gewitterwolken aufzogen, die das junge Glück trüben, ja, zerstören sollten.

Es war ein ausgelassenes Fest im Cattleman Saloon, und niemand achtete auf den Reiter, der von Süden her in die Stadt ritt. Er passierte den Saloon, lenkte sein Pferd schräg über die Straße und saß vor dem Trailman Saloon ab, leinte das Pferd an und schaute sich aufmerksam um. Dann betrat er den Saloon.

Bei Sid Binder hatte sich an diesem Tag kein einziger Gast eingefunden. Er saß hinter dem Schanktisch und döste vor sich hin. Als der Fremde hereinkam, schreckte er auf. Er rieb sich die Augen und fixierte den Gast, der am Tresen haltmachte.

»Schenken Sie Gift aus, Keeper? Oder was ist es sonst, dass man in der Bar auf der anderen Straßenseite ausgelassen feiert und sich hier kein einziger Gast eingefunden hat?« Der Fremde legte die Hände flach auf den Schanktisch.

»Da drüben feiern sie Hochzeit, Stranger«, erklärte Sid Binder, »und da der Cattleman Saloon mehr Platz bietet als dieser hier, hat Mahone ihn gewählt.«

Der Fremde kniff die Lider ein wenig zusammen.

»Sagten Sie Mahone?«

»Yeah. Sein Sohn hat heute geheiratet. Kennen Sie Big Bill Mahone?«

»Nein. Aber eine Hochzeitsfeier, an der eine ganze Stadt teilzunehmen scheint, ist nicht alltäglich. Muss ein mächtiger Mann sein, dieser Bill Mahone.«

»Er ist der mächtigste.«

»Interessant. Wer ist denn die Auserkorene?«

»Sie heißt Judith Slade. - Brandy?«

»Yeah, einen doppelten. Hab 'ne Menge Staub in der Kehle.«

Von da an schwieg der Fremde sich aus. Er trank den Schnaps, zahlte und ging.

Sid Binder eilte zu einem der großen, bunt beschrifteten Frontfenster und sah ihn davonreiten. Ein seltsames Gefühl war plötzlich in dem Salooner, eine Art Beklemmung, von der er nicht wusste, woher sie rührte.

Der Fremde hatte zwei Colts am Gürtel hängen. Und er wirkte ganz und gar nicht wie ein Mann, der lediglich auf der Durchreise war. Eher wie jemand, der irgendetwas auskundschaften sollte. Dazu kam das Interesse, das er bei der Nennung des Namens Mahone zeigte. Und dann sein plötzlicher Aufbruch. So benahm sich nur ein Mann, der einen bestimmten Auftrag hatte.

In Sid Binder stieg plötzlich die Angst hoch. Sie schnürte ihm die Kehle zu. Der Gedanke an einen Namen löste sie aus: Waco Slade!

Schlagartig beherrschte er Sid Binders Denken. Waco war spurlos verschwunden gewesen, nachdem sie ihn niedergeschossen und seine Ranch niedergebrannt hatten. Sollte er nun zurückkommen, um sich zu rächen? Und war der Bursche von eben so etwas wie seine Vorhut?

Sid Binder dachte zurück. Und der Magen krampfte sich ihm zusammen, als ihm bewusst wurde, wie abweisend und arrogant er sich Waco Slade gegenüber benommen hatte, nachdem der vor etwas über vier Wochen heimgekehrt war.

Die ganze Stadt hatte sich den Slades gegenüber schlecht verhalten. Bill Mahone ließ den alten John Slade erschießen und setzte Heckenschützen auf Waco an. Und zuletzt …

Heaven's!

Bill Mahone hatte verbreiten lassen, dass Waco Slade tot wäre, dass er erschossen wurde, als er sich mit dem Colt in der Faust den Mahone-Reitern in den Weg zu stellen versuchte. Binder war sich schlagartig gewiss, dass Waco lebte und auf dem Weg hierher war.

Voll Sorgen begann er in die Zukunft zu blicken.


*


Währenddessen ritt der Fremde wieder nach Süden. Er folgte dem Weg, den er gekommen war, ungefähr vier Meilen, bis er auf drei Männer stieß, die in einer schmalen Senke auf ihn warteten.

Einer von ihnen war Waco Slade.

Er hatte sich nicht nur innerlich verändert. Auch äußerlich war er ein anderer geworden. Sein Gesicht wies Kerben und Linien auf, die es früher nicht gegeben hatte. Und es war hart und kantig. In seinen pulvergrauen Augen war ein kaltes, ein eisiges Flirren.

Die drei saßen auf ihren Sätteln und rauchten. Einige Schritte von ihnen entfernt grasten ihre Pferde. Gespannt starrten sie dem Reiter entgegen, der schräg die Hügelflanke herunterkam.

Als er anhielt, erhob sich Waco und legte eine Hand auf den Hals des Pferdes.

»Wie sieht es aus in Tascosa, Slim?«, fragte er und schnippte den Rest seiner Zigarette im hohen Bogen fort.

Slim ließ sich aus dem Sattel gleiten, zog seinen Revolvergurt in die Höhe und erwiderte: »Du wirst es mir nicht glauben, aber du bist rechtzeitig zur Hochzeit deiner Schwester gekommen. Und rate mal, wer der Bräutigam ist.«

Waco senkte den Kopf.

»Also doch«, murmelte er wie im Selbstgespräch. »Diese Närrin.«

Er ging zurück zu seinem Sattel und wuchtete ihn in die Höhe. Slim, der ihm gefolgt war, fragte: »Reiten wir?«

»Ja.«

Schweigend ritten sie bald nach Norden. Die Abenddämmerung kroch in die Senken und Täler, im Westen färbte der Widerschein der untergegangenen Sonne den Himmel blutrot.

Waco ritt ein Stück vor den anderen. Sie ließen ihre Pferde im Schritt gehen. Waco war nur erfüllt vom Gedanken an seine Rache.

Übergangslos kam die Nacht. Aber schon von weitem deutete der Widerschein der Lichter der Stadt am Nachthimmel an, dass sie ihr Ziel bald erreicht hatten.

Sie schwenkten auf die ausgefahrene alte Poststraße von Amarillo herauf ein, und bald passierten sie die ersten Häuser Tascosas.

Überall unter den Vorbaudächern brannten Laternen, aus den Fenstern fiel Lichtschein. Vom Cattleman Saloon herüber drang der wüste Lärm der Hochzeitsgesellschaft. Auf dem Vorbau saß ein betrunkener Cowboy und schlief.

Ziel des Rudels war der Trailman Saloon. Als sie ihn nacheinander betreten und sich am Tresen aufgestellt hatten, war Sid Binder nahe daran, die Besinnung zu verlieren. Wie erstarrt stand er hinter dem Schanktisch, die blutleeren Lippen fest zusammengepresst, mit vor Angst jagendem Herzen.

Wacos Züge waren ausdruckslos. Nichts in ihnen verriet, was hinter seiner Stirn vorging.

Slim Miles grinste hämisch.

»Da bin ich wieder, mein Freund«, sagte er zu Binder. »Und wie du siehst, habe ich einen guten alten Bekannten von dir mitgebracht. Du freust dich doch, oder sollte ich mich täuschen?«

Der Salooner war nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Da aber erreichte ihn Wacos klirrende Stimme, und sein Herzschlag drohte sekundenlang auszusetzen. Waco sagte: »Big Bills Killer haben nicht sorgfältig genug gearbeitet, Sid. Ich habe es überlebt und bin zurückgekehrt. Diesmal aber nicht, um mir mein Recht zu holen. Diesmal werde ich Strafgericht halten. Aber keine Angst, Sid, du bist noch nicht dran. Wir wollen bei dir nur etwas trinken.«

»Nur — etwas — trinken?«, stotterte der Salooner, so, als wollte es ihm nicht in den Sinn, dass Waco ihn nicht auf der Stelle erschoss. »Natürlich, etwas zu trinken. Bier, Brandy, Whiskey …«

Er hatte sich verhältnismäßig schnell wieder gefangen, nachdem er Gewissheit hatte, dass Waco nicht bei ihm anzufangen gedachte.

»Bier, vier Gläser.«

Als er die Männer bedient hatte, war Sid Binders alte Sicherheit zurückgekehrt.

»Was hast du vor, Waco?«, fragte er. »Wusstest du, dass deine Schwester und der junge Mahone heute …«

»Nein!« Waco unterbrach ihn schroff.

Der Salooner schwieg.

Langsam trank Waco sein Glas leer, dann sagte er: »Ich gehe jetzt. Ihr verteilt euch auf der Straße. Haltet mir den Rückzug offen. Und dir, Binder, rate ich, das Maul zu halten, sonst frisst du heißes Blei.«

Sie verließen den Saloon, das Klirren ihrer Sporen verklang. Binder wagte sich nicht hinter dem Tresen hervor. Er hatte in Wacos Augen geschaut, und dessen Blick hatte ihm jeden Mut genommen. Er hatte den Tod gesehen.

Waco marschierte über die Straße. Seine Schultern waren gestrafft. Bei jedem seiner Schritte streifte sein linkes Handgelenk den Coltknauf.

Aus der Tür des Cattleman Saloon wogten dichte Rauchschwaden. Mit jedem Schritt, den Waco näher kam, nahm der Lärm aus dem Inn zu.

Er zog den Revolvergurt in die Höhe und rückte das Holster zurecht, dann hatte er die Schwingtür erreicht. Er atmete tief durch, stieß sie mit dem Fuß auf, und ein langer Schritt brachte ihn in den Schankraum.

Köpfe ruckten herum, Dutzende von Augenpaaren starrten ihn an. Es wurde still. In diese Stille hinein drang gellend Judiths Aufschrei: »Waco! Mein Gott …!«

Sie saß zwischen den beiden Mahones. Betroffenheit, Angst und Schrecken spiegelten ihre Züge wider.

Von Waco ging eiserne Entschlossenheit aus.

»Steh auf, Bill Mahone, du Schuft!«, befahl er mit fester Stimme. Blitzschnell zog er, es knackte, als er den Hammer zurückzog. »Wird's bald?«

Da nahm Waco an einem der Nebentische eine schattenhafte Bewegung wahr. Seine Colthand zuckte herum, orangefarben stach es aus der Mündung. Die Detonation des Schusses ließ den Saloon in seinen Fundamenten erzittern. Die Wucht der Kugel riss den Burschen, der mit einem schnellen Schuss das Problem Waco Slade glaubte lösen zu können, von seinem Stuhl und fegte ihn unter den Tisch.

Bill Mahone federte trotz seines Körpergewichts geschmeidig in die Höhe. Seine Rechte fuhr in den Ausschnitt seiner Jacke. Er hatte als erster die Lähmung abschütteln können, die mit dem Brechen des Schusses alles in ihrem Bann hielt.

Wieder peitschte es von Waco her. Der Rancher schien noch um einige Zentimeter zu wachsen, ein abgerissener Laut brach über seine Lippen, jede Farbe wich aus seinem Gesicht. Er schwankte wie ein Grashalm im Wind und brach wie vom Blitz getroffen zusammen.

Ehe einer der Anwesenden zur Besinnung kam, war Waco wieder draußen. Geduckt hetzte er über die Straße, während des Laufens seinen Colt nachladend.

Im Cattleman Saloon erwachten Mahones Revolverschwinger aus ihrer Erstarrung. Ein heilloses Durcheinander entstand, als sie zu den Fenstern und zur Tür eilten und sich gegenseitig behinderten. Dann aber jagte eine Serie von Schüssen über die Straße. Im Cattleman Saloon verlöschten die Lichter.

Von der gegenüberliegenden Seite der Main Street aus wurde das Feuer erwidert. An drei verschiedenen Stellen zerschnitten Flammenzungen die Nacht. Die Mahone-Schießer drängten zurück, als das Blei um ihre Köpfe surrte. Einer stürzte, die anderen trampelten über ihn hinweg, zwei, drei Burschen sackten getroffen zusammen.

Waco erreichte die Pferde, leinte sie los und schwang sich in den Sattel. Er stieß den Colt ins Holster und riss die Winchester aus dem Sattelschuh. Seine Kumpane gaben Schuss um Schuss ab und hielten so die Mahone-Crew in Schach.

Waco schoss von der Hüfte aus. Das Pferd unter ihm tänzelte nervös, aber Wacos eiserner Schenkeldruck bannte es auf der Stelle. Von links hetzte Slim Miles heran, mit einem wilden Satz kam er in den Sattel. Auch er benutzte seine Winchester.

Nur vereinzelt wurde aus dem Saloon zurückgeschossen.

Buck Hunter kam aus dem Schlagschatten eines Hauses, fast gleichzeitig tauchte Conny Coulter auf. Buck Hunter lachte voll wilder Freude.

Über die Straße wogte beißender Pulverdampf.

»Aufgesessen!«, brüllte Waco, mit seiner Stimme das donnernde Inferno übertönend.

Hunter kam in den Sattel, riss sein Pferd herum, hieb ihm die Sporen in die Weichen.

Im selben Augenblick erwischte es Conny Coulter. Er fiel aufs Gesicht und begrub seine Waffe unter sich.

Das Feuer aus dem Saloon verstärkte sich. Waco und seine beiden verbliebenen Komplizen warfen sich flach auf die Hälse ihrer Pferde und jagten davon.

Männer rannten auf die Straße und schossen hinter ihnen her. Slim Miles bekam noch eine Kugel in die Schulter, dann hatte die Nacht das raue Rudel aufgenommen.

Lastende Stille legte sich über Tascosa.


*


Bill Mahone war tot. Ein paar seiner Revolverschwinger hatten eine Reise ohne Wiederkehr angetreten. Einige bluteten aus mehr oder weniger harmlosen Wunden.

Sheriff Chris Holyman rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn über die Straße. Er war kopf- und ratlos.

Jim O'Connor packte ihn am Hemd und zischte wütend: »Trommele ein Aufgebot zusammen, Mann! Ihr Vorsprung ist viel zu gering, als dass wir sie nicht mehr einholen könnten. Wir reiten voraus, ihr kommt hinterher.«

O'Connor hetzte in den Mietstall, wo seine Männer schon die Pferde sattelten.

Minuten später donnerte ein großer Reiterpulk aus Tascosa. Einige Männer umringten die leblose Gestalt Conny Coulters. Einer beugte sich über sie.

»Er lebt noch!«, rief er. »Holt den Doc!«

Cash Mahone und seine junge Frau knieten neben Bill Mahone. Cashs Augen brannten wie im Fieber. Eine ganze Weile sagte er nichts, starrte nur auf den Toten. Plötzlich aber kam es monoton und abgehackt über seine Lippen: »Es war dein Bruder, der meinen Vater ermordet hat. Ein Slade. Auch du bist eine Slade, yeah, auch du.«

Judiths trockenes Schluchzen brach ab. Langsam wandte sie den Kopf. Entsetzt sah sie ihn an. Vor wenigen Stunden erst war sie seine Frau geworden. Und nun …

»Geh mir aus den Augen!«, brüllte er. Sie prallte zurück. »Verschwinde, ehe ich vergesse, dass du jetzt meinen Namen trägst — und den seinen!«

Da erkannte Judith, dass das alles kein böser Traum, sondern raue Wirklichkeit war. Und wenn sie bis zu dieser Sekunde noch im Banne des Geschehens der letzten Viertelstunde gestanden hatte, so fiel diese Erstarrung nun von ihr ab. Abrupt erhob sie sich.

»Du weinender Haufen Elend!«, giftete sie. »Jetzt wird es deutlich, was du ohne deinen Dad bist. Ein Jammerlappen. Ich hätte es längst erkennen müssen. Aber ich war blind.«

Cash richtete sich ebenfalls auf. Sein Blick war voller Feindseligkeit. »Du bist eine Slade«, keuchte er. »Eine verdammte Slade.«

Judith hasste ihren Bruder plötzlich. War er ihr bisher gleichgültig gewesen, so wünschte sie ihm von dieser Sekunde an den Tod. Voller Inbrunst.


*


Der Mann, dem ihr verzehrender Hass galt, jagte mit seinen Partnern durch die Nacht. Sie schonten ihre Pferde nicht und hetzten sie in wilder Karriere hügelauf und hügelab. Der donnernde Hufschlag erfüllte die Nacht und war meilenweit zu hören.

Der Mond ging auf und tauchte das Land in sein kaltes Licht. Waco zügelte sein Pferd, die anderen parierten ihre Tiere ebenfalls.

Slim Miles hing schief auf dem Pferderücken.

»Es hat mich ziemlich übel an der Schulter erwischt«, ächzte er. »Schätze, die Kugel steckt im Knochen. Mein Arm ist wie lahm.«

»Ich hole sie dir raus, wenn wir über den Canadian sind, Slim.« Waco lauschte in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und vernahm das dumpfe Dröhnen vieler Pferdehufe.

»Weiter!«, knirschte er. »Wir wollen aber von jetzt an die Gäule schonen. Denn von ihnen wird es am Ende abhängen, ob wir der Meute entkommen oder nicht.«

»Wenn bloß das verdammte Mondlicht nicht wäre«, schimpfte Buck Hunter.

»Wirst du durchhalten bis zum Canadian?«, wandte Waco sich an Slim Miles.

»Ich werde alles daransetzen.« Slim grinste verkniffen.

Sie trieben ihre Pferde wieder an, ritten schweigend. Nach einer Weile lenkte Buck Hunter sein Pferd neben das Wacos.

»Warum erwarten wir sie nicht einfach auf einem der Hügel?«, wollte er wissen. »Bis sie sich von ihrer Überraschung erholen …«

»Unterschätze diese Burschen nicht. Sicher, einige von ihnen würden aus den Sätteln kippen. Der Rest aber nähme uns in die Zange und würde uns so mit Blei vollpumpen, dass uns Hören und Sehen verginge. Es sind Wölfe, die wir auf der Fährte haben.«

Hunter blieb wieder zurück.

Der ferne Hufschlag war näher gekommen. Hunter machte Waco darauf aufmerksam. Der aber sagte: »Wenn wir am Ende als Sieger aus diesem Wettlauf um Leben oder Tod hervorgehen wollen, dann müssen wir die Kraft und Ausdauer unserer Pferde für das Finish aufsparen. Wir werden also unser gemäßigtes Tempo beibehalten.«

Hunter passte das gar nicht, aber er vertraute voll und ganz auf Waco.

Langsam ritten sie einen lang gezogenen Hang hinauf, auf der anderen Seite hinunter, dann lenkten sie die Tiere nach rechts in den Einschnitt zwischen zwei Hügeln hinein. Hier war tiefer Schatten. Der Mond war hinter dem hohen Hügel zu ihrer Linken verschwunden.

»Meine Schulter brennt wie Höllenfeuer«, ließ sich Slim Miles vernehmen. »Wenn der verdammte Fluss nicht bald auftaucht, dann …«

»Du musst durchhalten, Slim. Sie sind schon verdammt nahe, unser Vorsprung beträgt höchstens noch zehn Minuten.«

»Und bald wird er auf fünf zusammengeschrumpft sein, wenn wir weiter dieses Tempo beibehalten«, maulte Buck Hunter.

»Hältst du eine schnellere Gangart aus, Slim?«, erkundigte sich Waco. Der Zustand des Freundes erregte seine Besorgnis.

»Ich habe wohl keine große Auswahl«, rief Slim gepresst.

»Also dann!« Sie trieben die Pferde in einen raumgreifenden Galopp. Das hämmernde Stakkato der wirbelnden Hufe erfüllte die Nacht.

Sie preschten aus dem Schlagschatten des Hügels und erreichten die freie Weide. Ihre Gestalten warfen im Mondlicht kurze Schatten. Das Land fiel sanft ab. Weiter vorne duckten sich wie riesige Buckel wieder Hügel und Kuppen.

Und die Verfolger kamen näher, unaufhaltsam. Der nahe Hufschlag war zum dröhnenden Trommeln angeschwollen.

»Mein Gaul ist am Ende!«, brüllte Slim Miles, und der von seiner Schulterwunde aus in alle Körperteile pulsierende Schmerz verzerrte sein Gesicht. Er presste die linke Hand auf die Wunde.

Waco zog die Zügel an und bremste den rasenden Lauf seines Pferdes. Hunter tat es ihm gleich.

Miles war tatsächlich ein Stück zurückgefallen. Sein Pferd stolperte, und er hatte Mühe, sich im Sattel zu halten.

»Wir schaffen es nicht!« Hunter spuckte wütend zur Seite. »Weiß der Teufel, wo der verdammte Fluss ist. Ich weiß nur eines, nämlich, dass unsere Gäule dieses Höllentempo keine zwei Meilen mehr durchhalten.«

»Wie sieht es aus, Slim?«, fragte Waco. »Schaffst du es noch bis zu den Hügeln?«

Er wies nach vorn, wo sich die buckligen Konturen durch die Nacht abzeichneten.

»Ich denke!«

»Gut. Vorwärts!«

Slim Miles schaffte es. Sie sprangen aus den Sätteln, Waco war Slim behilflich, dann postierten sie sich im tiefen Schatten eines der Hügel, pressten sich flach auf den Boden.

Bald war der Hufschlag der Verfolger ganz nah. Und dann schälten sich die dahinrasenden Schemen aus der Dunkelheit, wurden im Mondlicht gut erkennbar.

Die drei Männer am Fuße des Hügels repetierten beinahe gleichzeitig. Hart pressten sie das glatte Holz der Gewehrkolben an ihre stoppelbärtigen Wangen. So warteten sie, bis das Rudel nahe genug heran war.

Das Trommeln der Hufe zerrte an ihren Nerven, dazwischen war das Knarren von Sattelleder und das Klirren der Gebissketten zu vernehmen.

Die Posse wurde langsamer, und plötzlich kam sie zum Stehen.

»Jetzt beraten sie«, murmelte Waco. »Sie können den Hufschlag unserer Pferde nicht mehr hören, und das verunsichert sie.«

Die Meute setzte sich wieder in Bewegung. Sie hielt genau auf den stockdunklen Einschnitt zwischen den Hügeln zu. Offenbar waren die Verfolger in der Lage, sich in die Situation der Gejagten zu versetzen. Und so ahnten sie irgendwo hier in den Hügeln einen Hinterhalt. Und diese Ahnung ließ sie vorsichtig und wachsam agieren.

»Feuer!«, gebot Waco.

Sie zogen durch. Die peitschenden Detonationen zerfetzten die bleierne Atmosphäre, die über allem lastete. Ein Pferd wieherte schrill und trompetend, ein Mann kippte aus dem Sattel, ein zweiter warf beide Arme hoch und fiel auf den Pferdehals. Raue Flüche schallten durcheinander, ein schneidender Befehl übertönte sie, ein heilloses Durcheinander entstand. Wieder zerschnitten die Mündungsblitze die Dunkelheit, und wieder fand heißes Blei sein Ziel. Pferde steilten, ein ersterbender Aufschrei, ein dumpfer Fall.

Dann aber kam Ordnung in die Mahone-Mannschaft. Die Männer rissen ihre Pferde herum und jagten in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Einige schlaffe Gestalten blieben am Rand des Schattens liegen. Ein reiterloses Pferd trabte in den Hügeleinschnitt.

»Ob sie jetzt die Schnauze voll haben?«, fragte Buck Hunter.

»Kaum«, antwortete Waco. »Wir haben sie höchstens noch wilder auf unsere Skalps gemacht. Verduften wir, solange sie voll Panik sind.«

Geduckt rannten sie zu den Pferden. »Wir führen sie ein Stück«, sagte Waco. »In diesen Hügeleinschnitt wagen die Burschen sich nicht so schnell. Über die Hügel können sie auch nicht kommen, denn sie müssten sich im Mondlicht bewegen. Also müssen sie um die Hügel herum, und das nimmt Zeit in Anspruch.«

»Und wenn sie uns den Weg abschneiden und irgendwo vor uns warten?«, wandte Hunter skeptisch ein.

»Auch ihre Pferde sind abgetrieben. Und — siehst du hier einen Weg?«

»Also dann, quer durch die Hügel!«, stieß Slim Miles unter Schmerzen hervor.


*


Eine halbe Stunde führten sie die Pferde schräg nach Norden, immer darauf bedacht, die Schatten zwischen den Hügeln auszunutzen. Dann saßen sie auf. Die Tiere waren einigermaßen ausgeruht und liefen ein zügiges Tempo. Slim Miles' Wunde hatte aufgehört zu bluten und war verkrustet. Das änderte allerdings nichts daran, dass er am Ende war. Seine Zähne schlugen wie im Fieber aufeinander.

Noch einmal hatten sie für kurze Zeit den Hufschlag ihrer Jäger hören können.

»Was meinst du, haben wir sie abgehängt?« Buck Hunter schniefte.

Waco zuckte mit den Achseln.

Von Slim Miles her kam ein abgrundtiefes Stöhnen. Waco lenkte sein Pferd neben ihn und sagte: »Wir haben es gleich geschafft, Slim. Drüben hole ich dir die Kugel raus.«

Slim nickte.

»Froh bin ich, wenn wir über den verdammten Fluss sind.«

Hunter holte auf. Wie meistens war er am Schluss geritten.

»Hast du eigentlich den alten Mahone erwischt, Waco?«

»Ja.«

»Was hast du als nächstes vor?«

Waco schürzte die Lippen. »Wir bleiben ein paar Tage verschwunden, bis sich die Gemüter ein wenig beruhigt haben, und dann kehren wir nach Tascosa zurück. Mahone war nur der Anfang.«

»Bist du verrückt?« Hunter zuckte im Sattel wie von einer Tarantel gestochen herum. »Darauf warten die doch nur. Denk an unseren alten Freund Conny. Willst du wie er mit der Nase in den Dreck fallen?«

»Auch ich bin für Wacos Vorschlag«, mischte sich Slim Miles ein. »Wir wissen nicht, ob Conny tot ist. Wenn nicht, dann hängen sie ihn auf. Und das wirst du doch nicht zulassen wollen, Buck?«

»Ich sah, wie er zwischen die Gäule fiel. So stürzt nur ein Mann, in dem kein Leben mehr ist.«

»Lass dich nicht täuschen, Buck. Mich haben sogar Mahones Colthyänen für tot gehalten, nachdem sie mir einen Scheitel durchs Haar gezogen hatten. Und in solchen Dingen gehen diese Burschen fast immer auf Nummer sicher.«

Buck presste die Lippen aufeinander und schwieg.

Zehn Minuten später erreichten sie den Canadian River. Wie ein glitzerndes Band lag er im Mondlicht vor ihnen. Der Fluss war breit und führte viel Wasser. Es gurgelte und rauschte.

Sie verloren keine Zeit und trieben die scheuenden Pferde in die Strömung, die Tiere begannen zu schwimmen.

»By jove, wir werden abgetrieben!«, schrie Buck Hunter ängstlich.

»Kannst du nicht schwimmen?«, rief Waco spöttisch. »Dann hast du jetzt 'ne Menge Gelegenheit, es zu lernen. Halte dich nur an deinem Gaul fest, dann schaffst du es schon.«

Die Pferde kämpften. Es war der natürliche, instinktive Erhaltungstrieb der Kreatur, der sie sich gegen die Strömung stemmen und nicht aufgeben ließ, solange noch ein Funke Leben in ihr war.

So näherten sie sich schräg dem anderen Ufer, und zweihundert Yards von der Stelle entfernt, wo sie die Pferde in den Fluss getrieben hatten, erklommen sie die jenseitige Böschung. Die Tiere schnauften und prusteten. Die Männer saßen ab.

»Hoffentlich hat das kalte Wasser die Gäule nicht ruiniert«, knurrte Buck Hunter besorgt. »Sie waren abgehetzt und verschwitzt. Wir müssen sie abreiben, sofort.«

Sie benutzten dazu ihre Decken und arbeiteten mit verbissener Ausdauer, und als ihre Pferde endlich trocken und warm waren, schwitzten sie. Sie lockerten die Sattelgurte und ließen die Tiere grasen. Erschöpft ließen sich die Männer ins Gras sinken, weit streckten sie die Beine von sich. Waco und Buck Hunter waren mit ihren Kräften ziemlich am Ende. Slim Miles war fix und fertig.

»Meine Schulter, Waco«, erinnerte Miles schwach.

In diesem Augenblick erklangen auf der anderen Flussseite laute Stimmen, die allerdings durch das Rauschen des Wassers nur verschwommen zu vernehmen waren.

»Sie suchen den Fluss nach einer Furt ab«, sagte Waco.

»Ob sie rüberkommen?«, fragte Buck Hunter.

»Sie sind viel weiter oben«, erklärte Waco. »Der Wind trägt ihre Stimmen zu uns her. Aber wenn sie einen geeigneten Übergang finden, kommen sie. Lasst uns lieber verduften.«

»Lange halte ich nicht mehr durch«, beschwerte sich Slim Miles.

»Nur noch wenige Meilen, Slim.«

Waco half dem Verwundeten, nachdem sie die Sattelgurte wieder straff gezogen hatten, aufs Pferd.

Sie folgten dem Lauf des Canadian.

Als im Osten die Sonne über die Hügel kletterte und ihre Strahlen die Nebelschwaden, die über dem Canadian lagerten, auflöste, schnitt Waco Slim Miles die Kugel aus der Schulter. Es war eine schmerzhafte Prozedur für Miles, und er schrie mehr als einmal gellend auf. Aber dann war Waco fertig und verband die Wunde.

Sie gönnten sich eine Stunde Rast. Von ihren Verfolgern war schon lange nichts mehr zu sehen gewesen. Die hatten sie abgeschüttelt, nachdem sie den Fluss überquerten.

Dann befanden sie sich wieder auf dem Trail. Während sie ritten, verzehrten sie ein karges Frühstück aus ihren Satteltaschen, dazu tranken sie Wasser. Slims Gesicht wirkte eingefallen und grau. Die Schmerzen und Nöte der vergangenen Nacht hatten es gezeichnet, hatten tiefe Linien darin eingegraben. Spitz stach die Nase daraus hervor.

Waco und Buck waren ebenfalls ausgepumpt und groggy. Auch an ihnen war die Flucht nicht spurlos vorübergegangen.


*


»Wir kehren um!«, befahl Jim O'Connor, nachdem er Gewissheit hatte, dass Waco Slade und dessen Gefährten über den Canadian entkommen waren.

»Warum folgen wir ihnen nicht?«, wandte einer der Männer ein. »Wir können sie doch nicht einfach laufen lassen. Sie haben den Boss ermordet.«

Zustimmendes Raunen ging durch das Rudel.

O'Connor winkte ab, und es entstand Ruhe.

»Slade kommt zurück nach Tascosa. Er will sich rächen und ist noch längst nicht fertig. Auf seiner Abschussliste stehen noch viel mehr Namen als nur der Bill Mahones, und mit Sicherheit sind auch Namen aus der Stadt darunter. Als er den Boss erschoss, erklärte Slade uns den Krieg und dokumentierte zugleich, dass er gnadenlos vorgehen wird. Reiten wir also in die Stadt zurück, und lassen wir ihn kommen.«

Missmutig wendeten sie die Pferde.

Nach wenigen Meilen stießen sie auf das Aufgebot der Stadt mit Sheriff Chris Holyman an der Spitze.

»Sie sind über den Canadian«, berichtete O'Connor dem Sheriff.

»Warum seid ihr ihnen nicht gefolgt?«, fragte Holyman wütend.

»Der Fluss führt viel Wasser nach dem Regen der vergangenen zwei Wochen. Über die Hälfte meiner Männer kann nicht schwimmen. Finden Sie sich damit ab, Sheriff, dass Slade uns fürs Erste entkommen ist.«

Holymans Kiefer mahlten. »Sie meinen also, es hat keinen Sinn, wenn wir …«

»Über den Fluss könnt ihr nicht. Es sei denn, Sie nehmen in Kauf, dass einige Ihrer Leute wie die Ratten absaufen, Sheriff.«

Holyman murmelte einen Fluch, aber nach kurzer Überlegung sagte er: »All right, wir reiten ebenfalls zurück.«

Seine kleine Gruppe schloss sich der Mahone-Mannschaft an. Im Morgengrauen erreichten sie die Stadt. Zur selben Zeit etwa, als Waco Slim Miles die Kugel aus der Schulter schnitt. Vor dem Cattleman Saloon hielten sie an, sattelsteif und müde saßen sie ab.


*


Cash Mahone hatte die Nacht in der Schankstube verbracht. Judith hatte sich im Hotel ein Zimmer gemietet.

Cash trat auf den Vorbau. Tiefe, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, und er sagte: »Sie sind euch also entkommen. Was sind Sie bloß für ein lausiger Sheriff, Holyman?« Ein Blick voller Verachtung traf den Sternträger, dann wandte Cash sich an Jim O'Connor. Er sagte dunkel: »Ihr Vorsprung war doch nicht groß, und ihr hattet ausgeruhte Pferde.«

O'Connors Gesicht verdunkelte sich. Kehlig erwiderte er: »Wir ritten in ihren Hinterhalt. Drei Männer starben. Wir haben mit allem gerechnet, aber nicht mit einer solchen Kaltblütigkeit Slades. Jeder andere Mann wäre Hals über Kopf geflohen. Er aber erwartete uns in den Hügeln.«

»Dieser Schuft. Lassen Sie die Männer für einen längeren Ritt ausrüsten, O'Connor. Wir werden den Canadian überqueren und uns die Mörder meines Vaters holen.«

»Das wäre Zeitvergeudung, Boss. Wir würden ein Phantom jagen. Slade ist gerissen genug, um uns kreuz und quer durchs Land an der Nase herumzuführen.«

»Haben Sie was Besseres vorzuschlagen?«

»Ja. Wir warten ganz einfach, bis er kommt. Denn dass er kommt, um sich noch ein paar von uns vor die Kanone zu holen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«

Cash überlegte kurz, legte seinen Kopf dabei ein wenig schief als horchte er, was eine innere Stimme ihm eingab. Dann sagte er nickend: »Sie haben wohl recht, O'Connor. Natürlich, Slade kommt wieder. Das heute Nacht war nur der Anfang. Wir — wir reiten auf die Ranch.«

Er wandte sich wieder an den Sheriff, der bisher wortlos dabeigestanden hatte.

»Da drin liegt einer von Slades Schuften. Es hat ihn zwar ziemlich schlimm erwischt, aber der Doc meint, dass er durchkommen wird. Sperren Sie ihn ein. Möglicherweise kann er uns wertvolle Tipps hinsichtlich Slades weiterer Pläne geben.«

Eine kühle Stimme hinter Cash sagte: »Der Verwundete wird nicht eingesperrt, denn das wäre sein Tod. Ich lasse ihn zu mir schaffen. Erst wenn er über den Berg ist, kann ihn sich von mir aus der Sheriff holen.«

»Sie können ihn doch auch im Jail versorgen, Doc«, warf Cash mürrisch ein.

»Sind Sie hier der Doc, oder bin ich es?«

Cash, der eine scharfe Erwiderung auf den Lippen hatte, schluckte sie und wandte sich wieder O'Connor zu.

»Wir bringen Big Bill auf die Ranch und beerdigen ihn morgen. Und dann warten wir darauf, dass Waco Slade kommt.«

»Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mich hier in der Stadt einzunisten versuchen«, überlegte O'Connor laut. »Die Stadt ist für ihn die weniger harte Nuss. Auf der M im Kreis kann er sich nur einen blutigen Schädel holen. Das wird er wissen, und darum …«

»Was soll das, O'Connor?«, herrschte Cash seinen besten Mann an.

»Das heißt, dass Slade verdammt leichtes Spiel hier haben wird, wenn wir die gesamte Mannschaft abziehen.«

»Dieses Rattennest soll zusehen, wie es zurechtkommt. Es laufen genügend großmäulige Burschen hier herum, die sich nur eine Waffe umzuschnallen brauchen, um Slade vor die Füße zu springen. Oder sind Sie anderer Ansicht, Sheriff?«

Der Sheriff presste die Lippen zusammen, dass sie nur noch einen dünnen Strich bildeten, antwortete aber nicht. Die Stimmung war gereizt genug, dass ein unbedachtes Wort den Topf zum Überlaufen bringen konnte.

Chris Holyman zog sein Pferd herum und kitzelte es mit den Sporen. Er hörte noch, wie O'Connor sagte: »Sie sollten sich das gut überlegen, Boss. Ich kann mir nämlich gut vorstellen, dass einige Leutchen hier, wenn Slade kommt, bemüht sein werden, sich bei ihm wieder ins rechte Licht zu rücken. Und wenn die Bürger sich neutral verhalten, dann wird Slade sich die Stadt zur Festung erklären. Wir sollten wenigstens zwei oder drei Leute in der Stadt lassen, die uns auf dem Laufenden halten.«

»Was ist mit Fisher?«

»Dem traut keiner über den Weg hier. Und außerdem wird er es vorziehen, Waco Slade aus dem Weg zu gehen. Gewiss steht auch sein Name auf Slades Abschussliste.«

»Gut, bestimmen Sie die drei Männer, die hierbleiben sollen.«

Jim O'Connor nickte.


*


Die drei Männer, denen der Hass Tascosas und der M im Kreis-Ranch gehörte, ritten am Canadian River entlang. Gegen Mittag stießen sie auf die grauen und verwitterten Gebäude einer Handelsniederlassung. Sie lag direkt am Fluss auf einer Anhöhe, und ein steiniger Reit- und Fahrweg führte hinauf.

Sie ritten in den Hof der Station. Ein Mann kam aus der ebenerdigen Tür, beschattete mit der Hand seine Augen und schaute misstrauisch zu ihnen hoch.

»Howdy, Sir«, grüßte Waco. »Wir brauchen einige Stunden Ruhe, sind die ganze Nacht hindurch geritten und ziemlich müde. Außerdem ist unser Freund hier verwundet.«

»Ich verkaufe alles, was ein Mann braucht, der einen langen Trail reitet«, erklärte der Stationer zweideutig. »Auch Ruhe.«

»Wir werden dafür bezahlen, keine Angst.«

»Dann könnt ihr von mir aus hierbleiben, so lange ihr wollt. Es sei denn, ihr habt es ganz besonders eilig.«

Ein hartes Grinsen spielte um Wacos Mund. Er wusste, was der andere meinte. Diese Sorte kannte sich aus und hatte einen Blick für Männer, die auf der Flucht waren.

»Wollen Sie es ganz genau wissen?«, fragte Waco.

»Was ich sehe, reicht mir.«

Waco glitt aus dem Sattel. Er löste seinen Blick von dem Stationer, betrachtete kurz Slim Miles, der auf dem Hals seines Pferdes lag und die Augen geschlossen hielt, und sagte zu Buck Hunter: »Hilf mir mal.«

Der Stationer sagte: »Bringt ihn dort drüben in die Baracke und legt ihn auf eines der Betten. Im ersten Schrank bei der Tür findet ihr Verbandszeug.«

»Haben Sie Brandy?«

»Natürlich. Wie ich schon sagte, bei mir könnt ihr alles kaufen.«

»Dann holen Sie welchen.«

Sie brachten Miles in das lang gezogene Gästehaus. Der Stationer blickte mit gemischten Gefühlen hinter ihnen her, dann machte er kehrt und ging ins Haus.

»Was sind das für Kerle?«, forschte sein siebzehnjähriger Sohn, der zusammen mit der Mutter durch das Fenster alles verfolgt hatte. »Machen ganz den Eindruck, als hätten sie einen höllischen Trail hinter sich. Die stinken ja förmlich nach Pulverdampf und Blei. Hast du in ihre Augen gesehen, Dad?«

»Yeah. Und darum sollten wir haargenau das tun, was sie uns befehlen. Bring ihnen die Flasche Brandy, Sohn. Nein, ich bringe sie ihnen selber. Halte du dich lieber von den Kerlen fern.«

Er holte aus dem zur Station gehörenden Store die Flasche und trug sie hinüber in die Unterkunft, wo es sich die drei Fremden zwischenzeitlich so bequem wie möglich gemacht hatten.

»Geben Sie her!«, sagte Buck Hunter und griff nach der Flasche. Mit den Zähnen entkorkte er sie, setzte sie an die Lippen und nahm einen kleinen Schluck. Dann reichte er Waco die Flasche.

Der sagte zu dem Stationer: »Schreiben Sie alles zusammen, Mister. Und vergessen Sie nicht, unsere Pferde zu versorgen. Sie erhalten Ihr Geld, sobald wir weiterreiten.«

»Ich hoffe, man lässt Ihnen so viel Zeit, Stranger«, entgegnete der Stationer sarkastisch. »Hatte schon öfter mal Kerle hier, die vollkommen überstürzt aufbrechen mussten.«

»Sie bekommen Ihr Geld.«

Waco trank, hielt Slim die Flasche an die Lippen und hob sie ein wenig an. Slim schluckte mechanisch, plötzlich aber schüttelte ihn ein ungestümer Husten, der ihm die Tränen in die Augen trieb.

»Dieses Zeug hebt ja einen toten Apachen wieder in den Sattel. He, Mister, was ist das in der Flasche? In Petroleum aufgelöstes Schießpulver?«

Waco grinste. So war es richtig. Wenn Slim zu grimmigen Späßen aufgelegt war, dann würde er auch bald wieder auf den Beinen sein.

Der Stationshalter ging, und Waco sagte: »Wir bleiben hier, bis Slim wieder im Sattel sitzen kann. Hier sind wir einigermaßen sicher, denke ich.«

»Prima«, warf Buck Hunter ein. »Einmal ein paar Tage kein Sattelleder unter dem Hintern. Ich kann's kaum glauben.«

Er grinste, dieses Grinsen verschwand aber aus seinem Gesicht, als Waco sagte: »Für dich wird leider nichts daraus, alter Freund. Denn du wirst nach Tascosa reiten und herausfinden, ob Conny noch lebt.«

Buck Hunter richtete sich mit einem Ruck auf.

»Ich?«, dehnte er. »Verdammt, Waco, das kannst du nicht von mir verlangen. Wenn ich mich dort blicken lasse, vierteilen sie mich.«

»Dich hat niemand richtig gesehen.«

»Und was ist mit Sid Binder, dem Salooner?«, schnappte Hunter erbost.

»Der wird sich hüten, das Maul aufzureißen.«

»Und wenn nicht, dann farewell, guter alter Buck Hunter, wie? Nein, danke, Waco. Aber halte mich nicht für einen Selbstmörder.«

In diesem Moment betrat der Stationer wieder die Unterkunft.

»Wollt ihr was zu essen?«, erkundigte er sich.

»Wenn Sie was Anständiges zu bieten haben, werden wir sicher nicht nein sagen«, gab Waco zurück.

»Steaks, Bratkartoffeln und Bohnen.«

»Das ist in Ordnung.«

Eine Viertelstunde verstrich, eine halbe, dann kamen der Stationer und sein Sohn mit Tabletts über den Hof, auf denen gefüllte Teller standen. Waco öffnete ihnen die Tür und beobachtete, wie sie das Zeug auf dem Tisch abstellten.

Buck Hunter trat an ihn heran.

»Der Junge«, murmelte er. »Warum schicken wir nicht ihn nach Tascosa?«

Augenblicklich entschloss sich Waco. Er sagte zu dem Stationer: »Ich habe einen Auftrag für Ihren Sohn, Mister. Er soll für uns etwas auskundschaften.«

»Was soll er für euch auskundschaften?«

Waco erklärte es ihm kurz, verschwieg aber, dass sie Tascosa eine heiße Nacht bereitet und Big Bill Mahone sowie einige seiner Leute getötet hatten. Er stellte es so hin, dass sie als harmlose Durchreisende in eine Schießerei verwickelt worden seien und es ihren Partner übel erwischt hätte und sie nun nicht wüssten, ob er tot war. »Wenn er nämlich noch lebt«, so endete Waco, »dann müssen wir zusehen, dass wir ihn herausholen, ehe sie ihn lynchen.«

»Die lynchen keinen, wenn er es nicht verdient hat.« Der Stationer glaubte ihm kein Wort, das war deutlich. »Warum reitet ihr nicht einfach hin und klärt alles auf, wenn ihr so unschuldig seid?«, fügte er dann hinzu.

»Es hat Tote gegeben. Und nun wird man in der Stadt nach Vergeltung schreien. Wir sind fremd dort, und nach uns kräht kein Hahn, wenn …«

Waco machte mit dem Zeigefinger seiner Rechten die Gebärde des Halsabschneidens, dann zog er eine Zwanzigdollarnote aus seiner Tasche, die er dem Stationer unter die Nase hielt. In dessen Augen blitzte die Gier auf.

»Zwanzig Bucks«, sagte Waco. »Weitere zwanzig gibt es, wenn Ihr Junge zurückkommt. Ist das kein fairer Preis?«

Waco hatte den Stationer richtig eingeschätzt und längst erkannt, wie gierig er war. Dass es so war, erleichterte die Sache.

Der Junge war weniger begeistert. Aber er war ein gehorsamer Sohn, und so erklärte er sich bereit. Waco schärfte ihm noch einmal ein, wie er sich verhalten sollte, dann brach der Boy auf.


*


Am frühen Nachmittag des nächsten Tages kam der Junge zurück. Er saß vor der Unterkunftsbaracke ab und führte sein Pferd in den Stall gleich nebenan, sattelte und zäumte es ab und begann, es zu versorgen.

Ungeduldig trat Waco hinzu. Gespannt blickte er auf den Jungen. Der unterbrach seine Arbeit, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und sagte: »Ihr Freund ist böse angeschossen und es ist nicht sicher, ob er durchkommt. Aber wenn er es schafft, dann hängen sie ihn auf. Ihr habt Big Bill Mahone erschossen.«

»Wie ist die Stimmung in der Stadt?«

»Das festzustellen, war nicht mein Auftrag, Mister.« Es war deutlich, dass der Junge nicht viel für Waco übrig hatte.

»Hält sich die M im Kreis-Crew noch in Tascosa auf?«

»Nur drei Mann. Ich hörte es zufällig.«

»Well. Hier, die andere Hälfte deines Lohnes.«

Der Junge griff nach dem Geldschein und ließ ihn in seiner Tasche verschwinden.

In die Unterkunft zurückgekehrt sagte Waco: »Conny lebt. Es soll zwar sehr schlecht um ihn stehen, aber er lebt. Allerdings nicht mehr lange, wenn wir ihn nicht rausholen.«

Da flog krachend die Tür auf. Geduckt wirbelte Waco herum, seine Linke stieß zum Colt, aber es war nur der Junge.

»Es kommt einer auf die Station zu!«, rief er erregt. »Ich hoffe nicht, dass er mir von Tascosa herauf gefolgt ist.«

Der Bursche verschwand wieder und schloss die Tür hinter sich.

»Dazu ist einer allein nicht verrückt genug«, sagte Waco und ging zum Fenster. Von dem Reiter war noch nichts zu sehen. Achselzuckend meinte Waco: »Erwarten wir ihn einfach, und dann werden wir ja sehen.«

Waco und Buck postierten sich an zwei Fenstern. Bald zog der Reiter in den Hof. Er kam aus nördlicher Richtung. Mit zitternden Flanken blieb das Pferd stehen, als der Mann die Zügel anzog. Er hob das rechte Bein über den Sattelknauf und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Steif näherte er sich dem Stationer, der ihn an der Tür des Haupthauses erwartete.

Der Neuangekommene gefiel ihm nicht. Er gehörte zur selben Sorte, die er schon beherbergte. Verdruss haftete dieser Sorte an. Wo sie auftauchte, stank es sehr bald nach Pulverrauch.

Der Fremde tippte an die Hutkrempe und sagte: »Ich möchte gern einige Dinge bei Ihnen kaufen, Sir, die mir auf dem Weg hierher ausgegangen sind. Und dann möchte ich Auskunft von Ihnen, ob es hier irgendwo eine Furt über den Canadian gibt. Das ist doch der Canadian?«

»Sicher. Und es gibt eine Furt, ungefähr zehn Meilen weiter östlich.«

Der Fremde nickte unbeeindruckt, ging zum Brunnen und hievte einen Eimer Wasser empor, nahm die Schöpfkelle und trank gierig daraus. Dabei starrte er unverwandt auf den Stationer. Er warf die Kelle wieder in den Eimer, wischte sich über den Mund und stieß plötzlich hart zwischen den Zähnen hervor: »Wem gehören die Gäule dort im Corral?« Ein kaltes Lauern trat in seinen Blick.

»Uns, Mister, uns gehören sie!«, enthob Waco den Stationer einer Antwort.

Der Fremde wirbelte herum, seine Hand sauste zum Revolver. Doch er ließ das Eisen brav im Holster. Denn der Mann, der gerade gesprochen hatte, stand mit vor der Brust verschränkten Armen an der Tür der Unterkunftsbaracke.

Scharf musterten die beiden Männer sich, schätzten einander ein.

»Deine Art, einen Mann anzusprechen, kann dir einmal heißes Blei einhandeln, Mister!«, rief der Fremde.

»Nicht, solange mein guter Freund Buck auf mich aufpasst!«, tönte Waco zurück.

Und da sah der Fremde die Winchestermündung, die aus einem Fenster der Unterkunft genau auf seinen Bauch zeigte. Die Anspannung fiel von ihm ab, er richtete sich auf und nahm seine Hand vom Coltkolben.

»Ich kenne euch nicht«, sagte er, »und bin gleich wieder fort. Will über den Canadian nach Süden. Es liegt an euch, ob wir die paar Minuten, die ich mich hier aufhalte, gut miteinander auskommen.«

»Das denke ich doch. Auch wir kennen dich nicht. Aber das kann sich ändern. Ist es ein besonderer Grund, der dich nach Süden treibt?«

»Wüsste nicht, was dich das angeht, mein Freund.«

Waco grinste. Dieser Bursche war genau richtig, um die Stelle Conny Coulters einzunehmen.

»Nichts, Amigo«, rief er. »Aber wenn dich kein besonderer Grund nach Süden treibt, kannst du meinem Verein beitreten. Ich suche einen Burschen wie dich.«

»Kennst du mich denn? Und was ist es für ein Verein?«

»Komm herüber, dann erfährst du mehr.« Waco verschwand im Bunkhouse.

Langsam folgte ihm der Fremde.

Er war groß, hager und gewiss hart und unbeugsam. Jede seiner Bewegungen wirkte federnd und geschmeidig. Dieser Bursche war beachtlich, bemerkenswert. Bei jedem seiner Schritte klatschte das offene Holster mit dem langläufigen 45er gegen seinen rechten Oberschenkel. Er trat in die Düsternis der Baracke und sah in die stoppelbärtigen Gesichter Wacos und Buck Hunters, dann heftete er seinen Blick auf Slim Miles.

Buck Hunter hielt die Winchester in der Armbeuge, wie zufällig wies der Lauf auf den Fremden.

»Mein Name ist Ringo Douglas«, stellte der sich vor. »Komme von Colorado, genau gesagt aus der Gegend von Trail City. Musste ziemlich schnell reiten.« Den Rest ließ er offen.

»Sind sie hinter dir her?«, fragte Waco.

»Yeah. Gute alte Freunde von mir. Sie wollen mir das Lebenslicht ausblasen, weil ich zwei von ihnen über den Jordan schickte.«

»Hinter dir ist also nicht das Gesetz her«, stellte Buck Hunter fest. Es klang irgendwie enttäuscht.

»Das auch«, erwiderte Ringo grinsend. »Das war ja auch der Grund, weshalb ich zwei meiner ehemaligen Gefährten zu ihren Ahnen versammelte. Ich schloss mich ihnen an, ohne zu ahnen, dass sie eine Bande übler Halsabschneider waren. Als ich es herausfand, wollte ich sofort wieder aussteigen, aber dagegen hatten sie etwas.« Er setzte sich auf eine Bank neben der Tür, streckte die Beine aus und sah Waco an. Douglas hatte in ihm den Führer der kleinen Mannschaft erkannt. »Jetzt bist du dran, Mister«, forderte er Waco auf, seine Geschichte zu erzählen.

Waco nickte und begann. Er schloss mit den Worten: »Wie ist es nun, Ringo? Wir helfen dir gegen deine ehemaligen Kumpane, und du steigst bei uns ein. Ein faires Geschäft, denke ich.«

»Du hast überhaupt noch nicht gefragt, wer meine Kumpane sind.«

»Ist das so wichtig?«

»Ich denke doch. Schon mal was von Ted McGuire und seinem Anhang gehört?«

»Und ob!«, rief Waco.

Buck Hunters Augen wurden schmal. »Ted McGuire!«, schnappte auch er. »Da hast du dir ja so ziemlich das Übelste auf die Fährte gesetzt, das es auf dieser Erde gibt.«

»So ist es. Gilt dein Angebot noch, Waco?«

»Sicher.«

»Dann sollten wir uns langsam auf Ted und seine Schießhunde vorbereiten. Schätze, dass sie in zwei, drei Stunden hier sind.«


*


Am Abend kamen sie dann.

Die Männer auf der Station waren auf dem Posten. Waco hatte sich im Haupthaus verschanzt, Ringo in der Unterkunftsbaracke. Und Buck Hunter harrte auf dem Zwischenboden der Scheune der Dinge, die da kamen.

Schemenhaft schälten sich die Reiter aus dem Grau des Abends. Es waren fünf. Wäre der dumpfe Hufschlag nicht gewesen, hätte man sie für Geisterreiter halten können. Langsam, im Schritt, rückten sie näher. Bis auf fünfzig Yards. Sie zügelten ihre Pferde und spähten in die Runde.

Auf der Station blieb alles ruhig. Wie ausgestorben lag sie da.

Zäh reihten sich die Sekunden aneinander, wurden zur Minute.

Die Reiter verharrten wie Standbilder.

Ein rauer Befehl erschallte, die Reiter schwärmten aus, und dann trat wieder lastende Stille ein.

Eine halbe Stunde verging. Sie mutete an wie eine Ewigkeit. Der Tod in Gestalt von fünf Banditen schlich um die grauen Hütten der Station. Er lauerte nur noch auf die passende Gelegenheit, um gnadenlose Ernte zu halten.

Da zerriss ein Schrei die abendliche Stille.

»Sein Pferd, Ted, ich habe seinen Gaul gefunden!«

Ein triumphierendes Lachen folgte diesen Worten. Es gehörte Ted McGuire. Der Bandit rief: »Also gut, Ringo, die Jagd ist zu Ende. Meinst du nicht, dass es einfacher wäre für uns alle, wenn du aus dem Bau kommen und dich stellen würdest? Wir haben dich, finde dich damit ab.«

Ein Schuss krachte. Der heisere Aufschrei eines Mannes ertönte, danach ein dumpfer Fall. Das Echo des Schusses verrollte über dem Fluss. Irgendwo zwischen den Hügeln fluchte ein Mann, rau und lästerlich.

Dann waren knirschende Stiefeltritte zu hören, wieder krachte ein Schuss.

Plötzlich begann jemand zu pfeifen, laut und durchdringend. Der Mann pfiff eine alte mexikanische Weise.

Ted McGuire schnaubte vor Wut.

»Stell dein verdammtes Gepfeife ein, Ringo! Du Teufel, hör auf damit und stelle dich endlich! Dann wird dir das Pfeifen vergehen!«

Schrill und misstönend erfüllte die Melodie den Stationshof. Sie ging durch Mark und Bein und klang schauerlich, wie ein Lied aus einer anderen Welt.

Abrupt verstummte es. Ein Schuss dröhnte, ein Mann taumelte zwischen Scheune und Geräteschuppen hervor in den Hof, brach zusammen, streckte sich und erschlaffte.

Und dann setzte das Pfeifen wieder ein.

Ted McGuire jagte Kugel um Kugel aus seiner Deckung, ohne allerdings ein Ziel zu erkennen. Blindlings schoss er die Trommel seines Revolvers leer, und erst als der Hammer auf eine leere Hülse schlug, schien er wieder zur Besinnung zu kommen.

»Wir verschwinden!«, schrie er überschnappend. »Der Hundesohn hat uns hereingelegt und ein paar heiße Eisen um sich geschart. He, Ringo, aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Wir erwischen dich schon, und dann kannst du pfeifen. Aber aus dem letzten Loch.«

Wenig später erklang trommelnder Hufschlag, und dann war der Spuk vorbei.

Waco und seine Leute warteten noch eine Weile ab. Kerlen vom Schlage eines Ted McGuire war nicht zu trauen.

Es war fast Nacht. Die Dunkelheit hatte sich in den Winkeln und Nischen der Station eingenistet.

Waco trat als erster in den Hof, als er sicher war, dass Ted McGuire und sein Anhang tatsächlich das Weite gesucht hatten. Drüben kam Ringo aus dem Bunkhouse. Er hielt noch den Colt in der Faust. Er ging zu dem Mann, der mit dem Gesicht im Schmutz lag, und drehte ihn auf den Rücken.

»Lester Willard«, murmelte er.

Waco war langsam näher gekommen. Aus der Scheune trat Buck Hunter.

»Da drin liegt noch einer«, erklärte er, mit dem Daumen über die Schulter deutend. »Er hat brandrote Haare und eine leuchtende Narbe auf der linken Wange.«

Ringo richtete sich auf. »Dann hast du Red Roy Wilder das Lebenslicht ausgeblasen. Darauf kannst du stolz sein.« Er ließ seinen Colt um den Zeigefinger rotieren und stieß ihn ins Holster. »Well, eine Hand wäscht die andere, Waco. Wann geht es gegen Tascosa und die M im Kreis?«

»Morgen, nach dem Frühstück, reiten wir nach Tascosa.«


*


Cash Mahone saß auf der Veranda in einem Korbstuhl. Sein Gesicht war verschlossen, wie erstarrt.

»Was willst du noch hier?«, stieß er böse hervor.

Judith kletterte vom Wagen und kam langsam näher. Sie machte einen unausgeruhten Eindruck, dunkle Ringe unter ihren Augen und die fahle Blässe ihres Gesichts ließen eine durchwachte Nacht vermuten. »Ich gehöre hierher«, antwortete sie. »Ich bin deine Frau, und darum bin ich hier zu Hause.«

»Nein!« Bedächtig schüttelte er den Kopf. »Hierher gehörst du nicht. Ich sagte es dir schon. Ich kann nicht mit der Schwester des Mannes unter einem Dach wohnen, der meinen Vater ermordet hat. Du bist eine Slade, und darum gibt es hier für dich keinen Platz.«

In seiner Stimme hatte nichts als kalte Zurückweisung gelegen.

»Und ich — ich hätte wohl mit den Männern, die meinen Vater auf dem Gewissen haben, unter einem Dach leben sollen?«, hielt sie ihm grimmig entgegen. »Dein Vater hat doch O'Connor den Auftrag gegeben.«

»Zur Hölle damit!« Cash sprang auf und trat an das Vorbaugeländer. Schwer stützte er sich darauf. Er atmete schwer. »Wie meinst du das?«, fragte er lauernd.

»Wie ich es gesagt habe. Denkst du, ich kann zwei und zwei nicht zusammenzählen? Mein Vater war deinem im Weg, und darum musste er sterben. Die Sache mit den Rinderhäuten im Schuppen der Slade-Ranch und den umgebrändeten Longhorns — das alles war doch abgekartetes Spiel. Dein Vater war ein Bandit, Cash Mahone, der große Bill Mahone war nichts weiter als ein gemeiner Mörder.«

»Halt's Maul, verdammt, sonst …« Cashs Stimme überschlug sich. Sein Zahnschmelz knirschte. Zwischen den Augenschlitzen funkelte es gefährlich.

Judith lachte hysterisch auf. »Ja, Cash, ihr Mahones habt mit dem Morden begonnen. Alle Männer, die bisher gestorben sind, gehen auf das Konto der Mahones.«

Cash tauchte unter dem Vorbaugeländer hindurch und sprang in den Hof. Langsam ging er auf sie zu.

»Verschwinde!«, presste er zornbebend durch die Zähne.

Sie wich zurück. »Ich gehe schon, Cash. Aber vorher …« Sie griff schnell in die kleine Tasche, die sie bei sich trug, und als ihre Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie einen doppelläufigen Derringer umklammert. Judith richtete die Mündungen auf Cash. Der bekam ganz große Augen und war einige Herzschläge lang nicht fähig, sich zu rühren. Wie zur Säule erstarrt stand er zwei Schritte vor ihr. Sein Atem ging pfeifend.

»Du Narr«, sagte sie kalt und hart. »Begreifst du endlich, was es heißt, sich mit den Slades anzulegen?«

Mit dem letzten Wort drückte sie ab. Peitschend jagten die Kugeln aus den Läufen, bohrten sich in den jungen Rancher, der so überrascht war, dass er den Einschlag der Kugeln überhaupt nicht wahrnahm.

Judith warf sich herum, rannte mit wehendem Rock zurück zum Wagen, kletterte behände auf den Bock und riss die beiden Gespannpferde herum. Die Detonation der Schüsse war kaum verklungen, als der Wagen anruckte. Die Pferde legten sich ins Geschirr. Eine dichte Staubfahne hinter sich her ziehend raste der Buggy vom Ranchhof.

In Cashs Brust war plötzlich ein tobender Schmerz. Er kam mit dem Augenblick, als er seinen Schock überwunden hatte. Seine Hände tasteten zu der Stelle, wo ihn die Kugeln getroffen hatten. Er fühlte Blut. Jeder Pulsschlag drückte einen Strom des klebrigen Lebenssaftes aus den Einschusskanälen.

Cashs Lippen formten tonlose Worte, seine Nasenflügel vibrierten, vor seinen Augen begann die Ranch im Nichts zu versinken. Er knickte ein, hielt sich noch wenige Atemzüge so und kippte dann zur Seite.

Aus Stallungen, Scheunen und aus dem Bunkhouse drängten Männer, eilig kamen sie näher. Schon seit geraumer Zeit hatten sie die Szene beobachtet, die sich auf dem Hof abgespielt hatte, sie hatten aber nicht gewagt, sich in irgendeiner Weise einzumischen. Wenn der Boss und seine Frau sich stritten, ging sie das nichts, aber auch gar nichts an.

Jetzt aber …

In dichtem Pulk umstanden sie den Bewusstlosen. Jim O'Connor bahnte sich einen Weg hindurch, kniete bei Cash nieder und untersuchte ihn. Dann erhob er sich, wischte sich die Hände an der Hose ab und rief: »Rand, Gregg, bringt ihn ins Haus und kümmert euch um ihn. Ihr anderen sattelt eure Pferde! Wir holen uns das verdammte Weib. Wie es scheint, will sie Tascosa erreichen. Beeilt euch, Leute, und sattelt für mich den Rotfuchs!«


*


Der Wagen holperte, schlingerte und schaukelte in rasender Fahrt. Immer wieder blickte Judith voller Panik nach hinten. Sie wurde durch und durch geschüttelt. Noch waren keine Verfolger zu sehen. Sie gab sich aber keinen Illusionen hin. Mahones Coltschwinger würden kommen. Allen anderen voran der eiskalte und skrupellose Jim O'Connor.

Siedend heiß durchfuhr es sie.

Wohin?

Nach Tascosa konnte sie nicht. Dort würde man sie vor Gericht stellen. Und auf Mord stand der Strang. Das Gesetz galt auch für Frauen.

Judith wurde der Hals eng. Sie war überzeugt, dass Cash tot war. Sie hatte aus nächster Nähe auf ihn geschossen. Und sie konnte mit der kleinen Waffe umgehen.

Sie fing an zu beten, voller Inbrunst.

Waco! Er als einziger hätte zu helfen vermocht. Aber der war weit.

Wieder blickte sie zurück. Nun waren die Reiter zu erkennen. Das Rudel kam über den Hang eines Hügels, jagte schräg die Flanke hinunter und verschwand für Sekunden in einer Mulde aus Judiths Blickfeld. Dann aber tauchte es wieder über dem Rand einer Bodenerhebung auf, und Judith glaubte es schon ein ganzes Stück näher als vor wenigen Minuten.

Sie riss die Peitsche aus der Halterung neben dem Bock und drosch auf die Pferde ein, die sich streckten und mit wehenden Mähnen vor dem Wagen herrasten. Weit hatten die Tiere die Mäuler aufgerissen, der scharfe Wind fegte ihnen den Schaum von den geblähten Nüstern.

Um Judith herum bewegte sich die Welt auf und ab. Sie hatte Mühe, sich auf dem Bock zu halten. Aber unerbittlich schwang sie die Peitsche. Der Wagen flog über die Unebenheiten des Weges hinweg. Als sie sich wieder umsah, waren die Verfolger schon auf zweihundert Yards herangekommen.

Nun war es die nackte Todesangst, die sich in ihren Gesichtszügen widerspiegelte. Sie würden kaum Gnade mit ihr haben, am allerwenigsten Jim O'Connor. Den würde es nicht interessieren, dass sie eine Frau war, eine begehrenswerte noch dazu.

Der scharfe Fahrtwind rötete ihr Gesicht, trieb ihr das Wasser in die Augen, zerzauste ihr Haar. Das alles nahm sie nur im Unterbewusstsein wahr. Die Angst in ihr wurde übermächtig. Das Hufgetrappel hinter ihr schwoll an, und als sie wieder einmal gehetzt zurückblickte, konnte sie schon die Gesichter der Reiter erkennen. Ihre Mienen waren wenig verheißungsvoll, wie aus Granit gehauen, hart und kantig.

Es war, als legte sich eine eisige Hand um ihr Herz und krampfte es zusammen. Mit seltener Klarheit erkannte sie, dass es für sie kein Entrinnen gab. Ihr Herzschlag drohte sekundenlang auszusetzen, eine momentane Blutleere im Gehirn ließ sie auf dem Bock taumeln. Sie verlor die Peitsche, griff unwillkürlich mit beiden Händen hinterher, da entglitt ihr die Zügelleine, fiel zur Erde und schleifte durch das struppige Gras.

Judith schrie auf. Sie war nicht mehr in der Lage, die Pferde vor dem Buggy zu lenken. Und die Tiere waren derart rasend, dass sie mit Zurufen nicht mehr zu bremsen waren. Sie selbst hatte sie mit der Peitsche so weit gebracht.

In halsbrecherischer Fahrt kam der Wagen vom Weg ab. Judith klammerte sich verzweifelt an das Seitengeländer des Wagenbocks. Ihr Gesicht war verzerrt, ihr Mund weit geöffnet, wie zu einem unhörbaren Schrei. Ihre Augen waren dunkel vor Angst.

Der Wagen flog hin und her, über holpriges, zerfurchtes Terrain. Ein gellender Schrei löste sich von Judiths Lippen. Fünfzig Yards vor ihr — es ging leicht bergan — schien abrupt die Welt zu enden. Wie ein scharfer Strich mutete der Kamm der Erhöhung an, darüber war der blaue Himmel, dahinter — nichts.

Ihr Aufschrei ging unter im Mahlen der Räder, im Rumpeln des Gefährts, im trommelnden Hufschlag.

Noch dreißig Yards, zwanzig …

Unbeirrt preschten die Pferde auf den Rand der Bodenerhebung zu, und dann sah Judith, was dahinter lag. Ein Arroyo mit steil abfallenden Ufern.

Das Grauen packte sie. Sie barg ihr Gesicht in den Händen, im selben Augenblick schossen die Pferde über den Uferrand hinweg, der Buggy schleuderte hinterher, das Gespann überschlug sich und berstender Krach erfüllte die Luft. Ein Pferd wieherte gepeinigt, eine Staubwolke wuchs über den Arroyo hinaus.

Judith war vom Sitz gehoben worden, wirbelte durch die Luft und landete hart zwischen den Trümmern des Wagens und den keilenden Pferden.

Dann war die Mahone-Crew heran. Hart fielen die Männer ihren Pferden in die Zügel, nur noch das Stampfen der Tiere und ihr Keuchen war zu hören. Aus schmalen Augen starrten die Reiter auf die Frau, die reglos und seltsam verkrümmt im ausgetrockneten Bachbett lag.

Sie hatte sich das Genick gebrochen. Blut rann aus einer Platzwunde an ihrer Stirn. Noch im Tod war ihr Gesicht verzerrt vom durchlebten Schreck.

Betroffen schauten sich die Reiter an. Schnell steckten sie ihre Waffen weg, als wären sie in ihren Händen plötzlich glühend geworden.

Blindlings waren sie hinter ihr her gejagt, um sie … Was? Ja, was hatten sie überhaupt mit ihr vor? Sie erschießen, zur Rechenschaft ziehen? Bei Gott, sie war eine Frau.

Da sagte Jim O'Connor ohne jede Gefühlsregung: »So war es am besten für sie. Denn wenn der Boss stirbt, ist sie eine Mörderin, und man würde sie hängen. Und eine Frau am Galgen? Ich weiß nicht.«

»Und wenn der Boss nicht stirbt?«, fragte einer, bereute aber im selben Moment seine Frage, als ihn der lodernde Blick O'Connors traf.

»Dann würde man sie wegen versuchten Mordes für mindestens zwanzig Jahre ins Zuchthaus schicken. Und das wäre für sie noch schlimmer gewesen als der Tod.«

»Was jetzt?«, fragte ein anderer.

»Ja, was jetzt?« O'Connor rieb sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenflügel. Er war sich nicht schlüssig. Nach kurzer Überlegung aber standen für ihn die nächsten Schritte fest. Er sagte: »Hal und du, Wyler, ihr bringt sie in die Stadt und liefert sie beim Sheriff ab. Berichtet Holyman, was vorgefallen ist, und dass wir an ihrem Tod unschuldig sind. Es war ein Unfall. Und vergesst nicht, den Doc mitzubringen, wenn ihr zur Ranch zurückkehrt.«

Hal und Wyler verzogen die Gesichter. Dass O'Connor ausgerechnet sie dazu auserkoren hatte, die Tote nach Tascosa zu bringen, behagte ihnen nicht. Denn wenn eine junge Frau eines gewaltsamen Todes starb, so warf das Fragen auf. Und sie würden sie zu beantworten haben. Dazu kam, dass Sheriff Holyman sowieso ziemlich schlecht zu sprechen war auf die M im Kreis, nachdem Cash Mahone ihm nichts als kalte Verachtung entgegengebracht hatte.

Aber die beiden sagten nichts, sprangen aus den Sätteln und bargen Judith aus den Trümmern des Wagens. Eines der Gespannpferde stand mit zitternden Flanken im Arroyo. Das andere lag auf der Erde, seine Beine zuckten. Die Fessel des rechten Vorderbeins war seltsam verdreht.

»Gebrochen«, stellte Wyler nach kurzer Untersuchung fest. Er zog seinen Colt.

Indessen ritten die anderen wieder an. Sie sahen sich nicht um, als der Schuss krachte, der das verletzte Pferd tötete.

In den meisten der Männer war ein ungutes Gefühl. Ihre Gedanken weilten bei Waco Slade. Bald würde er wissen, dass sie, die M im Kreis-Mannschaft, seine Schwester in den Tod getrieben hatten. Und dann würde für ihn nicht mehr zählen, dass sie sich vor wenigen Wochen von ihm losgesagt hatte. Für ihn würde dann nur noch ausschlaggebend sein, dass die M im Kreis seine Schwester auf dem Gewissen hatte. Ein Grund mehr, noch gnadenloser vorzugehen.


*


Auch Jim O'Connors Gedanken weilten bei Waco. Der hatte ihm gegenüber — so sagte er sich — einen ungeheuren Vorteil. Er konnte Ort und Zeit eines jeden Treffens bestimmen, und das Überraschungsmoment würde ihm immer zur Seite stehen. Was war Waco Slades nächster Schritt? O'Connor mutmaßte hin und her, kam aber zu keinem befriedigenden Ergebnis.

Er versuchte, sich in Waco Slades Situation hineinzuversetzen. Wie würde er an Slades Stelle weiter vorgehen? Er musste sich die Antwort schuldig bleiben. Das aber machte O'Connor unsicher, und viel von seiner undurchsichtigen Fassade begann abzubröckeln.

Sie erreichten die Ranch und brachten die Pferde in den Corral. Die Mannschaft begab sich, nachdem die Pferde abgesattelt waren, ins Bunkhouse. Jim O'Connor ging ins Haupthaus und stand kurz darauf vor Cash Mahones Bett. Der junge Rancher war bewusstlos. Sein Gesicht war eingefallen und grau. Sie hatten ihn ausgezogen und ihm einen dicken Verband um die Brust gelegt. Noch war das Blut nicht durch das weiße Leinen gedrungen.

Lange Zeit blickte O'Connor auf den Besinnungslosen hinunter. Er wusste plötzlich, dass er Cash niemals als Boss anerkennen konnte. Denn Cash war ein Schwächling und nicht dazu geboren, Boss zu sein. Er würde es auch niemals schaffen, einer zu werden. Der Atem des Bewusstlosen ging flach und rasselte leise.

O'Connors Wangenknochen mahlten. Wenn Cash starb, dann war die M im Kreis herrenlos. Plötzlich begann der Revolvermann zu grinsen. Natürlich, dachte er, natürlich. Er beugte sich über Cash und tastete den Verband ab. Der Gedanke, den er gefasst hatte, ließ ihn nicht mehr los. Aber noch lebte Cash Mahone. Und das konnte er im Augenblick auch nicht ändern. Doch er wollte es ändern. Gelegenheit dazu würde sich ergeben.

Er bemerkte, dass Cash aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war. Ausdruckslos, aus glanzlosen Augen starrte er zur Decke, dann wanderte sein Blick zur Seite, traf O'Connor und heftete sich an dessen Gesicht fest. Cashs Augenausdruck wirkte verständnislos und geistesabwesend, als kehrte sein Geist aus einer anderen Welt zurück.

Die Hände des jungen Ranchers tasteten fahrig über die Decke, unter der er lag. Um seine Mundwinkel war ein unkontrolliertes Zucken.

»Was — was ist …? Habt ihr …?« Seine Stimme erstarb.

»Ihre Frau ist tot«, erklärte O'Connor hart und schonungslos. »Sie verlor die Gewalt über die Pferde und raste in einen Arroyo. Sie brach sich das Genick.«

Aus Cashs Augen verlor sich der stumpfe Glanz, er versuchte sogar, den Kopf ein wenig zu heben. Es gelang ihm nicht. Die Anstrengung aber löste Wellen flutenden Schmerzes aus, die bis in die letzte Faser seines Körpers strahlten. Sein Gesicht verzerrte sich, auf der Stirn bildete sich kalter Schweiß.

»Dann gibt es nur noch einen Slade«, murmelte er schwach und schloss die Augen. »Hetzt ihn, O'Connor, schickt auch Waco Slade in die Hölle. Ihr dürft auf keinen Fall ruhen …«

Cash versank wieder in ein Zwischenstadium von Schlaf und Besinnungslosigkeit. Jim O'Connor verließ das Zimmer.


*


Es wurde Abend, und bald kam die Nacht. Waco Slade und seine Männer hatten einige Meilen vor der Stadt ihr Lager aufgeschlagen. Sie saßen im Gras. Von ihrem Standpunkt aus hatten sie, solange es hell gewesen war, das Land in weitem Umkreis überblicken können. Jetzt, nach Einbruch der Nacht, vertrauten sie darauf, dass die Hufgeräusche jeden, der sich ihnen näherte, verrieten. Ringo pfiff leise vor sich hin.

In Waco war eine tiefe Unruhe. Er konnte sich nicht erklären, woher sie kam. Sie war da, und er konnte sie nicht verdrängen.

Slim Miles stöhnte leise. Der Ritt vom Canadian herunter hatte ihm mächtig zugesetzt. So harrten sie aus. Um Mitternacht erhob sich Waco. »Reiten wir!«, befahl er. Sie brachen auf. Nach einer halben Stunde lag Tascosa vor ihnen. Es brannten kaum noch Lichter, und die Konturen der Häuser und Hütten zeichneten sich schwarz gegen den helleren Nachthimmel ab.

Waco zügelte sein Pferd und rief über die Schulter: »Also los, Ringo, du weißt Bescheid. Sollte irgendetwas schief gehen, reitest du, als wäre der Leibhaftige hinter dir her. Klar?«

Ringo ritt an. Sekunden später hatte ihn die Nacht aufgenommen. Der Hufschlag verklang.

Ringo erreichte durch eine Seitenstraße die Main Street, orientierte sich kurz und lenkte dann sein Pferd nach rechts. Waco hatte ihm so gut es ging die örtlichen Verhältnisse beschrieben. Und so verfehlte er das Sheriff's Office nicht. Er hielt sich in den Schlagschatten der Häuser, ritt zusammengekauert und trug den Hut tief in der Stirn. Er durchquerte einen grellen Lichtkegel, der aus einem Frontfenster des Trailman Saloon fiel, einen zweiten, und befand sich dann wieder im Dunkeln.

Da vorn war das Sheriff's Office mit dem Jail. Daneben befand sich die Sattlerei. Ringo blickte lauernd in die Runde, parierte sein Pferd und saß ab. Lose schlang er die Zügelleine um einen Holm neben dem Gehsteig. Unter den Vorbaudächern ging er weiter. Aus den Fenstern des Sheriff's Office fiel kein Licht. Er drückte die Türklinke nach unten. Die Tür war abgeschlossen.

Er glitt zurück in den Schatten zwischen Sheriff's Office und Sattlerei. Es war hier finster wie im Bauch der Hölle. Ringo beobachtete die Main Street, in die fahl das Mondlicht fiel. Im Cattleman Saloon verlöschten die Lichter, zwei Männer torkelten heraus, wechselten noch ein paar Worte auf dem Gehsteig miteinander und trennten sich dann. Im Trailman Saloon war es noch ziemlich laut.

Ringos Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.

Dann kam ein Mann die Straße herauf. Er bewegte sich langsam. Im Mondlicht funkelte der Stern matt an seiner Brust. Chris Holyman!

Der Sheriff trat auf die Straße und überquerte sie, kam direkt auf das Office zu.

Ringos Gestalt straffte sich.

Der Sheriff nahm die vier Stufen auf den Vorbau des Office mit zwei Schritten, zog den Schlüssel aus der Tasche und machte sich an der Tür zu schaffen.

In dem Augenblick, als er das Office betreten wollte, löste sich Ringos Gestalt aus der Finsternis. Mit vier, fünf langen Schritten war der Langreiter aus Colorado hinter dem Sheriff. Hart bohrte er ihm die Mündung seines Colts zwischen die Schulterblätter.

Waco Slade!, durchzuckte heißer Schreck den Gesetzesmann.

»Los, hinein mit dir!« Der Druck zwischen Holymans Schulterblättern verstärkte sich. Ein überzeugendes Argument. Ringo zog die Tür zu. »Mach Licht!«, kommandierte er. »Und zieh die Vorhänge vor die Fenster.«

Chris Holyman hatte zwischenzeitlich festgestellt, dass es sich bei dem Mann nicht um Waco handelte. Aber dass der Kerl von Waco geschickt worden war, dessen war er sich sicher. Er riss ein Streichholz an. Eine Lampe stand auf dem kleinen Bord neben der Tür. Er hantierte an ihr herum, und gleich darauf war das Office in gelbes Licht getaucht. Der Sheriff zog die Vorhänge zu, dann wandte er sich dem Mann zu. »Also, dann rollen Sie Ihren Lasso auf, Stranger. Was hat Slade auf dem Herzen?«

»Er will seinen Freund Conny Coulter, ehe ihr ihm den Prozess macht. Nicht mehr und nicht weniger. Wir wissen, dass der Junge euer Gefangener ist.«

Chris Holyman, der sich sehr schnell wieder gefangen hatte, erwiderte: »Gefangener ist gut, Fremder. Richten Sie Waco aus, dass sein Freund dem Tod näher ist als dem Leben. Den Gedanken, ihn aus der Stadt zu holen, kann er sich aus dem Kopf schlagen.«

»Befindet sich Conny im Jail?«

»Nein. Er liegt beim Doc und ist noch nicht aus der Bewusstlosigkeit erwacht. Und so, wie es aussieht, wird er auch nie wieder aus ihr erwachen.«

Ringo spürte, dass der Sheriff die Wahrheit sagte. Er fluchte in sich hinein.

»Bestellen Sie Waco Grüße von mir, Mister. Man hat mir heute seine Schwester in die Stadt gebracht. Mit gebrochenem Genick. Sie knallte ihren Mann über den Haufen, den jungen Mahone. Auf der Flucht verunglückte sie dann. Waco kann sich auch ihren Tod zurechnen. Er hätte nicht verrückt spielen sollen, als er nach sieben Jahren heimkehrte.«

Chris Holyman war in Fahrt.

»Ich habe keine Ahnung, ob Waco es auch auf diese Stadt abgesehen hat. Ich kann es mir zwar vorstellen, aber ich bin mir nicht sicher. Wenn er aber kommt, dann muss er sich auf einiges gefasst machen. Wir sind auf ihn vorbereitet. Jeder Bürger in dieser Stadt, der eine Waffe halten kann, wird auf dem Posten sein. Wir werden Tascosa von Wolfsgesindel wie euch sauberhalten.«

Chris Holyman fragte sich, woher er den Mut zu solchen Worten genommen hatte. Denn es gab keinen Mann in dieser Stadt, der mit der Waffe einer Handvoll Desperados gegenübergetreten wäre.

»Du hättest Prediger werden sollen, Sheriff«, grollte Ringo und grinste. »Schätze, in diesem Job hättest du es weiter gebracht als in deinem. Ich werde Waco deine Grüße bestellen. Und das mit seiner Schwester … Nun ja, du wirst schon sehen, wie Waco darauf reagieren wird.«

Rückwärtsgehend zog Ringo sich zum Ausgang zurück. Chris Holyman starrte ihm mit verkniffenem Gesichtsausdruck nach, machte aber keine Anstalten, ihn aufzuhalten.

Die Tür klappte, harte Tritte polterten über den Vorbau, und wenig später war hämmernder Hufschlag zu vernehmen, der von den Häusern zu beiden Seiten der Main Street widerhallte.

Und jetzt bewegte sich Sheriff Chris Holyman. Er warf sich in den Lehnstuhl hinter dem Schreibtisch und lachte sarkastisch, als er an seine Worte denken musste. »Wir werden Tascosa von Wolfsgesindel wie euch sauberhalten«, hatte er getönt.

Wir! — Wer?

Die Bürgerschaft von Tascosa?

Wieder lachte Holyman rau auf. Aber er nahm sich vor, eine Bürgerversammlung einzuberufen. Es musste ihm gelingen, die Männer der Town davon zu überzeugen, dass sie Slade mit der Waffe in der Faust gegenübertreten mussten. Sonst griff bald der Terror hier um sich.


*


Während Chris Holyman trübseligen Gedanken nachhing, erreichte Ringo am Ende der Main Street Waco und die anderen. Sie hatten im Schlagschatten eines windschiefen Schuppens gewartet.

»Nun, was ist?« Die Ungeduld war aus Wacos Stimme herauszuhören.

Ringo legte seine Hände auf den Sattelknopf und erwiderte: »Schlechte Papiere, Waco. Coulter liegt bewusstlos beim Doc, und es ist fraglich, ob er die Kurve überhaupt noch kratzt. In der Town wartet eine kompromisslose Bürgerwehr darauf, dass wir anrücken. Und jetzt, Waco, halte dich fest. Deine Schwester ist tot. Sie hat ihrem Mann ein paar Löcher ins Fell geschossen und sich dann auf der Flucht vor der M im Kreis-Crew das Genick gebrochen.«

Waco stieß scharf die Luft durch die Nase aus. »Judith tot?«

»Der Sternschlepper hat mich mit Sicherheit nicht angelogen.«

»Hat sie Cash Mahone getötet?«

»Keine Ahnung.«

»Reiten wir.«

Waco ging zu seinem Pferd hinter dem Schuppen. Lodernder Hass erfüllte ihn und ließ keinen anderen Gedanken zu.


*


An die drei Dutzend Männer hatten sich vor dem Sheriff's Office eingefunden. Sie ahnten, weshalb Holyman sie zusammengetrommelt hatte. In verbissenes Schweigen gehüllt starrten sie auf den Gesetzeshüter, der breitbeinig auf dem Vorbau stand und mit hallender Stimme rief: »Männer, ich glaube, ihr wisst, um was es geht. Waco Slade steht vor unserer Stadt, und er ist voll von Hass auf sie. Wir müssen dem Terror entgegentreten, dürfen ihn in Tascosa nicht Fuß fassen lassen. Darum, Männer …«

»Du hast leicht reden, Sheriff«, rief ein Mann aus der Menge. »Wir sind keine Gunslinger. Weshalb bezahlen wir dich denn? Dass du uns beschützt. Waco Slade und seine Revolver schwingenden Teufel musst du uns schon vom Leibe halten, nicht wir dir.«

Holyman atmete tief ein. Sein Gesicht verfärbte sich. Sein Blick suchte den Sprecher, fand ihn. »Du warst schon immer eine Ratte, Fisher. Du brauchst dich auch gar nicht von meinen Worten eben angesprochen zu fühlen, denn auf Kerle wie dich kann ich verzichten. Dabei solltest gerade du Interesse an Wacos Skalp haben. Verschwinde, Fisher, und störe diese Versammlung nicht mehr. Vorwärts, oder ich mache dir Beine!«

»Holyman, du bist ein armer Narr.«

»Noch ein Wort, Fisher, und ich drehe dir das Gesicht auf den Rücken.« Holymans Hände legten sich auf das Vorbaugeländer, umspannten es.

Fisher trat vor, spuckte auf den Boden, dann ging er aufreizend langsam davon.

Holyman warf einen abschätzenden Blick in die Runde. Man hatte seine Worte nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen. Er sah in ausdruckslose Gesichter und spürte fast körperlich die Ablehnung, die von ihnen ausging. Hier war keiner bereit, Waco Slade und seinen Schießern den Weg zu vertreten.

Bitter stieg es in Chris Holyman hoch. Und er war nahe daran, ihnen den Stern vor die Füße zu werfen. Im letzten Augenblick besann er sich auf den Eid, den er vor vielen Jahren geleistet hatte, und erhob wieder seine Stimme: »Es geht nicht an, dass eine Bande hergelaufener Sattelstrolche diese Stadt in Angst und Schrecken versetzt, dass ein paar üble Desperados ihr ihren Willen aufzuzwingen versuchen. Wir dürfen das nicht hinnehmen. Wo kommen wir sonst hin? Soll Tascosa ein Paradies für Glücksritter und anderes Gelichter werden? Sollen die Banditen des Landes sich hier ein Stelldichein geben?

Nein, Männer. Denkt daran, dass es in Tascosa auch Frauen und Kinder gibt. Eure Familien … Und darum ist es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit eines jeden von euch, seine Waffe zu nehmen und die Stadt gegen den Terror zu verteidigen.«

»Ist es denn sicher, dass Slade kommt?«

»So sicher wie eins und eins zwei sind.«

»Zur Hölle!«

Ein anderer rief: »Aber du weißt nicht, wann er kommt. Sollen wir vielleicht wochenlang unsere Arbeit liegenlassen und nur darauf warten, dass der Schuft aufkreuzt?«

»Du kannst deiner Arbeit ja nachgehen, Sounders, aber eben bewaffnet.«

Sounders kam auf den Vorbau. »All right, Chris, ich bin dabei.« Er stellte sich neben den Sheriff und sagte laut: »Und wenn ihr über Holymans Worte gut nachdenkt, Leute, dann solltet auch ihr an seine Seite treten. Die meisten von euch waren im Krieg. Ihnen blieb nichts übrig, als zu kämpfen, ohne Rücksicht auf ihre Familien. Auch ich war mit Begeisterung dabei. Damals waren es die Yankees aus dem Norden - Männer, gegen die wir persönlich nichts hatten. Diesmal aber sind es Outlaws, und es geht nicht nur um ein paar von uns, es geht um keine Ideale, es geht um diese Stadt, in der ihr mit euren Familien euer Auskommen habt. Alleine ist jeder von uns schwach, zusammen aber sind wir stark. Und wir können Slade schlagen.«

Einige der Männer unten auf der Straße nickten. Holyman sah ihren anfänglichen Widerstand schmelzen und rief: »Wer mitmacht, soll die Hand aufheben.«

Ein dumpfes Murmeln ging durch die Menge, dann kamen zögernd die ersten Hände hoch. Und bald waren alle Hände oben. Keiner hatte gewagt, sich zu drücken. Jeder befürchtete, dass man eines Tages mit den Fingern auf ihn zeigen könnte.

Von Chris Holyman wich ein unbeschreiblicher Druck. Er hatte gewonnen. Die Worte, die er in der Nacht dem Abgesandten Waco Slades ins Gesicht geschleudert hatte, waren wahr geworden.


*


Sie kampierten dort, wo einmal die Slade-Ranch gestanden hatte. Jetzt gab es dort nur noch verkohlte Trümmer, Schutt und Asche. Zeugen einer rauen, gnadenlosen Wirklichkeit.

Waco hatte die letzte Wache. Er saß auf seinem Sattel und starrte gedankenverloren auf dieses Werk sinnloser Zerstörung. Er hatte gekämpft und war geschlagen worden. Was sein Vater aufgebaut hatte, gab es nicht mehr. Judith war tot. Nur er lebte noch. Er hob den Kopf, witterte wie ein Wolf in das Grau des Morgens hinein. Nach kurzer Zeit erhob er sich. Sein Gesicht wurde kantig.

Dumpfer, pochender Hufschlag näherte sich.

Waco weckte die anderen. Schlaftrunken blinzelten sie ihn an, waren aber sofort hellwach, als auch sie das monotone Hufgeräusch vernahmen. Sie fuhren aus ihren Decken, rückten die Coltholster zurecht und richteten sich auf einen bevorstehenden Kampf ein. Sie hatten keine Freunde hier. Darum …

Es waren mindestens drei Pferde, die sich näherten.

Die Männer verteilten sich und suchten Deckung hinter irgendwelchen Trümmerhaufen.

Bald schälten sich drei Reiter aus dem diffusen Licht des Morgens. Hart fielen sie ihren Tieren in die Zügel, als sie die ungesattelten Pferde in dem niedergebrochenen Corral wahrnahmen. Ihre Hände zuckten zu den Waffen und lüfteten sie in den Futteralen.

Waco und seine Kumpane traten hinter ihren Deckungen hervor. Wie festgeklebt lagen in ihren Fäusten die Colts. Die Hähne waren gespannt, und ihre Zeigefinger lagen fest um den Abzug. Kalt und starr waren ihre Blicke, mit denen sie die drei Reiter musterten.

Einer der drei sagte nach kurzer Zeit des stummen Abschätzens mit kratzender Stimme: »Ihr seid die Slade-Mannschaft, und du bist Waco Slade, stimmt's?«

Waco nickte. »Und ihr seid Mahone-Leute, wie?«

»Ja. Und dreimal darfst du raten, hinter wem wir her sind.« Der Bursche grinste verschlagen.

»Ich errate es aufs erste Mal, wetten?«

»Klugscheißer!«

»Du kommst dir mächtig hart und rau vor, Mister. Sieh dir mal deine Freunde an. Sie lachen überhaupt nicht über deinen Witz von eben.«

Nein, die beiden anderen lachten wirklich nicht. Sie starrten lauernd auf die vier Männer vor den Schutthaufen. Und wenn ihr Wortführer bisher noch spöttisch gegrinst hatte, so erstarb dieses Grinsen nun. Er grub seine Zähne in die Unterlippe.

»All right, ihr habt uns aufgestöbert«, ließ Waco sich wieder vernehmen. »Beantwortet ihr mir noch eine Frage, ehe wir …«

»Das kommt auf die Frage an.«

»Lebt Cash Mahone noch?«

»Gestern Abend war er jedenfalls noch nicht tot. Noch was?«

»Wie war das mit meiner Schwester?«

»Du weißt …«

»Antworte!«

In diesem Moment fing Ringo an zu pfeifen, schrill und misstönend. Es irritierte die Mahone-Reiter.

»Es war ein Unglücksfall. Sie verlor die Gewalt über die Pferde vor ihrem Wagen und …«

»Wart ihr drei auch dabei?«

Darauf antwortete der andere nicht.

»All right. Ihr sollt eure Chance haben.« Waco holsterte sein Schießeisen und bedeutete seinen Freunden, die Kanonen ebenfalls wegzustecken.

Ringos Pfeifen wurde schriller.

Da stießen die Hände der Mahone-Reiter nach den Kolben. Gesprochen war alles. Nun galt es, die Haut zu retten. Ein jeder von ihnen war schnell wie nie zuvor in seinem Leben.

Und doch waren sie nicht schnell genug. Schwere 45er Kugeln fegten sie aus den Sätteln.

Das Donnern der Schüsse erfüllte den Morgen, Pulverrauch wogte und zerflatterte im Wind. Ein Pferd stob in wilder Panik mit fliegenden Steigbügeln davon. Es roch ätzend nach verbranntem Pulver. Das Echo der Schüsse verrollte. Ringos Pfeifen war verstummt. Waco sah sich um.

Einer der Mahone-Männer lebte noch. Er blutete stark aus einer Brustwunde. Sein Gesicht war verzerrt und kreidebleich. Aus dem Mundwinkel rann ein feiner Blutfaden übers Kinn. Slim Miles lag auf der Erde. Seine Finger hatten sich in den Grassoden verkrallt. Neben ihm lag sein Colt.

Buck Hunter stand drei Schritte weiter, wie erstarrt, den Colt noch im Anschlag.

Der Sensenmann hatte reichlich Ernte erhalten. Es war, als lagerte der Eishauch des Todes über der Stätte.

Waco gab sich einen Ruck, ging zu Slim Miles und beugte sich über ihn. Slim lag auf dem Gesicht. Vorsichtig drehte Waco ihn auf den Rücken. Slim lebte noch. Sein Atem ging schwer und rasselnd, seine Lippen waren blutleer, seine Augen glanzlos.

»Ich ahnte es«, murmelte er brüchig. »Dein Trail, Waco — er kann nur ins Verderben führen. Mir — mir ist das klar geworden, nachdem Ringo die schlechten Nachrichten aus der Stadt mitbrachte. Ich — ich habe — habe geschwiegen — aus Freundschaft … Deine Rache, Waco, dein Hass … Hör auf, sonst …«

Sein Kopf fiel zur Seite, sein Körper bäumte sich auf, ein letztes Zittern durchlief ihn.

Slim Miles war tot.

Ringo und Buck waren herangetreten. In stummer Verbissenheit starrten sie auf den Toten hinunter. Es war von ihren Gesichtern nicht abzulesen, was in ihren Köpfen vorging.

Waco drückte Slim die Augen zu und richtete sich auf. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn, schluckte würgend. Dann sah er auf Ringo und Buck. Sie wichen seinem Blick nicht aus.

»Du hast mir vor einigen Tagen aus der Klemme geholfen, Waco«, sagte Ringo mit belegter Stimme. »Also bleibe ich.«

Buck Hunter schob mit müder Bewegung seinen Colt ins Holster.

»Zum Teufel mit deinem Krieg gegen die M im Kreis und gegen Tascosa, Waco«, sagte er dumpf. »Aber auch ich bleibe.«


*


Sie begruben Slim Miles. Zwischenzeitlich war auch der dritte der Mahone-Reiter gestorben. Sie legten die drei nebeneinander, und Waco sagte: »Ihre Kumpane werden sie finden und beerdigen. Es ist nicht unsere Aufgabe …«

Dann ritten sie weiter. Buck Hunter führte Slims Pferd am langen Zügel mit sich. Die Pferde der Mahone-Männer hatten sie nicht interessiert.

Sie ahnten, dass weitere Patrouillen der M im Kreis-Ranch das Land nach ihnen abkämmten. Daher waren sie vorsichtig und wachsam. Waco wollte keinen Verdruss mehr mit irgendwelchen Coltschwingern. Er wollte nur noch Cash Mahone und Jim O'Connor die Pforte der Hölle aufstoßen und dann weitersehen.

Vorher aber wollte er Judith beerdigen, die — so glaubte er — sich im letzten Augenblick darauf besonnen hatte, dass sie eine Slade war und damit ein Todfeind der Mahones. Der Gedanke hatte sich in seinem Kopf festgesetzt und war durch nichts zu verdrängen.


*


Cash Mahone war bei Bewusstsein. Der Doc hatte ihm beide Kugeln aus der Brust operiert, und der junge Rancher befand sich auf dem Wege der Besserung. Jim O'Connor war bei ihm. Der Gunman hatte sich einen Stuhl vor das Bett gerückt und rittlings darauf Platz genommen.

»Slade hat keine Chance mehr«, sagte er. »Im Umfeld von zehn Meilen sind Patrouillen der M im Kreis unterwegs, um ihn abzufangen. Fisher meldete soeben, dass eine starke Bürgerwehr Tascosa dichtgemacht hat. Und wenn Slade auch nur seine Nasenspitze zeigt, dann …«

»Wenn es doch bloß bald vorbei wäre«, bemerkte Cash schwach. »Die Ungewissheit zerrt an meinen Nerven und macht mich halb verrückt. Ich will den Schuft, der meinen Vater ermordet hat, endlich tot vor mir sehen.«

»Das werden Sie, Mahone. In diesem Land bringt er keinen Fuß mehr auf die Erde. Es wimmelt geradezu von Feinden, Slade ist vogelfrei. Und egal, wem er vor die Mündung reitet, er wird abdrücken.«

O'Connor lehnte sich zurück. Plötzlich wandte er den Kopf zum Fenster. »Was ist das?« Schnell erhob er sich und trat ans Fenster.

»Was ist los?«, wollte Cash wissen.

»Hören Sie nicht den Hufschlag?«

Cash lauschte und vernahm ihn auch.

»Es werden unsere Leute sein«, ächzte er.

O'Connor schüttelte den Kopf. »Nein«, entgegnete er. »Die habe ich über die ganze Weide verteilt.«

Sein Gesicht verfinsterte sich. Er presste die Lippen so sehr zusammen, dass sein Mund nur noch einen dünnen Strich bildete. Scharf traten seine Backenknochen hervor.

Cash, der das Gesicht des Revolvermannes vom Profil sehen konnte, erkannte die Veränderung, die in den hageren Zügen vor sich gegangen war.

»Verdammt, was …«

»Slade hat wieder zugeschlagen«, presste O'Connor durch die Zähne.

Bettzeug raschelte, als Cash seinen Oberkörper aufzurichten versuchte. Es gelang ihm nicht. Er fiel zurück in die Kissen, und vor seinem Blick verschwamm sekundenlang alles. Der pulsierende Schmerz ließ ihn unterdrückt stöhnen.

»Reden Sie doch, O'Connor, zum Teufel mit Ihnen! Was ist unten im Hof?« Das Sprechen kostete Cash Mühe.

»Drei leere Sättel«, antwortete O'Connor. »Und wenn Sie mich fragen, dann hat Slade sie leergefegt.« Er kratzte sich hinter dem Ohr. »Sollte der Schuft seine Strategie geändert haben und im Anmarsch auf die Ranch sein?« Er drehte sich um.

In Cashs Gesicht zuckte es.

»Dann werden wir ihn gebührend in Empfang nehmen«, sagte er.

O'Connor starrte ihn an.

Cash begriff nur ganz langsam.

»Wir beide sind allein auf der Ranch, O'Connor, nicht wahr? Nur wir beide.«

Der Revolvermann nickte.

»Aber nur ich zähle«, gab er zurück. »Also gehe ich hinunter und erwarte Slade. Ich werde ihn fordern, wenn er kommt. Und er wird die Forderung annehmen müssen.«

»Er ist schnell, und er ist nicht allein.«

»Ich werde ihn schlagen. Und seine Komplizen reiten für seine Rache. Wenn er aus den Stiefeln gekippt ist, gibt es für sie keinen Grund mehr, in seiner Sache die Colts zu schwingen.«

Über Cashs aschfahles Gesicht huschte ein Schatten.

»Und wenn er Sie schlägt, O'Connor? Wenn er Sie erledigt — was dann?«

»Dann bist auch du erledigt, mein Freund«, stieß O'Connor frostig, schroff und respektlos hervor. Seine Schultern strafften sich. Er verließ das Zimmer, und Cash hörte O'Connors hastige Schritte auf der Treppe.

Nagende Angst überkam den jungen Rancher. Das Zimmer kam ihm plötzlich wie eine Falle vor. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und in seinen Handflächen. Gehetzt starrte er zur Tür hin. Von O'Connor war nichts mehr zu hören.

Er musste raus hier!

Wie Paukenschläge dröhnte es in seinem Kopf. Die Kehle wurde ihm eng, er riss seinen Mund wie ein Erstickender auf. Raus hier, nur raus! Die panische Angst verlieh Cash plötzlich ungeahnte Kräfte und Energien. Er schaffte es, seinen Oberkörper aufzurichten, die Beine aus dem Bett zu schwingen und sich hochzustemmen. Schwankend und schwitzend stand er. Schmerz wogte durch seinen Körper, ließ ihn stöhnen.

Er hätte seine große Not hinausschreien mögen, biss sich die Lippen blutig. Jeden möglichen Halt ausnutzend, schob er sich Zentimeter um Zentimeter auf die Tür zu, erreichte einen kleinen Tisch und stützte sich schwer darauf. Pfeifend ging sein Atem, seine Augen glühten im Fieber.

Die Tür war greifbar. Cash löste sich von dem kleinen Tisch. Vor seinen Augen begannen sich feurige Kreise zu drehen, schneller, immer schneller, in sämtlichen Farben des Regenbogens. Er wankte. Ich muss … Schlagartig setzte sein Denken aus. Es war zu viel für ihn gewesen. Er sackte in sich zusammen, riss den kleinen Tisch um, schlug hart hin, rollte auf den Rücken. Der weiße Verband über seiner Brust färbte sich dunkel von seinem Blut. Schnell vergrößerte sich der feuchte Fleck. Die Wunden waren wieder aufgeplatzt, und jeder Pulsschlag drückte das Blut aus ihnen.

Und niemand war da, der Cash Mahone geholfen hätte.

Jim O'Connor hatte sich einen Stuhl auf den Vorbau gestellt und wartete auf Waco Slade. Die drei Sattelpferde standen am Tränketrog. Er kümmerte sich nicht um sie. Er wurde aber stutzig, als sie die Köpfe hoben und nach Süden witterten.

Waco Slade!

Ein ungutes Gefühl war plötzlich in dem Revolvermann. Schlich Slade schon um die Ranch wie der Fuchs um den Hühnerstall? Jim O'Connors Hände tasteten nach den Colts an seinen Oberschenkeln. Und plötzlich erhob er sich mit einem Ruck. Aus einer Lücke zwischen zwei Ställen trieben drei Reiter ihre Pferde.

O'Connors Hände schlossen sich um die kühlen, glatten Knäufe. Kalte Ruhe ergriff von dem Gunman Besitz. Er war bereit. Und er war sich sicher, als Sieger aus dem gnadenlosen Kampf hervorzugehen.

Er hatte Waco Slade nur einmal ganz kurz gesehen, als dieser Big Bill Mahone erschoss. Aber von diesen drei Burschen, die über den Ranchhof kamen, erinnerte ihn keiner an Slade. Diese drei waren ihm völlig fremd. Aber trotzdem blieb er angespannt und wachsam.

Voll Misstrauen starrte er sie an, als sie heran waren. Sie sahen verwegen und gefährlich aus. Und der Argwohn in O'Connor wuchs. Den dreien saßen die Colts verteufelt locker, das war deutlich. Skrupellosigkeit und Brutalität standen ihnen in die Gesichter geschrieben.

Der breitschultrige, hakennasige Bursche in der Mitte verschränkte beide Hände über dem Sattelknopf und sagte lässig: »Howdy, Sir. Ist das die M im Kreis-Ranch?«

»Yeah. Und wer seid ihr?«

»Wir trafen auf eine Ihrer Patrouillen«, erklärte der Hakennasige, ohne auf O'Connors Frage einzugehen. »Ihre Leute erzählten uns die Story von Waco Slade, und dass Sie zur Jagd auf ihn geblasen haben. Auch wir jagen einen Mann, und dieser Bursche hat sich Slade angeschlossen. Darum …«

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, unterbrach O'Connor den anderen ohne jede Freundlichkeit.

»Wir sind Jäger, ja, Jäger.« Der Hakennasige grinste verzerrt. »Menschenjäger. Wie ich schon sagte, wir sind hinter einem Burschen her, der in Trail City zwei gute Freunde von uns auf die lange Reise schickte. Wir konnten ihn auch vor einigen Tagen stellen, am Canadian, auf einer Handelsstation. Als wir ihn uns aber holen wollten, empfing uns ein wahrer Bleisegen, und zwei weitere Freunde von uns mussten ins Gras beißen. Wir verdufteten, warteten einen Tag und kehrten dann auf die Station zurück. Da erfuhren wir, dass sich unser Mann Waco Slade angeschlossen hat und Slade und seine Burschen uns den heißen Empfang bereiteten.«

»Und nun wollt ihr euch an der Jagd auf Waco Slade und seinen Verein beteiligen?«

»So ist es.«

»Und warum kommt ihr hierher?«

»Wir haben vor, in Ihren Sattel zu klettern, Mister.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Ganz einfach: Wir sind nur zu dritt, und wir haben kein Interesse, einen Zweifrontenkrieg zu führen. Ein solcher aber droht uns womöglich, wenn wir unsere Aktionen nicht vorher mit Ihnen absprechen. Oder würden Sie es hinnehmen, wenn wir Ihnen in die Suppe spuckten und im Alleingang …«

»Und wenn das alles nur böses Spiel ist und ihr in Wirklichkeit Slade-Leute seid?«

»Dann hätten wir Sie mit Sicherheit von Ihrem Stuhl geputzt, ehe Sie uns zu Gesicht bekommen hätten.«

Das ging O'Connor ein. »In Ordnung«, sagte er. »Ihr seid engagiert.« Diese drei kamen ihm wie gerufen. Sie machten ganz den Eindruck, als wären sie das Kraut, das gegen Waco Slade gewachsen war. »Aber sagt mir noch eure Namen, damit ich euch auf die Lohnliste setzen kann.«

»Das ist nicht nötig, Mister«, entgegnete der Hakennasige. »Well, mein Name ist Ted McGuire, und diese beiden hier . . .«

O'Connor hielt einen Augenblick die Luft an. »Sag bloß!«, brach es aus ihm heraus. »Ted McGuire aus Colorado? Der Ted McGuire?«

»So ist es.«

O'Connor pfiff durch die Zähne. Nun durfte Slade kommen. Mit Ted McGuire, dem eisenharten Colorado-Banditen an der Seite, wollte er ihm einen heißen Empfang bereiten.


*


Sie tauchten über dem letzten Hügel vor Tascosa auf, zügelten ihre Pferde und sahen auf die Stadt hinunter.

Am Ortseingang lungerten drei Männer herum. Das Sonnenlicht wurde von den Metallteilen ihrer Gewehre reflektiert. Tascosa schien ruhig — zu ruhig. Es war eine trügerische Ruhe. Waco bemerkte die Seitenblicke seiner Kumpane und sagte: »Chris Holyman konnte tatsächlich einige Burschen hinter dem Ofen hervorlocken.«

»Einige? Lass dich nur nicht täuschen, Amigo.« Hunter sprach langsam, gedehnt. »Wenn du mich fragst, dann hat dieser verdammte Sternschlepper die ganze Stadt mobilisiert, und dort unten warten sie nur darauf, dass wir kommen.«

Tatsächlich. Überall in der Town waren Männer zu sehen. Sie lungerten auf den Gehsteigen herum, unter Vorbaudächern, schlenderten über die Main Street. Und alle trugen Waffen.

»Sei es, wie es will«, sagte Waco trocken. »Ich reite hinunter. Ich will nichts von diesen Narren da unten, mir kann diese ganze lausige Stadt gestohlen bleiben. Wenn ich Mahone und O'Connor erledigt habe, verlassen wir das County. Ich werde das denen da unten sagen.«

»Sie werden dich kaum anhören.«

»O doch. Denn es sind keine Schießer, und schon gar keine Killer. Wenn sie merken, dass ich nichts von ihnen will, werden sie mich in Ruhe lassen.«

»Dein Wort in Gottes Gehörgang, Waco«, murmelte Ringo, und aus seiner Stimme waren all die Zweifel herauszuhören, die in ihm waren.

»Ich habe mir geschworen, Judith zu beerdigen«, sagte Waco. »Ich bin ihr das schuldig. Sie war meine Schwester …«

»Die dich schmählich verraten hat«, vollendete Buck Hunter grimmig. »Es ist Wahnsinn, was du vorhast, heller Wahnsinn.«

»Ja«, pflichtete Ringo ihm bei. »Es kann dich Kopf und Kragen kosten.«

»Wir werden sehen.«

Damit trieb Waco sein Pferd weiter. Ringo und Buck warfen sich Blicke zu, die alles andere als Begeisterung ausdrückten, und Buck murmelte irgendetwas vor sich hin. Dann folgten sie Waco. Sie kamen sich vor wie zwei verirrte Seelen auf dem Weg zur Hölle.

Die Männer am Stadteingang wurden aufmerksam. Sie verteilten sich zu beiden Seiten der Straße, feindselig blickten sie den Reitern entgegen. Hart umklammerten ihre Fäuste die Waffen, ihre Zeigefinger krümmten sich langsam um den Abzug. Die Patronen befanden sich schon in den Läufen.

»Halt!«, rief einer von ihnen barsch, als Waco und seine Begleiter nahe genug heran waren. »In diese Stadt kommst du nicht, Slade! Also wendet eure Gäule und reitet zum Teufel! Für Tascosa bist du so etwas wie eine Seuche, Slade. Und wenn du mit der M im Kreis etwas auszutragen hast, dann tu es, aber lass die Stadt aus deinem höllischen Spiel. Was du mit den Mahones hast, ist nicht unsere Sache, und wir denken nicht daran, uns da mit hineinziehen zu lassen. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt? Aber wenn du denkst, ich rede nur leeres Zeug, dann sieh mal scharf in die Stadt hinein. Drei Dutzend Männer warten darauf, dass du ihnen vor die Mündung reitest.«

»Wartet!«, wies Waco Ringo und Buck an, und während er langsam weiter ritt, blieben die beiden zurück.

»Stopp, Slade, oder ich knalle dich vom Pferd! Zwinge mich nicht dazu.«

Das Gewehr des Mannes ruckte hoch und zielte auf Wacos Brust.

Waco zügelte sein Pferd und zeigte die Zähne. »Ich muss Judith beerdigen, Hagarthy. Darum will ich in die Stadt. Ihr alle könnt mich mal, Hagarthy. Ich will nichts von euch, von keinem in dieser Stadt. Aber wenn ihr versucht, mich aufzuhalten, dann …«

In die Augen des Bürgers trat ein Funkeln. Kalt erwiderte er: »Wenn du deinen Gaul noch einen Schritt machen lässt, Slade, knallt es.«

Wilde Wut kroch in Waco hoch.

»Und wenn ich mir den Zugang erzwinge«, stieß er klirrend hervor.

»Dann fliegst du schneller auf die Schnauze, als du denken kannst, mein Freund«, entgegnete der Mann trocken. »Wie ich schon sagte: Ein paar von den Burschen da sind ganz wild darauf, dir heißes Blei zu servieren.«

Er brach ab und schaute irritiert an Waco vorbei auf Ringo, der zu pfeifen angefangen hatte. Ein altes, mexikanisches Liebeslied. Es war nervtötend. Ringo saß zusammengesunken im Sattel. Mit der einen Hand hielt er die Zügel, die andere lag auf dem Revolverkolben.

Um Wacos Mund stahl sich ein Lächeln, das aber die Augen nicht erreichte.

»Ist der Hombre übergeschnappt?«, fragte Hagarthy verwirrt. »Oder warum pfeift er sonst?«

»Wenn Ringo pfeift, dann fliegen meist sehr bald die Kugeln«, erklärte Waco. »Du hast doch Familie, Hagarthy, eine Frau und ein paar Kinder. Was soll aus ihnen werden, wenn du aus den Stiefeln saust? Sollen deine Kinder um dich trauern müssen, nur weil du stur bist und den Helden spielen willst?«

Unsicherheit überkam den Mann. Seine anfänglich zur Schau gestellte Härte fiel von ihm ab. Sein hilfesuchender Blick streifte seine beiden Gefährten, er musste aber erkennen, dass auch sie vollkommen verunsichert waren.

Ja, er hatte Frau und Kinder. Zwei Jungen, und der ältere war gerade zwölf geworden. Er war ein guter Vater und Ehemann, aber er war alles andere als ein Held. Er vermied den Gedanken daran, dass er den Abend vielleicht gar nicht mehr erlebte, wenn es zur Schießerei kam. Andererseits konnte er nicht einfach nachgeben. Wie drei Dutzend andere Männer hatte er die Eidesformel nachgesprochen, die Sheriff Chris Holyman ihnen vorgesagt hatte. So hatte er auch geschworen, dem Gesetz unter Einsatz seines Lebens zur Geltung zu verhelfen und Gesetzesbrechern ohne Ansehen der Person entgegenzutreten.

Ja, sinngemäß waren das die Worte, die Holyman vorgesagt und die er — möglicherweise nur mechanisch und ohne groß darüber nachzudenken — wiederholt hatte.

Angst und Zweifel, aber auch Verantwortungsbewusstsein und Stolz fochten einen grimmigen Kampf in ihm aus, und dann siegte die Vernunft, und er entschloss sich zu einem Kompromiss. Er sagte: »All right, Slade, sie war immerhin deine Schwester, und ich will kein Unmensch sein. Erweise ihr von mir aus die letzte Ehre. Allerdings verlange ich, dass du mir deine Waffe gibst. Und du musst allein in die Stadt reiten. Deine beiden Kumpane bleiben draußen. Akzeptiert?«

»Voll und ganz. Aber meine Waffen kriegst du nicht, Hagarthy. Ich reite nicht waffenlos in die Höhle des Löwen.«

»Holyman wird …«

»Nichts wird Holyman.« Waco verlor langsam die Geduld.

Hagarthy zog den Kopf zwischen die Schultern. Er hatte Angst, durfte dies aber nicht zeigen. Hölle, warum hatte er sich bloß hinreißen lassen und den verdammten Eid nachgeplappert? Weil es alle anderen auch taten. Sicher. Aber jetzt … Größte Gewissensnöte plagten den Mann. Er befeuchtete sich die Lippen. Weiß traten die Knöchel unter der Haut hervor, als seine Hände sich noch fester um Schaft und Kolbenhals der Winchester klammerten, als suchte er an der Waffe Halt. Zentnerschwer lastete die Verantwortung auf ihm.

Da kam ihm einer seiner Gefährten zu Hilfe.

»Lass ihn«, sagte der Mann. »Er weiß, dass er stirbt, wenn er die Hand nur auf den Revolverkolben legt.«

Wacos sengender Blick traf ihn, und er duckte sich.

Hagarthy aber war dem anderen dankbar.

»Also gut, Slade, reite. Und nimm dir seine Worte zu Herzen.«

Waco wandte sich im Sattel um und rief: »Wartet auf mich. Wenn ich in zwei Stunden nicht zurück bin, dann haben mich die Schufte hereingelegt. Eure Mission hier ist dann beendet.« Er hob eine Hand wie zum Gruß und ritt an.

»Er ist verrückt«, sagte Buck Hunter kopfschüttelnd. »Total verrückt.«

»Allmählich glaube ich es auch«, pflichtete Ringo ihm bei.


*


Waco ritt mitten auf der Main Street, Männer blieben auf den Gehsteigen stehen, packten ihre Waffen fester und starrten ihn böse an. Fast körperlich spürte er die Welle des Misstrauens und der kalten Ablehnung, die ihm entgegenschlug.

Der laue Wind, der seit Tagen wehte, hatte das Land vom Regen der vergangenen Wochen getrocknet. Staub wirbelte unter den Hufen von Wacos Pferd in die Höhe. Waco saß aufrecht im Sattel. Aus dem Schatten der Hutkrempe heraus beobachtete er die Männer am Straßenrand und erkannte ihre eiserne Entschlossenheit. Hagarthy hatte mit Sicherheit nicht übertrieben.

Ein ungutes Gefühl beschlich Waco. Er bewegte sich zwischen Pulver und Dynamit, und die Lunte brannte schon. Jeden Augenblick konnte die Explosion erfolgen. Waco unterdrückte dieses aufkommende unangenehme Gefühl und gab sich gelassen, konnte aber nicht verhindern, dass es ein seltsames Prickeln zwischen seinen Schulterblättern hinterließ.

Als er vor dem Sheriff's Office anlangte, trat Sheriff Chris Holyman heraus. Mit kurzen, abgehackten Schritten überquerte er den Vorbau, seine Gesichtszüge waren kantig und verschlossen.

Waco achtete nicht darauf. Er hatte nur Augen für die Parkergun, die Chris Holyman im Hüftanschlag hielt und deren abgesägter Lauf auf ihn wies, unverrückbar und drohend.

»Hallo, Holyman! Warum so kriegerisch? Meine Absichten sind friedlich. «

»Welche Absichten?«

»Ich will meine kleine Schwester beerdigen, die die M im Kreis-Schufte in den Tod getrieben haben. Und dann reite ich weiter. Ich will nichts von euch.«

In Holymans Gesicht regte sich kein Muskel. »Ich verhafte dich wegen Mordes an Big Bill Mahone. Hast du tatsächlich gedacht, du kommst ungeschoren wieder hier heraus? Hast du vergessen, dass es hier ein Gesetz gibt? Du weißt sicher, was auf Mord steht, Waco.«

»Verdammt, Holyman, ich …«

»Genug! Streck deine Flossen zum Himmel und steig ab. Und versuche lieber nichts. Verlass dich nicht auf deine Schnelligkeit. Das Blei in den beiden Läufen hier reicht aus, um dich in Stücke zu fetzen.«

Auf alles Mögliche hatte Waco sich eingestellt, als er zwischen den waffenstarrenden Männern hindurch ritt, damit aber hatte er nicht gerechnet. Seine Gedanken wirbelten, überschlugen sich. In hilflosem Zorn knirschte er mit den Zähnen.

Chris Holymans Hände waren vollkommen ruhig. Kalte Entschlossenheit und unerbittliche Härte gingen von dem Sternträger aus. Waco schalt sich einen Narren. Holyman hatte ihn hereingelegt wie ein Greenhorn, einen blutigen Anfänger. Nun war es an ihm, sich aus der Affäre zu ziehen.

Der Sheriff ließ ihm nicht die Zeit, groß nachzudenken. Schneidend hieb seine Stimme in Wacos fieberhaftes Denken.

»Willst du nicht, Slade, oder bist du vor Schreck erstarrt? Möchtest du es drauf ankommen lassen?«

Wacos Blutdruck jagte hoch, sein Gesicht färbte sich dunkel.

»Vor der Stadt warten zwei Freunde auf mich, Holyman«, antwortete er. »Sie werden die Stadt einreißen und an allen vier Ecken anzünden, wenn ich in zwei Stunden nicht wieder zurück bin.«

»Jetzt spuckst du Gift und Galle, du verdammter Bandit!«, rief Holyman spotttriefend. »Du hast die Hose voll, ja, Waco Slade, gestrichen voll, weil du weißt, dass du verloren hast. Deine Freunde sollen nur kommen. Sie fehlen uns noch in unserer Sammlung. Sie würden sich prächtig neben dir am Galgen ausmachen, denke ich. Und der Henker hätte nur einmal die Arbeit.«

»Wir sollten kurzen Prozess machen mit ihm!«, schrie einer in der Menge, die sich auf der Straße gesammelt hatte. »Er hat den Strick verdient!«

»Ja, hängen wir ihn auf! Aufhängen! Einen Strick!«

So tönte es plötzlich durcheinander, und immer mehr Stimmen kamen hinzu. Waco schluckte. Seine Muskeln strafften sich. Er wandte sich im Sattel und starrte auf die Menge, die sich langsam näherschob, sah ihre drohenden Gebärden.

»Na, Waco, was für ein Gefühl hast du jetzt?«, fragte Holyman zynisch und grinste. »Du solltest dich beeilen. Denn wenn sie dich erst einmal in ihren Händen haben, lassen sie dich nicht wieder los. Ich frage mich sowieso, warum ich dich dem Mob nicht zum Fraß vorwerfe. Würde mir mit Sicherheit eine Menge Ärger ersparen.«

Da hob Waco die Arme, schwang sein linkes Bein über das Sattelhorn und sprang auf die Erde. Er hatte die Ausweglosigkeit seiner Situation erkannt. Richter Lynch sollte in seiner Sache nicht das letzte Wort sprechen.

Er ging an Chris Holyman vorbei ins Office, der Sheriff folgte und schloss die Tür. Er zog Waco den Colt aus dem Holster, steckte ihn sich in den Hosenbund, und sagte: »Sie wollen dich hängen sehen, Waco, und ich weiß nicht, ob ich sie zurückhalten kann. Bald werden hundert und noch mehr hängelüsterne Menschen auf der Straße nach dir schreien. Ich kann dich nicht ausstehen, Waco, und ich würde dich voll Genugtuung an einem Ast baumeln sehen, denn du bist ein Bandit. Aber ich bin Sheriff, Gesetzeshüter.«

Er dirigierte Waco in den Zellentrakt und wies auf eine Zelle. Augenblicke später war Waco hinter Schloss und Riegel. Der Sheriff atmete befreit aus. Er ließ Waco allein.

Der Häftling horchte nach draußen, von wo dumpfes Brodeln und Gären zu ihm in die Zelle drang. Er steckte verdammt in der Klemme, und nur noch seine Freunde konnten ihn retten.

Ihm fielen die letzten Worte ein, die er ihnen zugerufen hatte: Wenn er nach zwei Stunden nicht zurück sei, wäre ihre Mission hier beendet, hatte er gesagt. Hatte er damit sein Todesurteil unterschrieben?

Er stellte den Hocker unter das kleine vergitterte Fenster und blickte hinaus. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Nahezu die halbe Stadt hatte sich vor dem Sheriff's Office eingefunden. Ein Mann schwang ein Lasso, dessen Ende zu einem kunstvollen Knoten geknüpft war.

Bisher hatten sie ihn gefürchtet wie die Pest. Nun aber waren sie sich seiner sicher. Das verlieh ihnen Mut.

Verachtung stieg in Waco hoch.


*


Ringo und Buck hatten sich, nachdem Waco losgeritten war, zurückgezogen. Sie kauerten im Gras und beobachteten die Stadt, deren Zugang von Hagarthy und zwei anderen Burschen bewacht wurde. Ringo kaute gelangweilt auf einem dürren Grashahn herum. Die Sonne hatte sich schon weit dem Westen genähert.

»Die zwei Stunden sind um«, sagte Buck Hunter.

»Yeah.« Ringo nickte.

»Wenn du mich fragst, dann haben sie Waco schon …« Er krümmte den Zeigefinger, als drückte er eine Waffe ab.

»Hast du einen Schuss gehört?«

»Nein.«

»Na also.«

»Und trotzdem …«

Sie schwiegen. Eine weitere Viertelstunde verstrich, ohne dass Waco zurückkam.

»Ich fresse meinen Hut, wenn sie Waco nicht aufs Kreuz gelegt haben«, fing Hunter erneut an. Er war voller Zweifel. »He, was das wohl zu bedeuten hat?«

Ein Mann kam aus der Stadt, redete kurz mit Hagarthy und ging zurück. Die Wachtposten am Stadtrand blickten wie auf Kommando zu ihnen her.

Ringo und Buck verständigten sich mit einem schnellen Blick. Da vorn bahnte sich irgendetwas an.

»Verduften wir, bevor uns ihr Blei um die Ohren fliegt«, sagte Buck Hunter.

Ihre Pferde weideten in ihrer unmittelbaren Nähe. Mit wenigen Schritten erreichten sie die Tiere.

Ein barscher Befehl drang an ihre Ohren, sie sprangen in die Sättel und hieben den Pferden die Sporen in die Weichen. Die Tiere sprangen aus dem Stand an, streckten sich. Ihre Reiter warfen sich flach auf ihre Hälse, als hinter ihnen ein wahrer Feuerzauber losbrach. Sie jagten sie schräg die Hügelflanke hinauf.

Wie giftige Hornissen pfiffen die Projektile an ihnen vorbei. Hagarthy und die beiden anderen Männer feuerten überhastet und zielten kaum, und so verpufften ihre Schüsse wirkungslos. Aber Ringo und Buck waren sich im Klaren darüber, dass sie eine Menge Glück hatten.

Dann waren sie außer Schussweite und hielten auf dem Kamm des Hügels an.

»Das war knapp«, rief Ringo. »Wenn sie nur ein klein wenig sorgfältiger gezielt hätten, dann gute Nacht.«

Hunter nickte.

»Schau dir diesen Hagarthy an«, schnarrte er, »wie er hinter uns herdroht.« Er spuckte zur Seite aus. »Na warte, Freund.« Mit entschlossener Bewegung zog er die Winchester aus dem Scabbard, hebelte durch und zog den Kolben an seine linke Schulter. Der Lauf zeigte auf das Knäuel Männer, die zu ihnen herauf starrten, wanderte langsam in die Höhe, bis er schräg zum Himmel zeigte.

Buck hielt die Luft an. Langsam krümmte sich sein Zeigefinger um den Abzug. Der Schuss krachte. Fast im selben Augenblick warf Hagarthy beide Arme in die Höhe, taumelte und brach zusammen.

»Ein Prachtschuss!«, rief Ringo anerkennend und klatschte in die Hände. »Den macht dir keiner nach.«

»Damit die Kerle uns nicht so schnell vergessen. Reiten wir.« Hunter zog sein Pferd wieder herum.

In rasender Karriere jagten sie auf der der Stadt abgewandten Seite den Abhang hinunter. Als bald darauf Chris Holyman mit einem berittenen Aufgebot am Stadtrand erschien, war ihr Vorsprung groß genug, so dass dem Sheriff eine Verfolgung sinnlos erschien.

»Bringt Hagarthy zum Doc, damit der sich um seine zerschossene Schulter kümmert«, befahl Holyman. »Und wir anderen werden schärfer aufpassen denn je. Denn wie ich diese Burschen einschätze, werden sie ihren Partner nicht einfach so im Stich lassen. — Nun komm schon, Hagarthy, steh auf, du stirbst nicht an diesem Kratzer.«


*


Sid Binder, der Salooner, kam ins Sheriff's Office. »Die Kerle von der M im Kreis, die O'Connor in der Stadt zurückließ, sind drauf und dran, eine Hängepartie zu inszenieren, Sheriff. Ich konnte ein paar Fetzen ihres Gesprächs drüben an der Theke aufschnappen. Sie wollen die Leute auf der Straße aufwiegeln.«

Der Sheriff trat ans Fenster und schaute sorgenvoll hinaus. Sid Binder trat neben ihn.

»Noch schreien sie nur nach einem Strick für Waco«, sagte er kratzend, »wenn aber erst die M im Kreis-Burschen mitmischen, werden sie kommen und das Gefängnis stürmen. Sie sind wild und voller Hass, und es wird ihnen egal sein, dass du zwischen ihnen und Slade stehst.«

»Du meinst …«

»Ja, sie werden erst zur Besinnung kommen, wenn Waco am Ende eines Lassos zappelt. Dann aber kann es für dich zu spät sein.«

»Ich werde auf jeden schießen, der in der Absicht, Slade mit Gewalt aus dem Bau zu holen, näher als bis auf zehn Schritt an das Office herankommt, ohne Ansehen der Person und ohne jeden Pardon. Ich werde das den Narren auch sagen. Sie sollen ruhig wissen, was sie erwartet, wenn sie es dennoch versuchen.«

Chris Holyman trat hinaus auf den Vorbau. Schlagartig wurde es still. Eine ganze Zeit lang blickte der Sheriff freudlos und kühl über die Ansammlung, dann rief er gellend: »Slade wird vor ein ordentliches Gericht gestellt, damit das klar ist. Eine Jury wird über seine Schuld oder Unschuld urteilen, und wenn sie ihn für schuldig befindet, dann wird er hängen. Vorher aber werde ich nicht dulden, dass irgendjemand hier sich als Richter und Henker aufspielt. Und ich werde es jedem, der es nicht begreifen will, in seinen Kürbis hineinhämmern, wenn es sein muss mit einigen Unzen Blei. Geht nach Hause und wartet ab, wie sich die Dinge entwickeln. Und lasst euch gesagt sein: Noch einmal warne ich euch nicht. Das nächste Mal ist die Sprache eine rauere. Also, denkt darüber nach und handelt entsprechend.«

»Wir werden erst dann Ruhe haben, wenn Slade der Teufel geholt hat!«, brüllte ein Mann. »Er hat Tascosa in Angst und Schrecken versetzt und Big Bill Mahone ermordet. Seine Kumpane schleichen um die Stadt, und irgendwie werden sie ihn befreien. Dann gnade uns Gott. Sei kein Narr, Sheriff, und überlass ihn uns. Du kannst ja die Stadt solange verlassen.«

»Geht nach Hause, oder es gibt eine Katastrophe! Sollen wir Slades wegen anfangen, uns gegenseitig zu zerfleischen? Aber ganz wie ihr wollt. Ihr könnt es auch rau haben, höllisch rau. Du kannst ja den Anfang machen, Callmire. Verlass dich aber nicht darauf, dass ich aus alter Bekanntschaft nicht auf dich schießen werde.« Der Ton in der Stimme des Ordnungshüters hatte keinen Zweifel aufkommen lassen.

»Zur Hölle mit dir, Holyman! Wir stürmen einfach deinen Bau. Glaubst du denn im Ernst, dass du uns aufhalten kannst? Du armer Narr! — Vorwärts, Leute, vorwärts, holen wir uns Waco Slade! Wir sind viele, und der Sheriff ist allein.«

Unbeschreiblicher Tumult entstand, Fäuste hoben sich in drohender Gebärde, die Menge schob sich weiter auf das Office zu, bereit, unter die Angelegenheit Waco Slade einen tödlichen Schlussstrich zu ziehen.

Da trat Sid Binder auf den Vorbau. Er hielt die abgesägte Parkergun des Sheriffs im Hüftanschlag.

»Du irrst dich gewaltig, Callmire!«, rief er klirrend und brachte mit seiner Stimme den Mob zum Stehen. »Der Sheriff ist ganz und gar nicht allein. Und derjenige von euch, der noch einen Schritt in Richtung Office macht, frisst Schrot, grob gehackte Sauposten. Wollt ihr denn nicht Vernunft annehmen? Ihr seid ja schlimmer als die wilden Tiere!«

Chris Holyman hatte seinen Colt gezogen. Sein Daumen lag quer über der Hammerplatte.

»Ja, bei allen Heiligen!«, schrie er. »Nehmt endlich Vernunft an und geht nach Hause. Seid ihr denn alle verrückt geworden? Hastings, Stone, Rafferthy, ihr anderen alle. Seid ihr wirklich darauf aus, dass eure Söhne und Töchter, eure Frauen und Mütter sich voller Abscheu von euch abwenden, weil Slades Blut an euren Händen klebt?«

Er atmete tief durch.

Sie schwiegen betroffen.

Des Sheriffs Blick glitt über sie hinweg. Drüben, auf dem Vorbau des Trailman Saloon, standen die drei Mahone-Reiter. Verkniffen starrten sie herüber.

Die Menge begann sich zu zerstreuen. Viele der Männer zogen beschämt die Köpfe zwischen die Schultern.

Ein Stein der Erleichterung fiel Chris Holyman vom Herzen. Er hatte gewonnen. Dankbar klopfte er Sid Binder auf die Schulter. Worte wären überflüssig gewesen. An dem Salooner vorbei ging er ins Office, von dort aus in den Zellenanbau. Waco erinnerte ihn hinter der Gitterwand an ein gefangenes Raubtier.

»Bin ich dir und Binder jetzt zu Dank verpflichtet?«, rief er spöttisch.

»Nein.« Holyman schüttelte den Kopf. »Auf deinen Dank verzichten wir. Ich habe nur meine Pflicht getan. Und Binder hat mir dabei geholfen. Du aber hast hoffentlich gemerkt, wie in dieser Stadt die Stimmung ist. Mach dir selbst einen Reim darauf und rechne dir aus, wie gering deine Chancen sind.«

»Ihr könnt mich mal, alle miteinander.« Waco wandte sich ab.

»Du darfst das sagen, Slade. Yeah, ein Mann, der so gut wie tot ist, darf nahezu alles sagen. Das ist nun einmal so.«

Waco zuckte zusammen.


*


Fisher hatte sofort, nachdem Waco verhaftet worden war, seinen Gaul gesattelt und war zur M im Kreis geritten. Er erreichte sie, als die Sonne auf dem Horizont im Westen zu stehen schien. Er informierte O'Connor, was sich in Tascosa zugetragen hatte. Der Revolvermann grinste und rieb sich die Hände.

»Gut, Fisher, sehr gut. Eine bessere Nachricht hättest du mir gar nicht überbringen können.« Er hieb Fisher die Hand auf die Schulter, dass sich dessen Fuchsgesicht verzog und er in die Knie ging. »Das hätte ich dem behäbigen alten Chris Holyman nie im Leben zugetraut. Wir brauchen also nur noch Slades Kumpane zu erwischen. Der Gefährlichste von ihnen ist außer Gefecht gesetzt. Well, Fisher, ich werde dir meine Dankbarkeit beweisen. Wenn alles vorbei ist, nehme ich dich in meine Revolvermannschaft auf. Darauf bist du doch schon lange scharf, wie?«

Fisher warf sich in die Brust und nickte. Ein hündischer Ausdruck trat in seine Augen.

»Gut, dann reite zurück in die Stadt und halte mich auf dem Laufenden.«

Als Fisher das Ranch Office verlassen hatte, öffnete O'Connor die Tür zum Nebenraum. Ted McGuire und seine beiden Outlaws traten hindurch.

»Habt ihr alles mitbekommen?«, fragte O'Connor.

»Ja. Slade ist also ausgeschaltet.« McGuire ging zum Fenster und blickte hinter dem davonreitenden Fisher her. »Es geht also nur noch gegen seine Kumpane.«

»Drei Mann. Für uns kein Problem.«

O'Connor konnte nicht ahnen, dass es nur mehr zwei waren, nachdem Slim Miles bei den Trümmern der ehemaligen Slade-Ranch gestorben war.

»Trotzdem. Ringo Douglas ist dabei. Und der ist gefährlicher als eine Klapperschlange.«


*


Der nächste Tag kam. Jim O'Connor, der die letzte Wache übernommen hatte, schaute nach Cash Mahone. Der junge Rancher lag auf dem Fußboden in einer Lache getrockneten Blutes. Seine gebrochenen Augen blickten starr und glanzlos zur Zimmerdecke.

O'Connor nahm es auf und verarbeitete es innerhalb weniger Sekunden. Cash Mahone war tot, gestorben an Slade-Kugeln. Der Gunman machte sich nicht mehr die Mühe, ihn zu untersuchen. Mitleidlos betrachtete er den Toten, dann verließ er das Zimmer, zog die Tür hinter sich zu. Alles lief besser, als er es sich je ausgemalt hatte. Er trat hinaus in den Hof.

Es war kühl. Über dem nahen East Alamoso Creek lagerten wogende Dunstschleier. Strahlend kroch die Sonne über die Hügel im Osten, vertrieb die letzten Schatten der Nacht und erwärmte das Land.

Im Corral begannen sich die Pferde zu regen.

O'Connors scharfer, wachsamer Blick ging in die Runde. Tiefer Friede war überall. So hatte es den Anschein. Der Eindruck war trügerisch. Denn plötzlich erreichte schrilles Pfeifen O'Connors Ohren. Die Melodie eines alten, mexikanischen Liebesliedes. O'Connor, der sich unterhalb der Veranda im Hof befand, wirbelte herum, seine Hände zuckten zu den Colts. Niemand war zu sehen. Aber das Pfeifen blieb.

Der Gunman zerbiss einen Fluch, wirbelte wieder um seine Achse. Hatte er sich geirrt? Narrten ihn schon seine Sinne? War da nicht eben das Knirschen von Sand unter Stiefelsohlen gewesen? Er riss die Colts aus den Futteralen, spannte die Hähne.

»Wer ist da?«, rief er heiser. Das Gepfeife tötete ihm den Nerv. Wieder glaubte er Schritte zu hören. »Zeigt euch, verdammt!«

Abrupt brach das Pfeifen ab. Eine Stimme ertönte: »Hinter dir, Schießhund!«

Er warf sich herum. Ein Mann stand dort zwischen Stall und Scheune. O'Connor feuerte, ohne lange zu überlegen.

Grell stach es ihm entgegen. Das Wummern der Detonationen stand sekundenlang in der kristallklaren Morgenluft.

O'Connors gurgelnder Aufschrei war im Krachen der Schüsse untergegangen. Nun lag der Gunman im Ranchhof und war tot.

Der Mann, der ihm das höllische Blei sandte, war hinter der Scheune verschwunden. Er pfiff wieder.

Ted McGuire und seine Komplizen waren durch die Knallerei aus dem Schlaf gerissen worden. Sie schlangen sich die Patronengurte um die Hüften und eilten an die Fenster der Mannschaftsunterkunft, in die O'Connor sie zum Schlafen verwiesen hatte.

Ein Schuss peitschte, eine Fensterscheibe zerbarst klirrend.

»Ringo!« Ted McGuire flüsterte es beinahe. Er starrte durch das Fenster auf O'Connor, der tot vor dem Haupthaus lag. »Verdammt, Ringo! Ich weiß, dass du da draußen bist!«, brüllte er, nachdem er mit dem Coltlauf die Fensterscheibe zerschlagen hatte. »Warum tragen wir es nicht aus, wie es sich gehört und …«

»Mich laust der Affe - Ted McGuire!« Es war Ringos Stimme. »He, Ted, das trifft sich ja prima, nachdem wir gerade beim Großreinemachen sind. Ja, tragen wir es aus, du und ich. Komm raus! Und zur Sicherheit, dass deine beiden Freunde auf keine dummen Gedanken kommen, wird mein Partner mit einem Gewehr auf dich zielen. Schärfe ihnen also ein, Bruder, dass sie dir keinen Gefallen erweisen, wenn sie auf mich schießen.«

»Und wenn ich dich erledige, drückt dein Freund ab, wie?«

»Mein Wort darauf, dass er es nicht tut.«

»Gut, ich komme.«

»Also, worauf wartest du?«

Ted McGuire trat in den sonnendurchfluteten Hof. Er ging ein Stück zur Seite und bekam auf diese Weise die Sonne in den Rücken.

Ringo kam langsam hinter der Scheune hervor. Seine Rechte hing locker neben dem Revolverkolben. Er blinzelte in die Sonne.

Die Distanz zwischen den beiden betrug keine fünfzehn Yards.

»Fang an!«, rief Ringo.

Ted McGuires Hand zuckte zum Colt.

Sie schossen fast gleichzeitig. McGuire war vielleicht eine Idee schneller als Ringo, aber diese Schnelligkeit ging auf Kosten der Treffsicherheit. Seine Kugel zupfte nur an Ringos Weste.

Zu einem zweiten Schuss kam der Colorado-Bandit nicht mehr. Ringos Kugel riss ihn von den Beinen. In hohem Bogen flog sein Colt davon. Staub wallte auf, senkte sich auf seinen schlaffen Körper.

Im selben Moment, als Ted McGuire fiel, eröffnete Buck das Feuer. In rasender Folge bestrich er mit der Winchester die Front der Mannschaftsunterkunft. Fensterscheiben zersprangen, die Kugeln zerhackten das Holz der Blendläden, bohrten sich in die Wand.

Ringo hetzte in Deckung, erreichte sie ungeschoren, und als aus Bucks Winchester die letzte Kugel verschossen war, rief er: »Gebt es auf, ihr beiden! Kommt mit erhobenen Händen heraus, und ich garantiere euch freien Abzug!«

»In Ordnung, Ringo«, kam sofort Antwort. »Wir können uns doch auf dein Wort verlassen?«

»Ihr kennt mich doch.«

Sie kamen heraus, waffenlos und mit erhobenen Armen. Die Unruhe flackerte in ihren Augen.

»Holt eure Gäule, und dann ab mit euch!« Ringo und Buck traten hinter ihren Deckungen hervor. Ihre Waffen zeigten unmissverständlich auf die beiden Outlaws. »Und lasst euch nicht einfallen, noch einmal umzukehren!«

Sie liefen zu ihren Pferden im Corral, fingen sie ein und holten ihre Sättel aus der Unterkunft. Buck und Ringo folgten ihnen auf Schritt und Tritt. Sie warteten, bis die beiden von der Ranch und in einer weit entfernten Mulde aus ihrem Blickfeld verschwunden waren, und dann begaben sie sich ins Haupthaus der M im Kreis-Ranch. Sie fanden Cash Mahone und begriffen, dass es hier für sie nichts mehr zu tun gab.

»Die Kugeln für ihn und O'Connor steckten an und für sich in Wacos Colt«, murmelte Buck. »Aber egal, sehen wir zu, dass wir ihn aus dem Jail holen und endlich aus dieser bleihaltigen Gegend verschwinden.«


*


Drei, vier Tage vergingen. In Waco wuchs die Unruhe. Als ihm Chris Holyman einmal das Essen brachte, sagte er: »Auf deine Komplizen brauchst du nicht mehr zu hoffen. Die sind längst über alle Berge.«

Ein anderes Mal hatte er Waco erzählt, dass man Cash Mahone, Jim O'Connor und einen dritten Mann auf der M im Kreis gefunden habe und die Kerle seit mindestens 36 Stunden tot waren. Es war, als bereitete es dem Sheriff Genugtuung, Waco die Hoffnungslosigkeit seiner Situation aufzuzeigen.

Waco hatte ihn jeweils nur schweigend angestarrt.

Dann kam die Nacht vom vierten auf den fünften Tag. Waco schlief tief und fest. Und so hörte er erst nach einer ganzen Weile leises Pfeifen in seine Zelle dringen. Im ersten Moment glaubte er, geträumt zu haben. Er schlug die Augen auf und lauschte.

Er hatte nicht geträumt.

Deutlich war die Melodie eines mexikanischen Liebesliedes zu vernehmen.

Ringo!, durchzuckte es ihn. Er blickte zum Fenster hoch, durch das Mondlicht in einer schrägen Bahn fiel und die Schatten der Gitter auf den Boden warf.

Mit einem Satz war er auf den Beinen. Zwei lange Schritte brachten ihn unter das Fenster.

»Ringo?«, rief er unterdrückt.

»Yeah. Dachte schon, du wachst überhaupt nicht mehr auf. He, wie holen wir dich ohne großen Aufwand aus dem Loch!«

»Wo ist Buck?«

»Bei den Gäulen!«

»Gut.«

Irgendwo in der Stadt schlug ein Hund an. Heiser und hallend erfüllte sein Bellen die Nacht.

»Zum Teufel mit dem verdammten Vieh! Hoffentlich weckt es nicht die ganze Stadt auf.«

Ein zweiter Hund stimmte in das Gekläffe ein. Ringo fluchte.

»Verdammt, Waco. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Das Gebell schwoll an.

»Kommt durch den Vordereingang!«, zischelte Waco. »Es ist nur eine Holztür. Gebt Holyman eins auf die Nuss, wenn er sich euch in den Weg zu stellen versucht.«

Mittlerweile schienen sämtliche Hunde Tascosas zu bellen.

»Beeilt euch! Heaven's, diese Mistviecher!«

»Hier, ein Colt, falls etwas schiefgeht und wir abhauen müssen. Du kannst dir gegebenenfalls den Weg damit freischießen.«

Wacos Hand spannte sich um den glatten Kolben eines 45ers. Wie auf ein Kommando wurde das Bellen leiser, verstummte, setzte aber Augenblicke darauf erneut ein, noch wilder und ungestümer als vorher.

Aus dem Office war ein berstender Krach zu hören, ein Aufschrei, dem folgte ein ersterbendes Röcheln, ein dumpfer Fall. Diese Geräusche ließen Waco das Hundegeheul ins Unterbewusstsein rücken. Fiebrige Ungeduld erfüllte ihn. Es mutete ihn an wie eine Ewigkeit.

Die Tür zum Zellentrakt flog auf, das Licht einer Laterne flutete herein und blendete ihn. Schlüssel rasselten, erst der vierte passte. Waco zersprang nahezu vor Ungeduld.

»Los jetzt!«, drängte Buck Hunter. »Nichts wie raus hier. Diese verdammten Hunde!«

Sie hasteten ins Office. Waco riss die Tür des Waffenschranks auf und angelte sich seinen Colt, gab Ringos Waffe zurück. Sie stiegen über Chris Holyman hinweg, der, mit einem langen Nachthemd bekleidet, reglos auf dem Fußboden lag und aus einer Platzwunde am Kopf blutete. Die Tür zu seiner Schlafkammer stand offen.

Im tiefen Schatten zwischen Office und Sattlerei hatte Hunter die Pferde angeleint. In den Scabbards steckten Winchestergewehre. Die Männer saßen auf, zogen die Pferde herum und gaben ihnen die Sporen.

Der Hufschlag schwoll an zum trommelnden Stakkato. Noch hundert Yards bis zum Stadtausgang. Im Osten zeigte ein fingerbreiter heller Streifen über dem Horizont den neuen Tag an. Jäh riss Waco sein Pferd zurück. Es steilte, drehte sich wie ein Kreisel. Ringo und Buck galoppierten noch einige Pferdelängen weiter. Ihnen stockte der Atem. Denn mehr als ein Dutzend Männer liefen etwa fünfzig Yards vor ihnen auf die Straße, sperrten sie ab. Auf den Metallteilen ihrer Waffen brach sich das Mondlicht.

Ungnädig rissen sie ihre Pferde herum, jagten zurück, dem westlichen Ausgang entgegen. Ein peitschender Gewehrschuss übertönte das Hufgetrappel. Sie warfen sich flach auf die Pferdehälse. Hölle! Den Ausgang nach Westen versperrte ebenfalls ein gutes Dutzend Männer.

Eine dichte Staubwolke hüllte die Reiter ein.

»In die Gasse dort!«, brüllte Waco außer sich.

Orangerot flammte es ihnen entgegen. Ringos Pferd brach wie vom Blitz gefällt zusammen, keilte noch einige Male aus und lag dann still. Ringo hatte sich mit einem mächtigen Satz auf die Beine gerettet. Er wirbelte herum, fluchte, sah Waco heranrasen und streckte ihm die Rechte entgegen. Waco erwischte sie, Ringo stieß sich ab, der Schwung des vorbeijagenden Pferdes warf ihn hoch, und er landete gewandt hinter Waco auf dem Pferderücken.

»Gebt es auf!«, brüllte ein Mann. Ein Schuss begleitete diese Worte, die Häuser warfen das Echo der Detonation zurück.

Waco zügelte sein Pferd, lachte. Das Tier unter ihm drehte sich auf der Stelle.

»Seht, dort auf den Dächern!«, schrie Buck Hunter.

Ihre Köpfe ruckten hoch. Überall auf den Dächern ringsum wuchsen schwarz und drohend Gestalten in die Höhe, zeichneten sich klar gegen den helleren Nachthimmel ab. Fünfzehn, zwanzig, fünfundzwanzig Männer. Ihre Gewehre zeigten nach unten. Eisiges Schweigen und tödliche Bereitschaft ging von ihnen aus. Waco Slade und seine Partner waren eingekesselt.

»Es ist aus«, brummte Ringo. »Aus und vorbei. Die verdammten Hunde haben uns verraten. Man sollte die Biester vergiften.«

Er sprang ab und ging vom Pferd weg. Wacos Blick wanderte über die Dächer ringsum. Er hörte überhaupt nicht hin, als Buck Hunter keuchte: »Warum ergeben wir uns nicht einfach, Waco? Solange wir leben, haben wir eine Chance.«

»Die Chance, aufgehängt zu werden. Zur Hölle damit! Lieber stehend und in den Stiefeln sterben, als mit einem Strick um den Hals zu verrecken.«

In diesem Moment begann Ringo zu pfeifen. Hell und gellend schallte es durch die Nacht. Aufrecht ging er die Straße entlang. Seine hohe Gestalt warf einen langen Schatten in den Staub.

Waco rutschte vom Pferd, zog seinen Colt, spannte ihn und folgte Ringo mit langen Schritten. So hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt. Aber es ließ sich nicht aufhalten. Er wusste es und dachte nicht länger darüber nach. Es war eben so.

Buck Hunter holte sie ein. Er hatte auch den Colt in der Faust. Mechanisch setzten sie einen Fuß vor den anderen. Leise klirrten ihre Sporen. Ringos Pfeifen ging durch und durch.

Das Sterbelied für Desperados …

Sie erreichten den freien Platz vor dem Sheriff's Office. Rücken an Rücken stellten sie sich auf, nahmen so nach drei Richtungen Front zu den sich näher schiebenden Gruppen ein.

Ein rauer Befehl ertönte, die Männer spritzten auseinander, verschwanden hinter irgendwelchen Deckungen.

Die drei Männer auf der Straße warteten. Ringos Pfeifen wurde von Ton zu Ton schriller. Die Szenerie mutete geisterhaft an.

»Werft eure Waffen weg und ergebt euch! Das ist eure letzte Chance!« Rau und schneidend hatten die Worte geklungen.

»Nutzen wir sie, zögern wir alles nur unnötig in die Länge«, knurrte Waco. »Also verschenken wir sie.«

»Na, dann los!«, zischelte Ringo.

Ihre Revolver schwangen hoch, Feuer, Rauch und Blei fuhren aus den Mündungen. Jeder ihrer Schüsse fand ein Ziel. Von einem der Dächer verschwand eine Gestalt, durchbrach ein Vorbaudach und krachte auf den Gehsteig. Ein anderer Mann schrie getroffen auf, ein dritter Mann taumelte auf die Straße und brach zusammen.

Dann brach die Hölle los. Es hörte sich an wie eine gewaltige Explosion. Aus Fenstern, Türen, von den Dächern und aus anderen gut gewählten Deckungen zuckten Mündungslichter auf die Desperados zu. Heißes Blei bohrte sich in ihre Körper, abrupt verstummte Ringos Pfeifen. Fast gleichzeitig brachen sie zusammen, fielen übereinander.

Und dann war es still. Eine Stille, die in den Ohren schmerzte nach dem mörderischen Inferno.

Männer kamen aus ihren Deckungen und umringten die Toten, starrten verbissen auf sie hinunter, ohne eine Spur von Mitleid, voll kalter Abscheu. In den bleichen Gesichtern zuckte es.

So war das eben. Pulverdampf und Blei waren ihr Gesetz, und sie hatten einen Weg beschritten, der in den Abgrund führen musste.

Da lagen sie nun, tot, zusammengeschossen. Sie waren von Anfang an eine Partnerschaft mit dem Tod eingegangen. Sie waren Partner des Todes.

Befreit atmeten die Bürger von Tascosa auf. Sie senkten die Waffen. Bitterkeit war in ihnen. Aber sie hatten ihre Stadt vor dem Terror bewahrt. Und nur das zählte, sonst nichts.


E N D E



Das gnadenlose Gesetz

Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Die Sonne stand schon weit im Westen und glühte über den fernen Graten und Zinnen der Roskruge Mountains. Ziemlich schnell krochen die Schatten über die heiße, staubige Main Street von Tucson und erreichten die Häuser auf der anderen Seite.

Sheriff Tom Jordan trat auf den Vorbau seines Office. Hart umspannten seine nervigen Hände das Geländer, das von Sonne, Wind und Regen blank geschliffen war. Aus engen Augenschlitzen starrte der Sheriff nach Westen. Sein scharfkantiges Gesicht war ausdruckslos. Um ihn herum war reges Leben. Viele Menschen bewegten sich auf den hölzernen Gehsteigen, Reiter kamen die Fahrbahn entlang, Buggies, hin und wieder ein schwereres Fuhrwerk. Tom Jordan nahm das alles nur unterbewusst wahr. Reglos stand er da, den Blick starr nach Westen gerichtet, als erwartete er aus dieser Richtung irgendetwas.

Ein Mann steuerte von der gegenüberliegenden Straßenseite schräg auf den Sternträger zu. Er trug einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd, das am Hals von einer weinroten Samtschnur zusammengehalten wurde. Auf seinem Kopf saß eine schwarze Melone. Er war wohl an die sechzig Jahre alt, und die Haare, die unter dem Hut hervorlugten, waren eisgrau. Der Ostwind trieb Staubspiralen gegen seine Stiefel und puderte sie grau.

Vor dem Vorbau blieb der Eisgraue stehen, blinzelte zu Jordan hinauf, der ihn allerdings nicht wahrzunehmen schien.

»Hallo!«, grüßte er.

Von Jordan kam keine Resonanz.

Und so wiederholte er seinen Gruß, diesmal lauter und herausfordernder.

Und nun wandte sich Tom Jordan ihm zu. »Ah, Doc«, sagte er. »Hab Sie gar nicht kommen hören.« Er versuchte ein Lächeln, doch misslang ihm dies. Und so nahm sein Gesicht wieder den ernsten Ausdruck an.

»Sie machen mir überhaupt einen recht abwesenden Eindruck in den letzten Tagen«, erwiderte der Doc und verzog den Mund. »Ich beobachte Sie. Seit einer Woche stehen Sie täglich wiederholt hier auf dem Vorbau und starren nach Westen.« Der alte Arzt nickte einige Male wie zur Bekräftigung seiner Worte. »Und ich glaube auch zu wissen, was Sie bedrückt, Tom Jordan«, fügte er dann etwas leiser hinzu.

»Dann brauche ich es Ihnen ja nicht zu erzählen«, entgegnete der Sheriff ziemlich schroff. Er hatte sich wieder umgedreht.

»Na, na, warum gleich so brummig?«, gab der Alte zurück und schüttelte den Kopf. Er bohrte mit der Stiefelspitze in den Staub. Dann fragte er lauernd: »Glauben Sie, dass Jack Dodson seinen Schwur wahr macht und zurückkehrt, um sich an Ihnen zu rächen?«

Tom Jordan presste die Lippen zusammen. Deutlich traten seine Wangenknochen hervor. »Ja«, antwortete er sehr ernst. Seine Stimme klang rau und belegt. »Er kommt. Und mit ihm seine schießwütigen Brüder. Ich erwarte sie täglich, denn die vier Jahre sind um.«

Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden Männern. Der Doc brach es, indem er sagte: »Ich an Ihrer Stelle würde nicht so viel auf solche Drohungen geben, wie sie Dodson damals bei seiner Verurteilung ausstieß, als ihn der Richter für vier Jahre nach Fort Yuma ins Zuchthaus schickte. Vier Jahre in dieser Hölle ändern einen Mann, auch einen wie Jack Dodson. Er wird die Finger von Ihnen lassen, Sheriff. Er wird sich überhaupt hüten, noch einmal seinen Fuß in diese Stadt zu setzen.«

Tom Jordan lächelte grimmig. »Da kennen Sie Dodson aber schlecht, Doc«, meinte er gedehnt. »Dieser Halunke steht zu seinem Wort. Also habe ich mich darauf eingestellt, dass er hier aufkreuzt, um mir das Tor zur Hölle aufzustoßen.«

Der Arzt kaute auf seiner Unterlippe herum. »Warum mobilisieren Sie nicht die Bürgerwehr?«, fragte er schließlich. »Ein Dutzend Gewehre würden genügen, um den Schuften einen heißen Empfang zu bereiten.«

Jordan winkte ab. »Von dieser Stadt kann ich gegen Kerle wie die Dodsons keine Hilfe erwarten«, erklärte er düster. »Und ich erwarte sie auch nicht. Es ist meine ganz persönliche Angelegenheit.«

»Nein.« Der Doc schüttelte den Kopf. »So sehe ich das nicht. Sie verkörpern hier das Gesetz, Sheriff. Und dem Gesetz hat Dodson blutige Rache geschworen. Sie sind zu stolz, die Bürger um Hilfe anzugehen, das ist es. Aber es ist eine falsche Art von Stolz.«

Jordan zuckte mit den Achseln. »Meine beiden Deputies werden mir den Rücken freihalten, Doc. Ich will nicht, dass irgendein Mensch in dieser Stadt gefährdet wird. Ich kann doch gegen dieses mörderische Trio niemand ins Feld schicken, der keinerlei Kampferfahrung hat. Oder wissen Sie einen Mann in Tucson, der es mit ihnen aufnehmen könnte?«

»Verdammt, nein.«

»Na also.«

»Sie wollen den Schuften doch nicht offen entgegentreten, wenn sie …«

»Ich lasse es auf mich zukommen«, unterbrach Jordan den Doc. »Ort und Zeitpunkt werden allerdings die Halunken bestimmen.«

Damit war das Gespräch beendet. Tom Jordan tippte lässig gegen die Krempe seines Stetsons und ging in sein Office.


*


Die Lichter der Stadt tauchten vor den vier Reitern in der Dunkelheit auf. Ringsum dehnte sich ödes, von der Sonne ausgebranntes Land; Hügelketten, sandige Ebenen, Arroyos und steinige Senken. Unter den Hufen der Pferde raschelte das harte Galleta Gras. Der Weg der vier war gesäumt von Dornengestrüpp, Kreosot- und Mesquitebüschen.

Ein karges, schweigendes Land, das erfüllt war vom Wispern des Windes. Ein Land, in dem das Verhängnis überall lauern konnte und der Tod allgegenwärtig war.

Nach einer halben Stunde passierten die Reiter die ersten Häuser und Hütten von Tucson.

Es ging auf Mitternacht zu. In den Behausungen der Bürger waren die Lichter längst erloschen. Nur in den Vergnügungsbetrieben war noch der Teufel los. Aus den riesigen, mit großen Lettern beschrifteten Fenstern fiel in breiten Bahnen das Licht auf die Gehsteige und in die Straße. Raue Männerstimmen schwangen ineinander und vermischten sich. Dazwischen ertönte immer wieder das helle Lachen von Frauen. Unterstrichen wurde das alles vom Hämmern der Orchestrions.

Eine wilde Stadt voller Laster und Sünden, in der es brodelte und gährte wie in einem Vulkan. Hier war man auf der Jagd nach Dollars, auf diese oder jene Weise. Gegolten hatte hier immer nur das Recht des Stärkeren. Egal, ob dieser gut oder schlecht war. So jedenfalls hatte Jack Dodson Tucson in Erinnerung.

Er ritt ein Stück vor seinen beiden Brüdern und jenem Burschen, der sie begleitete, als sie ihn in Yuma abholten. Sein Name war Wy Hastings. Ein Hombre, dem die Niederträchtigkeit ins Gesicht geschrieben stand.

Jack Dodsons flackernder Blick schnellte über die Straße, ließ den Banditen alles erfassen und in sich aufnehmen. Genugtuung wühlte in ihm, aber auch Hass. Er wütete tief in seinem Innern. Grenzenloser Hass auf einen Mann, der ihn vier Jahre seines Lebens gekostet hatte.

Tom Jordan.

Jack Dodson lenkte sein Pferd zum größten Saloon der Stadt, dem Last Chance Inn. Am Holm stand ein gutes Dutzend Pferde. Aus dem Saloon drang Höllenlärm auf die Straße. Seine Begleiter schlossen auf. Gleichzeitig saßen sie ab.

»Diese Atmosphäre habe ich vier Jahre lang missen müssen«, erklärte Jack Dodson heiser und begierig. »Also werden wir gleich den Teufel aus dem Sack lassen. Und dann holen wir uns Jordan, dieses Stinktier.«

Die anderen lachten. Sie schlangen die Zügel um den Hitchrack, dann stiegen sie die wenigen Stufen zum Vorbau empor. Tabakqualm quoll über die grün gestrichene Pendeltür ins Freie. Jack Dodson stieß die Türflügel auseinander und betrat den Saloon. Die drei anderen drängten ihm nach.

Rauchschwaden hingen unter der Decke und wogten um die Lampen. Es roch nach Bier und Brandy, nach Schweiß und dem Parfüm der Animiermädchen. Betrunkene torkelten zwischen den Tischen, lachten und grölten und hielten ihre Schnapsgläser fest in der Hand wie ein besonders wertvolles Gut. An vielen Tischen unterhielten grell geschminkte Mädchen die Gäste, hier und dort fand eine Pokerpartie statt. Die Spieler starrten unbewegt auf ihre Karten und schoben ohne große Worte ihre Einsätze in die Tischmitte. Von irgendwo kam ein derber Fluch.

Dodson und seine Gefährten wurden kaum beachtet. Sie bahnten sich einen Weg zur Theke und verschafften sich dort ohne viel Federlesens Platz. Ein Mann wollte aufbegehren, schwieg aber nach einem Blick in Dodsons stechende Augen, die deutlich werden ließen, dass er keiner Herausforderung aus dem Weg ging.

Nebeneinander bauten die vier sich am Schanktisch auf. Einer der Keeper wandte sich ihnen zu, um sie nach ihrer Bestellung zu fragen - und erstarrte. Fahle Blässe überzog unvermittelt sein Gesicht.

»Du, Dodson?«, ächzte er. »Bei Gott …«

Jack Dodson grinste. »Ja, Curly, ich. Die Hölle hat mich wieder ausgespuckt. Doch jetzt klapp deinen Mund wieder zu und gib uns eine Flasche und vier Gläser.«

Curlys Blick wanderte von einem zum anderen. Er sah ihre stoppelbärtigen Gesichter, den Staub und den eingetrockneten Schweiß auf ihrer Haut und die Gnadenlosigkeit in ihren Augen. Curly schluckte trocken. Dann aber beeilte er sich, sie zu bedienen. Mit flatternden Händen schenkte er ihre Gläser voll.

»Tom Jordan trägt doch noch den Stern in diesem lausigen Nest, wie?«, fragte Jack Dodson ohne jede Einleitung. Erwartungsvoll, lauernd fixierte er Curly, den Keeper.

Der zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Dann aber nickte er wie unter einem inneren Zwang. »Ja, natürlich«, krächzte er. »Einen besseren Sheriff werden wir wohl nicht mehr bekommen.«

Dodson lachte spöttisch auf. »Ihr werdet euch aber nach einem anderen Sternschlepper umsehen müssen, Curly.« Er klatschte seine flache Hand gegen das Halfter an seinem rechten Oberschenkel. »Wir werden euren sauberen Sheriff nämlich in die Hölle schicken.« Er hatte es gerade so laut gesprochen, dass Curly ihn verstehen konnte. »Vorher aber wollen wir meine Rückkehr ins Leben begießen, mein Freund. Weißt du, was es für einen Mann heißt, vier Jahre in Yuma begraben zu sein? Nein, Curly, du kannst es wahrscheinlich nicht einmal erahnen. In der Hölle ist es gewiss angenehmer als in Yuma.« Jack Dodson nahm sein Glas und hob es. »Cheerio«, stieß er hervor, dann kippte er den Inhalt mit einem Ruck hinunter. Die scharfe Flüssigkeit brannte in seinem Kehlkopf und trieb ihm das Wasser in die Augen. »Trinkt, Leute«, knurrte er. »Das soll nämlich eine Freudenfeier werden, keine Trauerfeier.«

»Sollten wir damit nicht warten, bis Jordan ins Gras gebissen hat?«, ließ sich Hank Dodson vernehmen. Er war der vernünftigste der drei Brüder, aber nicht minder skrupellos und bösartig wie Jack und Ed. Seine Besonnenheit machte ihn höchstens noch gefährlicher.

»Warum warten?«, tat Jack seinen Einwand ab. »Jordan hat gegen uns nichts in der Hand. Lassen wir ihn doch ein wenig schmoren.«

»Er wird nicht warten, bis wir über ihn kommen.«

»Solange wir nicht unsere Kanonen auf ihn richten, ist er machtlos. Ich habe meine Strafe bis auf den letzten Tag verbüßt. Gegen euch liegt nichts vor in Arizona. Wir sind also unbescholtene Bürger in einem freien Land. Das bindet Jordan die Hände. Wenn er sich auch fühlen mag wie eine in die Enge getriebene Ratte. Ich will, dass ihn die Angst zerfrisst. Er soll keine ruhige Minute mehr haben, bis wir ihn — sagen wir — erlösen.«

Ein gemeines Grinsen bahnte sich in die ausgemergelten Züge des ehemaligen Sträfling, der einen Trail des Hasses und der blutigen Rache ritt.


*


Tom Jordan kehrte von seinem letzten Rundgang für diese Nacht zurück. Das Office lag im Dunkeln. Der Lärm aus den Saloons drang nur noch schwach an seine Ohren. Die verworrenen Stimmen muteten an wie das ferne Gemurmel eines Flusses. Sie verstummten völlig, als der Sheriff die Tür hinter sich zuzog. Eine mit den Augen nicht zu durchdringende Finsternis umgab ihn. Aber Jordan erreichte sicher den Schreibtisch. Er riss ein Streichholz an, nahm den Zylinder von der Lampe und hielt die Flamme an den Docht. Die Flamme rußte und flackerte, dann aber brannte sie ruhig und Jordan stürzte den Zylinder wieder darüber. Helligkeit breitete sich im Raum aus. Das Streichholz warf er in den Aschenbecher, in dem Duffys Zigarrenstummel lagen. Der Alte lag wohl in einer der Zellen und schlief den Schlaf des Gerechten.

Auch Jordan war müde. Er öffnete die Schnalle seines Revolvergurts und warf ihn auf den Schreibtisch. Es polterte dumpf. In diesem Moment ertönten vom Gehsteig schnelle, tackende Schritte. Gleich darauf wurde die Tür aufgestoßen. Ein kühler Luftzug wehte herein.

Jordan hatte blitzschnell reagiert. Und der Ankömmling prallte zurück, als er den schweren Colt des Gesetzeshüters auf sich gerichtet sah. Der Daumen Jordans lag quer über der Hammerplatte. Aber die Anspannung fiel von Jordan ab, als er den Mann erkannte.

»Du, Curly?«, fragte er überrascht. »Gibt es Ärger?« Jordan senkte die Hand mit dem Revolver.

Curly keuchte. Sein Kopf war von der Anstrengung des Laufens gerötet. »Ärger, Sheriff?«, entgegnete er laut und hastig zwischen zwei tiefen Atemzügen. »Es stinkt zum Himmel! Sie sollten sich setzen, bevor ich Ihnen sage, wer bei mir an der Theke steht und Whisky säuft.«

Jordans Miene verhärtete sich. In seine Mundwinkel kerbten sich zwei Falten. »Ich kann es mir denken, Curly«, murmelte er düster. »Es sind die Dodsons, nicht wahr?«

Curly nickte erregt. Fahrig knetete er seine Hände. »Die Dodsons und ein vierter Kerl, der den dreien an Gemeinheit in nichts nachstehen wird. Ich kenne diese Sorte. Die vier haben nur ein Ziel, Sheriff. Nämlich …«

»… mich zum Teufel zu schicken«, vollendete Jordan Curlys Satz.

»So ist es«, bestätigte Curly mit zittriger Stimme.

Aus dem Zellentrakt drangen schlurfende Schritte und unmutiges Gebrabbel. Die Tür ging auf und Duffy trat ins Licht. Bart und Kopfhaare waren zerzaust, Duffys Kleidung war zerknittert. Schlaftrunken rieb er sich die Augen, dann krächzte er wie ein kranker Rabe: »Bei allen neunundneunzig geschwänzten Teufeln, was für ein hirnrissiger Idiot …« Er verstummte, als er Tom Jordans verkniffenen Gesichtsausdruck wahrnahm, in dem sich alles widerspiegelte, was in dem Sheriff vorging, Duffy schaute auf Curly, und seine Stirn legte sich in Falten. »Verdammt, Curly, warum veranstaltest du einen derartigen Höllenlärm, dass davon ein toter Indsmen wieder zum Leben erweckt werden würde?«

Curly zog den Kopf zwischen die schmalen Schultern und stieß heiser hervor: »Die Dodsons sind eingetroffen. Sie haben es auf den Sheriff abgesehen.«

Duffy war erstarrt. Und er benötigte eine ganze Weile, um diese Nachricht zu verarbeiten. Dann atmete er rasselnd aus. »Heiliger Rauch«, knurrte er. Er wandte sich Tom Jordan zu, schniefte vernehmbar und fuhr fort: »Die Hundesöhne haben nicht lange auf sich warten lassen, wie? Wahrscheinlich sind sie von Fort Yuma aus schnurstracks nach Tucson geritten. Was gedenkst du gegen sie zu unternehmen, Tom?«

»Ich weiß es nicht«, gab Jordan zu. »Ich weiß es wirklich nicht, Duffy. Seit vier Jahren bereite ich mich auf diesen Tag vor, und nun stehe ich da wie ein begossener Pudel. Tausendmal habe ich es mir zurechtgelegt, wie ich den Kerlen gegenübertrete, wenn sie auftauchen, um mir das Fell über die Ohren zu ziehen. Und jetzt habe ich keine Ahnung, wie ich mich verhalten soll.«

Tom Jordan war ratlos. Und er war verzweifelt. Sein Alptraum war wahr geworden. Und er spürte, wie ein Gefühl von Beklemmung in ihn hineinkroch. Gewaltsam unterdrückte er diese aufkommende Empfindung. Er gab sich einen Ruck. »Ich werde die Kerle beobachten und abwarten. Mehr kann ich im Augenblick nicht tun. Ich werde sie auf Schritt und Tritt überwachen, und wenn sie den Reigen eröffnen, bin ich bereit.«

»Ich muss zurück in den Saloon«, mischte sich der Keeper ein. »Die vier Halsabschneider sollen nicht merken, dass ich verschwunden bin, um Sie zu warnen, Sheriff. Ich habe nämlich keine Lust, Opfer der wechselvollen und unberechenbaren Stimmung Jack Dodsons zu werden «

»Geh nur, Curly«, erwiderte Jordan.

Curly verschwand.

»Wir müssen diese Sattelstrolche aus der Stadt jagen«, forderte Duffy. »Alles andere wäre ein Witz. Willst du ruhig hier sitzen und zusehen, wie sie mit dir Katz und Maus spielen, he? Da mache ich nicht mit. Ich schnalle jetzt meine Kanone um und gehe in den Last Chance Inn, um ihnen ein paar Takte zu flüstern.« In seinen Augen blitzte es auf. Er wirbelte um seine Achse, um aus dem Zellenanbau seine Waffe zu holen, aber Jordans Stimme hielt ihn zurück.

»Das wirst du schön bleiben lassen, Duffy!«, rief der Sheriff barsch. »Wenn einer in den Last Chance geht, dann bin ich das. Für mich braucht keiner die Kastanien aus dem Feuer zu holen.«

Tom Jordan hatte seine alte Sicherheit zurückgewonnen. Er hatte die aufkeimende Furcht überwunden. Kalte Gelassenheit hatte von ihm Besitz ergriffen.

In Duffys Bartgestrüpp geriet Bewegung, als er erregt antwortete: »Ohne Rückendeckung setzt du auf keinen Fall einen Fuß in diese Lasterhöhle, Tom. Wenn du mich schon nicht allein hinübergehen lässt, dann hast du mich eben im Schlepptau. Du wirst einen brauchen, der dir den Rücken deckt. Oder glaubst du allen Ernstes, dass in diesen Burschen auch nur ein Hauch von Anstand und Fairness steckt? Das Wort Ehrenkodex ist dieser Spezies fremd. Diese Bluthunde werden dich in die Zange nehmen und abknallen wie einen Hasen. Außerdem bin ich dein Deputy. Und ich sehe nicht tatenlos zu, wie sie dir die Haut streifenweise abziehen. Verstanden?«

Ein Gefühl der Dankbarkeit durchströmte Jordan. Er überlegte nicht lange. »Okay, Alter. Ich kenne deinen sturen Schädel. Also komm mit. Nimm die Shotgun. Sie wird den Kerlen Respekt einflößen.«

Fünf Minuten später traten sie auf die Straße. Tom trug in der linken Armbeuge eine Winchester, Duffy eine doppelläufige Parkergun. Ein harter Gang, an dessen Ende der schnelle Tod durch heißes Blei stehen konnte. Jordan gab sich keinen Illusionen hin. Die Entschlossenheit eines Mannes, der die Entscheidung suchte, ging von ihm aus. Bei jedem seiner Schritte streifte sein Handgelenk den Revolverknauf. Eine Berührung, die ihm seine Stärke bewusst werden ließ und ihm Sicherheit verlieh. Tom Jordan war ein Kämpfer. Dieses Naturell war ihm schon in die Wiege gelegt worden. Ein Fighter konnte man nicht werden, ein Fighter musste man sein.

Seine Absätze mahlten durch den Staub. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Duffy wieselte neben ihm her. Er war mehr als einen Kopf kleiner als Jordan und konnte kaum mit diesem Schritt halten.

Sie erreichten den Last Chance Inn. Der Lärm des Barbetriebs brandete ihnen entgegen. Tabak- und Schnapsgeruch trieben über die Pendeltür ins Freie. Die Vorbaubretter knarrten unter dem Gewicht der beiden Männer.

Plötzlich ertönte eine gedämpfte Stimme aus der Dunkelheit, die unter dem Vorbaudach herrschte: »Du solltest nicht hineingehen, Tom!«

Jordan, der gerade im Begriff gewesen war, die Schwingtür aufzustoßen, ruckte herum. Unwillkürlich legte sich sein Finger fester um den Abzug der Winchester. Duffy prallte gegen ihn und zerbiss eine Verwünschung.

Aber von der Person, die gesprochen hatte, drohte keinerlei Gefahr.

»Du, Cora?«, entrang es sich Jordan verdutzt.

Er konnte ihre schmale Gestalt nur als schattenhaften Umriss in der Dunkelheit an der Schmalseite des Vorbaus ausmachen. Sie löste sich aus der Finsternis, trat in die Lichtbahn des großen Frontfensters, und er konnte Kummer und Sorge in ihren ebenmäßigen, hübschen Zügen erkennen. Sie kam ganz dicht heran und schaute hinauf in sein verschlossenes Gesicht.

Jordans Haltung entspannte sich, seine Überraschung verschwand. »Heavens, Cora, was treibt du hier um diese Zeit?« Sein Arm streifte sie.

»Das fragst du?«, antwortete sie leise, mit etwas rauchiger Stimme. »Außerdem ist es als Besitzerin dieses Etablissements mein gutes Recht, mich um diese Zeit hier aufzuhalten.«

»Gewiss, aber …«

Sie ließ ihn nicht ausreden. »Geh nicht hinein, Tom!«, sagte sie eindringlich und beschwörend. »Die Dodsons wollen dich töten. Sie machen kein Hehl daraus. Und wenn du dich jetzt da hineinbegibst, kommst du nicht mehr lebend heraus.«

Er starrte in ihr Gesicht und nahm jede Einzelheit darin in sich auf. Ja, er liebte diese Frau. Von ganzem Herzen. Und sie erwiderte seine Gefühle. Irgendwann wollten sie heiraten. Das war beschlossene Sache.

Unschlüssig zog Jordan seine Unterlippe zwischen die Zähne. Dann sagte er: »Ich muss mich den Dodsons stellen, Cora. Die Sache muss aus der Welt geschaffen werden. Nur wenn ich ihnen in den Weg trete, habe ich eine reelle Chance. Ich kann es mir nicht leisten, darauf zu warten, dass sie mich zermürben und schließlich als Nervenbündel vor ihre Kanonen holen.«

Sie seufzte. »Ich ahnte es. Nachdem Curly zurückkam und mich informierte, begann ich hier auf dich zu warten. Und ich sagte mir die ganze Zeit über, dass es umsonst sein würde.« Sie senkte den Kopf, und bitter fuhr sie fort: »Ein Tom Jordan geht eben seinen Weg, auf Biegen oder Brechen und ohne Rücksicht auf Verluste. Ein Tom Jordan ist lieber ein toter Held als ein lebendiger Feigling. Geh nur hinein und lass dich erschießen. Mach dir nichts draus, wenn sie dich töten. Schließlich wirst du als mutiger, aufrechter Kämpfer für Recht und Ordnung sterben, und das Gesetz wird es dir sicher danken, weil du dich ihm aufgeopfert hast.«

»Verdammt, Cora, rede kein dummes Zeug!«, herrschte er sie an.

»Dummes Zeug!«, rief sie schrill. »Nur weil ich nicht will, dass dir etwas zustößt? Begreif das doch. Du weißt, wie ich zu dir stehe. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie dich …«

Jordan legte ihr die rechte Hand auf die Schulter. Es sollte eine beruhigende, besänftigende Geste sein. »Keine Sorge, Cora«, flüsterte er rau. »Duffy ist bei mir. Der beste Gehilfe, den sich ein Mann nur wünschen kann. Er hat mir zigmal den Rücken freigehalten. Er ist so etwas wie meine Lebensversicherung.«

Der Sheriff war von seinen Worten selbst nicht überzeugt. Aber er ließ es sich nicht anmerken.

Abrupt wandte Cora ihm den Rücken zu und schüttelte so seine Hand ab. Kraftlos sank sie herab. Gelbes Licht aus dem Saloon floss über Coras wellige, halblange Haare und ließ sie schimmern wie reifen Weizen.

Tief sog Jordan die Luft in seine Lungen. Es gab kein Zurück.

»Gehen wir!«, stieß er hart zwischen den Zähnen hervor.


*


Der Sheriff stieß die Tür auf und trat ein, dicht gefolgt von Duffy. Dieser glitt sofort zur Seite und postierte sich an der Wand.

Im Schankraum ging es nicht mehr so hoch her wie beim Eintreffen der Dodsons, aber die Stimmung war immer noch ausgelassen und teilweise überschwappend.

Jack Dodson führte an der Theke das große Wort. Alte Bekannte von ihm hatten sich eingefunden und wollten genau wissen, wie es ihm in Fort Yuma ergangen war.

Dodson wurde nicht müde, es wieder und wieder zu erzählen, in den schillerndsten Farben die Hölle zu beschreiben, die ein Mann in Yuma durchmachte. Er war eben krankhaft geltungssüchtig, überdies schürte er mit seinen Beschreibungen seinen unbändigen Hass auf den Mann, dem er diese Hölle zu verdanken hatte. Und nun stand dieser Mann vor der Tür. Groß, hager, sehnig, mit versteinertem Gesicht.

Nach und nach verebbten im Schankraum die Geräusche. Beinahe eine Minute lang war es still wie in einer Gruft. Dann aber ging ein Murmeln und Flüstern durch den Raum, das aber sogleich wieder verstummte.

Die stechenden Blicke der Banditen tasteten Jordan ab. Jack Dodson drehte sein Whiskyglas in der Hand. Plötzlich setzte er es hart auf den Tresen und trat einen Schritt vor. Sein Gesicht war hassverzerrt.

»Jordan!«, zischte er mit rauer Stimme. Er duckte sich ein wenig, seine Hand stahl sich zum Coltkolben.

Seine Brüder und Wy Hastings schoben sich zur Seite und nahmen drohende Front zu Jordan ein. Gäste und Animiermädchen flüchteten hastig aus der Schusslinie zwischen den Parteien.

Tödliche Bereitschaft ging von den vier Outlaws aus. Jack Dodson stierte den Sheriff durchdringend an. Seine Augen waren vom genossenen Alkohol gerötet und wässrig.

»Yeah, Dodson, ich!«, peitschte Jordans Stimme durch den Inn. »Hast du angenommen, dass ich mich vor dir und deinem Anhang verstecke?«

Dodson schürzte die Lippen. »Das könntest du gar nicht, Jordan. Ich würde dich finden, und sei es am Ende der Welt.« Dodson äugte zu Duffy hin. Grimmig schaute der Oldtimer drein. Die Shotgun in seiner Armbeuge bedrohte die Outlaws, wies aber auf keinen bestimmten von ihnen. Ein böses, tückisches Schillern war in die Augen Jack Dodsons getreten. »Vier Jahre, Jordan, vier Jahre habe ich diesen Tag, habe ich diese Stunde herbeigesehnt.« Dodsons Stimme hatte den Klang zerspringenden Glases. »Ich habe dir Vergeltung geschworen, damals, vor vier Jahren. Und nun werde ich dich die Hölle von Yuma bezahlen lassen.« Die Haltung des Banditen hatte sich, während er sprach, gelockert.

»Dann fang an, Dodson!«, konterte der Sheriff furchtlos und unerschrocken.

Jack Dodson hob ironisch die Oberlippe. »Du baust wohl auf den alten Duffy? Hat der überhaupt noch so viel Kraft, um die Flinte länger als fünf Minuten im Anschlag zu halten?«

»Das wirst du erleben, Hundesohn, wenn du dich zu einer Bewegung hinreißen lässt, die mir nicht gefällt!«, rief Duffy gallig. Die Doppelmündung der Parker wies dabei auf Jack Dodsons Bauch.

Der maß Jordan von oben bis unten. »Duffy kann dich nicht retten, Sheriff.«

»Das mag schon sein«, keifte Duffy. »Aber es ändert nichts daran, dass du als erster mein gehacktes Blei in den Wanst kriegst.«

Dodsons Seitenblick traf seine Brüder, dann Wy Hastings. Sie standen lauernd abwartend da und fixierten Jordan kalt. Dann musterte er wieder den Sheriff. Die Feindschaft, die er verströmte, berührte diesen wie ein fauliger Atem. »Ich habe Zeit mit meiner Rache, Sternschlepper.« Grollend und gedehnt kam es über Dodsons spröde Lippen.

Jordan schüttelte den Kopf. »Du hast keine Zeit, Amigo. Denn ihr vier Strolche werdet noch in dieser Stunde Tucson verlassen. Eure Sorte ist hier nicht erwünscht.«

»Du hast keine Handhabe, uns aus der Stadt zu jagen. Dass du um dein lausiges Leben zitterst, ist nicht Grund genug.«

»Ein Grund ließe sich finden.«

»Den musst du dir aber aus den Fingern saugen.« Ein hämisches Grinsen zerpflügte das Gesicht des Outlaws. »Allerdings wäre es gegen Gesetz und Recht. Und das weißt du sehr genau, Amigo.«

»Das Recht verleiht mir der Stern.«

»Auf den pfeife ich. Er ist nicht mehr wert als der Mann, der ihn trägt.«

Darauf antwortete Jordan nichts.

Fast gemächlich verschränkte Jack Dodson die Arme vor der Brust, als wollte er so dokumentieren, dass er den Zeitpunkt für einen Kampf noch nicht für gekommen hielt. Er legte den Kopf schief und meinte: »Wir lassen uns von dir nicht vertreiben, Jordan. Du musst dich schon damit abfinden, dass wir hier sind und hier bleiben, bis wir es für richtig halten, wieder zu verschwinden. Das werden wir, wenn erledigt ist, was wir uns vorgenommen haben.«

In Jordans Gesicht zuckte es flüchtig. Er hatte Mühe, seine düsteren Gedanken hinter einer nichts sagenden Miene zu verbergen.

»All right, Dodson. Ich habe es nicht nötig, mich hinter der Autorität des Abzeichens an meiner Brust zu verstecken. Bleibt von mir aus, aber geht mir aus dem Weg. Das ist eine Warnung. Nehmt sie euch zu Herzen. Und verhaltet euch ruhig. Radaubrüder wandern hier ins Gefängnis.«

Jack Dodson verzog höhnisch den Mund. Seine Augenbrauen hoben sich. Belustigt rief er: »Danke, Sheriff, für den gut gemeinten Ratschlag und die Warnung. Allerdings klingt das alles ziemlich lächerlich aus dem Mund eines Mannes, der die Hosen gestrichen voll hat. Außerdem glaube ich nicht, dass wir uns davon beeindrucken lassen.«

Jordan hob die Schultern, ließ sie wieder sinken. »Das ist euer Problem. Aber ich versichere dir, dass ich euch gehörig auf die Zehen treten werde, wenn ihr mir einen Grund dazu bietet.«

Jordan machte kehrt und ging zur Tür. Ihm entging nicht der verblüffte Blick Duffys, dem sein Verhalten nicht einleuchtete.

»Verdammt!«, maulte der Oldtimer und starrte Jordan ungläubig an. »Willst du …«

Weiter kam er nicht.

Jack Dodson hatte nur darauf gelauert, dass der Alte seine Aufmerksamkeit von ihm nahm. Seine Rechte stieß nach unten, umfasste den Coltknauf. Seine Brüder und Wy Hastings sahen es und handelten ebenfalls, blitzschnell, ohne zu zögern.

Die Eisen schwangen hoch. Ein Aufstöhnen ging durch den Saloon, in das hinein die Schüsse krachten. Feuer, Rauch und Blei stießen aus den Mündungen, und die Projektile fanden ihr Ziel. Die Schüsse verdichteten sich zu einem einzigen, berstenden Knall, der von den Wänden zurückgeworfen wurde und den Saloon in seinen Fundamenten geradezu erbeben ließ.

Jordan erhielt einen derben Schlag in den Rücken und wurde durch die Pendeltür nach draußen gestoßen. Ein Feuerball explodierte vor seinen Augen, er erhielt noch einen zweiten fürchterlichen Schlag, dann versank alles um ihn herum. Er spürte nicht mehr, wie er hart mit dem Gesicht auf die Dielen des Vorbaues prallte, hörte nicht mehr den verzweifelten Aufschrei Coras, die über die Tür hinweg alles beobachtet und die die Angst nahezu zerfressen hatte, vernahm nicht die Detonation der Schüsse, die Duffy von den Beinen fegten.

Tom Jordan wurde niemals mehr etwas spüren oder hören. Denn als er auf den Vorbau schlug, war er bereits tot.

Und im Saloon starb Duffy, von mehreren Kugeln getroffen. Er hatte nicht einmal mehr Gelegenheit gehabt, den Stecher der Shotgun durchzuziehen.

Zwei Gesetzeshüter waren gestorben, sie waren skrupellos und meuchlings ermordet worden. Ihr Blut klebte an den Händen brutaler Killer. Sie hatten dem ungeschriebenen Gesetz dieses wilden Landes, nach dem nur der Gewissenlose und Unerbittliche überlebte, auf schrecklichste Art und Weise Geltung verschafft.


*


Das Pferd ging mit hängendem Kopf. Müde setzte es einen Huf vor den anderen. Der Reiter saß zusammengesunken im Sattel. Sein braungebranntes, hohlwangiges Gesicht ließ auf die Strapazen eines langen Trails schließen.

Unbarmherzig brannte die Sonne vom ungetrübten Himmel. Pferd und Reiter waren über und über mit Staub bedeckt. Er rieb unter der Kleidung und knirschte zwischen den Zähnen.

Ringsum dehnte sich verbranntes, ausgedörrtes Land, karg und öde, mit Tausenden von Felsklötzen, Kakteen und Comas, so weit das Auge reichte. Lediglich in rauchiger Feme zeichneten sich schemenhaft die Konturen einer Bergkette ab. Der Mann hielt sein Pferd an, hakte die Wasserflasche vom Sattel, schraubte sie auf und trank einen Schluck. Dann füllte er etwas Wasser in die Krone seines Stetson und ließ vom Sattel aus sein Pferd saufen.

Das Wasser schmeckte schal und brackig, dennoch belebte es. Der Reiter stülpte sich den Hut wieder auf den Kopf und prüfte den Stand der Sonne. Sie hatte ihren Zenit bereits überschritten.

Vor dem Blick des Mannes wand sich der Weg wie eine endlose graue Schlange. Er befand sich auf der alten Poststraße, die von El Paso durch New Mexico über den Apache-Pass nach Tucson und von dort über Maricopa Wells und Yuma nach Kalifornien führte.

Tucson war sein Ziel. Irgendwo an dieser Straße lag die Stadt.

Mit einem Zungenschnalzen trieb er das Pferd wieder an. Es schnaubte unwillig. Unmutig trottete der Braune dahin. Die Zeit schien für den Reiter stillzustehen. Hunderte von Meilen in sengender Hitze und treibendem Staub lagen schon hinter ihm. Wie viele noch vor ihm lagen, wusste er nicht genau. Aber als sich von Osten her die Abenddämmerung über das Land schob, erreichte er sein Ziel. Er erkundige sich bei einem Passanten nach dem Mietstall und lenkte sein Pferd in die angegebene Richtung.

Stickige Luft, vermischt mit dem Geruch von Stroh und Pferdeausdünstung, schlug ihm entgegen. Er nahm die Füße aus den Steigbügeln, hob sein rechtes Bein über das Sattelhorn und ließ sich zu Boden gleiten. Auf steifen Beinen stakste er in den Stall, das Pferd am Zügel hinter sich her ziehend. Es war düster hier drinnen, und es dauerte einige Zeit, bis sich seine Augen an die herrschenden Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.

Aus einer der Boxen trat der Stallmann, ein Junge noch, der wohl erst dem Knabenalter entwachsen war.

Der Fremde reichte ihm die Zügel und klopfte sich dann den Staub aus der Kleidung, der ihn eine Zeitlang einhüllte wie eine Wolke, sich dann aber langsam senkte.

Aus entzündeten Augen sah der große, hagere Mann den Jungen an. »Versorge ihn gut, mein Freund. Und lass ihn anfangs nur ganz vorsichtig saufen. Er ist der beste und treueste Gaul, den ich je besaß. Und ich will nicht, dass er durch falsche Behandlung kaputtgemacht wird.«

Der Junge tätschelte den Hals des Tieres. Es schnaubte und spielte mit den Ohren. »Yeah, Mister, wirklich ein gutes Pferd. Man sieht es ihm an, selbst jetzt, wo es ausgemergelt ist und am Ende zu sein scheint.« Der Junge betrachtete den Fremden aufmerksamer. »Sie sehen aber auch nicht besser aus als der Hengst. Auch Sie haben gute Versorgung nötig. Ihnen werde ich allerdings nicht helfen können.«

Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Fremden. Dann machte er sich daran, die Satteltaschen abzuschnallen. Er warf sie sich über die Schulter und zog seine Winchester aus dem Scabbard. Als er zum Gehen ansetzen wollte, fragte der Junge: »Bleiben Sie länger, Stranger?«

Der drehte den Kopf und schaute den Stallboy über die Schulter an. »Ich weiß es nicht. Vielleicht einen Tag oder eine Woche, vielleicht auch immer. Warum fragst du?«

Der Halbwüchsige zuckte mit den Achseln, »Nur so. Ich frage jeden Fremden danach. Eine Angewohnheit.«

»Nun, dann weißt du ja Bescheid.«

»Wollen Sie mir Ihren Namen nennen, Mister?«

Der Fremde verdrehte die Augen. »Du scheinst mir ja ein mächtig neugieriges Bürschchen zu sein«, entgegnete er nicht unfreundlich.

»Man muss doch schließlich wissen, wessen Gaul man pflegt.«

»Ich merke schon, du gehörst zu den Hartnäckigen. Also gut. Mein Name ist Kelly.«

»Und wie heißen Sie sonst noch?«

»Nur Kelly. Das muss dir genügen, mein Junge.« Und mit dem letzten Wort marschierte der Fremde davon. Er mietete sich im erstbesten Hotel ein Zimmer, badete und rasierte sich, zog saubere Unterwäsche und ein frisches Hemd an, dann fragte er an der Rezeption nach Sheriff Tom Jordan.

»Jordan?« Der Owner riss Mund und Augen auf. »Den gibt es hier nicht mehr«, stieß er dann hervor.

Kellys Brauen schoben sich zusammen. »Was heißt das?«

Der Mann hinter der Rezeption starrte ihn misstrauisch an, dann knurrte er: »Wenn Sie auch gekommen sind, um Jordan das Lebenslicht auszublasen, dann sind Sie eine Woche zu spät dran. Die Dodsons waren schneller als Sie.«

Kellys Züge veränderten sich, sie wurden hart und kantig. Die Bräune wich einer fahlen Blässe. »Werden Sie deutlicher, Mann!«, knirschte er und beugte sich vor. Sein lodernder Blick hatte sich am Gesicht des Owners festgesaugt.

»Im Laufe der vergangenen Jahre sind immer wieder Kerle in Tucson aufgetaucht, die sich mit Tom Jordan messen wollten«, gab der Owner zu verstehen. »Er hatte sich einen Ruf als Gunman erworben, der weit über die Grenzen der Stadt hinausgedrungen ist.«

»Das meine ich nicht. Was hat es mit diesen Dodsons auf sich?«

»Nun, die Dodsons und ein vierter Mann haben Sheriff Jordan und einen seiner Deputys vor einer Woche im Last Chance Inn zusammengeknallt wie Vieh. Sie ließen ihnen keine Chance. Wenn Sie zu Jordan wollen, müssen Sie sich schon auf den Boothill begeben.«

Kelly schloss sekundenlang die Augen. Nur langsam kehrte wieder die Farbe in sein Gesicht zurück. »Ich bin wohl tatsächlich zu spät gekommen«, flüsterte er, und seine Wangenknochen mahlten.

»So ist das«, murmelte der Owner. »Jordan hat Jack Dodson vor vier Jahren ins Zuchthaus gebracht, und nun hat es der Bandit ihm blutig vergolten. Jordan starb an zwei Kugeln, die ihn in den Rücken trafen. Und kein Hahn kräht mehr nach ihm.«

Kellys Gesicht straffte sich. »Danke.« Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Hotel.

In der Zwischenzeit war es ziemlich finster geworden. Auf der Main Street brannten bereits die Laternen. In den Saloons richtete man sich auf den Nachtbetrieb ein.

Gedankenvoll, nichts und niemand beachtend, schritt Kelly zum Last Chance Inn. Die Bar war kaum bevölkert. Hier ging es erst wieder rund, wenn die Nacht richtig da war. Die Animiermädchen befanden sich noch in ihren Zimmern. Die wenigen Gäste, die bereits anwesend waren, interessierten sich kaum für Kelly. Nach Tucson kamen tagtäglich Fremde, von überall her. Die einen machten hier nur Station, die anderen blieben länger. Geblieben war noch selten jemand. Tucson war keine gute Stadt. Sie war wild und randvoll mit ungezügelten Leidenschaften.

An einem der freien Tische saß eine Frau und sortierte Chips. Sie arbeitete schnell und sicher. Ihr Blondhaar gleißte im Licht der Lampe, die über dem Tisch an einer dünnen Kette von der verräucherten Decke hing. Das Auffallende an der Frau war die dunkle, gediegene Kleidung, die ganz und gar nicht in einen Betrieb wie diesen passen wollte.

Kelly dachte nicht darüber nach. Einige Keeper waren damit beschäftigt, Gläser und die Messingplatte des Tresens zu polieren. Kelly erfasste alles mit einem Blick und steuerte die Theke an. Er legte beide Hände auf die Messingstange, die rundum lief, und bestellte ein Bier, das er auch sofort bekam. Er trank einen Schluck, wischte mit dem Handrücken die Lippen ab und winkte einen der Keeper heran.

»Ich bin Hunderte von Meilen geritten, um in dieser Stadt einen Mann zu treffen«, erklärte er dumpf. »Und soeben erfuhr ich, dass er vor einer Woche in dieser Bar erschossen wurde.«

Der Keeper wischte sich an seiner Schürze die Hände trocken, dann sagte er: »Vor einer Woche wurden hier zwei Sheriffs umgelegt. Ist einer davon der Mann, den Sie suchen?«

»Yeah. Er heißt Tom Jordan.«

»Den haben sie auf die ganz besonders niederträchtige und feige Art ins Jenseits befördert. Tut mir Leid, Mister.«

Die dunkelgekleidete Frau war aufmerksam geworden. Sie starrte auf den Rücken des Fremden, und ein herber Zug hatte sich in ihre Mundwinkel gekerbt. Eine Weile saß sie regungslos, als lauschte sie den Worten nach, die bei der Theke gesprochen worden waren, dann erhob sie sich. Sie trat neben Kelly und studierte sein Gesicht von der Seite. Langsam wandte der Mann den Kopf, der Blick seiner rauchgrauen Augen traf sie. Er schaute in ein Gesicht voll weiblicher Harmonie. In ihren Zügen war keine Spur von dem Hauch des Verruchten, des Lasterhaften, der von den meisten der ungezählten Tingeltangelgirls im Lande ausging.

»Was wollten Sie von Tom Jordan, Fremder?«, erkundigte sie sich.

Kelly überlegte nur kurz, dann antwortete er: »Jordan war mein Halbbruder. Ich sah ihn vor acht Jahren zum letzten Mal.«

Ihre Miene hellte sich sekundenlang auf, ihre graugrünen Augen weiteten sich. Überraschung zeichnete ihre Züge. »Ich wusste gar nicht, dass Tom einen Halbbruder hatte. Er hat mir nie von Ihnen erzählt, Mister.« In ihren letzten Worten hatte Argwohn gelegen.

Kelly nickte grimmig. »Tom und ich waren nie gut aufeinander zu sprechen. Er hatte auch keinen Grund, auf seinen Halbbruder stolz zu sein, wirklich nicht. Ich war ein Satteltramp, ein Vagabund und Abenteurer. Ich glaube, Tom verachtete mich deswegen sogar.«

»Tom war ein guter Mann.« Ihre Stimme war leise, nur ein Hauch, wie der Wind in der Savanne. Sie senkte das Gesicht, und Kelly sah die Muskeln darin zucken.

Ahnungsvoll stieg es in ihm hoch. »Standen Sie in einer besonderen Beziehung zu Tom, Ma'am?«, fragte er vorsichtig.

Ein Zittern lief durch ihre Gestalt. »Ja.« Sie legte ihre feingliedrigen Hände auf die Theke. »Ja, Tom und ich waren verlobt, und eines Tages wollten wir heiraten. Aber die Dodsons …« Sie brach ab. Das Grauen, das die Erinnerung in ihr auslöste, würgte ihr die Stimme ab.

Einem plötzlichen Impuls folgend, reichte sie Kelly die Hand. Der ergriff sie und spürte die Weichheit ihrer Haut. Es war, als elektrisierte ihn diese Berührung. Ein nicht zu beschreibendes, seltsames Gefühl durchflutete ihn.

»Seien Sie willkommen, Mister«, murmelte sie wehmütig. »Wenn Sie wollen, führe ich Sie morgen zu Toms Grab.«

Da reitest du nun Hunderte von Meilen den Sattel heiß, um deinen Bruder zu finden, und stehst am Ende vor seinem Grab, schoss es ihm durch den Kopf. Fassungslosigkeit wurzelte tief in seinem Gemüt. Es war irgendwie für ihn unbegreiflich.

»Acht Jahre«, entrang es sich ihm mühsam, »acht Jahre habe ich meinen Bruder nicht gesehen. Und nun komme ich um eine Woche zu spät. Nur ein paar Tage. Ich wollte Frieden schließen mit Tom, wollte bei ihm in Tucson bleiben und zur Ruhe kommen. O mein Gott …« Bitter, voll innerer Qual hatte es sich ihm entrungen.

»Mein Name ist Cora Miles«, stellte die schöne Frau sich vor und löste ihre Hand aus der seinen. »Mir gehört dieser Saloon.« Sie betrachtete Kelly versonnen. Dann sprach sie weiter, leise, betont: »Es war furchtbar. Ich habe Tom geliebt. Und ich versuchte, ihn zurückzuhalten in jener Nacht, als die Dodsons ankamen. Aber Tom war mit Leib und Seele Sheriff, nahezu ein Sklave des Sterns. Sein Eid war ihm das Wichtigste auf der Welt. Es gelang mir nicht, ihn umzustimmen. Und ich musste zusehen, wie ihn Dodson hinterrücks niederknallte. Tom …« In ihren Augen begann es feucht zu schimmern, ihre Lippen zuckten. »Er stürzte vor meine Füße und war auf der Stelle tot.« Tränen rannen ihre Wangen hinunter.

Kellys Kehle wurde trocken. Voller Grimm fragte er: »Halten sich die Dodsons noch in Tucson auf?«

Cora wischte sich mit einem blütenweißen, spitzenbesetzten Taschentuch, das sie aus ihrem Ärmel gezogen hatte, die Tränen ab. »Nein, sie sind nach dem Mord an Tom und Duffy verschwunden. Keine Ahnung, wohin.«

Kelly starrte eine Weile gedankenverloren ins Leere. Lastendes Schweigen herrschte zwischen ihm und der Frau. Er brach es schließlich, indem er fragte: »Hat diese Stadt nichts gegen diese feigen Mörder unternommen?«

»Diese Stadt?«, fauchte sie zornig. Jäh hatte sich ihre Stimmung gewandelt. Ihr Mund war hart geworden. »Diese Stadt ist eine Rattenburg, und ein jeder ist sich selbst der Nächste. Matt Rockford, Toms zweiter Deputy, versuchte, einige Männer für ein Aufgebot zu gewinnen. Ein nutzloses Unterfangen. Sie haben ja keine Ahnung, was diese Maulhelden plötzlich für Ausreden parat hatten. Nein, die feinen Bürger haben keinen Finger krumm gemacht.« Sie verstummte betrübt und resigniert.

»Und es gibt keinen Anhaltspunkt, wohin die Banditen sich gewandt haben?«

»Nein. Sie sind in der Nacht wie ein Spuk verschwunden. Das einzige, was wir wissen, ist, dass sie sich in westlicher Richtung abgesetzt haben. Aber das sagt nichts. Sie können die Richtung gewechselt haben. Außerdem ist Mexiko nicht weit.«

»Ich werde sie finden. Ja, ich werde diese hundsgemeinen Killer zur Rechenschaft ziehen.« Kelly strömte wilde Entschlossenheit aus. Die Worte waren wie ein Schwur aus seinem Mund gekommen. Sein Blick suchte den der Frau. »Vorher aber will ich alles wissen, Cora, von Anfang an, seit Dodson zum ersten Mal Toms Weg kreuzte.«

Coras Gestalt straffte sich. »Es ist keine lange Geschichte. Haben Sie auch einen Namen?«

»Kelly, ganz einfach Kelly.«

»Well, Kelly. Jack Dodson erstach bei einer Rauferei einen Mann und flüchtete. Tom heftete sich auf seine Fährte und brachte ihn nach zwei Wochen zurück. Der Richter schickte Dodson für vier Jahre nach Fort Yuma ins Staatsgefängnis. Nun, vor einer Woche kam Jack Dodson zurück, um sein Versprechen, Tom für seine Verurteilung büßen zu lassen, auf grausame Art wahrzumachen.« Wieder legte sich die schreckliche Erinnerung wie eine zentnerschwere Last auf sie und druckte ihre Schultern nach vorn. Ihr angespanntes Gesicht erschlaffte.

Jack Dodson!

Der Name brannte sich unauslöschlich in Kellys Gehirn ein. Und in seinem Herzen brannte der Hass.


*


Kelly starrte voller Bitterkeit auf den flachen Grabhügel. Cora stand neben ihm, die Finger vor der Brust verschränkt, wie in ein stilles Gebet versunken. Das Grab war mit Blumen geschmückt. Hoch über den beiden schweigenden Menschen trällerte am blauen Himmel eine Lerche mit rastlosem Flügelschlag. Über den Gräbern mit den oftmals schiefen Holzkreuzen oder Gedenksteinen wogte der Morgendunst, der aber vom trägen Wind nach und nach zerfasert und fortgetragen wurde.

Ein bedrückendes Szenarium, von dem aber ein tiefer Friede ausging.

Ein Friede, der Kelly nicht erreichte.

Er drehte seinen flachkronigen Stetson unruhig in den Händen. Hinter seiner Stirn jagten sich zermürbende und unversöhnliche Gedanken. Gedanken, die sich im Kreis bewegten und nur die vier Banditen, allen anderen voran Jack Dodson, zum Inhalt hatten.

In sein bohrendes Denken hinein flüsterte Cora: »Ich habe beim Schreiner ein Kreuz mit einer Gedenkschrift in Auftrag gegeben, Kelly. Es soll immer daran erinnern, dass hier ein Sheriff begraben liegt, der in Ausübung seines Amtes von feiger Mörderhand getötet wurde.«

Kelly stieß die Luft durch die Nase aus. Mit einer ruckartigen Bewegung stülpte er sich den Hut auf den Kopf und drehte sein Gesicht Cora zu. »Ja, Cora, das ist gut. Ein jeder soll stets daran erinnert werden.«

Langsam wandten sie sich ab, nebeneinander schritten sie zwischen den Gräbern hindurch zur Pforte in dem mannshohen Bretterzaun, der den Boothill umgab. Draußen angelangt hakte sich Cora bei Kelly ein. Sie kannten sich erst wenige Stunden und nur flüchtig. Und trotzdem bestand zwischen ihnen eine Verbindung, die jeder von ihnen spüren konnte. Eine geheimnisvolle Vertrautheit. Vielleicht war es der Anfang einer guten Freundschaft. Vielleicht war es auch der Funke einer tiefen, inneren Beziehung, der übergesprungen war. Keiner vermochte es zu sagen. Es war einfach da, und sie versuchten nicht, es zu verdrängen.

»Wo werden Sie mit ihrer Suche nach den Dodsons ansetzen, Kelly?«, wollte Cora wissen.

»Ich werde nach Westen reiten«, antwortete er nach kurzer Überlegung. »Kerle wie sie fallen auf. Ich werde jeden Menschen, der meinen Weg kreuzt, nach ihnen fragen. Und irgendjemand wird sie gesehen haben und sich an sie erinnern. Und dann werde ich mich auf ihre Spur setzen und nicht eher ruhen, bis der letzte von ihnen tot vor mir liegt.«

»Sie müssen höllisch aufpassen, Kelly. Die Dodsons sind wie die wilden Tiere. Der Mord an Tom ist der beste Beweis dafür. Wenn die merken, dass Sie ihnen folgen, um sie zur Rechenschaft zu ziehen, werden sie alles daransetzen, Sie aus dem Weg zu räumen.«

Kelly machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sicher. Dazu kommt, dass die Ahndung von Sheriffmord in den Zuständigkeitsbereich des U.S. Marshals dieses Territoriums fällt. Das wissen die Halunken. Das wird sie doppelt vorsichtig sein lassen. Jack Dodson und seinen Komplizen ist der Strick sicher. Darum werden sie ihre Haut so teuer wie möglich verkaufen.«

Gemächlich näherten sie sich der Stadt, die nach und nach zum Leben erwachte. Die Morgensonne vergoldete die Dächer und floss gleißend in die breite Main Street. Ein neuer Tag war angebrochen. Und mit ihm neuer Hass. Er brannte in Kelly und ließ ihn rastlos und ungeduldig werden.

Aus dem Vagabunden und Glücksritter Kelly sollte ein erbarmungsloser Menschenjäger werden. Die eiserne Entschlossenheit ließ ihn einen schwierigen und gefährlichen Weg beschreiten.


*


Die Banditen hielten sich im Santa Rosa Valley versteckt. Es war Nacht. Das Lagerfeuer loderte. Die zuckenden Flammen warfen geisterhafte Schatten auf die Gesichter der vier Outlaws. Das glimmende Holz knackte und knisterte. Wy Hastings stocherte mit einem Ast gelangweilt in der Glut. Um sie herum war dichtes Gestrüpp. Das sanfte Murmeln des Santa Rosa Wash drang zu ihnen hin. Die Banditen hatten ihre Pferde ein Stück abseits angeleint. Die Tiere schliefen.

Ed Dodson hob den Kopf. In das lastende Schweigen hinein sagte er: »Zur Hölle damit, Jack! Ich habe keine Lust, noch länger hier herumzusitzen. Sicher haben sie die Suche nach uns längst eingestellt. Seit wir Jordan und seinen Gehilfen erledigt haben, sind zehn Tage vergangen. Kein Aufgebot reitet zehn Tage durch die unwegsame Wildnis, nur um ein paar Kerle wie uns zu fangen.«

Jack Dodson schaute seinen Bruder scharf an. »Das Aufgebot aus Tucson, soweit uns überhaupt eins gefolgt ist, haben wir natürlich längst abgeschüttelt. Aber vergiss den Telegraphen nicht. Jeder Sheriff oder Marshal im Land wird zwischenzeitlich wissen, dass wir zwei Sternschlepper auf die nicht gerade feine Art zu ihren Ahnen versammelt haben. Und mit Sheriffmördern machen sie kurzen Prozess. Du verstehst, was ich meine?«

»Wir können trotzdem nicht bis zum Jüngsten Tag hier herumsitzen und Daumen drehen«, warf Hank ein. »Wir wussten, worauf wir uns einließen, als wir nach Tucson trailten. Und nun müssen wir eben damit leben, dass im ganzen Territorium unsere Steckbriefe aushängen. Aber um uns zu kriegen, müssen sie uns schon ein Dutzend U.S. Deputy Marshals oder die Army auf den Hals hetzen.«

Jack Dodson winkte ab. »Wir bleiben noch einige Tage. Sicher ist sicher. Ich möchte nicht von einem aufgebrachten Mob aufgehängt werden.«

Wy Hastings warf den Ast ins Feuer. »Warum verschwinden wir nicht einfach nach Mexiko?«, knurrte er. »Dort könnten wir in Ruhe abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen ist.«

»Du vergisst, dass ich in Yuma noch eine Sache zu erledigen habe«, gab Jack barsch zurück.

»Dieser Phil Walker läuft dir nicht davon. Du kannst diesem Sergeant auch noch in zwei oder drei Monaten ein paar Löcher in die Uniform pusten. Im Übrigen halte ich dein Vorhaben für den hellen Wahnsinn. Die Blauröcke verstehen keinen Spaß, wenn es um einen von ihnen geht. Sie hetzen uns wie die Hasen.«

Jack Dodson zog die Beine an und bohrte die Absätze in das ausgedörrte Gras. »Dieser Hundesohn von einem Sergeant hat mich vier Jahre lang gedemütigt und bis aufs Blut geschunden.« In seiner Stimme lag unverhohlener Hass. »Und erst dann, wenn ich ihn in die Hölle geschickt habe, werde ich nach Mexiko verschwinden. Keine Minute früher.« Er spuckte zur Seite aus. »Du hast doch keine Einwände mehr, Hastings?«, fügte er dann drohend hinzu.

Dem Banditen war der gefährliche Unterton in Jack Dodsons Stimme nicht entgangen. Er schüttelte den Kopf. »Schmecken will es mir aber trotzdem nicht«, gab er zu bedenken.

»Schluck es einfach runter.« Ed Dodson lachte. Dann wurde er ernst. »Und merke dir eines, Wy: Was sich Jack einmal in den Kopf gesetzt hat, führt er auch bis zum Ende durch. Und so wird er auch diesen Sergeant Walker zum Satan jagen, ehe wir nach Mexiko verduften. Du solltest nicht mehr versuchen, meinen Bruder umzustimmen. Du könntest wenig Freude daran haben.«

Hastings verzog säuerlich das Gesicht. »Hör mal!«, begehrte er auf. »Ich bin nicht mit euch geritten und habe geholfen, zwei Sternschlepper auf die lange Reise zu schicken, um jetzt von deinem Bruder herumkommandiert zu werden. Ich komme auch ohne euch ganz gut zurecht. Und wenn es euch nicht passt, dass ich meine Meinung äußere, dann sagt es. Dann verschwinde ich.«

»Jetzt hab dich nicht gleich so, verdammt!«, mischte sich Hank Dodson ein. »In ein paar Tagen reiten wir weiter. Auf dem Weg nach Yuma wirst du genug Gelegenheit kriegen, harte Dollars zu machen. Und wenn wir reiche Leute sind und dieser verdammte Sergeant über die Klinge gesprungen ist, gehen wir nach Mexiko. Du wirst mit uns ein gemachter Mann, Amigo. Also fasse dich in Geduld. Das geht nicht von heute auf morgen.«

»Wenn sie uns nicht vorher die Hälse lang ziehen«, verlieh Wy Hastings seinen Zweifeln Ausdruck.

In diesem Moment raschelte und knackte es im Ufergebüsch,

Die vier lauschten in die Nacht hinein wie hungrige Wölfe. »Da ist jemand!«, zischelte Jack Dodson zwischen den Zähnen. »Benehmt euch unauffällig!« Unter halbgesenkten Lidern hervor wanderte sein Blick in die Runde.

Das Feuer brannte nicht mehr hoch genug, so dass sein Schein den Rand des Gestrüpps nicht erreichte. Dunkel und drohend, wie eine undurchdringliche Mauer, umgab das Buschwerk den Lagerplatz der vier Outlaws.

Die Geräusche waren nicht mehr zu vernehmen. Kein Grund für die Banditen, in ihrer Wachsamkeit nachzulassen. Ihnen, die einem heißen Trail folgten, waren Misstrauen und ständige Bereitschaft zur zweiten Natur geworden.

Jack Dodson erhob sich ohne jede Hast. Er zog seinen Revolvergurt in die Höhe und rückte den Stetson zurecht. »Ich schau mal nach den Gäulen«, sagte er laut genug, dass seine Stimme über die kleine Lichtung hinaus zu hören war, auf der sie kampierten. Er wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit seinen Brüdern und Wy Hastings, dann entfernte er sich mit kurzen, wiegenden Schritten.

Die drei am Feuer Verbleibenden fühlten sich sichtlich unwohl in ihrer Haut. Vergeblich versuchten sie, mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Wy Hastings gelang es nicht, ruhig sitzen zu bleiben. Er neigte seinen Oberkörper ein wenig zur Seite und stützte sich mit der linken Hand ab. Seine Rechte verkrampfte sich um den Coltknauf.

»Vielleicht war es nur ein wildes Tier«, raunte er, kaum die Lippen bewegend.

»Darauf kannst du dich in einem Land wie diesem, in dem es von rotem und weißem Ungeziefer nur so wimmelt, nicht verlassen«, gab Hank Dodson leise zurück, und jeder Beobachter musste den Eindruck gewinnen, dass der Bandit das belangloseste Gespräch der Welt führte. Er war eben eiskalt, dieser Hank Dodson.

In diesem Augenblick teilte sich das Gebüsch. Zwei zerlumpte Gestalten mit Pfeil und Bogen traten auf die Lichtung. Um ihre Köpfe mit den langen Haaren waren bunte Tücher geschlungen. Ihre dunklen Gesichter verrieten nicht, was sie dachten.

Apachen!

Wy Hastings stockte der Atem, und er lüftete den Colt im Halfter.

Jack Dodson war herumgefedert und duckte sich wie ein zum Sprung bereites Raubtier. Seine Hand war zum Colt gezuckt. Die drei Banditen beim Feuer waren aufgesprungen wie von Taranteln gestochen.

Aber die Apachen kamen in Frieden. Sie deuteten es an, indem sie die rechte Hand hoben und den Banditen die Handflächen zeigten.

Jack Dodson fasste sich zuerst wieder. Er glitt auf die Indianer zu und blieb zwei Schritte vor ihnen stehen. »Wenn ihr vorgebt, in Frieden zu kommen, was schleicht ihr euch dann an, als wärt ihr auf dem Kriegspfad?«, herrschte er sie an. »Seid ihr allein?«

Die beiden wechselten einige Worte in ihrer Sprache, dann richteten sie ihr Augenmerk wieder auf den großen, düsteren Mann vor ihnen.

»Wir Chiricahuas«, erklärte einer mit gutturaler Stimme. »Friedliche Jäger. Chiricahuas wollen nichts Böses von Bleichgesichtern, nur jagen. Chiricahuas sehr zufrieden in Reservation.« Er nickte wie zur Bekräftigung seiner Worte.

»Ihr roten Läuse seid doch niemals friedlich«, grollte Jack Dodson. Hinter seinem Rücken raschelte Gras unter den Tritten seiner Komplizen. Sie traten neben ihn und musterten die Apachen argwöhnisch und feindselig.

»Chiricahuas friedliche Indianer«, murmelte der Apache.

»Eure Reservation liegt weit oben im Norden, am Gila River«, sagte Jack Dodson. »Was habt ihr so tief im Süden zu suchen?«

»Fleisch«, gab der Indianer bereitwillig Auskunft. »Wild in Reservat nicht ausreichend. Darum gehen Chiricahuas nach Süden, um Wild zu jagen, sonst Krieger, Frauen und Kinder hungern.«

»Trau diesen roten Bastarden nicht!«, murmelte Wy Hastings. »Sie erzählen dir das Blaue vom Himmel herunter, und wenn du ihnen den Rücken zukehrst, stoßen sie dir das Messer zwischen die Schulterblätter.«

»Diese beiden heruntergekommenen, halb verhungerten Wilden?« Ed Dodson lachte spöttisch auf. »Die blase ich auf den Mond, wenn ich merke, dass sie uns hereinlegen wollen.«

Die Apachen blickten verunsichert von einem zum anderen. Verhaltene Angst flackerte in ihren schwarzen Augen. Sie waren auf schlechte Weiße gestoßen. Das hatten sie sehr schnell erfasst. Und sie fürchteten um ihr Leben. Das war deutlich.

Jack Dodson sagte: »Also noch einmal: Warum habt ihr euch angeschlichen, als wolltet ihr Übles von uns? Und wo sind eure Gefährten, eure Brüder?«

Der Apache, der auch bisher das Wort geführt hatte, machte eine ausholende Bewegung mit dem Arm. »Kein gutes Land. Viele Bleichgesichter hassen den roten Mann. Darum Chiricahuas vorsichtig. Leben eines Chiricahua vielen Männern nichts wert. Chiricahua misstrauisch. So ist es.«

»Wir vielleicht auch böse weiße Männer«, äffte Wy Hastings den Apachen nach. Er machte einen Schritt nach vorn, ging um die Indianer herum und betrachtete sie von oben bis unten. »Wie Geronimo mit solchen Figuren einen Krieg gegen die Armee führen konnte, ist mir ein Rätsel«, sagte er zynisch. »Unmöglich, dass man mit diesen Typen ein Land in Angst und Schrecken versetzen kann.« Er baute sich wieder neben Jack Dodson auf und stemmte die Fäuste in die Seiten.

»Weiße Männer sahen friedlich aus«, erklärte der Apache.

Hastings lachte rasselnd. Er wollte etwas erwidern, aber Jack Dodson schnitt ihm schroff das Wort ab. »Wo sind eure Brüder?« Sein Blick wechselte ständig zwischen den beiden.

»Chiricahuas haben Lager vor zwei Stunden verlassen, kundschaften Wild aus. Wenn Sonne aufgeht, zurück ins Lager, um Brüder zu führen.«

»Wo sind eure Pferde?«

»Wir gelaufen. Hufgetrappel schreckt Wild auf. Wild flüchtet, wenn Jäger nicht vorsichtig. Darum Mustangs im Lager.«

»Wie viele Krieger seid ihr?«

»So viele, wie der weiße Mann Finger an seinen Händen hat.«

»Zehn also.«

»Zehn, ja. Jäger möchten wieder gehen, Jäger gehen in Frieden. Sie kein Feind der weißen Männer.« Sein unergründlicher Blick tastete Jack Dodsons ausdruckslose Züge ab.

»Wir können sie nicht gehen lassen«, ließ sich Wy Hastings vernehmen. »Diese Burschen reden vom Frieden und wollen uns in Sicherheit wiegen. Und morgen kommen sie mit ihrem Verein zurück und schneiden uns die Kehlen durch. Diese Kerle haben es nicht verlernt, die Weißen zu hassen und sie lautlos umzubringen. Kannst du dir vorstellen, Jack, dass dein Skalp an einem ihrer Wickiups in der Sonne trocknet?«

Die beiden Apachen hatten jedes Wort verstanden. In der Reservation und in der Missionsschule hatten sie die Sprache der Weißen ziemlich gut gelernt. Sie begriffen, dass ihr Leben nur noch an einem seidenen Faden hing. Sie waren jung, und sie wollten leben. Und sie wollten die Not ihres Stammes lindern. Aber nun waren sie vier niederträchtigen, verkommenen Gesetzlosen in die Hände gefallen, in deren Mienen wenig Verheißungsvolles geschrieben stand. Und in der Brust eines jeden dieser Chiricahuas begann die Angst hochzulodern wie eine Flamme, heißer und heißer.

Der Wortführer der beiden zischelte etwas in seiner Sprache, im selben Moment wirbelte er herum, um in die Büsche zu fliehen. Der andere setzte hinterher. Ihre gedrungenen Gestalten verschwammen vor dem Hintergrund der dichten Sträucher.

Doch ehe sie das schützende Gebüsch erreichen konnten, leckten grelle Flammenzungen durch die Nacht. Die Schüsse zerrissen die Stille wie ein gewaltiger Donnerschlag.

Die flüchtenden Apachen wurden von dem Blei aus den Banditencolts eingeholt, es bohrte sich in ihre Körper und riss sie zu Boden. Ein ersterbendes Stöhnen, ein letztes, abgerissenes Röcheln. Die Detonationen verhallten über dem Ruß. Pulverdampf wogte über die Lichtung und zerflatterte.

Die Pferde der Banditen waren von dem Krach aus dem Schlaf gerissen worden. Sie zerrten an den Leinen, steilten, schnaubten von Panik erfasst und wieherten. Erregtes Hufestampfen mischte sich in diese Geräusche.

Wy Hastings rief heiser vor Erregung: »Willst du noch immer hierbleiben, Jack?«

Der ersetzte seelenruhig die abgefeuerten Hülsen durch Patronen aus seinem Gurt, dann halfterte er seinen Colt. »Wir verschwinden. Wenn die Rothäute ihre toten Brüder finden, dann möchte ich eine Menge Meilen zwischen mich und diesen Platz gebracht haben.«

Seine Komplizen steckten ebenfalls ihre Colts weg, nachdem sie sie nachgeladen hatten. »Und wohin verduften wir?«, wollte Ed Dodson wissen.

»Wir reiten nach Norden, nach Casa Grande, und warten ab, ob die Indsmen ruhig bleiben, und dann folgen wir von Casa Grande aus der Poststraße nach Fort Yuma.«


*


Sie erreichten Casa Grande mit den ersten Sonnenstrahlen. Die Stadt schlief noch. In den Winkeln und Gassen hatten sich die Schatten verdichtet, und über der Main Street lastete noch das Grau der Dämmerung. Nicht mehr lange, dann würde es dem grellen Licht des neuen Tages weichen müssen. Im kühlen, knöcheltiefen Staub der Fahrbahn badeten Hühner. Irgendwo kläffte ein Hund. Das Federvieh stob erregt gackernd auseinander, als sich die Banditenpferde näherten. Die Straße mündete in eine große Plaza mit einem Brunnen als Mittelpunkt. Eine Gruppe von Akazien war um ihn herum angeordnet.

Am anderen Ende der Plaza setzte sich die Main Street fort, verschwand zwischen Häusern mit falschen Fassaden und ärmlichen Adobehütten.

Am linken Rand des großen, freien Platzes erhob sich die Front einer Kirche mit einem weißgetünchten Glockenturm.

Die Outlaws zügelten beim Brunnen ihre Pferde und sprangen aus den Sätteln. Pferde und Reiter waren staubig und müde. Mit rasselnden Sporen ging Hank Dodson zur Seilwinde. Sie knarrte, als er den Eimer hinunterkurbelte, dann platschte es, als dieser auf das Wasser schlug. Hank drehte die ächzende Winde in die andere Richtung, und der volle Wasserbehälter kam hoch. Die Banditen tranken, dann wuschen sie sich die Gesichter. Hinterher versorgten sie ihre Pferde.

Wy Hastings blickte um sich. »Ein ödes Nest«, maulte er. »Wenn du mich fragst, dann ist hier der Hund verreckt.«

Jack Dodsons Schultern strafften sich, seine Brust hob sich unter einem tiefen Atemzug. »Lass dich nicht täuschen«, versetzte er. »Casa Grande wirkt nur wie ein verschlafenes Nest. Du wirst eines Besseren belehrt werden. Hier gibt sich das übelste Gelichter ein Stelldichein. Dieser Ort ist genau richtig für uns. Hier können wir eine Zeitlang untertauchen.«

Sie zogen ihre Pferde hinter sich her quer über den Platz. Vor dem Trailman Saloon wickelten sie die Zügel um den Holm. Zwei Häuser weiter war das Büro der Wells & Fargo Company, daneben das Postoffice. Die Fenster im Erdgeschoss beider Gebäude waren mit soliden Eisenstäben vergittert. Am Ende der Plaza, wo die Main Street weiterführte, war das Marshal's Office.

Jack Dodsons Augen wurden eng, als er das Schild mit der entsprechenden Aufschrift las. Polternd betraten sie den Vorbau des Saloons.

Der Inn hatte noch geschlossen. Ed Dodson murmelte eine Verwünschung. »Was jetzt?«

»Wir warten«, erklärte Jack Dodson.

Sie setzten sich auf die Stühle, die auf dem Vorbau herumstanden, legten ihre Füße auf das Geländer und starrten über den Platz.

Irgendwo in der Nähe schlug eine Tür, die keifende Stimme einer Frau ertönte, gleich darauf das Plärren eines Kindes. Casa Grande erwachte zum Leben. Die Morgensonne hatte den grauen Dunst aufgelöst. Im Licht glitzerte der Staub kristallen.

Zähflüssig rannen die Minuten dahin. Die Geräusche in der Stadt verstärkten sich. Aus dem Marshal's Office trat ein Mann. Er blickte sekundenlang in die Richtung der vier Banditen unter dem Vorbaudach, rückte sich den Hut in die Stirn und marschierte im Schatten der Häuser auf sie zu. Matt funkelte an seiner rechten Brustseite der Sechszack.

Gelassen blickten die Outlaws ihm entgegen. Aber die lässige Ruhe, die sie zur Schau trugen, täuschte. Jeder von ihnen war angespannt bis in die letzte Nervenfaser, war ein Pulverfass, in das nur ein Funke zu fallen brauchte.

Dann war der Marshal heran. »Guten Tag, Gentlemen«, grüßte er und tippte an die Krempe seines Stetson.

Die vier erwiderten den Gruß ohne jede Spur von Freundlichkeit. Ein Mann, von dessen Brust ein Stern blitzte, hatte von diesen Halunken eben keine Höflichkeit zu erwarten.

Der Blick des Marshals tastete nacheinander ihre verwegenen Gesichter ab, schätzte sie ein, und als der Gesetzeshüter fertig war, wusste er, dass er es mit Satteltramps zu tun hatte. Dumpf sagte er: »Ich bin Marshal Blaines.« Er fixierte Jack Dodson, den er mit sicherem Instinkt sofort als den Führer des Rudels ausgemacht hatte.

»Sehr erfreut!«, entgegnete der Bandit aufreizend spöttisch, ohne seine Haltung zu verändern.

Blaines gab sich, als berührte ihn der Zynismus des anderen nicht. Er blickte sekundenlang zu Boden, dann hob er wieder das Gesicht. »Sind Sie die Nacht durchgeritten, Gentlemen?«

»Sieht so aus, Marshal«, antwortete Jack und legte ein Bein über das andere. Einer seiner Sporen ratschte über das Geländer und riss das Holz auf. »Es ist doch nicht verboten, in der Nacht zu reiten, oder?« Er grinste, und den Marshal mutete dieses Grinsen niederträchtig und gemein an. Diese Sorte war der Alptraum eines jeden Gesetzesmannes, denn sie verbreitete nichts als Ärger.

Ein Schatten huschte über Blaines' glattes Gesicht, seine Brauen zogen sich zusammen. »Verboten — nein. Aber doch recht ungewöhnlich«, antwortete er bedächtig.

»In der Nacht ist es kühl und angenehmer im Sattel«, entgegnete der Outlaw.

»Es gibt aber auch Hombres, die das Licht des Tages scheuen. Nachtreiter nennt man diese Burschen.«

Jack Dodson lachte belustigt auf. »Wir haben nichts und niemanden zu scheuen, Marshal.«

»Dann ist es ja gut. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in unserer Stadt, Gentlemen.«

»Tausend Dank.«

Marshal Blaines schoss noch einen scharfen Blick in ihre Gesichter ab, dann machte er kehrt und marschierte zurück zu seinem Office. Die Banditen starrten düster hinter ihm her.

»Das gefällt mir nicht«, maulte Wy Hastings mit schiefem Mund, als der Marshal weit genug weg war. »Der Kerl gab sich zu aalglatt. Ich hatte den Eindruck, dass er lediglich unsere Visagen aus der Nähe begutachten wollte.«

Jack Dodson nahm die Füße vom Geländer und erhob sich, kratzte sich am Kinn. Die tagealten Bartstoppeln raschelten. »Vielleicht haben wir einen Fehler gemacht, als wir geschlossen in diese Stadt ritten. Es wäre klüger gewesen, wenn wir uns geteilt hätten. In der Zwischenzeit wird jeder im Territorium wissen, dass es vier Kerle waren, die den Sheriff von Tucson und seinen Gehilfen abgeknallt haben.«

»Diese glorreiche Idee hattest du früher haben sollen«, sagte Hank Dodson. »Jetzt ist es zu spät.«

Der Marshal verschwand im Office.

»Jetzt wird er nichts eiligeres zu tun haben, als seinen Schreibtisch nach unseren Steckbriefen zu durchwühlen«, ereiferte sich Wy Hastings. Auch er stand auf und stellte sich neben Jack Dodson an das Geländer.

»Da braucht er nicht lange zu wühlen.« Ed Dodson lachte kehlig. »Die werden ganz oben liegen.«

»Verdammt, mir vergeht das Lachen!«, zischelte Hastings. Seine Finger spreizten und schlossen sich.

Hank Dodson lehnte sich im Stuhl zurück. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich mich vor dieser Schießbudenfigur fürchte«, protzte er. »Für mich kommt es nach der Sache mit Jordan auf einen Sternschlepper nicht mehr an.«

»Es geht nicht nur um diesen Marshal«, gab Jack Dodson zu bedenken. »Wenn die Sache mit den Apachen herauskommt, haben wir das halbe Land gegen uns. Und dann wird es brenzlig. Den Pfeffersäcken im Land steckt die Angst vor den Indsmen zu tief in den Knochen.«

»Was willst du damit sagen?«, kam es von Hastings.

»Jeder befürchtet dann, dass die Apachen wieder einmal verrückt spielen. Und das ist gar nicht so abwegig. Sie sind unzufrieden mit dem Leben in der Reservation. Die Fleischversorgung klappt nicht so recht, Krankheiten und Seuchen grassieren. Da genügt der geringste Anlass, um die Rothäute durchdrehen zu lassen.«

»Und diesen Anlass, denkst du, haben wir ihnen geliefert?«, warf Ed Dodson hin.

»Schon möglich. Die Indsmen sind unberechenbar. Wir werden wohl nicht sehr lange in Casa Grande bleiben. Wir ruhen uns ein paar Stunden aus und machen uns dann auf den Weg nach Fort Yuma. Und wenn ich Sergeant Walker das Licht ausgeblasen habe, setzen wir uns ab nach Mexiko.«

»Vorher aber knacken wir noch ein paar Banken«, stieß Hastings zwischen den Zähnen hervor. »Ich will nicht als armer Mann in Mexiko ankommen. Das war auch Teil meiner Abmachung mit deinen Brüdern.«

Jack Dodson sah den Komplizen wütend an, aber er sagte nichts. Schwer ließ er sich wieder auf den Stuhl fallen.

Hastings wirbelte zu ihm herum. Er beugte sich vor, und in seine Augen trat ein böses Flirren. »Verdammt! Warum schweigst du?«

Jack Dodson verschränkte die Hände über seinem Bauch. »Weil du mir mit deinem Geschrei nach Überfall und Raub langsam auf die Nerven gehst, mein Freund. Ich schätze, meine Brüder haben nicht besonders klug gehandelt, als sie sich mit dir zusammenschlossen.«

Wut verzerrte Hastings' Züge, machte sie zur Fratze. Sein Mund klaffte auf. Aber Hank Dodson kam ihm zuvor. Rau rief er: »Jetzt streitet nicht, verdammt! Wir vier stecken wahrscheinlich bis zum Hals im Dreck, und das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, dass wir anfangen, uns gegenseitig zu zerfleischen.«

Hastings stieß zischend den Atem aus.

Von Jack Dodson fiel die Anspannung ab. »Okay, Hastings«, kam es über seine Lippen. »Wir werden dafür sorgen, dass du zu deinen Greenbucks kommst. Aber vorher erledigen wir die Sache in Yuma. Einverstanden?«

»Das ist ein Wort«, brummte Hastings. »Es geht in Ordnung.«


*


Der Saloon öffnete. Die Banditen suchten sich einen Tisch beim großen Frontfenster aus und nahmen Platz. Sie bestellten Bier und etwas zu essen. Jack Dodsons rastloser Blick wanderte immer wieder durch das Fenster nach draußen über die Plaza, auf der der Tagesbetrieb begonnen hatte.

Am Tresen klirrte und schepperte es, als der Keeper Gläser und Flaschen in das Regal, das die halbe Wand einnahm, sortierte. Das Dröhnen der Kirchenglocke wehte über die Plaza. Reiter und Fuhrwerke zogen vorüber, auf den Gehsteigplanken hallten die Schritte der Passanten. Die Banditen tranken und rauchten, dann kam ihr Frühstück. Eier mit Speck. Hungrig schlangen sie das Essen in sich hinein, schoben die Teller zurück und spülten mit Bier nach.

Zwei Männer kamen in den Saloon. Sie streiften die Outlaws mit einem desinteressierten Blick und stapften zur Theke. Sie waren mit Revolvern und Gewehren bewaffnet. Der Keeper schenkte jedem ein Glas mit Whisky voll. Sie prosteten sich zu und tranken.

»Ob die verdammte Kutsche heute wieder Verspätung hat?«, sagte der eine der beiden, nachdem ihm der scharfe Schnaps ein Hüsteln entrungen hatte.

»Was weiß denn ich«, antwortete der andere. »Jedenfalls bin ich froh, wenn ich wieder auf dem Bock sitze und der verdammten Stadt den Rücken kehren kann. Dann können sich Shorty und Lance hier zu Tode langweilen, bis wir wieder aus Yuma zurückkehren.«

Die Banditen hatten jedes Wort verstehen können. Jack Dodson war besonders aufmerksam geworden, nachdem von Yuma die Rede war. Er schaute seine Komplizen bedeutungsvoll an und gebot Hastings mit einer hastigen Handbewegung zu schweigen, als der etwas sagen wollte.

Die beiden Männer am Tresen setzten ihr Gespräch fort, während ihnen der Keeper die Gläser zum zweiten Mal füllte. »Ich hätte es schon noch eine Weile hier ausgehalten«, sagte der Mann, der zuerst gesprochen hatte. »Diese Conchita hat Feuer im Leib, das darfst du mir glauben. Und ich kann es kaum erwarten, nach Casa Grande zurückzukehren. Hoh, ich sage dir, das ist ein Weib!« Er schnalzte genießerisch mit der Zunge.

»Hoffentlich hast du dieser Lady gegenüber das Maul gehalten«, meinte der andere. »Diese feine Muchacha ist zu allen Burschen überaus nett und liebevoll. Auch zu Kerlen, denen man nicht über den Weg trauen darf, und die für eine Kiste voll …« Er brach erschrocken ab, als hätte er schon viel zuviel von sich gegeben. Schnell schaute er über die Schulter auf die vier Männer beim Fenster.

Wieder wechselten die Banditen bezeichnende Blicke.

»Conchita ist schon in Ordnung«, schnarrte der Mann, der so sehr für diese Frau schwärmte. »Im Übrigen rede ich mit ihr nie über meine Arbeit. Wir reden überhaupt recht wenig, Conchita und ich.« Er lachte glucksend und überließ es seinem Gefährten, sich auszumalen, was ihm und Conchita besser gefiel, als zu reden.

Sie kippten den Whisky hinunter, bezahlten und gingen. Im Hinausgehen sagte Conchitas Verehrer: »Der Teufel soll Shorty und Lance holen, wenn sie wieder einmal zu spät kommen. Je eher wir aufbrechen, desto schneller sind wir wieder zurück. Und ich will keine fünf Minuten mit Conchita missen.«

Die Türflügel pendelten knarrend hinter ihnen aus.

Hank Dodsons Gestalt wuchs in die Höhe. Mit wenigen Schritten war der Bandit bei der Tür und schaute über deren Ränder hinweg hinter den beiden her. Sie schritten auf das Büro der Wells & Fargo Company zu.

Ein Mann kam mit sechs Pferden hinter dem Postoffice hervor. Er wechselte mit den beiden Bewaffneten ein paar Worte, dann betraten sie das Büro der Frachtgesellschaft.

»Was mag wohl in dieser Kiste sein?«, flüsterte Wy Hastings. Ein gieriges Grinsen zerpflügte sein brutales Gesicht und ließ es noch abstoßender werden.

»Ja, was wohl?« Jack Dodson stand mit einem Ruck auf. Er stakste zum Schanktisch. »Waren das Postkutschenfahrer?«, wandte er sich an den Keeper.

»Ja, die Ablösemannschaft. Sie fahren das Teilstück nach Fort Yuma und kehren dann wieder zurück.«

»Wann trifft die Stagecoach ein?«

»Jeden Augenblick, wenn sie nicht durch irgendetwas Unvorhergesehenes aufgehalten wurde.«

»Und wann fährt sie weiter?«

»Sie hat eine Stunde Aufenthalt.«

Jack Dodson ging zum Tisch zurück. Hank löste sich von der Tür und setzte sich ebenfalls wieder zu den anderen. »Ich fresse meinen Hut, wenn die Kerle nicht eine Menge Geld mit nach Yuma nehmen«, raunte er. »Sie sind ins Büro der Wells & Fargo gegangen. Wahrscheinlich liegen die Bucks im Tresor der Gesellschaft.«

»Ganz meine Meinung«, tönte Wy Hastings, und die Habgier funkelte in seinen Augen.

»Seht mal lieber da hinüber!«, ließ sich Ed Dodson gedämpft vernehmen. Er wies zum Fenster.

Die Köpfe der anderen ruckten herum. Ihre Gesichter wurden kantig.

Eine Menschenrotte hatte sich auf der anderen Seite der Plaza vor der Kirche versammelt. Sie redeten und gestikulierten und starrten zum Saloon herüber. Es waren hauptsächlich Männer. Und sie trugen Waffen.

»Verflucht!«, knirschte Hastings. Seine Gesichtsmuskeln zuckten nervös. Er schluckte krampfhaft.

»Das muss gar nichts bedeuten«, versuchte Hank Dodson ihn zu beschwichtigen.

»Du hast wohl was an den Augen? Das hat uns dieser Höllenhund von einem Marshal eingebrockt.«

»Weg vom Fenster!«, gebot Jack Dodson klirrend.

Stühle ruckten, Füße scharrten über die Dielen, ein Stuhl kippte polternd um. Der Keeper zuckte zusammen und verfolgte voll Bestürzung diese unvermittelte Reaktion der Banditen. Sie glitten zur Schwingtür und postierten sich zu beiden Seiten an der Wand, äugten nach draußen und erkannten, dass die Plaza zwischen dem Saloon und der Ansammlung auf der anderen Seite plötzlich wie leergefegt war. Wy Hastings riss den Colt aus der Halfter.

Die Banditen spürten das Unheil, das sich über ihnen zusammenbraute, nahezu körperlich.

»Höllenfeuer!«, stieß Hank Dodson hervor. »Wir hätten unsere Gewehre nicht in den Scabbards lassen sollen.«

Die Menge drüben zog sich auseinander, die wenigen Frauen verschwanden in den Häusern, die Männer in den Lücken dazwischen. Zwei Burschen rannten zum Brunnen und gingen dahinter in Deckung.

Es blieb kein Zweifel mehr offen. Es sollte den Outlaws ans Leder gehen.

»Well«, schnaubte Jack Dodson, und kalte Bereitschaft ging von ihm aus, »dann werden wir diesen Halbaffen eben zeigen, dass sich vier unseres Schlages so teuer wie möglich verkaufen.«

Da gellte auch schon eine klirrende Stimme über die Plaza: »Hier spricht Marshal Blaines! Wir wissen Bescheid über euch Halunken. Kommt mit erhobenen Händen und waffenlos heraus! Ihr habt keine Chance! Der Saloon ist von zwei Dutzend entschlossener Schützen umstellt!«

Jack Dodson fluchte in sich hinein. Er zog den Colt. Seine Brüder folgten dem Beispiel. Es knackte metallisch, als sie die Hähne spannten.

Die Worte des Marshals waren verhallt.

Jack Dodson wischte mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn.

»Du musst uns schon holen, Marshal!«, brüllte er prahlerisch. »Und das wird nicht einfach werden für dich, schätze ich.« Er wandte sich seinen Brüdern zu. »Du, Ed, beziehst Stellung beim Fenster. Du, Hank, schnappst dir den Keeper. Vorwärts!« Angestrengt starrte er wieder auf die Plaza, die im grellen Sonnenlicht lag und auf der der Tod lauerte.

Ed Dodson schmiegte sich neben dem Fenster an die Wand. Seine Hand, die den Coltknauf umklammert hielt, wurde feucht.

Sein Bruder Hank lief geduckt zum Tresen. Die Mündung seines Schießeisens wies auf den Keeper, der wie versteinert dastand. Der Outlaw winkte mit dem Revolver und bedeutete dem verschreckten Mann, hinter dem Tresen hervorzukommen. Es geschah marionettenhaft, zögernd, ängstlich. Mitleidlos rammte Hank dem verstörten Mann die Mündung unterhalb des Ohres gegen den Hals und dirigierte ihn zur Tür.

Da kam donnernder Hufschlag auf, in den sich das Rattern der Postkutschenräder mischte. Schnell schwoll das Geräusch an. Und dann raste die Concord vorbei, eine wogende Staubfahne hinter sich herziehend. Auf dem Bock saßen zwei Männer, hinter dem staubblinden Fenster des Schlages war undeutlich das Gesicht eines Fahrgastes auszumachen. Beim Postoffice riss der Kutscher die Pferde zurück. Die Tiere knickten auf der Hinterhand ein, dann steilten sie und keilten mit den Vorderhufen durch die Luft. Die Staubglocke verdichtete sich und ließ alles nur noch schemenhaft erkennen.

»Casa Grande!«, brüllte der Kutscher. »Eine Stunde …«

»Fahr weiter, Shorty!« schrie ein Mann mit sich überschlagender Stimme. »Hier werden gleich die Fetzen fliegen!«

Der Kutscher begriff nicht sogleich. Verwundert blickte er um sich. Und nun wurde ihm die lastende Atmosphäre, die über dem Platz lag, bewusst.

»Fahr weiter, zum Teufel!«

»Hüh!« Shorty hatte verstanden. Das Gespann ruckte an, und der Begleitmann wurde hart in den Bock gedrückt. Die Räder mahlten, die Pferde schnaubten und warfen die Köpfe hoch, dass ihre Mähnen flatterten. Das Gefährt rollte in die Lücke zwischen Postoffice und dem Gebäude der Wells & Fargo. Bleierne Stille trat ein.

In sie hinein drang die Stimme des Marshals: »Wir geben euch genau zwei Minuten Zeit, mit erhobenen Händen ins Freie zu treten! Danach holen wir euch. Mit Sheriffmördern machen wir kurzen Prozess!«

»Dann komm nur und hol uns!«, rief Jack Dodson selbstsicher. »Vergiss aber nicht, dass wir den Keeper in unserer Gewalt haben. Der Mann hat also noch zwei Minuten zu leben, wenn du deine Drohung wahr machst!« Er richtete seinen Blick auf den zitternden Keeper. »Hat der Saloon einen Hinterausgang?«

Der Angesprochene nickte krampfhaft und schluckte würgend.

»Gut.« Der Bandit wandte sich wieder ab.

»Wenn ihr dem Keeper auch nur ein Haar krümmt, dann lynchen wir euch!«, gellte es in den Schankraum. Es war nicht die Stimme des Marshals, die das gerufen hatte.

»Vorher fressen aber einige von euch unser Blei!«, schrie Jack Dodson wild und laut.

»Ihr macht alles nur noch schlimmer!«, ließ sich wieder Marshal Blaines vernehmen. »Ich garantiere euch eine faire Verhandlung, wenn ihr euch ergebt. Kein Mensch in dieser Stadt wird Hand an euch legen. Seid dessen versichert.«

»Als ob das nicht egal wäre, ob einer wie du mit gerichtlicher Sanktion uns den Strick um den Hals legt, oder ob uns Richter Lynch den Garaus macht. Aufgehängt zu werden ist auf diese oder jene Weise nicht angenehm. Darum verzichten wir darauf, Marshal.«

»Unser Aufenthalt in Casa Grande fallt kürzer aus, als du es dir je erträumt hat, Jack«, knurrte Wy Hastings und grinste hämisch.

»Halt die Luft an!«, erwiderte der Anführer des Rudels bissig. »Die brauchst du vielleicht noch fürs Hängen.«

Hastings antwortete mit einem lästerlichen Fluch.

»Dann werden wir euch ausräuchern. Wir kriegen euch, so oder so!« Die Drohung des Marshals drang in den Schankraum und erreichte die Ohren der Banditen.

Die Dodsons zeigten sich unbeeindruckt. Diese drei abgebrühten Halunken fürchteten weder Tod noch Teufel. Anders Hastings. In dem begann die Furcht hochzukriechen wie Gift. Sie jagte das Blut durch seine Adern und ließ sein Herz hart gegen die Rippen pochen. Und ein flaues Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit.

»Wir müssen unsere Gäule erreichen!«, gab er heiser, mit belegter Stimme zu verstehen, und sein gehetzter Blick traf Jack Dodson. »Und dann in die Sättel und nichts wie weg.«

»Darauf warten die Hombres da draußen doch nur, du Narr. Sie spicken dich mit Blei, dass dir Hören und Sehen vergeht, noch ehe du auch nur einen Fuß in den Steigbügel bringst. O nein. Den Gefallen erweisen wir ihnen nicht. Wir bleiben schön in diesem Saloon und lassen alles auf uns zukommen.«

Und Ed Dodson fügte trotzig hinzu: »Wenn es sein muss, halten wir es hier tagelang aus. Und irgendwann geht den Hundesöhnen da draußen schon die Luft aus.«

»Nicht mit mir«, giftete Wy Hastings. »Denkst du allen Ernstes, ich warte, bis dieser lausige Marshal Truppenverstärkung aus dem nächsten Fort angefordert hat? Die Kavalleristen würden nicht zögern, in die Sättel zu steigen, um vier Sheriffmörder zu erwischen. Nein, Freunde, ohne mich. Da könnte ich mir ja gleich selbst die Kugel geben.«

»Nun mach dir nicht gleich in die Hosen, Hastings!«, brummte Jack Dodson mit ätzendem Spott. »Sie haben uns noch nicht. Und sie werden uns auch nicht so schnell kriegen.« Und gepresst rief er nach draußen: »He, Marshal, hörst du mich?«

»Ja!«

»Gut, dann sperr deine Lauscher auf! Du wirst jetzt einen waffenlosen Mann zum Saloon schicken. Er hat unsere Gäule zur Hintertür zu bringen. Und versuche nicht, uns hereinzulegen. Das würde dem Keeper gar nicht gefallen. Denn wir würden mit ihm kurzen Prozess machen.«

»Ihr kommt nicht weit!«, schallte es zurück.

»Das lass nur unsere Sorge sein.«

Marshal Blaines schwieg. Wahrscheinlich beriet er sich mit einigen seiner Leute. Zwei, drei Minuten verrannen, dann ließ er sich wieder vernehmen: »Werdet ihr den Keeper laufen lassen, wenn wir euch freien Abzug gewähren?«

»Natürlich. Aber vorher werden sich deine Scharfschützen drüben bei der Kirche versammeln. Und ihre Waffen will ich in den Brunnen fliegen sehen. Kapiert?«

Zähneknirschend erklärte der Marshal sich einverstanden. Männer kamen aus ihren Deckungen, gingen zum Brunnen und warfen wutschnaubend ihre Revolver und Gewehre in die Tiefe. Mit schleppenden Schritten und hängenden Schultern trotteten sie hinüber zur Kirche und verharrten dort. Der ohnmächtige Zorn ließ sie schweigen. Marshal Blaines bestimmte einen Mann, der die Banditenpferde in den Hof des Saloons führen sollte. Widerwillig setzte sich dieser in Bewegung.

»Sieh mal an«, Jack Dodson grinste, »der Sternschlepper folgt aufs Wort.«

Sie beobachteten den Mann, wie er die Pferde losband und vorbeiführte. Er zerrte sie um die Ecke des Saloons in den Hinterhof, in dem es vor Unrat nur so starrte, ließ die Zügel einfach auf den Boden fallen und beeilte sich, fortzukommen.

»All right«, sagte Jack Dodson, »dann wollen wir mal.«

Sie durchquerten den Schankraum. Hank dirigierte den Keeper vor sich her und bohrte ihm unbarmherzig die Revolvermündung in die Seite. Hastings riss die Hintertür auf und spähte hinaus. Da standen die Pferde im Schatten des Hauses. Die Outlaws schoben sich ins Freie, sicherten um sich und tasteten mit hellwachen Blicken die Dächer zu beiden Seiten des Saloons ab.

Marshal Blaines hatte die Anordnung Dodsons wortgetreu befolgt. Die Banditen saßen auf. »Du gehst vor uns her!«, befahl Jack Dodson dem schwitzenden Keeper. »Und denk daran, auf deinen Rücken sind vier Kanonen gerichtet, die bei der geringsten Dummheit losgehen.«

Der schlotternde Mann rang nach Luft wie ein Erstickender, dann stolperte er mehr als er ging zum Hoftor, das sperrangelweit offen stand. Hinter seinem Rücken erklang der gleichmäßige Hufschlag der Banditenpferde. Sein Schritt stockte bei der Einmündung in die Plaza.

»Vorwärts!«, schnarrte Dodson.

Der Keeper wankte weiter, gefolgt vom Stampfen und Prusten der Pferde.

Sie kamen aus dem Schatten ins gleißende Sonnenlicht. Drüben standen der Marshal und seine Leute wie angenagelt. Ihre Mienen drückten aus, was sie dachten.

»Los jetzt!«, presste Jack Dodson zwischen den Zähnen hervor. Hart setzte er seinem Pferd die Sporen in die Weichen. Das gepeinigte Tier streckte sich. Der Keeper erhielt einen furchtbaren Stoß und wurde in den Staub geworfen. Ein Pferd donnerte über ihn hinweg, sein panischer Aufschrei ging unter im stampfenden Hufgetrappel.

Im gestreckten Galopp jagten die Gesetzlosen zur Mündung der Main Street in die Plaza. Gnadenlos traktierten sie ihre Pferde mit den scharfen Sporen und den langen Zügelenden. Plötzlich wurde aus dem Gebäude der Wells & Fargo Company das Feuer eröffnet. Die Schüsse peitschten über den Platz, hallten als Echo von den Häusern wider und stießen über die Dächer hinweg. Die Männer bei der Kirche schrieen auf, ihre heiseren Stimmen brüllten durcheinander.

Wy Hastings wurde getroffen. Die Wucht der Kugel warf ihn nach vorn auf den Hals seines Pferdes. Verzweifelt versuchte er, sich im Sattel zu halten. Glühender Schmerz in seiner rechten Schulter drohte ihm die Besinnung zu rauben.

Wieder krachten Schüsse in rasender Folge. Die Projektile jaulten hinter den Banditen her, zerschlugen Fensterscheiben und rissen den Putz von den Wänden.

Die Dodsons lagen flach auf den Rücken ihrer Gäule und prügelten sie vorwärts — und schafften es. Keiner kümmerte sich um Wy Hastings, dessen Pferd plötzlich zur Seite ausbrach und seinen Reiter abwarf. In hohem Bogen flog der Colt des Banditen davon. Hastings überschlug sich zweimal, dann blieb er reglos liegen.

Die beiden Postkutschenfahrer hetzten aus dem Haus der Frachtgesellschaft. Ihre rauchenden Gewehre deuteten auf den Banditen, der wie tot dalag.

In der Ferne verebbte der trommelnde Hufschlag. Aufgewirbelter Staub und Pulverdampf, der aus dem Fenster und der Tür des Wells & Fargo-Gebäudes wogte, löste sich in der Luft auf.


*


Die Stagecoach rollte auf den Platz vor dem Postoffice. Die Pferde wurden gewechselt. Aus dem Gebäude der Wells & Fargo Company schleppten zwei Männer eine schwere, eisenbeschlagene Kiste. Sie wuchteten sie in den Kasten der Concord, wischten sich die Hände ab, und einer sagte grinsend zu den beiden Fahrern, die vor einer halben Stunde heißes Blei hinter den fliehenden Banditen hergejagt hatten: »Passt nur schön auf sie auf. Da sind mehr Dollars drin, als ihr beide zusammen jemals zu Gesicht bekommen werdet.«

»Wir werden der Bank in Yuma ihr Geld schon bringen«, knurrte Luke Wilburne gereizt. Dann stieg er auf den Bock. Sein Partner kletterte ebenfalls hinauf und rückte sich auf dem Sitz zurecht. »Wo bleiben die Fahrgäste?«, meckerte er ungeduldig. »He, Bob!«, rief er einem kleinen, glatzköpfigen Mann zu, der an der Tür des Postoffice stand. »Sag den Passagieren, dass es weitergeht! Andernfalls müssen sie laufen.«

Zwei Männer stiegen zu. Einer war gekleidet wie ein Rancher, der andere sah aus wie ein Geschäftsmann. Er schleppte sich mit einer großen Tasche ab.

Der Schlag fiel zu.

»Gib ihnen Schnur, diesen lahmen Krücken«, meldete sich wieder Bill West. »Jede Minute ist kostbar, Luke. Du weißt es. Auf meine Rückkehr wartet eine feurige Lady!«

Luke ließ die Peitsche knallen, ein jäher Ruck ging durch die Kutsche. Die Räder mahlten durch den Staub. Die Achsen quietschten, die Concord holperte. Das Gefährt bog in die Main Street ein, glitt an den Häusern und Hütten vorüber, und dann war die Stadt, in die wieder Ruhe eingekehrt war, zu Ende. Luke trieb das Gespann an. Casa Grande versank hinter ihnen im Sonnenglast.

Am Nachmittag erreichten sie Maricopa Wells, und nach zwanzig Minuten Aufenthalt ging es weiter. Die Straße begann anzusteigen und die Pferde mussten sich mächtig ins Zeug legen. Auf einer Seite wuchteten die Hügel und Felsen der Sierra Estrella empor. Das Land wurde wieder flacher, und in der Ferne glitzerte der Waterman Wash, der zum Gila River floss. Sie kamen nach Mobile, und am Abend erreichten sie Estrella, die kleine Ansiedlung in den Ausläufern der Maricopa Mountains.

Am folgenden Tag ging es weiter nach Westen. Zwischen Shawmut und Bosque, mitten in den Bergen, passierte es: Ein peitschender Schuss übertönte das Poltern und Stampfen der Kutsche. Luke Wilburne kippte mit einem abgerissenen Aufschrei kopfüber vom Bock. Die Zügel fielen zu Boden. Drei Reiter preschten hinter einem haushohen Felsblock hervor. Ihre Revolver spuckten Feuer und Blei.

Sekundenlang war Bill West vor Schreck erstarrt, dann aber begriff er jäh. Mit einem Satz war er von der Kutsche, aber kaum, dass er aber auf der Erde landete, traf es ihn. Er spürte keinen Schmerz, lediglich den Aufschlag der Kugel. Dann versank alles um ihn herum.

Das Gespann lief noch ein Stück weiter, kam dann aber von selbst zum Stehen. Der donnernde Hufschlag brandete heran. Die Banditen hatten das Feuer eingestellt. Bei der Stagecoach parierten sie ihre Pferde. Die Tiere stellten und drehten sich.

»Aussteigen!«, brüllte Jack Dodson. »Aussteigen und keine Zicken!«

Mit eiserner Hand zwangen die Outlaws ihre Pferde, ruhig zu stehen. Knarrend schwang der Schlag der Kutsche auf. Der Fahrgast, der aussah wie ein Geschäftsmann, schob seinen Kopf heraus. »Nicht schießen!«, rief er leichenblass. »Wir kommen schon. Nicht schießen!«

Ächzend und schwitzend kam er ins Freie, und ohne dass ihn die Dodsons dazu auffordern mussten, hob er die Hände bis in Achselhöhe. Der andere Fahrgast kletterte ebenfalls aus der Kutsche, und auch er nahm die Hände hoch. Angstvoll schauten sie in die Gesichter der Banditen, die finster und drohend wirkten. Wie Totenaugen waren die Mündungen ihrer Colts auf die zwei Männer gerichtet.

»Sie - Sie können alles, was ich habe, bekommen«, stotterte der Geschäftsmann. Pfeifend saugte er Luft in seine Lungen. Seine Hände flatterten. Der andere schwieg. Aber über seine Stirn perlte der kalte Schweiß und rann ihm in die Augen.

Ed und Hank Dodson sprangen von den Pferden, hasteten zur Kutsche und rissen den Wagenkasten auf. »Da ist sie ja!« Ed feixte und hob mit seinem Bruder die eisenbeschlagene Kiste heraus. Gebannt schaute Jack ihnen zu. Auf die beiden Reisenden achtete er nicht mehr. Die starben halb vor Angst, und von ihnen drohte keine Gefahr.

Ein Vorhängeschloss sicherte die Kiste. Die beiden Banditen stellten sie auf den Boden. Ein Schuss krachte, und das Schloss sprang auf. Ed klappte den Deckel hoch, und die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen. »Höllenfeuer!«, entrang es sich ihm. »Das sind mindestens fünfzigtausend Dollar.« In seinen Augen erschien die unverhohlene Habgier.

Jack Dodson hob das rechte Bein über den Sattelknauf und rutschte vom Pferd. Sporenrasselnd stapfte er zu seinen Brüdern hin und starrte dann auf den Inhalt der Kiste. »Damit können wir uns in Mexiko zur Ruhe setzen«, sagte er nach einer ganzen Weile, und seine Stimme klang belegt. Er strich sich über das Kinn. »Verstaut die Bucks in den Satteltaschen!«, befahl er dann. »Lasst die Beutel mit dem Hartgeld hier, wenn ihr sie nicht unterbringt.« Er drehte sich den beiden Passagieren zu. Langsam hob er die Hand mit dem Colt.

»Nicht, Mister — nicht schießen, Mister!«, wimmerte der Geschäftsmann. »Bitte …«

»Keine Sorge, mein Freund.« Jack Dodson grinste böse. »Nehmt eure Beine in die Hände und verschwindet! Ihr beiden interessiert uns nämlich nicht. Was wir wollten, haben wir.« Ein frostiges Lachen folgte, das den beiden durch und durch ging.

Sie rannten davon, strauchelten das eine oder andere Mal, erlangten rudernd ihr Gleichgewicht zurück und verschwanden in einem Canyon.

Jack Dodson stieß seinen Colt ins Halfter. Er ging zu Bill West, der auf dem Gesicht lag. Der Bandit drehte ihn auf den Rücken und sah die gebrochenen Augen, die zum Himmel starrten. Conchita würde vergebens warten. Auch Luke Wilburne war tot. Er würde sich in keiner Stadt mehr tödlich langweilen.

Der Zufall hatte Schicksal gespielt. Die unbedachte Äußerung eines Postkutschenfahrers im Saloon in Casa Grande hatte Tod und Verderben nach sich gezogen, weil die falschen Ohren sie vernommen hatten.

Die Kiste war leer. Das Geld befand sich in den Satteltaschen der Banditen und füllte sie prall. Hank und Ed hatten auch einen Platz für die Beutel mit dem Hartgeld gefunden.

Sie zogen sich in die Sättel. Vor der Kutsche stampften die Zugtiere im Geschirr. Die Banditen ritten an. Sie verließen die Poststraße und zogen durch unwegsames, felsiges Terrain. Und sie hatten keinerlei Gewissensbisse.


*


Kelly sandte einen Blick zum Himmel. Einige Geier zogen hoch über ihm ihre Kreise. So weit er blicken konnte, war nichts als trockene Steinwüste mit genügsamer Vegetation. Felsnadeln ragten steil empor, Felsbrocken versperrten seinen Weg und zwangen ihn, sie zu umreiten.

Er knüpfte sein Halstuch los und wischte sich damit die Stirn trocken. Das Hemd klebte an seinem Körper. In der Ferne flirrte die Luft und ließ die Konturen verschwimmen. Kelly kannte dieses Land, das von wilder Schönheit geprägt war, nicht. Kreuz und quer hatte er es nach einer Spur von den Banditen, die seinen Bruder ermordeten, abgesucht. Gefunden hatte er nichts. Sie waren und blieben wie vom Erdboden verschwunden.

Stunde um Stunde verging. Meile um Meile blieb unter den Hufen des Braunen zurück. Die Abenddämmerung breitete sich über den Tälern und Canyons aus und sickerte in sie hinein. Die Geräusche des Tages erstarben. Irgendwo heulten Kojoten im Chor die hereinbrechende Nacht an. Es wurde stockdunkel. Der Mond würde erst in einer Stunde aufgehen.

Kelly beschloss zu lagern. Er sattelte sein Pferd ab und breitete am Fuße einer steilen Felswand seine Decke aus. Dann lag er still und starrte hinauf zum Firmament, an dem die ersten Sterne zu funkeln begannen.

Vor drei Tagen hatte er Tucson verlassen. Er war ratlos. Nichts ließ darauf schließen, dass die Banditen sich irgendwo in dieser Einöde versteckt hielten — kein niedergebranntes Lagerfeuer, kein Pferdedung, nicht ein einziger Hinweis.

Er sagte sich, dass die Schufte es nicht wagen konnten, sich in einer Stadt blicken zu lassen. Die Fahndung nach ihnen lief auf vollen Touren, und auf den Kopf eines jeden der vier waren fünfhundert Dollar Belohnung ausgesetzt worden. Tot oder lebendig. Also würden sie die Ansiedlungen meiden.

Kelly konnte nicht ahnen, dass die Verbrecher weitaus abgebrühter und kaltschnäuziger waren, als er sie einschätzte.

Du wirst weitersuchen, Kelly, spornte er sich selbst an. Du wirst diese Dreckskerle finden und sie schnappen. Andernfalls wirst du dich nie wieder in einem Spiegel ansehen können. Du bist es Tom schuldig. Du hast deinem großen Bruder nämlich nie viel Freude bereitet, darum …

Ihm fielen die Augen zu, und seine Gedanken verloren sich.

Fahles Mondlicht geisterte durch das Ast- und Nadelgewirr der Zedern, unter denen Kelly schlief. Raunend strich der kühle Nachtwind durch die Baumkronen und Sträucher.

Im Gebüsch war ein kurzes Rascheln, ein Zweig wurde vorsichtig zur Seite gebogen. Kelly schlief tief und traumlos.

Der Braune hob den Kopf, witterte und spielte unruhig mit den Ohren. Er schnaubte leise, richtete sich plötzlich ruckhaft auf. Wie eine Fanfare zerschnitt sein Wiehern die Stille.

Kelly ruckte hoch. Schlagartig war er hellwach. Seine Rechte umklammerte den Kolbenhals der Winchester, die neben ihm lag. Er riss das Gewehr an sich, federte auf die Beine und lief geduckt in den tiefen Schatten der Felswand, presste sich hart gegen den rissigen Stein. Sein Blick schnellte hin und her,

Unter den Bäumen wechselten bleiches, unwirkliches Licht und Schatten und täuschten das Auge. Kelly spürte instinktiv, dass hinter Büschen und Felsklötzen der Tod lauerte. Er hatte keine Ahnung, woher das Gefühl kam. Aber es war da und ließ sich nicht unterdrücken.

Sollten etwa die Banditen … Nein! Sie ahnten nichts von seiner Existenz und würden sich auch nicht anschleichen wie die wilden Tiere. Und dass sich jemand heranpirschte, konnte Kelly nahezu riechen.

Etwas fauchte heran, hackte gegen den Fels und fiel zu Boden.

Ein Pfeil! Heiß durchfuhr es Kelly.

Und da brach auch schon ohrenbetäubender Lärm los. Gellendes Geheul ließ Kelly das Blut in den Adern gefrieren. Sein Brauner riss an der Leine und stampfte wie verrückt.

Schattenhafte Gestalten lösten sich aus der Dunkelheit und hetzten mit schaurigem Gebrüll heran. Vier – fünf …

Kelly riss den Colt heraus, feuerte ohne lange zu überlegen auf die anstürmenden Schemen. Halbnackte Körper brachen röchelnd zusammen. Kelly wechselte seine Stellung, warf sich hinter einen Strauch und rollte herum.

Apachen!, hämmerte es hinter seiner Stirn. Das darf doch nicht wahr sein! Eine kalte Hand griff nach Kellys Herz.

Pfeile zischten durch die Sträucher, zerfetzten die Blätter und harkten gegen den Felsen. Splitter wirbelten zu Boden. Das schreckliche Gebrüll war verstummt. Zwei Apachen ergriffen die Flucht, ein dritter versuchte kriechend aus Kellys Schussfeld zu gelangen. Immer wieder knickten ihm die Arme ein, voll Todesangst, aber er schleppte sich weiter. Kelly hob den Colt, zielte, brachte es aber nicht fertig, abzudrücken. Er schalt sich einen verdammten Narren, senkte die Hand.

Der Indianer wurde eins mit dem Gebüsch. Ein scharfer, gutturaler Ruf war zu hören, dann trat Stille ein.

Kelly überlegte fieberhaft. Er wusste genau, dass die Apachen nicht so schnell aufgeben würden. Und er fragte sich, was sie auf den Kriegspfad geführt hatte. Waren wieder einmal irgendwelche Verträge nicht erfüllt worden und die Apachen auf die Barrikaden gegangen? Wahrscheinlich hatten sie ihn schon längere Zeit beobachtet, denn seinen Lagerplatz hatte weder ein Feuer noch sonst etwas verraten. Das fehlt mir ja gerade noch, dachte Kelly gallig. Da machst du Jagd auf vier gemeine Mörder und wirst selbst zum Gehetzten. By Jove, Freunde, allzu leicht wird es euch der alte Kelly aber nicht machen.

Er vernahm ein schwaches Rascheln in den Sträuchern und atmete ganz flach.

Die Apachen warteten auf ihre Chance. Es war ihnen nicht gelungen, den verhassten Weißen mit dem ersten Ansturm zu überwältigen und zu töten. Im Gegenteil. Er hatte zwei von ihnen in die ewigen Jagdgründe geschickt.

Vielleicht berieten sich die drei oder vier Übriggebliebenen, vielleicht aber lauerten sie auch nur und warteten darauf, dass der Mann, den sie sich zum Opfer auserkoren hatten, einen Fehler machte.

Kelly kroch zur Seite zwischen die Bäume, arbeitete sich im Schlagschatten der Felswand weiter, nutzte jede mögliche Deckung aus und zwängte sich schließlich in einen Felsspalt. Hier war es finster wie im Schlund der Hölle. Er lauschte in die Nacht hinein. Von den Apachen war nichts mehr zu hören oder zu sehen. Es war, als hätte die Erde sie verschluckt. Und wären die beiden leblosen Körper draußen im Mondlicht nicht gewesen, dann hätte Kelly das alles für einen bösen Traum gehalten.

Kelly lud den Colt nach und heftete dann seinen Blick auf den dunklen Umriss seines Pferdes. Das Tier stand ruhig, mit hocherhobenem Kopf, und schnaubte prustend. Es hatte noch immer die Witterung der Apachen in der Nase. Kelly erkannte es, und seine Wachsamkeit steigerte sich. Er starrte sich die Augen aus.

Zermürbende Minuten folgten. Die Stille zerrte an den Nerven.

Da! Eine Bewegung neben einem Felsklotz.

Sofort drückte Kelly ab. Die Kugel klatschte gegen den Gesteinsbrocken und sirrte als Querschläger durch die Büsche.

Markerschütterndes Heulen war die Antwort. Pfeile sirrten heran, prallten vom Felsen ab und zischten in die Felsnische. Aber Kelly lag längst flach am Boden und zog den Kopf ein.

Das Mündungslicht hatte ihnen seinen Standort verraten. Kelly halfterte die Waffe und drückte die Winchester an die Wange. Er hebelte eine Patrone in den Lauf, und für einen Moment erfüllte das metallische Geräusch die Luft.

Zwischen den Zedern tauchte unvermittelt eine untersetzte Gestalt auf. Die bloße Haut ihres Oberkörpers glänzte matt im diffusen Licht. Das Messer in der Faust des Apachen blinkte.

Kaltblütig zog Kelly durch, zweimal, dreimal. Der Indianer wurde von den Kugeln herumgerissen und geschüttelt, dann stürzte er zwischen die Büsche.

Das Echo der Schüsse war noch nicht verhallt, als seine Gefährten aus den tiefen Schatten brachen. Brüllend jagten sie geduckt heran, Pfeile schnellten von den Sehnen ihrer Bogen. Kelly biss die Zähne zusammen und schoss. Der Knall der Detonation wehte über die Höhe und verlor sich in den Canyons und Schluchten.

Glühender Schmerz im Oberarm ließ Kelly aufschreien. Er wallte bis in seine Schulter und in den Nacken.

Nur noch zwei Indianer waren es, die heranstürmten. Einen konnte Kelly noch von den Beinen holen, dann hechtete der andere auf ihn zu.

Kelly rollte sich instinktiv auf den Rücken, winkelte die Beine an und stieß sie schräg nach oben. Der Apache flog genau in diesen wuchtigen Stoß hinein und wurde zur Seite geschleudert. Voll wilder Leidenschaft schrie er auf, kam behände auf die Beine und wirbelte wieder auf den Gegner zu, in dem Augenblick, als Kelly sich blitzschnell aufrichtete.

Der Apache sprang ihn an. Kelly schlug mit der Winchester zu und traf den Angreifer seitlich am Kopf. Der Indianer ging in die Knie, und Kelly holte erneut aus. Der zweite Schlag fällte den Apachen. Er brach in die Knie und kippte seufzend zur Seite.

Kelly atmete tief durch. In seinem Arm steckte ein Pfeil. Er riss ihn kurzerhand aus der Wunde und schleuderte ihn zur Seite. Der stechende Schmerz trieb ihm das Wasser in die Augen. Sekundenlang wurde ihm schwindlig.

Irgendwo peitschten Äste und rauschte das Blattwerk, dann durchdrang hämmernder Hufschlag die Nacht.

Der Apache, der beim ersten Angriff verletzt worden war, floh. Und wieder schimpfte Kelly sich einen Dummkopf, weil er nicht geschossen hatte, als der Bursche davonkroch. Er ging nacheinander zu den verstreut herumliegenden Gestalten. Vier hatte er getötet. Ein bitterer Geschmack war plötzlich in seinem Mund. Sein Kehlkopf wurde trocken wie Wüstensand. Diese Rothäute trugen tatsächlich die Farben des Krieges in den Gesichtern und Kelly ahnte, dass das Territorium wieder einmal in Flammen stand.

Er setzte sich neben dem Bewusstlosen auf die Erde und riss seinen Hemdsärmel auf. Blut quoll aus der Wunde. Der Arm war gefühllos, wie taub. Und der Schmerz raste in Intervallen durch seine Schulter. Er nahm sein Halstuch ab und zurrte es um die Verletzung. Dann wartete er.

Nach etwa einer Viertelstunde regte sich der Apache. Kelly stand auf und beugte sich über ihn. Vorsichtshalber nahm er den Colt in die Faust. Ein wildgewordener Apache war unberechenbar und tödlich gefährlich. Und Kelly wollte nichts aufs Spiel setzen.

Er starrte in das breitflächige, knochige Gesicht, das von den grellen Farben verzerrt wurde und maskenhaft anmutete. Es war ein junger Krieger. Jetzt lag er wieder still. Aber die zuckenden Lider verrieten Kelly, dass er wach war.

Kelly richtete sich auf. »Mach die Augen ruhig auf, mein Freund«, sagte er kühl. »Du kannst mir nichts vorspielen. Und denk daran, dass ich dir ein Loch ins Fell brenne, wenn du etwas versuchst.« Knackend spannte er den Hammer.

Und da öffnete der Apache die Augen. Im fahlen Licht glitzerten sie wie glühende Kohlen.

»Gut so, Amigo«, sagte Kelly. »Und jetzt wirst du mir verraten, warum ihr Burschen mir das Lebenslicht ausblasen wolltet. Na, muss ich noch lange warten?«

Der Indianer schwieg, und Kelly bekam Zweifel, ob er überhaupt seine Sprache verstand.

»Kannst du mich nicht verstehen, oder willst du nicht?«, fragte er. Und schnell fügte er hinzu: »Glaub mir, mein Freund, ich will dir nichts Böses. Und ich hätte auch niemals auf euch geschossen, wenn ihr Wahnsinnsknaben mich nicht dazu gezwungen hättet. Also nimm die Zähne auseinander und spuck aus, was ich von dir wissen möchte!«

Noch ein wenig benommen setzte der Apache sich auf. Er griff sich an den Kopf, aber über seine Lippen kam kein Ton.

»Wenn du jetzt nicht sprichst, dann prügele ich aus dir heraus, was ich hören will!«, rief Kelly, und der Klang in seiner Stimme ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er langsam die Geduld verlor und er seine Drohung in die Tat umsetzen würde.

Plötzlich sagte der Apache in fließendem Englisch: »Du hast vier von meinen Brüdern getötet, weißer Mann, einen fünften schlimm verwundet und mich niedergeschlagen.« Es hatte anklagend und vorwurfsvoll geklungen.

»Jetzt schlägt's dreizehn!«, stieß Kelly wütend hervor. »Ihr Burschen wolltet mir das Fell abziehen, und nun beschwerst du dich, weil ich mich gewehrt habe. Das ist wohl ein Witz, mein roter Freund?«

Der Krieger ließ sich mit der Antwort Zeit, und Kelly spürte schon wieder die Ungeduld in sich aufsteigen.

Da aber meinte der Apache kehlig: »Die Chiricahuas sind tapfere Krieger und haben den weißen Eindringlingen den Krieg erklärt. Mehr als fünf mal zehn junge Krieger haben die Reservation verlassen, um die weißen Männer zu bekämpfen und viele von ihnen zu töten.«

»Warum?«

»Weiße Hunde haben zwei von uns umgebracht, sie waren auf der Jagd und friedlich. Aber die Mörder haben sie in den Rücken geschossen.«

Kelly befeuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze. »Und jetzt wollt ihr euch grausam rächen, wie?«

»So ist es.«

»Weißt du nicht, was die Armee mit aufrührerischen Indianern macht, die sengend und mordend durch's Land ziehen?«

»Die Chiricahuas fürchten die Pferdesoldaten nicht. Wir werden kämpfen, und wenn es sein soll, sterben.« Der Apache hatte es voller Leidenschaft ausgestoßen.

»Sterben werdet ihr, ja. Sogar euer Geronimo hat begriffen, dass es sich in Frieden mit den Weißen gesünder lebt. Sterben bei euch denn die Verrückten niemals aus?«

»Geronimo ist alt und schwach geworden. In ihm ist nicht mehr das Feuer der Jugend. Asche hat sich auf die Glut gelegt.« Der Apache machte eine Pause, um gleich darauf mit hassgetränkter Stimme fortzufahren: »Wir werden für jeden unserer ermordeten Brüder hundert und mehr Weiße töten. Das haben wir an den Feuern beschlossen, wir haben es geschworen, und wir werden den Schwur erfüllen.« Der Chiricahua rührte sich.

»Bleib nur sitzen«, zischelte Kelly drohend, »sonst folgst du denen dort zum Großen Geist!«

»Auch die vier Weißen, die unsere Brüder in den Rücken schossen, werden sterben. Und mit ihnen viele Menschen in der Stadt an der großen Straße.« Der Apache nickte einige Male nachdrücklich.

Kelly war hellhörig geworden. In seinem Kopf hetzten sich die Gedanken. »Sagtest du - vier Weiße?«, fragte er gedehnt. »Und von welcher Stadt redest du?«

»Vier Weiße, ja«, gab der Indianer bereitwillig Auskunft. Er spürte, dass ihm von dem großen Mann keine Gefahr drohte, wenn er nichts herausforderte. Und schließlich waren Apachen auch nur Menschen, die am Leben hingen und Schmerzen verspürten. »Vier schlechte Männer. Sie sind nach Casa Grande geflohen.«

Tiefe Genugtuung erfüllte Kelly. »Du hast mir soeben einen großen Dienst erwiesen, roter Freund«, sagte Kelly. »Und dass ich deine Brüder töten musste, tut mir leid. Ja, wirklich. Ich habe nichts gegen euch rote Burschen. Sag mir noch deinen Namen.«

»Wirst du mich erschießen, Weißer?«, fragte der Apache. Der Hass in ihm war der Angst gewichen. Er versuchte sie jedoch mannhaft zu unterdrücken und zeigte McQuade ein stoisch-ausdrucksloses Gesicht.

Kelly lachte dunkel und freudlos auf. »Blut ist genug geflossen, denke ich. Ich sagte es doch: Ich habe nichts gegen den roten Mann. Also, wie heißt du?«

»Mein Name ist Ulzana.«

»Nun gut, Ulzana. Steh auf und verschwinde! Du wirst allerdings laufen müssen. Dein Kamerad ist mitsamt euren Gäulen abgehauen wie der Blitz.«

»Du lässt Ulzana tatsächlich …« Ungläubig musterte ihn der Apache.

»Ja, verdammt. Zieh Leine, ehe ich's mir anders überlege!«

Der Apache sprang auf, starrte Kelly noch sekundenlang ungläubig an, dann warf er sich herum und verschwand wie ein Spuk zwischen Felsen und Gebüsch.

Kelly blies seine Wangen auf und stieß dann scharf die Luft aus. Dann ging er zu seinem Braunen und sagte sanft: »Danke, alter Junge, danke. Ohne dich läge ich jetzt wahrscheinlich mit blutendem Schädel und mausetot hier und wüsste nicht einmal, wer mir die Gurgel durchgeschnitten hat.« Liebevoll tätschelte er den Hals des Hengstes.


*


Kelly ritt, als säße ihm der Leibhaftige im Nacken. Die Hufe seines Pferdes berührten kaum den Boden. Mit sicherem Instinkt jagte der Hengst dahin. Schaumflocken wehten von seinen Nüstern, der scharfe Reitwind trieb sie gegen die Beine des Reiters. Es war, als ahnte das Tier, dass es von ihm abhing, ob Kelly rechtzeitig in Casa Grande anlangte, um die Menschen dort vor den aufständischen und rachsüchtigen Apachen zu warnen.

Kelly wusste nicht genau, wo die Stadt lag. An der großen Straße, der Poststraße also. Aber wo an der Poststraße? Nur eines wusste Kelly genau: Die Überlandstraße lag im Norden.

Eine kleine Town tauchte auf. Kelly hielt darauf zu. Er sah ein Ortsschild, riss ein Streichholz an und las im Schein der spärlichen Flamme: Chui Chuischu. Und darunter stand mit etwas kleineren Buchstaben: Casa Grande 8 Meilen. Er war also richtig.

Rastlos trieb er sein Pferd weiter, erreichte wieder offenes Land und jagte im kalten Licht der Sterne dahin. Der Reitwind schlug ihm ins Gesicht, und der Stetson hing längst am Kinnriemen auf seinem Rücken. Das Pferd röchelte und röhrte.

Rechter Hand schälte sich der Buckel einer bewaldeten Anhöhe aus der Dunkelheit, darüber zeigte ein heller Streifen an, dass der Morgen kam. Die Sterne verblassten. Es wurde stockdunkel, und Kelly war gezwungen, das Tempo seines Pferdes zu mäßigen, wollte er sich nicht den Hals brechen. Es ging durch einen Fluss, dem Santa Cruz River, was Kelly jedoch nicht wusste. Gurgeln und Rauschen war um Kelly und die Schwaden der Flussnebel wallten. Die Ufer waren von Bäumen und Büschen gesäumt, dahinter lag wieder ebenes Land. Seit Chui Chuischu folgte Kelly einem schmalen, ausgefahrenen Weg, der sich in vielen Windungen dahinzog. Er schien kein Ende nehmen zu wollen. Aber als im Osten die Morgenröte heraufzog, erreichte er Casa Grande.

Die Stadt lag in tiefem Schlaf.

Kelly atmete durch. Die Beklemmung in ihm löste sich ein wenig. Er war also noch nicht zu spät gekommen. Die Apachen hatten die Town noch nicht überfallen.

Er preschte auf die Plaza und zügelte hart den Braunen. Staub wehte auf. Kelly orientierte sich, konnte nicht viel erkennen und ritt an den Häusern entlang. Der dumpfe Hufschlag drang durch die Stille. Kelly erkannte einen Saloon, ein Stück weiter passierte er das Gebäude der Wells & Fargo Company, die Poststation, ein Hotel folgte, einige Gebäude mit verschiedenen Geschäften, und dort, wo die Hauptstraße in die Plaza mündete, stieß Kelly auf das Marshal's Office.

Er schwang sich aus dem Sattel, ließ den Braunen, dessen Flanken zitterten, einfach stehen und rüttelte an der Tür. Aber dahinter rührte sich nichts. »Hölle und Verdammnis!« Einige Sekunden lang war Ratlosigkeit in Kelly, dann aber wusste er, was zu tun war, um die Stadt aus ihrer Ahnungslosigkeit zu reißen.

Er zog den Colt und schoss die Trommel leer. Die wummernden Detonationen muteten an wie eine gewaltige Explosion, wurden von den Häuserwänden zurückgeworfen und fanden ein hartes Echo.

Einige Herzschläge lang war es still, dann flogen Fenster auf, Flüche erschallten, Hunde bellten wie verrückt, und jemand brüllte wütend: »Verflucht und zugenäht! Was ist denn nun schon wieder los? Vergeht denn in diesem Drecknest kein Tag mehr ohne Schießerei?«

Undeutlich zeichnete sich Kellys Gestalt am Rande der Plaza ab. »Wenn diese Stadt den morgigen Tag noch erleben soll, dann steigt aus euren Betten und nehmt eure Waffen in die Hand!«, schrie Kelly in eine unbestimmte Richtung. Seine Stimme hallte über den Platz. »Irgendwo da draußen liegen fünfzig Apachen auf der Lauer, um die Town in Schutt und Asche zu legen. Und der Teufel soll mich holen, wenn sie nicht an diesem Morgen noch kommen.«

»Du bist wohl nicht ganz richtig im Kopf, wie?«, erschallte es zornig. »Die Apachen! Das ist ja lächerlich, Mensch! Man sollte dich mit der Peitsche bis nach Feuerland jagen, Mister!« Krachend flog ein Fenster zu, ein zweites, ein drittes. Und eine andere Stimme keifte: »Du bist wohl besoffen, Mister? Veranstaltet hier einen Feuerzauber, dass man denkt, der Krieg sei ausgebrochen. Wenn du glaubst, dass das ein Spaß ist, dann hast du dich geschnitten. Darüber kann in Casa Grande keiner lachen.« Und wieder knallte ein Fenster zu.

»So glaubt mir doch!«, meldete sich Kelly wieder laut und vernehmlich. »Ich hatte einen Zusammenstoß mit einem Rudel Chiricahuas, ungefähr dreißig Meilen weiter südlich. Sie schossen mir einen Pfeil durch den Arm, und ich hatte eine Menge Glück, dass sie keine Gewehre hatten. Zur Hölle, Leute, das ist kein Spaß! Das ist tödlicher Ernst. Und ich weiß, dass sie es auf diese Stadt abgesehen haben.«

Von irgendwo kam ein hohnvolles, hämisches Lachen. Jemand entleerte seinen Nachttopf auf die Plaza, und dann kamen hastige Schritte auf. Ein Mann kam aus der Main Street gerannt. Während er rannte, stopfte er sich das Hemd in die Hose. Er nahm Kelly wahr und wandte sich ihm zu. Ein wenig außer Atem japste er: »Also gut, Stranger, du hast deinen Spaß gehabt. Und nun verschwinde, ehe ich dich einsperre, bis du schwarz wirst!«

Kelly zuckte mit den Schultern. »Sind Sie der Sheriff oder Marshal?«

»Ja. Aber mein Stern liegt auf dem Nachttisch.« Marshal Blaines strich mit den Fingern durch die struppigen Haare.

»Well, Marshal, dann hören Sie mir gut zu, was ich Ihnen zu flüstern habe: Vier niederträchtige Schufte haben zwei Chiricahuas, die auf der Jagd waren, hinterhältig und skrupellos niedergeknallt. Das haben die jungen Krieger in der Reservation nicht geschluckt und wieder einmal das Kriegsbeil ausgegraben. Die Fährte der vier Banditen führt nach Casa Grande. Grund genug für die Indsmen, dieser Stadt das Tor zur Hölle aufzustoßen. Haben Sie das begriffen, Marshal oder Sheriff oder was immer Sie hier sind in dieser Town?«

Marshal Blaines blickte auf Kellys notdürftig verbundenen Arm und ließ Kelly deutlich seinen Argwohn spüren. »Eine ungewöhnliche Geschichte, Stranger«, gab er gedehnt und jedes Wort betonend von sich. »Eine Geschichte, die ich Ihnen kaum abnehme. Denn wenn die Roten verrückt spielen würden, dann wüsste ich das längst. In Casa Grande gibt es nämlich einen Telegraphen. Und wir wären aus der Indianeragentur unverzüglich verständigt worden, wenn wieder einmal etwas im Busch wäre.«

Kelly seufzte. So viel Verstocktheit hatte er noch selten erlebt. Er hielt dem Marshal seinen verletzen Arm hin, und stechende Schmerzen jagten bis unter seine Schädeldecke. »Sehen Sie«, knirschte er, »dieses Loch rührt von einem Pfeil her. Schade, dass ich ihn nicht mitgebracht habe. Vielleicht würden Sie mir dann glauben und irgendetwas unternehmen.«

Blaines kratzte sich hinter dem Ohr. »All right«, knurrte er. »Nehmen wir an, dass Sie tatsächlich von ein paar streunenden Apachen überfallen worden sind. Wahrscheinlich hatten es die Kerle auf Ihr Pferd abgesehen, vielleicht auch auf Ihren Revolver. Nehmen wir weiterhin an, dass Sie Glück hatten und die Kerle in die Flucht schlagen konnten. Alles schön und gut. Woher aber nehmen Sie Ihre Weisheit, dass die Indsmen es auf Casa Grande abgesehen haben?«

Kelly erzählte es ihm mit knappen Worten.

Der Marshal wurde nachdenklich. Dann sagte er dumpf: »Vorgestern kamen vier üble Burschen in die Stadt. Die Dodsons und ihr Komplice Wy Hastings. Ich weiß nicht, ob Ihnen diese Namen viel sagen. Aber die Halunken haben in Tucson zwei Sheriffs umgelegt. Einige Stunden später verließen die Kerle mit Blitz und Donner wieder Casa Grande, nachdem wir sie festnehmen wollten. Einer flog aus dem Sattel, und ich hatte Mühe, ihn vor den aufgebrachten Bürgern zu retten, die ihm sofort einen Strick um den Hals legen wollten. Er sitzt jetzt mit einer durchschossenen Schulter im Jail und wartet auf seine Überführung nach Tucson.« Der Marshal räusperte sich, dann sprach er weiter: »Und gestern haben die Dodsons die Postkutsche in der Nähe von Bosque überfallen und ausgeraubt. Die beiden Fahrer starben. Den Hundesöhnen fielen fünfzigtausend Dollar, die für die Bank in Yuma bestimmt waren, in die Hände.«

Kelly pfiff durch die Zähne. Dann sagte er voller Bitterkeit: »Der Sheriff von Tucson war mein Bruder.«

Mehr sagte er nicht. Aber Blaines konnte zwei und zwei zusammenzählen. »Heißt das, dass Sie hinter den Schuften her sind?«

Kelly nickte. »Darf ich diesen Hastings sprechen?«, erkundigte er sich dann.

»Sicher.«

»Vorher aber sollten Sie jeden Mann, der eine Waffe halten kann, mobilisieren, Marshal. Die Apachen schleichen wahrscheinlich schon um die Town wie die Wölfe.«

Die Tragweite dieser Worte wurde Marshal Blaines endlich bewusst. Unruhig trat er von einem Bein auf das andere. Und plötzlich brüllte er: »Der Fremde hat keinen Mist erzählt, Leute! Es scheint wohl tatsächlich so, dass einige Indsmen den Aufstand proben und Casa Grande aufs Korn nehmen wollen. Also bewaffnet euch und kommt aus euren Löchern! Und zwar schleunigst!«

»Jetzt ist Blaines auch übergeschnappt!«, schrie eine Frau und lachte girrend.

Und ein Mann rief mit Donnerstimme: »Lasst euch nicht ins Boxhorn jagen, Leute. Nachdem General Crook mit den verlausten Halbaffen aufgeräumt hat, liegen sie faul im Reservat herum und wärmen sich die Hintern mit den Decken, die wir von unseren Steuern zahlen. Mit den beiden Narren da unten ist die Phantasie durchgegangen. Das ist alles.«

»Dieser Idiot!«, sagte Blaines wütend. »Nach seinem Gefasel locke ich wahrscheinlich keine zehn Männer hinter dem Ofen hervor. Es ist zum Verrücktwerden.«

»Dann nehmen Sie die zehn Männer und postieren Sie die an den Ausgängen der Stadt, Marshal. So können sie die Bürger wenigstens warnen, wenn die erste Feder zu sehen ist. Kann ich jetzt Hastings sprechen?«

»Klar. Kommen Sie.«

Kelly folgte dem Marshal. Er schaute einmal kurz über die Schulter und ließ seinen Blick über die Häuserfassaden rings um die Plaza schweifen, aber nirgends öffnete sich eine Tür, durch die ein Bewaffneter ins Freie trat.

»Ignoranten!«, brummte er und ahnte, dass der Stadt die Hölle bevorstand.


*


Kelly erfuhr von Wy Hastings, dass die Dodsons nach Yuma wollten, um dort einen Sergeant, der Jack Dodson im Zuchthaus nicht freundlich genug behandelt hatte, aus den Stiefeln zu putzen.

Der Bandit spielte nicht mehr mit dem Gedanken, dass seine Kumpane ihn befreien würden. Der Marshal hatte ihm von dem Postkutschenüberfall bei Bosque berichtet, und das ließ ihn die Hoffnung aufgeben. Die Dodsons waren schon viel zu weit von Casa Grande entfernt, als dass sie noch einmal zurückgekommen wären, um ihn aus dem Jail zu holen. Sie brauchten ihn nicht mehr. Die drei Brüder hatten eine Riesenbeute gemacht, und um Sergeant Phil Walker vom Leben zum Tode zu befördern, waren sie auch ohne Hastings stark genug. Der Bandit war verbittert und voll Hass auf die Brüder, die ihn so schmählich im Stich ließen. Er gab auch unumwunden zu, dass sie im Santa Rosa Valley ohne viel Federlesens die beiden Apachen getötet hatten.

Kelly hatte genug erfahren. Er erkundigte sich beim Marshal nach dem Mietstall. Er wollte ein paar Stunden ausruhen. Jetzt, da er das Ziel der verbrecherischen Brüder kannte, konnte er sich Zeit lassen. Außerdem rechnete er damit, dass es mittlerweile draußen rund um die Stadt von Apachen nur so wimmelte. Da war es schon gesünder, in der Stadt zu bleiben, wo er sich auf die Gefahr einstellen konnte und nicht allein war. Der Marshal erklärte ihm den Weg. Kelly verabschiedete sich und ging.

Im Mietstall roch es nach Pferden und Stroh, Leder und Futter.

Der Stallmann nahm Kelly das Pferd ab und sagte: »Ich glaube nicht, dass eine Handvoll Apachen es wagt, uns anzugreifen. Sie würden sich blutige Köpfe holen. Sagen Sie, Mister, sind Sie davon überzeugt, dass die kommen?«

»Warten wir's ab«, gab Kelly unwirsch zur Antwort. Er nahm seine Winchester. »Darf ich bei Ihnen ein paar Stunden im Stroh schlafen?«

»Natürlich. Steigen Sie dort die Leiter hinauf auf den Heuboden.«

»Danke.«

Draußen wurde es heller. Dunst stieg über die Dächer Casa Grandes und wurde von den ersten Sonnenstrahlen aufgezehrt. Und das Unheil braute sich drohend zusammen. Der Tod schlich auf leisen Sohlen heran. Sehnige Gestalten näherten sich im Schutz der wallenden Bodennebel der Stadt. In ihren schwarzen Augen loderten der vernichtende Hass und die Bereitschaft zum Töten. Und diese entschlossenen Burschen waren nicht nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet, der Großteil von ihnen hatte alte Gewehre.

Stallmann Dale Donelly trat in den Hof hinaus, nachdem er Kellys Hengst in einer Box untergebracht hatte. Er hörte die altvertrauten, allmorgendlichen Geräusche und vergaß die Warnung des Fremden, der vor fünf Minuten ins Heu gekrochen und gleich eingeschlafen war. Donelly schlenderte zum Brunnen, ließ den Eimer hinunter, hievte ihn wieder hoch und trug ihn in den Stall, um den abgehetzten Braunen zu tränken. Dann füllte er Hafer in den Futtertrog, um anschließend wieder den Stall zu verlassen. Er begab sich zu der Scheune mit dem Stroh, holte einen Ballen heraus und kam zurück in den Wagenhof. Der Strohballen war schwer, Dale Donelly ächzte. Seine Arme reichten kaum aus, ihn zu umfassen. Und er konnte kaum darüber hinwegblicken. Trotzdem entdeckte er die huschenden Gestalten. Ihm stockte sekundenlang der Atem. Und er erstarrte, riss die Augen auf.

Etwas schlug mit einem dumpfen Laut in den Strohballen. Irgendwo krachte ein Schuss. Wieder schlug etwas in das Stroh. Rauch stieg vor Dales Blick hoch, und er spürte es plötzlich heiß an seinen Händen.

Brandpfeile! Jäh erfasste er es, und Angst und Schrecken nahmen ihm die Luft. Er wankte wie ein Schilfrohr im Wind. Sein Mund öffnete sich, aber der Schrei blieb ihm in der Kehle stecken. Die Hitze schlug nach seinen Händen und versengte die Haare auf seinen Handrücken. Er ließ den brennenden Ballen fallen und rannte zum Stall.

Ein wirbelnder Tomahawk holte ihn ein. Donelly verspürte den schmerzhaften Aufschlag im Rücken, warf beide Arme hoch, machte das Kreuz hohl und prallte auf die Erde. Seine Finger krallten sich in den Staub - aus!

Überall zwischen den Häusern waren plötzlich Apachen. Am Brunnen unter den Akazien drängten sich die wenigen Männer, die bereit gewesen waren, die Ausgänge der Stadt zu bewachen. Marshal Blaines war bei ihnen. Lauthals brüllte er seine Befehle hinaus.

Sie feuerten auf die springenden und hetzenden und fürchterlich heulenden Schemen, die in Häuser und Hütten eindrangen und dort fürchterlich wüteten. Ihre Grausamkeit kannte keine Grenzen.

Menschen flüchteten ins Freie. Männer, Frauen und Kinder. Alte und ganz Alte. Pfeile schnellten auf sie zu, heißes Blei fand gnadenlos sein Ziel. Röchelnd stürzten viele in den Staub. Jene, die es nicht traf, suchten ihr Heil in der Flucht zur Kirche und drängten sich vor dem Portal. Das panische Entsetzen machte sie rücksichtslos.

Beim Brunnen lebten nur noch wenige Männer. Ihre Gesichter waren bleich. Das Grauen hatte sie gepackt. Blind schossen sie auf alles, was sich bewegte.

Marshal Blaines lag mit blutigem Gesicht auf der Erde und regte sich nicht mehr. Noch im Tod hielten seine Hände die Winchester umklammert.

Mit den ersten Schüssen war Kelly vom Heuboden gesprungen und zum Stalltor gelaufen. Da lag Donelly und dort schlugen die Flammen aus dem Ballen Stroh. Geduckt glitt Kelly über den Hof, die Winchester im Hüftanschlag. In der Gasse lag ein Mann auf dem Gesicht. Ein Apache beugte sich gerade über ihn, packte ihn bei den Haaren, setzte das blitzende Messer an. Kelly drückte ab. Mit einem Aufschrei fiel der Indianer über den Toten.

Kelly hastete weiter.

Drei Apachen liefen aus einem Haus am Ende der Gasse. Sie sahen Kelly gleichzeitig und rissen ihre Waffen hoch. Sie taumelten unter Kellys Treffern, wurden gegeneinander geworfen und stürzten übereinander.

Kelly erreichte die Plaza. In den Häusern wütete Feuer. Fauchend und prasselnd stießen die Flammen durch die Räume und die Gänge, brennende Gardinenfetzen fielen zu Boden. Rauch wälzte sich aus den Türen und Fenstern und trieb über die Plaza, verdunkelte die Stadt.

Die Schreie Sterbender gellten durch Casa Grande, wurden übertönt vom Geheul der Apachen. Kopflos gewordene Menschen hasteten kreuz und quer über den Platz, rannten blindlings in den Tod. Überall waren weinende Kinder, kreischende Frauen, wimmernde Männer, die aus schrecklichen Wunden bluteten.

Und das Gräuel nahm kein Ende …

Kelly spürte den Luftzug einer Kugel im Gesicht. Er stieß sich ab und hechtete unter einen Vorbau. Hart prallte er mit dem Kopf gegen einen Balken. Vor seinen Augen bohrte sich ein Pfeil in den Boden. Schritte trampelten über ihn hinweg, Staub rieselte zwischen den Bohlen hindurch auf ihn hinunter. Ein dumpfer Fall, ein erstickter Aufschrei — Ruhe. Kelly schoss das Magazin der Winchester leer, dann nahm er den Colt. Er musste nachladen, feuerte verbissen weiter. Seine Kugeln verfehlten ihr Ziel nur selten.

Pulverdampf wogte vor seinem Gesicht und reizte seine Schleimhäute, brannte in seinen Augen und ließ sie tränen. Überall lagen tote Apachen. Verwundete schleppten sich zwischen die Häuser. Der Kampflärm war angeschwollen zum höllischen Inferno und drang weit über die Grenzen der Stadt hinaus.

Plötzlich aber war der Spuk zu Ende. Die Apachen verschwanden genauso lautlos, wie sie gekommen waren. Ein paar Schüsse fielen noch, und dann war nur noch das Brausen der Feuersbrünste, das Klirren von Fensterscheiben, die in der Hitze zerplatzten, das Krachen und Splittern, wenn ein verbranntes Dach zusammenstürzte. Funken stieben zum Himmel, Asche wurde hochgewirbelt und fortgetragen.

Kelly kroch unter dem Vorbau hervor. Sein Gesicht war verschmiert von Staub, Schweiß und Pulverschmauch. Weiß stachen die Augen heraus. Sein Mund war ausgetrocknet, die Zunge pelzig. Rasselnd atmete er.

Zwischen den ziehenden Rauchschwaden bewegten sich Menschen. Die Verzweiflung hatte um sich gegriffen. Kinder saßen weinend neben ihren toten Müttern, und Frauen warfen sich schluchzend über ihre getöteten Männer.

Der Druck um Kellys Brust verstärkte sich.

Beim Brunnen brüllte ein Mann überschnappend: »Das haben wir den Dodsons und diesem Hastings zu verdanken. Heilige Jungfrau! Wir lassen es Hastings büßen. Kommt, Leute, holen wir ihn uns! Der Marshal ist tot. Holen wir uns Hastings und lassen wir ihn baumeln!«

Gallenbitter stieg es in Kelly hoch. Rache! Jeder hat einen Grund, irgendetwas blutig zu rächen - ich meinen Bruder, die Apachen ihre Brüder, diese Leute ihre getöteten Nachbarn und Verwandten. Das ist der blanke Wahnsinn.

Müde wandte Kelly sich ab. Er holte sein Pferd. Von dem Strohballen im Hof des Mietstalls war nur noch ein Haufen Asche übrig, den der laue Morgenwind auseinander trieb. Der Stall selbst war wie durch ein Wunder vom Feuer verschont geblieben.

Kelly zog sich in den Sattel. Er erreichte die Plaza in dem Moment, als eine vom Grauen erschütterte aber zornige und aufgebrachte Menschenmenge Wy Hastings unter die Akazie beim Brunnen schleppte. Von einem der starken Äste baumelte eine Schlinge.

Kelly zog den Braunen nach rechts herum und gelangte gleich darauf in die Main Street. Er gab dem Tier den Kopf frei und ließ es laufen.


*


Die Poststraße wand sich wie eine riesige Schlange nach Westen. Die Landschaft zu beiden Seiten wechselte. Mal dehnten sich weite Grasebenen, dann wuchteten wieder gebirgige Höhenzüge und dicht bewaldete Buckel empor.

Kelly ließ den Hengst Schritt gehen. Die Einsamkeit um ihn herum war erdrückend. Es ging auf Abend zu. Von Apachen hatte Kelly nichts mehr gesehen. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass die Gefahr, die von ihnen ausging, noch nicht gebannt war. Und so war Kelly ganz besonders auf der Hut, vor allem, wenn es durch unübersichtliches, felsiges Terrain ging.

Er befand sich zwischen Bosque und Gila, als entferntes Peitschen von Schüssen an seine Ohren drang. Er zog die Zügel an und lauschte nach Norden, wo er durch das Grau der Abenddämmerung die Gila Bend Mountains am rechten Ufer des Gila River ausmachen konnte.

Kein Zweifel. Dort oben wurde wild geschossen.

Kelly überlegte nur kurz, dann drängte er sein Pferd von der Straße und trieb es an. Der Hengst streckte sich. Die Berge rückten näher, die Detonationen wurden deutlicher.

Automatisch hatte Kelly die Schießerei mit den Apachen in Verbindung gebracht. Sein zweiter Gedanke war, dass Weiße in Not waren.

Das Ufergebüsch des Gila River tauchte auf. Der Fluss war breit und tief, hatte aber keine starke Strömung. Der Hengst schnaubte unwillig und tänzelte zur Seite, doch Kelly lenkte ihn mit harter Hand in die Fluten.

»Tut mir leid, mein Alter«, murmelte er. »Aber es muss sein.«

Bald musste das Pferd schwimmen. Kelly hatte die Winchester aus dem Scabbard genommen, damit das Wasser nicht ins Magazin und die Patronenkammer gelangen konnte. Ebenso hatte er seinen Colt in Sicherheit gebracht. Er hatte die Zügel zwischen die Zähne genommen und lenkte das Pferd, soweit das überhaupt notwendig war, mit den Schenkeln.

Prustend erklomm das Tier die Uferböschung auf der anderen Seite. Das Knattern der Schießerei war verstummt. Besorgt fragte sich Kelly, ob er wohl zu spät kam.

Er sprang ab, setzte sich auf den Boden und riss sich die Stiefel von den Füßen, kippte das Wasser aus, schlüpfte wieder hinein. Die Hose klebte unangenehm an seinem Körper.

Sein Colt steckte wieder im Halfter, die Winchester im Sattelschuh. Gespannt stand er neben dem Hengst und horchte nach Norden. Aber von dort kam nur eine lähmende Stille.

Kelly biss die Zähne zusammen. Was tun? Unschlüssig blickte er über den Fluss hinweg. Das andere Ufer war nur noch unklar und verschwommen durch die um sich greifende Dunkelheit auszumachen.

War dort in den Bergen lediglich eine Feuerpause eingetreten, oder war bereits alles vorbei? Wenn ersteres der Fall war, dann war man auf seine Hilfe angewiesen. Traf zweiteres zu, dann würde er sich nutzlos in Gefahr begeben, wenn er weiterritt. Kelly konnte sich nicht entschließen. Da aber wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Denn der Kampfeslärm brandete wieder auf, heftiger als vorher, rasender …

Er stieß heran wie eine Botschaft von Untergang und Verderben.

Kelly schwang sich in den Sattel. »Hüh!«

Der Klang der Schüsse und die brüllenden, vielfachen Echos verschmolzen zu einem infernalischen Rumoren und rollenden Donnergrollen und wiesen Kelly den Weg zwischen Hügeln und Felsen. Der Weg wurde mühsam. Aber die Schießerei war bald so nahe, dass der Krach Kellys Trommelfelle strapazierte und den Hengst in Panik versetzte. Kelly hatte alle Hände voll zu tun, das Tier zur Ruhe zu zwingen.

Fast übergangslos war die Nacht gekommen.

Kelly ritt zwischen zwei Felsen hindurch und befand sich auf einem steinigen Plateau. Auf der anderen Seite ragten wieder Felstürme gen Himmel, dazwischen öffnete sich ein Canyon, düster und drohend, wie der Rachen eines urzeitlichen Giganten.

Und aus diesem Einschnitt rollten die wummernden Detonationen.

Kelly zog den Hengst herum und ritt zurück zwischen die Felsen, saß ab und band die Zügel fest um den Stamm einer Kiefer. Er zog die Winchester heraus, flüsterte dem Braunen noch einige beruhigende Worte ins Ohr, dann glitt er davon. Er bewegte sich dicht an der Felswand entlang, hastete geduckt über das Plateau und erreichte den Schlagschatten im Eingang des Canyons. Vorsichtig schob er sich tiefer in den Schlund hinein, immer dem hämmernden Stakkato entgegen.

Nur wenige Schritte vor ihm zerriss ein Mündungsblitz die Dunkelheit. Für den Bruchteil einer Sekunde beleuchtete er den Schützen. Er kauerte hinter einem Felsbrocken. Ein Apache. Er feuerte in die Schlucht hinein und ahnte nichts von der Gefahr, die hinter seinem Rücken lauerte. Wieder zog er den Stecher durch, wieder konnte Kelly die Gestalt einen Atemzug lang ausmachen. Das Donnern des Schusses ging unter im berstenden Krach ringsum.

Die von den Apachen Eingeschlossenen verteidigten sich verbissen und zäh.

Wieder schoss der Indianer. Kelly riss die Winchester hoch, krümmte den Finger, spürte den Rückschlag an der Schulter. Ein dumpfer Fall, ein ersticktes Röcheln …

Kelly pirschte weiter. Sein Blick bohrte sich in die Finsternis. Er hatte keine Ahnung, ob hinter dem nächsten Felsblock oder Strauch bereits ein Indianer lauerte. Die Felswände traten auseinander, der Canyon weitete sich. Kelly ging hinter einem rissigen Felsvorsprung in Deckung. Von überall zuckten die Mündungsblitze durch die Nacht. Aus der Mitte des Canyons züngelte es grell zurück.

Nahezu eine halbe Stunde war vergangen, seit Kelly das mörderische Getöse wahrgenommen hatte. Und nun befand er sich mittendrin und suchte nach einer Möglichkeit, wie er sich den Eingekesselten hinzugesellen konnte. Für die da vorn in der Schlucht kam es auf jedes Gewehr an. Irgendwann würde ihnen sicherlich auch die Munition ausgehen. Kellys Patronengurt aber war bis zur letzten Schlaufe gefüllt, und in seinem Colt und seiner Winchester steckten zwanzig Schüsse. Er hatte sich in Maricopa Wells mit ausreichend Munition eingedeckt. Er schätzte die Entfernung zu den Menschen, die sich im Canyon verschanzt hatten. Sie betrug gut und gern hundert Yards.

Kelly arbeitete sich weiter. Er musste ihre Deckung erreichen, ehe der Mond über die Berge kam und sich sein Licht in den Canyon ergoss.

Kelly tastete sich entschlossen um den Vorsprung herum. Loses Gestein knirschte unter seinen Absätzen, seine Sporen klirrten leise. Er schnallte sie ab und ließ sie einfach liegen.

Verbissen tastete Kelly sich voran. Der Gedanke, dass dort vorn womöglich auch Frauen und Kinder waren, erschreckte ihn und trieb ihn vorwärts.

Hätte er auch nur einen blassen Dunst davon gehabt, wer den Apachen dieses mörderische Gefecht lieferte, dann … Nun, Kelly war kein Hellseher.

Ein Schemen löste sich wenige Schritte vor ihm von der Felswand. Kelly schoss, und der Schemen sank lautlos zu Boden. Kelly schoss ein zweites Mal, schräg nach oben, genau in ein Mündungslicht hinein, wirbelte im selben Augenblick herum und ließ das Gewehr kreisen, spürte den Widerstand und hörte den klatschenden Aufschlag. Der Indianer, der ihn von hinten anspringen wollte, erschien Kelly riesengroß und breit wie ein Schrank. Gepresstes Atmen und kratzendes Scharren waren in Kellys hellwache Sinne gedrungen und hatten ihn blitzartig herumkreiseln lassen.

Dem Apachen entrang sich ein verblüffter, schmerzverzerrter Aufschrei, als ihn das Gewehr traf und ihm das Korn die Haut auffetzte. Kelly setzte nach, sein zweiter wuchtiger Hieb ließ einen Warnschrei des Apachen im Kehlkopf ersticken.

Kelly hetzte los. Die Gefahr, von einer verirrten Kugel getroffen zu werden, war riesengroß. Aber Kelly musste die Deckung erreichen, aus der sich die Eingeschlossenen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigten und die Läufe ihrer Gewehre heiß schossen.

Schauerliches Geheul übertönte plötzlich das Tosen der Schüsse. Es wurde von den Canyonwänden zurückgeworfen und hallte wider.

Die Apachen hatten bemerkt, dass ihnen ein weiterer kompromissloser Gegner erstanden war. Das Feuer aus ihren veralteten Gewehren brach ab. Kelly spürte, während er wie von Furien getrieben über Geröll und durch hüfthohe Büsche hetzte, wie ihm ein eisiger Schauer den Rücken hinunterrieselte.

Eine Horde Teufel konnte nicht grässlicher und markerschütternder heulen.

Details

Seiten
Erscheinungsjahr
2022
ISBN (ePUB)
9783738969047
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Dezember)
Schlagworte
raue wege western

Autor

  • Pete Hackett (Autor:in)

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Titel: Raue Wege – 9 Western